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Situe 3iiid|cv ;!ciliiii,n WOCHENENDE Samstag/Sonntag, 7./8. August 1982 Nr. 181 Vom San Salvatore aus aufgenommene Abwärtsblitze: angesichts solcher Naturgewalt begreift man die Furcht selbst aufgeklärter Menschen vor dem Hochspannungsphänomen Blitz. Rüder: I-Kll und Hugo Hinz Blitz und Donner forschend betrachtet Von Heini Hofmann L. Es gibt neun Götter, die Blitze senden, und elf Arten von solchen. Jupiter schleudert drei. So einfach war es, bevor die Wissenschaft sich der Erforschung der mächtigsten elektrischen Naturerscheinung annahm. Der Blitz fuhr den Menschen von jeher in die Glieder, und sie fühlten sich, je nach Kulturstufe, hin und her gerissen zwi- schen elementarer Furcht und tiefer Verehrung, denn der Blitz erschien ihnen als todbringende, dämonische Kraft und war doch gleichzeitig Teil des Fruchtbarkeit spendende n Gewitters. In unzähligen bildlichen Darstellungen hat dieses Urphänomen der Natur seine Spuren hinterlassen, als Donnerkeil, Donner- stein und Teufelsfinger in der Alten und als Donnervogel in der Neuen Welt. Gemalte und gemeisselte Blitzfeuer und heilige Blitzgräber zeugen noch heute vom Zittern vor der zerschmet- ternden Kraft des Himmelsfeuers in der Antike, zumal im vor- derasiatischen und griechisch-römischen Kulturkreis. Die Zahl der Blitz-, Donner-, Wind- und Regengottheiten ist Legion. Auch später tauchte das himmlische Feuer in der Kunst im- mer wieder auf, in den Gewitterdarstellungen der Renaissance ebenso wie in der Malerei des Barocks, die für Blitzmotive gar eine besondere Vorliebe zeigte. Erst die moderne Malerei über- liess die Blitzdarstellung der Photographie. Doch auch der Respekt vor dem Blitz wandelte sich im Laufe der Zeit. Schleuderten ihn im Altertum noch erhabene Götter, bekam der Blitz in Renaissance und Barock eine leicht komische Note, und das heitere Rokoko lässt spielende Putten Blitzchen um sich werfen, als wären sie harmlose Papierschlan- gen. Von der Romantik zur Moderne wandelte sich dann das Blitzverständnis grundlegend, der mystische Donnerkeil wurde zum erklärbaren luftelektrischen Vorgang. Nur einmal noch, in Wilhelm Buschs satirischer Bilderge- schichte vom heiligen Antonius von Padua, tritt eine Blitzgott- heit in Erscheinung und lässt den unheiligen Dr. Alopecius Wilhelm Busch stellt de n Wettergott nur noch satirisch dar: «Huit! Knat- teradoms! ein Donnerkeil! Und Alopecius hat sein Teil!» - U&& Blitzschulz ist ein altes Problem und wurde zu allen Zeiten anden, gelöst nicht immer optimal . . durch Blitzschlag ein böses Ende in Rauch und Asche neh- men . . Romantische Anfänge der Forschung Die ersten Aktivitäten im Zusammenhang mit gezielter Blitz- forschung in der Schweiz reichen weit über fünfzig Jahre zurück und sind eng mit dem Namen des heute bald 84jährigen Profes- sors Karl Berger verbunden, der sein ganzes Leben dem Natur- phänomen Blitz gewidmet hat. Das Interesse galt vorerst der Messung von Blitzüberspannungen der grossen elektrischen Leitungen, das heisst, man wollte wissen, was in der Leitung vom Blitz überlagert wird. Initialzündung war die Anschaffung eines Dufourschen Ka- thodenstrahl-Oszillographen durch den Schweizerischen Elek- trotechnischen Verein (SEV) im Jahre 1926. Bereits 1928 konn- ten als erste Messresultate die Gewitterüberspannungen der 1200-V-Fahrleitung der Forchbahn Zürich Esslingen und der speisenden 8-kV-Drehstromleitung des Elektrizitätswerkes des m 4 ; V---. fäi§>; Mit dem «Dramenexperiment» gelang es Benjamin Franklin 1752 erst- mals. Elektrizität in der Atmosphäre nachzuweisen. Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982

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Situe 3iiid|cv ;!ciliiii,n WOCHENENDE Samstag/Sonntag, 7./8. August 1982 Nr. 181

Vom San Salvatore aus aufgenommene Abwärtsblitze: angesichts solcher Naturgewalt begreift man die Furcht selbst aufgeklärter Menschen vor dem Hochspannungsphänomen Blitz. Rüder: I-Kll und Hugo Hinz

Blitz und Donner forschend betrachtetVon Heini Hofmann L.

