Und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln - …€¦ · und das Buch meines ... dass Gottes...

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Maur Esteva * 1933 - † 2014 Und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln (Benediktsregel, 4,74)

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Maur Esteva * 1933 - † 2014

Und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln(Benediktsregel, 4,74)

Porträt: Dina Bellotti, Rom, 1998.

AGNUM IUGITER SEQUI

… sie folgen dem Lamm wohin es geht(Offb 14,4)

Gratulation des Abtpräses der Mehrerauer KongregationH.H. Kassian Lauterer, Dekan der Präsides an den ne-uerwählten Generalabt des Zisterzienserordens im Kapi-telsaal des Klosters Poblet.

Hochwürdigster Herr Abt, lieber Freund,

für einen neu erwählten Generalabt bist du noch jung, auchwenn du kein Kind mehr bist, denn deine Zunge ist flink wiedie Feder des Schreibers1. Als Abt dieses Klosters Unserer lie-ben Frau von Poblet bist du schon alt und bald werden wir dein25-jähriges Abtsjubiläum feiern.

Im Namen des ganzen Ordens, im Namen der Mönche und derNonnen, gratuliere ich dir als dienstältester unter den Präsides.Ich beglückwünsche dich zu dieser Feier und ich wünsche dirGottes Hilfe und die Langmut Christi für dein neues Amt. Nachreiflicher Überlegung hat das Generalkapitel einen Abt gewählt,der seit vielen Jahren dieses Kloster geleitet hat und noch dazudie Kongregation von Aragón. Du hast gezeigt, dass du ein er-baulicher Mensch bist sowohl im geistlichen und liturgischenLeben als auch in architektonischer Hinsicht und vielleicht istdies der Grund, warum du zum Generalabt gewählt wordenbist. Nach langer Erfahrung im Dienst der Gemeinschaft hastdu gelernt, -wie der Hebräerbrief2 mit Blick auf Christus sagt–Barmherzigkeit, da du auch selber bei vielen Gelegenheiten darinerprobt worden bist.

1 Ps 44,2.2 Hebr 4,16.

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Geh jetzt vertrauensvoll voran in deinem Amt, hüte die Herdedes Ordens, kräftige deine Stimme. Wie unser Vater Bernhardin einem Brief an den jungen Abt Balduin vom Kloster des Hei-ligen Hirten von Rieti schrieb3:

Hüte deine Herde durch diese drei Dinge, die niemalsfehlen dürfen:

- Durch die gesunde Lehre- Durch das gute Beispiel- Durch das Gebet ohne Unterlass.

Wir werden dir, soweit unsere Kräfte es erlauben, eine treue undeffektive Hilfe zukommen lassen. Ich möchte auch der Gemein-schaft von Poblet für euer Opfer danken, denn ihr habt eurenVater an den Orden abgegeben. Gott möge es euch vergelten!

+ Kassian, Abtpräses, Mehrerau

Poblet, den 13. November 1995.

3 Bernhard von Clairvaux, Epistula 201, Ad Balduinum, Abbatem ReatiniMonasterii, Sämtliche Werke III, Tyrolia-Verlag, Innsbruck, 1992. Tuautem, si sapis. iunges et tertium, studium orationis, ad complementumutique trinae illius repetitionis in Evangelio de pascendis ovibus. In hoc no-veris illius trinitatis sacramentum in nullo frustratum a te, si pascas verbo,pascas exemplo, pascas et sanctarum fructu orationum. Manent itaque triahaec: verbum, exemplum, oratio; maior autem his est oratio.

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AGNUM IUGITER SEQUI

… sie folgen dem Lamm wohin es geht (Offb 14,4)

Lass dein Angesicht leuchten und ich bin heil (Ps 79,4)

Nach dem Unfall am 25 September 2006, der für mich et-was mit dem Sturz des Apostels Paulus vor Damaskus4 ge-meinsam hatte, wurde mir immer bewusster, dass ichmich unaufhaltsam dem Ende meines Lebens nähere undmit Gelassenheit sah ich, wie der Lebenslauf auf das Endezuging.

So wie der Unfall sich ereignet hat, hätte das mein letzterTag sein können oder ich hätte gelähmt oder im Dauer-Koma enden können, aber der Herr erbarmte sich meiner und

4 Obwohl wir in der Heiligen Schrift nur einen Sturz beschrieben finden ohnePräzision der näheren Umstände (Apg 9), hat unter anderen Caravaggio(1573-1610) die Bekehrung des Paulus unter dem Pferd gemalt, wie wir sie inder Kirche Santa Maria del Popolo in Rom sehen können. Josef HOLZNER, be-schreibt in seiner Biografie Paulus, sein Leben und seine Briefe, die so oft wiederaufgelegt und in verschiedene Sprachen übersetzt worden ist, den Sturz vomPferd als Beginn der Begegnung des Paulus mit dem Herrn.

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gewährte mir eine neue Frist5, eine letzte Möglichkeit, eineZeit der Gnade um über meine Vergangenheit nachdenkenund das Buch meines Lebens von Neuem mit aufrichtigemHerzen lesen zu können, indem ich es mit der Bergpredigtkonfrontierte,etwas was ich noch nie getan hatte. Ich mussbekennen, dass ich schon seit 48 Jahren im Kloster bin und25 Jahre lang Abt von Poblet gewesen bin und seit elf Jah-ren Generalabt, dass ich vieles im Orden gesehen hatte, in derKirche, der gesprochen und geschrieben hatte und trotzdem keinChrist geworden war, sondern wie ein Wildling und Rebell hör-te ich nicht auf, Herr meiner selbst zu sein […]. Die HeiligeSchrift, insbesondere die Bergpredigt, hat mich von all diesembefreit. Nachher ist alles anders gewesen. Ich habe das ganzdeutlich gemerkt und auch andere in meiner Umgebung habendies bemerkt. Eine immense Befreiung. Ich habe klar verstanden,dass das Leben eines Dieners Christi der Kirche gehören mussund Schritt für Schritt hat sich diese absolute Forderung her-ausgestellt6.

5 Die Benediktusregel, Prol 37, sagt es mit diesen Worten: Deshalb sind uns dieTage dieses Lebens als Frist gewährt, damit wir uns von unsren Fehlern bessern, wieder Apostel sagt: "Weißt du nicht, dass Gottes Geduld dich zur Umkehr führt?"(Röm 2,4).6 Der vorausgehende Absatz ist eine Adaption eines Textes von Diet-rich Bonhoeffer, den ich in dieser dritten Fußnote dieser Meditationwörtlich wiedergegeben habe; nur einige Worte sind geändert, um ihnmir zu eigen zu machen und an mein eigenes Leben anzupassen. SieheFulvio FERRARIO, Dietrich Bonhoeffer, Claudiana Editrice, Torino 1999,p. 22. Bonhoeffers Text lautet wörtlich so: Ich hatte viel von der Kirchegesehen und viel darüber gesprochen und geschrieben, aber ich war immernoch kein Christ geworden, sondern wild und widerspenstig blieb ich weiter-hin der einzige Herr über mein Leben […]. Die Heilige Schrift, insbesonderedie Bergpredigt, hat mich von all diesem befreit. Nachher ist alles anders ge-wesen. Ich habe das ganz deutlich gemerkt und auch andere in meiner Umge-bung haben dies bemerkt. Eine immense Befreiung. Ich habe klar verstanden,dass das Leben eines Dieners Christi der Kirche gehören muss und Schritt für

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Ein wenig mehr als ein Jahr nach meinem Unfall und nachder letzten ärztlichen Kontrolle erleuchteten mich in dieserZeit des Nachdenkens folgende Worte des Papstes Bene-dikt XVI. aus seiner zweiten Enzyklika, die am 30. Novem-ber promulgiert wurde: Das Begegnen mit ihm (Christus),sagt der Papst, ist der entscheidende Akt des Gerichts. Vor sei-nem Anblick schmilzt alle Unwahrheit. Die Begegnung mit ihmist es, die uns umbrennt und freibrennt zum Eigentlichen unse-rer selbst. Unsere Lebensbauten können sich dabei als leeresStroh, als bloße Großtuerei erweisen und zusammenfallen. Aberin dem Schmerz dieser Begegnung, in der uns das Unreine undKranke unseres Daseins offenbar wird, ist Rettung. Sein Blick,die Berührung seines Herzens heilt uns in einer gewiss schmerz-lichen Verwandlung ”wie durch Feuer hindurch”7, aber es istein Feuer mit Flammen, die uns erleuchten8. Im Kommen-tar des heiligen Augustinus zum achten Kapitel des Johan-nesevangeliums schließt er die Begegnung Christi mit derEhebrecherin mit folgenden Worten ab: Es blieben nur dasElend und die Barmherzigkeit, das heißt das, Feuer und dasStroh.

