Umweltschutz und die Verantwortung der...

6
326 Mittels einer Fragebogenstudie (N = 518) wurde untersucht , wie die folgenden drei Va riablengrappen motiviert sind: erstens ver- schiedene Bereitschaftsformen , die Luftqualität zu schützen (z.B. die Bereitschaft, persönliche Einschränkungen oder finan- zielle Kosten zu akzeptieren), zweitens Engagementbereitschaft für Interessen , die der Luftqualität potentiell schaden (z. B. Un- terstützung des Motorsports) und drittens die Zuschreibung öko- logischer Verantwortlichkeit- Die Ergebnisse, die sich in me- thodischer Hinsicht auf gut abgesiche rte Variablen stützen, zei- gen, daß die Zuschreibung von ökologischer Verantwortlichkeit auf den Bürger genau wie die Akzeptanz konkreter Verantwort- lichkeitsübemahme in Form von Bereitschaftsbekundigungen zum Schutz der Luftqualität keine Frage der persönlichen Be- troffenheit durch Luftverschmutzung im eigenen Lebensraum ist. Die Regressionsanalysenergaben stattdessen, daß die Kri- terien sehr präzise durch Va riablen vorhergesagt werden, die al- le moralische Werturteile betreffen (wie beispielsweise ein Ge- fahrenbewußtsein für die Luftverschmutzung im allgemeinen, Zuschreibung von Verursachungen der Verschmutzung, Akzep- tanz von Argumenten gegen Umweltschutz oder Empörung über zuwenig Umweltschutz)Problemstellung und Untersuchungsziele Die Verschmutzung der Umwelt wird zu einem im- mer drängenderen ProblemTrotz verschiedener Schutzmaßnahmen ist die natürliche Lebensgrund- lage des Menschen weiterhin langfristig bedroht (Umweltbundesamt, 1991). Diese ökologische Kri- se wurde als «Krise fehlangepaßten Verhaltens» (Maloney & Ward, 1973) bzw. als «Krise der Kul- tur» (Devall. 1982) bezeichnetEffizienter Um- weltschutz ist nicht nur durch technische Innova- tionen und Verbote zu gewährleisten, sondern setzt voraus, daß die Bürger Verantwortung übernehmen, etwa durch persönliche Verzichte, Aufklärungsar- beit, Drängen auf angemessene wirtschaftliche und politische Entscheidungen. - Obwohl die Zahl an Einzelarbeiten in der Umweltpsychologie bereits vor einigen Jahren beachtlich war (vgldie Litera- tursammlung: Kruse & Arlt, 1984) und vor allem in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, haben wir noch kein geschlossenes Bild über die Entstehung Kals/Montada: Umweltschutz und die Verantwortung der Bü rgf Byconducting a questionnaire study (N = 518) it was examin ed how the following three groups of variables are motivated: Fir st , va ried forms of the willingness to protect air quality (eg., ac- cepting personal inconveniences or fina326ncial costs), second , the willingness to take part in activities for interests which a re potentially harmful for the quality of the air (e. g., supporting mo- torsports), and third, the attribution of ecological responsibility. The results are based on variables which are thoroughly con- trolled in methodological respectThe findings report that the attribution of ecological responsibility to the Citizen as well as the acceptance of actual responsibility regarding a willingness to protect air quality is not a question of personal exposure to air pollution in ones own environment. Instead, the regression anal- yses revealed that the crite rions are predicted very precisely by variables, which all affect moral judgements (like for example , the perceived severity of air pollution in general, attribution of the causes of air pollution, acceptance of arguments against pol- lution control , or Indignation that there is not enough pollution control). und Veränderung verantwortlichen Handelns zur Erhaltung oder Verbesserung der ökologi- schen Umwelt. Im gesamten Aufgabenfeld sind noch viele Forschungsfragen zu bearbeiten (vgl. Ka- minski, 1988; Winter , 1986). Eine der Forschungsaufgaben betrifft die Eta- blierung einer umweltpsychologischen Theorien- bildung. In einer wachsenden Zahl umweltpsycho- logischer Arbeiten werden sozialpsychologische Erklärungsmodelle zugrundegelegt. Dies ist vor allem das Modell altruistischen Verhaltens nach Schwartz (Schwartz, 1970 , 1977; Schwartz & Ho- ward, 1980) und die Theorie rationalen Handelns nach Fishbein & Ajzen (Fishbein & Ajzen, 1975) bzw. ihre Weiterentwicklung zur Theorie geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991). Zur Erklärung umwelt- bewußten Verhaltens wurden diese Modelle bereits erfolgreich angewandt, das Modell von Schwartz (vgl. z. B. Hopper & Nielsen, 1991; Stern, Dietz & Kalof, 1993; Van Liere & Dunlap, 1980) als auch die Theorievarianten von Fishbein & Ajzen (vgl. Zeitschrift für Sozialpsycho logie 1994, 326-337 z B. Bam berg & Schmidt, 1993; Lynne & Rola, 1988). Die vorliegende Studie knüpft an diese For- schungstra dition an. Es wurden Modelle der Be- reitscha ft zu ökologisch relevantem Handeln sowie der Verbotsbereitschaft getestet. In diesen Model- len wurden zentrale Konstrukte der genannten so- zialpsycho logischen Modelle als kognitive Prädik- toren der umweltrelevanten Bereitschaften einge- setzt (wie die wahrgenommene Verursachung öko- logischer Probleme im Sinne der Bewußtheit von Verhaltenskonsequenzen, die Zuschreibung von ökologischer Verantwortlichkeit, ökologiebezoge- ne Kontrollüberzeugungen sowie persönliche Be- einträchtigungen durch Umweltbelastungen). Ne- ben kognitiven Prädiktoren wurden auch emotiona- le Bewertungen als Prädiktoren überprüft. Denn ei- nerseits wurden zwischen umweltbezogenen Ko- gnitionen und Emotionen recht enge Zusammen- hänge empirisch nachgewiesen und Emotionsprä- diktoren erwiesen sich als gute Prädiktoren um- weltgerechten Handelns (vgl. z. B. Amelang, Tepe, Vagt & Wendt, 1977; Grob, 1991; Schahn & Hol- zer, 1990). Und anderseits macht es auch theoretisch Sinn, bei der Bildung von Bereitschaften und Ver- haltensintentionen nicht von einem rein kognitiven Prozeß auszugehen, sondern additive und interakti- ve Wirkungen emotionaler Bewertungen anzuneh- men. In der vorliegenden Studie geht es um grundsätz- liche Bereitschaften, die exemplarisch auf die Luft- verschmutzung als eines der zentralen Umweltpro- bleme mit direkter Betroffenheit vieler Bürger be- schränkt sind. Bereitschaften wurden vor allem aus Gründen der Reliabilität und Forschungsöko- nomie als zentrale Kriterien gewählt: Nach Fietkau & Kessel (1981) sind zur Erklärung manifester umweltbewußter Verhaltensweisen u.a. Verhal- tensangebote und Handlungsanreize als perso- nenspezifische Situationseinflüsse zu berücksichti- gen, die zur Erklärung von Bereitschaften vernach- lässigbar sind. Überdies erwiesen sich umweltbe- zogene Bereitschaften in eigenen Pilotstudien als gute Indikatoren für entsprechende manifeste Ver- haltensweisen. Im einzelnen wurden folgende Bereitschaften analysiert: (I) Bereitscha ft zur Akzeptanz und zum Erlaß neu- er gesetzlicher Verbote zum Schutz der Luft- qualität, die (la) die Industrie betreffen (Item- beispiel: «Die Abgasnormen für Kraftwerke 327 und Industrieanlagen sollten verschärft wer- den.») und (Ib) Einschränkungen für das pri- vate Leben bedeuten (Itembeispiel: «Verord- nungen zur Energieeinsparung im privaten Wohnbereich sollten eingeführt werden, zum Warmwasser-Verbrauch, zur Hausheizung usw.»). (II) Engagementbereitschaften, etwa in Form der Beteiligung an Kundgebungen oder Bürgeri- nitiativen, für die Umsetzung umweltschützen- der Maßnahmen (Ha) in Unternehmen (Item- beispiel: «Ich bin bereit, mich aktiv für um- weltschonende Veränderungen beim Energie- verbrauch durch die Industrie zu engagieren, z. B . Verringerung des Energieverbrauchs, bes- sere Energienutzung usw.») und (Ilb) in priva- ten Bereichen (Itembeispiel: «Ich bin bereit, mich aktiv für die Förderung von Auf- klärungskampagnen über die Verschmutzung der Luft durch Privatleute zu engagieren, z. B. in der Öffentlichkeit, in Schulen, Bet rieben usw.»). (III) Verzichtbereitschaften zum Schutz der Luft- qualität: (lila) Bereitschaft zur Inkaufnahme finanzieller Belastungen (Itembeispiel: «Vom Grundsatz bin ich bereit, Umweltsteuern zu zahlen, wenn ich umweltbelastende Produkte kaufe, z. B. Kauf eines Autos, aufwendig ver- packter Waren usw.») und (Illb) Bereitschaft zu Freiheits-, Zeit- und Bequemlichkeitsein- bußen (Itembeispiel: «Ich bin grundsätzlich bereit, auf das (Mit-)Fahren mit privaten Au- tos oder Krafträdern mehr und mehr zu ver- zichten, auch wenn dies weniger komfortabel wäre.»). (IV) Darüber hinaus wurden auch Engagementbe- reitschaften für Anliegen erfaßt, die potentiell den Interessen des Umweltschutzes entgegen- stehen, (IVa) ßr wirtschaftliche Konkurrenz- fähigkeit (Itembeispiel: «Ich bin bereit, mich aktiv für die Förderung von Programmen zur Produktionssteigerung zu engagieren, z.B. Schaffung neuer Betriebe, Erschließung neuer Industriegebiete auch in den neuen fünf Bun- desländern usw.») und (IVb) für die Freiheit privater Lebensgestaltung (Itembeispiel: «Ich bin bereit, mich aktiv für die Förderung eines hohen Lebensstandards des einzelnen Bürgers mit hohem Energieverbrauch (eigenes Auto, Flugreisen usw.) zu engagieren.»). Umweltschutz und die Verantwortung der Bürger Pollution control and the responsibility of the Citizens Elisabeth Kals und Leo Montada Universität Trier © Verlag Hans Huber, Bern 1994