Es gibt neun Götter, die Blitze senden, und elf Arten vonsolchen. Jupiter schleudert drei. So einfach war es, bevor dieWissenschaft sich der Erforschung der mächtigsten elektrischenNaturerscheinung annahm.

Der Blitz fuhr den Menschen von jeher in die Glieder, undsie fühlten sich, je nach Kulturstufe, hin und her gerissen zwi-schen elementarer Furcht und tiefer Verehrung, denn der Blitzerschien ihnen als todbringende, dämonische Kraft und wardoch gleichzeitig Teil des Fruchtbarkeit spendenden Gewitters.In unzähligen bildlichen Darstellungen hat dieses Urphänomen

der Natur seine Spuren hinterlassen, als Donnerkeil, Donner-stein und Teufelsfinger in der Alten und als Donnervogel in derNeuen Welt. Gemalte und gemeisselte Blitzfeuer und heiligeBlitzgräber zeugen noch heute vom Zittern vor der zerschmet-ternden Kraft des Himmelsfeuers in der Antike, zumal im vor-derasiatischen und griechisch-römischen Kulturkreis. Die Zahlder Blitz-, Donner-, Wind- und Regengottheiten ist Legion.

Auch später tauchte das himmlische Feuer in der Kunst im-mer wieder auf, in den Gewitterdarstellungen der Renaissanceebenso wie in der Malerei des Barocks, die für Blitzmotive gar

eine besondere Vorliebe zeigte. Erst die moderne Malerei über-liess die Blitzdarstellung der Photographie.

Doch auch der Respekt vor dem Blitz wandelte sich imLaufe der Zeit. Schleuderten ihn im Altertum noch erhabeneGötter, bekam der Blitz in Renaissance und Barock eine leichtkomische Note, und das heitere Rokoko lässt spielende PuttenBlitzchen um sich werfen, als wären sie harmlose Papierschlan-gen. Von der Romantik zur Moderne wandelte sich dann dasBlitzverständnis grundlegend, der mystische Donnerkeil wurdezum erklärbaren luftelektrischen Vorgang.

Nur einmal noch, in Wilhelm Buschs satirischer Bilderge-

schichte vom heiligen Antonius von Padua, tritt eine Blitzgott-

heit in Erscheinung und lässt den unheiligen Dr. Alopecius

Wilhelm Busch stellt d en Wettergott nur noch satirisch dar: «Huit! Knat-teradoms! ein Donnerkeil! Und Alopecius hat sein Teil!»

-

U&&

Blitzschulz ist ein altes Problem und wurde zu allen Zeiten anden, gelöst

nicht immer optimal. .

durch Blitzschlag ein böses Ende in Rauch und Asche neh-men . .

Romantische Anfänge der Forschung

Die ersten Aktivitäten im Zusammenhang mit gezielter Blitz-forschung in der Schweiz reichen weit über fünfzig Jahre zurückund sind eng mit dem Namen des heute bald 84jährigen Profes-sors Karl Berger verbunden, der sein ganzes Leben dem Natur-phänomen Blitz gewidmet hat. Das Interesse galt vorerst derMessung von Blitzüberspannungen der grossen elektrischenLeitungen, das heisst, man wollte wissen, was in der Leitung

vom Blitz überlagert wird.Initialzündung war die Anschaffung eines Dufourschen Ka-

thodenstrahl-Oszillographen durch den Schweizerischen Elek-trotechnischen Verein (SEV) im Jahre 1926. Bereits 1928 konn-ten als erste Messresultate die Gewitterüberspannungen der1200-V-Fahrleitung der Forchbahn Zürich Esslingen und derspeisenden 8-kV-Drehstromleitung des Elektrizitätswerkes des

m 4; V---.

fäi§>;

Mit dem «Dramenexperiment» gelang es Benjamin Franklin 1752 erst-mals. Elektrizität in der Atmosphäre nachzuweisen.

Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982

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54 Samstag/Sonntag, 7./K. August 1982 Nr. 181 WOCHENENDE Meile Jiidicr ,tciluiin

0er Begründer der Schweizer Blitzforschung, der bald 84jährige ProfessorKarl Berger.

len durften, es sei denn salonfähige wie «Donner und Doria!»oder «Donnerwetter, Parapluie!». Fast ist man geneigt, sich anAntonius und Alopecius zu erinnern, wenn man zudem ver-nimmt, dass die Wallfahrtskirche ausgerechnet der immer nochaktiven Laienbruderschaft des guten Todes (Confraternita dellabuona morte) dient, die im 17. Jahrhundert gegründet wordenwar und deren Mitglieder jeweils die zum Tode Verurteiltenzum Galgen begleiteten, welcher am Fuss des San Salvatore beiCap San Martino stand.

Natürlich blieb die Zeit auf dem San Salvatore nicht stehen.Die erfolgreiche Forschung verlangte stets nach neuen Einrich-tungen. 1950 konnte auf dem Vorgipfel San Carlo ein zweiterMessturm aus Stahl errichtet werden, und in den Jahren 1957/58 bauten die PTT am Standort des ersten (hölzernen) Messtur-mes einen 90 Meter hohen Sendeturm. Damit ergab sich dieMöglichkeit, den Stromshunt (Messwiderstand) für die Blitz-strommessungen auf der Spitze dieses Turms zu installieren.

Für den jungen Blitzforscher und seine Familie war ein Eisenbahnwaggon

wohnlich eingerichtet worden.

Kantons Zürich registriert werden. Nun dehnte man die Mes-sungen auf SBB-Leitungen und verschiedene Kraftwerke aus.

Um den hiezu notwendigen Apparatetransport zu vereinfa-chen (allein die Oszillographen waren damals noch unförmigeMonster), stellte die Abteilung Kraftwerke der SBB im Jahre1930 dem jungen Ingenieur Berger zwei ausrangierte Bahnwa-gen zur Verfügung, den einen als Messwagen und für die Unter-bringung der Instrumente, den andern als heimelig eingerichte-

ten Wohnwagen. Wenn man sie mit der heutigen modernenForschung der elektrischen Energieübertragung und Hochspan-nungstechnik vergleicht, die sich nur noch im Labor abspielt,

muten die Anfänge der Blitzforschung im «Zigeunerwagen»

recht romantisch an.So wurden nun bis 1937 Sommer für Sommer mobil an ver-

schiedenen Hochspannungsleitungen in der Schweiz Blitzüber-spannungen automatisch oszillographisch aufgezeichnet, was zuwesentlichen Resultaten führte. Man erkannte beispielsweise,

dass Hochspannungsleitungen mit mehr als 50-kV-Betriebs-spannung ausschliesslich durch direkte Blitzschläge gestört wer-den und dass die Dämpfung der vom Blitz erzeugten Wander-wellen längs der Leitung beträchtlich ist. Da also Leitungen,

ausser am Ort des Einschlags, weniger blitzgefährdet sind alsStationen und Werke, galt es vor allem diese zu schützen. Dazumusste man Schutzapparate herstellen können, die auf denBlitzsrrom bemessen sind. Also musste man von diesem wissen,

wie steil er aufschiesst, wie lange er dauert und wie er aus Teil-blitzen zusammengesetzt ist. Von diesen wiederum interessier-ten sowohl ihre Anzahl als auch ihre zeitlichen Abstände. Aus-serdem wollte man die im Blitz umgesetzte Energie abschätzen.Kurz: Zur Lösung von Blitzschutzproblemen aller Art bedurftees der Kenntnis des BUlzstroniverlaufs in allen Einzelheiten.Dazu genügte das Messen von Ueberspannungen, zudem meistweit entfernt vom Einschlagsort, nicht.

Der BYitzstrom kann nur am Ort des Einschlags so genau wienötig gemessen werden. Darum verliess man die Leitungen imFlachland und stieg 1938 auf die Berge, wo die Wahrscheinlich-keit, Blitze direkt erfassen zu können, grösser war. Auf fünfBergspitzen (Säntis, Pilatus, Rigi, Rochers-de-Naye und SanSalvatore) wurden nun Messeinrichtungen installiert, um dieBlitzeinschlagshäufigkeit zu vergleichen.

