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Der Himmel über dem Ruhrgebiet ist wieder blau Eindrücke von der Metropole RUHR Kulturhauptstadt Europas 2010 von Ernst Käbisch

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Der Himmel über dem Ruhrgebietist wieder blau

Eindrücke von der Metropole RUHRKulturhauptstadt Europas 2010

von Ernst Käbisch

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1.) Kohle – Kühe – Kunst Die ländliche Provinz der Metropole RUHR

1.1.) Die Kluterthöhle in Ennepetal 1.2.) Breckerfeld1.3.) Der Hohenhof in Hagen1.4.) Das Berger-Denkmal in Witten1.5.) Schwerte1.6.) Der Emscherquellhof in Holzwickede1.7.) Der Maximilianpark in Hamm1.8.) Die Halde Grosses Holz in Bergkamen1.9.) Das Colani-Ei (Lüntec-Tower) in Lünen1.10.) Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop1.11.) Die Halde Schwerin in Castrop-Rauxel1.12.) Das Umspannwerk Recklinghausen1.13.) Der Balkanizer aus (Sch)Recklinghausen1.14.) Ketteler Hof in Haltern am See1.15.) Halde Hoheward / Hoppenbruch in Herten1.16.) Gahlener Kohlenweg in Dorsten1.17.) Schloss Beck in Bottrop-Kirchhellen1.18.) Dinslaken1.19.) Xanten am Niederrhein1.20.) Rheinfähre Walsum-Orsoy1.21.) Kloster Kamp in Kamp-Lintfort1.22.) Die Halde Rheinpreußen in Moers1.23.) Die Halde Norddeutschland in Neukirchen-Vluyn1.24.) Rheinhausen1.25.) Das Dorf Bissingheim in Duisburg1.26.) Der Entenfang in Mülheim an der Ruhr1.27.) Kloster Saarn in Mülheim a.d. Ruhr1.28.) Schloss Landsberg in Ratingen1.29.) Hochwasser in Essen-Kettwig1.30.) Das Ruhr-Atoll in Essen1.31.) Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen1.32.) Die Henrichshütte Hattingen1.33.) Hattingen, Sprockhövel, die Elfringhauser Schweiz, Schwelm

2.) GLÜCK AUF - Ruhrgebiet Die grossen Städte der Metropole RUHR

2.1) Deutsches Bergbaumuseum in Bochum2.2.) Die Heilige Barbara2.3) Zeche Hannover in Bochum2.4) Die Halde Tippelsberg in Bochum2.5.) Die Zeche Zollern in Dortmund, das "Schloss der Arbeit"2.6.) Kokerei Hansa in Dortmund2.7.) Das Büdchen2.8) Am Phönixsee und im Dortmunder U2.9.) Herkules in Gelsenkirchen2.10.) Halde Rungenberg in Buer

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2.11) Wissenschaftspark Rhein-Elbe in Gelsenkirchen2.12.) Schurenbachhalde in Essen-Altenessen2.13.) Der Mythos Kruppa.) Das Tiegelgussdenkmalb.) Das Tor zur Krupp-Stadtc.) Die neue ThyssenKrupp-Verwaltung, das Stammhaus Kruppd.) Der Krupp-Parke.) Zeche Vereinigte Helene-Amalief.) Fotografien aus zwei Jahrhunderten g.) Krupp-Familienfriedhof in Essen-Bredeneyh.) Die Siedlung Margarethenhöhei.) Siedlung Heimaterde in Mülheim an der Ruhr 2.14) Stadthafen Essen, Hafen Bottrop2.15.) Die Halde Haniel in Bottrop2.16.) Siedlung Eisenheim in Oberhausen2.17.) Sternstunden – Ausstellung im Gasometer Oberhausen2.18.) St. Antony-Hütte in Oberhausen2.19.) Ruhrpark in Oberhausen2.20.) Duisburg RHEINORANGE2.21.) Dickelsbachsiedlung in Duisburg 2.22.) Im Landschaftspark Duisburg-Nord2.23.) Der Duisburger Hafen2.24.) Der Alsumer Berg in Duisburg2.25.) „Die Sonne sank, bevor es Abend wurde“

3.) RÄUME zum TRÄUMENTiger & Turtle – Magic Mountain

3.1) Tiger & Turtle und der Rheinpark in Duisburg3.2.) Auf dem Rheinturm in Düsseldorf3.3.) Mannesmann Tor 2,3 und 43.4.) Einweihung der Landmarke Tiger & Turtle im Angerpark am 13.11.113.5.) Froschenteich, Duisburg-Rahm3.6.) Der „Magic Mountain“ und der „Franzosenweg“3.7.) Markttag auf dem Hochfelder Markt

1.) Kohle – Kühe – Kunst Die ländliche Provinz der Metropole RUHR

1.1.) Die Kluterthöhle in Ennepetal

Damit habe ich am allerwenigsten gerechnet im Ruhrgebiet: Es gibt hier einen Ort, wo man ein anerkanntes Kurmittel gegen Asthma und andere Atemwegserkrankungen findet: die feuchte Luft in der Kluterthöhle in Ennepetal.

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Vielleicht macht es Sinn, so ein Buch über die Metropole RUHR in Düsseldorf beginnen zu lassen, überlege ich, während wir in der Strassenbahn 709 durch die multikulturell belebte Birkenstrasse und die fast noch quirligere Ackerstrasse in Düsseldorf-Flingern fahren. Hier habe ich auch mal 2 Jahre gewohnt. Das ist der angenehmste Bezirk von Düsseldorf. Hier ist es wie in Duisburg-Hochfeld. Viele Studenten leben hier und viele junge Leute; Arbeiter und Migranten. Eine Fortbildung zum Mediengestalter hatte ich in dieser Stadt gemacht an einer chicen Grafikschule am hinteren Ende der mondänen Königsallee. Das war prima an Apple-Computern zu lernen, wie man Internetseiten aufbaut, Videoclips erstellt und Plakate entwirft. Aber die Welt der Werbeagenturen und die oft sogar noch chicere Welt der Künstlerateliers in Düsseldorf ist einfach nicht so die meine. Da fühle ich mich nicht zuhause.

Inzwischen ist die Strassenbahn bis zum Worringer Platz gekommen. Hier ist ein grosser Verkehrsknotenpunkt der Stadt und ein für Düsseldorf eigentlich untypischer Schandfleck. Hier trifft sich nämlich die Düsseldorfer Junkie- und Alkoholikerszene. Die meisten dieser Menschen sind obdachlos. Und ein Stück nebenan ist das Düsseldorfer Rotlichtviertel und der Strassenstrich. Im Hauptbahnhof ist davon überhaupt Nichts mehr zu spüren. So einen chicen Bahnhof findet man nirgendwo in der Metropole RUHR. Selbst der Essener HBF fällt nach seiner aufwändigen Renovierung zum Kulturhauptstadtjahr gegenüber dem schon vornehm wirkenden Düsseldorfer Bahnhof ab.

In Schwelm steigen wir aus dem Regionalzug in Richtung Hamm (Westfalen). In dieser kleinen Nachbarstadt von Wuppertal sind wir bereits im Ruhrgebiet. In dem gemütlichen Cafe neben dem Bahnhof kaufen wir noch einen sehr preisgünstigen „Kaffee Creme“ und einen Donut. Auf dem Ladenschild sehe ich, dass der Besitzer ein Türke ist. Man liest hier die „Westfälischen Nachrichten“ und eine weitere Zeitung, die „Westfälischer Anzeiger“ heisst. Kaum sind wir aus dem Cafe raus, kommt schon der Bus nach Ennepetal. Das ist ein Schnellbus, mit dem wir schon 3 Stationen weiter am Ennepetaler Busbahnhof sind. Und von da ist es nur ein kurzer Fussweg bis zur Kluterthöhle. Auch hier haben wir Glück, dass die nächste Führung bereits in einer viertel Stunde ist. Es fängt nämlich gerade an zu regnen. Auf einem Plakat neben der Höhle sehe ich endlich mal eine Bestätigung, dass wir hier in der Metropole RUHR sind. Da ist nämlich das Logo der Kulturhauptstadt RUHR.2010 zu sehen. Daneben wird über eine Kunstaktion berichtet, die „Kohle, Kühe – Kunst“ heisst und letztes Jahr im Kulturhauptstadtjahr in den 4 Städten des Ennepe-Ruhr-Kreises Ennepetal, Gevelsberg, Sprockhövel und Schwelm stattfand.

30 Leute sind wir zur Führung, davon sind über die Hälfte kleine Kinder. Die Leiterin der Höhlenführung ist eine junge Studentin. Sie erzählt, dass sie direkt über der Höhle oben auf dem Klutertberg wohnt. Die Berge sind hier um die 400 Meter hoch. Iim Nachbarort Breckerfeld gibt es sogar einen Skilift. Die Höhle ist eng und es gibt hier 360 Gänge, erfahren wir von der jungen Frau. Das Gebiet der Höhle erstreckt sich auf einer Fläche von nur etwa 2 Fussballfeldern. Manchmal muss man den Kopf einziehen, aber es gibt auch grössere Räume. Ein Raum heisst „Kirche“ und tatsächlich haben hier einstmals Menschen Messen gefeiert. Dann gibt es einen kleinen See , bei dem man zuerst garnicht sieht, dass das Wasser ist; erst nachdem die Leiterin der Führung mit einem Stock die Wasseroberfläche berührt. Das Wasser ist ganz klar und das einzige Höhlenlebewesen lebt drin. Das ist eine kleine Krebsart. Nur an einer Stelle sieht man die in solchen Höhlen berühmten Stalakmiten oder sind es Stalaktiten? Wir erfahren, dass es hier viel mehr davon gab. Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Klutert-Höhle aber für alle Menschen jederzeit frei zugänglich und da haben sich Viele hier Souvenire mitgenommen.

Etwa eine Stunde dauert die Höhlenführung. Als wir gehen, sehen wir noch echte Höhlenbewohner, die auf Liegestühlen in der Höhle liegen ? Nein, tatsächlich gibt es hier eine Therapie für Menschen mit Asthma und anderen Atemwegskrankheiten. Die feuchte Luft der Kluterthöhle ist ein tatsächlich anerkanntes Heilmittel dagegen. Wir gehen dann noch durch die Ennepetaler Fussgängerzone, die

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jetzt am Samstagnachmittag öde und menschenleer wirkt zum Busbahnhof und steigen in den nächsten Bus, der nach Hagen fährt. In Ennepetal-Voerde werden wir durch eine grosse Seilscheibe vom Förderturm einer ehemaligen Zeche, die als Denkmal vor einen Industrieneubau steht, wieder daran erinnert, dass das hier ja das Ruhrgebiet ist. Und in Hagen, was ja als nicht-so-schöne Stadt gilt, ist es zuerst wunderbar mit all den bewaldeten Hügeln ringsum, den vielen Gründerzeithäusern. Erst zur Stadtmitte hin nimmt die Zahl der hässlichen, manchmal fast monströs wirkenden Metallverarbeitungsbetriebe zu; die verwilderten Brachflächen und die Plattenneubauten aus der Nachkriegszeit. Am Hagen HBF kaufen wir Tim am Eiscafe „Dolomiti“ ein Eis. Nur an einem Tisch wird ein Geburtstag gefeiert; sonst ist das Cafe leer. Vom Cafe aus gesehen, sieht der Vorplatz des HBFs, der Berliner Platz, direkt angenehm aus trotz all der hässlichen Plattenbauten. Der einzig ansprechende Bau am Platz ist das barocke Bahnhofsgebäude.

Auf der Rückfahrt gehen wir noch ein bisschen durch Düsseldorf zur Strassenbahn 712, die nach Ratingen fährt: Dazu bummeln wir durch die Immermannstrasse, wo das japanische Viertel mit Sushiimbissen und japanischen Geschäften ist an den Schadowarkaden mit all den teuren Boutiquen vorbei zum Jan-Wellem-Platz mit dem 3-Scheiben-Hochhaus. Das ist ein Kontrastprogramm zu Hagen. Am 3-Scheibenhochhaus zwischen dem Tausendfüßler und dem Schauspielhaus prangt schon längst nicht mehr das ThyssenKrupp-Logo. Die Zeit, wo Düsseldorf der „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ war, ist vorbei.

1.2.) Breckerfeld

In der kleinsten der 53 Städte der Metropole RUHR, die auch eine Hansestadt ist, fühlt man sich wie in eine längst vergangene Zeit versetzt.

Die dreiviertel Stunde Wartezeit auf den Bus vertreibe ich mir im Cafe neben dem Schwelm Bf und dem Schwelmer Busbahnhof. Während ich einen „Kaffee Creme“ trinke (für nur 1,30 Euro) und Schinkenbrote (mit Salatblatt und Tomatenscheibe) für nur je 1 Euro esse, setzen sich sechs ältere Südländer an die Nachbartische. Offensichtlich sind es aber keine Italiener, wie ich zuerst annehme. Die Wortfetzen, die ich von ihren Gesprächen mitbekomme, scheinen slawisch zu sein.

Der Bus fährt durch die bergige Landschaft des südöstlichen Ruhrgebiets mit teilweise über 400 Meter hohen Bergen, wo im Vergleich zu Ratingen sogar noch hier und da etwas Schnee liegt. Dennoch scheint die Ennepe, die durch das (Ennepe-)tal fliesst, Hochwasser zu haben wie so viele Flüsse und Bäche in Deutschland z.Zt. Auch die Wupper in Wuppertal, wo der Regionalzug durchfuhr, ist derzeit ein reissender Strom.

Hier im Übergang von Bergischem Land zum Sauerland hat man richtig Natur pur. Hier gibt es weite hügelige Felder, soweit das Auge reicht und dichte Wälder. Im Ort Ennepetal sieht man an vielen Stellen buntangemalte knapp 2 Meter hohe Fuchsskulpturen. Sicher leben viele dieser scheuen Raubtiere hier in den Wäldern.

Breckerfeld ist eigentlich nicht mehr als ein Zusammenschluss von mehreren Dörfern. Insgesamt zählt diese kleinste der 53 Ruhrgebietsstädte keine 10.000 Einwohner. Es ist kaum zu glauben, dass hier im letzten Jahr auch die Kulturhauptstadt Europas stattfand. Breckerfeld hat(te) wohl auch Stahlwerke, es wirkt aber mehr wie ein Erholungsort, aber doch ein sehr verschlafener. Nirgendwo sehe ich die üblichen Touristenströme, Andenkenläden eines Erholungsortes. Dafür gibt es jede Menge Fachwerkhäuser und uralte Steinhäuser aus Bruchsteinen in den urig verwinkelten Gässchen; an einer Stelle steht sogar eine hölzerne Windmühle mit komplettem 4teiligen Windmühlenflügel ganz wie aus Wilhelm Buschs Zeiten. Man fühlte sich wie in eine andere Zeit

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versetzt; gäbe es nicht auch hier Supermärkte, Restaurants. Auch hier sind das hauptsächlich migrantische, italienische etwa. Im Bus fuhr vorhin eine mehrköpfige indische Familie mit und einen Asiashop sehe ich...

Und eine ganz spezielle Besonderheit hat Breckerfeld. Das ist die massive alte aus Bruchsteinen erbaute Kirche in gotischem Stil. Das ist „die einzige gotische Basilika in Westfalen“, wie ich lese. Es ist eine evangelische Kirche und sie heisst St.Jacobus. Die Türe ist offen und ich gehe für ein paar Momente in den wie bei allen protestantischen Kirchen auf den ersten Blick spärlich geschmückten Innenraum. Aber das täuscht, denn beim genaueren Hinsehen sieht man überall kleine Skulpturen, Gemälde; zahlreiche Kleinode, die sich meist auf den heiligen Jacobus beziehen...

Ein Stück oberhalb der evangelischen ist eine viel kleinere Kirche in diesem idyllischen Ort, die katholische Kirche, die ebenfalls St.Jacobus heisst. Diese hübsche kleine Kirche wird gerade restauriert, um das Gebäude herum stehen Gerüste und die Tür ist geschlossen. Hier in Breckerfeld führt auch einer der Jakobus-Pilgerwege über Köln nach Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens entlang.

1.3.) Der Hohenhof in Hagen

In der Stadt Hagen haben wir uns im Kulturhauptstadtjahr 2010 einen sehenswerten Ankerpunkt der „Route der Industriekultur“, den Hohenhof, angeguckt:

Die Stadt Hagen ist krass und gewöhnungsbedürftig. Man erwartet jedenfalls etwas ganz Anderes, wenn man mit dem Regionalzug von Düsseldorf hierhin fährt. Auch hier ist noch Bergisches Land. Ringsum sind bewaldete Hügel und es ist nicht mehr weit bis zum Sauerland. Der Hagen HBF wirkt altertümlich aber auch sehr vernachlässigt und renovierungsbedürftig. Der trostlos wirkende Bahnhofsvorplatz, der Berliner Platz, ist von hässlichen Plattenbauten umsäumt. Viele der Läden stehen leer und die Restaurants, Imbisse, Geschäfte sind türkisch, arabisch, griechisch; ein Imbiss ist philippinisch, einer indisch; einen arabischer Bäckerladen gibt es, ein türkisches Friseurgeschäft.... Auch von den am Busbahnhof auf ihre Busse Wartenden sind überverhältnismässig viele Migranten.

Einmal fährt der Bus zum Hohenhof nur in der Stunde. Auch im weiteren Verlauf wirkt Hagen ganz so, als ob es dieses krasse Urteil im GEO Spezial über das Ruhrgebiet unbedingt bestätigen müsste. Es soll die hässlichste Stadt im Revier sein (knapp vor Castrop-Rauxel und Dortmund). Weitere Plattenbauten folgen z.B. ein scheussliches düster wirkendes Hochhaus, wo die Arge (Arbeitsagentur) untergebracht ist. Man sieht nur ganz wenige alte Gebäude z.B. das Stadttheater, was dann aber direkt auffällt in seiner vergleichsweisen Schönheit. Vermutlich hatte die Stadt Hagen als Industriestandort im 2.Weltkrieg ja sehr viel an Bomben abbekommen. Und in den 50er und 60er Jahren wurde ja nicht sehr ästhetisch anzusehend (wiederauf-)gebaut. Es gibt auch vieles, was mich während unserer Busfahrt anspricht in dieser Stadt z.B. der Verlauf der Volme durch die Stadtmitte. Die Volme ist ein überraschend breiter Fluss aus dem nahen Sauerland mit wildbewegtem Wasser. Hier in Hagen mündet die Volme in die Ruhr. Es gibt überall in dieser Stadt beachtliche Steigungen und Höhenunterschiede. Teilweise sieht man mit feinmaschigen Netzen gegen Steinschlag gesicherte Felsen wie in Hochgebirgen. Auf Serpentinen fährt der Bus zum Hohenhof im Ortsteil Hagen-Ernst.

Der Hohenhof sieht fast wie ein Schloss aus. Das gar nicht grosse Gebäude ist reizvoll gelegen im Wald, aber von aussen wirkt es eher unscheinbar. Aber wenn man erst mal im Hohenhof ist, ist man doch sehr angetan von einer äusserst geschmackvollen Einrichtung. Bis ins kleinste Detail ist dieses Haus als Wohnhaus gestaltet mit Möbeln, Hausrat, Teppichen. Jede Tasse, jedes Messer, jede Gabel, jeder Stuhl, jedes Blatt Papier, ja sogar jede Linie darauf ist geschmackvoll im Jugenstildekor

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präsentiert. Das sind einfache Formen wie bei der neuen Sachlichkeit, ohne so streng zu wirken. Ornamentale Linienführungen sind charakteristisch für den Jugendstil und den Belgier Henry van der Velde, der den Hohenhof als Auftragsarbeit von dem Industriellen K.E. Osthaus, dem Folkwangmuseumerbauer als Gesamtkunstwerk entwarf und ausführte. Der weltberühmte Architekt und Designer van der Velde konzipierte und gestaltete in Paris das „Theatre des Champs-Elysees“, in Scheveningen (Holland) das Haus "De Zeemeeuw", in Berlin das „Bröhan Museum“ und das „Deutsche Historische Museum Zeughaus“ und viele andere berühmte Objekte.

Und er war detailversessen. Weltberühmt ist van der Velde auch schon allein durch die Gestaltung des Logos B in den typischen Jugendstillinien im Oval für die belgische Staatsbahn - jede Eisenbahn, die in Belgien fährt, trägt dieses Logo von van der Velde. Auch in der Strasse in Hagen, wo der Bus hält – Stirnband – sind noch weitere Van der Velde – Häuser zu bewundern. Das sind ehemalige Arbeiterhäuser, die wie der Hohenhof schlicht, aber geschmackvoll wirken.

Wir gucken uns vor der Abfahrt vom Hagener HBF, dem einzigen am Platz noch erhaltenen Vorkriegsgebäude, noch ein wenig in der Innenstadt um. Inzwischen haben wir uns etwas an Hagen gewöhnt und finden, dass es hier wunderbare Orte in der Stadt gibt. Wir gehen noch essen bei einem der zahlreichen türkischen Imbisse: Für Döner, Falaffel, Pom Döner und Getränke zahlen wir zusammen 10 Euro. Das ist ein sehr guter Preis.

1.4.) Das Berger-Denkmal in Witten

Wir fahren heute in diese Gegend des Ruhrgebiets, um den vielen jungen Menschen, die zur heute stattfindenden Loveparade in Duisburg strömen, aus dem Weg zu gehen. Dennoch treffen wir einige der Raver am Hagen HBF.

Am HBF Witten, wo wir aus dem Zug steigen, verlassen wir all die mit uns reisenden Jugendlichen, die zur heute stattfindenden Loveparade in Duisburg wollen. Zuerst hatten wir ja gedacht, dadurch dass wir über Düsseldorf, Wuppertal, Hagen... fahren, kommen wir denen überhaupt nicht "ins Gehege"; aber am Hagen HBF wollen etliche dieser gestylten und ziemlich aufgedreht wirkenden Jugendlichen in dieser Regionalbahn, die weiter auch nach Bochum und Essen fährt, mitfahren. Hier sind die Jugendlichen meist in Cliquen nach Geschlecht getrennt und scheinbar auch nach Migrantengruppen. Da gibt es z.B. türkische und russische.. Gruppen von je weiblichen oder männlichen Jugendlichen. Der ganze Zug ist voll mit den jungen Leuten. Wie mag das wohl heute in Duisburg aussehen?

Das ist aber ja nicht unser Problem. Mühelos finden wir den Weg in einer weiteren uns bisher unbekannten Grossstadt an der Ruhr zu unserem heutigen Ziel, dem Berger - Denkmal. Grosstadt ist ja nicht mehr ganz richtig. Seit 2007 ist Witten diesen Status wieder los. Nur noch etwa 98.000 Menschen leben in dieser Stadt, die auch scheinbar eine Industriestadt mit Stahlindustrie und ehemaligen Steinkohlezechen ist. Das Stadtzentrum wirkt schmucklos. Aber der "Berg" Hohenstein ist ansprechend und dieses 1902 gebaute begehbare Berger-Denkmal, was etwa 20 Meter hoch ist, sieht imponierend aus. Man hat vom Berger-Denkmal einen schönen Blick über einen der vielen Ruhrstauseen hier in Witten. Ein fantastisches altes Eisenbahnviadukt, wo wir schon zu Fuss hierher vom HBF darunterhergegangen sind, sehen wir von hier aus auch. In der Bauweise erinnert das Viadukt mit seinen Verstrebungen und Vernietungen ein bisschen an den Pariser Eiffelturm. In der Ferne soll man rechts auch den Stollen der ehemaligen Zeche Nachtigall, der ersten Zeche des Ruhrgebiets sehen. Das erkenne ich allerdings nicht. In der Zeche Nachtigall soll ein Anschauungsbergwerk wie im Bergbaumuseum Bochum sein. Hier ist auch eine Zweigstelle des LWL- Industriemuseums (für Westfalen-Lippe). Aber der Weg dahin ist uns heute viel zu weit. Das sind ja über 4 Kilometer von hier aus. Der Berg Hohenstein und die Landschaft

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ringsum sind begrünt. Eine Halde ist das hier aber nicht. Der „Berg“ ist mit richtig altem Wald bewachsen und einer der bis zu 250 Meter hohen Gebirgsausläufer des Ardeygebirges.

Es gibt einen grossen Park, weitläufige Wiesen, einen grossen Kinderspielplatz und ein Wildgehege. Auf einem Schild sind die Wanderwege des sauerländischen Gebirgsvereins angegeben! Ist das hier doch etwa schon das Sauerland? An einem Minigolfplatz am Fuss des Berges erfrischen wir uns mit einem Eis. Auf dem Rückweg zum HBF sehen wir in der Stadt Witten eigentlich nichts, was unser weiteres Interesse wecken würde. Im Gegensatz zur Nachbarstadt Hagen sind aber auch viele der Gründerzeithäuser von Anfang letzten Jahrhunderts erhalten geblieben.

Nach einem Einkauf beim Bäcker am Bahnhofsvorplatz von Hagen fahren wir heute zurück nach Düsseldorf / Ratingen und das völlig ohne Probleme. Ganz im Gegensatz zu denen, die weiter ins Ruhrgebiet hineinfahren wollen. Deren Züge haben alle viel Verspätung oder fallen sogar ganz aus wegen der Loveparade in Duisburg, die ja in einer furchtbaren Tragödie endet, wie wir dann bestürzt zuhause in den Nachrichten erfahren..

1.5.) Schwerte

Schwerte ist eine kleine Industriestadt bei Dortmund - hier beginnt das Sauerland.

Schwerte ist etwa 10 Kilometer südöstlich von Dortmund. Nach einem Besuch des noch entstehenden Phönixseegeländes in Dortmund fahren wir mal hierhin. Schwerte ist ganz überraschend garnicht so eine idyllische Kleinstadt im Sauerland mit vielen Fachwerkhäusern und romantischen Ecken wie erwartet. Direkt neben dem Bahnhof ist eine grosse Werksanlage von der Stahlfirma Hoesch, eben der Firma Hoesch, auf deren ehemaligem Eisenhüttengelände in Dortmund-Hörde jetzt der Phönixsee entsteht. Aber es ist ein durchaus interessanter Ort mit hübschen Mietshäusern aus der Vorkriegszeit für die Fabrikarbeiter und aber auch etlichen in den 50er und 60er Jahren erbauten Häusern, die natürlich eher sachliche und schmucklose Zweckbauten sind. Viel mehr als arbeiten und wohnen kann man hier wohl nicht – es gibt aber durchaus angenehme Ecken in Schwerte.

Die Bewohner sind wohl überwiegend migrantisch. Ausser Türken sind es offenbar Italiener, Polen und Menschen vom Balkan, die hier leben und arbeiten. Und diese Menschen scheinen gut in die Gesellschaft integriert mit Sportvereinen z.B.. An einem Haus weist ein Schild auf den "Schwerte Türk Spor e.V." hin. Ein paar Häuser weiter ist ein grosser türkischer Supermarkt und in einer Seitenstrasse ist eine wundervolle kleine Moschee mit hellblauem Minarett und dem in dazu passenden Pastellfarben (gelb, blau, grün) getünchten Moscheegebäude.

Ein paar Schritte nur von hier ist man dann im Grünen. Die Ruhrstrasse führt an die Ruhraue, die in Schwerte wie fast überall im Ruhrgebiet ein beschauliches Naherholungsgebiet ist. Einen Kanuverein gibt es hier und bei dem schönen Spätsommerwetter heute fahren einige Vereinsmitglieder auf der Ruhr mit ihren Booten. Wie sauber nur das Wasser ist und wieviele Fische es gibt. Gerade gestern habe ich in der Zeitung gelesen, dass es inzwischen wieder Lachse in der Ruhr gibt; sogar noch stromabwärts in Mülheim a.d. Ruhr. Zurück fahren wir ab Schwerte Bf. über Düsseldorf HBF in einem Regionalzug, der weiter nach Venlo in den Niederlanden fährt.

Eine holländische Zeitung, das holländische Pendant von "Bild", der "De Telegraaf" liegt verlassen auf einer Sitzbank im Zug. Auf der Titelseite der Zeitung ist ein grosses Foto von dem berüchtigten holländischen Rechtspopulist Wilders auf Ground Zero in New York . Selbst den konservativen Telegraaf scheint dieser Politiker zu erschrecken. Über dem Foto ist ein Bericht darüber, dass man deutliche Signale von Königin Beatrix anlässlich der anstehenden Regierungsneubildung erwartet: "Beatrix is te voorzichtig" .

1.6.) Der Emscherquellhof in Holzwickede

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Einmal waren wir im Jahr 2010 an der Emscherquelle im fast-sauerländischen Holzwickede. Viel Emscher sieht man dort aber noch nicht. Aber man kann sich Emscherwasser an der Quelle zum Trinken abfüllen !

Wir haben in Düsseldorf sofort Anschluss an den Regionalzug nach Minden, der auch über Dortmund HBF fährt. Hier steigen wir um und hinter dem Bahnhof Dortmund-Hörde sehen wir, dass inzwischen schon etwas mehr Wasser im Phönixsee ist als vor 3 Wochen, wo wir da waren. Am Bahnhof Holzwickede sieht es etwa so aus wie am Bahnhof Yorckstrasse in Berlin-Kreuzberg. Da ist eine stark befahrene Autostrasse mit mehreren Brücken drüber, wo die Eisenbahnen fahren. Das ist aber das einzige, was an Holzwickede grossstädtisch wirkt. Eigentlich ist Holzwickede nur eine einzige Strasse: die belebte, von viel Durchgangsverkehr befahrene und von schönen 2stöckigen, mit viel Stuck verzierten Mietshäusern Baujahr 1903 steht an einem dran umsäumte Hauptstrasse. Wir folgen den Hinweisschildern zum "Emscherquellhof", sind dann aber doch irgendwie falsch. Da ist an schon abgeernteten Feldern ein Ortsendeschild Holzwickede mit dem Hinweis, dass es bis Dortmund-Sölde 1 km weit ist.