Transcript of Umweltschutz und die Verantwortung der...

Page 1: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürgerpsydok.psycharchives.de/jspui/bitstream/20.500.11780/773/1/... · spiel: «Haben Industri eunternehmen Möglich-keiten, die Schadstoffbelastung

326

Mittels einer Fragebogenstudie (N = 518) wurde untersucht,wie

die folgenden drei Variablengrappen motiviert sind: erstens ver-schiedene Bereitschaftsformen

, die Luftqualität zu schützen(z.B. die Bereitschaft, persönliche Einschränkungen oder finan-zielle Kosten zu akzeptieren), zweitens Engagementbereitschaftfür Interessen

, die der Luftqualität potentiell schaden (z. B. Un-terstützung des Motorsports) und drittens die Zuschreibung öko-logischer Verantwortlichkeit. - Die Ergebnisse,

die sich in me-

thodischer Hinsicht auf gut abgesicherte Variablen stützen,zei-

gen, daß die Zuschreibung von ökologischer Verantwortlichkeitauf den Bürger genau wie die Akzeptanz konkreter Verantwort-lichkeitsübemahme in Form von Bereitschaftsbekundigungenzum Schutz der Luftqualität keine Frage der persönlichen Be-troffenheit durch Luftverschmutzung im eigenen Lebensraumist. Die Regressionsanalysen ergaben stattdessen,

daß die Kri-

terien sehr präzise durch Variablen vorhergesagt werden,die al-

le moralische Werturteile betreffen (wie beispielsweise ein Ge-fahrenbewußtsein für die Luftverschmutzung im allgemeinen,

Zuschreibung von Verursachungen der Verschmutzung, Akzep-tanz von Argumenten gegen Umweltschutz oder Empörung überzuwenig Umweltschutz).

Problemstellung und Untersuchungsziele

Die Verschmutzung der Umwelt wird zu einem im-mer drängenderen Problem.

Trotz verschiedener

Schutzmaßnahmen ist die natürliche Lebensgrund-lage des Menschen weiterhin langfristig bedroht(Umweltbundesamt, 1991). Diese ökologische Kri-se wurde als «Krise fehlangepaßten Verhaltens»(Maloney & Ward, 1973) bzw. als «Krise der Kul-tur» (Devall. 1982) bezeichnet.

Effizienter Um-

weltschutz ist nicht nur durch technische Innova-

tionen und Verbote zu gewährleisten,sondern setzt

voraus, daß die Bürger Verantwortung übernehmen,

etwa durch persönliche Verzichte, Aufklärungsar-beit, Drängen auf angemessene wirtschaftliche undpolitische Entscheidungen. - Obwohl die Zahl anEinzelarbeiten in der Umweltpsychologie bereitsvor einigen Jahren beachtlich war (vgl.

die Litera-

tursammlung: Kruse & Arlt, 1984) und vor allem inden letzten Jahren deutlich gestiegen ist,

haben wir

noch kein geschlossenes Bild über die Entstehung

Kals/Montada: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürgf

By conducting a questionnaire study (N = 518) it was examined

how the following three groups of variables are motivated: First,

varied forms of the willingness to protect air quality (e. g., ac-cepting personal inconveniences or fina326ncial costs), second

,

the willingness to take part in activities for interests which are

potentially harmful for the quality of the air (e. g., supporting mo-torsports), and third, the attribution of ecological responsibility.

- The results are based on variables which are thoroughly con-trolled in methodological respect. The findings report that theattribution of ecological responsibility to the Citizen as well asthe acceptance of actual responsibility regarding a willingness toprotect air quality is not a question of personal exposure to airpollution in ones own environment. Instead, the regression anal-yses revealed that the criterions are predicted very precisely byvariables, which all affect moral judgements (like for example

,

the perceived severity of air pollution in general, attribution ofthe causes of air pollution, acceptance of arguments against pol-lution control

, or Indignation that there is not enough pollutioncontrol).

und Veränderung verantwortlichen Handelnszur Erhaltung oder Verbesserung der ökologi-schen Umwelt. Im gesamten Aufgabenfeld sindnoch viele Forschungsfragen zu bearbeiten (vgl.

Ka-

minski, 1988; Winter, 1986).Eine der Forschungsaufgaben betrifft die Eta-

blierung einer umweltpsychologischen Theorien-bildung. In einer wachsenden Zahl umweltpsycho-logischer Arbeiten werden sozialpsychologischeErklärungsmodelle zugrundegelegt.

Dies ist vor

allem das Modell altruistischen Verhaltens nach

Schwartz (Schwartz, 1970, 1977; Schwartz & Ho-

ward, 1980) und die Theorie rationalen Handelns

nach Fishbein & Ajzen (Fishbein & Ajzen,1975)

bzw. ihre Weiterentwicklung zur Theorie geplantenVerhaltens (Ajzen, 1991). Zur Erklärung umwelt-bewußten Verhaltens wurden diese Modelle bereits

erfolgreich angewandt,das Modell von Schwartz

(vgl. z. B. Hopper & Nielsen, 1991; Stern, Dietz &Kalof, 1993; Van Liere & Dunlap, 1980) als auchdie Theorievarianten von Fishbein & Ajzen (vgl.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1994, 326-337

z B. Bamberg & Schmidt, 1993; Lynne & Rola,1988).

Die vorliegende Studie knüpft an diese For-schungstradition an. Es wurden Modelle der Be-

reitschaft zu ökologisch relevantem Handeln sowieder Verbotsbereitschaft getestet. In diesen Model-len wurden zentrale Konstrukte der genannten so-zialpsychologischen Modelle als kognitive Prädik-toren der umweltrelevanten Bereitschaften einge-

setzt (wie die wahrgenommene Verursachung öko-logischer Probleme im Sinne der Bewußtheit vonVerhaltenskonsequenzen, die Zuschreibung vonökologischer Verantwortlichkeit, ökologiebezoge-ne Kontrollüberzeugungen sowie persönliche Be-einträchtigungen durch Umweltbelastungen). Ne-ben kognitiven Prädiktoren wurden auch emotiona-le Bewertungen als Prädiktoren überprüft. Denn ei-nerseits wurden zwischen umweltbezogenen Ko-

gnitionen und Emotionen recht enge Zusammen-

hänge empirisch nachgewiesen und Emotionsprä-diktoren erwiesen sich als gute Prädiktoren um-weltgerechten Handelns (vgl. z. B. Amelang, Tepe,Vagt & Wendt, 1977; Grob, 1991; Schahn & Hol-zer, 1990). Und anderseits macht es auch theoretischSinn, bei der Bildung von Bereitschaften und Ver-haltensintentionen nicht von einem rein kognitivenProzeß auszugehen, sondern additive und interakti-ve Wirkungen emotionaler Bewertungen anzuneh-men.

In der vorliegenden Studie geht es um grundsätz-liche Bereitschaften, die exemplarisch aufdie Luft-verschmutzung als eines der zentralen Umweltpro-bleme mit direkter Betroffenheit vieler Bürger be-schränkt sind. Bereitschaften wurden vor allem aus

Gründen der Reliabilität und Forschungsöko-nomie als zentrale Kriterien gewählt: Nach Fietkau& Kessel (1981) sind zur Erklärung manifesterumweltbewußter Verhaltensweisen u.a. Verhal-

tensangebote und Handlungsanreize als perso-nenspezifische Situationseinflüsse zu berücksichti-gen, die zur Erklärung von Bereitschaften vernach-lässigbar sind. Überdies erwiesen sich umweltbe-zogene Bereitschaften in eigenen Pilotstudien alsgute Indikatoren für entsprechende manifeste Ver-haltensweisen.