Bald merkte man, dass im Tessin pro Quadratkilometer undZeiteinheit die meisten Blitze auftreten, da dort die Gewitter-dichte am grössten ist. Also wurde die Blitzmessstation definitivins Tessin verlegt, und zwar auf einen freistehenden Berg, derdie höchste Einschlagswahrscheinlichkeit bietet. Der spitze

Monte San Salvatore bei Lugano war in dieser Beziehung ideal;zudem bot sich hier eine ausgezeichnete 360-Grad-Rundsichtfür photographische Rundum-Untersuchungen an, und schliess-lich erleichterte die vorhandene Seilbahn den Antransport Hertechnischen Einrichtungen.

Messstation San Salvatore

Mit Hilfe von Soldaten der Uebermittlungstruppen konnteim Januar 1943 auf dem Gipfel des 915 Meter über Meer gele-

genen San Salvatore mit der Montage des ersten von zwei Blitz-masten begonnen werden, eines sechzig Meter hohen Holzturmsmit einer zehn Meter langen Eisenrohrspitze, einem Ueberbleib-sel aus dem Abbruch des Stadtsenders von Bern. Dann folgte

die Einrichtung der Arbeitsräume.

Da für die Forschung sowohl Messungen als auch Photosbenötigt wurden, unterteilte man das Institut in zwei entspre-

chende Abteilungen. In der Wallfahrtskirche auf dem Gipfel

des San Salvatore fand man im Zwischenboden unter der Aus-sichtsterrasse den idealen Standort für das photographische La-bor, mit freiem Ausblick in alle Himmelsrichtungen, so dassnicht bloss die Summe aller Erdeinschläge rundum erfasst, son-dern zugleich auch deren Verteilung im Gelände registriert wer-den konnte.

Aber nicht nur für den photographischen Teil des Institutsdiente ein klerikales Gebäude. Auch die elektrische Messstationfand in einem rund 100 Meter von der Kirche entfernten Eremi-tengebäude Platz, einem ehemaligen Kloster. Also sozusagen

ein «frommes» Institut, in dem wohl keine Blitzkraftwörter fal-

Als mobiles Labor diente ebenfalls ein ausrangierter SBB- Wagen.

Mit dem dreipoligen Kathndenstrahlos;illographen wurden von 1930 bis1937 Gewittermessungen durchgeführt.

Photographisch wurde der Blitz auf zwei Arten eingefangen:

Einerseits hielten Apparate mit ruhendem Film alle nächtlichenBlitzeinschläge dokumentarisch fest. Anderseits konnte dankSpezialkameras mit rasch sich bewegenden Filmen die Entste-hung des Blitzkanals erfasst werden. Auch diese Aufnahmenwaren nur bei Nacht möglich, wobei die Nächte in den Haupt-gewittermonaten zudem relativ kurz sind. Die Photoapparate

mussten mit geöffnetem Verschluss in Bereitschaft stehen. Weildie dabei entstehende Vorbelichtung durch Stadtlicht oder Wol-ken, welche indirekt von Blitzen aus anderen Himmelsrichtun-gen beleuchtet worden waren, störend wirkte, musste der Filmalle fünf bis zehn Minuten vorgeschoben werden, auch wennkein Blitz hatte aufgenommen werden können. Mit den Jahrenwurde dieses Prozedere automatisiert und konnte zentral gesteu-

ert werden.

1962 konnte zudem eine verbesserte «Streakkamera» mitrasch umlaufenden Filmen in Betrieb genommen werden. 1967

schliesslich baute man vier sogenannte Feldmühlen ein, spe-

zielle Voltmeter, die den Verlauf der elektrischen Feldstärke aufdem Berg und in einer Entfernung von einigen Kilometern auf-zeichneten, und zwar vor und während Blitzeinschlägen aufdem Berg. Dieser Verlauf ist sehr aufschlussreich und machtinsbesondere das Annäherungstempo des Blitzes deutlich.

Das Phänomen Blitz und Donner

Als erster kam der englische Geistliche D. William Wall aufdie Idee, der Blitz sei eine Form des elektrischen Funkens. AuchStephen Gray (1666 dachte ähnlich: «si licet magnis

componere parva», und der Leipziger Physikprofessor JohannHeinrich Winkler (1703 widmete in seinen physikali-

schen Schriften ein ganzes Kapitel der Frage, «ob Schlag undFunken der verstärkten Elektrizität für eine Art des Donnersund des Blitzes zu halten sind».