Wir fragen einen hier in einem Einfamilienhaus Wohnenden, der uns freundlich den Weg rechts zur Kaserne und dann praktisch ums Kasernengelände herum beschreibt. Und schon sind wir nach einem Landspaziergang über Wiesen und Felder an einem umzäunten Gelände vorbei, wo ein gefährlich aussehender Bulle weidet (Lebensgefahr steht da an Schildern), an dem schönen Fachwerkbauernhof, dem Emscherquellhof. Die Emscher ist hier aber praktisch ja noch garnicht vorhanden. An einem Wasserhahn kann man sich Quellwasser abfüllen und ein winziges Rinnsal soll also der einstmals verschmutzteste Fluss Europas sein direkt an seiner Quelle. Ein paar Sinnsprüche sind hier auf Schildern angebracht z.B. von Isaac Newton:

Was wir wissen, ist ein Tropfen – was wir nicht wissen, ist ein Ozean.

Überwältigend ist das Alles hier nicht. Ein Stück weit weg vom Emscherquellhof wird man daran erinnert, dass man sich im Ruhrgebiet befindet und zwar ist da ein Schild mit dem Symbol der gekreuzten Hämmer und so ein eigenartiger Schacht. Auf dem Schild steht, dass das hier ein Luftschacht der ehemaligen "Zeche Margarethe" ist. Obendrein ist in diesem ländlichen Gebiet eine Flagge mit dem Logo von der Kulturhauptstadt 2010 - RUHR.2010 gehisst.

Wir geniessen unseren heutigen Ausflug ins Sauerland, was hier am Rande des Ruhrgebiets praktisch beginnt. Es ist herrliches Wetter. Nach schon kalten Temperaturen in der Nacht ist es jetzt bei klarem blauem Himmel sommerlich warm. Die meisten Cafes, Imbisse, viele weitere Geschäfte auf der Hauptstrasse von Holzwickede sind migrantisch geführt. Da ist ein faszinierend anzusehendes Chinarestaurant in einem der alten Häuser bewacht von 2 wunderschönen chinesischen Drachen als Tempelwächter. Da ist ein italienisches Restaurant und es gibt ein türkisches Gemüsegeschäft. Am meisten ist in dieser Stadt aber offenbar griechisches Essen und griechische Kultur vertreten. 4 griechische Restaurants zähle ich in dieser kleinen Stadt und die Pegasus-Buchhandlung neben dem Olympia-Grill ist auch griechisch mit blau dekoriert. Wir setzen uns bei der Gelateria nebenan an den letzten Tisch, der jetzt noch frei ist. Das ist direkt an der belebten Hauptstrasse. Schräg gegenüber ist ein Laden des "Hellweger Anzeiger"s. So heisst nach dem bekannten Handelsweg "Hellweg", der hier entlang führte, die lokale Zeitung von Holzwickede. Zwei Kirchen gibt es in der Stadt, eine größere, vermutlich die katholische ist direkt hier an der Hauptstrasse, daneben führt eine Strasse, die Emscherparkstrasse in einen kleinen Stadtpark.

Auf dem Rückweg machen wir noch kurz Station in Dortmund-Hörde und merken dabei deutlich den Unterschied von einer Kleinstadt, wo wir soeben waren, zu einer pulsierenden Grosstadt in diesem angenehmem Dortmunder Vorort am aber noch immer nicht vorhandenen "Hörder Hafen". Mit der überwiegend von türkischen/arabischen Migranten besetzten U-Bahn fahren wir zum Dortmund HBF und von dort nachhause.

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1.7.) Der Maximilianpark in Hamm

Noch bevor das Kulturhauptstadtjahr 2010 begann, waren wir mal zu Besuch im Maximilianpark. Das ist ein ehemaliges Zechengelände, wo schon mal eine Bundesgartenschau stattfand.

Kurz hinter Dortmund wird es ländlich. Wenn nicht immer wieder rauchende Schlote von Hochöfen, rostige Fördertürme von ehemaligen Zechen, alte Fabrikhallen... auftauchen würden, könnte man diese Gegend für eine ländliche Idylle mit Feldern, Wiesen mit Schafherden, Pferden, Kühen... halten. Aber auch das ist noch das Ruhrgebiet

Wir sind gegen 12 Uhr schon am Maximilianpark in Hamm. Es ist eisig kalt, aber die Sonne scheint und die Luft ist klar. Es ist ein schöner Wintertag. Wir haben nur den Wintertarif zu bezahlen und das sind für uns 3 zusammen nur 4 Euro. Dafür ist allerdings jetzt kaum etwas geöffnet. Der grosse, markante "Elefant", die ehemalige Kohlenwäsche der ehemaligen Zeche Maximilian, ist uns so auch nicht zugänglich. Dieses Gebäude wurde so in Form eines Elefanten mit Stosszähnen und sogar Augen entworfen anlässlich der 1984 hier stattfindenden Bundesgartenschau. Weiter gibt es einen wunderbaren Kinderspielplatz mit vielen schönen Klettergeräten, die sich auf das Thema Bergbau beziehen und meist so aussehen, als ob sie von dem österreichischen Künstler Hundertwasser gestaltet wären. Einen See gibt es hier mit mittendrin einer Plastik einer originalgrossen gerade in den See eintauchenden Schwanzflosse eines Wales. Eine Herde von buntbemalten Elefanten steht auf dem Gelände. Auf der Rückfahrt zum Bahnhof sehen wir dann an einigen Plätzen viele dieser Elefanten auch in der Hammer Innenstadt stehen. Im Sommer ist der Maximilianpark sicher herrlich, wenn all diese Blumenbeete in voller Pracht erblüht sind und wenn das Schmetterlingshaus offen ist. Und wenn man sich nicht beim Spazierengehen im Park fast die Finger abfriert. In einer ehemaligen Fabrikhalle ist ein geschmackvoll eingerichtetes Lokal mit dem Namen Werkstatt, wo wir derzeit die einzigen Gäste sind und uns etwas bei Kaffee und Kakao aufwärmen können.

Bei der Rückfahrt im Bus beanstandet der Busfahrer unser Ticket 2000. Er behauptet, dass hier ein Ticket des VRR-Verkehrsverbunds (Rhein Ruhr) nicht gelten würde, weil hier ja Westfalen (und nicht das Rheinland) ist und der ZRL-Tarif (ZRL= Zweckverband Ruhr-Lippe) gilt. Mit diesem schwerfälligen, sturen Westfalen ist nicht zu reden. Wir müssen für die Busfahrt in "seinem" Bus zum HBF Hamm zurück zusätzlich 4 Euro 30 Cent bezahlen. Der Mann hat aber natürlich recht, wie wir nachher bestätigt bekommen. In der Innenstadt von Hamm ist nicht viel, was uns reizt. Das sieht alles eher kleinstädtisch aus und gerade findet ein langweilig wirkender Weihnachtsmarkt statt. Im Vergleich zu den anderen Städten im Ruhrgebiet scheinen hier weniger Migranten zu leben. Von einer in Hamm lebenden Migrantin lese ich aber zufällig in dem „Hammer Stadtanzeiger“, eine kostenlose Zeitung, die überall ausliegt einen Artikel: Sie ist aus den Philippinen und hat erst kürzlich ihre philippinische Staatsangehörigkeit gegen die deutsche eingetauscht, sie sagt aber: "Integration bedeutet für mich nicht, die eigene Identität aufzugeben."

1.8.) Die Halde Grosses Holz in Bergkamen

Wir sind jetzt nicht ganz sicher, ob wir hierhin überhaupt fahren können oder ob hier schon der ZRL-Tarif gilt (ZRL= Zweckverband Ruhr-Lippe). Aber der Busfahrer in Kamen akzeptiert unser VRR-Ticket.

Zu guter Letzt finden wir doch noch den blaublühenden Lavendel und die anderen, passend zu den intensiv blauen Kuppen der Landmarken blaublühenden Pflanzen. Das ist da beim sogenannten "Korridorpark". Da ist eine steile Schneise mitten im Wald, wo es vielleicht 50 Meter oder sind es

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100 Meter? hoch geht. Jeweils unten und oben steht so eins dieser interessant aussehenden Kunstwerke. Das sind vier rostige oben aufeinander zulaufende Stahlstangen mit je zwei dieser blauen Kuppen obenauf. Und die gesamte Schneise ist mit kräftig blaublühenden und aromatisch duftenden Kräutern und Blumen bepflanzt. Nochmal klettern wir hier diesen Teil der Halde hoch . der Haldengipfel mit einer Höhe von etwa 150 Metern ist an einer anderen Stelle.

Wir kommen mit einem älteren "Ruhri", der wie so viele andere mit einem Mountainbike hochgeradelt kam, ins Gespräch. Er sagt, dass diese wunderbare Halde schon lange keine "brennende Halde" mehr ist. Gerade gestern habe ich davon nämlich gelesen. Zumindest bis 2005 galt die Halde Grosses Holz in Bergkamen als eine solche "brennende Halde". Das ist ein für die Verantwortlichen z.B. von der RAG Steinkohle unangenehmes Thema, was sie gerne umgehen möchten. Solche Brände, die entstehen können, wenn steinkohlehaltiges Gestein falsch aufgeschichtet wird, sind fast garnicht zu löschen. Die Brände können über Jahrzehnte schwelen unter Ausstoss von giftigen Dämpfen mit Temperaturen von 500 und mehr Grad Celsius. Es gibt wohl aber Möglichkeiten, Energie aus diesen Schwelbränden zu gewinnen.

Wir aber haben auch garnichts von irgendwelchen Bränden, giftigen Gasen etc. mitbekommen. Im Gegenteil waren wir bisher begeistert von einer herrlichen blühenden Sommerlandschaft und einem dichten fast urwüchsig wirkenden Wald, in dem wir uns schon fast verlaufen hätten. Oben auf dem Haldenplateau stehen auf dieser Halde keine Landmarken. Da ist nur eine Aussichtsplattform und die Landmarken sind weiter unten (z.B. beim Korridorpark). Man hat hier auf diesen fast durchgängig mit vielen blühenden Sommerblumen in allen Farben bewachsenen Wiesen einen weiten Blick ins ländliche Münsterland. Grillen zirpen, Schmetterlinge vieler verschiedener Arten flattern herum, man sieht weit in die Talebene, erkennt den Datteln-Hamm-Kanal, dahinter fliesst parallel dazu die Lippe. Fast ein Idyll, aber auf der anderen Seite des Plateaus bietet sich einem eine ganz andere Aussicht. Da ist ein Kraftwerk mit rauchenden Schloten und man sieht Fördertürme von stillgelegten Zechen. Und wenn man meint, das ist ja alles Vergangenheit, dann liegt man hier falsch. Genau hier nämlich im beschaulichen Bergkamen ist Steinkohleabbaugebiet, inzwischen ist das nur nicht mehr sichtbar für die Öffentlichkeit. In der Nachbarstadt Hamm ist eine von 4 der noch übriggebliebenen Steinkohlezechen im Ruhrgebiet, das Bergwerk Ost. Die riesigen Abbauflächen der Steinkohle erstrecken sich hier bis ins Münsterland hinein und fast bis Dortmund. Und fast ganz Bergkamen ist unterirdisch in 1000 Meter Tiefe Abbaugebiet.

An bunten blühenden Sommerwiesen vorbei und durch dichten Wald mit einem plätschernden Bach an der Seite gehen wir talabwärts. Dann hören wir Motorengeräusche. Das sind nicht wie fast erwartet die Bagger; nachwievor wird die Halde hier ja noch aufgeschüttet mit taubem Gestein aus dem Bergwerk Ost. Nein, wir sehen landwirtschaftliche Fahrzeuge von an die Halde anschliessenden weitläufigen Bauernhöfen mit Maisfeldern, Viehweiden... Ein Hahn kräht und ein paar Hunde bellen..

Wir gehen durch ein einfaches Wohnviertel in Bergkamen-Oberaden und suchen eine Bushaltestelle. Ein mittelalter Mann mit Rockerkluft, längeren Haaren und Hund erklärt uns freundlich den Weg dahin. Er erzählt davon, dass hier im Viertel nichts mehr los ist, seit die Bergbaufirmen fast alle stillgelegt wurden. Auch er scheint ein ehemaliger Bergmann zu sein. Auf einem Balkon der einfachen Reihenhäuser wachsen Pepperonipflanzen mit schon sichtbar fast ausgereiften Früchten. Der Mann sagt, das gäbe hier viele "türkische Gärten". Viele türkische Migranten wohnen hier in dieser Zechensiedlung. Er gibt uns noch den Tip, uns die Trinkhalle um die Ecke anzugucken. An der Hauptstrasse von Oberraden trinken wir noch einen Kaffee an dieser fürs Ruhrgebiet so typischen Trinkhalle. Gerade ist uns der nur einmal pro Stunde fahrende Bus zum Bahnhof Kamen weggefahren. Und wir geniessen hier die so urig und anregend wirkende Ruhrgebietsatmosphäre in diesem Arbeiterviertel. Die Trinkhalle heisst wie das Bergarbeitermotto "Glück auf". An den anderen der auf den Bürgersteig vor der Trinkhalle gestellten Tische sitzen ein paar Rentner, ohne viel zu reden. Ein paar türkische Kinder spielen an der Strasse.

Zurück fahren wir wieder mit dem Bus durch Bergkamen, es gibt viele türkische Restaurants hier;

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ein Reisebüro wirbt auf polnisch für Reisen nach Polen In der Nachbarstadt Kamen ist am mittelalterlich wirkenden Marktplatz eine Kneipe "zum weissen Rössl", direkt daneben sind ein Internetcafe und ein türkischer Imbiss. Auch ein griechisches Restaurant und eine italienische Eisdiele erkenne ich in den wunderschönen alten Fachwerkhäusern.

1.9.) Das Colani-Ei (Lüntec-Tower) in Lünen

„Das Ei“ sieht aus wie ein UFO – man würde sich nicht wundern, wenn grüne Marsmenschen aus den ovalen Fenstern hinausgucken.

Erst im Regionalzug Richtung Hamm (Westfalen) entscheiden wir unser heutiges Ausflugsziel. Es ist herrliches Wetter für Mitte November; blauer Himmel und wir haben noch garkeine Lust, aus dem mässig gefüllten Zug zu steigen. So fahren wir einfach bis Dortmund HBF mit. Und dort steigen wir um in den „Lüner“, der bis nach Münster fährt.

Am Lünen HBF bzw. am dortigen ZOB wirkt es trist und öde. Der Bus C1 Richtung Brambauer ist gerade weg. Es bleibt uns hier nur, die Wartezeit in einem überfüllten Hamburger-Restaurant zu verbringen. In einem Kiosk nebenan sehe ich, dass man hier in der Stadt die „Westfälische Rundschau“ und die „Ruhr Nachrichten“, „die größte Tageszeitung von Lünen“ liest. Und stapelweise liegt der kostenlose „Lüner Anzeiger“ für Lünen, Selm, Bergkamen und Dortmund-Nord herum. Vom derzeit in Lünen stattfindenden 22. Kinofest, zu dessen Eröffnung einige Prominenz z.B. die amtierende Ministerpräsidentin angereist kam, berichtet der erste Artikel in dem Werbeblatt. In einem der hässlichen Gebäuden am ZOB ist das Jobcenter für den Kreis Unna. Ein Wegweiser am ZOB zeigt in die City, wo es einen Laden von RUHR.2010, der ehemaligen Kulturhauptstadt, gibt.

Auch im weiteren Verlauf der Stadt wird Lünen nicht hübscher. Gelegentlich sind mal ein paar Gründerzeitmietshäuser oder Villen oder auch mal ein münsterländisches Fachwerkhaus zwischen all den gleichförmigen Neubauten.Einmal fährt der Bus über den schiffbaren Datteln-Hamm-Kanal, dann wird es in der Stadt ländlich. Und dann ist da dieses „Kraftwerk Steag“; das ist ein qualmendes Ungetüm mit riesigem Kamin wie beim Kraftwerk Walsum in Duisburg. Aber im Windschatten des Kraftwerks sind auch hier, reviertypisch, direkt kleine Häuser, Bauernhäuser, Felder und Wiesen mit Pferden und Kühen.

Von weitem schon sieht man im Stadtteil Brambauer das weisse „UFO“. Wir fragen einen hier lebenden älteren Mann, der vor seinem Haus gerade einen Anhänger an sein Auto kuppelt, nach dem Weg dorthin „zum Turm“. Er erwidert „Ach, sie meinen das Ei?“ und beschreibt uns freundlich den Weg dorthin. Etwa zehn Minuten später überholt er im Auto mitsamt Anhänger uns auf diesem Weg und beschreibt uns vom heruntergekurbelten Fenster aus noch eine Abkürzung, die wir gehen können.

Das Collani-Ei ist der Mittelpunkt eines größeren Gewerbegebiets, das „Technologiezentrum Lünen GmbH“ heisst. Der „Lüntec-Tower“, der von dem weltberühmtem Designer Luigi Collani umgestaltet wurde, gehört zu diesem schräg gegenüber liegenden, auch eindrucksvollen Industriedenkmal der ehemaligen Zeche Minister Achenbach 4. Auf das Fördergerüst der Zeche hatte Collani praktisch sein weisses Ei gelegt. Nur ein paar Fotografen gehen hier herum auf Suche nach eindrucksvollen Perspektiven vom „Ei“ und der ehemaligen Zeche. Sonst ist hier aber tote Hose. Ein „Lüntec-Cafe“ neben dem Zechenhaupthaus ist heute Nachmittag geschlossen. Und weit und breit ist hier sonst Nichts interessantes. Nicht einmal die Arbeitersiedlungen sind hier wie sonst oft im Revier direkt in der Nachbarschaft von ehemaligen Zechen interessant. Das sind hier alles nur triste mehrstöckige Neubauten wie in einer sozialistischen Neustadt.

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Und so gehen wir wieder an die Hauptstrasse von Brambauer zurück und fahren mit dem gleichen Bus C1 mit lauter Jugendlichen, die an einem Samstag offenbar raus aus ihrem Provinznest in die Grossstädte müssen, zum Lünen HBF und dann weiter zum Dortmund HBF. Wir fahren ab Lünen HBF mit einem Kurzzug, der „Der Prignitzer“ heisst. Es ist eigenartig, dass die Ansagen für die paar Bahnhöfe, wo wir Stopp machen – Preussen, Dortmund-Derne und Dortmund-Kirchderne - auch auf holländisch erfolgen.

1.10.) Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop

"Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser" soll Kaiser Wilhelm 2. anläßlich der Einweihung des Schiffshebewerks Henrichenburg 1899 gesagt haben.

Castrop-Rauxel ist eigentlich fast so, wie ich es erwartet habe. Das ist ein grosses bewohntes Gewerbegebiet im Ruhrgebiet. Aber nein; eigentlich sieht es hier garnicht so wie im Klischee vom grauen Pott aus. Direkt am HBF Castrop-Rauxel ist eine Art Marktplatz mit alten Häusern ringsum. Einige der Läden darin stehen allerdings leer. Ein türkischer Imbiss ist aus seinem Ladengeschäft ausgezogen und jetzt in einem fahrbaren Imbiss auf dem ansonsten verlassen wirkenden Platz untergebracht. Vielleicht ist es ja preisgünstiger, an dieser Stelle das Geschäft zu betreiben.? Überragt wird diese beschauliche Kulisse allerdings von einem riesigen Werk, das ein Kraftwerk oder so etwas ist, was noch in Betrieb ist. Aus einem der Schornsteine quillt weisser Rauch.

Aber kaum ist der Bus ein paar Strassen gefahren, wird es wieder ländlich. Immerhin grenzt diese Gegend hier im Kreis Recklinghausen schon ans Münsterland. Hier ist auch der Regierungsbezirk Münster. Wir fahren bis Datteln und steigen dort aus dem Bus und gehen dann ein paar hundert Meter bis in den nächsten Ort, Waltrop. Da sehen wir schon den Rhein-Herne-Kanal und ein Stück weiter ist das imposante alte Schiffshebewerk. Ein eindrucksvolles Portal steht am Eingang. Auf der kupferoxidgrünen Brücke zwischen den 2 steinernen Säulen ist ein majestätischer Kaiseradler mit goldener Krone angebracht. 1899 wurde dieses Schiffshebewerk von Kaiser Wilhelm II. feierlich eingeweiht. "Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser" soll er in seiner gewohnt pathetischen Rede dazu gesagt haben. Vieles bei diesem Museum erinnert an die deutsche Kaiserzeit.

Auf dem "Unterwasser" liegt ein Museumsschiff, die "FRANZ-CHRISTIAN", was anschaulich bis ins Detail eingerichtet ist wie damals, wo es noch Güter auf den Kanälen Europas transportierte. Da sind winzige Kajüten, wo gekocht, gegessen, geschlafen wurde. Fast noch eindrucksvoller ist es, wenn man eine Treppe auf dem Hebewerk 14 Meter hoch steigt zum "Oberwasser", wohin die Schiffe zum Dortmund-Ems-Kanal gehoben wurden. Hier rosten viele Kähne vor sich hin z.B. ein wunderschönes altes Dampfschiff mit einem grossen Schornstein. Das ist ein kleines Schiff aus Holland. FORTUNA - "het mooiste stoomship van Nederland" - steht dazu auf einem Schild geschrieben.

Heute sind die umliegenden, ans Hebewerk angrenzenden Felder weiss verschneit. Auf einer Wiese weiden Kühe, die sehen wie Bisons aus. Das Hafenbecken vom Oberwasser, um das wir einmal ganz herum gehen, ist mit einer dünnen Eisschicht bedeckt. So an die 50 alte ausgediente Kähne dümpeln hier herum. Einige der Schiffe sind bis Belgien und weiter gefahren und haben z.B. Kohlenwasserstoffe und andere Chemikalien dorthin gebracht wie das Schiff, was deswegen auch "PHENOL" heisst.

1.11.) Die Halde Schwerin in Castrop-Rauxel

In Castrop-Rauxel stellen wir fest, dass wir offenbar genau solche Städte mögen, die Autoren

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des GEO Specials über das Ruhrgebiet nicht mögen, nämlich Hagen und eben Castrop-Rauxel.

Wer behauptet, wie es im GEO Spezial zum Ruhrgebiet im Kulturhauptstadtjahr 2010 ein Autor getan hat, dass Castrop-Rauxel die zweithässlichste Stadt des Ruhrgebiets ist, kann sich nicht viel in dieser Stadt angeguckt haben. Wir jedenfalls haben in dieser Stadt einiges recht Ansprechendes und Schönes gefunden. Am Castrop-Rauxel HBF waren wir schon Anfang März, als noch Schnee lag, umgestiegen auf dem Weg zum Schiffshebewerk in Waltrop-Henrichenburg. Ein ansprechender, gepflegter viereckiger Bahnhofsvorplatz mit dreistöckigen alten, mit Stuck verzierten Häusern empfängt einen in dieser Stadt. Das türkische Restaurant an der Ecke ist jetzt fertig renoviert und der Pächter muss nicht mehr wie noch im März in einem fahrbaren Imbiss auf dem Platz seine Kunden bedienen.

Heute fahren wir mit dem Bus SB22 (ein Schnellbus) in die City zum Münsterplatz. Hier ist eine schöne alte und sehr grosse katholische Kirche. Gerade wird mit Orgelmusik und Kirchenchor eine Messe zelebriert und da bei offener Kirchentür. Heute wird wieder ein heisser Tag. Hier in der sogenannten Altstadt ist nicht so allzu viel Altes. Da scheint im 2. Weltkrieg einiges an Bomben drauf niedergegangen zu sein. Aber was erhalten geblieben ist, sieht wunderbar aus. Da sind Fachwerkhäuser, mit Stuck verzierte Villen, die beiden Kirchen. Denn es gibt natürlich auch hier eine evangelische Kirche. Die ist etwas schlichter und kleiner als das katholische Münster.

Am Busbahnhof fährt uns gerade der einmal die Stunde fahrende Bus zur Halde vor der Nase weg. Auf einem Stadtplan sehen wir, dass der Fussweg dorthin aber nicht sehr weit ist. Und so gehen wir an einem Park auf der einen Seite und Kleingärten vor einem Wald auf der anderen Seite den Schellenberg auf der Dortmunder Strasse hinauf, bis wir den Ortsteil Schwerin erreicht haben. Hier ist eine typische Bergarbeitersiedlung (der ehemaligen Zeche Schwerin). Das sind schöne alte 2- oder 3-stöckige Villen. Manche sind quasi im Original "erhalten", d.h. noch völlig kohlenstaubgeschwärzt. Viele der Villen sind aber auch frisch in freundlichen Farben getüncht, sodass man eine Vorstellung davon hat, wie schön die ehemaligen Bergleute hier gewohnt haben müssen. Auch jetzt ist das eigentlich ein angenehm wirkendes Wohnviertel. Auf den Klingelschildern sind die Namen meist türkisch, slawisch und auch französisch. Nur wenige deutsche Namen sind dabei. An einem Haus ist das Bild eines belgischen Löwen eingemeisselt. Nach dem 1.Weltkrieg war das Ruhrgebiet ja einige Jahre von Frankreich und Belgien besetzt. Eine Moschee gibt es und die meisten Geschäfte, Cafes, Trinkhallen.. hier sind von türkischen Migranten gepachtet.

Auf der Bodelschwinghstrasse, kurz vor der Stadtgrenze zu Dortmund, sehen wir dann den Weg zur Halde. Wie bei anderen Halden ist hier am Fusse dichter Wald. Meist sind es Birken, aber auch Ahorn, Erlen...und schon nach kurzer Wanderung hat man hier den Haldengipfel erreicht mit oben der üblichen Mondlandschaft aus kohlehaltigem Gestein und sehr spärlichem Pflanzenbewuchs und dem üblichen Kunstwerk als Landmarke auf dem Haldengipfel. Hier sind das sind so ein paar stählerne im Kreis angeordnete Stangen mit einer Sonnenuhr zwischendrin. Eigentlich ist das ja erst einmal eine Enttäuschung. Auch sind die Bäume inzwischen schon so hoch gewachsen, dass sie an einigen Stellen den aber auch hier bemerkenswerten Panoramablick verdecken. Allerdings erkennen wir nicht soviel an anderen Sehenswürdigkeiten im Ruhrgebiet wie sonst. Lediglich die Halde Hoppenbruch in Herten, die mit den markanten geschwungenen Stahlbögen, die offenbar eine der höchsten Halden im Revier ist, können wir ausmachen. Im Süden und Osten sieht man nach Dortmund hinein und da kennen wir uns fast garnicht aus.

Aber was schliesslich heisst schon Enttäuschung hier in einer mich eigentlich sehr faszinierenden Stadt. Wie so oft ist diesmal eben der Weg das Ziel. Zurück von der Halde gehen wir zu Fuss bergab den Schellenberg hinunter. Am Fuss des Berges liegt ein weiteres eindrucksvolles Industriedenkmal, das "Haus Goldschmieding". Das ist ein prächtiges Schloss am Rande des Waldes. Das ist der ehemalige Wohnsitz der irischen "Zechenbarone" der Zechen Hibernian, Shamrock und Erin, wie ich auf einem Schild lese.

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In der Altstadt von Castrop-Rauxel setzen wir uns noch zu Kaffee, Bier und Apfelsaft in den besten und altstädtischsten Biergarten der Altstadt; den von einem schönen Fachwerkhaus von 1818, wo jetzt das italienische Restaurant und Cafe Martins drin ist. Nebenan ist, ebenso in einem schönen alten Haus ein asiatisches, vermutlich chinesisches Restaurant. Hier und mit all unseren Eindrücken von Castrop-Rauxel, jetzt dem italienischen Ambiente und den asiatischen Eindrücken von nebenan hat man mal wieder viel mehr ein Urlaubsgefühl als den Eindruck, im hochindustrialisierten bzw. von Hartz4 geplagten Ruhrpott zu sein. GRAZIE DELLA VISITA E CIAO steht auf dem Bon, den wir nach dem Bezahlen erhalten.

Auf dem Rückweg nach Ratingen zuerst im Bus nach Bochum sehen wir an mehreren Stellen das heute stattfindende "Stilleben auf der A40" mit der längsten Tafel der Welt. Auf fast der ganzen Strecke der A40, des Ruhrschnellwegs (in der Umgangssprache auch oft Ruhrschleichweg genannt) von Duisburg bis Dortmund, ganze 65 Kilometer lang ist die eine Fahrspur heute für den Autoverkehr gesperrt. Es sind Tische aufgestellt, wo irgendwelche Aktionen statffinden. Z.B. habe ich gelesen, dass in Duisburg-Kaiserberg viele Frauen mit weissen Brautkleidern aus den Brautmodegeschäften aus Duisburg-Marxloh sich darstellen.

Aber irgendwie sieht uns das schon von weitem vom Regionalzug sehr nach viel zu grossen Menschenmassen, Hektik, ja Stress aus. Wer es halt mag. Wir haben heute aber auch unseren Spass gehabt.

1.12.) Das Umspannwerk Recklinghausen

Auch in Recklinghausen besuchten wir einen der Ankerpunkte der Industriekultur im Kulturhauptstadtjahr – das Umspannwerk Recklinghausen.

Am Recklinghausen HBF sieht es zuerst fast idyllisch aus. Da stehen Fachwerkhäuser am Bahnhof. Man sieht in eindrucksvolle alte Strassenzüge, aber im weiteren Verlauf während der Busfahrt lässt das stark nach. Es folgen nun graue Arbeitersiedlungen, Gewerbebetriebe, zum Teil sind es stillgelegte, in manchen wird aber offenbar auch noch gearbeitet. In der Hauptstrasse, die wir dann im Bus entlangfahren, ist dann ein ganz belebter Kiez mit vielen, hauptsächlich migrantischen, türkischen, arabischen, griechischen, italienischen, asiatischen Betrieben, Imbissen, Restaurants, Second-Hand-Geschäften, Blumenläden, Friseurgeschäften, Reisebüros...- die Bochumer Strasse ist das. Dann ganz am Ende der Stadt ist links so ein rötlicher Backsteinbau. Da steht VEW UMSPANNWERK RECKLINGHAUSEN in grossen Lettern dran.