Im einzelnen wurden folgende Bereitschaftenanalysiert:(I) Bereitschaft zurAkzeptanz und zum Erlaß neu-

er gesetzlicher Verbote zum Schutz der Luft-qualität, die (la) die Industrie betreffen (Item-beispiel: «Die Abgasnormen für Kraftwerke

327

und Industrieanlagen sollten verschärft wer-den.») und (Ib) Einschränkungen für das pri-vate Leben bedeuten (Itembeispiel: «Verord-nungen zur Energieeinsparung im privatenWohnbereich sollten eingeführt werden, zumWarmwasser-Verbrauch, zur Hausheizungusw.»).

(II) Engagementbereitschaften, etwa in Form derBeteiligung an Kundgebungen oder Bürgeri-nitiativen, für die Umsetzung umweltschützen-der Maßnahmen (Ha) in Unternehmen (Item-beispiel: «Ich bin bereit, mich aktiv für um-weltschonende Veränderungen beim Energie-verbrauch durch die Industrie zu engagieren,z.B

. Verringerung des Energieverbrauchs, bes-sere Energienutzung usw.») und (Ilb) in priva-ten Bereichen (Itembeispiel: «Ich bin bereit,mich aktiv für die Förderung von Auf-klärungskampagnen über die Verschmutzungder Luft durch Privatleute zu engagieren, z. B.in der Öffentlichkeit, in Schulen, Betrieben

usw.»).(III) Verzichtbereitschaften zum Schutz der Luft-

qualität: (lila) Bereitschaft zur Inkaufnahmefinanzieller Belastungen (Itembeispiel: «VomGrundsatz bin ich bereit, Umweltsteuern zu

zahlen, wenn ich umweltbelastende Produkte

kaufe, z. B. Kauf eines Autos, aufwendig ver-packter Waren usw.») und (Illb) Bereitschaftzu Freiheits-, Zeit- und Bequemlichkeitsein-bußen (Itembeispiel: «Ich bin grundsätzlichbereit, auf das (Mit-)Fahren mit privaten Au-tos oder Krafträdern mehr und mehr zu ver-

zichten, auch wenn dies weniger komfortabelwäre.»).

(IV) Darüber hinaus wurden auch Engagementbe-reitschaften für Anliegen erfaßt, die potentiellden Interessen des Umweltschutzes entgegen-stehen, (IVa) ßr wirtschaftliche Konkurrenz-fähigkeit (Itembeispiel: «Ich bin bereit, michaktiv für die Förderung von Programmen zurProduktionssteigerung zu engagieren, z.B.Schaffung neuer Betriebe, Erschließung neuerIndustriegebiete auch in den neuen fünf Bun-desländern usw.») und (IVb) für die Freiheitprivater Lebensgestaltung (Itembeispiel: «Ichbin bereit, mich aktiv für die Förderung eineshohen Lebensstandards des einzelnen Bürgersmit hohem Energieverbrauch (eigenes Auto,Flugreisen usw.) zu engagieren.»).

Umweltschutz und die Verantwortung der BürgerPollution control and the responsibility of the Citizens

Elisabeth Kals und Leo Montada

Universität Trier

© Verlag Hans Huber, Bern 1994

Page 2: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürgerpsydok.psycharchives.de/jspui/bitstream/20.500.11780/773/1/... · spiel: «Haben Industri eunternehmen Möglich-keiten, die Schadstoffbelastung

328 329

Zudem wurden als objektive Maße die etwaige Mit-gliedschaft in Motorsportclubs (unter der Annah-me, daß in diesen Clubs dem Umweltschutz keine

Priorität eingeräumt wird) und in Umweltschutz-gruppen und die Stärke des jeweiligen Engage-ments in diesen Mitgliedschaften erfaßt.

Die Bereitschaften I,II und III werden «ökolo-

gie-schützende Bereitschaften» genannt und impli-zieren mit Ausnahme von la eine persönliche Ver-antwortungsübernahme angesichts der ökologi-schen Krise.

Die zentrale Fragestellung lautet: Wie sind dieökologisch relevanten Bereitschaften motiviert?Im Zentrum des Interesses stand die spezifischereFrage: Sind Variablen der persönlichen Belastungdurch Luftverschmutzung im eigenen Lebensraumoder Variablen einer moralischen Verantwortlich-

keitsmotivation die besseren Prädiktoren der Be-reitschaften?

Um diese Frage beantworten zu können,wurde

eine größere Zahl von Prädiktorvariablen in der Stu-die erfaßt

, wobei sowohl die belastungs- als auchdie verantwortungsbezogenen PrädiktorvariablenKognitions- und Emotionskonstrukte umfassen.

Zunächst mußte die persönliche Belastungdurch lokale Luftverschmutzung unterschiedenwerden von der Bewertung der Luftverschmut-zung im allgemeinen:1

. Bewertung des Ausmaßes und der allgemeinenGefahren durch Luftverschmutzung (Itembei-spiel: «Die Luftverschmutzung wird langsam zueinem immer größeren Umweltproblem.»),

2. wahrgenommene Belastung durch Luftver-

schmutzung im eigenen Lebensraum und da-durch ausgelöstes Belastungsgefühl (Itembei-spiel: «Einschätzung des Ausmaßes des Verkehrsim eigenen Wohngebiet»),

3. körperliche Beschwerden aufgrund von Luftver-

schmutzung (Itembeispiel: «Einschätzung desAusmaßes eigener körperlicher Beschwerdenoder Auffälligkeiten, die aufLuftverschmutzungzurückgeführt werden»).

Die persönliche Belastung wurde auch über zweiemotionale Bewertungen erfaßt:4

. Angst vor der Luftverschmutzung und ihren Fol-gen (Itembeispiel: «Ich habe Angst um meineGesundheit und um die Gesundheit anderer

.»).

Als emotionaler Indikator für geringe Belastungwurde die Variable

5. Zuversicht bezüglich der weiteren Entwicklung

der Luftqualität erhoben (Itembeispiel: «Ich binzuversichtlich, daß sich das Bewußtsein der Bür-ger verändern wird.»).

Sodann mußte die Frage differenziert werden, wemVerantwortung für den Schutz der Luftqualitätzugeschrieben wird. Wir entschieden uns zu fol-genden Unterscheidungen:6

. Zuschreibung von Verantwortlichkeit aufeinzel-ne Bürger und Bürgergruppen, wodurch hypo-thetisch persönliche, d.h. «internale» Verant-wortlichkeit der Teilnehmer(innen) repräsentiertsein sollte (Itembeispiel: «Der einzelne Bürgerist dafür verantwortlich

, daß die Luftverschmut-zung wirkungsvoll reduziert wird.»),

7. Zuschreibung von Verantwortlichkeit auf Staat

und Wirtschaft, wodurch «externale» Verant-wortlichkeit repräsentiert sein sollte (Itembei-spiel: «Die Industrie (Produktionsbetriebe

,

Kraftwerke usw.) ist dafür verantwortlich, daß

die Luftverschmutzung wirkungsvoll reduziertwird.»)

Auch dieser Unterscheidung wurden emotionaleBewertungen zugeordnet:8

. Schuld über zu geringes eigenes Engagementzum Schutz der Luftqualität (Itembeispiel: «Ichhabe ein schlechtes Gewissen

, daß ich mich nicht

mehr für den Umweltschutz engagiere.»),

9. Empörung über das luftverschmutzende Verhal-

ten anderer (Itembeispiel: «Ich bin empört überden gedankenlosen Gebrauch von Kraftfahrzeu-gen.»).

Persönliche Verantwortlichkeit für Umweltschutz

kann mit mehreren Argumenten abgewehrt werden.Sie kann auf die externen Verursacher abgeschobenwerden. Sie kann nur wahrgenommen werden,

wenn auch Einflußmöglichkeiten bestehen.Und sie

kann mit überzeugenden Argumenten gegen denUmweltschutz abgelehnt werden. Deshalb wurdendiese Abwehrargumente durch die nachfolgendenVariablen repräsentiert.

Zur Verursachung wurden zwei Variablen gebil-det:

10. Externale Attribution der Verursachung derLuftverschmutzung auf Industrie und Wirt-schaft (Itembeispiel: «Industrie- und Wirt-schaftsunternehmen tragen zur Entstehung derLuftverschmutzung bei.»),

jl. Attribution aufprivate Verursachung, was alsAnalogie zu einer «intemalen» Verursachungs-attribution gedacht ist (Itembeispiel: «PrivaterAuto- und Kraftradverkehr tragen zur Entste-hung der Luftverschmutzung bei.»).