Dem Amerikaner Benjamin Franklin (1706 gelang es

1752 erstmals, Elektrizität in der Atmosphäre nachzuweisen, in-dem er an einer leitfähigen nassen Schnur einen Drachen stei-gen liess und dabei aus einem angehängten Schlüssel Funkenziehen konnte. Zum Glück tat er das nicht während eines Ge-witters, sonst hätte ihn dasselbe Schicksal ereilt wie den Peters-

Wie schützt man sich vor Blitzschlag?Fusl alle Blitzunfallc ereignen

sich im Freien. Der Blitz schlagt

vor allem an Stellen ein, welche dieUmgebung wesentlich Ubcrrugcn.

Nicht nur am Einschlagsort bestehtGefahr, sondern uuch im Umkreisvon etwa dreissig Metern, lllii/un-nille sind nicht immer tödlich.Wenn ein Teil cines Blitzstromesüber den menschlichen Körperfliesst, können unwillkürliche Mus-kelreaktionen den Betroffenenmehrere Meter weit fortschleu-dern: daher sind auch Orte, woin. in in die Tiefe stürzen könnte, zumeiden. Ganz ullgcmein halt mansich am besten an die von, der Blitz-schutzkommissian des Schweizeri-schen Elektrotechnischen Vereinsaufgestellten Hinweise fUr das Ver-hallen im Freien bei Gewittern:Unbedingt :u meiden sind:

Einzelstehende Baume undBaumgruppen, Waldränder mit ho-hen Bitumen, Aussichtsturme undandere Objekte auf freiem Feld,Berggipfel und Berggrate, Freilei-tungsmasten, Kranen, Schwimm-bader und Seen (besonders derenUfer), ungeschützte Zelte undBoote mit Metallmasten, Aufent-halt neben dem Auto oder nebenWeidezäunen, Tragen Überragen-

der Gegenstande (Pickel, Ski, Fi-scherrute), Anlehnen an Felswän-de.

Wo sucht man Schul:?

In Wohnhäusern, Stahlskelett-bauten, Baracken mit zusammen-

hangenden Blechwtlndcn undin Autos mit Ganzmetall-

karosserien, Traktoren mit Metall-dach, Eisenbahnwagen, Ganzmc-tullwohnwugen, in Mctullkabincnvon Seilbahnen, Schiffen oderLastwagen, in Höhlen, wo man ste-hen kann (ohne duss der Kopf zunahe an die D e c ke kommt), im In-nern cines Waldes mit gleichmässig

hohem Baumbestand, jedoch nichtin der N a he einzelner Baume oderherabhängender Acste.Notlösungen

Im Innern von Hutten, Kapel-len, Scheunen (aber nicht an Aus-senwände anlehnen I), unter Frei-leitungen (jedoch nicht in NUhevon Masten), durch Niederhockenmit geschlossenen Fussen in Bo-denmulden, Hohlwegen oder amFuss von Felsvorsprüngen (ge-

schlossene FUssc, damit nicht viagespreizte Beine eine sogenannteSchrittspannung entstehen kann).

Was tut man hei einem Blitzunfall '

Sofern der Unfall nicht tödlich ist,

sofort mit Wicdcrbclcbungs- undErstchilfcmassnahmen beginnen:Mund-zu-Mund-Beatmung, äus-sere Herzmassage, Scitcnlagcrung.

vor Unterkühlung schützen. Ab-decken von Verbrennungen mitsauberer Gaze, sofort Arzt rufenund bis zu seinem Eintreffen mitWiederbelebungsmassnahmen fort-fahren.

burger Physikprofessor G. W. Richman im Jahre 1753, der vomBlitz getroffen wurde, als er während eines Gewitters die Stärkeder Wolkcnelektrizität zu messen versuchte.

Heute hat man den Blitz «im Griff» und kann ihn im Laborsogar künstlich erzeugen. Um zu prüfen, ob Hochspannungsap-parate einem Blitzschlag standhalten können, drückt man ihnenim Labor mit einem Stossgencrator eine normierte Blitzspan-nung auf. Allerdings sind diese künstlichen Blitze, im Gegensatz

zu den kilometerlangen Naturblitzen, im besten Fall armselige

lO-Meter-Blitze.Wie aber entsteht ein natürlicher Blitz? Im turbulenten In-

nern der Gewitterwolke werden Regentropfen und Eiskristallezerrissen. Die grösseren Teile bleiben unten, die kleineren wer-den emporgewirbelt. Dadurch trennen sich die elektrischen La-dungen. Wird die Spannung zwischen zwei Wolkenteilen oderzwischen Wolke und Boden für das Isolationsvermögen derLuft zu gross, erfolgt eine Entladung, ein Funkenüberschlag,genannt Blitz. Man unterscheidet Wolken- und Erdblitze. Dieletzteren erreichen die Erde, die ersteren nicht.