Die Ausstellung ist ja ganz nett. Es ist z.B. eine alte Strassenbahn aus den 20er oder 30er Jahren ausgestellt. Es gibt viele elektrische Alltagsgegenstände aus den 50er und 60er Jahren zu sehen. Im 1. Stock des Gebäudes sind mehrere Räume ganz im "Gelsenkirchener Barock" eingerichtet mit Wohnzimmer, Esszimmer, Küche, Fernsehzimmer.... Es gibt ein kleines Kino, wo gerade alte Werbefilme für Kühlschränke gezeigt werden. Dann ist da eine Ecke, wo ältere Computer ausgestellt sind wie Commodore 64 oder Atari. Es sind sogar alte Rechner mit klassischen Computerspielen wie Pacman und Tetris für die Öffentlichkeit zum Spielen aufgebaut. Ebenso gibt es einen alten Flipperkasten, ein elektrisches Klavier, alte Jukeboxen...

Interessanter aber noch als die Ausstellung und das Museum ist hier die Umgebung, das Umfeld. Als wir das Umspannwerk wieder verlassen, kommt die Sonne heraus. Die Bochumer Strasse sieht interessant aus und so gehen wir an dem Werk vorbei zur Emscher, die nur ein kleines Rinnsal hier ist. Direkt dahinter fliesst der viel breitere Rhein-Herne-Kanal. Fliesst ein Kanal eigentlich? Das ist doch nur etwas Künstliches. Aber künstlich wirkt eher der schnurgerade Flusslauf (so schmal wie der ist, sieht es eher wie ein Bach aus) der Emscher. Hier am Kanal ist auch der nicht sehr grosse Recklinghausener Stadthafen. Jemand hat hier versucht, ein Szene-Lokal mit Strandkörben und Sandstrand zu etablieren, aber offenbar erfolglos. Kein Mensch ist da zu Gast bei dem schönen

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Wetter heute Das ist kein Wunder, denn hier ist schliesslich nicht Düsseldorf.

Auf der anderen Seite vom Rhein-Herne-Kanal beginnt dann bereits die Stadt Herne - die Bochumer Strasse heisst nun im weiteren Verlauf Bahnhofstrasse; der belebte und zum grossen Teil migrantische Charakter der Strasse setzt sich aber auch hier fort. An einer Bushaltestelle sehe ich, dass es nur 4 Stationen zum Bahnhof Herne sind. Bei dem schönen Wetter und der angenehmen Atmosphäre hier gehen wir natürlich zu Fuss. Ein Stück weiter ist eine U-Bahnhaltestelle und rechts ein Park, wo mittendrin ein Wasserschloss, das Schloss Strünkede, ist. Links finden wir aber erstmal einen gemütlichen türkischen Imbiss. Für zusammen 8 Euro essen wir uns an Döner, Kinder-Döner, Pommes und Getränken satt. Manchmal fragt man sich bei diesen günstigen Preisen hier im Revier, wie die Imbissbesitzer davon überhaupt leben können.

Das Schloss Strünkede ist heute verhüllt so als ob der Verpackungskünstler Christo am Werk gewesen wäre. Mich beeindruckt, dass man in so einer Stadt im Herzen vom Revier immer wieder so beschauliche Erholungsgebiete findet. Auch ein grosser Park erstreckt sich um das kleine viereckige Schloss herum.

1.13.) Der Balkanizer aus (Sch)Recklinghausen

Aus Recklinghausen stammen so bekannte Leute wie die Politikerin Renate Künast oder der Autor Thilo Sarrazin. Ebenso in Recklinghausen aufgewachsen ist „Der Balkanizer“.

Es ist ja doch ganz schön vollgeworden. Der junge Mann – Danko Rabrenovic - fängt etwas zögernd an mit der Lesung. Er sagt, dass Jugos nie so ganz pünktlich sind. Tatsächlich kommen dann noch welche zur schon geschlossenen Tür herein und setzen sich auf die Sitze der noch zusätzlich hereingestellten Stuhlreihen. An die 100 Leute sind wir hier also jetzt.

Der Autor wurde in Zagreb geboren, wuchs auf in Belgrad, verbrachte 3 Jahre in China und durch den Balkankrieg verschlug es ihn 1991 zu Verwandten nach Recklinghausen, was in der Folge immer nur Schrecklinghausen genannt wird.

Und er ist beileibe kein unbeschriebenes Blatt. Seit 6 Jahren ist er beim Funkhaus Europa beim WDR mit seiner Sendung „der Balkanizer“, wo Landsleute von ihm ihre Geschichten erzählen. Alle, die etwas zu Ex-Jugoslawien, zum Balkan sagen können, sind gerngesehene Gäste in seiner regelmässigen Radiosendung.

Und er ist zuerst zögerlich, als ihm einer seiner Gäste beim Radio sagt, er solle doch aus seinen vielen Geschichten mal ein Buch machen. Und als dieser dann nachschiebt, dass da auch schon ein Verlag interessiert ist, dass man da auch ein bisschen Geld mit verdienen kann, willigt er schnell ein. Seitdem ist er nicht nur Radiomoderator und Musiker, sondern auch Schriftsteller.

Und so vielfältig ist dann auch sein vorgestelltes Programm. Zur Gitarre singt er einleitend ein Lied aus Jugoslawien, dann erzählt er kurz seine Biografie und seine Verwicklung in den dramatischen Jugoslawienkrieg, in dessen Folge er jetzt nicht mehr der „Jugo“ ist, sondern der Ex-Jugoslawe mit serbo-kroatischen Wurzeln mit Wohnsitz in (Sch)Recklinghausen bzw. inzwischen Düsseldorf.

Und seine Geschichten hat er so ausgewählt, dass man als Deutscher oder Ex-Jugoslawe oder sonstiger Mensch einige Unterschiede der Mentalitäten erfahren kann. Zum Beispiel durch das Fluchen. Wo deutsche Flüche meist analfixiert (A...loch) sind, italienische sich auf die Kirche beziehen (Porco Dio), sind jugoslawische Flüche immer auf die Familie bezogen, speziell auf die Mutter und im besonderen auf deren Geschlechtsteil. Das jugoslawische Pendant zum deutschen A..loch – Shupak - wäre für Balkanbewohner lediglich wie ein lauwarmes Butterbrot.

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Auch wenn dem Autoren manche Dinge in Deutschland nicht so besonders gefallen z.B. das Wetter oder das immer-alles-durchorganisieren-müssende..., nach 20 Jahren in Deutschland sieht er aber auch eine Menge Nachteile in seinen Heimatländern!, denn er ist ja nur zum Teil Serbe und auch nur zum Teil Kroate. Und er mag überhaupt nicht die übriggebliebenen Relikte aus dem Krieg, wo im serbischen Pink TV, was von Slobodan Milosevic eingeführt wurde, blonde, silikonbrüstige Frauen wie aus Pornofilmen entsprungen wirkend zur Ablenkung der Menschen schwachsinnige Lieder sangen. Diese dümmlichen Musikstücke stehen aber leider in den serbischen Charts nachwievor ganz weit oben.

Und als Kontrastprogramm gibt er selber ein melodiöses mazedonisches Lied zum Abschluss zum Besten. Er beantwortet zum Abschluss auch noch gerne Fragen. Eine sehr politische Frage, ob Kroatien in die EU gehört, beantwortet er knapp, aber eindeutig mit Ja und er fügt hinzu, dass alle Ex-jugoslawischen Länder in die EU gehören. Damit auch dem Letzten klar wird, was der Krieg in Jugoslawien und die Zersplitterung des Landes für ein Fehler war. Dann setzt er selber noch den Schlusspunkt mit dem Statement, dass Kanzlerin Merkel und andere unrecht haben, wenn sie sagen, dass multikulti in Deutschland gescheitert ist. Und er sagt auch, dass die vielen Migranten in Deutschland dem Land gut tuen. So sehe ich das auch.

Wie zur Bestätigung dieser These begegne ich dann draussen auf der ansonsten menschenleeren Kaiserswerther Strasse Mie, Thim, Cindy und deren Mutter; unsere vietnamesischen Nachbarn, die wir inzwischen ganz selten mal sehen, weil sie den Tag immer in ihrem Hongkong- Restaurant in der Innenstadt von Ratingen verbringen. Thim, der genauso alt wie mein Tim ist, erzählt, dass er auch gut in Lego Star Wars-Computerspielen ist und was für Kunststücke Luke Skywalker, Yoda... alles können. Da kenn ich mich zwar nicht mit aus, aber Tim erzählt mir auch den lieben langen Tag von solchen Dingen.

1.14.) Ketteler Hof in Haltern am See

Das ist ein Ferienangebot vom Abenteuerspielplatz Ratingen, zum Spielepark Ketteler Hof zu einem günstigen Preis für Vater und Kind mitzufahren. Da machen Tim und ich gerne mit.

In Gladbeck muss der Bus von der Autobahn runter. Wir fahren ein Stück durch diese mir völlig unbekannte Stadt. Rechts ist eine grosse begrünte Kohlenhalde zu sehen. Hinter einem alten Freibad geht es dann zur Autobahnauffahrt in Richtung Münsterland.

Alles hier wirkt ländlich. Selbst bei der Fahrt durch das doch sehr industrialisierte Marl sieht man abwechselnd Maisfelder und Viehweiden aus dem Fenster. Aber dann ist da doch dieser gewaltige "Chemiepark Marl". Das ist scheinbar eine Stadt für sich mit unzähligen Werksgebäuden, rauchenden Schloten..., aber dann sind direkt wieder Viehweiden, Maisfelder. An einer Stelle steht direkt an der Autobahn ein interessantes Bauwerk, was wir inzwischen auch in Ratingen haben: eine Moschee mit so einem schlanken Minarett. Wir überqueren den Wesel-Datteln-Kanal, parallel dazu fliesst mäandernd die Lippe - nun sind wir im Münsterland. Der Busfahrer verpasst eine Abfahrt, muss wenden, wieder fahren wir durch Marl. An einem hohen Gebäude der "RAG Steinkohle" kommen wir vorbei. Hier in Marl ist eine weitere von 4 noch im Ruhrgebiet aktiven Kohlezechen. Mit einem riesigen Abbaugebiet, was sich bis in die Nachbarstädte Recklinghausen, Oer-Erkenschwick, Gladbeck... und auch weit hinein bis nach Haltern am See erstreckt.

Dort fahren wir hin zum Ketteler Hof (im Ortsteil Lavesum). Unterhalb von einem in über 1000

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Meter Tiefe wird nachwievor etzt auch mit dem Segen der neuen NRW-Landesregierung Steinkohle abgebaut. Die Laufzeiten der Werke wurden kürzlich sogar verlängert.

In Haltern am See ist, wo man auch hinguckt beschauliches Münsterland. Wieder hat der Busfahrer einen leichten Aussetzer. Statt direkt zum Ketteler Hof, der nur etwa 1 Kilometer von der Autobahnabfahrt ist, zu fahren, kutschiert er uns erstmal direkt auf einen dieser wundervoll altertümlichen münsterländischen Bauernhöfe mit einem uralten hölzernen Portal mit schönen Schnitzereien und gemalten Texten. Und er braucht eine Weile, um auf dem urigen Bauernhof zu wenden. Mir solls recht sein, so lernt man ja etwas von der Gegend kennen. Nur die Kinder im Bus murren allmählich.

Wir sind eine bunte, multikulturelle Gesellschaft im Bus. Wir kommen schliesslich vom Abenteuerspielplatz in Ratingens multikulturellem Bezirk West. Für je 5 Euro incl. dem Eintritt zum Ketteler Hof (der alleine kostet sonst 10 Euro pro Nase) konnten Tim und ich an dieser Fahrt teilnehmen. Wir als Deutsche sind natürlich hier klar in der Minderheit. Es sind mehrere schwarze Kinder dabei, etliche türkische und russische, eins der Kinder, was von einem deutsch wirkenden Mann zum Bus gebracht wurde, sieht chinesisch oder thailändisch aus... Auch in den Schulen in Ratingen-West sind die Schüler mit migrantischem Hintergrund ja klar in der Überzahl. Auch einer der beiden mitfahrenden Praktikanten ist ein vermutlich südamerikanischer Migrant. Und ausser einer Handvoll Elternteile so wie ich fahren noch 3 Sozialarbeiterinnen vom "ABI" (Abenteuerspielplatz) mit.

Mit einer Sozialarbeiterin komme ich während unseres mehrstündigen Aufenthaltes auf dem riesigen und schönen Ketteler Hof mit Rutschbahnen, Fahrgeschäften, unglaublich kompliziert gebauten Klettergerüsten, mit einem Wildpark, mit einem Naturlehrpfad..., ins Gespräch. Sie wohnt in Duisburg und radelt jeden Tag zu ihrer Arbeit in Ratingen. Duisburg ist eine Stadt, die ich prima finde. Das ist eine Arbeiterstadt, sagt Susanne, auch ihr gefällt es dort viel besser als z.B. das reiche Düsseldorf und sie kann unsere zahlreichen Fahrten an Wochenenden ins Ruhrgebiet nachvollziehen. Auch sie sagt, das Ruhrgebiet ist klasse. Und dass es sich lohnt, sich Städte wie Castrop-Rauxel und Herne anzugucken und auf Kohlehalden herumzuklettern. Tim hat sich mal wieder mit einem Kind angefreundet. Das geht schnell bei ihm und so kann ich mich auch einmal unterhalten. Z.B. mit der Sozialarbeiterin, die aber ihrerseits auch Kinder zu betreuen hat, mehrere sogar. Und das ist auf so einem riesigen Gelände wie hier fast wie einen Sack Flöhe zu hüten. So kommt es mir zumindest vor, der ich viele der heute mitgefahrenen Kinder noch nie vorher gesehen habe. Das geht ihr aber auch mit einigen Kindern heute so, sagt sie ganz gelassen.

Einen gewaltigen Regenschauer verbringe ich von Tim getrennt, der hat es sich irgendwo in so einem Klettergerüst gemütlich gemacht, während ich mir davor auf einer überdachten Sitzbank (unnötig natürlich) Sorgen mache. Dann ist unsere Zeit auch schon fast um - und wir gucken uns noch die Attraktionen an unserem Treffpunkt in der Nähe des Eingangs an. Da ist z.B. eine kleine Schienenbahn auf einem Blumenbeet. Da stehen lauter kleine gelbe Ortsschilder mit dem Zusatz "Kulturhauptstadt 2010" und darunter den Namen jeweils einer der Ruhrgebietsstädte. Es sind genau 53 Schilder mit jeweils anderem Ortsnamen wie z.B. "Fröndenberg", "Bönen" oder "Schermbeck"...? "Hünxe" und "Hamminkeln" sagen mir ja sogar noch etwas - das ist am Niederrhein und da waren wir kürzlich mit dem Bus durchgefahren auf dem Weg an die holländische Nordsee. És gibt natürlich auch ein Ortsschild von Haltern am See. Auf einem Schotterweg noch im Ketteler Hof stelle ich fest, dass diese schwarzen Steine da tatsächlich kohlehaltig sind. Aber klar, wir sind ja auch im Revier, in der Kulturhauptstadt 2010.

1.15.) Halde Hoheward / Hoppenbruch in Herten

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Auf dieser weitläufigen Haldenlandschaft hat man ein grandioses Naturerlebnis. Selbst ein Zugewanderter aus den bayerischen Bergen fühlt sich hier heimisch.

Die Station "Bergwerk Ewald 1 + 2", wo wir aus dem Bus steigen, liegt bereits in der Stadt Herten. Das Bergwerk sieht aus wie der Essener Zollverein, nur scheint das hier aber noch nicht zum UNESCO-Weltkulturerbe deklariert worden zu sein. Die schönen alten Werksgebäude, Backsteinbauten aus roten Steinen, bröckeln vor sich hin. Die imposanten grünen Fördertürme und riesigen Hebe-Kräne, irgendwelche total verrosteten Stahlkonstruktionen wirken unglaublich gigantisch und gleichzeitig schon verkommen. Das ist eine faszinierende Industrieruine, wie es so viele gibt im Ruhrgebiet. Das ist Zeche Ewald 1 + 2 in Herten. Nur ein Theater, ein Cafe und eine fahrbare Imbissbude versuchen, etwas vom wohl nicht so ganz bis nach Herten durchdringenden Glanz der Kulturhauptstadt 2010 zu erhaschen.

Direkt an die ehemaligen Arbeitsplätze der Kumpels schliessen sich die Halden an. Das ist eine richtige Haldenlandschaft, ein Gebirge aus mehreren Halden. Die spektakulären Kunstwerke hier sind eine Konstruktion aus riesigen geschwungenen Stahlbögen auf dem einen Gipfel und eine grosse Sonnenuhr auf einem anderen Gipfel.

Das Faszinierende hier ist zu beobachten, wie sich die Natur diese gigantisch grossen Anhäufungen von Gesteinsresten aus vielen Zechen zurückerobert. Im Laufe von Jahrzehnte haben sich auf ganz natürliche Weise durch Regen oder Sturm Landschaften gebildet. Der Fuss der einzelnen Berge ist schon mit dichtem Wald bewachsen eigentlich mit den typischen einheimischen Bäumen und Sträuchern. Da sehe ich Birken, Ahorn, Kiefern, Eichen... und Holunder, Nussbaum... An einer Stelle ist ein Areal von Wildrosen zum Schutz vor Passanten eingezäunt. Ansonsten aber sind all diese Halden wohl meist sich selber überlassen. Es gibt weiter oben Stellen, da sieht man deutlich all diese Pflanzen wachsen, wie sie überall an brachliegenden ehemaligen Baustellen wachsen durch Pollen aus der Luft von Kamille, Disteln, Flechten, Gräser.... Bei einigen wenigen Stellen hat man sicher etwas nachgeholfen, sodass hier wie bei einem Park Blumenwiesen mit Margariten, Kornblumen, Butterblumen, Mohn... das Auge erfreuen.

Und ganz faszinierend ist es an einer Stelle, wo es wie in einer Wüste oder einer Mondlandschaft aussieht. Man sieht noch auf den Wegen die Fahrspuren schwerer Kettenfahrzeuge und mehrere Hundert Meter weit sind ringsum nur Aufschüttungen von grauem bis tiefschwarzem kohlehaltigem Gestein. Wo absolut nichts wächst.

Und beim genauen Hingucken sind doch sogar hier einige wenige Oasen, wo plötzlich ein paar Flechten zwischen den dunklen Steinen wachsen, dann ist da auch mal eine halbmeterhohe Distel und auch sogar ein paar gelbblühende Stengel einer mir nicht bekannten Pflanze. Hier scheint nachwievor noch Gestein aufgehäuft zu werden. Ein Stück weiter sind aber wieder prächtige Wiesen mit sattem Grün und vielen bunten Farbtönen der blühenden Blumen dazwischen.

Einen grossartig schönen Ausblick hat man von hier aus. Ein typisches Ruhrgebietspanorama ist zu sehen. Mit vielen qualmenden Schloten und etliche ehemalige Zechen sind hier mit blossem Auge zu erkennen. Sogar den Zollverein in Essen erkenne ich und direkt vor uns ist fast greifbar auch so ein halbverrosteter Förderturm, wo wir jetzt einfach auf Verdacht mal hingehen. Dazu müssen wir über die sogenannte "Drachenbrücke", die auch über eine Autobahnstrecke führt talabwärts gehen. Der grüne Förderturm gehört zur eh. Zeche Recklinghausen 2, wie wir unten angekommen auf grossen Schildern lesen können. Da sind wir nun also in Recklinghausen. Das ist ja eine Überraschung.

Mit einem freundlichen "Einheimischen" kommen wir hier ins Gespräch über unsere heutigen "Steinfunde" von den Halden - der eine Stein ist aus Katzengold, wie er uns erklärt. Er sagt, dass er aus Bayern stammt und dass er sich in dieser "Berglandschaft" im Ruhrgebiet heimisch fühlt - das ist ja interessant.

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1.16.) Gahlener Kohlenweg in Dorsten

In (Schermbeck -)Gahlen beginnt verkehrsverbundstechnisch der VGN-Bereich (Verkehrsgemeinschaft Niederrhein). Hier dürfen wir mit unserem VRR-Ticket aber nicht mehr hinfahren.

Der Bus 726 ab dem ZOB Dorsten sollte eigentlich bis zum Beginn des „Gahlener Kohlenweg“ fahren, von dem es auf der Homepage von "Route der Industriekultur" so interessant heisst:

"Über diesen Verkehrsweg, der Ende des 18. Jahrhunderts angelegt wurde, transportierte man Steinkohle von den frühen Zechen des südlichen Ruhrgebiets mit Esels- und Pferdefuhrwerken zum westlich von Dorsten gelegenen Lippehafen bei Gahlen. Hier wurde die Kohle eingeschifft und in das Herzogtum Kleve oder nach Holland befördert."

Aber der Bus fährt am "Lippertor" über den Wesel-Datteln-Kanal, dann kurz dahinter über die Lippe Richtung Norden. Hier ist wohl nicht der Weg. An der Haltestelle "Stausee" steigen wir aus. Hier ist nur ein kleiner, von Wald umgebener See, der "Blaue See" und so fahren wir mit dem nächsten Bus direkt wieder zurück. Mit dem gleichen Busfahrer, der uns hergefahren hatte und der jetzt etwas erstaunt guckt. Die Station, bevor der Bus die Lippe wieder überquert, steigen wir einfach mal aus. Die Lippe ist ein kleiner, aber im Gegensatz zur völlig degeneriert wirkenden Emscher noch natürlich wirkender Fluss mit grünen Ufern. Auch hier sind wir im Münsterland. Nun gehen wir aber doch weiter bis zum Kanal. Da ist doch etwas mehr los. Der Wesel-Datteln-Kanal ist wesentlich breiter als die Lippe und für die Schiffahrt geeignet. Wie bei der Emscher der parallel dazu führende Rhein-Herne-Kanal begleitet der Wesel-Datteln-Kanal in seiner vollen Länge die parallel fliessende Lippe.

Ein Stück gehen wir an der Promenade des rege, auch von grossen Frachtkähnen befahrenen Kanals entlang. Gerade kommt uns ein holländischer Kahn, die "Overijssel", entgegengetuckert. Auch Sportboote fahren hier herum. Vielleicht 1 Kilometer von hier ist ein kleiner Hafen mit einigen kleineren hier vor Anker liegenden Booten mit einem Hafencafe. Sonst gibt es aber nichts Aufregendes mehr zu sehen und so gehen wir zurück und besichtigen das pittoreske Stadtzentrum der Kleinstadt Dorsten. Die Altstadt sieht etwas aus wie eine holländische Stadt. Viele alte, auch barocke Giebelhäuser wie im nahen Holland stehen in dieser noch recht intakt erhaltenen mittelalterlichen Altstadt um 2 Kirchtürme herum. In einem der alten Häuser haben wir dann endlich KOHLE . Das steht an dem Haus in geschwungenen Buchstaben mehrfach dran – ein alteingesessenes Juweliergeschäft heisst KOHLE. Am Marktplatz ist heute am frühen Samstagnachmittag noch reger Betrieb. Es gibt hier die üblichen Marktstände mit Gemüse, Obst, Blumen; Spezialitätenstände aus Griechenland, mit holländischem Käse, schlesischen (polnischen) Wurstwaren...

In einem jetzt aber schon geschlossenen Laden des Stromerzeugers RWE hängen Plakate: WIR SIND METROPOLE , RUHR.2010 - KULTURHAUPTSTADT 2010. In der Nähe des Bahnhofs ist das "Jüdische Museum Westfalen" in einem alten Gebäude untergebracht. Hier läuft zur Zeit unter dem Titel "angekommen in Bochum" eine Wanderausstellung über Lebenswege jüdischer Einwanderer. Und schräg gegenüber vom Bahnhof wachen 2 steinerne Löwen mit aufgerissenem Rachen - wie so 2 asiatische Tempelwächter - vor einem mongolischen Restaurant.

Am alten Dorstener Bahnhof verpassen wir knapp die Bahn zum Essen HBF – und so müssen wir eine dreiviertel Stunde warten. Das ist hier eine eigenartige Atmosphäre auf diesem viel zu gross wirkenden Bahnhof mit 5 Gleisen. Aber hier fährt doch nur alle halbe Stunde mal ein Zug. Der Bahnhof hier wird wohl mal bessere Zeiten erlebt haben. Die meisten der eigentlich schönen alten Bahnhofsgebäude stehen leer. Das ocker getünchte 2-stöckige Hauptgebäude ist mit Efeu und Wein bewachsen; die Pflanzen sind aber ungepflegt und kaputt wie auch das schöne Gebäude.

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Fensterscheiben sind eingeschlagen und innen stehen verrottete Möbel herum. Alles auf diesem Bahnhof wirkt trostlos und verlassen. Auch in den angrenzenden Strassen sind eigentlich ja schöne Wohnhäuser zu sehen. Auch hier sieht man, dass etliche dieser Häuser leerstehen und baufällig sind z.B. ein sehr interessantes, mit Stuck verziertes, wo die Jahreszahl 1901 eingemeisselt ist.

Und dann auf einmal ist Hochbetrieb hier auf dem Bahnhof. Ganz viele Menschen sind plötzlich da. Zuerst kommt eine solche mit Biodiesel betriebene Kleinbahn, mit der wir schon hergefahren sind. Die fährt wieder zurück nach Oberhausen, sagt der Zugfahrer auf unsere Frage. "Prignitzer Eisenbahn" steht auf dem Zug und "Gemeente Enschede, Provinzie Overijssel". Bei Wikipedia bekomme ich die Auskunft, dass diese brandenburgische Eisenbahngesellschaft eben auch ein paar Linien in NRW betreibt. Eine Linie fährt auch bis ins holländische Enschede in der Provinz Overijssel.

Kurz darauf kommt eine weitere dieser Kleinbahnen und darauf dann auch unsere aus Borken kommende Bahn, die uns dann über Gladbeck und an Movie Park, Schloss Beck, dem Tetraeder, der Zeche Prosper Haniel in Bottrop und dem Gasometer Oberhausen vorbei wieder nach Essen fährt.

1.17.) Schloss Beck in Bottrop-Kirchhellen

Schloss Beck ist wie der Ketteler Hof ein beliebter Freizeitpark. Man sieht in Ratingen oft auf Autos den gelben Aufkleber von Becki, dem Schlossgeist.

Wir hätten auf der Autobahn bleiben sollen. Dann hätten wir uns nicht so verfahren hier in Gelsenkirchen; Marl, Gladbeck..., ständig ist man in einer anderen Stadt. Aber ich finde es spannend. So erlebt man mal das Ruhrgebiet von einer ganz anderen Seite. Gelsenkirchen hat offenbar eine beschauliche Innenstadt. Wir kommen durch Schalke und fahren tatsächlich am Schalker Vereinslokal vorbei, nachher auch an der Schalker Arena. Hier wirkt alles schon etwas grauer und es passt, dass man vereinzelt Grüppchen von Leuten, meist Kindern, mit blau-weisser Schalkekleidung herumlaufen sieht. Das ist wohl, damit hier wenigstens ein paar bunte Farbtupfer sind.

Gelsenkirchen-Buer wirkt dann wie eine eigene Stadt. Nirgendwo aber ist Bottrop geschweige denn Kirchhellen oder gar Schloss Beck ausgeschildert. Da fragen wir mal in einer Tankstelle. Hier riecht es heftig von einem benachbarten Industriebetrieb. Der Tankwart ist ein junger Türke; er weiss auch nicht so genau, wie wir fahren müssen. Immerhin sagt er uns, dass wir jetzt in Gelsenkirchen-Hassel sind und das nützt uns schon was. Das ist ja ganz in der Nähe, wo wir hinwollen. So fahren wir mal in Richtung Dorsten; diese Nachbarstadt von Bottrop ist ausgeschildert. Hier wird es jetzt ganz wie man sich allgemein das Ruhrgebiet vorstellt. Da sind riesige Fabriken mit qualmenden Schloten, graue Mietskasernen und dann aber urplötzlich ist man wieder auf dem Land mit Maisfeldern und Bauernhöfen. Dann wieder sind da qualmende Schlote; da ist offenbar ein Kraftwerk. Und endlich entdecken wir ein unscheinbares Schild mit Pfeil nach rechts, wo Kirchhellen-Feldhausen draufsteht. Das wissen wir ja, dass das der Stadtteil von Bottrop ist, wo sowohl der bekanntere Moviepark als auch Schloss Beck sich befinden.

Nun finden wir schnell den Weg. Da ist dann ein grosses Plakat, wo man auch auf Niederländisch „Hartelijk welkom“ zur letzlich ja erfolgreichen Suche von Schloss Beck beglückwünscht wird. Die Eintrittspreise sind nicht niedrig. 9 Euro kostet es für Erwachsene, 8 Euro für Kinder, aber für das reichhaltige Angebot hier an Fahrgeschäften und Spielgeräten ist das mehr als berechtigt. Wir fahren (mehrmals) Achterbahn, Wasserrutsche, eine 15m hohe Rutsche, die wir schon von anderen Freizeitparks kennen, Riesenrad, Schaukeln, wir fahren Ruderboot...Und das ist nur ein kleiner Teil des hier riesiggrossen Angebots an teilweise etwas altertümlich wirkenden Spielattraktionen. Aber meist sind es sehr pfiffige Bahnen und Geräte. Hier ist zentral auf dem Gelände ein kleines gelbes

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„Schloss“, das Schloss Beck, was wir aber wie die meisten Leute hier eigentlich garnicht weiter beachten und bei jetzt angenehmem Sommerwetter links liegen lassen. Zu sehr ist man von all diesen attraktiven Spielgeräten in Anspruch genommen.

Die Zeit vergeht im Nu. Um 18 Uhr ist hier schon der offizielle Feierabend. Schade. Erst die letzten 2, 3 Stunden hat die Sonne es geschafft, alle Wolken zu vertreiben und strahlt vom frühen Abendhimmel, während Tim noch auf den Trampolins vor dem Schloss herumhüpft. Wir Erwachsenen geniessen auf Parkbänken die Sonne und die eindrucksvolle Atmosphäre. Jetzt zum Feierabend fällt nochmal auf, wie viele türkischstämmige Menschen hier sind. Viele Frauen mit Kopftüchern, ihre meist auch unverkennbar türkischen Männer, viele Kinderwagen...Alles ist hier mehrsprachig. Niederländisch für die zahlreichen Touristen aus Holland, was hier zum westlichen Ruhrgebiet ja nur einen Katzensprung entfernt ist, dann Englisch, aber die ausser Deutsch am meisten hier gesprochene Sprache ist eindeutig Türkisch. Ich schätze mal, dass mehr als ein Drittel der Kinder hier türkischer Abstammung sind. Jetzt zum Feierabend sind sie klar in der Mehrheit.