Zu den Einflußmöglichkeiten (der Kontrollier-barkeit) wurden vier Variablen gebildet:12. Einflußmöglichkeiten der einzelnen Bürger als

Repräsentation für «internale» Kontrolle (Item-beispiel: «Haben Sie selbst Möglichkeiten, dieSchadstoffbelastung der Luft durch Verzichtezu verringern (das Auto weniger benutzen, dieRaumtemperatur senken, weniger warmesWasser verbrauchen usw.)?»),

13. Einflußmöglichkeiten von Bürgerinitiativenund Umweltschutzgruppen (Itembeispiel: «Ha-ben Bürgerinitiativen und Umweltschutzgrup-pen Möglichkeiten, die Schadstoffbelastungder Luft durch Klagen gegen Verursacher vorGericht zu verringern?»),

14. Einflußmöglichkeiten der Wirtschaft (Itembei-spiel: «Haben Industrieunternehmen Möglich-keiten, die Schadstoffbelastung der Luft durchBenutzung umweltschonender Produktions-verfahren zu verringern?») und

15. Einflußmöglichkeiten des Staates (Itembei-spiel: «Haben die Regierung, das Parlamentunddie Gerichte in Deutschland Möglichkeiten, dieSchadstoffbelastung der Luft durch strikte An-wendung bereits bestehender Gesetze zur Rein-haltung der Luft in der Gesetzessprechung zuverringern?»).

An Argumenten gegen Umweltschutzmaßnah-men wurden ebenfalls vier unterschieden:

16. das Argument der Ineffizienzprivater Maßnah-men (Itembeispiel: «Eine Einschränkung derprivaten Nutzung von PKWs ist unzumutbar,weil dies insgesamt wenig bringt.»),

17. Argumente gegen Einschränkungen des priva-ten Kraftfahrzeug-Verkehrs und gegen Ein-führung eines Tempolimits (Itembeispiel: «DieEinführung eines Tempolimits auf deutschenAutobahnen sollte vermieden werden, weil da-

durch letztlich die deutsche Autokonjunktur be-einträchtigt wird.»),

18. Argumente gegen Pflicht-Katalysatoren undprivate Energiesparmaßnahmen (Itembeispiel:«Der pflichtgemäße Einbau von Katalysatorenund Rußfiltem ist unzumutbar, weil interna-

tional noch nicht dieselben Normen beste-

hen.»),19. Argumente gegen Auflagen für Industrie und

Müllverbrennung (Itembeispiel: «StrengereVorschriften für Müllverbrennungsanlagensollten vermieden werden, weil das viel höhe-

re Kosten für die Müllbeseitigung mit sichbringt.»).

Über diese Argumente hinaus wurde noch eine emo-tionale Bewertung erfaßt:20. Ärger über zuviel Umweltschutz (Itembeispiel:

«Ich ärgere mich über diejenigen, denen Luft-verschmutzung ein wichtigeres Thema ist alsdie wirtschaftliche Existenz von Unternehmen

und einzelnen Menschen.»).

Mit diesem Satz von 20 Prädiktoren wurden die Be-

reitschaften vorhergesagt.Mit diesem Variablensatz lassen sich unter ande-

rem folgende Fragestellungen beantworten: (1)Wie ist das relative Gewicht von persönlicher Be-lastung und erlebter Verantwortlichkeit bei der Vor-hersage ökologischer Bereitschaften? (2) Wie ist dasrelative Gewicht der Zuschreibung von Verant-wortlichkeit aufBürger (repräsentiert internale oderpersönliche Verantwortlichkeit) und auf externe In-stanzen (Staat, Wirtschaft) bei der Vorhersage öko-logischer Bereitschaften? (3) Wie ist die Prädiktor-potenz emotionaler Variablen im Vergleich zu der-jenigen entsprechender kognitiver Variablen?

Da Verantwortlichkeitzuschreibungen im Fokusstehen, werden auch die Verantwortlichkeiten als

Kriterien vorherzusagen versucht, und zwar aus denoben genannten Variablen 1 bis 3 und 10 bis 15.

Wie alle Untersuchungen der Umweltpsycholo-gie tangiert auch diese normative Fragen, weshalbdie soziale Erwünschtheit über eine Skala von

Lück & Timaeus (1969, nach Crowne & Mar-lowe, 1960) kontrolliert wurde.

Methodik und Stichprobe

Die Untersuchung basiert auf einer Fragebogener-hebung, die im Herbst 1991 stattfand. Alle genann-ten Konstrukte wurden über Skalen mit mehreren

Items und sechsstufiger Antwortmöglichkeit ge-messen, die bis auf die Skala zur sozialen Er-

wünschtheit neu konstruiert wurden. Vereinzelt

wurden inhaltliche Anleihen an Skalen gemacht, die

Page 3: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürgerpsydok.psycharchives.de/jspui/bitstream/20.500.11780/773/1/... · spiel: «Haben Industri eunternehmen Möglich-keiten, die Schadstoffbelastung

330

ähnliche auf Umweltprobleme bezogene Konstruk-te messen (vgl. Amelang, Tepe, Vagt & Wendt,1977; Kessel & Tischler

, 1984; Kley & Fietkau,1979; Maloney & Ward, 1973; Schahn & Holzer,

1990) oder andere gesellschaftliche Probleme be-treffen (vgl. Montada, Schmitt & Dalbert, 1986).

An der schriftlichen Befragung nahmen bei einerRücklaufquote von über 86 Prozent 518 Personenteil (44.2% Frauen,

55.2% Männer, 3 fehlende An-

gaben). Das Durchschnittsalter der Stichprobe istmit 33 Jahren relativ niedrig, die Teilnehmer(innen)mit höherer Bildung sind überrepräsentiert.

Die Ge-

samtstichprobe setzt sich aus drei Teilstichprobenzusammen: Sl (N = 331), die eine bezüglich öko-logischer Einstellungen unspezifische Zufallsstich-probe darstellt (vor allem Teilnehmer(innen) an di-versen «Erste-Hilfe-Kursen») und zwei bezüglichökologischer Einstellungen mutmaßlich unter-schiedliche «Kriteriumsstichproben»,

die zur Vali-

dierung der Skalen benötigt wurden: S2 aus Motor-sportclubs (N = 97), deren Motorsportinteressen mitUmweltschutz potentiell interferieren,

und S3 aus

Umweltschutzgruppen, die auf ausgeprägtes ökolo-gisches Bewußtsein schließen lassen (N = 90, ein-schließlich fünf Teilnehmer(innen), die gleichzeitigauch Mitglieder in Motorsportclubs waren).

Die

Stichprobenvergleiche ausgenommen,wurden alle

Analysen mit der Gesamtstichprobe berechnet.Die

Generalisierbarkeit der Ergebnisse über die Teil-stichproben wurde jedoch erfolgreich nachgewie-sen.

Item- und Skalenanalysen

Alle Skalen wurden nach dem Hauptkomponenten-modell mit orthogonaler Varimaxrotation faktoren-analysiert. Dabei wurden die faktorenanalytischenLösungen durch Stichprobensplittung mit Erfolgkreuzvalidiert. Grundsätzlich wurden die Dimen-

sionsanalysen innerhalb der Skalen zu den einzel-nen Konstrukten berechnet

,ihre Stabilität wurde

aber zusätzlich durch simultane Analysen übermeh-rere Skalen bestätigt.

Die Skalen,

die als ausreichend reliabel zu be-

werten sind, entsprechen den Vorabkonzeptionen

der Konstrukte, wie sie bei der obigen Variablen-

darstellung differenziert wurden. Generell ergabendie Faktorenanalysen jeweils eigene Dimensionenfür verschiedene Inhaltsbereiche: z

. B. Bereitschaftvon Verboten

, die die Industrie betreffen,und zur

Kals/Montada: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürger

Förderung oder Akzeptanz von Verboten, die das

Privatleben betreffen, bilden zwei Dimensionen-Verantwortlichkeit von Bürger und Bürgergruppen

ist eine von der Verantwortlichkeit von Staat undWirtschaft getrennte Dimension. Aus den Markier-

variablen der Dimensionen wurden getrennte Ska-

len gebildet.Zu allen faktorenanalytisch gebildeten Skalen

wurde auf der Basis der Gesamtstichprobe Cron-

bachs Alpha als Schätzmaß der internen Konsistenz

bestimmt. Cronbachs Alpha variiert bei den Bereit-schaftsskalen zwischen .79 (Bereitschaft zur In-

kaufnahme finanzieller Belastungen zum Schutzder Luftqualität) und .90 (Bereitschaft zur Akzep-

tanz neuer gesetzlicher Verbote für die Industrie).