Seinen Weg bahnt sich der Blitz, indem er sich in einemkomplizierten Vorgang einen leitfähigen Kanal (Durchmesserwenige Zentimeter) bildet, den er ruckstufenartig vorantreibt,was auf den Aufnahmen mit bewegtem Film sauber dargestellt

werden konnte. Kommt diese Gleitentladung in die Nähe desBodens, schlägt ihr von unten her häufig eine Fangentladungentgegen, die den Kanal fertigstellt und damit die stromstarkeHauptentladung einleitet. Verschiedene Seitenverzweigungen

erreichen den Boden nicht und enden blind in der Luft. Nacheiner Sekundenbruchteile währenden Erholungspause können,nach Auffrischung des Kanals, weitere stromstarke Entladun-gen erfolgen, wobei die Zahl dieser Teilentladungen verschie-den gross ist.

Ueber relativ ebenem Gelände erfolgt die Kanalbildung inder Regel durch den Vorstoss negativer Ladung von der Wolkezum Boden, die lichtstarke Hauptentladung dagegen durch dasAufsteigen positiver Ladung vom Boden. Man spricht in diesemFall von einem Abwärtsblitz. Aber: «Es schlägt nicht immerein, wenn es donnert», sagt schon ein altes Sprichwort. Dastrifft zu, wenn sich ein Blitz zwischen zwei Wolken entlädt, aberauch, wenn der Blitz «aus-» statt einschlägt; denn über steilenBergen oder an hohen Türmen kann das lokale elektrische Feldso hoch werden, dass dort nicht nur die als Elmsfeuer bekann-ten Glimmentladungen, sondern richtige Blitze, sogenannteAufwärtsblitze, entstehen. Entdeckt wurden sie an einemSchiffsmast auf dem Meer, und auf dem Empire State Building

in New York wurden sie erstmals photographisch (auf raschbewegtem Film) nachgewiesen.

Auf dem San Salvatore sind bis zu 80 Prozent aller beobach-teten Blitze Aufwärtsblitze, die sich an den beiden Messtürmenbilden und zu den Gewitterwolken hinaufwachsen, das heisstihren Kanal ruckstufenartig von unten nach oben bilden. DieseAufwärtsblitze sind, im Gegensatz zu den Abwärtsblitzen, nachoben verzweigt. Meist handelt es sich um «langdauernde» Blitz-ströme, denen Stossentladungen überlagert sein können, wennder Aufwärtsblitzkanal geladene Wolkenteile erreicht. Eigent-

lich müsste man bei diesen Aufwärtsblitzen nicht von einemBlitzeinschlag in, sondern von einem Blitzoujschlag aus demTurm sprechen.

Der Blitzeinschlag ist eine Stossentladung, und zwar einGleichstromstoss. Am häufigsten schwanken die Stromstärkenvon Erdblitzen um 30 000 Ampere, können aber in seltenen Fäl-len auch mehr als 200 000 Ampere erreichen. Bei Wolkenblitzenfehlen die stromstarken Hauptentladungen, ihre Stromstärkeliegt bloss zwischen 20 und einigen 100 Ampere. Die Zahl derBlitze ist von Gewitter zu Gewitter sehr verschieden; es gibt

Gewitter mit mehreren tausend Entladungen, wovon etwa einViertel Erdblitze und drei Viertel Wolkenblitze.

Wenn ein Blitz in die Erde einschlägt, entsteht im Boden einSpannungstrichter, wobei mit zunehmender Entfernung vomEinschlagsort die Spannung abnimmt. Steht nun ein Lebewe-sen, ein Mensch oder beispielsweise eine Kuh, unter einemBaum in diesem Spannungsfeld und überbrückt die Spannungs-verteilung im Boden mit einem Schritt, führt dies zur sogenann-

Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982

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Situe ^ürrfjcr teilung WOCHENENDE SaiMUg/SonnUg, 7./8. August 1982 Nr. 181 55

ten Schrittspannung, die sich bei Vierbeinern auch beim Stehenauswirkt (zwischen Vorder- und Hintergliedmassen).