Freundlich wird man bei der Abfahrt von Schloss Beck, zweisprachig natürlich, auch auf holländisch verabschiedet. Tot ziens - Auf Wiedersehen. Ja jetzt kennen wir ja auch den Weg.

1.18.) Dinslaken

In einer gutgefüllten Kirche in Dinslaken findet eine Konfirmation statt. „Wie bei Schalke gegen Dortmund“, kommentiert ein Draussenstehender das gut besuchte Ereignis.

Unser heutiges Ziel ist Dinslaken, diese mittelgrosse Stadt nördlich von Duisburg am Rhein / an der Emscher. Wir geniessen es immer mehr, mit diesem VRR-Ticket an Wochenenden (fast) überall hin also auch mal nach Dinslaken fahren zu können. Am Duisburg HBF steigen wir um in die U-Bahn 903. Nördlich des Duisburger Hafens wird das dann eine Strassenbahn. Wir kommen am Landschaftspark Duisburg-Nord vorbei, wo wir uns schon mal diese stillgelegte Eisenhütte Meiderich angeguckt hatten. Von der Bahn aus sieht das interessant aus mit dieser gewaltigen Industrieruine im Hintergrund. Davor sind Wiesen, Felder mit Kühen, Pferden, Schafen. Ganz interessant wird es dann in der Weseler Strasse hinter dem Stadtteil Hamborn. Etliche türkische Geschäfte mit Brautmode sehen wir, unzählige weitere türkische Geschäfte und Menschen. Unverkennbar fahren wir durch den berühmten Duisburger Stadtteil Marxloh. Nur die Moschee kann ich nirgends entdecken. Und dann ist da wieder so ein grosses Industriewerk mit rauchenden Schloten. Hier ist schon der nördlichste Duisburger Ortsteil Walsum und lässt das allmählich etwas nach mit den türkischen Geschäften. Man sieht jetzt auch mal chinesische Restaurants, Pizzerien. Das türkische ist hier nicht mehr ganz so dominierend wie in Marxloh.

Das 72.000 Einwohner zählende Dinslaken ist auch natürlich ein ehemaliger Kohlezechenstandort, ein Teil des Ruhrgebiets, auch wenn das hier nicht so aussieht. Dinslaken gehört bereits zum Kreis Wesel und das ist schon Niederrhein, auch verkehrsverbundstechnisch. Hier ist die Grenze, wo wir mit unserem Ticket 2000 noch hinfahren können. Um nach Wesel oder Xanten zu fahren, müssten wir schon kräftig draufzahlen. Zahlreiche Gewächshäuser mit blühenden Blumen erinnern in Dinslaken schon an die nahe Grenze zu Holland. An einer Stelle sehen wir einen "Euro Grill", der bietet holländische Pommes Frites sowie Döner und Pizza an.

Irgendwo in dieser Stadt mündet die Emscher, die wir an einer Stelle mit der Bahn queren, in den Rhein. Auf einem Stadtplan im idyllischen Stadtzentrum sehen wir aber, dass es viel zu weit ist zur Emschermündung. Auch zum Rhein müsste man einen grossen Weg zu Fuss gehen. So beschränken wir uns darauf, die zentral gelegene alte Burg, wo auch das Rathaus drin ist, uns anzugucken und die Fussgängerzone mit hübschen alten Häusern. Es gibt eine evangelische Kirche, in der gerade offenbar eine Konfirmation stattfindet. Etliche chic gekleidete Jugendliche stehen vor dem Eingang des alten, zu diesem Anlass sehr gefüllt wirkenden Kirchenbaus. „Wie bei Schalke gegen

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Dortmund“, kommentiert ein draussen stehender mittelalter Mann. Und es gibt natürlich auch in dieser Stadt eine minimal grössere (als die evangelische) katholische Kirche.

Auf der Rückfahrt steigen wir einfach mal an einer Haltestelle in Duisburg-Marxloh aus. Hier gibt es wirklich fast ausschliesslich türkische Geschäfte. Z.B sind das viele Brautmodegeschäfte. Dafür ist Marxloh ja berühmt. Marion guckt mal, was so ein Brautkleid kostet. So ein Kleid mit viel eingewobenen Goldfäden kostet 1.700 Euro. Es gibt ein Geschäft, da steht etwas von Marxloher Löwen 08 dran. Ich gucke hinein und sogar das ist ein türkisches Cafe, das ist offenbar von einem türkischen Sportverein betrieben. Es ist hier tatsächlich ganz wie in einer türkischen Stadt. Die ganze Infrastruktur ist türkisch ausser mal Werbetafeln für z.B. deutsche Supermärkte oder für die Kulturhauptstadt Europas. RUHR.2010 dann natürlich und nicht etwa ISTANBUL.2010.

Und da wir die berühmte Moschee bisher immer noch nicht entdeckt haben, fragen wir einen Passanten nach dem Weg. Natürlich ist das auch ein Türke. Alleine hätten wir die Moschee nicht gefunden, immerhin ist sie kleiner, als ich sie mir vorgestellt hatte. Aber imponierend genug, wie wir nach einem Rundgang um das sehr schön orientalisch wirkende Gebäude feststellen. Innen kann ich einen Blick auf den riesigen Gebetsraum erhaschen.

1.19.) Xanten am Niederrhein

Im Zug von Xanten erfahre ich, dass ein Anschlussticket und das VRR-Ticket 2000 zusammen noch nicht als gültige Fahrkarte im VGN-Verkehrsverbund gilt. Das kostet mich noch ein erhöhtes Beförderungsentgelt von 8 Euro.

Schon beim VRR-Büro in Ratingen wundere ich mich, dass man mir kein Anschlussticket zum Ticket 2000 nach Xanten verkaufen kann. Und so löse ich am Ticketautomat am Düsseldorfer Flughafenbahnhof ein Anschlussticket für 2 Euro 60. Das finde ich eigentlich schon einen happigen Preis für lediglich die 4 Stationen von Moers Bf. bis Xanten Bf.

Wenn man aus Moers rausfährt, sieht man die Halde Rheinpreussen mit dieser markanten Landmarke einer überdimensionalen Bergarbeitergrubenlampe obenauf. Danach wird es sofort ländlich. Da sind jetzt nur noch Wiesen mit Kühen, Gewächshäuser, Maisfelder, zwischendurch auf der rechten Seite wohl mal das Kraftwerk in Duisburg-Walsum und rauchende Schlote von der ThyssenKrupp-Hütte nebenan? Vermutlich. Aber ansonsten ist das eine schöne platte Landschaft, wie man sie auch im hier nahen Holland findet. An einer Stelle liegen bergeweise geerntete Zuckerrüben herum. Dann sind da Windmühlen; alte mit so einem viergliedrigen Windmühlenflügel ; aber auch diese ganz modernen Windräder mit langem Stiel. Über Rheinberg und Alpen fährt „Der Niederrheiner“ bis zur Endstation Xanten.

Was für ein Nepp ist das hier, denke ich spontan. Eigentlich ist die Stadt aber natürlich schön. Wo ich durch das historische Zentrum gehe, kommt mir allerdings erstmal eine Kolonne von uralten Treckern entgegengefahren. Und trotz ganz enger Strassen und Gassen fahren überall Autos. Unmassen von Touristen schieben sich durch die engen Gassen mit uralten Giebelhäusern wie in einer holländischen Altstadt. In jedem 2ten Haus ist ein Souvenirladen oder ein Cafe oder ein Kunstgewerbegeschäft. Es gibt hier ein Römermuseum, ein archäologisches Museum, ein Museum am imposant grossen Dom. Eigentlich scheint offenbar die ganze historische Innenstadt ein einziges Freiluftmuseum zu sein. Man muss hier wohl mal mit ganz viel Zeit hinfahren. Bei der grossen alten „Kriemhildmühle, eine funktionstüchtige uralte holländische Windmühle mit grossem sich drehendem 4teiligen Windmühlenflügel ist gegenüber eine Trinkhalle. Dort kaufe ich 2 Ansichtskarten und ein KöPi. Hier ist dann doch ein bisschen Revieratmosphäre. Die ältere Verkäuferin ist freundlich und weist mich auf Karten hin, die sie neu im Sortiment hat und die

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auch nur 40 Cent kosten. Es liegen hier bergeweise die kostenlosen „Niederrhein-Nachrichten“ für Xanten, Kleve, Geldern, Kevelaer.. aus. Am Zeitungsstand sehe ich, dass man hier die gleichen Zeitungen wie bei uns in Ratingen liest, also auch die Düsseldorfer RP, den Kölner Express – und die NRZ, die allerdings hier auch wie bei uns Neue Rhein-Zeitung heisst und nicht Neue-Ruhr-Zeitung.

An der alten Stadtmauer neben der Kriemhildmühle ist eine künstlerisch gestaltete Relieftafel mit Bild und Schrift, wo unter der Überschrift „Siegfried in Xanten“ der Beginn des Nibelungenliedes draufsteht: „Dö wuhs in Niderlanden eins edlen Küneges Kint, des Vaters der hiez Siegemunt, sin Muoter Sigelint...“

Auch hier ist aber noch das Ruhrgebiet. In der quirlig-belebten Klever Strasse ist ein Laden, da gibt es „Informationen über die Metropole RUHR mit Xanten“. Und es gibt hier Flyer, Broschüren und all die aktuellen Informationen zu Krupp, dem Essener Zollverein, dem Dortmunder U....

Im Zug erlebe ich dann eine böse Überraschung: Das VGN-Zusatzticket für 2 Euro 20, was ich in Xanten am Fahrkartenautomaten gelöst habe, funktioniert nicht mit dem VRR-Ticket 2000 zusammen als Fahrkarte erklärt mir der migrantische Schaffner. Er ist freundlich, aber er macht eben seinen Job. Geduldig erklärt er mir, wofür denn ein Zusatzticket überhaupt gut ist. Und dass der Verkehrsverband VGN ab 2012 vom VRR geschluckt wird. Naja, das nützt mir jetzt aber Nichts. Jetzt habe ich ein erhöhtes Beförderungsentgelt von 8 Euro zu bezahlen. Immerhin gelte ich so noch nicht als Schwarzfahrer. Da müßte ich sogar 40 Euro bezahlen. Fast bis nach Moers hinein ist der Schaffner in dem gutgefüllten Zug damit beschäftigt mir mein Ticket für das erhöhte Beförderungsentgelt auszustellen.

1.20.) Rheinfähre Walsum-Orsoy

Nach (Rheinberg-)Orsoy am Niederrhein fahren wir mal mit der Rheinfähre.

Die Fussballfans des KFC Uerdingen (aus Krefeld), die zum Meisterschaftsspiel ihrer Mannschaft nach Dinslaken fahren und daher mit uns zusammen in der Strassenbahnlinie 903 durch Duisburg sind, gehen allmählich auf die Nerven. Was tönt der eine Junge ironisch/sarkastisch davon, dass er schon immer mal hierhin fahren wollte, als die Bahn durch Duisburg-Marxloh fährt? Und was soll das, hier über Klein-Istanbul etc.. höhnisch zu lamentieren ? Es sind auch etliche hier im Bezirk wohnende türkische Migranten in der Bahn, die dieses Gequatsche sicher stören könnte, die das aber scheinbar gelassen ignorieren.

An der Haltestelle "Schwan" in Walsum steigen wir aus. Auf der Karte sah es so aus, als ob das so weit nicht bis zur Fähre ist. Das ist es aber doch. Plötzlich sind wir in einem kleinen Wäldchen. Wir fragen einen der vielen Radfahrer hier nach dem Weg zur Rheinfähre und bekommen freundliche Auskunft und auch gesagt, dass das noch ganz schön weit ist. Zuerst ist der Weg ja bisher noch ganz angenehm. Aber dann ist da dieses riesige Kraftwerk Walsum mit diesem weissen Ungetüm von Heizkessel oder ist es ein Kühlturm??, was schätzungsweise weit über 100 Meter hoch ist. Der Gasometer in Oberhausen ist 117 Meter hoch. Hier dieser Turm wirkt noch wesentlich gewaltiger und höher. Und wir müssen ganz um das riesige Kraftwerkgelände herum. An einer Stelle stehen zwei Steinkohle-Fördertürme, wo obendrauf einfach KOHLE steht. Auf einem Schild davor steht etwas von der Zeche Walsum geschrieben, wo die Kohle für das Kraftwerk gefördert wurde. 2008 ist diese Zeche Walsum als letzte von 6 Zechen in Duisburg stillgelegt worden. Bei heute wieder prächtigem Oktoberwetter hält uns hier in dieser gigantischen Industrielandschaft nur aufrecht, dass viele Fahrradfahrer uns überholen bzw. entgegenkommen, sonst würden uns all diese Heizkessel, Stromaggregate, surrenden Anlagen... schier erdrücken. Eine apokalyptische Welt ist das hier.

Aber endlich sehen wir den Rhein und ein Stück weiter dann auch die Rheinfähre, vor der eine grosse Schlange an Autos wartet und auch viele Fahrradfahrer. Nun sind wir mal im Vorteil. Auf der

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Fähre, die ebenso gross ist wie die von Düsseldorf-Kaiserswerth nach Meerbusch-Langst, wo also auch nur maximal 10 Autos mitfahren dürfen, können wir als Fussgänger natürlich problemlos sofort mitfahren. Nur 3 Euro kostet die Hin-/Rückfahrt für uns 3.

Auf der anderen Rheinseite ist dann ein komplett anderes Bild. Hier beginnt der Niederrhein, aber auch das hier ist immer noch Ruhrgebiet. Das Dorf Orsoy ist ein Stadtteil von Rheinberg und wirkt im Grunde idyllisch. Normalerweise ist das sicher ein ruhiges beschauliches Örtchen mit vielen alten Häusern. Es gibt auch ein paar Giebelhäuser mit geschwungenem Giebel, wie sie typisch für das Nachbarland Niederlande sind. Bei dem herrlichen Wetter heute platzt das hier aber aus allen Nähten. Die paar kleinen Cafes, Restaurants, und Trinkhallen in diesem Dorf sind bei den vielen Ausflüglern bis auf den letzten Platz besetzt. Erntefahrzeuge fahren hier auch noch herum und ein steter Strom von Ausflüglern schiebt sich durch die engen Gassen des Dorfes, während wir Kaffee und Kakao trinken.

Lange bleiben wir aber nicht hier, weil wir noch einen weiten Rückweg haben. Mit der nächsten Fähre fahren wir wieder zurück. Wir sammeln noch ein paar Muscheln am Rheinufer in Walsum und gehen dann mal einfach in Richtung der kleinen Kirche links neben dem Kraftwerk. Wir möchten uns ersparen, nochmal an diesen erdrückenden Industrieanlagen vorbeizugehen. Nachdem wir an einem grossen Hafenbecken, dem Nordhafen Walsum vorbeigegangen sind, ist dann tatsächlich da bei der Kirche ein komplett anderes Bild. Alt-Walsum ist hier; die Kirche ist die katholische St. Dionysius-Kirche; hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Es ist hier wie auf einem Dorf. Eigentlich ist es fast so wie drüben in Orsoy, nur ohne all diese Ausflügler. Ganz ruhig ist es inmitten all dieser schönen aus roten Backsteinen gebauten Gebäuden. In einem Haus mit einem hohen auch aus den roten Steinen gemauerten Schornstein war laut Aufschrift eine Wacholderbrennerei drin.

Und wir haben Glück, dass an der Bushaltestelle ein Stück weiter, wo das Krankenhaus ist, ein paar Minuten später direkt ein Bus hält. Der fährt dann zwar kreuz und quer durch Walsum, auch mal beim Revierpark Mattlerbusch, wo die Niederrhein-Thermen sind, kurz durch Oberhausen-Holten, aber so lernt man die Gegend kennen. Und Walsum ist abseits der Industriebetriebe ein offenbar angenehmer Bezirk. Auch hier wohnen viele Migranten, aber das hält sich vergleichsweise ziemlich im Rahmen. Meist natürlich sind es auch hier Türken, aber auch Italiener, Spanier, Asiaten, Afrikaner. Das kann man einfach an all den Geschäften und Restaurants im Bezirk erkennen. Ein Restaurant z.B. heisst schlicht "Zum Italiener".

Marxloh-Pollheim heisst die Station, wo wir dann aus dem Bus aussteigen. Das ist so etwas wie ein Marktplatz, der August-Bebel-Platz. Der ist rechteckig, belebt, mit alten dreistöckigen Häusern teilweise mit Stuck (von 1903 ist eines) und es ist garnicht mal so, dass hier in Marxloh alle Menschen und alle Geschäfte türkisch sind. Etliche der Passanten sehen nichtmigrantisch aus, der Optikerladen am Platz z.B. scheint deutsch zu sein. An einer Ecke ist ein Restaurant mit bayrischen Spezialitäten; an einer (leerstehenden) italienischen Eisdiele steht allerdings ein Schild, dass das Geschäft jetzt anderswo aufgemacht hat. Und sehr wahrscheinlich wird dann auch hier ein türkisches Geschäft aufmachen.

Alles andere hier ist nämlich schon türkisch. Die vielen Brautmodegeschäfte und es gibt auch entsprechende Geschäfte mit Herrenmode, Secondhandgeschäfte, Elektrogeschäfte usw. und natürlich die vielen Cafes, Restaurants und Imbisse. In den Döner-Imbiss hier am Platz gehen Tim und ich hinein und bestellen uns Döner bzw. Kinderdöner. Freundlich werden wir auf deutsch bedient und bekommen unsere leckeren Döner serviert, die wir draussen auf dem August-Bebel-Platz, wo bei dem schönen Wetter auf dem Platz Tische und Stühle aufgestellt sind, verzehren. Überhaupt nicht haben wir das Gefühl, hier in einem sozialen Brennpunktviertel zu sein. Es ist doch schön, wenn die vielen türkischstämmigen Menschen diesen Bezirk so lebendig halten. Marxloh ist ein quirlig wirkender interessanter Kiez. In der belebten Weseler Strasse steigen wir wieder in die Strassenbahn/U-Bahn 903, die uns zurück zum Duisburg HBF fährt, wo es schon beginnt, dunkel zu werden.

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1.21.) Kloster Kamp in Kamp-Lintfort

Ausser dem mittelalterlichen Kloster ist auch das noch bis Ende 2012 Steinkohle fördernde Bergwerk West in Kamp-Lintfort; eins von nur noch 3 aktiven Bergwerken im Ruhrgebiet.

Schon kurz hinter dem Stadtzentrum von Moers wird es direkt ländlich. Rechts ist dann ein für das platte Land am Niederrhein eigentlich untypischer Berg. Das ist die Halde Pattberg noch in Moers. Aber dann beginnt schon kurz danach die nächste Stadt, Kampf-Lintfort, die durch Zechensiedlungen mit gleichförmigen kleinen Häusern mit spitzem Giebel interessant wirkt. Ein paar Stationen hinter der Stadtgrenze, an der Haltestelle Kloster Kamp steigen wir aus dem SB30, der weiter nach Geldern fährt. Schon der Klosterweg, der von der Moerser Strasse abgeht, sieht museal interessant aus. Rechts und links stehen alte 2-geschossige Häuser aus der Gründerzeit oder älter. Und dann ist am Ende des Klosterwegs ein grosser rechteckiger Platz, der Abteiplatz mit ringsherum noch älteren Bauten, teilweise sind es Barockgebäude mit geschwungenem Giebel und am Kopfende des Platzes steht das Hauptgebäude vom ehrwürdig wirkenden Kloster Kamp.

Das ist die Kirche des Klosters. Die mächtige Holztür ist offen und wir gehen hinein in einen eindrucksvollen katholischen Kirchenbau mit reichhaltigem Schmuck wie Gemälden und Skulpturen von Heiligen. Überraschend ist sogar noch eine Krippe aufgebaut. Das wundert aber nur mich als Nichtkatholiken, denn in katholischen Kirchen ist es üblich, dass die Krippe oft noch bis Anfang Februar zu Maria Lichtmess aufgebaut bleibt. Hinter der Kirche erstreckt sich der weitläufige und eindrucksvolle Klostergarten mit geharkten Wegen und penibel gestutzten Wiesen, Hecken und Buchsbäumen. Ein älteres Ehepaar erzählt uns, dass das hier besonders im Sommer, wenn alles grünt und blüht, wunderbar aussieht. Aber auch heute an einem Endjanuartag sind wir beeindruckt von der Gartenanlage, die an den Garten eines Königsschlosses erinnert. Und tatsächlich steht auf einer Schautafel, dass dieser Garten zur gleichen Zeit wie das Schloss Sanssouci in Potsdam angelegt wurde. Der Baubeginn war 1742 und König Friedrich 2. war einmal zu Besuch hier und verglich den Garten mit dem Schlossgarten von Schloss Sanssouci. Da sind wir hier also ganz am anderen Ende von Deutschland am äussersten westlichen Rand vom Ruhrgebiet kurz vor der holländischen Grenze und erfahren Dinge über die alten Preussen. Gerade derzeit werden ja in Berlin und Potsdam mit grossem Pomp Feste gefeiert zum 300jährigen Geburtstag vom alten Fritz.

Vom Garten aus sieht man links in weiter Entfernung einen hohen rechteckigen Turm und daneben einen Förderturm. Das wird das Bergwerk West sein, eins von inzwischen nur noch 3 im Ruhrgebiet arbeitenden Bergwerken, nachdem am 30. September 2010 schon das Bergwerk Ost in Hamm stillgelegt wurde. Aber Ende 2012 wird nach den Plänen der Landesregierung und der „RAG Steinkohle“ auch dieses Bergwerk geschlossen. Und 2018 wird ganz Schluss sein mit der Steinkohleförderung im Revier.

Das Kloster ist ein Zisterzienserkloster; „La Route des Abbayes Cisterciennes“ steht auf französisch auf einem Schild am Kirchengebäude des Klosters. Und in der Broschüre, die in der Kirche auslag und die wir versehentlich als „Nederlandse Uitgave“ mitgenommen haben, heisst es: „Voormalige Kerk van de Cistercienser-Abdij Kamp tegenwoordig Karmelietenklooster“. Aha, Karmeliten sind jetzt hier also in dem Kloster.

Es gibt hier am Platz einen Klosterladen, ein Klostercafe, und sogar noch ein Klostermuseum, aber das wird ja viel zuviel an Eindrücken. Das ist hier offensichtlich und mich ganz überraschend ein Ort wie Xanten, wo man eigentlich viel Zeit mitbringen muss, um all die historischen Eindrücke in Ruhe aufzunehmen und auch die Eindrücke von dem hiesigen Bergwerk, das ja in weniger als einem Jahr Industriegeschichte sein wird.

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Da die Sonne noch überraschend herausgekommen ist, gehen wir nun einfach ein Stück zu Fuss in Richtung vom Stadtzentrum von Kamp-Lintfort. An der nächsten Station, wo ein „Kaffeehaus Holland“ sich befindet und dran erinnert, dass es hier nicht sehr weit bis zur Landesgrenze ist, müssen wir nicht lange auf den SB 30 Richtung Duisburg HBF warten. Vorbei an der Hochschule „Rhein-Waal“, einer Hochschule für Ingenieurwissenschaften mit Filialen in Kamp-Lintfort und Kleve und einer Schule, wo davor eine Seilscheibe eines Förderturms und eine Lore stehen und auf Schildern an „100 Jahre Bergbau in Kamp-Lintfort 2006“ erinnert wird, fährt der Bus wieder über Moers nach Duisburg.

Im Bus komme ich mit einem älteren Mann aus Moers ins Gespräch, der es kommentiert, dass der Bus nicht über die heute gesperrte Autobahnauffahrt ab Moers nach Duisburg fährt, sondern erst in Duisburg-Homberg auf die Autobahn fährt. Er ist gerade auf dem Weg nach Düsseldorf und ist sehr interessiert daran, von mir erzählt zu bekommen, was wir uns schon so Alles im Ruhrgebiet angeguckt haben. Ich erzähle ihm auch, dass ich vor Jahren gelegentlich beim Moers Jazz Festival über Pfingsten war und da gezeltet hatte. Inzwischen geht das nicht mehr mit Kind. Ratingen kennt er auch gut, am Blauen See z.B. war er mit seiner Frau schon öfter gewesen.

1.22.) Die Halde Rheinpreußen in Moers

Moers ist wie Dinslaken die Grenze der Tarifgebiete VRR und VGN. Aber innerhalb von Moers kann ich noch mit VRR-Ticket mit dem Bus fahren.

Die Halde Rheinpreußen "mache" ich heute im Alleingang. Da ich mittags in Ratingen noch Essen auszufahren habe, kann ich mich erst um halb 3 aufs Fahrrad setzen und zum Düsseldorfer Flughafenbahnhof fahren. Hier bin ich mit der S-Bahn im Nu am Duisburg HBF und habe überraschend auch sofort Anschluss an den Regionalzug Richtung Xanten, die "Nordwestbahn", die bei Rheinhausen den Rhein quert und dann linksrheinisch, am Niederrhein, fährt. Am Moers Bf. steige ich aus. Am Bahnhofsvorplatz dieses kleinen Bahnhofs steige ich in den Bus Nr. 4, wo ich gespannt bin, ob der Busfahrer mein VRR-(Verkehrsverbund Rhein-Ruhr)Ticket 2000 akzeptiert oder ob ich ein Anschlussticket kaufen muss. Das ist hier in Moers nämlich auch schon das Tarifgebiet vom Niederrhein. Aber der Busfahrer verlangt kein Geld von mir.

Schon nach ein paar Stationen sehe ich den markanten roten Leuchtturm bzw. die Grubenlampe auf der Halde. Das ist hier auf jeden Fall eine der schöneren Halden im Ruhrgebiet mit dichtem Wald, so als ob hier schon immer ein Wald war. Oben auf der Halde sind viele gepflegt wirkende Wiesen wie bei einer Parkanlage. Die Landmarke, ein hoher roter Turm, der einer Grubenlampe der Bergarbeiter nachempfunden ist, steht nicht direkt auf dem höchsten Punkt der Halde, aber genau von hier aus hat man einen herrlichen Blick. Man sieht weit in den Niederrhein hinein. An einer Stelle sieht es ganz so aus wie in der Eifel. Da ist ein schöner langgezogener von dichtem Wald umgebener See. Aber natürlich trügt diese Idylle. Ein Stück weiter sind direkt wieder rauchende Schlote irgendeines Kraft- oder Chemiewerks zu sehen, so wie man es beim Blick auf Duisburg und den Rhein allerorten hat. Da ist das Kraftwerk Walsum im Norden von Duisburg und daneben in der Kokerei Schwelgern ist gerade wieder so ein Riesenstück Koks entstanden. Eine riesige, in sich geschlossene weisse Wolke steht am heute sonst wolkenlos blauen Himmel über dem Werk. Dann folgt die gigantisch grosse Stahlhütte von ThyssenKrupp usw... Duisburg kann man sicher nicht mit dem viel malerischeren Düsseldorf vergleichen, dennoch gefällt mir diese Stadt bei weitem besser. Hier wird das Geld erarbeitet, was in Düsseldorf ausgegeben wird...

Ich gucke mir ein paar der herumliegenden grauen, schwärzlichen Steine an. Eindeutig sind die steinkohlehaltig. Die Halde Rheinpreussen haben wir auf einem ausgedehnten Spaziergang in Duisburg vom Alsumer Berg bis Ruhrort kürzlich schon von der anderen Rheinseite aus gesehen. Da sah das hier zum Greifen nah aus. Und umgekehrt sieht jetzt Duisburg zum Greifen nah aus. Aber das täuscht. Wieder am Fuss der Halde angelangt sehe ich an der Strasse ein Verkehrsschild,

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das Kamp-Lintfort nach 10 Kilometern ausweist. In Kamp-Lintfort ist das Bergwerk West, eine der 4 verbliebenen Steinkohlezechen im Ruhrgebiet. Das Abbaugebiet ist direkt unter mir und bis nach Duisburg an den Rhein hinein erstreckt sich das und fast bis nach Holland auf der anderen Seite.

Ein weiteres Verkehrsschild sagt aus, das es 12 Kilometer bis Duisburg-Rheinhausen sind - ich gehe mal dort entlang und finde dann den Weg wieder, den der Bus vorhin fuhr. Hier ist Moers-Meerbeck. Das wirkt zuerst ganz wie ein Dorf, wo man wirklich nicht denkt, hier in einer Grosstadt von immerhin 105.000 Einwohner zu sein. Hier sind Bauernhöfe, Felder, Wiesen. Das ist der ländliche Niederrhein. Und dann wird es unglaublich beschaulich. Hier sind alles urige Bergarbeitersiedlungen. Das sind meist 2-stöckige Häuser von schätzungsweise Anfang letzten Jahrhunderts. Richtig schöne Häuser mit Winkeln und Erkern, Fachwerk, Balkonen und grossen Gärten. Alles wirkt hier auch sehr gepflegt und bei dem schönen Wetter sitzen viele Menschen gesellig und gemütlich in ihren blühenden Vorgärten. Ich finde das ähnlich wie in Duisburg-Marxloh. Fast alle Menschen hier sind türkischer Abstammung und die Altbausiedlungen wirken noch lebendiger durch die vielen kleinen türkischen Geschäfte und Cafes zwischendrin. An manchen ehemaligen Pizzerien oder China-Imbissen oder deutschen Kneipen sind Schilder, dass das Geschäft umgezogen ist und sicher wird dann demnächst auch dort ein türkisches Cafe oder Lebensmittelgeschäft oder Brautmodegeschäft öffnen.

Ein Stück weiter folgt dann ein Park, wo vermutlich früher mal eine Kohlenzeche war. Ein grosses weisses Rad wohl von einem Förderturm steht da am Eingang. Auch eine Statue der Schutzheiligen der Bergleute, der Hl. Barbara, steht da neben Schrifttafeln mit Erläuterungen. Ein wunderschönes Stadtviertel ist das hier. Hinter dem Park nimmt dann die türkische Dominanz etwas ab, man sieht auch mal ein afrikanisches Lebensmittelgeschäft oder eine italienische Eisdiele. An den Klingelschildern der Häuser sind neben aber schon überwiegend türkischen Namen auch mal polnische und deutsche Namen.