Bei den Skalen der Prädiktorvariablen liegt Cron-

bachs Alpha zwischen .74 (Einflußmöglichkeitenvon Bürgerinitiativen und Umweltschutzgruppen)und .93 (Argumente gegen Auflagen für Industrieund MüllVerbrennung). Bei drei Prädiktorskalen

,

die sich jeweils aus der für die Berechnung vonCronbachs Alpha minimal erforderlichen Zahl vondrei Items zusammensetzen

, ist der Wert jedoch ge-ringer als .70 (Zuversicht bezüglich der weiterenEntwicklung der Luftqualität, externale Attributionder Verursachung und Einflußmöglichkeiten desStaates).

Auch die Split-half Reliabilitäten (Guttman,

Spearman-Brown) und weitere Itemstatistiken(Trennschärfe, Mittelwert, Streuung) belegen dieBrauchbarkeit der Skalen.

Kriteriumsgruppen-Validierung der Skalen

Die Validität der Meßinstrumente wurde mittels

Vergleich der Teilstichproben überprüft: Zunächstwurden die Bereitschaftsausprägungen beider «Kri-teriumsgruppen» (die Gruppe der Umweltaktivenund die der Motorsportbegeisterten),

bei denen von

besonders extremen Antwortverhalten auszugehenist, jeweils mit den Bereitschaften einer gleichgroßen Teilstichprobe aus Sl mittels t-Test vergli-chen. Die Vergleichsgruppen wurden auf der Basissoziodemographischer Variablen (Alter,

Geschlecht,

Schulbildung) parallelisiert zusammengestellt. -Alle Mittelwertsunterschiede werden in erwar-

tungsgemäßer Richtung signifikant: Mitglieder vonUmweltgruppen sind zum Verbot, Engagement undVerzicht im Sinne des Schutzes derLuftqualität stär-ker bereit als die Vergleichsgruppe, und umgekehrt

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1994, 326-337

sind sie weniger bereit zu einem Engagement fürMaßnahmen, die den Schutz der Luftqualität ge-genüber anderen Interessen zurückstellen. Bei den

jvlitgliedern von Motorsportclubs sind die Mittel-wertsdifferenzen entsprechend entgegengerichtet.

Ein Vergleich der «passiven» und «aktiven» Mit-glieder von Motorsportclubs (als passive Mitglie-der wurden solche klassifiziert, die ihr Engagementals «sehr niedrig» einschätzen, als aktiv wurden al-

le klassifiziert, die höhere Engagementwerte anga-ben) zeigt überdies, daß die Skalen auch innerhalbeiner Kriteriumsgruppe differenzieren: Alle Mittel-

wertsunterschiede zwischen «passiven» und «akti-

ven» Clubmitgliedem sind erwartungsgemäß ge-richtet und signifikant.

Regressionsanalytische Befunde

Entsprechend der Fragestellungen wurden Verant-wortlichkeiten zum Schutz derLuftqualität und öko-logisch relevante Bereitschaften mittels schrittwei-ser Regressionsanalysen vorhergesagt, deren Vor-aussetzungen jeweils überprüft und bestätigt wur-den. Um die Unterschiedlichkeit in den Prädikto-renmustern der einzelnen Kriterien herauszuarbei-ten und dem Problem der Multikolinearität zu be-

gegnen, wurden zur Vorhersage aller Kriterien je-weils mehrere unterschiedliche Prädiktormodel-le erstellt.

Folgende drei Prädiktorvariablen, die Bewertun-gen von Ausmaß und Folgen der Luftverschmut-zung entweder im Sinne allgemeiner Urteile oderim Sinne persönlicher Beeinträchtigung repräsen-tieren, wurden jedoch bei sämtlichen Regressions-gleichungen eingesetzt: die Bewertung des Aus-maßes der Luftverschmutzung als Prädiktor ohnepersönliche Belastung undBelastungsgeßhlund ei-gene körperliche Beschwerden durch Luftver-schmutzung im eigenen Lebensraum als Prädikto-ren persönlicher Beeinträchtigung. Durch wieder-holten Einsatz dieser Prädiktoren soll die Bedeut-

samkeit dieser Basisurteile über Luftverschmut-

zung im Zusammenspiel mit unterschiedlichen ko-gnitiven und emotionalen Bewertungen überprüftwerden

,bei denen ein Minimalbewußtsein für das

Problem der Luftverschmutzung bereits impliziertist.

Nachfolgend werden die drei wiederholt einge-setzten Prädiktoren als «Prädiktorenstamm» be-

zeichnet. Die Ergebnisse zur Vorhersage der ökolo-

331

gischen Verantwortlichkeit und der ökologisch re-levanten Bereitschaften werden getrennt dargestelltund anschließend gemeinsam zusammengefaßt.

Empirische Vorhersage der zugeschriebenenVerantwortlichkeiten für den Schutz der Luft-

qualität

Die Voraussage der Attribution ökologischer Ver-antwortlichkeit auf Industrie und Staat einerseitsund aufBürger undBürgergruppen anderseits durchden «Prädiktorenstamm» und Verursachungs- undKontrollüberzeugungen zeigt, daß Verantwortlich-keitszuschreibung auffremde Instanzen durch ent-sprechende externe Attributionen vorhergesagtwird: Als Verursacher der Luftverschmutzung wer-den Industrieunternehmen, Müllverbrennungsanla-gen und Kohlekraftwerke ausgemacht, Einflußpo-tential wird dem Staat und der Wirtschaft zuge-schrieben (Tab. 1). Dagegen sind bei der Vorhersa-ge der Verantwortlichkeit von Bürger und Bürger-gruppen zwar derEinfluß des einzelnen Bürgers undprivate Verursachung die einflußmächtigsten Prä-diktoren, die in einem späteren Schritt durch Ein-flußmöglichkeiten von Bürgergruppen ergänzt wer-den, doch qualifizieren sich darüber hinaus auchstaatliches und wirtschaftliches Einflußpotential.

Die Übernahme eigener Verantwortung ist alsokeineswegs höher, wenn externe Kontrollmöglich-keiten verneint werden, sondern wird im Gegenteilwahrscheinlicher, wenn gleichzeitig private, staat-liche und industrielle Kontrollmöglichkeiten gese-hen werden.

In beiden Gleichungen wird die allgemeine Be-wertung des Ausmaßes der Luftverschmutzung si-gnifikant. Dagegen qualifiziert sich keiner der bei-den Prädiktoren, die persönliche Belastung durchLuftverschmutzung bedeuten. Die Varianzauf-klärung beträgt 25 bzw. 35 Prozent.

Empirische Vorhersagemodelle der Bereitschaf-ten

Die empirische Vorhersagbarkeit der Bereitschaftenwird nachfolgend mit vier Prädiktorengruppen un-tersucht: Vorhersagbarkeit durch die Prädiktorender Emotionen (1), der Verantwortlichkeitszu-schreibungen (2), der Verursachungs-, Kontroll-und Verantwortlichkeitsüberzeugungen (3) und der

Page 4: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürgerpsydok.psycharchives.de/jspui/bitstream/20.500.11780/773/1/... · spiel: «Haben Industri eunternehmen Möglich-keiten, die Schadstoffbelastung

Kals/Montada: Umweltschutz und die Verantwortung der Büi

Tabelle 1: Multiple Regressionen mit den Verursachungs- und KontroUüberzeugungsvariablenals Prädiktoren (Kriterien - obere Gleichung: Zuschreibung von Verantwortlichkeit auf Staat undWirtschaft; untere Gleichung: Zuschreibung von Verantwortlichkeit auf einzelne Bürger und Bür-gergruppen)

Prädiktorvariable R2 r b beta

«extemale» Attribution der Verursachung .15

.38

.24**

.28

verschiedene Einflußmöglichkeiten des Staates .21

.32

.15**

.18

verschiedene Einflußmöglichkeiten der Wirtschaft .24

.32

.19**

.18

Bewertung des Ausmaßes der Luftverschmutzung .25

.23

.08**

.12

(Konstante).24

Fgesam = 42.129; df = 4/503; p <.01

verschiedene Einflußmöglichkeiten der einzelne Bürger .21

.46

.17**

.17

Attribution auf private Verursachung .28

.45

.22**

.22

Einflußmöglichkeit des Staates («Umwelterziehung») .31

.33

.17**

.16

Bewertung des Ausmaßes der Luftverschmutzung .33

.39

.13**

.13

Einflußmöglichkeiten von Bürgergruppen .34

.36

.12**

.11

Einflußmöglichkeit der Wirtschaft («Produktionsfragen») .35

.29

.11*

.09

(Konstante).10

Fgesamt = 44.730; df = 6/501; p <.01**p<.01; *.01<p<.05;

Verantwortlichkeitsüberzeugungen und der Akzep-tanz von Argumenten gegen Umweltschutzmaßnah-men (4), wobei jeweils der «Prädiktorenstamm» indie Analysen aufgenonunen wurde.

Außerdem wur-

de die soziale Erwünschtheit in alle Analysen auf-genommen.