Der Kontakt mit diesem Feuer, das Christus ist, wird inder Enzyklika Spe salvi auf tröstliche Weise so erklärt: Eini-ge neuere Theologen sind der Meinung, dass das verbrennendeund zugleich rettende Feuer Christus ist, der Richter und Ret-ter. Das Begegnen mit ihm ist der entscheidende Akt des Ge-richts. Vor seinem Anblick schmilzt alle Unwahrheit. Die Be-

Schritt hat sich diese absolute Forderung herausgestellt.7 BENEDIKT XVI, Enzyklika Spe salvi, 47.8 Das erinnert an den Text des Psalms 118,105: Dein Wort ist meinem Fuß eineLeuchte, ein Licht für meine Pfade.

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gegnung mit ihm ist es, die uns umbrennt und freibrennt zumEigentlichen unserer selbst9. Diese Begegnung mit demHerrn, dem Feuer, das brennt und uns die Wahrheit unsereswirklichen Lebens erkennen lässt –nicht das Leben, daswir zu haben meinen– scheint in meinem Fall vorgezogenworden zu sein. Denn nach dem Sturz, der mich bewusst-los gemacht hatte und außerdem zwei Operationen mitVollnarkose innerhalb von vier Tagen erforderte, kehrteich nach einem Monat Rekonvaleszenz zu meiner hekti-

9 Vgl. Spe salvi, 47 und auch Joseph RATZINGER, Tod und ewiges Leben, F.Pustet, Regensburg 1977. Nicht nur die modernen Theologen machendiese Identifizierung von Christus und Feuer, sondern glücklicherweisespricht davon auch ein Zisterzienser des 12. Jahrhundert, für den dieglühende Kohle der heilige Benedikt ist und wir anderen kalten Koh-len. In der Tat hat Aelred von Rievaulx einen schönen Text geschrie-ben, den ich hier wörtlich auf lateinisch zitiere:

Quid enim est sanctus Benedictus, nisi quasi quidam carbo ardens in illoaltari coram Deo? Quid sumus nos, nisi quasi carbones adhuc frigidi, quinon sentimus illum mirabilem ignem divini amoris quo ipse ardet? Ergo,fratres adiungamus nos ad ipsum: consideremus fervorem vitae eius, cari-tatem cordis eius, et inde accendamur, inde ardeamus. Nullo enim modopossumus melius et perfectius vincere concupiscentiam carnis quam siadhibeamus ei ignem caritatis. Quid est enim illa concupiscentia carnisquae concupiscit adversus Spiritum, nisi quaedam naturalis rubigo ani-mae? Ideo adhibeamus ignem.

Nemo potest salvus esse nisi per ignem. Sed est ignis tribulationis et estignis amoris. Uterque hic ignis consumit rubiginem animae. David pur-gatus est per ignem tribulationis, Maria Magdalenae per ignem amoris.Nam sicut dicit Dominus, dimissa sunt ei peccata multa quondam dilexitmultum. Verum fratres, ut mihi videtur, uterque purgatus est per perignem tribulationis, uterque per ignem amoris. Nam in David erat magnavis amoris, qui ait: Diligam te domine, fortitudo mea. Et in penitentiasanctae Mariae fuit magnus ignis tribulationis.

Opera Sancti Aelredi Rievallensis, vol. II, Sermo 37 In Natali Sancti Bene-dicti, n. 21-22, Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis II A.

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schen Arbeit zurück wie vorher, weil ich zeigen wollte,sobald ich im Krankenhaus wieder zum Bewusstseingekommen war, dass es kein Vakuum in meiner Amtsaus-übung gegeben hatte und dass ich alles unter Kontrollehatte. Aber nach zwei Reisen in Europa und zwei außer-halb Europa fing das Nachdenken allmählich an, das ge-weckt worden war durch die erleuchtende und glühendenBegegnung, die den Frieden und die Wahrheit bringt,durch die Er mir sagen wollte: Siehe ich stehe vor der Türund klopfe an10, ein Hinweis, den ich mir bis dahin nicht zueigen gemacht hatten wobei ich wusste: Wie ein Weber hastdu mein Leben zu Ende gewoben, du schneidest mich ab wie eingewobenes Tuch!11

Aber der Funke, die Glut, die das leere Stroh und die eitleGroßtuerei der erbaulichen Elemente in meinem Leben inFlammen setzte ist auch –und wie!– die Erinnerung an dieMeditation des Papstes Paul VI. über den Tod gewesen,die ich immer wieder in seinem posthumen Testament ge-lesen habe: Vor meinem inneren Auge erscheint wieder diearmselige Geschichte meines Lebens, einerseits gewoben und ge-

10 Da dieser Text für mich in diesem Augenblick sehr wichtig war,gebe ich die ganze Passage Offb 3,17-20 wieder: Du behauptest: Ich binreich, ja ich bin zu Reichtum gekommen und mir mangelt nichts. Aber duweißt nicht, dass gerade du elend und erbärmlich bist, arm, blind und nackt.Darum rate ich dir: Kaufe von mir Gold, das im Feuer geläutert ist, damit dureich wirst und kaufe von mir weiße Kleider und zieh sie an, damit dieSchande deiner Nacktheit nicht sichtbar wird; kaufe Salbe für deine Augen,damit du sehen kannst! Alle, die ich liebe, weise ich zurecht und züchtige sie.So setze denn alles daran und bekehre dich! Ich stehe an der Tür und klopfe.Es war ein recht schüchternes Klopfen, aber nach einigen Monatenwurde seine Stimme immer penetranter und klarer. 11 Jes 38,12.

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schmiedet von ungewöhnlichen und unzähligen Wohltaten, dieauf eine unaussprechliche Güte zurückzuführen sind (das istdas, was ich eines Tages zu schauen hoffe, um „ewiglich seinLob zu singen“) andererseits überschattet von Handlungen, andie ich mich am liebsten gar nicht mehr erinnern möchte, sie wa-ren so fehlerhaft, unvollendet, falsch, unwissend und lächerlich.“Tu scis insipientiam meam”, O Gott du kennst meine Torheit(Ps 68,6). Armes, elendes Leben, so wertlos, mickrig und derGeduld, der Wiederherstellung und der unendlichen Barmher-zigkeit bedürftig, immer scheint mir dieser Satz vom heiligenAugustinus dies am besten zusammenzufassen: “miseria et mi-sericordia”. Mein Elend und die Barmherzigkeit Gottes. Dassich wenigstens jetzt all das ehren könnte, was du bist, der Gottder unendlichen Güte, indem ich deine milde Barmherzigkeitanrufe, annehme und lobpreise12.

Ich fing an die Lektüre meines eigenen Verhaltens wäh-rend meines Lebens zu lesen, der Einstellungen, die ich ge-habt habe, der Gefühle, die sie genährt haben, der Motiva-tionen, die mich dazu geführt haben, fast nach einer ArtDeterminismus zu handeln und zwar unter dem Einflussmeiner Fabrikationsfehler. All dies hat mich sehen lassen,dass all das Wille Gottes war und dass das, was schließlichdaraus geworden ist, nämlich ich selber, ebenfalls seinWille ist. Wie führt der Weg weiter?