1.23.) Die Halde Norddeutschland in Neukirchen-Vluyn

Nach Neukirchen-Vluyn kann man mit dem VRR-Ticket erst ab dem 1.1. 2012 fahren.Vorher war das hier das Tarifgebiet vom Niederrhein.

Die zweisprachig (holländisch/deutsch) beschriftete Radstation neben dem Moers Bf. stimmt mich schon darauf ein, hier im ländlichen Niederrhein ganz in der Nähe von den Niederlanden zu sein. „Het flexibele Verhuursystem“ steht da z.B. an dem alten Haus, wo man Fahrräder ausleihen kann. Und der Bus 929 fährt ab hier ein paarmal am Tag nach Venlo in den Niederlanden.

An der Station Gewerbegebiet Nord in Neukirchen-Vluyn steige ich aus dem Bus. Und nachdem ich zuerst in die falsche Richtung gegangen bin, frage ich eine etwas korpulente ältere Frau mit Hund, die vorhin schon mit mir aus dem Bus gestiegen war, nach dem Weg zur Halde. Freundlich sagt die Frau, offenbar eine Migrantin, da sie mit leichtem südeuropäischem? Akzent spricht, dass ich mich da links halten müsste und ich könnte schon die Havelstrasse hineingehen. Ob ich denn den „Averdunkshof“ kenne? Nein, natürlich kenne ich hier Nichts. Ich bin ja zum ersten Mal hier. Dann ist es besser, wenn ich durch das Gewerbegebiet Nord gehe, sagt sie. Allerdings ist die Halde noch etwa 2 Kilometer weit entfernt.

Schon nach ein paarhundert Metern sehe ich den „Berg“ mit dem „Haus“. Das ist die Landmarke obenauf. An einer uralten Windmühle mit komplettem Windmühlenflügel vorbei, der „Alten Mühle Dong“, gehe ich auf das Haldengelände, was unten bewaldet und weiter oben immer spärlicher bewachsen ist. Und ich sehe schon von weitem, dass die Wege und all die herumliegenden Gesteinsbrocken schwärzlich sind und d.h. steinkohlehaltig.

Es regnet den ganzen Tag ein bisschen, mal mehr, mal weniger, da bietet das Haus auf der

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Haldenspitze auch keinen Schutz, denn es ist nur eine Stahlkonstruktion und hat garkein Dach. Immerhin kommt vor mir jetzt mal die Sonne durch die heute dichte Wolkendecke heraus. Das ist dann also Süden vor mir und rechts von mir ist dann Westen. Da ist es überall sehr ländlich mit Wäldern und Feldern. Da irgendwo wird Issum und Geldern sein und dann Venlo im holländischen Limburg. Links von mir ist die einzige Stelle bei diesem Panorama, wo man von hier auf Industriebetriebe mit rauchenden Schornsteinen guckt. Das werden die grossen Betriebe in Duisburg sein, das Kraftwerk Walsum, die Kokerei Schwelgern, die ThyssenKrupphütte usw.

Der Busfahrer, ein junger Mann von vielleicht 30 Jahren akzeptiert zuerst mein VRR-Ticket 2000 nicht, weil es ja nur Preisstufe A ist. Ich sage ihm, dass man doch ab dem 1.1.2012 auch hier im ehemaligen Niederrheintarifgebiet an Wochenenden mit diesem Ticket fahren kann. Da habe ich mich doch genau erkundigt. Nachwievor dürfen wir damit nicht bis Xanten oder Wesel fahren, weil das schon die „Region Nord“ des Tarifgebiets VRR ist, aber bis nach Neukirchen-Vluyn, Kamp-Lintfort, Rheinberg und Schermbeck können wir neu ab dem 1.1.2012 an Wochenenden fahren. Wie als ob er einen Schwarzfahrer erwischt hat, ruft der Busfahrer aber über Funk seine Zentrale an, die ihm dann meine Version bestätigt. „Sie haben ja recht“, grummelt er mich nur mürrisch an.

Dafür habe ich jetzt eine interessante und lange Busfahrt vor mir. Bis zum Duisburger HBF kann ich hier ohne umzusteigen mitfahren. Durch Neukirchen, Moers und Duisburg-Homberg geht nun die Fahrt. In Duisburg-Hochheide stehen an einer Stelle eine Handvoll an die 20-geschossiger Hochhäuser herum. Vor einem der Hochhäuser ist ein riesiges Rad, eine Seilscheibe des Förderturms einer ehemaligen Zeche, aufgestellt. Davor stehen 2 weissgestrichene Loren, auf denen im Sommer wohl Blumen gepflanzt sind. Der ganze Ortsteil wirkt so, als ob das bestimmt ein „Problembezirk“ ist. Immer wieder sind da auch beschauliche Zechensiedlungen und Strassen mit Gründerzeithäusern, aber die beste Zeit hat dieser Stadtteil wohl hinter sich. An dem „Haus der Schiffergemeinde“, einem weiteren Hochhaus, fährt der Bus nun vorbei an dem kleinen Homberger Hafen über die Friedrich-Ebert-Brücke. Der Rhein hat mächtig Hochwasser, die Skulptur Rheinorange an der Ruhrmündung, die sonst auf einer grünen Landzunge steht, ragt aus dem Wasser heraus und der Hafenmund in Ruhrort ist voller holländischer Schiffe.

1.24.) Rheinhausen

Eigentlich ist der Töppersee ja ganz nah von Ratingen aus. Im Ferienpass für Tim sind ein paar Gutscheine von dort enthalten. Wir können bei Bekannten im Auto dorthin mitfahren.

Linksrheinisch in Duisburg-Rheinhausen ist der Töppersee. Eigentlich sind es ja 2 Baggerseen. 1898 wurden die angelegt als Kiesgruben, wie ich lese. Da gibt es jetzt Kneipen, Restaurants, Wassersportclubs, Minigolf, Trampolin.... Die größte Attraktion ist die Wasserskischule im See. Das ist schon anders als am Grünen See in Ratingen West. Hier ist viel mehr los. Am Töppersee findet also das Wochenendleben des westlichen Ruhrgebiets statt. Hier dreht es sich in den Gesprächen um die Existenz der Opel-Zweigstellen im Pott; da werden Geschichten erzählt von Firmenjubiläen, Tarifverträgen.... Man kann in den Seen zwar nicht einmal schwimmen, weil es zu gefährlich ist, aber man hat doch einige Freizeitangebote, die auch für kleinere Geldbeutel erschwinglich sind. Wir, Tim, Marianne und Norbert und ich verbringen jedenfalls einen entspannten und relaxten Nachmittag hier am Niederrhein. Man kann Minigolf spielen und es gibt auch einen Kinderspielplatz. Durch diesen Ferienpass von der Stadt Ratingen sind wir auf die Idee gekommen, hier mal hinzufahren. Da waren auch Gutscheine von hier beigefügt. Aber nur einen der Gutscheine lösen wir auch ein, nämlich den vom Minigolf. Zum Rudern z.B. gibt es noch einen Gutschein, aber dafür müsste man um den ganzen ersten See herum zum anderen See laufen.Bei heute subtropischen Temperaturen haben wir da keine Lust zu. Wozu auch? Rudern kann man ja auch am Grünen See in Ratingen. Da gucken wir lieber am „Hafen“ am See dem regen Betrieb an der

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Wasserskianlage zu.

An einem Wochenende etwa 2 Jahre später:Durch Rheinhausen fahren mehrere Regionalzüge, nicht nur der in Richtung Xanten. Wenn man aus dem Zug, der weiter nach Mönchengladbach fährt, am Bahnhof aussteigt, bekommt man schon bleibende Eindrücke. Das ist ein Minibahnhof. Eigentlich sind es nur 2 Gleise mit einer düsteren Gleisunterführung. Es gibt keine Bahnhofsgebäude, dafür sind überall die Informationstafeln kaputtgehauen und bergeweise liegen Glasscherben herum. Blindwütiger Vandalismus war das. Ausserdem ist der Bahnhof offenbar weit ausserhalb der „City“. Hier ist nur eine lange langweilige, menschenleere Strasse, die in hoffentlich etwas belebtere Viertel führt? Eine Querstrasse heisst dann schon etwas mehr versprechend Rheingoldstrasse. Davon eine Querstrasse sieht dann schon interessanter aus. Das ist die Krefelder Strasse.

Hier wirkt es städtisch. Alte dreistöckige Häuser stehen hier; die sind offenbar überwiegend migrantisch bewohnt. Es gibt hier Döner-Imbisse, türkische Reisebüros, viele weitere Geschäfte und ein Stück weiter ist eine Bushaltestelle. Die Station hier mitten in Rheinhausen hat den eigenartigen Namen „Bücken“. Direkt an der Bushaltestelle ist die Pizzeria „Calimero“. Davor ist auf dem Bürgersteig einer dieser von Hunden so geliebten Strassenbäume, wo ringsum das Areal eingezäunt ist und die Erde um den Baum herum liebevoll mit blühenden Blumen bepflanzt ist. In einem Haus gegenüber guckt eine vermutlich türkische Frau die ganze Zeit aus dem Fenster im zweiten Stockwerk, wenn sie sich nicht gerade um eine ganze Kinderschar kümmert. Die vorbeigehenden Menschen sind zum größten Teil Migranten, zumeist offenbar türkisch; viele der Frauen tragen Kopftücher. An zwei Mietshäusern an der Bushaltestelle gucke ich mir die Namen an den Klingeln an. Fast alle Namen sind türkisch und ein paar wenige slawischklingende Namen sind auch dabei. Nur ein einziger Name ist deutsch.

Der Ort Rheinhausen wirkt bei der Durchfahrt im Bus angenehm. Man merkt aber, dass Rheinhausen längst nicht mehr selbstständig, sondern seit 1975 Teil der Halbmillionenstadt Duisburg ist. Bevor der Bus den Rhein erreicht, fahren wir noch durch eine dieser urigen Arbeitersiedlungen mit kleinen 2stöckigen Häusern mit vielen „türkischen“ Gärten hintendran – d.h. Gärten, die mit Gemüse bepflanzt sind – Bohnen, Kohl, Tomaten und dergleichen.

Und dann fährt der Bus über die Brücke mit dem roten markanten „Stabbogen“ drüber, die „Brücke der Solidarität“, die so heisst nach den Protesten in den 80er Jahren gegen die Schliessung des Kruppschen Hüttenwerks Rheinhausen. 1987 besetzten Krupp-Arbeiter diese Brücke, die von Rheinhausen nach Hochfeld führt, um vergeblich gegen die Schliessung ihres Werks zu protestieren. Am Rheinhausener Rheinufer ist eine Wagenburg aufgebaut mit Wohnwagenanhängern. Die Autonummern sind gelb. Vermutlich sind das Roma aus Rumänien, die sich gerne in multikulturellen Ortsteilen wie Marxloh oder Hochfeld oder eben Rheinhausen aufhalten.

1.25.) Das Dorf Bissingheim in Duisburg

Schon immer wollte ich mal mit dem Rest der „Westbahn“, die Duisburg, Ratingen und Düsseldorf verband und seit 1983 nur noch vom Duisburg HBF bis zur Station Entenfang verkehrt, mitfahren.

Die „Entenfanglinie“ ist vermutlich die kürzeste Eisenbahnstrecke Deutschlands – das sind nur 4 Stationen. Am Gleis 1 am Duisburg HBF steigen wir in die nur einmal stündlich fahrende kleine Bahn mit nur 2 Wagen. Immerhin fahren eine Handvoll andere Leute mit uns. Das sind alles junge Leute. Im Zug liegt ein „Wochenanzeiger“ für Duisburg-Neudorf + Duissern herum. Es wird darin z.B. berichtet darüber, dass der Trainer Sasic gerade vom MSV Duisburg entlassen wurde.

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Erst kommt Duisburg-Wedau, dann Duisburg-Bissingheim und dann ist die Endstation schon Duisburg-Entenfang. Hier steigen wir aus und gehen aber nur kurz mal zum schönen Waldsee Entenfang, der sich auf dem Gebiet der Stadt Mülheim an der Ruhr befindet. Hierhin fahre ich manchmal von Ratingen aus mit dem Fahrrad.

Wir gehen wieder nach Duisburg zurück und die scheinbar endlos lange Bissingheimer Strasse entlang. Schon kurz hinter der Stadtgrenze zu Ratingen-Lintorf heisst diese Strasse so. Lintorf ist nur etwa 3 Kilometer südlich von hier. Wir gehen jetzt aber in Richtung Bissingheim. Genau dahin, wo die Bahn vorhin auch durchfuhr.

Schon nach ein paar hundert Metern beginnt die urige Arbeitersiedlung des „Dorfes“ - das sind kleine 2-stöckige Reihenhäuser mit spitzem Giebel aus der Vorkriegszeit. Wie so oft auf Strassen im Revier sind die Hausnummern hier ungewöhnlich hoch. Bei Hausnummer 365 beginnt (endet) das hier auf der Bissingheimer Strasse.

Im Ortskern von Bissingheim mit fast ausschliesslich solchen urigen Arbeiterhäusern ist links ein kleiner See, der „Blaue See“und dann ist da der „Dorfplatz“ – ein viereckiger Platz mit einer ganz eigenen Atmosphäre. Hier scheint die Zeit irgendwann in der Vorkriegszeit stehengeblieben zu sein. Es gibt ein paar kleine Läden, Kneipen und eine Bushaltestelle. An einer Eisdiele kaufen wir uns ein leckeres Eis. Das passt noch am letzten Oktoberwochenende, wo gerade nochmal die Sonne das eigentlich hübsche Dorf in ein goldenes Licht taucht. Ein bisschen fühlen wir uns hier an die Gartensiedlung Margarethenhöhe in Essen erinnert. Auch diese Siedlung ist ja schon ein Wohngebiet der etwas betuchteren Bevölkerung. Es ist hier die Werkssiedlung der Eisenbahner von den Güterbahnhöfen. Vergleichsweise für Duisburg wohnen hier auch wenig Migranten. Z.B. einen Döner-Imbiss sucht man in diesem Dorf vergeblich.

Wir gehen noch bis zum Bahnhof Duisburg-Wedau und bis zur Busstation am „Ausbesserungswerk“. 2 junge Mädchen warten hier auch am Bus. Sie unterhalten sich über Autos und mit etwas gequälter Miene steigen sie dann in den Bus ein. Man merkt es ihnen an, dass sie zum Kino oder zu ihrer Disco oder wo immer sie hinwollen, lieber mit dem Auto fahren würden.

Der Bus 723 streift die hier nahe 6-Seenplatte. Auch am Barbarasee fahren wir vorbei. Tim erkennt das Spieleland „Pippolino“ auf der Masurenallee, wo ich mit ihm vor einem halben Jahr mal war. Und dann geht es durch den Ortsteil Neudorf, der schon wieder gewohnt migrantisch bevölkert ist mit kopftuchtragenden Türkinnen, arabischen/türkischen/russischen Jugendlichen... Am Osteingang des Hauptbahnhofs fahren gerade etliche Polizeiwagen vor. Die Beamten eilen alle aus ihren Fahrzeugen in das Bahnhofsgebäude. Aber natürlich: die Bundesligaspiele enden jetzt gerade und Schalke hat ja heute ein Heimspiel. Eine ältere Frau mit Fahrrad im Zug sagt auf unserer nur 7 Minuten dauernden Fahrt bis zum Düsseldorfer Flughafenbahnhof: „Da haben wir es zum Glück ja noch vor all den Fussballfans in den Zug geschafft“.

Am Flughafenbahnhof steigen wir um in den Bus nach Ratingen. Zur Zeit überlegt man ja beim VRR mal wieder, ober man nicht die Westbahn wieder als Passagierstrecke einrichten soll. Dann hätten wir ab Bissingheim oder vom HBF Duisburg einen kurzen Weg nachhause. Ganz in der Nähe des seit 1983 stillgelegten Bahnhofs Ratingen-West wohnen wir.

1.26.) Der Entenfang in Mülheim an der Ruhr

Der Mülheimer Waldsee Entenfang ist ein Ort, wo ich in der Woche gelegentlich mal von Ratingen aus mit dem Fahrrad hinfahre.

Manche Leute kenne ich hier inzwischen ein bisschen z.b. den jungen Mann, der mir gerade kurz

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vor dem Campingplatz am See entgegengejoggt kommt. Das ist sicher einer der Dauerbewohner des Campingplatzes und wie beim letzten Mal, wo ich ihn gesehen habe, ist er offenbar auf dem Weg zum Einkaufen in Ratingen-Lintorf bei dem Supermarkt in der Duisburger Strasse. Fast verdeckt von Zweigen von Bäumen ist hier im Wald am Strassenrand das Ortsschild von Mülheim a.d.Ruhr. Ich biege links vor dem Ortsschild ab in einen kleinen Waldweg und dann ist nach ein paar Metern bereits der grosse Campingplatz zu sehen. Dahinter führt ein schmaler asphaltierter Weg zwischen dem See und dem Campingplatz entlang. Hier sind ein paar kleine Geschäfte, aber da muss man als Nichtbewohner Eintritt bezahlen. Nur der Kiosk mit einer Trinkhalle steht vor der Absperrung. Hier gibt es schon die WAZ - „Die Zeitung für das Ruhrgebiet“ - zu kaufen.

Wie immer nach einer garnicht sehr langen Fahrradfahrt von Ratingen aus hierher mitten ins Revier gönne ich mir an einer weiteren gemütlichen Trinkhalle, der „Futterkrippe“ direkt am See ein Bier, ein KöPi von der bekannten Brauerei in Duisburg-Beeck. Bei dem sommerlich warmen Wetter ist hier natürlich der Bär los. An die hundert Menschen umlagern die kleine Trinkhalle. Sie sitzen an den Tischen oder auch auf Baumstämmen direkt am See. Wie immer, wenn ich dieses Jahr mal hier war, ist auch der alte zahnlose Mann im Rollstuhl da. Er trinkt wie ich ein KöPi. Nur all die Asiaten fehlen. Ja tatsächlich, wo sind die denn heute alle? Es schien mir immer so, als ob in dem kleinen zweigeschossigen Haus, wo die Futterkrippe drin ist, eine oder mehrere asiatische Familien mit vielen kleinen Kindern leben. Und es machte den Eindruck, dass die auch die Futterkrippe bewirtschaften. Es gibt hier ausser den typischen Ruhrgebietsspeisen z.B. „Mantaplatte“, also Currywurst und Pommes frites, auch asiatische Speisen wie frisch zubereitete Thaisuppe. Aber heute ist niemand von den Asiaten da. Und so wirkt diese Trinkhalle etwas weniger interessant als sonst. Nicht mehr ganz so wie dieses Restaurant in Chiang Mai in Nordthailand, was ich während eines Urlaubs dort ebenso spannend multikulturell fand wie hier die Futterkrippe. Jetzt ohne die Asiaten ist die Futterkrippe eine x-beliebige gesellige Trinkhalle im Ruhrgebiet, und damit aber immer noch anregend und symphatisch. Wie immer hier bin ich beeindruckt, wie schnell man doch von Ratingen aus mittendrin in der doch etwas andersartigen Metropole RUHR sein kann.

Wieder einmal springt mir die Kette vom Fahrrad. Das ist jetzt das fünfte Mal während dieses Ausflugs. Es ist garnicht auszudenken, was wäre, wenn das Rad mich hier mal ganz im Stich lassen würde. Da könnte ich den ganzen langen Weg von hier bis nach Ratingen zu Fuss gehen. Inzwischen bin ich ja nur bis in den Duisburger Süden neben den Gleisen der Westbahn gelangt. Kaum habe ich das gedacht, kommt mir wieder dieser jugendliche Campingplatzbewohner vollbepackt mit seinen Einkäufen entgegen und wir grüssen uns. Da ist der mal eben von Mülheim an der Ruhr über Duisburg bis nach Ratingen-Lintorf zum Supermarkt und zurück gelaufen, während ich mir ein Bier in der Trinkhalle am Entenfang gegönnt habe. Scheinbar gibt es hier im Süden von Mülheim und von Duisburg garkein Lebensmittelgeschäft.

2 Wochen später:Das goldene Oktoberwetter ist wieder zurückgekehrt. So setze ich mich mal wieder aufs Fahrrad, nicht ohne vorher die Kette etwas enger zu spannen, damit sie nicht so oft abspringt wie zuletzt.

Ab dem Supermarkt auf der Duisburger Strasse in Ratingen-Lintorf zähle ich die Meter (ein Tritt in die Pedalen ist etwa 2 Meter). 2.600 Meter sind das dann ab dem Supermarkt durch den Wald über die Strecke an der Westbahn in Duisburg-Wedau vorbei bis zu dem Ortsschild von Mülheim an der Ruhr an der Bissingheimer Strasse. Die Entfernung von hier über den Waldweg bis zum winzigkleinen S-Bahnhof Duisburg-Entenfang ist noch einmal 600 Meter. Und jetzt habe ich keine Lust mehr zu zählen. Gemütlich fahre ich beim EASV Duisburg, einem Angelverein, vorbei um den schönen See herum bis zur Futterkrippe. Bei heute wieder sonnigem Wetter ist diese urige reviertypische Trinkhalle wieder von etwa 30 Leuten umlagert. Die Hälfte der Leute sind Radfahrer wie ich. Ich bestelle mir ein KöPi. Diesmal ist wieder eine junge Asiatin von unschätzbarem Alter als Bedienung da. Sie könnte 15 sein, aber auch Mitte 30. So ist das bei Asiatinnen.

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Der alte zahnlose Mann im Rollstuhl ist wie immer da. Inzwischen kennen wir uns ja und grüssen einander durch Kopfnicken. Es sieht so aus, als ob bei diesem im Wald einsam stehenden einfachen Haus mit spitzem Ziegeldach jetzt neu ein Sichtschutz zum Garten eingebaut wurde. Vielleicht wohnen die Asiaten ja doch noch alle hier.? Ein paar Meter weiter steht nur noch ein kleines Holzhaus von der Mülheimer Wasserwacht. Hinter den Häusern im Wald beginnt das Naturschutzgebiet "Wambachtal und Oembergmoor". Die nächsten bewohnten Häuser sind auf dem Campingplatz.

Im Supermarkt in der Duisburger Strasse in Lintorf kaufe ich auf der Rückfahrt fürs Wochenende etwas ein. Es interessiert mich auch, was man hier so knapp ausserhalb des Ruhrgebietes so liest. Das ist aber erwartungsgemäss nicht etwa WAZ und NRZ, sondern nur die RP (Rheinische Post aus Düsseldorf) und der Kölner Express. So wie bei uns in Ratingen-Mitte, wobei wir in dem grossen Supermarkt in West auch die WAZ kaufen können und die NRZ, die aber im Nichtrevier Neue Rhein-Zeitung heisst anstatt Neue Ruhr-Zeitung. Ab dem Ortsende von Lintorf zähle ich wieder die Pedaltritte. Das ist hier ein ganz eintöniger Weg. 1500 Pedaltritte bzw. ca. 3000 Meter ist das ab hier bis zu mir nachhause.

1.27.) Kloster Saarn in Mülheim a.d. Ruhr

Auch an einem hoffnungslos verregneten Sonntag muss man ja mal etwas unternehmen.

Heute regnet es nur und es hört überhaupt nicht auf. Ein Kunde beim "Essen auf Rädern", den ich mittags beliefere, erzählt mir, dass er im Radio gehört hat von überfluteten Strassen im Ruhrgebiet. Die A40 wäre gar gesperrt, sagt er. Ins Ruhrgebiet aber wollen wir heute. Ins Museum und genau gesagt ins Museum vom Kloster Saarn in Mülheim a.d. Ruhr. Bis dahin haben wir es nicht weit.

Man merkt eigentlich keinen Unterschied nach der Stadtgrenze. Der Nochratinger Bezirk Breitscheid sieht ähnlich ländlich beschaulich aus wie der Schonmülheimer Bezirk Selbeck. Vielleicht sind manche Häuser hier etwas höher.? Immerhin ist Mülheim im Gegensatz zu Ratingen eine Grossstadt und hat 168.000 Einwohner. Die Stadt Mülheim hat als einzige Stadt im Revier einen eigenen Dialekt, das "Mölmsch". Und sie ist bekannt durch das "Aquarius-Wassermuseum", durch das Theater an der Ruhr und durch Aldi. Und durch die Industrieellen Thyssen und Stinnes, die hier geboren wurden und durch Helge Schneider.

Aber das mit den höheren Häusern als in Ratingen stimmt nicht. Jedenfalls ist das nicht hier in den südlichen Bezirken Selbeck bzw. Saarn so. An der Haltestelle "Klostermarkt" in Saarn steigen wir aus dem Bus. Hier sieht es mittelalterlich aus. Links geht es in die schöne Fussgängerzone des Stadtbezirks Saarn mit vielen alten Fachwerkhäusern. Alle der prächtigen Bauten sind restauriert und wirken gepflegt. Rechts an der Strasse steht eins dieser schokoladenbraunen Hinweisschilder der "Route der Industriekultur". "Kloster Saarn" steht da drauf und genau hinter dem Schild ist bereits das mittelalterliche Klostergebäude. Das ist ein rechteckiges Gemäuer um einen grossen Innenhof herum. In einem der Eingänge im Innenhof ist ein Schild "Klostermuseum". Aber wir sind noch zu früh, denn heute am Samstag ist hier erst ab 15 Uhr geöffnet, steht auf einem Schild.

Nebenan ist ein urig aussehendes Cafe, das Klostercafé, in dem alten Gemäuer. Keine Frage, dass wir uns bei dem nachwievor anhaltenden Regen da hinein setzen. Direkt am Eingang ist einer dieser Auslagenschränke von der noch laufenden Kulturhauptstadt.RUHR.2010 mit Prospekten und Broschüren. Einiges davon ist neu, das kennen wir ja noch garnicht. Tatsächlich, jetzt sind wir wieder im Ruhrgebiet und sogar unweit der Ruhr. Von den oberen Stockwerken des Klosters sieht man den Fluss sicher schon. Gefühlsmässig sind wir aber eigentlich noch immer in Ratingen. Sonst ist es eine aufwendigere Anfahrt für uns ins Ruhrgebiet als diese knapp 20 Busstationen mit dem 753er Bus ab dem Ratinger Busbahnhof heute.

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Wir trinken Kaffee und essen Eis; wir gucken uns eine schöne Bilderausstellung mit Aquarellen von Landschaften im Klostercafé an. Eins der Aquarelle zeigt unverkennbar die Moorlandschaft des Hohen Venns in Belgien, wo wir vor 2 Jahren mal waren. Eine Frau, die gerade Bilder hier aufhängt, erzählt uns einen klerikalen Witz, der passend zu dem alten Klostergemäuer hier ist:

Frage: Warum gibt es in Kirchen keine Ameisen?

Antwort: Ameisen sind Insekten!

Wann fahren wir endlich nachhause?, fragt Tim. Da das Museum immer noch nicht auf hat und es schon nach 15 Uhr ist, fahren wir tatsächlich mit dem nächsten nur alle 2 Stunden fahrenden Bus nach Ratingen zurück. Mit dem gleichen bei unserem Anblick erstaunt guckenden migrantischen Busfahrer wie vorhin auf der Hinfahrt.

1.28.) Schloss Landsberg in Ratingen

An einem Wintertag besuchen wir den ehemaligen Thyssen-Wohnsitz, das feudale Schloss Landsberg. Obwohl das Schloss sich in Ratingen befindet, müssen wir von Ratingen aus dazu erst nach Essen-Kettwig fahren.

Heute ist ein schöner Tag. Nach all dem Schnee, Glatteis und dann Regen. Die Sonne scheint bei 12 oder 13 Grad und wir fahren mit der S-Bahn bis nach Essen-Kettwig. An der Station Kettwig-Stausee steigen wir aus der Bahn. Und wir gehen durch den beschaulichen Ortsteil Kettwig vor der Brücke, bis wir die stark befahrene August-Thyssen-Strasse erreicht haben. Ein Verkehrsschild sagt aus, dass es bis Mülheim-Mintard 2 Kilometer weit ist. Soweit wollen wir aber nicht gehen. Nach vielleicht einem Kilometer links an Schlosspark und dichtbefahrener Landstrasse und rechts an Kleingärten vorbei ist links das eindrucksvolle Steinportal der August-Thyssen-Strasse Nr.1. Hier geht es einen schmalen Weg durch den dicht bewaldeten Schlosspark hoch zu Schloss Landsberg, der ehemaligen Residenz der Thyssenfamilie. Jetzt unterhält eine Stiftung das Schloss.

Die August-Thyssen-Strasse gehört noch zu Kettwig, der Park (und das Schloss) aber zu Ratingen. Heute sind wir fast die einzigen, die sich den gepflegten Garten und Park um das eindrucksvolle Schloss angucken. Das Schloss selber darf man nicht betreten. So interessant das hier alles aussieht; das Haupthaus aus Bruchsteinen hat 2 barocke Giebel wie ein altes holländisches Haus; drüber thront ein eindrucksvoller Bergfried; auch weitere Giebelhäuser gibt es..., wohnen möchten wir hier nicht. Die hohen Fenster sind hermetisch abgesichert mit schwarzen schmiedeeisernen Gittern und die massive Holztür vor dem Innenhof ist heute geschlossen. Dafür ist heute mal kein Wächter da wie beim letzten Mal. Das an das Dornröschenschloss erinnernde Schloss wirkt auch so absolut uneinnehmbar. Von Ratingen aus kommt man nur über kleine, versteckte Waldwege zu diesem hochherrschaftlich wirkenden Gebäude. Und mir fällt unser Spazierweg an dem riesigen ThyssenKrupp-Werk an der Stahlhütte in Duisburg vor ein paar Monaten ein. Auf Kosten von richtig harter Maloche in solchen stahlproduzierenden Betrieben lebten die Schlossbewohner hier ihr feudales Leben.

1.29.) Hochwasser in Essen-Kettwig

Kettwig war bis 1975 die Nachbarstadt von Ratingen im Landkreis Düsseldorf-Mettmann. Dann wurde die Stadt aufgelöst und zum größten Teil zu Essen eingemeindet. Ein anderer Teil (Mintard) kam zu Mülheim an der Ruhr.