(1) Von den Emotionsprädiktoren werden bei fastallen Bereitschaftskriterien Ärger über zuviel Um-weltschutz und Empörung über zuwenig Umwelt-schutz signifikant. Beides sind Emotionen,

die nor-

mative Bewertungen implizieren. Überdies qualifi-ziert sich in diesen und allen folgenden Gleichun-gen genau wie bei der Verantwortlichkeitsvorher-

sage die Bewertung von Ausmaß und Folgen derLuftverschmutzung als Prädiktor (der eine persönli-che Betroffenheit nicht beinhaltet). Die Signifikanzdieser drei Prädiktoren bleibt auch bei Hinzunahmeweiterer Prädiktorvariablen erhalten

.

Wie die Vorhersage der Bereitschaft zu Verbotenimprivaten Bereich zeigt (Tab. 2), haben Empörungund Bewertung des Ausmaßes der Luftverschmut-zung positive Effekte, Ärger über zuviel Umwelt-schutz hat einen negativen Effekt.

Als letzter Prä-

diktor wird das Schuldgefühl ebenfalls eine Emo-tion, die moralische Werturteile impliziert, signifi-kant. Es qualifizieren sich weder Variablen derper-sönlichen Belastung durch lokale Luftverschmut-zung, noch Angst vor der Luftverschmutzung alsMaße persönlicher Betroffenheit

.Auch wenn die

kognitive Bewertung des Ausmaßes der Luftver-

schmutzung aus der Gleichung herausgenommenwird, qualifiziert sich die Angst nicht, obgleich siemit dem allgemeinen Urteil über das Ausmaß derLuftverschmutzung zu .42 korreliert. Insgesamtwird durch die vier signifikanten Prädiktoren dieHälfte der Kriteriumsvarianz aufgeklärt.

(2) Die Verantwortlichkeitszuschreibung fürMaßnahmen (Verbote, Verzichte usw.) war die zen-trale Prädiktorenkategorie. Die empirischen Datenzeigen zweierlei: Die Akzeptanz eigener Verant-wortlichkeit qualifiziert sich bei allen Bereit-schaftskriterien als Prädiktor, und zwar unabhängigvon der Frage der persönlichen Betroffenheit durchdie jeweilige Umweltschutzmaßnahme. So impli-ziert z. B. auch die Empfehlung von Verbotenßr dieWirtschaft nicht,

daß in diesem Fall nur Staat oder

gesellschaftliche Kräfte in der Verantwortung ge-sehen werden. Auch Verantwortlichkeit der Bürger(eigene Verantwortlichkeit repräsentierend) ist indiesem Fall ein Prädiktor. Allerdings wird bei eini-gen Kriteriumsvariablen, die Belastungen, Verzich-te und Einbußen der Wirtschaft bedeuten,

die Ver-

antwortlichkeitsattribution aufStaat und Wirtschaftzusätzlich signifikant (z.B. beim Verbotskriteriumfür Einschränkungen im Produktionsbereich), wasSinn macht.

Diese extemale Verantwortungszuschreibung istjedoch bei Hinzunahme von Verursachungs- undKontrollüberzeugungsprädiktoren in die Regres-sionsgleichung instabil (Tab. 3). Lediglich die Ef-

itschrift für Sozialpsychologie 1994, 326-337

Tabelle 2: Multiple Regression mit der Bereitschaft zur Akzeptanz neuer gesetzlicher Verbote,die das private Leben betreffen, als Kriterium und den Emotionen als Prädiktoren

Prädiktorvariable R2 r b beta

Ärger über zuviel Umweltschutz .32 -

.57 -

.29** -

.31

Empörung über das luftverschmutzende Verhalten anderer .45

.55

.33** .

29

Bewertung des Ausmaßes der Luftverschmutzung .49

.56

.24**

.21

Schuld über zu geringes ökologie-schützendes Engagement .50

.41

.10** .

11

(Konstante) 1.97

F8esarat = 121.725; df = 4/495; p <.01**p<.01; *.01<p<.05;

Tabelle 3: Multiple Regressionen mit den Verursachungs-, KontroUüberzeugungs- und Verant-wortlichkeitsvariablen als Prädiktoren (Kriterien - obere Gleichung: Verzichtbereitschaft zur In-kaufnahme finanzieller Kosten; untere Gleichung: Bereitschaft zur Akzeptanz neuer gesetzlicherVerbote, die die Industrie betreffen)

Prädiktorvariable R2 r b beta

Bewertung des Ausmaßes der Luftverschmutzung .24

.49

.32** .

29

Verantwortlichkeit der einzelnen Bürger und Bürgergruppen .29

.41

.18** .

16

Attribution auf private Verursachung .32

.43

.16**

.15

Einflußmöglichkeit der einzelnen Bürger («Parteienwahl») .34

.25

.08*

.10

verschiedene Einflußmöglichkeiten der einzelnen Bürger .34

.41

.12*

.11

(Konstante) 1.04

Fgesamt = 52.183; df = 4/502; p <.01

Bewertung des Ausmaßes der Luftverschmutzung .22

.46

.20** .

27

Verantwortlichkeit der einzelnen Bürger und Bürgergruppen .28

.42

.12**

.16

«extemale» Attribution der Verursachung .32

.32

.16** .

15

verschiedene Einflußmöglichkeiten der einzelnen Bürger .35

.42

.11**

.14

verschiedene Einflußmöglichkeiten der Wirtschaft .36

.26

.16**

.13

Einflußmöglichkeiten von Bürgergruppen .37

.35

.09**

.11

(Konstante) -

.18

Fgesamt = 49.519; df = 6/501; p <.01**p<.01;*.01<p<.05;

fekte eigener Verantwortlichkeitsübemahme bleibenbei fast allen Kriterien signifikant. Zur Illustrationseien zwei Kriteriumsvariablen ausgewählt, dieVerzichtbereitschaft zur Inkaufnahme finanziellerKosten und die Bereitschaft zurAkzeptanz neuer ge-setzlicher Verbote für die Industrie: Hypothesen-konform werden bei der Vorhersage der Verzicht-bereitschaft lediglich infernale Verursachungs- undVerantwortlichkeitsattributionen signifikant. Beider Verbotsbereitschaft, die ausschließlich die Wirt-schaft betrifft, werden die intemale Verantwor-tungszuschreibung und die extemale Ursachenzu-schreibung aufStaat und Wirtschaft signifikant, wasauch in Einklang mit der Vorhersage der Verant-wortlichkeiten als Zwischenkriterien steht. Darüber

hinaus wird effiziente Kontrolle über die Luftqua-lität nicht einseitig der Wirtschaft zugesprochen,sondern sowohl die Bewertung eigener als auchwirtschaftlicherMaßnahmen als effizient macht die

Verbotsempfehlung wahrscheinlicher. Die Prädik-toren klären in beiden Gleichungen gemeinsam mitder allgemeinen Einschätzung des Ausmaßes derLuftverschmutzung mehr als ein Drittel der Varianzauf.

Argumente gegen einen Aushau des Umwelt-schutzes sind besonders einflußmächtige Prädikto-ren, wie die Vorhersage von Engagementbereit-schaftenßr Maßnahmen, die den einzelnen Bürgerbetreffen, illustriert: Bei Umweltschutzmaßnahmenwerden Gegenargumente privater Maßnahmen ab-gelehnt, bei Maßnahmen, die persönliche Vorteilebedeuten, werden hingegen sämtliche Argumentebereitwillig zur Verteidigung eigener als auch Wirt-schaftlicherinteressen akzeptiert (Tab. 4). Trotz derhohen Einflußmacht der Argumente gegen Umwelt-schutzmaßnahmen qualifiziert sich in beiden Glei-chungen ein Verantwortlichkeitsprädiktor. Zur Vor-hersage von Engagementbereitschaft zum Schutz

Page 5: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürgerpsydok.psycharchives.de/jspui/bitstream/20.500.11780/773/1/... · spiel: «Haben Industri eunternehmen Möglich-keiten, die Schadstoffbelastung

334 Kals/Montada: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürger

Tabelle 4: Multiple Regressionen mit den Verantwortlichkeitszuschreibungen und der Akzeptanzvon Argumenten gegen Umweltschutz als Prädiktoren (Kriterien - obere Gleichung: Engage-

mentbereitschaft zu Umweltschutzmaßnahmen im privaten Bereich; untere Gleichung: Engage-mentbereitschaft zur Förderung der Freiheit privater Lebensgestaltung)

Prädiktorvariable R2 r b beta

Akzeptanz der Argumente gegen Einschränkungen desprivaten Verkehrs/Einführung eines Tempolimits .

35 -

.59 _

.29** -

.30

Verantwortlichkeit der einzelnen Bürger und Bürgergruppen .40

.47

.21**

.18

Bewertung des Ausmaßes der Luftverschmutzung .43

.51

.22**

.19

eigene körperliche Beschwerden durch Luftverschmutzung .44

.23

.10**

.11

Akzeptanz der Argumente gegen Pflicht-Katalysatoren/private Energiesparmaßnahmen .