Das geht nur, wenn wir unser Unvermögen, unsere Unbe-ständigkeit, unsere Fabrikationsfehler, oder besser gesagtunsere selbstgemachten Fabrikationsfehler erkennen undannehmen, denn sie entstammen unseren Wurzeln, diesich in dem soziologisch-ökonomischen und religiösen

12 PAUL VI., Posthumes Testament, 1979.

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Kontext finden, die mich so geprägt haben wie ich bin. DieWiederherstellung in Christus kann dann beginnen undneue Motivationen finden, neue Gefühle, neueEinstellungen, ein neues Benehmen, das heißt: dieUmformung in Christus13 gemäß der Bergpredigt.

Denn, er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, durch Je-sus Christus seine Söhne zu werden und nach seinem gnädigenWillen zu gelangen zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sieuns geschenkt in seinem geliebten Sohn; durch sein Blut habenwir die Vergebung der Sünden nach seiner reichen Gnade.Durch sie hat er uns mit aller Weisheit und Einsicht reicht be-schenkt, und hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan,wie er es im Voraus gnädig bestimmt hatte: in Christus wollteer die Fülle der Zeiten heraufführen, in Christus alles zu verei-nen, alles was im Himmel und auf der Erde ist14.

So fing also mein Kontakt mit Christus an, Feuer, Licht, dasin der Finsternis leuchtet15 und mich die Dinge meines Lebensals leeres Stroh und eitle Großtuerei sehen lässt; deswegenkann ich mich für nichts rühmen, sondern nur wirklich ichselber werden16. Und verstehen dass Gott nicht in der Irrea-

13 Eph 4,1-3: Ich ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdigist, der an euch erging. Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einan-der in Liebe und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren, durch denFrieden, der euch zusammenhält. Kol 3,12: Ihr seid von Gott geliebt, seid sei-ne ausgewählten Heiligen: darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen,mit Güte, Demut, Milde, Geduld.14 Eph 1, 4-10.15 Vgl. Ps 111,4.16 BENEDIKT XVI., Spe salvi, 47. Dieses Gericht, das die Begegnung mitChristus, dem Feuer, ist, finden wir mit anderen Worten beschrieben: Esist nutzlos, die geheimnisvollen Zeichen des Kommens des Reiches Gottes zu

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lität handelt, sondern im konkreten Elend eines jeden,obwohl es paradox scheint: Das, was wir für Sünde hieltenund bekannten, nützt Gott, um mit uns einen Dialog auf-zubauen und uns zu dem zu führen, der sagte: Kommt allezu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt.Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euchund lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig;so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist süßund drückt nicht17. Aber man muss diese Weise Gottes, imKonkreten meines Elends zu handeln, lesen können, wäh-rend das Stroh meines Lebens verbrennt, mein Elend. Waslässt mich der Herr in meinem konkreten Elend lesen?Paul VI. sagte es mit folgenden Worten: meinem ist dasElend und Gottes die Barmherzigkeit, dabei zitierte er Augus-tinus’ Kommentar zum Evangelium von der Ehebreche-rin18, wo er schreibt: Es blieben nur noch das Elend und die

suchen. Das Reich ist dort schon gegenwärtig, wo das Handeln Christi fort-gesetzt, aktualisiert wird. Verbunden mit dem Reich Gottes ist das Gerichtdes Menschensohnes, das in der Geschichte wirklich geworden ist: Er kommt,um die Wahrheit des Lebens aller offenbar zu machen. Dieses Offenbarwer-den des Menschensohns ist immer ein bedeutender und entscheidender Au-genblick. Von ihm hängt das Heil oder die Vernichtung eines jeden ab. Eswerden die gerettet werden, die wie Jesus aus ihrem Leben eine Gabe fürdie anderen gemacht haben. Vgl. Bíblia Sagrada. Ediçâo Pastoral, Pau-lus, Sâo Paulo 1990, Anmerkung zu Kap. 17, 20-21 ; 22-39 des Luka-sevangeliums. Dietrich Bonhoeffer ebenso wie Paul VI., Joseph Ratzin-ger und Johannes Paul II. haben von Christus als einem Menschen fürdie anderen gesprochen, vgl. Anmerkung 23.17 Mt 11,28-30.18 Joh 8,6-7. Papst Benedikt XVI., Sonntag 25. März 2007, in der Pfarreider Heiligen Felizitas und ihrer Märtyrerinnen-Töchter, nach demKommentar zu Joh 8,7: Wer von euch, der ohne Sünde ist, soll den erstenStein werfen. Als er sich über das Schweigen der Ankläger von der Sze-ne mit der Ehebrecherin Gedanken machte, fügte der Papst densprechenden Kommentar zu Joh 8,7 des heiligen Augustinus hinzu,

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Barmherzigkeit, das Feuer und das Stroh. So ähnlich wie beider samaritanischen Frau, nachdem er mit ihr über daslebendige Wasser gesprochen hatte19 und sie auf ihrenzivilen Stand ansprach –sie hatte nämlich fünf Ehemännergehabt und der jetzige war gar nicht ihr Mann–. Aber nochüberraschender war ihre Antwort: “Ich weiß, dass derMessias kommen wird, das heißt Christus oder der Gesalbte;wenn er kommt, wird er uns alles enthüllen“. Jesus sagt zu ihr:„Ich bin es, der mit dir spricht“20. Er hat sich ihr offenbart,und zwar ausgerechnet ihr, die fünf Männer gehabt hatte,weil Gott nicht in der Irrealität handelt, wie wir schonweiter oben gesagt haben, sondern im Konkreten unseresElends eines jeden Einzelnen, , in der Realität der Sünde,das heißt um es umgekehrt ex negativo zu sagen, dassGott alle in den Ungehorsam eingeschlossen hat, um sich allerzu erbarmen21.

Wenn andere meinen, es hätte das eine oder andere Ge-glückte in meiner Arbeit gegeben, dann täuschen sie sichgründlich, denn diese Arbeiten hat Er vollbracht durch sei-ne Söhne, die Menschen, die in meiner Umgebung gewe-sen sind, aber es sind nicht meine Erfolge, wie der heiligeBenedikt sagt: Das Gute, was in ihm ist, soll er Gott zuschrei-ben und nicht sich selber, das Schlechte dagegen soll er immersich selbst zuschreiben22.

präzise und wirksam: Es blieben nur die zwei: Miseria et mistericordia.19 Joh 4,7-26. Nicht nur die Predigt vom Wasser des Lebens, sondernauch das Bekenntnis Jesu: Ich bin es, der ich mit dir spreche.20 Joh 4,25-26.21 Röm 11,32.22 RB 4,42-43.

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Dann bin ich zu dem realistischen und folgerichtigenSchluss gekommen, dass ich meine verantwortungsvollenAufgaben aufgeben müsste und seit einem gewissen Zeit-raum habe ich schon angefangen, mit verschiedenen Maß-nahmen diese Abgabe vorzubereiten, um sie denen weiter-geben zu können, die sie weiterführen sollen und zwarbesser als ich sie wahrgenommen habe und ich bitte jetztschon um Verzeihung für die Sachen, die nicht abgeschlos-sen sind und für die Schwierigkeiten, die noch nicht gelöstsind.

Wenn ich mein Amt niedergelegt habe, hoffe ich, dass aufeine neue Art und Weise, vielleicht sogar mit neuer Kraft –das wünsche ich zumindest–, vor meinem inneren Auge diearmselige Geschichte meines Lebens wieder erscheint, einerseitsgewoben und geschmiedet von ungewöhnlichen und unzähligenWohltaten, die auf eine unaussprechliche Güte zurückzuführensind, andererseits überschattet von Handlungen, an die ich michan liebsten gar nicht mehr erinnern möchte, sie waren so fehler-haft, unvollendet, falsch, unwissend und lächerlich. “Tu scis in-sipientiam meam”, O Gott du kennst meine Not (Ps 68,6)23, we-gen meiner fehlenden Kompetenz für die Ämter, die ichverwaltet habe. Und indem ich mich so verbrennen lassein dieser Konfrontation mit Christus, dem Feuer, das ver-schlingt, erwarte ich die Stunde der letzten Begegnung mitihm, dem gerechten Richter, langmütig und reich an Huld24,der sich der Unfrommen, der Zöllner erbarmt25, wie wir esim Evangelium lesen.