Zurück von Schloss Landsberg nach Kettwig gehen wir durch die Landsberger Strasse. Das ist eine ruhige Strasse zuerst an Feldern vorbei. Links steht ein weiteres grossartiges altes Schloss, Schloss Hugenpoet. Danach säumen schöne Gründerzeitvillen den Weg. Am Ende der Landsberger Strasse stehen kleine Fachwerkhäuser; eine Querstrasse heisst „Zur alten Fähre“. In diese schmale Gasse

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gehen wir hinein und dann müssen wir plötzlich über Sandsäcke klettern, um auf die überschwemmte Uferstrasse der Ruhr zu kommen bzw. auf den Fussgängerweg, der noch nicht überschwemmt ist. Da hätte ich jetzt nicht mit gerechnet, dass auch die Ruhr wie derzeit der Rhein hier so sehr überflutet ist. Immerhin ist doch hier in Kettwig der Stausee mit dem Kraftwerk, wo man doch ein wenig die Wassermassen regulieren kann? Aber scheinbar kommen zur Zeit auch hier gigantische Wassermassen an, wie wir feststellen, als wir über die „Oude Brugge“, so steht es auf einem Schild, vorbei an dem „Kettwiger Backenzahn“, eine Art Krananlage des Wasserkraftwerks, gehen. Wildbewegt und tösend laut sind die braunen Wassermassen, die durch das Wasserwerk durchquellen wie bei einem Wasserfall. Ein Ruderboot in diesen Fluten würde wie eine Nussschale kentern und in die Tiefe gezogen werden.

Wir gehen ein Stück am Stausee und der Ruhr entlang. Da sind riesige ehemalige Fabrikhallen. Ein asiatischer Gross-Händler hat hier einen gigantisch grossen Krempel- und Trödelmarkt aufgebaut. Grosse Buddhafiguren aus Gold oder Buddhaköpfe aus Stein gucken einen an. Aber da ist Nichts an Dingen, was wir kaufen möchten. Es ist einfach nur interessant zu sehen, was für Mengen an eigentlich überflüssigem Krempel hier in mehreren riesigen Fabrikhallen angehäuft sind. Von jedem nur denkbaren Kitsch für Garten und Haus bis hin zu uralten Mopeds, Nähmaschinen, uralten Möbelstücken. An einer Stelle steht eine Fahrrad-Rikscha zum Verkauf für schlappe 1000 Euro.

1.30.) Das Ruhr-Atoll in Essen

Schon fast am Ende der Kulturhauptstadt 2010 gucken wir uns noch die künstlerisch gestalteten Inseln auf dem Essener Baldeneysee an.

Schon vom Bahnhof Essen-Hügel wehen einem die mediterranen Düfte guten griechischen Essens vom am Park der Villa Hügel und dem Bahnhof gelegenen Restaurant "Hügoloss", wo auch der eh. griech. Fussballtrainer und Europameister Otto Rehhagel (ein gebürtiger Essener) oft einkehrt, in die Nase. Auf dem Biergarten mit herrlicher Aussicht auf den bei heute wunderbaren Wetter von vielen Segel- und anderen Booten befahrenen Baldeneysee sind alle Plätze besetzt. Klar, auch uns verlockt das.

Aber wir haben ja gerade gegessen und nun wollen wir wie offenbar Viele heute bei einem gemütlichen Spaziergang im Grünen uns endlich mal diese Inseln auf dem Baldeneysee angucken. Gerade legt majestätisch das grosse Ausflugsboot der Weissen Flotte, die "STADT ESSEN", am Hafen unterhalb der Villa Hügel am See an. Wir vermuten die Inseln in Richtung der Staumauer des Sees in Richtung Essen-Werden. Und so gehen wir also mit all den anderen Fussgängern, Mountainbikefahrern, Rollschuhfahrern am von sanften bewaldeten Hügeln umsäumten Baldeneyseeufer entlang in diese Richtung. Und tatsächlich, schon nach vielleicht einem halbem Kilometer sehen wir die künstlerisch gestalteten Inseln des RUHR-ATOLLs 2010. Eine Insel sieht aus aus wie ein Eisberg, eine andere wie der sichtbare Teil eines aufgetauchten U-Boots, auf einer anderen sind Windräder und wird Wasser von einer Seite zu einer anderen Seite gepumpt. Die schönste Insel, finde ich, ist von einem japanisch/deutschen Künstlerduo gestaltet: das sind zwei rechteckige Holzflöße. Auf dem einen ist ein Haus mit Dach. Das sieht aus wie ein japanisches Haus. Auf dem anderen sind grosse runde Kübel, in denen Pflanzen wachsen. FROSCH UND TEEMEISTER heisst diese Insel.

Inzwischen haben wir die Staumauer erreicht. Hier ist eine Ausstellung vom Energieerzeuger RWE. Erstaunt erfahre ich, dass hier an diesem erst Anfang der 30er Jahre letzten Jahrhunderts angelegten Ruhr-Stausee Energie erzeugt wird. Da ist das hier tatsächlich ein Kraftwerk. Wir gehen über die Brücke und sind damit bereits im Essener Stadtteil Werden. Urig ist das hier. Die Nachbarstadt Ratingen galt ja lange als die grüne Lunge zwischen Ruhrgebiet und Düsseldorf. Inzwischen fährt man von Ratingen selber zur Naherholung auch ins Ruhrgebiet. Zwischen 2 Ruhrarmen ist eine grosse Insel in der Ruhr, das ist die Brehminse. Grosse und bei dem schönen Wetter sehr belebte

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Rasenflächen erinnern mich an den Berliner Tiergarten. Das wirkt hier auch ganz grosstädtisch. Einen Kinderspielplatz gibt es hier auch. Tim müssen wir ja auch mal seinen Spass gönnen.

Wir gehen dann noch gemütlich in das mittelalterliche Zentrum von Essen-Werden mit seinen kleinen verwinkelten Gässchen mit Fachwerkhäusern. An einem der alten Häuser steht das Erbauungsjahr 1687dran. Am Werdener Markt, unterhalb der ehrwürdigen Werdener Abtei, die wir uns mal an einem Wintertag angucken sollten und nicht an so einem schönen Sonnentag wie heute, stellen wir uns in eine lange Schlange an von einer Gelateria. Wundervolle alte Gebäude sind hier, Giebelhäuser aus dem Rokoko? Und es ist ganz eigenartig, dass man einerseits in so einem beschaulich mittelalterlich kleinstädtisch wirkenden Ort ist und andererseits pulsiert hier ein grossstädtisches Leben mit viel Strassenverkehr und vielen grossstädtisch wirkenden Menschen: Studenten, Migranten, Intellektuelle, Künstler... Wir haben unser Eis mitten auf dem Werdener Markt am Brunnen, einem in Form einer wasserumspülten Spirale um eine Skulptur des "St. Luidger (742-809) , Gründer von Stadt und Stifung Werden" (das steht da am Rand des Brunnens eingemeisselt) herum, gegessen. Nun gehen wir Richtung S-Bahnhof. Hier queren wir nochmal eine Brücke über die hier sehr breite Ruhr. Ein Restaurant vor der Brücke heisst "Zur Brücke" und ist griechisch, daneben ist ein Sushi-Imbiss.

1.31.) Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen

Da das Eisenbahnmuseum einer der Ankerpunkte der Route der Industriekultur ist, hätten wir uns das früher oder später eh angeguckt. Das Beste an dem Tag war aber der Fussweg an der Ruhr entlang.

Auch hier in Bochum-Dahlhausen, so heisst die S-Bahnstation, ist die Landschaft eindrucksvoll. Wie bei einem Kurzurlaub in der Eifel oder im Sauerland kommt man sich vor. Wir gehen an der Ruhr entlang. Wie überall im Ruhrgebiet am Verlauf des namensgebenden Flusses ist das hier beschaulich und grün. Ein richtiges Naherholungsgebiet ist das. All die dichtbevölkerten Städte mit den vielen Industriedenkmälern; den ehemaligen Hütten und Zechen und Kokereien scheinen weit, weit weg zu sein. Auf den saftigen, grünen Wiesen sind Enten, Gänse, und vor allem Schwäne. Majestätisch fliegen gerade auch ein paar dieser schönen weissen Vögel mit den langen Hälsen ruhrabwärts.

Und dann ist da diese Ruhrbrücke. Nein, wir überqueren sie nicht. Das hätte mich auch gewundert, wenn das Museum auf der anderen Seite der Ruhr ist. Die Brücke ist nämlich auch nur für Fahrradfahrer und Fussgänger. Rechts müssen wir nun lang. Durch einen langen dunklen Tunnel gehen wir und dann ist da schon das Eisenbahnmuseum. Die Familienkarte kostet 14 Euro. Das ist natürlich teuer, aber wo man jetzt schon mal hier ist, zahlen wir das dann eben auch. Aber schnell fühlen wir uns doch ziemlich geneppt. Und wir ärgern uns, für die paar natürlich eindrucksvollen Dampfloks auf einem eigentlich kleinen Gelände und in einem Lokschuppen soviel Geld zu bezahlen. Das ist ja fast so ein Nepp wie kürzlich im Märklinmuseum in Gelsenkirchen, wo man auch soviel Eintritt bezahlen musste nur für den Anblick von ein paar läppischen Modelleisenbahnen.

Zwar gibt es auch ein paar Bahnen, die auf dem Gelände herumfahren, aber da muss man tatsächlich noch zusätzlich für bezahlen. Etwas entnervt verlassen wir nach einer halben Stunde bereits das Gelände das Eisenbahnmuseums. Selbst unseren Kaffee, unser Eis nehmen wir nicht hier zu uns. Bei diesen Preisen hier. Naja, was solls. Früher oder später wären wir ja doch sowieso mal hierhingefahren. Da erleben wir diese unvermeidliche Enttäuschung eben heute. Zurück könnten wir von hier aus mit so einem kleinen altmodischen Zug, einer kleinen Bimmelbahn bis zur S-Bahnstation Bochum-Dahlhausen fahren. Selbstverständlich kostet auch das Geld. Nein danke. Denn das Beste an unserem Ausflug heute war der schöne lange Spaziergang an der Ruhr entlang.

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1.32.) Die Henrichshütte Hattingen

In der Henrichshütte entgehen wir nicht einer Führung auf dem ehemaligen Werksgelände. Das ist der Weg der Ratte- eine Führung für Kinder und deren Anhang. Aber dann sind wir doch wirklich beeindruckt.

Wenn man aus Bochum talabwärts in Richtung Ruhrtal wieder herausfährt, wirkt der letzte Bochumer Vorort, Bochum-Stiepel, eher wie ein Kurort im hier sehr nahen Sauerland als wie der Vorort einer der größten Städte des Reviers. Stiepel ist eigentlich ein Dorf mit Fachwerkhäusern, schmalen Gässchen, begrünten Hängen, Wald und Feldern. Und sogar Bauernhäuser gibt es hier. Und das grüne Ruhrtal wird majestätisch von einer steinernen Burg überragt. Man fühlt sich wie auf Urlaub hier. Auch Hattingen, der Ortsteil Welper, wirkt so idyllisch kleinstädtisch und anheimelnd. An einer Stelle sehen wir aus dem Bus eins dieser Plakate von RUHR 2010: Hattingen, die Altstadt der Kulturhauptstadt Europas. Doch die ländliche Idylle hier findet ein jähes Ende. Ganz unromantisch ist da plötzlich eine riesige Industrieanlage mit grossen Fabrikgebäuden, stählernen Konstruktionen mit viel meist völlig verrosteten Eisenaufbauten; eine gigantisch grosse und apokalyptisch anmutende Anlage. Das ist die 1987 stillgelegte Henrichshütte, inzwischen das Museum für Eisen und Stahl im Industriemuseum Westfalen-Lippe.

Und diesmal entgehen wir nicht einer Führung über das Industriegelände. Es gibt gleich jetzt, wo wir die Eintrittskarten kaufen, eine Führung für Kinder und deren Anhang, das ist der sogenannte "Weg der Ratte". Da muss ich jetzt durch und kann mich nicht drücken. Kinder, die dazwischen quasseln stören nicht. Im Gegenteil ist das sogar erwünscht. In einer "Schatzkiste" hat die Leiterin der Führung typische Gegenstände mit, anhand derer sie die Arbeit der ehemaligen Eisenhütte erklärt: ein Stück Kohle, ein Stück Kalk, ein Stück Eisenerz. Sie lässt die Kinder eine Gasmaske aufziehen. Und der dann auch mich faszinierende Höhepunkt der Führung ist, dass wir auf den rostroten Hochofen mit einem Aufzug fahren. Immerhin auf eine Höhe von 35 Metern. Insgesamt hat der Hochofen eine Höhe von über 50 Metern. Natürlich hat man hier eine gute Aussicht. Man kann auf den bewaldeten Teil von Bochums Süden sehen. Eins der Kinder zeigt auf einen Punkt, der das Bochumer Planetarium ist und erzählt, dass es dort einen Kindergeburtstag gefeiert hatte.

Das ist ja dann schon alles ganz spannend, wobei ich wirklich nicht in diesem Werk gearbeitet haben möchte. Viele dieser Industriedenkmäler im Ruhrgebiet wirken zwar jetzt recht faszinierend, wo sie leerstehen und wo in ihnen nicht mehr gearbeitet wird (jedenfalls nicht auf die konventionelle Weise). Aber eigentlich finde ich doch fast richtig, solche heftigen Arbeitsorte stillzulegen, wo man giftige Gase einatmen musste, an heissen Hochöfen sich verbrennen konnte und vielen anderen Gefahren mehr ausgesetzt war. Gut, dass man diese Orte der Natur wieder überlässt. Bäume, Pflanzen überwuchern an vielen Stellen in diesem unwirklich scheinenden Gelände ehemals wichtige Arbeitsorte. Und natürlich müssen die Menschen sich dann eben anders beschäftigen. Das tun sie vielerorts im Ruhrgebiet auch manchmal recht verblüffend und meist selbstverständlich. Immerhin haben die Menschen hier sich schon seit vielen Jahren, Jahrzehnten sogar mit dem Strukturwandel in der Region befassen müssen.

Wir fahren wieder zurück über Bochum. Eigentlich ist Hattingen ja fast ein Nachbarort von Ratingen. Erst kommt Heiligenhaus, dann Velbert (beides noch im Kreis Mettmann wie Ratingen) und dahinter ist schon Hattingen. Aber bei der Infrastruktur hier im ÖPNV haben wir nur die Chance, über Bochum, Duisburg, Düsseldorf wieder nachhause zu fahren. In Bochum, was ich garnicht so hässlich finde, wie es immer beschrieben wird, machen wir eine Pause. Es gibt hier viele Grünanlagen, nette Vororte. Und auch das Viertel um den HBF herum ist ganz angenehm mit all den Studentenkneipen, meist migrantischen Restaurants in angenehmen Altbauhäusern. Das ist wohl das berüchtigte Bermudadreieck. Nach einiger Suche finden wir einen gemütlichen türkischen Imbiss, wo wir uns sattessen. Vorher hatten wir noch bei einem persischen Imbiss geguckt. Aber

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leider fand Tim da nichts passendes für sich zu essen. Der nette geduldige Besitzer hatte aber volles Verständnis dafür. Und so essen wir mal wieder wie so oft zum Abschluss dieses Ruhrgebietsbesuchs Döner und Köfte.

1.33.) Hattingen, Sprockhövel, die Elfringhauser Schweiz, Schwelm

Eigentlich wollen wir auf die Halde Haniel. Da wir den Bus nicht finden, fahren wir kurzentschlossen in eine ganz andere Gegend.

Am Oberhausen HBF sehen wir, dass der Bus 976 nicht bis Kleekamp fährt. Ein anderer Bus fährt dahin, aber offenbar nicht heute? So geben wir für heute eben unseren Plan auf, ab der Station Kleekamp in Oberhausen bis zur Halde Haniel in Bottrop zu laufen. Immerhin ist uns bewusst, dass wir uns hier über einem aktiven Steinkohleabbaugebiet befinden. Die Zeche Prosper-Haniel fördert bis heute Steinkohle in einer Tiefe von etwa 1000 Metern und das riesige Abbaugebiet erstreckt sich tief unterhalb von Bottrop, Oberhausen, Dinslaken. Nun suchen wir uns für heute aber ein anderes Ziel. Nach Hattingen fährt gerade eine S-Bahn. Da fahren wir doch spontan mal mit.

Durch das wie ein Erholungsort wirkende Mülheim a.d. Ruhr, Essen und Bochum-Dahlhausen, da wo das Eisenbahnmuseum in landschaftlich reizvollem Gebiet an der Ruhr gelegen ist, fahren wir also in die "Altstadt der Kulturhauptstadt", Hattingen an der Ruhr. Das Eis kostet in der Gelateria in der beschaulichen Altstadt nur 60 Cent, man muss die winzigkleine Kugel aber fast mit der Lupe suchen. Die vielgerühmte Altstadt von Hattingen finden wir gar nicht so umwerfend. In Hattingen ist aber ja die "Henrichshütte", wo derzeit im Rahmen des Kulturhauptstadtjahrs die Ausstellung "Helden" stattfindet. Als Helden galten die ehemaligen Stahlwerker, die gegen die drohende Schliessung der Hütte 1987 vergeblich auf die Strasse zogen und protestierten.Wieder kurzentschlossen steigen wir in einen Bus nach Ennepetal. Die nächste Stadt, durch die wir durchfahren ist Sprockhövel. Hier ist mindestens eine genauso schöne Altstadt wie in Hattingen. Die Stadt wirkt dafür aber nicht so touristisch.

Man fährt mit dem Bus schon kurz nach Hattingen ein Stück durch das kleine Mittelgebirge "Elfringhauser Schweiz". Gerade denke ich, was hat denn nun aber diese Stadt Sprockhövel eigentlich im Ruhrgebiet verloren? Da fährt der Bus an einer alten verschnörkelten roten Backsteinfabrik vorbei. Zeche "Alte Haase" steht da dran. Aha, dann ist ja alles klar. Auch Sprockhövel war also ein Steinkohlezechenstandort.

In der nächsten Stadt steigen wir aus dem Bus, zuerst in der irrigen Annahme, das sei hier Ennepetal-Gevelsberg, wo ja die S-Bahn durchfährt, wir sehen ja nur den S-Bahnhof. Kaum ist der Bus weg, bemerken wir, dass wir ja in Schwelm sind. Das ist aber auch gut. Hier im Ort sieht es auch nett aus. Und eine dieser grossen Fahnen mit dem Logo von RUHR.2010 am gegenüber vom Bahnhof gelegenen Park zeigt, dass wir aber nachwievor im Ruhrgebiet sind.

Auch Schwelm hat einen guterhaltenen mittelalterlichen Stadtkern mit vielen alten Fachwerkhäusern, Kirchen, mit Stuck verzierten dreistöckigen Villen. Ein uraltes Gasthaus in der Altstadt heisst "Am Müöllendiek" auf Plattdeutsch. Übersetzt heisst das wohl wie das benachbarte Hotel: "Am Mühlenteich", wobei hier weit und breit weder eine Mühle noch ein Mühlenteich zu sehen ist.

In einem Hauseingang liegt noch ungelesen eins dieser kostenlosen regionalen Werbeblätter. „Wap-Schwelm“ heisst das hier. Viel los ist scheinbar hier in der Region nicht. Immerhin heisst da eine Headline: Südkreis zeigt sich multikulti. Da haben sich 32 Kinder zweier Kindergärten in Ennepetal die Landesfarben jeweils eines anderen an der Fussball-WM teilnehmenden Landes auf beide Backen malen lassen. Und ein Foto davon ist auf „Wap-Schwelm“ abgedruckt. Na das ist ja mal ein erfreulicher Anblick bei all dem hier zurzeit dominierenden Schwarzrotgold.

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2.) GLÜCK AUF - Ruhrgebiet Die grossen Städte der Metropole RUHR

2.1) Deutsches Bergbaumuseum in Bochum

Unter dem Motto „GLÜCK AUF- Ruhrgebiet“ wurde kurz vor Beginn des Kulturhauptstadtjahr der Erweiterungsbau des Museums, der „schwarze Diamant“ eingeweiht.

Es regnet fast ununterbrochen. Da passt es schon, heute ins Museum zu gehen. Am HBF Bochum führt eine lange Rolltreppe fast endlos tief zum U-Bahnschacht hinunter, etwa so wie ich das bei der Londoner U-Bahn in Erinnerung habe. An der U-Bahn-Linie 35 Richtung Herne heisst dann die übernächste Station Deutsches Bergbau-Museum. Hier steigen wir aus. Unübersehbar ist hier natürlich sofort der imposante grüne Förderturm der ehemaligen Zeche Germania. Das ist jetzt ein ganz öffentlicher und offenbar sehr rege besuchter Platz. Hier ist das Deutsche Bergbau-Museum. Und wir haben heute sogar Glück, dass Tag der offenen Tür ist. So sparen wir uns die Familienkarte zu 14 Euro. Heute ist der Eintritt hier ausnahmsweise mal frei. Und es läuft derzeit unter dem Titel „Glück auf – Ruhrgebiet“ eine Sonderausstellung zur Eröffnung des Erweiterungsbaus des Museums, des „schwarzen Diamanten“.

Umfassend wird man hier über die Tätigkeiten der Kumpels und über alles zu deren Arbeitsbedingungen unter Tage informiert. Es gibt viele Informationen über die Werkzeuge, Maschinen, die Werkstoffe der Bergarbeiter. Es werden Videos gezeigt und es sind viele Bilder ausgestellt, Fotos und sogar Gemälde. Und man bekommt auch etwas hautnäher einen Eindruck von der Arbeitsrealität, wenn man wie einstmals die Kumpels in die Grube einfährt. Ein Aufzug fährt hier in 18 Meter Tiefe, was ja so dramatisch tief eigentlich nicht ist. So erfährt man aber anschaulich von einem recht heftigen Arbeitsalltag, den die Arbeiter gehabt haben müssen. Für jemand, der an "Handarbeit" garnicht gewohnt ist, muss das wie eine apokalyptische Welt wirken. All die düsteren Gänge mit den kleinen Abzweigungen, wo mit mächtigen Maschinen die Kohle abgebaut und direkt in die Loren verladen wurde. Es gibt Pferdeställe hier in dieser düsteren Welt; in einem steht eine Pferdeattrappe. Diese armen Tiere mussten vollkommen blind sein und ihr ganzes Leben verbrachten sie unter Tage. Aber auch die Bergleute mussten ja zumindest ihr Arbeitsleben in diesen ungastlichen Gängen, Hallen verbringen und dabei vielen Gefahren trotzen.

Auf dem Rückweg vom Anschauungsbergwerk bleiben wir direkt im Aufzug drin. Der gleiche Aufzug, der in das Anschauungsbergwerk fährt, fährt auch zum Förderturm zu einer Plattform in 50 Meter Höhe hoch. Wer möchte, kann auch noch auf einer Treppe 12 Meter höher steigen. Uns reicht das hier aber schon, man hat jetzt, wo mal die dichte Wolkendecke etwas aufgerissen ist, einen wunderbaren Ausblick auf die von oben überraschend grün aussehende Stadt Bochum. Und man sieht weit auch in Nachbarstädte hinein. Ich kenne hier ja eigentlich nichts. Nur das Bochumer Fussballstadion ganz nahebei kann ich ausmachen.

Auch an die vielen Kinder hier im Museum ist gedacht worden. Es gibt einen Raum, wo sie aus schwarzer Pappe und Transparentpapier entweder eine Grubenlampe basteln können oder einen echten Brikett Marke Rekord, wie ich sie aus meiner Berliner Zeit mit Kachelöfen her kenne, mit Farben bemalen können. Tim entscheidet sich für Letzteres.

Es hat sich wieder eingeregnet. Dennoch steigen wir am Rathaus Bochum in der Fussgängerzone mal aus. Wir gehen den Weg zum HBF zu Fuss. Es ist eigentlich keine Überraschung, dass hier der Weihnachtsmarkt von Bochum stattfindet, der heute bei diesem miesen Wetter aber sehr trist wirkt. Wir wollen noch etwas essen, aber bei den Ständen und den Geschäften in der Einkaufszone hat man eigentlich nur die Auswahl zwischen Süssem und Pommes Frites XXL (auf holländische Art). Am Bahnhof von Bochum setzen wir uns in einen Hamburger-Imbiss und bestellen Tim ein "Kidds

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bag".

2.2.) Die Heilige Barbara

Wie im Ruhrgebiet beschützt auch im polnischen Industrierevier in Oberschlesien die Heilige Barbara die Bergleute vor Gefahren.

Beata, die Mutter eines Freundes von Tim, hatte mich darauf mal angesprochen: Unsere Fahrten ins Ruhrgebiet interessieren sie, denn immerhin war ihr Vater ja Bergmann. Das war damals in Polen, bevor die Familie spätausgesiedelt wurde und nach Ratingen zog. Mitten im oberschlesischen Industrierevier um Katowice und Chorzow hatte ihr Vater jahrzehntelang unter Tage gearbeitet. In einem Revier, was ähnlich wie das Ruhrgebiet dicht besiedelt und industrialisiert ist.

Durch ihren Vater kennt Beata auch die Schutzheilige der Bergleute. Das ist die heilige Barbara. Jahrzehntelang hatte die heilige Barbara auch ihren Vater bei seiner Arbeit beschützt. Und auch im Ruhrgebiet war und ist die heilige Barbara die Beschützerin der Bergarbeiter.

Bei unseren Fahrten in der Metropole RUHR sind wir der heiligen Barbara bereits mehrmals begegnet. Einmal habe ich eine Skulptur von ihr in einem Zechenpark in Moers gesehen. Und im Bergbaumuseum in Bochum gibt es eine ganze Abteilung zu der Heiligen von Ikonen z.B. aus Russland, Skulpturen aus Holz oder Bronze, Talismane...

In einem Flyer der Nemitz-Stiftung St.Barbara im Deutschen Bergbaumuseum heisst es zu der hl. Barbara:

Der "Legenda Aurea" nach stammte die Heilige Barbara aus Nicomedia (Türkei) und lebte im 3. Jh. nach Chr. Sie bekannte sich zum Christentum, jedoch versuchte ihr Vater Dioskur mit allen Mitteln, sie von ihrem Glauben abzubringen: Sie wurde in einem Turm gefangen, gefoltert und schliesslich von ihrem eigenen Vater enthauptet. Die Legende berichtet, dass Dioskur daraufhin von einem Blitz erschlagen wurde. Als Märtyrerin soll die Heilige Barbara vor ihrem Tod immer wieder zu Christus gebetet haben. Deshalb wird sie mit dem Kelch (Hostie), überwiegend aber mit dem Turm mit den 3 Fenstern für die Dreifaltigkeit dargestellt. Die Heilige Barbara wurde anfangs von den Glockengiessern als Schutzheilige angerufen, später von den Artilleristen, die mit ihren Kanonen künstlich Blitze und Donner hervorrufen konnten. Mit der Einführung des Schießpulvers in den Bergwerken (16. Jahrhundert) gewann die Heilige Barbara dann auch für die Bergleute an Bedeutung. Heute ist sie für alle Bergleute (und verwandte Berufe) die bekannteste Schutzpatronin.

2.3) Zeche Hannover in Bochum

Durch den „Malakow“-Förderturm sieht die ehemalige Zeche Hannover wie eine mittelalterliche Ritterburg aus.

Eine runde platte Scheibe etwas größer wie ein Verkehrsschild steht an einer Stange befestigt am Heinz-Rühmann-Platz vor dem Wanne-Eickel HBF. Zu beiden Seiten der Scheibe ist ein Bild der Mondoberfläche abgebildet und mittendrauf steht der Text: „Willkommen auf dem Mond“. Der Bus 368 fährt durch Arbeiterviertel mit offenkundig meist migrantischer Bevölkerung in Herne-Wanne-Eickel, wie es jetzt heisst (oder heisst es Herne-Wanne und Herne-Eickel?) und durch Herne. Bis zur Station „Hannoverstrasse“ fahren wir mit. Das ist hier schon in Bochum-Hordel. Zuerst fragen wir ausgerechnet einen Ortsfremden, der hier als Ordner für eine gerade stattfindende Laufveranstaltung eingesetzt ist nach dem Weg. Der junge Mann weiss aber nicht genau. Er vermutet die Zeche Hannover in Bochum-Wattenscheid? Dann gehen wir aber einfach den Verlauf der Hannoverstrasse lang und fragen dort nochmal Passanten, die auch zur Zeche wollen. Und das ist auch direkt hinter einem Waldstück. Eigentlich ist diese riesige „Trutzburg“, die ehemalige Zeche Hannover garnicht zu verfehlen.

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Wir gehen um das Gelände herum und in das Hauptgebäude hinein. Trotz der Dauerausstellung des LWL-Museums und der auch sehr interessanten Sonderausstellung „Wege der Migration“ kostet es hier keinen Eintritt. Man bekommt auch hier einen guten Eindruck über das einstmals harte Leben der Bergleute in dieser imposanten Zeche. Ein Angestellter, der hinter dem Auslagentisch mit Büchern und Prospekten, Postkarten und dgl. sitzt, macht uns darauf aufmerksam, dass in einer halben Stunde eine Führung stattfindet, in der die riesige Maschine mit dem gigantischen Förderrad auch angestellt wird. Erst wollen wir aber mal zur „Zeche Knirps“, wo Tim auch seinen Spass haben kann.

Auf dem grossen Zechengelände sind Gleisanlagen für Loren, aber auch für grosse Güterzüge. Ein paar stark verrostete Waggons stehen da auch auf ebenso verrosteten Gleisen herum. An einer Stelle vor der „Burg“ sind hunderte von längst nicht mehr gebrauchten Sicherheitsschuhen. Das sind schwere hier auf den Boden festgeschraubte Halbschuhe mit Stahlkappen. Man stellt sich förmlich die Bergarbeiter vor, wie sie mit diesen Schuhen täglich in die hier 750 Meter tiefe Grube einfuhren. In einem anderen, einem nur einstöckigen Gebäude, der ehemaligen „Lüfterhalle“ ist auch eine Gastronomie, eine urig aussehende Kneipe, untergebracht.

Und dann ist da noch einmal als interessantes Klettergerät für die Kinder eine Miniatur der Zeche Hannover aus Holz aufgebaut. Das ist die „Zeche Knirps“. Hier können die Kinder spielerisch an Miniaturloren und Förderband den Betriebsablauf in einem Bergwerk kennen lernen.