Vom «heissen» und vom «kallen» BlitzFür den Volksmund ist die Sache einfach: «Heisse» Blitze

können etwas anzünden, weil sie heiss sind, «kalte» aus demgegenteiligen Grund nicht. Die wissenschaftliche Erklärung lau-tet anders: Die Ladung (- Strom x Zeit) ist bei beiden unge-

fähr gleich. Beim «heissen» Blitz ist der Strom schwacher (nureinige 100 Ampere), dafür von längerer Dauer (einige Zehntels-sekunden bis eine Sekunde) darum hat der Blitz Zeit, etwasanzuzünden.

Beim «kalten» Blitz dauert bei gleicher Ladung derStrom nur etwa eine Tausendstelsekunde, er hat also, obschoner bis zu lOOOmal stürker ist, keine Zeit, etwas in Flammen zusetzen. Die sehr hohen Temperaturen im Funken (ca.

20 000° Celsius) bewirken eine Luftausdehnung, wodurchgrosse mechanische Kräfte frei werden, die Häuserbalken undBaume spalten und zersplittern können.

Anders ausgedrückt: Den «heissen», das heisst stromschwä-cheren Blitz kann man mit einem Schweisslichtbogen verglei-chen, den «kalten», das heisst stromstarken, mit einer Explo-

sion.Bleibt noch die Spannung: Diese ist beim Blitz unklar. Man

müsste sie zwischen Wolke und Erde messen können, dochdiese Millionen Volt kann man bloss schätzen. Messbar ist ein-zig der Strom des Blitzes, der ja auch bis zum Boden herunterund somit in Reichweite der Messgeräte kommt.

Aber auch bei anderen «Volksweisheiten» heisst es aufpas-

sen: Während die Bauernregel «Je mehr Donnerwetter, destofruchtbarer das Jahr» wohl stimmen mag, da Gewitter das fürden Pflanzenwuchs lebensnotwendige Regennass mit sich brin-gen, könnte es böse Folgen haben, wenn man sich bei Blitz-schlag an die Volksmundregel hielte: «Vor den Eichen sollst duweichen, doch die Buchen sollst du suchen.» Diese «Weisheit»stammt wohl daher, dass man Blitzeinschläge an glatten Bu-

chenstämmen stets weniger gut sah als an Bäumen mit borkigerRinde, welche beim Blitzeinschlag in grossen Fetzen weggefegt

wird. Daraus schloss man irrtümlich, Buchen würden weniger

vom Blitz getroffen. Das stimmt keineswegs. Man sollte wäh-rend eines Gewitters überhaupt nicht unter Bäume stehen,

schon gar nicht unter freistehende.

Der Donner, der auf den Blitz folgt, wird durch die mitSchallgeschwindigkeit sich fortpflanzende Druckwelle im Blitz-kanal erzeugt. Da dieser eine grosse, unter Umständen kilome-terlange Ausdehnung erreicht, entsteht ein langgezogenes Don-nerrollen, weil der Schall von verschieden weit entfernten Quel-len an unser Ohr dringt. Dazu kommt der verstärkende Echoef-fekt von Hügeln und Bergen. Man kann den Donner mit demUebeschallknall eines Flugzeugs vergleichen, nur dass diesemdas rollende Abklingen fehlt: man hört nur den doppeltenSchlag von Bug- und Heckwelle.

Hörbar ist der Donner nur in, relativ geringer Entfernung,

nämlich rund zehn .Kilometer weit. Zudem ist die Hörbarkeit,

von der Windrichtung abhängig und um. so geringer, je fascherdie Temperatur mit der Höhe abnimmt. Der Donnerschall brei-tet sich mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 330 Metern inder Sekunde aus. Aus der Zeit, die zwischen Blitz und Donnerverstreicht, kann man deshalb die Entfernung des Gewittersabschätzen. Faustregel: Anzahl Sekunden x 330. Zählt manbeispielsweise 12 Sekunden, erhält man die Zahl 3960, wasbedeutet, dass die Entfernung knapp vier Kilometer beträgt.

Das Ende einer Aera

Wenden wir uns wieder der eigentlichen Blitzforschung zu.Die Messstation auf dem San Salvatore hat unter dem Patronatder Forschungskommission für Hochspannungsfragen (FKH),gegründet vom Schweizerischen Elektrotechnischen Verein

m

(SEV) und vom Verband der schweizerischen Elektrizitätswerke(VSE), während rund dreier Jahrzehnte, bis 1972, Blitz-Grund-lagenforschung betrieben. Leiter der Station war Professor KarlBerger, zugleich Dozent für Hochspannungstechnik an derETH.