23 PAUL VI., op. cit.24 Num 14,18.25 Vgl. Mt 9,9-13.

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Wer bin ich und wo bin ich? Wie bin ich dahin gekommenund warum bin ich dahin gekommen? Wie viele Fehlerhabe ich begangen und wie viel Leid habe ich verursacht!Oft habe ich gesagt, dass der Christ den Herrn nachahmensoll, indem er jemand mit den anderen und für die anderen26

ist, aber wann habe ich selber diese Forderung erfüllt?Und wenn ich oft wiederholt habe, dass der Christ der ist,der “in der Welt“ am Schmerz Gottes teilnimmt (mit Christusleidet)27, dort gegenwärtig, wo die Armen, die Geringen undVerlorenen leben28. Sind das auch nur Worte gewesen? Mein

26 Ein sehr bekannter Ausdruck von Dietrich Bonhoeffer, den auchJoseph Ratzinger sich zu Eigen machte in seinem Buch: Einführung indas Christentum, 1968, und dem Papst Paul VI. eine neue Würdigungzukommen ließ, als er ihn während einer General-Audienz am29.03.1972 zitierte. Kardinal Wojtyła hat ebenfalls diesen Satz benutzt,um den Priesteramtskandidaten von Krakau das Priesterbild zu ver-mitteln. Siehe den Film (DVD): Der Mensch, der Papst wurde.27 Dietrich BONHOEFFER, Widerstand und Ergebung, Ed. S. Paolo 1988,Vorwort von A. Gallas, p.11.28 Rabindranath TAGORE in der Einführung zur Heiligen Schrift, Ediçaopastoral del Brasil p.10, wo ich diesen portugiesischen Text gelesenund auch selber übersetzt habe. Meine anschließende Suche hat michdie exakte Referenz finden lassen: Ofrenda Lírica, n. 10 (Gitanjali) Ra-bindranath Tagore, Nobelpreis für Literatur 1913. Die spanische Über-setzung stammt von Juan Ramón Jiménez und seiner Ehefrau ZenobiaCamprubí, denen der Autor die Rechte dazu überließ. Der Text findetsich in einer sehr umfangreichen biblischen Anthologie, hauptsächlichin Bezug auf die Demütigen, die das Land besitzen werden. Die deutscheÜbersetzung geht vom katalanischen Text aus.

Dies ist der Schemel für deine Füße, die hier ruhen, wo die Ärmsten, die ammeisten Erniedrigten und Verlorenen leben.Wenn ich versuche, mich vor Dir zu verneigen, dann gelingt es meinerEhrerbietung nicht die Tiefe zu erreichen, wo deine Füße ruhen, unter denÄrmsten, unter denen, die am meisten erniedrigt und verloren sind.

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Herz findet deinen Pfad nicht, den Weg der Einsamen...,wo du unter den Ärmsten, den Erniedrigten und Verlorenenwanderst. Aber wenn ich einer von diesen Verlorenen bin,wirst du dann nicht vielleicht auch mir sehr nahe sein undin mir leiden als das Lamm, der Logos, der die menschli-che Natur auf sich genommen hat? Wenn dem so ist, dannweißt du welch großes Leid, o Herr, ich über mich ergehen las-sen muss29; und du weißt auch, was ich schon gelitten habeund wie müde ich es bin, mich zu ertragen! Ein jederbringt bei seinem Eintritt in diese Welt ein anderes Gesetzmit, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt undmich gefangen hält im Gesetz der Sünde, von dem meine Gliederbeherrscht werden30,wie Paulus schreibt, seine eigeneGrund-Inkonsistenz, das heißt: seinen Fabrikationsfehler –jeder kennt aus trauriger Erfahrung seine eigenen– der ihnin ständigem Kontakt mit dem reinigenden Feuer, das Chris-tus ist, hält: Dies zu wissen erspart einem einen anderenSchmerz, der von den Eigen-Distinktionen einer bestimm-ten Philosophie kommen31, und vermeidet Ausdrücke wie

Der Stolz kann sich niemals diesem Ort nähern, wo du wanderst mit derKleidung des Armseligen, unter den Ärmsten, unter denen, die am meistenerniedrigt und verloren sind.Mein Herz kann niemals den Weg finden, auf dem du diejenigen begleitest,die keinen Begleiter haben, unter denen, die am meisten erniedrigt und ver-loren sind.

29 Vgl. Ps 118,107.30 Vgl. Röm 7,23.31 Joseph RATZINGER, Einführung ins Christentum, Ed.Sígueme, Sala-manca 1969, auf den Seiten 263-272, konkret im zweiten Teil unter Nr.9, wo er die Entfaltung des Bekenntnisses des Glaubens an Christus in denchristologischen Artikeln behandelt, in denen er über Christus sprichtund uns sagt: Christus ist zum endgültigen Leben auferstanden, das nichtden chemischen und biologischen Gesetzen unterliegt (wobei man dieAuferstehung nicht mit der Reinkarnation vermischen darf),

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diesen: Keinen weiteren Schmerz auf die menschliche Personprojizieren: Allein durch die Tatsache, dass er geboren wordenist, hat er schon genug Schmerz32, was sagen zu wollenscheint: er hat schon die Hölle hier auf Erden.

Vierzig Jahre habe ich unnütz das Amt eines Abtes ver-waltet! Wie konntest du das zulassen Herr? Meine Jahre indiesen verantwortungsvollen Ämtern haben nichtsgenützt, weder Poblet noch dem Orden. Beschämt erinne-re ich mich an die vielen schweren Fehler und bitte alle,die sie ertragen mussten, um Verzeihung. Alles müsstenochmals überlegt und von neuem getan werden. Aber daich mich schon an diesem sich neigenden Tag befinde, dermir das Licht Christi aufgehen lässt, in dieser abendlichenStunde, drehen sich meine Gedanken nur um das Verlan-gen, die elfte Stunde richtig zu nützen, um möglichst vieleHindernisse zu beseitigen auf dem Weg derer, die nachmir kommen werden: Dass die Kongregationen der Frau-

zusätzlich zu vielen anderen Dingen, die uns in unserem christlichenGlauben wachsen lassen, wie zum Beispiel die Auferstehung desFleisches und das Problem der Auferstehung des Leibes, das wireinige Seiten später finden. Wenn wir sie rechtzeitig gekannt hätten,dann hätten wir Ausdrücke gemieden, die wir im folgenden findenwerden, indem wir an Les Hores von Josep Pla denken, die ich mirerlaube, folgendermaßen zu lesen: “Ein jeder hat schon genug mitseinem eigenen Kreuz“, das heißt, “den eigenen persönlichen Makel,den er mit sich tragen muss“, den eigenen Fabrikationsfehler , ohnebiblische Aitiologien (vgl. Aldo MAGRIS, Il mito del giardino di ‘Eden,Morcelliana, 2008), um die Dichotomie zu beschreiben, die wir in derEntwicklung unseres sozio-ökonomisch-kulturellen Kontextes mit unstragen, statt zu sagen: Es ist Buße genug, geboren worden zu sein.32 Josep PLA, Les hores, Gesammelte Werke 20, Edicions Destino, 1971,p. 417. Man muss diesen Satz, wie mir scheint, wie einen Schlüssel zurvorausgehenden Fußnote lesen.