45 -

.52 -

.15** -

.14

(Konstante) 3.08

Fg« . = 81.000; df = 5/496; p <.01

Akzeptanz der Argumente gegen Einschränkungen desprivaten Verkehrs/Einführung eines Tempolimits .

44.66

.27**

.29

Bewertung des Ausmaßes der Luftverschmutzung .51 -

.60 -

.22** -

.19

Akzeptanz des Arguments «Ineffizienz privater Maßnahmen» .54

.63

.16**

.16

Akzeptanz der Argumente gegen Auflagen für die Industrie .55

.61

.13*

.12

Verantwortlichkeit von Staat und Wirtschaft.56 -

.28 -

.17** -

.10

Akzeptanz der Argumente gegen Pflicht-Katalysatoren/private Energiesparmaßnahmen .

57.61

.10*

.10

(Konstante) 2.61

Fgesamt = 107.242; df = 6/495; p <.01

**p<.01;*.01<p<.05;

der Luftqualität leistet die Zuschreibung von Ver-antwortung auf Bürger und Bürgergruppen eineneigenständigen Beitrag. Zur Vorhersage des Enga-gements firprivate Interessen leistet die Zuschrei-bung von Verantwortlichkeit auf Staat und Wirt-schaft einen negativen Beitrag. Mit entsprechendumgekehrtem Vorzeichen wirkt bei diesem zweiten

Kriterium eine optimistische Bewertung der globa-len ökologischen Situation bereitschaftsfördernd.

In

beiden Gleichungen ist diese allgemeine Bewer-tungsvariable nicht mehr erster Gleichungsprädik-tor, sondern erster Prädiktor sind die Argumentegegen die in öffentlichen Diskussionen besonders

umstrittenen Einschränkungen des Verkehrs ein-schließlich der Einführung eines Tempolimits.

Ein-

zig zur Vorhersage der Engagementbereitschaft zumSchutz der Luftqualität wird zusätzlich das Erlebeneigener körperlicher Beschwerden aufgrund vonLufverschmutzung ein signifikanter Prädiktor.

Mit

45 bzw. 57 Prozent wird ein beachtlicher Teil der

Varianz dieser Kriteriumsvariablen aufgeklärt.

Zusammenfassende Bewertung derRegressionsanalysen

relevanten Bereitschaften aufschlußreiche und kon-sistente Ergebnismuster, die im nächsten Ab-schnitt diskutiert werden

. Die Ergebnismuster sindauch bei Variation der Prädiktorenkombinationenstabil. Auch weitere Analysen mit sehr vielen Prä-diktoren bestätigen zumeist ohne Hinweise aufSup-pressoreffekte (bei gesteigerten Varianzaufklärun-gen von teilweise über 60 Prozent) die psychologi-schen Aussagen. Und obgleich einige wenige Kor-relationen zwischen der Tendenz zur sozialen Er-

wünschtheit und den Bereitschaften zwar numerischgering (mit maximal 5.3 Prozent gemeinsamer Va-rianz), doch auf dem 5% Niveau signifikant korre-lieren, qualifiziert sich die soziale Erwünschtheit mkeinem Vorhersagemodell einer der Bereitschaften.

Daher ist davon auszugehen, daß einige Angabenüber ökologie-schützende und mit Umweltschutz in-terferierende Bereitschaften zwar der Tendenz dersozialen Erwünschtheit unterliegen (sich ökologie-schützend verhalten zu wollen

,ist die soziale

Norm1). Die Tendenz zu sozial erwünschter Ant-

wortgabe besitzt jedoch keine systematische Rele-vanz bezüglich der psychologischen Aussagen zurErklärung der Bereitschaften.

Insgesamt ergeben sich zur Vorhersage der ökolo-gischen Verantwortlichkeiten und der ökologisch

1 Gleichwohl gibt es auch ökologie-gefährdendes Verhalten(wie Femurlaubsreisen), das mit Sozialprestige verbunden ist(vgl. Fietkau, 1981).

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1994, 326-337 335

piskussion

Die Fragebogenerhebung mit 518 Personen unterginschluß von Extremgruppen, die auf besondershohes bzw. geringes Umweltbewußtsein schließenlassen, führt zu einem reliablen und validen Ge-samtvariablensatz, dessen faktorenanalytische Lö-

sungen Kreuzvalidierungen standhalten.Als Zwischenkriterien konnten die Verant-

wortlichkeitsattributionen zum Schutz der Luft-

qualität durch Verursachungszuschreibungen und

Einflußmöglichkeiten vorhergesagt werden. Zudemmotiviert einzig eine kritische Bewertung des Pro-

blems derLuftverschmutzung und nichtpersönlicheBelastung und Beeinträchtigung zu Verantwor-tungszuschreibmgen.

Zur Vorhersage der Bereitschaften erweisensich diese Verantwortlichkeitszuschreibungen bei

stabilen Prädiktorenmustem und fehlenden Hin-

weisen auf Suppressoreffekte als einflußmächtigePrädiktoren. Vor allem die Akzeptanz der Verant-wortlichkeit des Bürgers und derBürgergruppen istpositiv gerichteter Prädiktor ökologie-schützenderBereitschaften. Diese Signifikanz bleibt auch beigleichzeitiger Qualifikation anderer Prädiktorenstabil. Auch Bereitschaften, die sich auf Umwelt-schutzmaßnahmen durch die Wirtschaft beziehen,werden durch den Prädiktor Verantwortlichkeit des

Bürgers und der Bürgergruppen vorhergesagt.

Auch bezüglich der Verursachung und Kontrollier-barkeit der Luftverschmutzung sind Zuschreibun-gen aufden Bürger einflußmächtigere Prädiktorenals Zuschreibungen aufexterne Instanzen (Staat undWirtschaft). Z. B. werden auch bei Verbotsempfeh-lungenfür die Industrie private Einflußmöglichkei-ten als effizient bewertet. Als Barrieren ökologie-schützender Bereitschaften bzw. als fördernde Ein-flüsse von Engagements firprivate Interessen, dieder Luftqualität potentiell schaden, lassen sich Ar-gumente identifizieren, die gegen private Umwelt-schutzmaßnahmen sprechen und sich fast vollstän-dig und mit besonders hohem Einfluß qualifizieren.

Zur Illustration der Einflußmacht der bisher

diskutierten Prädiktoren seien exemplarisch dieregressionsanalytischen Befunde zur Erklärung derZuschreibung von Verantwortlichkeit auf einzelneBürger und Bürgergruppen einerseits und zur Be-reitschaft zur Inkaufnahme finanzieller Kosten an-

derseits in einer pfadanalytischen Abbildung inte-griert (vgl. Abb. 1). An dieser Abbildung zeigt sichgleichzeitig, daß durchaus nicht alle Einflüsse aufdie Bereitschaften durch Verantwortlichkeitszu-

schreibungen vermittelt sind.Auch die signifikanten Emotionsprädiktoren

berühren Aspekte moralischer Verantwortlichkeit:Empörung über zuwenig Umweltschutz sagt positivgerichtet, ebenso wie ihr negativ gerichtetes Pen-dant des Ärgers über zuwenig Umweltschutz, sämt-

Einflußmöglichkeit der einzel-nen Bürger ("Parteienwahl")

Bewertung des Ausmaßesder Luftverschmutzung

Einflußmöglichkeit des Staates("

Umwelterziehung")

Einflußmöglichkeiten vonBürgergruppen

Einflußmöglichkeit der Wirt-schaft ("Produktionsftagen")

verschiedene Einflußmöglich-keiten der einzelnen Bürger

Attribution der Luftverschmut-

zung auf privateVerursachung

Zuschreibungvon Verantwortlich-

keit auf einzelne

Bürger und Bürger-gruppen

(R2 = .35)

Verzichtbereit-

schaft zurInkauf

nähme finanzieller

Kosten

(R2=.34)

Abbildung 1: Pfadanalytische Darstellung der regressionsanaly-tischen Befunde von Tabelle 1, untere Gleichung und Tabelle 3,obere Gleichung (angegeben sind die jeweiligen b-Gewichte undVarianzaufklärungen).

Page 6: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürgerpsydok.psycharchives.de/jspui/bitstream/20.500.11780/773/1/... · spiel: «Haben Industri eunternehmen Möglich-keiten, die Schadstoffbelastung

336 Kals/Montada: Umweltschutz und die Verantwortung der Bürget itschrift für Sozialpsychologie 1994, 326-337 337

liehe ökologie-schützenden Bereitschaften voraus.Dies wird bei einigen Bereitschaften durch den för-dernden Einfluß von Schuldempfinden über eigenesumweltschädigendes Verhalten ergänzt. Dagegenwird Angst als subjektiv erlebte Bedrohung vor derLufWerschmutzung und ihren Folgen inkeiner Glei-chung signifikant. Überdies wird genau wie bei derVorhersage von Verantwortlichkeitszuschreibungenin sämtlichen Bereitschaftsgleichungen die allge-meine Bewertung des Ausmaßes der Luftverschmut-zung signifikant. Hingegen qualifizieren sich Va-riablen individueller Betroffenheit durch Luftver-

schmutzung lediglich einmal in Form signifikanterkörperlicher Beschwerden, die auf Luftverschmut-zung zurückgeführt werden.