Da uns die Führung nichts kostet, nehmen wir auch daran teil. Und das ist wirklich interessant und neu für uns. Ein Mitglied des „Förderverein Zeche Hannover“ erklärt vor dem Gebäude erst einmal, was überhaupt ein „Malakowturm“ ist. Dieser Turm, der aussieht wie von einer Ritterburg, wie ein aufmerksames Kind sagt. Das Wort „Malakow“ kommt nämlich von einem Begriff für eine Befestigungsanlage aus ukrainischen Kriegen. Und Hannover heisst die Zeche einfach, weil die Gründer der Anlage aus Hannover stammten. Dann werden wir nochmal in den Malakowturm geführt, wo wir die Kaue der Bergleute und den Mittelpunkt der Anlage, die noch vollkommen funktionstüchtige Dampfmaschine im Maschinenhaus erklärt bekommen. Diese Maschine wird dann auch für eine kurze Zeit zur Freude nicht nur der an der Führung anwesenden Kinder angestellt.

1973 musste die Zeche Hannover als letzte der Bochumer Zechen schliessen. Sie sollte dann wie so viele andere stillgelegte Bergwerke abgerissen werden. Inzwischen ist dank des Fördervereins und des LWL-Industriemuseums ein wunderbares Industriedenkmal für die Nachwelt erhalten geblieben.

2.4) Die Halde Tippelsberg in Bochum

Im Norden Bochums sind völlig überraschend Kornfelder mit reifem Korn, Bauernhöfe und die Halde Tippelsberg.

In weniger als einer Stunde Fahrt bin ich bereits am Bochum HBF. Auch auf den Bus 353 Richtung Castrop-Rauxel muss ich nicht lange warten. Na, das klappt ja heute. Der Bus fährt am Bochumer Rathaus, einem streng wirkenden klassizistischen Bau, vorbei. Auf dem Rathausvorplatz steht eine mehrere Meter hohe gusseiserne Glocke. Diese Glocke ist vom Bochumer Verein gefertigt, steht da auf einem Schild drauf. Das sagt mir etwas. Schliesslich habe ich kürzlich ein Buch über die Dynastie Krupp gelesen. Der Bochumer Verein war über Jahrhunderte ein erbitterter Konkurrent im Stahlsektor für die Krupps.

Wenn man aus dem zwar lebendigen, aber überwiegend ja aus Neubauten bestehendem Bochumer

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Zentrum vorbei an dem Kneipenviertel Bermudadreieck herausfährt, wird es beschaulich und man sieht, dass Bochum zwar keine Schönheit ist, wie es ja auch in Grönemeyers Bochum-Hymne heisst, aber durchaus seine schönen und liebenswerten Plätze hat. Der Bus fährt durch ruhige Wohngegenden mit viel Grün dazwischen, es gibt einen Tierpark, ein Kunstmuseum und im Bochumer Norden, schon fast an der Grenze zu Herne wird es sogar ländlich.

Es gibt hier Kornfelder mit schon gelbem reifem Korn, Bauernhöfe und dann heisst die Busstation Tippelsberg. Ich sehe aber nicht den immerhin 150 Meter hohen Berg. Etwas ratlos gehe ich die Strasse weiter. Dann heisst die nächste Busstation schon Kötterberg. Nein, das wird es hier nicht sein und so frage ich einen Landwirt, der an der Strasse sein Obst und Gemüse verkauft, wo der Tippelsberg ist. Freundlich erklärt er mir den Weg. Das ist ganz entgegengesetzt von da, wo ich gesucht habe.

Auch diese Halde, eine Abraumhalde, bietet einen grossartigen Panoramablick. Sie scheint schon recht alt zu sein, denn am Fuss ist ein dichter hoher Wald und weiter oben wachsen Sträucher und viele blühende Pflanzen. Im Ruhrmuseum im Essener Zollverein hatten wir letztens die Samenmischungen speziell für Halden gesehen. Oben auf dem Plateau ist es grandios wie auf all den anderen Halden im Ruhrgebiet. Man kann weit sehen. Die markanten Stahlbögen der Hertener Halde Hoppenbruch erkenne ich sofort und auch natürlich den grünen Förderturm der eh. Zeche Germania vom Deutschen Bergbaumuseum in der Bochumer Innenstadt. Westlich kann man nach Essen und weiter blicken. Den Zollverein mit den markanten roten Gebäuden erkenne ich deutlich und dahinter diese Berge könnten die Halden in Bottrop sein. Und wie schon beim Blick vom Bergbaumuseum staune ich, wie grün das Revier ist.

Auch unten an der Halde bietet sich ein ganz uriger Anblick. Da ist ein wogendes Kornfeld mit reifem gelben Korn; Gerste ist das vermutlich. Ringsum ist es kräftig grün von Wald und darüber ragt der zartgrüne Förderturm vom Deutschen Bergbaumuseum. Man meint nicht, mitten im Ruhrgebiet zu sein. Zurück gehe ich zuerst ein Stück zu Fuss und als an einer Station in einem ruhigen, gepflegten Wohnviertel an einer Station gerade der 354er Bus hält, steige ich da ein. Dieser Bus fährt nämlich auch über den Bochum HBF und das über eine etwas andere Strecke als der 353, nämlich am Bochumer Stadtpark und am Planetarium vorbei.

2.5.) Die Zeche Zollern in Dortmund, das "Schloss der Arbeit"

Und selbst mitten in Dortmund kann man sich wie auf einem Dorf vorkommen. In der Zeche Zollern findet, wo wir da zu Besuch sind, sogar gerade eine Zuchtgeflügelschau statt.

Diese als "Schloss der Arbeit" bezeichnete Zeche Zollern, eine längst stillgelegte Kohlenzeche in Dortmund, ist aber schwer zu finden. Am Dortmunder HBF ist ein etwa 60jähriger Migrant, vermutlich italienisch, so freundlich, uns den wirklich schwierigen Weg dorthin zu erklären. Einen Teil der Strecke, bis Dortmund-Lütgendortmund haben wir den gleichen Weg gemeinsam. Bis dahin mussten wir schon einmal in Dortmund-Dorstfeld umsteigen und hier in Lütgendortmund müssen wir noch ein paar Stationen mit dem Bus bis Dortmund-Bövinghausen fahren. Das ist ein Dorf, sagt der freundliche Mann. Tatsächlich wirkt das hier wie ein Dorf, allerdings ist es ein recht grosses mit grossen alten Häusern, teilweise recht schönen Villen, wo wohl früher die Bergleute gewohnt haben. An einer Stelle sehe ich eine Kneipe, die heisst "zum Dorfschulzen". Ein Stück weiter an dieser langgestreckten Provinzialstrasse steht am Anfang einer Querstrasse ein Ortsschild. Castrop-Rauxel beginnt dort bereits.

Wir aber haben jetzt nur auf der anderen Strassenseite ein Stück um die Ecke zu gehen und sind vor dem "Schloss". Und wir sind sehr beeindruckt von einer sehr schönen Zeche mit wundervollen Jugendstilgebäuden. Hier ist offenbar seit vielen Jahren schon ein recht eindrucksvolles Museum in

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den ehrwürdigen Backsteingebäuden untergebracht. Das Gefühl, dass das hier angenehme Arbeitsplätze waren, kommt einem hier aber schnell abhanden. Recht eindrucksvoll wird der Arbeitsalltag der Bergleute in Fotos, Texten, auf Videos, teils ja sogar ganz real an deren ehemaligen Arbeitsplätzen mit all ihren Werkzeugen und sonstigen Utensilien dokumentiert. Ohne dieses offenbar sehr harte Arbeitsleben zu beschönigen, denn es werden anschaulich z.B. auch mit Röntgenfotos Staublungen, eine weitverbreitete Bergarbeiterkrankheit, geschildert. Es wird von schweren bis schwersten Unfällen berichtet. Und da ist ein Raum, wo der vielen in Ausübung ihres Berufes gestorbenen Bergarbeiter in dieser Zeche gedacht wird. Da kann einem schon ganz schön unheimlich zumute werden.

Ein Teil des Geländes ist derzeit abgesperrt z.B. da, wo an einem der beiden Förderturme noch grosse schwarze Kohlehalden sichtbar sind. Der übrige Teil der Gebäude ist aber von regem Leben erfüllt. In einer Veranstaltungshalle ist ein Kongress von Medizinern. Für die ist in einem grossen Raum ein Büffet mit kalten und warmen Speisen aufgebaut. Es gibt hier aber auch ein öffentliches Cafe, Restaurants, es gibt weitere Ausstellungshallen. Aus einer der Hallen höre ich Laute, die ich hier nicht gerade vermute: Sehr überraschend findet hier gerade in einer geräumigen Halle eine grosse Zuchtgeflügelschau statt. Mit hunderten von Hühnern, Gänsen, Tauben und sonstigem Federvieh.

Auf der Rückfahrt versuchen wir unser Glück erst beim Bahnhof Dortmund-Bövinghausen. Nachdem uns die sonntags nur einmal stündlich fahrende "Emschertalbahn" gerade vor der Nase weggefahren ist, bleibt uns nur der Bus, der immerhin 2 mal pro Stunde fährt. Ich frage den Busfahrer, wo wir wohl am besten austeigen, um weiter zum Essen HBF zu fahren. Irritiert guckt der Fahrer mich an, er zuckt mit den Achseln. Die Metropole RUHR muss offenbar erst noch zusammenwachsen. So müssen wir wohl den gleichen mühsamen Weg zurück über Lütgendortmund. Hier machen wir bei einem der auch hier in Dortmund zahlreichen türkischen Imbisse eine Pause. Tim bekommt hier ein KidsBag mit Pommes, Dönerfleisch, Saft und einem Spielzeug für 3 Euro. Das ist eine gute Geschäftsidee.

Dann steigen wir in einen Bus, der nach Bochum HBF fährt und der hoffentlich nicht an jeder "Milchkanne" hält. Das tut er aber. So lernt man eben das Ruhrgebiet kennen. Zwischen Lütgendortmund und Bochum-Werne ist überraschend viel Wald. Da sind Felder, Bauernhöfe, allerdings sieht man auch hier immer wieder von weitem weitere Fördertürme von Zechenanlagen. Und Bochum kommt mir vor wie eine viel zu schnell von einer Kleinstadt zur Grosstadt gewachsene Stadt. Durch enge und hügelige Strassen kurvt der Bus zum Bochum HBF.

2.6.) Kokerei Hansa in Dortmund

Fast hätten wir in der Kokerei eine Führung mitgemacht. Dafür gucken wir uns dann den Dortmunder Hafen an, gehen auf den Weihnachtsmarkt und klettern auf die St.Reinoldikirche.

Am HBF Dortmund steigen wir um in die U-Bahn/Strassenbahn 47, wo nach 5 Stationen die Station Parsevalstrasse heisst. Hier geht es zur Kokerei Hansa in der Emscherallee. Aber das ist nicht etwa da, wo dieser markante grosse grüne Förderturm einer (ehemaligen) Zeche ist. Hier geht es nur zu einem ganz normal genutztem, heute am Sonntag verwaistem Gewerbegebiet. Die Kokerei ist etwa einen halben Kilometer von hier entfernt. Man erkennt schon von weitem schwarzgetönte gigantisch grosse Gebäude, ein eigentlich ganz hässliches Etwas. Wo zuerst überhaupt keine Menschen zu sehen sind. Erst nachdem wir ein schwarz-rotes backsteinernes Tor durchgegangen sind, kommt aus einem Glaskasten ein vielleicht 60-jähriger Mann heraus. Er wirkt ein bisschen so, als ob er früher hier mal gearbeitet haben könnte. Er überredet uns, an einer in einer Viertelstunde stattfindenden Führung teilzunehmen. Naja, das kostet uns jeweils 2 Euro Eintrittsgeld mehr. Das kann man ja mal machen.

"Du bist alt genug, ruhig zuhören zu können", zischt eine etwas aufgedonnerte Blondine Tim

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empört zu. Er macht Faxen, quatscht rum und ist garnicht interessiert an dem, was der wohl ehemalige Arbeiter der Kokerei vor einer Vitrine mit ausgestellten Chemikalien wie Schwefel, Kohlestücken, Flaschen mit Benzin, Benzol... uns und etwa 10 anderen Besuchern alles zu erzählen hat. Dann gehen wir halt; wir möchten ja auch nicht stören. Und eigentlich sind wir nur recht kurz sauer auf Tim. So spannend hätte ich das auch garnicht gefunden, ganz detailliert über sicher recht unangenehme ehemalige Arbeitsplätze / Arbeitsbedingungen an dieser 1992 stillgelegten Kokerei zu erfahren. Dann hören wir halt keine "Dönekes vonne Maloche auffe Kokerei", wie es auf Ruhrplattdeutsch, im Flyer zur Kokerei heisst. Aus der geförderten Kohle wurde in 1000 Grad heissen Öfen Koks, Benzol, Schwefelsäure... produziert. Und die Mitarbeiter konnten auf den Öfen Spiegeleier braten...

Wir gehen zurück zur Parsevalstrasse; das ist eine eigenartige düster wirkende Strasse mit eigentlich schönen alten Mietshäusern, von denen aber viele seit langem offenbar leerstehen. Und dann fahren wir mit der Bahn zurück. Eine Station heisst "Hafen". Hier steigen wir etwas neugierig wieder aus. Das wusste ich garnicht, dass Dortmund überhaupt einen Hafen hat. Der ist sogar recht gross. aber natürlich aber auch längst nicht so gross wie der Hafen in Duisburg Ist das hier denn die Emscher?- oder der Rhein-Herne-Kanal? Später lese ich, das ist der Dortmund-Ems-Kanal. Von hier aus gehen wir dann in die Innenstadt zu Fuss. In Dortmund ist alles ein Stück größer als in den vorher von uns besuchten Städten im "Revier". Aber klar, Dortmund ist ja auch die größte Stadt der "Metropole RUHR". In einer Strasse unweit vom HBF, der Münsterstrasse (an vielen Stellen hängen Plakate "Münsterstrasse- ein lebendiges Pflaster") sind neben türkischen Imbissen, türk. Reisebüro... viele arabische Geschäfte. Restaurants von Marokkanern, Libanesen, an einem Restaurant steht etwas von mesopotamischen Spezialitäten, arabische Lebensmittelgeschäfte, arab. Trödelläden, arab. Bäcker, arab. Geschäfte mit Elektroartikeln...

In Dortmund merkt man überall, dass das eine Arbeiterstadt ist. Man merkt, dass Dortmund eine (ehemalige) Stahl- und Bierstadt ist. Es gibt an vielen Stellen grünlich oxydierte Bronzeskulpturen von Giessern, Stahlarbeitern, überall sieht man Plakate mit Bierwerbung z.B. mit dem grossen "U" für Dortmunder Union Bier.

In der Fussgängerzone im Stadtzentrum findet der Weihnachtsmarkt mit unzähligen Ständen, Fahrgeschäften...statt. An einem Stand von der Dortmunder Tafel sieht Tim ein Glücksrad, da will er unbedingt mal dran drehen und er gewinnt ein 3-dimensionales Puzzle. Ein Stück weiter ist die evangelische St. Reinoldi-Kirche. Von weitem haben wir schon gesehen, dass dort in luftiger Höhe Menschen auf einer Art Balkon herumgehen. Da gehen wir also mal rein und tatsächlich gibt es da eine Aktion "Turm und Tee". Da kann man für 2,50 Euro die vielen Stufen an riesigen Glocken vorbei bis zu einer 50 Meter hohen Aussichtsplattform hochsteigen. Man hat eine super Aussicht über den jetzt in der Dämmerung schon mit Tausenden von Lichtern beleuchteten Weihnachtsmarkt, über ganz Dortmund und andere Städte des Ruhrgebiets.

2.7.) Das Büdchen

Zwar war das Büdchen nicht in Dortmund, aber es hätte dort sein können. Die langjährige Pächterin stammt aus Dortmund und hatte viele Jahre lang versucht, den Ratingern dieses Stück Ruhrgebietskultur nahezubringen .

Gudrun und Sheriff fehlen einem hier. Die eh schon etwas verschlafene Gegend am Rande des größten Ratinger Gewerbegebiets ist noch ein Stück mehr zur Einöde geworden, seitdem die weg sind und der einfache Flachbau, wo deren Büdchen und Imbiss war, verfällt. Auch die Kneipe nebenan ist raus und ebenso die Wäscherei. Auf dem Parkplatz hinter dem Flachbau und an der Kellertreppe, überall da, wo Platz ist für etwas Erdreich, wachsen kleine Ahornwäldchen. Hier in der Siedlung, wo wir wohnen, ist durch die Ahornbäume am Strassenrand der Ahorn kaum wegzukriegen. Auch in Garten und auf Wiesen selbst hinter den Genossenschaftshäusern in der ganzen Siedlung sieht man überall kleine Ahornbäumchen von Samen, der millionenfach im

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Sommer und Herbst angeflogen kommt. Einmal im Jahr hatten Gudrun und Sheriff die nachgewachsenen Pflanzen weggemacht. Jetzt ist seit deren Geschäftsaufgabe bereits an mehreren Stellen ein mehr als 2 Meter hohes Wäldchen gewachsen. Noch 1, 2 Jahre, dann muss diese raffgierige Erbengemeinschaft, die den kleinen Geschäften von einem Tag auf den anderen die Miete verdoppelt hatte, mit schwerem Gerät die dann tief verwurzelten Bäume wegmachen.

So ein Büdchen oder Trinkhalle ganz nach Ruhrgebietsvorbild ist nicht einfach nur ein Geschäft. Gudrun stammt ja aus dem Revier, aus Dortmund; ihr Mann mit dem türkischen Namen Seref (alle sagen aber Sheriff) kommt aus Duisburg-Hamborn und hat eine Schwester in Duisburg. Im Ruhrgebiet haben diese Büdchen oder Trinkhallen eine lange Tradition und sind wichtige Institutionen. Manchmal treffen wir hier auf der Strasse den Basti, ihren Sohn, der als Installateur arbeitet. Er erzählte mir letztens, dass Sheriff wieder Arbeit hat, beim Ismael, den wir auch gut kennen . Er hat am Ratinger Marktplatz einen Gemüse- und Obststand. Immer wenn wir mit Tim dorthingehen, bekommt er ein paar Aprikosen oder Weintrauben geschenkt. Natürlich gehen wir direkt gucken und sagen Hallo. Schön, Sheriff wieder gesund und in Arbeit zu sehen. Er war nämlich nach dem Ende des Büdchens schwer erkrankt. Er hatte plötzlich einen Herzinfarkt. Ein Bekannter vom Büdchen sagt, das ist oft, wenn man nach harter Arbeit in so ein Loch fällt. Aber jetzt ist er wieder gesund, sieht richtig gut aus und es ist ihm zu gönnen, dass er bei seinem Landsmann, den er natürlich auch schon lange kennt, wieder eine gute Arbeit hat. Der Gemüsestand von Ismael ist bekannt in Ratingen für das stets gute Gemüse und Obst und die freundliche Bedienung. Auch wir kaufen hier oft ein.

20 Jahre haben Gudrun und Sheriff ihr Büdchen geführt in eigentlich einer strategisch ungünstigen Gegend. Das bisschen Laufkundschaft von der Strasse, wo wir wohnen und von der Kaiserswerther Strasse ist eigentlich viel zuwenig und so hatte Sheriff auch darauf verzichtet, hier türkische Speisen zu verkaufen, nur gelegentlich mal Döner, Börek und Lahmacun, Salate.. Die tragende Geschäftsidee hatte Gudrun. Jeden Tag hatte sie in all den Jahren 2 Mittagsgerichte zur Auswahl, solide deutsche Küche zu bezahlbaren Preisen. Für die Angestellten und Arbeiter der vielen kleinen und mittleren Gewerbebetriebe zu beiden Seiten der Süd-Dakota-Brücke, die die Westbahn überquert und die größten Ratinger Stadtteile Mitte und West verbindet. Und das funktionierte auch. Zusammen mit den Einnahmen aus dem Kiosk und dem Imbiss. Oft waren wir z.B. auch hier. Das Büdchen war so etwas wie ein Lebensmittelpunkt für die ganze Nachbarschaft. Hier kaufte man morgens seine Zeitung, auch seine Brötchen und wenn man mal keine Lust zu kochen hatte, konnte man hier preisgünstig etwas essen oder nachmittags mal auf einen Kaffee vorbeigehen, abends auch mal auf ein Bier. Und mit der Zeit waren wir mit den beiden gut befreundet wie so viele hier. Allen tat es in der Seele weh, dass die ihr Büdchen aufgeben mussten.

Wie es bei Freunden so ist, konnte man jederzeit mal bei den beiden vorbeigehen, sein Herz ausschütten, nach Rat fragen, einfach mal quatschen, was einem so verquer liegt, wenn nicht mit Gudrun und Sheriff, dann mit den stets anwesenden Gästen. All das fehlt jetzt, täglich trifft man auf andere, die dort auch gerne aus und eingingen. Aber das ist nicht mehr dasselbe. Schade. Immerhin sind die beiden ja nicht aus der Welt. Auch Gudrun hat wieder eine Arbeit gefunden. Einmal hatte ich sie bei einem Bäcker in West als Verkäuferin gesehen und auch ein paar Worte mit ihr gewechselt. Jetzt hat sie aber schon wieder etwas Neues. Das war klar, dass sie, die tagaus, tagein ihre 14,15 Stunden gearbeitet hatte, sofort wieder arbeitet, garnicht ruhig zuhause sitzen kann.

2.8.) Am Phönixsee und im Dortmunder U

So sehr uns der Phönixsee zuerst gefiel, inzwischen merken wir, dass dort die Bewohner verdrängt werden und dass da ein Reiche-Leute-Viertel entstehen soll.

Jetzt sieht man den See schon von Hörde aus. Aber der ist doch viel kleiner als erwartet. Am

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Eingang zum See von der Hermannstrasse aus steht ein Toilettenhäuschen. Stattliche 50 Cent wollen die da abkassieren. Jetzt gibt es hier also auch schon „Toilette mit Seeblick“. Zuletzt hatte ich mich schon über die überteuerten „Pommes Frites mit Seeblick“ geärgert, die ich an einer Pommesbude in Hörde kaufte. Das ganze Gelände um den See ist umzäunt und motorisierte Kleinwagen von einer „Security“ fahren hier herum. Die Security-Leute achten darauf, dass niemand an Frischgepflanztes geht. Und auf der anderen Seite des Sees, im „Weingartenviertel“ sieht man, dass etliche der Häuser am Ufer nach dem Slogan „Wohnen am Phönixsee“ schon fertiggestellt sind.

Dabei ist heute so ein schöner Tag und die Sonne scheint bei sommerlichen Temperaturen. Auch das Wasser im See ist super klar, man sieht fast bis zum Grund. Das ist doch ziemlich tief, 3 oder 4 Meter wird das schon sein. Aber gross ist der See tatsächlich nicht. Wie konnte ich ihn nur mal mit dem Essener Baldeneysee vergleichen ? Man ist zu Fuss schnell am östlichen Ende. Man hat über eine vorgeschriebene Emscherbrücke auf die andere Seite zu gehen und bei jedem kleinen Verstoss dagegen kommt die „Security“ angefahren und ermahnt die Leute. Alles wird hier einem vorgeschrieben. Bäume, Sträucher sind frisch gepflanzt; der Park um den See ist ganz neu angelegt. Das muss man verstehen.

Die Emscher, ja tatsächlich, dieses hier vielleicht 1 Meter breite Flüsschen, ein Bach ist das hier eher, was da mäandernd, durch grüne Auen, mit kristallklarem Wasser entlangfliesst, ist also die Emscher? Dieses ehemalige „Köttelbecken“, der einst verdreckteste Fluss Europas, der sogar über Jahrzehnte aus der Liste der Flüsse gestrichen wurde? Und der auch heute noch mitleiderregend quer durchs Revier fliesst bis zur Mündung in den Rhein in Dinslaken. Schnurgerade, mit kränklich aussehendem Wasser. Nein, sehr glaubwürdig ist das mit der Emscher hier nicht, wie überhaupt der ganze Phönixsee eine grosse Enttäuschung ist. Ein richtiger Nepp scheint das hier zu werden. Mit all diesen Baustellen und den Baustellenschildern, wo verkündet wird, dass man hier demnächst „Eigentumswohnungen am Phönixsee“ erwerben kann. Sogar auf französisch steht auf einem Plakat „Les teraces du lac“; am Hang unter dem „Weingartenviertel“ wird für die entstehenden Einfamilienhäuser um Käufer geworben. Und das in diesem ehemaligen Arbeiterviertel in einer der ärmsten Städte Europas.

Dabei ist es durchaus schön hier besonders in dem höhergelegenen Viertel im Stadtteil Schüren, wo man 50, vielleicht 100 Meter über dem See ist und man bei dem sommerlichen Wetter heute eine fantastische Aussicht rüber nach Hörde mit der alten Hörder Burg, wo die Verwaltung der Stahlhütte war. Darüber sind ein riesiges Gasometer und total verrostete Bauten des noch vorhandenen Werkes Phönix West zu sehen. Wir gehen noch ein bisschen durch das „Weingartenviertel“. Tatsächlich heissen die Strassen hier am Hügel über dem Phönixsee „Zum Weinberg“, „Winzerstrasse“, „Am Remberg“, „Weingartenstrasse“ und es wird sogar in einigen der sonnigen Gärten am Hang Wein angebaut, in Gemüsegärten mit Bohnen und Tomaten... Die alten Gründerzeithäuser von „Am Remberg“ und in der „Weingartenstrasse“ sind oft halb verfallen. Sie warten auf ihre Luxusmodernisierung wie so einige bereits sanierte Vorzeigehäuser.

Nur vereinzelt blitzt längst vergangener Charme in diesem Viertel auf. An einer Bushaltestelle beschliessen wir, uns dieses Drama nicht weiter anzugucken. Eine ältere, wie eine Bäuerin wirkende Anwohnerin, die vor einem uralten 2-geschossigen, sehr renovierungsbedürftigen etwas windschiefen Haus den Bürgersteig fegt, fragen wir nach der Uhrzeit. Das wird kurz nach 12 sein, denn die Kirchturmuhr hat gerade geschlagen, sagt sie uns freundlich. Und tatsächlich haben wir nicht lange zu warten auf den 456er Bus um 12.13 Uhr.

Quer durch mir völlig unbekanntes Dortmund fährt der Bus zum HBF über Westfalendamm, Hoeschpark, es folgt der berühmte Borsigplatz, ein kreisrunder belebter Platz, auf den 7 Strassen zulaufen und wo einige Borussia-Dortmund-Fan-Kneipen sind. Urig, hier feiern die Borussia-Fans

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also ihre Feste z.B. die deutsche Meisterschaft. Die Strassen und Viertel der Stadt wirken angenehm. Ok., da sind schon öfters mal Bettler zu sehen oder mal eine umlagerte Suppenküche, es sieht mitten im von Arbeitslosigkeit, Hartz4 gebeutelten Dortmund natürlich nicht aus wie im chicen Düsseldorf, aber das wirkt hier auch nicht unbedingt wie „Problembezirke“.

Mit der U-Bahn fahren wir zur Station „Westfalenpark“. Es sieht ja verlockend aus da drinnen hinter der Absperrung mit dem See, dem Park mit Blumen, Tieren, dem Dortmunder Fernsehturm...Aber 9 Euro Eintritt für eine Familienkarte ist uns einfach viel zu teuer und so fahren wir nochmal U-Bahn bis zur Station Stadtgarten. Aber was man in Dortmund eben so Stadtgarten nennt, das ist nur ein kleiner Park hier am Friedensplatz, wo wir endlich mal Picknick machen und mitgebrachte Käsebrote essen. Und es ist ganz zentral hier. Durch die belebte Fussgängerzone, vorbei am Hansaplatz, wo ein quirliger Markt stattfindet, lassen wir uns gemütlich bis zum Dortmunder U treiben. An einer Stelle werden von jungen Leuten Flugblätter verteilt, wo für das kommende „Pfefferpotthastfest“ Ende September. am alten Markt geworben wird.

Die ehemalige Union-Brauerei; das Dortmunder U, ist inzwischen ein chices Zentrum für die Kreativen geworden. Im Eingangsbereich wird man schon von diesen fantastischen Videoinstallationen des bekannten Dortmunder Filmemachers Adolf Winkelmann überrascht. Und zwar im Treppenhaus. Da sind eigentlich ja nur oben Fenster, zwei Reihen mit 3 quadratischen Fenstern im 5ten und 6ten Stockwerk. Die 3 Fensterreihen darunter sind nicht echt, das sind Videoinstallationen mit abwechselnden Filmen. Einmal sind Musikanten in den Rechtecken zu sehen – in jeweils einem der 9 „Fenster“ jeweils einer – in einem sind es 2. Erst sind die Bilder reglos, dann bewegt sich einer der Musiker, betätigt sein Instrument, die anderen tuen es ihm nach, bis alle Musiker gemeinsam ein Musikstück spielen. Faszinierend.

2.9.) Herkules in Gelsenkirchen

Für mich ist die Herkules-Skulptur im Gelsenkirchener Nordsternpark das eindrucksvollste Kunstwerk vom Kulturhauptstadtjahr.

Der Gelsenkirchen HBF ist voll mit Schalke-Fans. Offenbar hat der Revier-Kultklub heute ein Heimspiel. Der Stadtteil Schalke mit der Arena ist aber in der anderen Richtung als Gelsenkirchen-Horst, wo ich mit dem Bus zum Nordsternpark hinfahre. Das Gelände um die ehemalige Zeche Nordstern ist viel größer, als ich es vom letzten Besuch in Erinnerung habe. Vor Allem erinnere ich mich an den 30 ? Meter hohen imposanten rostroten Förderturm, das ist ein wahres Prachtexemplar. Aber ich wusste nicht mehr, dass dieser einfache viereckige Turm dahinter, wo „Nordstern“ draufsteht, soviel höher ist, etwa doppelt so hoch. Und jetzt ist oben auch noch diese 18 Meter hohe etliche Tonnen schwere Herkules-Plastik aus Aluminium drauf. Dieser silberne Gigant aus der griechischen Mythologie mit nur einem Arm und jetzt mit blaugefärbten Haaren und Bart, roten Lippen. Ich habe in der Zeitung Bilder davon gesehen, wie der Künstler Markus Lüpertz an der schon aufgestellten Plastik in luftiger Höhe Haare und Bart färbte.