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enklöster sich stabilisieren, dass die jungen Mitgliederunseres Orden die offizielle Möglichkeit haben, die Aus-bildung zu bekommen, die ich selber nicht bekommenhabe, die Organisation des Archivs im Generalat (AC-GOC), die finanzielle Konsolidierung des Generalates, undall dies – wenn es Gott zulässt – bevor es zu spät ist undzwar nicht für meine Ehre sondern zum Wohl aller, dienach mir kommen. Aber wie soll ich meine schlechten Ta-ten wiedergutmachen, die Skandale, wie soll ich die verlo-rene Zeit wiedergewinnen, wie soll ich bei dieser letztenWahlmöglichkeit das Richtige wählen, das einzig Notwen-dige?33. Also wähle ich, mich ehrlich und offen dem Feuer,das Christus ist, auszusetzen, Christus, dem ich so viel vor-gezogen habe, obwohl die Benediktsregel –auf die ich mei-ne Profess abgelegt habe– uns lehrt: Der Liebe zu Christusnichts vorzuziehen34.

Wenigstens jetzt, nachdem ich endlich, ohne Angst, ge-lernt habe, um welches Feuer es sich handelt, ist es not-wendig, dass ich mich verbrennen lasse ohne irgendetwasden Flammen Christi, des Feuers, vorzuziehen, des Meistersder Bergpredigt, der mich hat verstehen lassen, dass ichentdeckt bin und mit der Schamröte im Gesicht es höre,denn wenn man es nicht so macht wie diese Männer, die für dieGerechtigkeit, die Wahrheit und die Menschlichkeit kämpfenund leiden, dann kann Christus nicht erkannt werden35. Das ist

33 Vgl. Lk 10,41-42.34 RB 4,21.35 Mario MIEGGE in: Alberto Alberto CONCI - Silvano ZUCAL, DietrichBonhoeffer, Morcelliana 1997. Auf Seite 26 findet man wörtlich diesenAusdruck, um die Aneignung der Seligpreisungen in seinem eigenenLeben zu beschreiben.

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das Feuer. So findet man Elend und Barmherzigkeit. Wer lässtsich nicht von ihm verhören und wer lässt ihn nicht daseigene leere Stroh verbrennen?36

Ab der Zeit, als die Kurse zur Monastischen Bildung be-gannen im Kollegium St. Bernhard des Zisterzienseror-dens, habe ich mit verschleierten biografischen Darstellun-gen angefangen, die sich zwischen den Zeilen auf den Sei-ten befanden, die ich an die jungen Mitglieder unseres Or-dens gerichtet habe, damit sie von meinen Fehlern lernenkonnten, was sie nicht tun sollen. Während dieser Jahre, indenen ich für die jungen Ordensmitglieder gearbeitethabe, habe ich mich verpflichtet gefühlt, ihnen diese Dingezu sagen und an sie zu schreiben. Aber das hat auch de-nen, mit denen ich in diesen Jahren zusammengelebt habeund die meine Handlungen lesen konnten, die Möglichkeitgegeben, diese jetzt wieder zu lesen in einem neuen, er-hellenden Licht. Von diesem Dialog zwischen der Barm-

36 Ich bringe hier ein beeindruckendes Zeugnis von dieser Begegnungmit Christus, dem Feuer: Ich glaube zu wissen, dass ich innerlich nicht inOrdnung sein könnte bis ich anfing die Bergpredigt ernst zu nehmen...Esgibt also noch Dinge, für die es sich lohnt sich einzusetzen ohne jeglichesMittelmaß. Mir scheint, dass das der Friede, die soziale Gerechtigkeit oderganz einfach Christus ist. Dietrich BONHOEFFER, Gesammelte Schriften II(Gesammelte Schriften I-III hg. von Eberhard Bethge, München 1959-1974), S. 24ff. Dieser Text wird auch von Renate WIND, Dietrich Bonho-effer, Ed. Piemme, Casale Montferrato 1995, S. 53ff, erwähnt, die einenBrief an seinen großen Bruder Karl Friedrich Bonhoeffer vom 14. Janu-ar 1935 wiedergibt. Bis dahin (1935) war es Dietrich Bonhoeffer nichtgeschenkt worden, im Ernstnehmen der Bergpredigt eine konkreteGotteserfahrung zu machen, obleich er damals schon 29 Jahre alt warund seit einiger Zeit unterrichtete. Mir dagegen wurde diese Erfah-rung erst zuteil, als ich 48 Jahre älter war, als er es war, als er sich des-sen bewusst wurde.

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herzigkeit Gottes und meinem Elend ist aus mir, wie vonselber und durch Gnade, eine Art Bekenntnis hervor-gegangen, als ich sah, wie in den Taten meines Lebens dasStroh sich verbrennt im Kontakt mit dem reinigenden FeuerChristus37 in diesen Tagen der Gnadenfrist, damit meineWahrheit, die keine Authentizität, Liebenswürdigkeit, Ein-fachheit oder Bescheidenheit vorzuweisen hat, doch auf-taucht.

Jetzt bleibt nichts anderes über, als meine Zuflucht bei derBarmherzigkeit Gottes zu suchen38, denn es bleibt mir keineZeit mehr, um durch eine Liebestat das gut zu machen,was ich falsch gemacht habe, keine Zeit um etwas richtigzu stellen, es gibt keinen Weg mehr zurück, denn das Le-ben geht voran wie in einer Einbahnstraße. Das einzige,was bleibt, ist all das annehmen, was missglückt und da-neben gegangen ist, Handlungen, an die ich mich an liebstengar nicht mehr erinnern möchte, so sehr waren sie fehlerhaft,unvollendet, falsch, unwissend und lächerlich39, das heißt leereStroh, das sich langsam durch die Wärme des FeuersChristi verzehrt und sonst nichts. Ich finde in der Aschedes Verbrannten keine Spur mehr von der Gegenwart je-ner soziologischen Prinzipien, die im Naturrecht begründetsind, die in jüngster Zeit klarer erkannt wurden und vom Lehr-amt der Kirche (Mater et Magistra; Pacem in terris…) mit

37 Vgl. Spe salvi und auch Augustinus, in: Commentarium in c. 8 Evange-lii Sancti Joannis. Die Begegnung mit der Ehebrecherin, die Jesusvorgestellt wurde, damit er sie verurteilt.38 Vgl. RB 4,74; ein lapidarer Satz am Ende der Liste der Instrumenteder guten Werke, als wollte er sagen: Wenn dir auch alle anderen In-strumente gefehlt haben, dieses bleibt unverrückbar.39 PAUL VI., Op.cit.

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großem Nachdruck verkündet werden. Darunter sind für unsvon besonderer Bedeutung die sich gegenseitig entsprechendenPrinzipien des Personenwürde und der Solidarität sowie derSubsidiarität und des legitimen Pluralismus innerhalb dernotwendigen Einheit, die der Orden in der Deklaratio desAußerordentlichen Generalkapitel 1968-1969 über diewesentlichen Elemente des Zisterzienserlebens heute verkündethatte40, und die ich überall zu jeder Zeit wiederholt hatte.

Meine Freunde sind mit mir so geduldig gewesen, auchdiejenigen, die mich in Poblet empfingen, hatten sehr vielGeduld mit mir. Trotz allem übernahmen sie die Verant-wortung für mich, ohne sich vorstellen zu können –wedersie noch ich hätten das ahnen können- welche Strecke siemich würden zurücklegen sehen und durch deren Barm-herzigkeit und durch die Barmherzigkeit Gottes bin ichimmer weitergegangen –aber nicht gut!–; und auch daswusste ich nicht mit Dankbarkeit und Reue zu lesen. Ge-nau so wenig kann ich vom Ausharren oder Treue zur Be-rufung sprechen, denn oft stellt sich mir die Frage: Hastdu wirklich eine Berufung? Hätte es wirklich keinen ande-ren Weg für dich geben können? Jemand hat sogar ge-schrieben: Keiner sollte um die Ordination bitten, wenn er sichnicht sicher ist, dass er berufen ist41. Warum schien es miralso, dass ich mich in der Sicherheit befand, berufen zusein, wie durch eine Art Bestimmung? Welche Zeichenempfing ich, um auf diesem Weg weiterzumachen?