Dass die Schweizer Blitzforschung weltweite Anerkennunggenoss, beweisen die Einladungen Professor Bergers in alleWelt, von Amerika bis Japan, und seine beiden Ehrendoktorti-tel von der Technischen Hochschule München und der Univer-sität Uppsala. Noch heute «blitzen» seine Augen auf, wenn dergebürtige Rheintaler, der im kommenden November seinen 84.Geburtstag feiert, von seinem Beruf erzählt, der ihm Berufung

war. Er vergisst dabei auch nicht, seine Mitarbeiter zu rühmen,

die in der Messstation in all den Jahren die praktische Arbeitverrichteten, wie zum Beispiel der Elektrotechniker Hugo Binz,

der in den letzten zehn Jahren des Instituts als Photograph

«Blitzbilder im wahren Sinn des Wortes» schuf.

Blitzschutz ist wichtig für alle Nationen, eine zwingendeNotwendigkeit für Kraftwerke, Pulverfabriken, Luftfahrt usw.Vor allem als Störquelle elektronischer Einrichtungen hat derBlitz weltweit grosse Bedeutung. Kein anderes Land hat so vieleBlitzstrommessungen gesammelt wie die Schweiz. Sie half auchmit, die Europäische Blitzschutzkonferenz zu gründen, derheute rund IS europäische Länder angehören; sie tagt alle zweiJahre, hat sich jüngst in «International Conference on Light-ning Protection» (ICLP) umgetauft und arbeitet eng mit dem1981 von der Commission electrotechnique internationale (CEI)gegründeten internationalen Blitzschutzkomitee zusammen, dasweltweit gültige Empfehlungen für den Blitzschutz ausarbeitensoll. Wo immer auf der Welt von Blitzforschung gesprochen

wird, fällt der Name Schweiz.

Und doch ist etwas Merkwürdiges geschehen: Bis 1954 hat-ten der Elektrotechnische Verein und der Verband der Elektrizi-

w:Sende- und Blitzmessturm auf dem Gipfel des Monte San Salvatore neben Im ehemaligen Messraum des elektrotechnischen Labors auf dem San

der Wallfahrtskirche der «Bruderschaft des guten Todes». Salvatore: Faradaykäfig mit oszillographischen Einrichtungen.

Ein schöner Abwärtsblitz, erkennbar an den nach unten gerichteten Ver-ästelungen.

Typischer Aufwärtsblitz, nach oben verzweigt, austretend aus der Spitze

des Turms auf dem San Salvatore.

Das Sprichwort: «Es schlägt nicht immer ein, wenn es donnert», hat dannrecht, wenn sich ein Blitz zwischen zwei Wolken entlädt.

tätswerke das Blitzforschungsinstitut finanziert. Bis 1972 sprang

auch der Nationalfonds mit Krediten ein. Dann versiegte dieQuelle. Aufgabe der Forschungskommission war es gewesen,

den Blitz im Hinblick auf den Schutz von Gebäuden und Ein-richtungen zu erforschen; dieser Auftrag ist so gründlich erfülltworden, dass es keine neuen Forschungsaufgaben und somitauch keine Geldgeber mehr gab und gibt. Darum ist das legen-

däre, schon vor Jahren stillgelegte Institut auf dem San Salva-tore in diesem Sommer endgültig aufgehoben worden.

Es sieht aus, als sei die schweizerische Blitzgeschichte zuEnde. Doch in den letzten Jahren wurde in Florida eine Me-thode zur Lokalisierung von Blitzschlägen in 20 bis 300 Kilome-tern Entfernung dahingehend weiterentwickelt, dass auch dieStromstärke dieser Fernblitze aus ihrem Magnetfeld bestimmtwerden kann. Die Resultate dieser Fernmessmethode, die inzwi-schen auch in Norwegen und Schweden angewendet wird,scheinen mit den direkten Messwerten unserer Blitzforschung

übereinzustimmen. Wenn sich dies bestätigen sollte, hätten so-mit die schweizerischen Messwerte nicht nur lokale Bedeutung

und das wäre für die Schweizer Blitzforschung wahrlich eineschöne Belohnung.

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Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982