Zusammenfassend ist es nicht die persönlicheBetroffenheit durch Luftverschmutzung, die zurVerantwortlichkeitszuschreibung oder zur konkre-ten Verantwortungsübemahme in Form von Bereit-schaftsbekundigungen motiviert. Stattdessen wer-den diese Kriterien durch kognitive Überzeugungenund einige emotionale Bewertungen, die moralischeWerturteile tangieren, vorausgesagt: Die Luftver-schmutzung unabhängig von der eigenen, zufälli-gen Betroffenheit als gravierendes, weltweites Pro-blem zu bewerten und als Bürgersache zu akzeptie-ren, sind die zentralen Überzeugungen, damit ver-antwortliches Handeln gegenüber der Umwelt ge-fördert wird. Diese Grundaussage steht mit den zu-grundeliegenden sozialpsychologischen Modellennach Schwartz bzw. Fishbein & Ajzen in Einklang.Gleichzeitig wird diese Grundaussage auch durchandere empirische Befunde von Borsutzky & Nöld-ner (1989) bzw. Schahn & Holzer (1990) gestützt.Gleichwohl steht die Kreuzvalidierung der referier-ten Befunde noch aus. Die vorliegenden Befundeberuhen auf einer Stichprobe, in der jüngere undhöher gebildete Teilnehmer(innen) überrepräsen-tiert sind. Berechnet man die Analysen mit den bei-den Teilstichproben der älteren bzw. weniger gebil-deten Teilnehmer(innen), ergeben sich zwar diegleichen psychologischen Grundaussagen, dochenthebt dies nicht von der Verpflichtung, die Be-funde an einer neu zu ziehenden

, möglichst reprä-sentativen Stichprobe zu replizieren.

Als weiterer Forschungsschritt steht an, auf derBasis dieser und anderer Befunde zur Verantwor-

tungsübernahme durch den einzelnen Bürger (vgl.z.B. Hormuth & Katzenstein, 1990; Neuberger &Auhagen, 1992) Interventionsansätze zu ent-wickeln. Diese sollten statt aufeine Sensibilisierung

für persönliche Belastungen durch Umweltproble-

me auf die Förderung spezifischer moralbezogener

Werturteile abzielen.

Literatur

Ajzen, I. (1991). The Theory of Planned Behavior. Some unre-

solved issues. Organizational Behavior and Human Deci-sion Processes, 50, 179-211.

Amelang, M, Tepe, K., Vagt, G. & Wendt, W. (1977). Mittei-lung über einige Schritte der Entwicklung einer Skala zumUmweltbewußtsein. Diagnostica, 23, 86-88.

Bamberg, S. & Schmidt. P. (1993). Verkehrsmittelwahl - eineAnwendung der Theorie geplantes Verhalten. Zeitschrift fürSozialpsychologie, 24 (1), 25-37.

Borsutzky, D. & Nöldner, W. (1989). Psychosoziale Determi-nanten des Energiesparverhaltens (Theorie und Forschung,

79; Psychologie, 28). Regensburg: S. Roderer Verlag.

Crowne, D.P. & Marlowe, D. (1960). A new scale of social de-sirability independent of psychopathologie. Journal of Con-sulting Psychology, 24, 349-354.

Devall, B. (1982). Ecological consciousness and ecological re-sisting: Guidelines for comprehension and research. Hum-boldt Journal of Social Relations, 9 (2), 177-196.

Fietkau. H.-J. (1981). Umweltpsychologie und Umweltkrise.In

H.

-J. Fietkau & D. Görlitz (Hrsg.), Umwelt und Alltag in der

Psychologie (S. 113-135). Weinheim: Beltz.Fietkau. H.-J. & Kessel. H. (1981). Einleitung und Modellan-

satz. In H.-J. Fietkau & H. Kessel (Hrsg.), Umweltlemen.

Veränderungsmöglichkeiten des Umweltbewußtseins (S.

5-14). Königstein: Anton Hain.Fishbein, M. & Ajzen, I. (1975). Belief, attitude, Intention,

and

behavior. An introduetion to theory and research. Reading:Addison-Wesley Publishing Company.

Grob, A. (1991). Einstellungen und Verhalten im Umweltbe-reich. Psychoscope, 12 (9), 13-17.

Hopper, J.R. & Nielsen, J.M. (1991). Recycling as altruistic be-havior. Normative and behavioral strategies to expand parti-eipation in a Community recycling program. Environment andBehavior, 23 (2), 195-220.

Hormuth, S.E. & Katzenstein, H. (1990). Psychologische An-sätze zur Müllvermeidung und Mullsortierung. (For-schungsbericht für das Ministerium für Umwelt Baden-Württemberg). Heidelberg: Universität, Psychologisches In-stitut.

Kaminski, G. (1988). Is the development of a psychological eco-logy useful and possible? (Bericht Nr. 28). Tübingen: Uni-versität, Psychologisches Institut.

Kessel, H. & Tischler, W. (1984). Umweltbewußtsein. Ökologi-sche Wertvorstellungen westlicher Industrienationen. Berlin:Edition Sigma Rainer Bohn Verlag.

Kley, J. & Fietkau, H.-J. (1979). Verhaltenswirksame Variablendes Umweltbewußtseins. Psychologie und Praxis, 1, 13-22.

Kruse, L. & Arlt, R. (1984). Environment and behavior. An in-ternational and multidiseiplinary bibliography. 1970-1981.Vol. 1: Alphabetical listing by authors. Key word Index. Vol.2: Abstracts. München: K.G. Saur.

Lück, H.E. & Timaeus, E. (1969). Skalen zur Messung Manife-ster Angst (MAS) und Sozialer Wünschbarkeit (SDS-E undSDS-CM). Diagnostica, 15, 134-141.

Lynne, G.D. & Rola, L.R. (1988). Improving attitude-behaviorprediction models with economic variables: Farmer actionstoward soil conservation. Journal of Social Psychology, 128(1), 19-28.

Maloney, M. P. & Ward, M. P. (1973). Ecology: Let's hear from'

the people. An objective scale for the measurement of eco-logical attitudes and knowledge. American Psychologist, 28

,

583-586.ontada, U Schmitt, M. & Dalbert, C. (1986). Thinking aboutjustice and dealing with one

's own Privileges: A study of exi-stential guilt. In H.W. Bierhoff, R. Cohen & J. Greenberg

(Eds.), Justice in social relations (pp. 125-143). New York:

Plenum Press.Neuberger, K. & Auhagen, A.E. (1992). Verantwortung ge-

genüber der Umwelt. In L. Montada (Hrsg.), Bericht über den38. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie inTrier 1992. (Bd. 1, S. 443). Göttingen: Hogrefe.

Schahn, J. & Holzer, E. (1990). Konstruktion, Validierung undAnwendung von Skalen zur Erfassung des individuellen Um-weltbewußtseins. Zeitschrift für Differentielle und Diagno-

stische Psychologie, 11, 185-204.

Schwartz, S. H. (1970). Moral decision making and behavior. InJ

.Macaulay & L. Berkowitz (Eds.), Altruism and helping be-

havior (pp. 127-141). New York: Academic Press.Schwartz, S.H. (1977). Normative influences on altruism. In L.

Berkowitz (Ed.), Advances in experimental social psycholo-gy (Vol. 10, pp. 221-279). New York: Academic Press.

Schwartz, S. H. & Howard, J. A. (1980). Explanations of the mo-derating effect of responsibility denial on the personalnorm-behavior relationship. Social Psychology Quarterly, 43(4), 441 446.

Stern, P. C, Dietz, T. & Kalof, L. (1993). Value orientations, gen-der, and environmental concem. Environment and Behavior,25 (3), 322-348.

Umweltbundesamt (1991). Daten zur Umwelt 1990/91. Berlin:Erich Schmidt Verlag.

Van Liere, K. D. & Dunlap, R. E. (1980). The social bases of en-vironmental concem: A review of hypotheses, explanations

and empirical evidence. Public Opinion Quarterly, 44,

181-197.

Winter, G. (1986). Zum Konzept und Stellenwert der TübingerArbeitstagung. In R. Günther & G. Winter (Hrsg.), Umwelt-bewußtsein und persönliches Handeln (S. 9-17). Weinheim:Beltz.

aProf. Dr. Leo Montada, Fachbereich 1 - Psychologie, Universität Trier, Tarforst, Gebäude D,

D-54228 Trier