40 Deklaratio des Generalkapitels (1968-1969) über die wesentlichen Elemen-te des heutigen Zisterzienserlebens, Nr. 83. Dieses Dokument ist für unse-re monastische Identität von großer Bedeutung.41 Dietrich BONHOEFFER,, Das gepredigte Wort. Homiletikkurs in Finken-walden., Ed. Claudiana, Torino 1994, p.33.

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Manchmal habe ich sogar folgendes gedacht: der Mangelan Nachwuchs kann bewirken, dass die Toren des Klosterssich für alle öffnen, die sich melden, könnte das auch beimir der Fall gewesen sein?

Nach dem Leid, das diese letzten Fragen verursachen,kann ich nicht wie Paul VI., lebend im Feuer, in der Medi-tation über den Tod mich fragen: Warum hast du mich beru-fen, warum hast du mich auserwählt? So ungeeignet, so stursin-nig, so arm im Geiste und im Herzen: Ich weiß: “quae stultasunt mundi elegit Deus… ut non glorietur omnis caro conspec-tu eius”. Gott hat das erwählt, was in der Welt schwach ist...,damit niemand sich vor Gott rühmen kann (1 Kor 1,27-28).Meine Erwählung zeigen zwei Dinge: Meine Wenigkeit undDeine Freiheit, barmherzig und mächtig. Sie hat nicht vor mei-ner Untreue, meinem Elend, meiner Fähigkeit Dich zu verratenhaltgemacht: “Deus meus, Deus meus, audebo dicere… in quon-dam aestasis tripudio de Te praesumendo dicam: nisi quia Deuses, iniustus esses, quia peccavimus graviter… et Tu placatus es.Nos Te provocamus ad iram, Tu autem conducis nos ad miseri-cordiam”: Mein Gott, mein Gott, ich würde übermütig wagenzu sagen... in einem ekstatischen Jubelruf, dass Du, wenn Dunicht Gott wärest, ungerecht wärest, denn wir haben vor Dirschwer gesündigt und du besänftigst dich. Wir reizen Dich zumZorn und Du dagegen führst uns zur Barmherzigkeit! (PL 40,1150) 42. Diese Worte könnten mir als Trost dienen, sie wa-ren von ihm, vom Papst Paul VI.! –aber ich antworte mir–,ohne sie mir aneignen zu können und so blieb ich in demverzehrenden Feuer, das glücklicherweise auch ein reinigen-des Feuer ist.

42 PAUL VI., Op.cit.

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Jetzt, in diesen Tagen, die vorletzten dieser Gnadenfrist,die Gott mir gewährt, wenn meine Freunde und die Mön-che, die mich gekannt und ertragen haben, gar nicht mehrleben, ist es an der Reihe, dass ich mein Leben mit ver-söhnlichen Augen anschaue, mehr lebendig als je, meinLeben in seinem armseligen soziologischen, ökonomischenund religiösen und politischen Kontext, der mich so ge-prägt hat wie ich jetzt bin, ebenso in meiner Kindheit undJugendzeit wie im Kloster und im Orden. Das bedeutet:mich mit meiner Kultur der Armut zu versöhnen, um zulernen, dass trotz der ganzen Dekadenz, die ich in den kul-turellen Quellen der niederen Herkunft erlebt habe, und inder inneren Verwirrung43, die sie verursacht haben,

43 Antonio GAMONEDA, Die Kultur der Armut. Diese Ansprache hieltder Autor hielt, als er den “Premio Cervantes” empfing am 23. April2007. In ihr spricht er mit großer Ehrlichkeit von seinen kulturellenQuellen von “niederer Herkunft”. Wir anderen können all das unter-schreiben, was der ausgezeichnete Autor bei dieser Gelegenheit gesagthat, und auch all das, was er verschwiegen hat, aber durchaus hättesagen können, wenn er die anderen Aspekte der Jahre, die er in derKultur der Armut und im Leid verbracht hat, beschrieben hätte. Wenner das getan hätte, dann hätte er uns die Bloßlegung erspart, um diegroßen Ähnlichkeiten zwischen ihm und meiner Generation zu zei-gen. In jüngster Zeit ist jedoch etwas Ähnliches geschrieben wordenvon Sílvia ALCÀNTARA, die in ihrem Roman Olor de Colonia, Barcelona2009, Verlag 1984, den sozio-ökonomischen und politisch-religiösenKontext eines der Textilindustriezentren, die Kolonien genannt wer-den, beschreibt. Diese Zentren waren entstanden, um die Wasserkraftdes Flusses Llobregat und beinahe aller anderen Flüsse zu nützen: Ter,Fluvia, Cardoner, als im 19. Jahrhundert die industrielle Revolutionnach Katalonien kam. Ihr Kontext war nicht sehr anders als derjenige,in dem ich geboren wurde und meine ersten 12 Lebensjahreverbrachte. Wer aus den Quellen einer niederen Herkunft getrunkenhat, bewahrt normalerweise den Wortschatz und die typische –manch-mal oder sogar häufig geradezu sarkastische– Art, die man sich dort

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schließlich abgerundet von dem Unfall im Jahr 2006, derHerr mir die Augen dafür geöffnet hat – als der Tag sichschon neigte, dass das Evangelium auch für mich gilt,auch wenn ich einer der Letztberufenen bin: Geht hinaus indie ganze Welt und verkündet das Evangelium allenGeschöpfen44. Aber jetzt sind die Worte und die Texte vonder Versöhnung nicht notwendig, denn ich bin schon nicht

angeeignet hat, weil man versucht, wenigstens vorübergehend, dieÄngste, die Traurigkeit, die Entbehrungen und die dazugehörendenFrustrationen zu verbergen, die sich aber durch einen gewissen primi-tiven Stil beim Essen und in einem besonderen Stil in der Kleidungverrät. Es geht sogar bis zu der Art, wie man spielt ohne das Spiel-zeug, das die Kinder haben, und der Art, wie Jugendliche sich zu ver-gnügen pflegen. Es zeigt sich in einer eindimensionalen Sicht der Weltund in einem lächerlichen Stil, die Toponymie und die Grammatik zuverzerren. Dies könnte man mit vielen Beispielen zeigen, je nach kul-turellem Kontext. Aus diesen Quellen der niederen Herkunft hinaus-zukommen ist fast unmöglich, obwohl man ein tiefe Scham in sichträgt, dass man es nötig hatte, von dieser Quelle zu trinken und ob-wohl man sich bemüht hat, sich davon zu entfernen, bis dahin, dassman gemeint hat, sich davon befreit zu haben, da ja immer irgendei-ner erscheinen wird, der seine Herkunft deutlich machen wird. So istes also niemanden gegeben, wählen zu können, ob er in einem königli-chen Palast oder im Stall von Bethlehem geboren werden möchte.Man kann nicht sagen, dass die Schwierigkeit überwunden ist, weildie sozialen Unterschiede nicht mehr so groß sind; der kulturelle Kon-text ist also nur anzunehmen, weil man sehr schwer aus ihm heraus-kann, um nicht zu sagen, es ist unmöglich und deshalb muss man da-hin kommen, dass man sagt: Ich bin von niederen kultureller Her-kunft, und das ist genug. Ich habe einen Duft von Kolonie, einen Duft,den man nicht mit Parfüm vertreiben kann. Ich gehöre nicht zu denen,die zur Universität gehen, um einen Doktortitel honoris causa zu erlan-gen. Es bleibt als ein tröstliches Heilmittel nur die Versöhnung mitsich selbst übrig. Aber man muss auch sagen, dass keiner gelehrt undkultiviert geboren wird: all dies geht auf den sozialen Kontext des ein-zelnen zurück, den man sich nicht einfach aussuchen kann. Die Tatsa-

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mehr der, der ich war, als ich in der Blindheit lebte, als esZeit es zu tun und ich nicht es zu tun wusste. Aber indiesem Augenblick, erklärt mit den Worten, die ich in der“narrativen Vernunft“ gelesen und die ich übernommenhabe, kann ich es etwa folgendermaßen formulieren:

Von den Personen, die schon vorüber gezogen sind, erinnernwir uns nicht mehr an die Fehler, die Nachteile, an die Reaktio-nen, die sie uns zeigten und die uns dazu antrieben, sie mitHärte und manchmal mit Verachtung zu behandeln. Von denPersonen, die schon vorüber gezogen sind, erinnert man sichnur an die Zeit der Stille, der Kälte, der Bosheit, des Hasses, denwir gegen sie hegten. Die Verstorbenen haben diesen Vorteil,dass sie nicht länger lästig sind, ihre Gebärden sind nicht längerlächerlich, wir sehen nicht mehr ihr Gesicht, ihre Worte verlet-zen uns nicht mehr. Sie verwandeln sich in verschwommeneSchatten unseres unsicheren Gedächtnisses. Und die Lebendenhaben diesen Nachteil: Sie spüren den Dorn von dem, was siehätten tun können, und nicht getan haben, von dem, was siehätten aufsparen können und nicht aufgespart haben, von dem,was sie hätten geben können und was sie nicht gegeben haben.Von all dem, was sie hätten machen, aufsparen, weinen, sagen,mit so wenig Aufwand, mit ganz wenig Aufwand. Aber, es istschon spät. Die Klagelieder sind nutzlos, unsere Reue leer. DieWiedergutmachungsversuche sind fruchtlos. Und dies wirfteinen Schatten der Traurigkeit auf unser Leben. Das Leben desGedächtnisses fällt über uns her und bedrängt unsere gegenwär-tige Existenz. Aber es gibt kein Heilmittel mehr. Alles ist nutz-

che, dass man in einer betuchten Familie geboren worden ist, heißtnicht, dass man nicht kulturell arm sein kann. In unserer Zeit istglücklicherweise die Nivellierung der sozialen Klassen erreicht wor-den.44 Mk 16,15.

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los, die Klagelieder haben keinen Sinn. Die Zeit kann nichtzurückgeschraubt werden und das, was gewesen ist, ist einfachgewesen. Wir vergifteten das Leben deren, die wir am meistenliebten, Menschen, die sich nicht wehrten. Vielleicht haben wirihnen nicht gerade deswegen Schaden hinzugefügt, weil siegleichgültig waren, weil wir nicht in ihr Leben eingetreten wa-ren. Im Gegenteil, wir verbitterten das Leben derer, die wir ammeisten liebten. Was werden diese Personen über uns denken,die zum endgültigen Frieden gekommen sind? Was sollen unse-re besten Freunde von uns denken? Sie denken wahrscheinlich,dass sie vielleicht mehr von einer aufmerksamen Geste, von ei-nem liebenswürdigen Anblick, von einem Lächeln, von einerherzlichen Geste im Leben mehr gehabt hätten als all diese post-humen und eitlen Gewissensbisse45.

Aber die Menschwerdung Gottes in Christus hat das Ge-richt mit der Barmherzigkeit so vereint, dass die Barmher-

45 Josep PLA, Les hores, Ediciones Destino. Gesammelte Werke 20, Bar-celona 1971, S. 409-410. Wenn er von den verstorbenen Gläubigenspricht, spricht der Autor, den ein anderer Schriftsteller und Publizist“narrative Vernunft” nennt (vgl. Josep. M. CASTELLET, Josep Pla o la raónarrativa, Barcelona 1978), außer dem, dass er uns gelernt hat zuschreiben, zu uns von vielem anderen, wie zum Beispiel von den Ge-fühlen der Reue und der Dankbarkeit gegenüber den Verstorbenen.Und er warnt auch davor, die Auferstehung mit der Reinkarnation zuverwechseln und rät davon ab, die Leute mit einer Rede vom ewigenFeuer zu verschrecken. (Siehe das Zitat von J. Ratzinger und auch dasvon Aldo Magris in der Fußnote 28 dieses Bekenntnisses). Viele Jahrezuvor schrieb Dietrich Bonhoeffer: Das, was gewesen ist, kehrt zu unszurück als der lebendigste Teil unseres Lebens durch die Dankbarkeit unddurch die Reue (vgl. Ugo PERONE und Marco SAVERIANO, DietrichBonhoeffer. Eredità cristiana e modernità, Claudiana 2006, p. 216 undauch Dietrich BONHOEFFER, Widerstand und Ergebung, Ed. Ariel 1969,p. 88).

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zigkeit sich felsenfest etabliert hat: Alle erwarten wir dasHeil mit Furcht und Zittern (Phil 2,12). Aber trotzdem erlaubtdie Gnade uns alle zu hoffen und voller Zuversicht dem Richterentgegenzugehen, den wir als unseren Anwalt, den Beistandkennen (vgl. 1 Jn 2,1), wie wir in Spe salvi46 lesen, unddeswegen kann auch ich sagen: Lass dein Angesicht übermich leuchten, Herr, und ich bin heil47, zeige mir den leichtes-ten Weg für mich, den Weg, den alle gehen können, dennwir wissen, dass es in der Kirche einen Stand der Vollkommen-heit gibt, in dem man sich dazu verpflichtet, das zu erfüllen, wasnicht im Gebot verlangt wird, man übertrifft sozusagen das Ge-setz. Diejenigen jedoch, die diesem Stand angehören, sind dieersten, wenn es darum geht, zu betonen, dass sie Anfänger sindund immer nach mehr streben. Der “Stand der Vollkommen-heit“ offenbart auf dramatische Weise die ständige Unvollkom-menheit des Menschen48; deswegen bin ich einer von denen,die dieses dramatische Bekenntnis ablegen müssen, es zumeinem machen muss, damit dein Antlitz über mir leuchtet,der einzige Weg, auf dem ich weiterkommen kann, undder zu mir passt, weil ich weiß, dass dies, was für die Men-schen unmöglich ist, für Gott möglich ist49, und ich auf diesemWeg bleibe; er ist auf meine Maße zugeschnitten ist undauf diesem Weg gehen diejenigen, die mit armseligen Kleidernbekleidet sind, die Ärmsten, die Demütigsten und die Verlore-nen50, das heißt, diejenigen, in deren Leid Gott gegenwär-

46 Spe salvi, 47.47 Vgl. Ps 79,4.48 Joseph RATZINGER, Einführung ins Christentum, Ed. Sigueme 1969, p.223; RB 73, wo wir lesen, dass die Regel für Anfänger geschriebenworden ist, für die, die am Anfang stehen.49 Lk 18,27.

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tig ist51. Und ich bin einer von ihnen, einer von denVerlorenen.

Jetzt, da ich gar nichts mehr tun oder manifestieren kann,denke ich an die Worte des Psalmisten: Wird der Herr unsdenn auch ewig verstoßen und niemals mehr gnädig sein? Hatseine Liebe für immer ein Ende? Ist es aus mit seinem Wort füralle Geschlechter? Hat Gott vergessen, dass er gnädig ist? Hat

50 Rabindranath TAGORE, vgl. Fußnote 25 dieses Schriftstücks. Das Bilddes Lammes, das meine Meditiation eröffnet –anstelle eines traditio-nellen Kreuzes–, erinnert mich an den Text von Tagore, weil der Lo-gos, das Wort Gottes Fleisch wurde (Joh 1,14), unsere Natur annahm(das Schaf, das ein Gefangener seiner Leidenschaften ist) und uns denWeg der Rückkehr zu Gott zeigte (Bergpredigt): Er nahm –so Tagore–die Kleidung des Armseligen an, er lebte unter den Ärmsten, denen, die ammeisten erniedrigt und verloren sind. So hat das Lamm Gottes gehandelt,das die Sünde der Welt auf sich genommen hat, das heißt, die mensch-liche Natur, die eine Gefangene ihres persönlichen Fabrikationsfehlersist. Das Lamm trägt unsere Natur überall mit, wohin es geht, Agnumiugiter sequitur (vgl. Joh 1,36 und Offb 14,4)51 Wir haben schon mehrmals gesagt, dass nicht einfach der religiöseAkt (die billige Gnade) zum Christen macht, sondern die Teilnahmeam Leiden Gottes in dieser Welt, das heißt, an den Werken der Barm-herzigkeit, so wie Christus es beim letzten Gericht sagt (Mt 25,31-46):Ich hatte Hunger und du gabst mir zu essen, ich hatte Durst und ihr gabtmir zu trinken; und wir finden in den Seligpreisungen: Selig die trauern,sie werden getröstet werden! (Mt 5,4); was das Kompendium der Katholi-schen Kirche aufnimmt, wenn es im Anhang die sieben Werke dergeistlichen Barmherzigkeit auflistet und als viertes anführt: Die Be-drängten zu trösten. Der Christ identifiziert sich also mit allen, die mo-ralisch und physisch leiden, d.h. mit denen, in denen der SchmerzGottes sich manifestiert. Das ist es, jemand mit den anderen und „für“die anderen zu „sein“, eine Haltung, die eine Anstrengung erfordert:„die Gnade, die etwas kostet“. Dietrich Bonhoeffer hat von der „billi-gen Gnade“ und der „Gnade, die etwas kostet“ gesprochen in El preciode la Gracia (Der Preis der Gnade), Ed. Sígueme, Salamanca 1968.

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er im Zorn sein Erbarmen verschlossen?52 Gott hat alle in denUngehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen53.

Um mir eine Antwort zu geben, bleibt mir nur mit gesenk-tem Haupt zu hören, was der Meister und barmherzigeRichter in einer sehr bekannten Szene des Evangelium ge-sagt hat54 und der, wenn meine endgültige Begegnung mitihm kommt –ich hoffe es zumindest so ohne zu wissenwann oder wo die Stunde sein wird– diesen Satz auch fürmich wiederholen wird:

— Keiner hat dich verurteilt?— Keiner, Herr.— Auch ich verurteile dich nicht55.

Dann, angesichts der Barmherzigkeit werde ich, der Armse-lige, aufrichtig dankbar und beschämt mit leiser Stimme –wenn ich in dieser Stunden noch die Kraft dazu habe undbeim Bewusstsein bin, denn als ich meine Unfall hatte, warich ohne Bewusstsein– ihm antworten:

52 Ps 76,8-10.53 Röm 11,32.54 Die Ehebrecherin, die nahe daran war, gesteinigt zu werden, aberdoch davor gerettet wurde.55 Vgl. Joh 8,10b-11a. Er fragt nicht nach den näheren Umständen, oderwo es war oder wie oft, sondern sagt nur, dass er sie nicht verurteilt.

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Herr, erbarme dich!,Christus erbarme dich!,

Herr erbarme dich!

1933-2008

Rom, 10. Juli 2008.

P.S. Das was ich hier in meinem 75. Lebensjahr mit klaremGeist geschrieben habe, ist eher ein Bekenntnis, Frucht desKontakts mit Christus dem Feuer als ein geistliches Testa-ment, denn ich kann euch nichts geben, zumal ich nichtsbesitze, aber ich kann nochmals bitten, als eine Art Viati-cum, um die Barmherzigkeit Gottes, und um die eurige56.

56 Rituale Cisterciense; Bitte um Aufnahme in das Noviziat und die Ab-legung der Profess.

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Auszüge aus verschiedenen Ansprachen von Abt Maurus Este-va an die jungen Mönche und Nonnen, die an den Kursenzur monastischen Formation im Kolleg Sankt Bernharddes Zisterzienserordens in Rom teilnahmen.

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1. Auszug aus der Ansprache vom 24. August 2008

Von der Option für die Jungen, die Hoffnung für die Zukunft,konnte man nicht sprechen, es sei denn in Bezug auf diejenigen,die sich einer gewissen Bevorzugung erfreuten und die als einzi-ge für geeignet gehalten wurden. Es ging so weit, dass die ande-ren, die Ausgeschlossenen, dahin kamen, dass sie auf natürlicheWeise diese Sonderrechte, die den Bevorzugten zugestandenwurden, ablehnten, ohne dass sie sich trauten, dieses Gefühlauszusprechen. Die Option für die Jungen, bedeutet das etwa,Partei zu ergreifen für einen Generationskonflikt? Bitte nicht!Das heißt einfach, Ihnen rechtzeitig und ganz generell für alledie Ausbildung, das heißt die Entwicklung ihrer Gaben und Ta-lente, anzubieten, die wir zu unserer Zeit nicht empfangen ha-ben.

Die Gleichheit der kulturellen Gegebenheiten war undenkbar.Den jungen Mitgliedern, die aus dem einen oder anderen Grundnicht die Bildung erhalten hatten, um eine Universität zu besu-chen, wurde normalerweise keine Türe geöffnet wie jene, die ih-nen glücklicherweise jetzt aufgetan wird, um jenes Wissen zuerwerben, das sie nicht empfangen hatten, solange sie in einerKultur der Armut lebten. Auf diese Weise herrscht in der Ge-meinschaft die Gleichheit ohne irgendeinen sozialen oder kultu-rellen Exklusivismus und noch weniger ohne Willkür welcherArt auch immer. Auch das ist Option für die Jungen.

[...] Daraus entstanden die Kurse zur Monastischen Bildung alseine konkrete Form der Option für die Jungen. Sie solltengleichsam eine Antwort auf Papst Johannes Paul II. sein, eineleuchtende und faszinierende Führungsgestalt, der sein Ver-

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trauen auf die neue Generation setzte und sie schon vom erstenMoment an „seine Hoffnung“ nannte und sagte, dass er siebrauchen würde, d.h.: Er verließ sich auf sie und schuf für sieden Weltjugendtag, der ihn in Kontakt mit ihr und in dasEmpfinden der kommenden Generationen treten ließ. DieseHaltung bewahrte ihm ein junges Herz, bis dahin, dassMillionen von Jugendlichen und Erwachsenen ihn begleitetenund bei seinem Tod auf eine Weise um ihn weinten, dass mannoch nie eine so große Manifestation des Schmerzes und derAnhänglichkeit an einen verstorbenen Papst gesehen hatte.

2. Auszug aus der Schlussansprache des Kurses 2009, 26.September.

Sie müssen Schöpfer eines neuen Mönchtums sein, das mit demalten nur gemeinsam hat, dass es keine Bestrebungen hat, als dieeines Lebens gemäß der Bergpredigt in der Sequela Christi.

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3. Am 28. August 2010 hat Generalabt Maurus, bevor erdas Generalatshaus verließ, um sein letztes Generalka-pitel als Generalabt zu eröffnen, in der Aula des Kol-legs St. Bernhard von den jungen Studenten des Kurseszur monastischen Formation Abschied genommen, die– wie er es nannte – seine Option gewesen waren.Gleichsam in einer Rekapitulation aller Ansprachen,die er in den Kursen dreier Trienna gehalten hat, hat erin seiner letzten Ansprache noch einmal die Worte vonDietrich Bonhoeffer aus “Widerstand und Ergebung”(Widerstand und Ergebung, Ed. Ariel 1969, p. 26-27)gebraucht, wie folgt:

Der wahre Adel nimmt seinen Ursprung und erhältsich durch das Opfer, den Mut und das geschärfteBewusstsein dessen, was wir uns selbst schuldenund dessen, was wir den anderen schulden. Zuletzterhält sich der Adel durch die selbstverständlicheAnforderung des der menschlichen Person geschul-deten Respekts, und in der in ebenfalls selbstver-ständlichen Wahrung des Respekts, der den Vorge-setzten und den Untergebenen geschuldet ist.

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Chorin (Pommern), bei Finkenwalde, Februar 2008.

Wer aber im klösterlichen Leben und im Glauben fortschreitet,dem wird das Herz weit, und er läuft in unsagbarem Glück der

Liebe den Weg der Gebote Gottes.

(Benediktsregel, Prolog 49)

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Fotografie: Ignacy Rogusz