Für mich ist das die eindrucksvollste künstlerische Arbeit im Ruhrgebiet im Kulturhauptstadtjahr, was aber garnicht mehr so recht wahrgenommen wurde. Nach dem Loveparade-Unglück war da die Luft raus. Aber die Symbolik dieses griechischen Giganten soll ja, so sagt es ausdrücklich auch der Künstler, der mal Direktor der Düsseldorfer Kunsthochschule war, in die Zeit nach der Kulturhauptstadt hineinwirken.

Nach Bundesgartenschau, das war hier auch mal im Nordsternpark 1997, und Kulturhauptstadt muss dass Leben im Ruhrgebiet ja schliesslich weitergehen. Es müssen neue Impulse kommen, bloss wie? Die Schwierigkeit dieses Vorhabens symbolisiert die Einarmigkeit des riesigen Herkules.

Es scheint überraschend heute die Sonne. Da mache ich mich zu Fuss auf, die Gegend etwas weiter

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zu erkunden und gehe die Emscher entlang. Die ist doch ganz schön breit ist hier, 6 Meter vielleicht , etwa halb so breit wie der parallel dazu entlangführende Rhein-Herne-Kanal. Dennoch, gesund sieht der Fluss echt nicht aus. Bei aller Freundschaft, so schnurgerade fliesst kein Fluss. So etwas kann man auch nicht mehr renaturieren, dass der Fluss seine Auen wieder bekommt, Mäander, eben seine natürlichen Formen, seinen natürlichen Verlauf. Bis zu dem Heizkraftwerk Essen-Karnap führt ein Fussweg an der Emscher entlang. Dann geht es nicht weiter und ich gehe durch eine ruhige Wohngegend zurück zur Brücke über Emscher und Kanal, wo ich vorhin die gelbe Strassen-/U-Bahn habe fahren sehen. Von der Brücke aus sieht man, wenn man nach Norden guckt, links das gewaltige Kraftwerk, dahinter ist das Tetraeder in Bottrop und rechts inzwischen als ganz kleine unscheinbare Figur die Herkules-Plastik auf dem Nordsternhaus.

Am U-Bahnhof Altenessen-Mitte steige ich nochmal aus der Bahn. Hier in den nördlichen Essener Bezirken ist man ganz offensichtlich in sozialen Brennpunkten. Auf einem hässlichen Platz mit lauter Neubauten sitzen kleine Gruppen von Männern, trinken Bier, zwei in einer slawischen Sprache, vielleicht russisch, miteinander Redende trinken Wodka. Hier auf dem Platz ist auch ein Wegweiser zur Zeche Carl und da das nur wenige Meter dahin sind, gucke ich mir das mal an. Das Eingangshaus ist rosagefärbt. Ein stilisierter Förderturm einer Kohlenzeche ist daraufgemalt. Das Haus ist 2stöckig und in bunten Lettern steht da „Förderturmhaus“ drauf. Die Unterzeile heisst „Ideen für Essener Kinder“; scheinbar ist das eine Kindertagesstätte. Weiter stehen auf dem Gelände ein paar Backsteinbauten aus 1925, wie da an einem dransteht. Da ist so ein altes Haus mit einem „Türmchen“. Das wird dann ja wohl der „Malakow“turm sein. Und danach heisst eine vornehm wirkende Kneipe in einem der Altbauten „Malakow“ – Kneipe. Ich werfe mal einen Blick in diese Kneipe. Aber das ist wohl Nichts für meinen Geldbeutel. Warum nur fällt mir das Wort Wort Gentrifizierung ein? Das passt einfach nicht: Essen-Altenessen und so eine chice Szenekneipe.

2.10.) Halde Rungenberg in Buer

Die Halde Rungenberg zählt zu den brennenden Halden habe ich gerade gestern noch gelesen. Sind wir denn hier auf einem Vulkan??

Gelsenkirchen ist natürlich ja eine grosse Stadt. Vom HBF müssen wir aber 25 ! Stationen mit der Strassenbahn 301, die zuerst eine U-Bahn ist, mitfahren. Dann ab einer Station, die Zeche Hugo heisst, wird die Gegend, inzwischen ist das der Ortsteil Buer, interessant. Hier ist zwar weit und breit keine Zeche zu sehen, aber die Wohnhäuser sind alt, dreistöckig, mit viel Stuck. Wahrscheinlich sind das die ehemaligen Bergarbeiterquartiere.

Eine Station, bevor wir aussteigen, sehen wir dann rechts die Halde. Hier mitten in dichtbewohntem Gebiet ist da plötzlich ein grüner Berg mit so einem rostigen Kunstwerk obenauf.

Die Halde Rungenberg zählt zu den brennenden Halden. 7 Halden im Ruhrgebiet zählen dazu, habe ich gestern fast erschreckt im Internet gelesen. Sind wir denn hier auf einem Vulkan?? Heute ist zwar ein heisser Tag. Es ist jetzt gegen 11 Uhr vormittags schon fast 30 Grad warm und der Boden ist ausgetrocknet, schon rissig. Viele der Pflanzen lechzen sichtbar nach Flüssigkeit. Das gibt einem schon etwas den Eindruck, hier in einer Wüstenlandschaft zu sein. Aber sind wir auf einem Vulkan??

(Bei den Bergehalden aus dem Steinkohlenbergbau beträgt z.B. der Anteil der Restkohle bis zu 20%, so dass durch Selbstentzündung (Kohle unter Druck in Kontakt mit Luftsauerstoff) schwelende Brände möglich sind, deren Glutnester Temperaturen von über 500 °C erreichen. In der Halde Rheinelbe wurden sogar 750°C gemessen. Die sich immer weiter selbst entzündenden Brände können abhängig vom Materialvorrat ähnlich wie bei Kohleflözbränden über 100 Jahre andauern. (Zitat Wikipedia))

Naja, das mag ja sein. Aber ganz offensichtlich ist es auch nicht gefährlich, hier zu wandern. Es ist

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doch ein umfangreiches Wegenetz angelegt und unzählige andere Wanderer sind hier mitten im Ruhrgebiet, man kanns mal wieder kaum glauben, unterwegs. Wie auf anderen Halden im Revier ist der unterste Teil schon dicht bewaldet mit Eichen, Buchen, Erlen, Ahorn, Birken und vielen anderen Baumarten, sogar Maronenbäume sehen wir. Dann weiter oben wachsen Sträucher z.B. Wacholder, Haselnuss, Wildrosen. Da sind schon sehr verholzte Sträucher mit etlichen Bäumen dazwischen. Auch diese Gebiete vermitteln noch den Eindruck von Wald. Dann kommen grosse Wiesenflächen mit vielen bunt blühenden Blumen in allen Farbnuancierungen. Viele der Pflanzen kenne ich garnicht. Eine Blume mit lila Blüten sieht aus wie eine Kreuzung aus Kornblumen und Disteln? Und ganz an der Spitze der Halde, wo 2 Haldengipfel von je einer eigenartigen Skulptur gekrönt sind, sieht es aus wie auf einer Mondlandschaft. Aber nicht ganz, denn auch hier wachsen etliche Pflanzen. Unverwüstliches wie Disteln, Flechten, Moose, aber auch etliche gerade blühende Pflanzen, meist in Gelb- und Blautönen.

Und wie schon auf den anderen Halden, wo wir waren hat man gerade bei dem schönen Sommerwetter eine spektakuläre Aussicht über das Ruhrgebiet. Bis zum Oberhausener Gasometer mit dem unverkennbaren grossen Bild der Sonne von der Ausstellung „Sternstunden“ kann man zur einen Richtung gucken. Ein Stück daneben ist die Halde mit dem Tetraeder in Bottrop deutlich zu erkennen mit der Kokerei ganz nebenan. Von Zeit zu Zeit wird da eine grosse, in sich geschlossene weisse Wolke ausgestossen. Da ist dann gerade wieder ein Riesenstück Koks "gebacken" worden. Und auch bis zur Halde Hoppenbruch/Hoheward in Herten kann man in der anderen Richtung gucken.

Man kommt sich vor wie bei einer Bergwanderung und das ist es ja auch. Wir fahren anschliessend mit der Strassenbahn zum Markt in Buer. Am Marktimbiss essen wir Döner. Das ältere Ehepaar bei uns am Tisch ist verwundert, was wir ausgerechnet hierhin einen Ausflug machen. Auf der Halde Rungenberg waren sie schon lange nicht mehr. Sie empfehlen uns ja sehr die Halde Hoppenbruch in Herten. Da waren wir aber ja auch schon.

Der Markt in Buer ist wie erwartet eigentlich ziemlich multikulturell. Der freundliche Türke vom Marktimbiss spendiert uns, dem älteren Ehepaar und dem Betreiber des benachbarten "Kaasspecialiteiten"-Standes, einem Holländer, der sich gerade zu uns gesellt, einen türkischen Tee. Und Tim bekommt eine Limonade. Der Türke sagt, dass er stolz ist, dass der türkischstämmige ehemalige Schalker Fussballspieler Özil jetzt in der Nationalmannschaft spielt.

Andere Stände hier auf dem allmählich schliessenden Markt sind weitere holländische Stände mit frischem Matjes aus Holland und bemerkenswert viele Wurststände mit Schlesischer Wurst gibt es. Das sind aber alles Polen, die diese Stände betreiben, ist doch das Ruhrgebiet zu fast einem Drittel von polnischen Migranten bewohnt, wie ich kürzlich gelesen habe. Auch einen griechischen Spezialitätenstand gibt es, ein paar Bäcker und türkische Gemüsestände. Eigentlich aber ist es hier garnicht viel anders als auf dem Ratinger Wochenmarkt.

Zurück fahren wir mit der Strassenbahn 302. Wir kommen an der Veltins-Arena, wo Schalke seine Spiele austrägt, vorbei, fahren vorbei am Schalker Markt; queren die Emscher und den auch hier parallel zur Emscher verlaufenden Rhein-Herne-Kanal am Gelsenkirchener Stadthafen. An einer Stelle ist links ein recht grosser See. Das ist der Berger See mit Grünanlagen drum herum. Auch wenn Gelsenkirchen sicher nicht in Österreich liegt, aber es hat dennoch Gebirge, Seen, Grünanlagen... In der ehemaligen Stadt der 1000 Feuer lässt es sich offenbar gut leben.

2.11.) Wissenschaftspark Rhein-Elbe in Gelsenkirchen

Auch die Halde Rhein-Elbe, wo wir schon waren, soll eine brennende Halde sein. Wir fahren nochmal dorthin. Durch den Wissenschaftspark am Fuss der Halde ist die Situation ja hoffentlich unter kompetenter Beobachtung.

Im Gelsenkirchener HBF sind Tausende blauweissgekleidete Fans von Schalke 04, die alle zum

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Haupteingang des Bahnhofs streben. Vermutlich ist genau dort ein Publicviewingpunkt mit einer Grossleinwand, wo das heutige Pokalfinale aus Berlin übertragen wird: Schalke 04 spielt gegen den MSV Duisburg. Ähnliche Bilder auch mit blauweissgekleideten Fans, die des MSV, haben wir vorher schon beim Umsteigen im Duisburger HBF gesehen.

Wir gehen zum anderen Eingang des HBFs zum multikulturellsten Teil der Stadt Gelsenkirchen. Hier in der Bochumer Strasse im Bezirk Neustadt sind alle Geschäfte, Restaurants, Supermarkt, Friseur, Reisebüro, Eisdiele, Secondhandshop, Internetcafe, Bäcker... fest in migrantischer; meist türkischer, aber auch arabischer, italienischer... Hand. In dieser gepflegten, lebendigen Strasse mit schönen Gründerzeithäusern und einer breiten baumbestandenen Flaniermeile in der Mitte ist so eine direkt angenehme mediterrane Atmosphäre. Das ist ein vollkommen anderes Bild als auf der anderen Seite des Bahnhofs, wo sich die Tausenden von Schalkefans zur Übertragung des Pokalfinales treffen.

Am anderen Ende der Bochumer Strasse, nur vielleicht 500 Meter vom HBF entfernt ist die Strassenbahnhaltestelle Rheinelbestrasse. Rechts geht es dann in einen eigenartigen Park mit Wiesen und Teichen und grossen Gebäuden, die mit ihren Solarzellen auf dem Dach futuristisch aussehen wie in einem Sciencefictionfilm. Hier beginnt der „Wissenschaftspark Rhein-Elbe“. Am Fuss der Halde Rhein-Elbe ist offenbar die ehemalige Zeche Rhein-Elbe. Das ist ein grosses altes Industriedenkmal. Auch hier sind neben Künstlerkolonien etliche Firmen drin untergebracht, die meist etwas mit dem Wissenschaftspark zu tun haben. An einer Stelle steht eine riesiggrosse hellblaue Kugel. Vermutlich ist das so eine Art neuzeitlicher Gasometer?

Bei einer der Firmen steht zu Reklamezwecken eine geschmückte und restaurierte Lore auf einem Schienenrest. Da es so viele Firmen hier gibt, die sich alle mit Wissenschaft befassen, bekommen wir wieder Vertrauen, dass die Halde Rheinelbe, von der ich erst nach unserem letzten Besuch hier erfahren habe, dass es eine „brennende Halde“ ist, unter kompetenter Beobachtung steht. Und dass es doch gefahrlos ist, hier am Fuss der Halde, wo sogar Landschaftsschutzgebiet ist, durch dichten Mischwald sich langsam „bergaufwärts“ zu bewegen. Hier ist ein dichter Wald mit hohen Bäumen, an dem man erkennen kann, dass es diese Halde schon lange gibt. Es gibt kaum etwas, was diesen Wald von jedem anderen Mischwald in Deutschland unterscheidet. Sogar eine Forststation gibt es. Birken, Buchen, Erlen, Ahorn, Kiefern, Sträucher, Gestrüpp wachsen bis zum Haldengipfel, erst hier beginnt eine prachtvolle Mondlandschaft mit Aufschüttungen grauer bis schwarzer Steine. Das sind eindeutig kohlehaltige Steine. Doch auch hier sind immer wieder mal kleine Areale mit besonders widerstandsfähigen Gewächsen wie Disteln bewachsen und auf dem Haldengipfel, wo das eindrucksvolle Kunstwerk „Himmelstreppe“ von mehreren tonnenschweren aufeinandergeschichteten Steinquadern steht , wächst dann überhaupt nichts mehr. Ein vielleicht 10-jähriger mutiger Junge klettert da gerade in den Quadern herum. Mutig ist er, weil er auf Gelsenkirchener Boden ein schwarz-gelbes Trikot von Lucas Barrios von Borussia Dortmund trägt.

Der Blick vom Haldengipfel ist überragend: Links unten am Fuss der Halde ist das Lohrheidestadion in Bochum-Wattenscheid zu sehen. Auch die roten Zechenanlagen des Essener Zollvereins sieht man deutlich und ebenso die Halde mit dem Tetraeder in Bottrop und das Gasometer in Oberhausen.Umgekehrt sieht man die Halde Rheinelbe mit der markanten Landmarken auch an vielen Orten im Revier. Auch bei einer Zugfahrt kürzlich nach Berlin konnte ich die Halde Rheinelbe deutlich vom Zugfenster aus erkennen.

Auf dem Rückweg gehe ich noch im grossen türkischen „Deniz“-Supermarkt in der Bochumer Strasse etwas fürs Abendessen einkaufen. Eine deutsch-türkische kostenlose Werbezeitung liegt hier aus; die „Mavigazete“, die mit Sitz in Bochum hauptsächlich in den Ruhrgebietsstädten, aber auch in den genauso multikulturellen Städten Wuppertal und Düsseldorf verteilt wird. Hier stehen zweisprachig – deutsch/türkisch. - z.B. Berichte wie „Essen feiert 50 Jahre Anwerbeabkommen“

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und es gibt Artikel über „Grossküchentechnik“ etc. zu lesen.

2.12.) Schurenbachhalde in Essen-Altenessen

Auch in Essen gibt es eine begrünte Halde. Diese Halde ist mit 50 Metern vergleichsweise flach, aber auch hier hat man einen guten Panoramablick.

Auch in Essen gibt es eine Steinkohlenhalde. Aber nicht im Süden der Stadt, sondern im armen proletarischen Norden. Ab Essen HBF fahren wir mit der Strassenbahn zum Karlsplatz. Hier ist der Bezirk Altenessen, hier steigen wir um in den Bus 183. Und an der Haltestelle Kirche Hesslerstrasse in einem einfachen Wohngebiet steigen wir wieder aus dem Bus. Einen migrantischen Trinkhallenbesitzer fragen wir nach dem Weg zur Schurenbachhalde. Schon nach wenigen hundert Metern sind wir dann auf der Halde, die etwas anders ist als alle die Steinkohlehalden, die wir bisher besucht hatten. Diese Halde ist nur ca. 50 Meter hoch ist.

Sie ist weitgehend mit schon recht ansehnlich hohen Bäumen bewachsen und dann ist da eine Treppe, wo es zur Halde hinaufgeht. Auch von hier aus ist der Blick super. Die Halde mit dem Tetraeder in Bottrop ist fast ganz nahebei zu erkennen. Etwas weiter weg, aber auch deutlich auszumachen ist die Halde Rungenberg in Gelsenkirchen-Buer mit den 2 Haldengipfeln. Ganz nahebei auf der anderen Seite ist das Müllheizkraftwerk mit vielen rauchenden Schloten in Essen-Karnap deutlich zu sehen.

Und dann ist da auch, aber viel weiter entfernt als erwartet die Zeche Zollverein im Essener Bezirk Katernberg.. Da hätte ich aber gedacht, dass das viel näher dran ist und dass man da nachher noch zu Fuss hingehen kann. Auf so einen langen Fussweg haben wir aber dann keine Lust. Zwar ist es heute etwas abgekühlt nach dem Gewitter und dem Regen letzte Nacht, aber nachwievor ist es schwülwarm, wenn die Sonne mal herauskommt. Hier auf dem weitläufigen Haldengipfel, der einige Fussballfelder gross sein wird, wirkt die "Mondlandschaft" des fast garnicht begrünten kohlehaltigen Gesteins durch den vielen gefallenen Regen mit Pfützen und kleinen Rinnsalen nicht ganz so trostlos wie sonst vermutlich. An einer Stelle steht auf einem Schild, dass hier schon die sonst in Skandinavien heimische Kreuzkröte gesichtet wurde. Auch auf dieser Halde ist an höchster Stelle eine Landmarke gesetzt. Das ist die künstlerische Plastik eines amerikanischen Künstlers, eine potthässliche verrostete und mit Graffitis besprühte 15 Meter hohe "Bramme".

Wir gehen an einer anderen Stelle wieder von der Halde herunter und bummeln dann ein bisschen durch die wenig einladend wirkenden grauen Wohnviertel von Altenessen, die wesentlich bessere Zeiten gesehen haben müssen. Teilweise sind das schöne Wohnhäuser, die aber doch recht vernachlässigt wirken und teilweise auch tatsächlich verlassen wurden und vor sich hinbröckeln. Dann ist da unweit von auch hier geschwisterlich parallel entlangfliessender Emscher und dem Rhein-Herne-Kanal eine Strassenbahnhaltestelle, wo wir ein paar Stationen bis zur Station Altenessen Bahnhof fahren. Und hier ist es dann absolut trostlos. Dunkle, heruntergekommene, verfallene Wohnhäuser, an einer Ecke ist ein längst verlassenes Cafe und Bistro "Istanbul", nebenan ist ein erstmal einladend wirkender und überraschend grosser türkischer Imbiss mit einer viel zu grossen Speisekarte an der Wand. Aber die ältere Dame hiner dem Tresen versteht unsere (ganz einfachen) Wünsche auf Linsensuppe, Falaffel und Eistee nicht. Lediglich eine kleine Flasche Eistee kann sie uns für viel zu teure 1,50 Euro verkaufen. Und zu Essen will sie uns etwas völlig undefinierbares vorsetzen, was wir garnicht bestellt hatten. Nein, da sind wir aber einen besseren Service gewohnt. Und mit der nächsten S-Bahn verlassen wir diesen so tristen Ort.

2.13.) Der Mythos Krupp

Essen ist auch Kruppstadt - nachwievor bzw. wieder – der Mythos Krupp hat sich in das 21. Jahrhundert hinein erhalten – das wäre nach Ende des 2.Weltkrieges nicht zu erwarten gewesen.

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a.) Das Tiegelgussdenkmal Am Essen HBF muss ich bei der Fahrgastinformation fragen, wie ich zur Haltestelle ThyssenKrupp komme. Wahlweise mit der Tram 101,103,105 ab Gleis 1, sagt man mir. Das ist ja eigentlich ganz einfach. Und da steht auch schon die 101 Richtung Germaniaplatz. Die Bahn fährt los, wo ich gerade eingestiegen bin. Diese Gegend von Essen kenne ich überhaupt nicht. Ein bisschen fühle ich mich hier daran erinnert, wo ich das erste Mal in London oder Paris war. Die Bahn ist voll mit Schwarzen und Menschen asiatischen Ursprungs und es erinnert mich hier gleichzeitig an die DDR. Die einfachen Wagen der Strassenbahn, die Polsterung mit altmodischen Mustern, die düster beleuchteten Bahnhöfe, die ganze proletarische Atmosphäre. Das wirkt wie in Ostberlin vor dem Mauerfall. Erst kommt die Station Rathaus, dann Rheinischer Platz, dann Berliner Platz und dann fährt die Bahn aus dem Untergrund heraus und hält genau bei dem Tiegelgussdenkmal. Hier ist die Station ThyssenKrupp.

Vor dem Kunstwerk steht eine grosse Informationstafel der „Route der Industriekultur“. Ich erfahre da, dass hier genau mal die „Kruppstadt“ war, wirklich in der Dimension einer Stadt. Nur wenig davon ist erhalten geblieben, ein Teil des Empfangsgebäudes offenbar dort schräg gegenüber von dem markanten Denkmal. Das rote Haus, wo auch „ThyssenKrupp“ in grossen Lettern dransteht. In der Zeitung stand ja zu lesen, dass die Verwaltung des Konzerns nach Jahrzehnten wieder hier in Essen ist, nachdem sie lange im „Dreischeibenhochhaus“ am Düsseldorfer Jan-Wellem-Platz untergebracht war.

Das Interessanteste ist das Tiegelgussdenkmal, was eine eigenartige Form hat. In einem Bogen sind mehr als mannshohe Metallplatten aneinandergefügt mit markanten lebensgrossen Arbeiterfiguren. Vielleicht 50 Personen sind abgebildet. Etwa 20 davon sind wie je eine eigene Skulptur herausgearbeitet aus dem Metall bis ins Detail. Das sind alles Arbeiter, die ZITATANFANG (Route der Industriekultur) Szenen der Entstehung des Kruppschen Tiegelstahls: Herstellung der Form, Verflüssigung des Gussmaterials, Vergießen (Füllen der Form), Herausnehmen des Gussstahls aus der Form, Reinigen des rohen Gussstückes (Putzen) ZITATENDE darstellen. In der Website der Route der Industriekultur lese ich, dass der Berliner Künstler Artur Hoffmann 1935 von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach mit dem Werk beauftragt wurde. Das erklärt die schon streng wirkende, etwas pathetische Darstellung. Fast wie beim „Sozialistischen Realismus“ bzw. ja beim „Nationalsozialistischen Realismus“.

„Entschärft“ wurde diese künstlerische Arbeit dadurch, dass das Denkmal erst 1952 ausgeführt wurde. Aufgestellt wurde das Denkmal hier am Ex-Krupp-Werk 1955 und enthüllt von dem damaligen Kruppvorstand Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.

Mit der nächsten S-Bahn fahre ich nach Ratingen zurück. Am S-Bahnhof Hügel, wo es zur Villa Hügel (dem früheren schlossähnlichen Anwesen der Krupp-Dynastie) und zum Baldeneysee geht, dreht sich eine ältere offenbar osteuropäische Migrantin im S-Bahnwagen hilfesuchend um und frägt die anderen Mitfahrenden danach, wie sie denn nach Essen-Werden kommt. Da die meisten anderen im Waggon offenbar auch Migranten sind und das offenbar nicht wissen, bin ich der einzige, der ihr mit der Info aushelfen kann, dass die nächste Station Essen-Werden ist. Hier kenne ich mich schon wieder etwas besser aus.

b.) Das Tor zur Krupp-Stadt Der U-Bahnhof Berliner Platz ist ein grosser, ziemlich unübersichtlicher Umsteigebahnhof, an dem mehrere U-Bahn-Linien sich kreuzen. Der grosse Berliner Platz wird optisch beherrscht von der eindrucksvollen Fassade der 8.mechanischen Werkstatt, wo jetzt das Collosseumtheater untergebracht ist und von dem Press- und Hammerwerk Ost. Beides sind die letzten Überbleibsel der ehemaligen Gussstahlfabrik von Krupp, der Kruppstadt. Beide eindrucksvollen „Denkmäler“ sind durch die ebenfalls noch aus der „Kruppzeit“ verbliebene Eisenbahnbrücke über die Altendorfer Strasse miteinander verbunden. In dem Press- und Hammerwerk, was seit 1992 denkmalgeschützt ist, ist ganz unromantisch ein Autoparkhaus für

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eine schwedische Möbelfirma untergebracht. Der Name der Firma prangt in Riesenlettern an dem altehrwürdigen Gemäuer, dessen Stahlkonstruktion aber noch an die frühere Nutzung durch die Firma Krupp erinnert trotz der eingezogenen Parkdecks.

Heute ist Flohmarkt in dem „Parkhaus“ bzw. was ich so sehe, ist das eher ein Ramschmarkt meist mit Neuware. Ein Schnäppchen kann man hier wohl kaum machen. Das Interessanteste hier ist, dass man auf die oberste Etage des „Parkhauses“ gehen kann und von dort oben einen Rundblick über die „Kruppstadt“ hat. Man sieht den „Kubus“, dieses hypermoderne neue Verwaltungsgebäude von ThyssenKrupp ein Stück weiter die Altendorfer Strasse hinein. Dahinter ist der markante grünoxydierte Turm der Zeche Vereinigte Helene Amalie zu sehen. Nein, es ist nicht der ehemalige Förderturm, auch wenn es so aussieht wie ein Förderturm (der Turm beherbergte einen Wasserbehälter und eine Werkstatt).

Ich gehe auch einmal auf die Eisenbahnbrücke drauf. Natürlich fährt da längst keine Eisenbahn mehr, das ist ja auch nur ein ganz schmales Brückchen. Dafür ist umso imponierender der rote Backsteinbau der 8.mechanischen Werkstatt. Und man kann von aussen interessante Blicke vom Innenleben erhaschen. Zwar ist jetzt das Collosseumtheater da drin, aber es sieht auch innen ganz aus wie in einer Fabrik. Sicher ist das eine anregende Kulisse für Theaterstücke oder Musicals. Ein grosses Plakat ist an den alten imposanten Bau gehängt, wo draufsteht, dass hier derzeit die „Rocky Horror Show“ gegeben wird.

Der Rest vom Berliner Platz ist hypermodern. Eins dieser modernen gigantisch-grossen Einkaufscentren ist gegenüber dem „Tor zur Kruppstadt“, der „Limbecker Platz“. Dann ist da noch ein sehr hässlicher Bau der Agentur für Arbeit und es gibt ein Cinemaxx-Kino in einem modernen Neubau. Und im Nord-Osten des Platzes ist ein grosses eingezäuntes Brachland, wo lauf Plakaten ein Universitätsviertel entstehen soll. Nur ein paar Alibibagger und -kräne stehen einstweilen hier herum.

c.) Die neue ThyssenKrupp-Verwaltung, das Stammhaus Krupp Zu Fuss gehe ich die im weiteren Verlauf mit Neubauten hauptsächlich für Autofirmen vollgebaute Altendorfer Strasse entlang, da wo Alfred Krupp damals im 19. Jahrhundert täglich entlanggeritten sein soll. Bis zur Station ThyssenKrupp, wo das so markante Tiegelgussdenkmal steht, gehe ich. Diesmal erkunde ich die Gegend hier aber. Rechts führt die ThyssenKrupp-Allee an grossen Wiesenflächen und Neubauten vorbei in das Gelände hinein. Und hinter einem langgestreckten rechteckigen Springbrunnenteich steht ein hypermodernes Stück neuzeitlicher Architektur. Das ist ein Riesenwürfel aus Stahl, Glas und Beton, der ist quadratisch, eckig, symmetrisch, trotzdem interessant und sogar ästhetisch wirkend. Auch die umliegenden Gebäude sind ebenso rechteckig und wirken wie mit dem Lineal gezogen. Völlig menschenleere Cafes scheinen da drin zu sein. Im Hauptgebäude, dem Würfel oder „Kubus“ ist mittendrin noch mal so ein Würfel eingeformt, da wo das Treppenhaus ist. Alles ist hier durchsichtig, aus Glas. Das hat schon was. Seit Anfang des Jahres ist hier ja wieder die Verwaltung. Zwar als „Junior“ der größeren Firma Thyssen, dennoch die Firma Krupp hat all die Jahrhunderte überlebt und ist wieder zurück bei seinen Anfängen. Zurück in Essen. Wer hätte das nach 1945 für möglich gehalten?

Nun gucke ich mir das nur ein paar Schritte von hier gelegene so legendäre „Stammhaus Krupp“ an. Das ist ein originalgetreuer Nachbau des Hauses, was mitten zwischen all den lauten Werken des Kruppimperiums lange das Wohnhaus der Krupps war. 3 Generationen Krupp haben da gewohnt. Das mag man garnicht glauben. Das ist nur ein ganz einfaches 2-geschossiges Backsteinhaus aus roten Steinen mit Fachwerk. Links, rechts und hinten ist es mit Schiefertafeln verkleidet. Das Dach ist ein einfaches spitz zulaufendes Ziegeldach. Solche Häuser gibt es zu Tausenden an Rhein und Ruhr. Innendrin wird gerade renoviert. Die Räume sind winzig. Welch ein Kontrast zur „Villa Hügel“, was ja ein schlossähnliches gigantisch grosses Prachtgebäude ist. Welch ein Kontrast auch

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zu diesem neuen chicen Verwaltungszentrum von ThyssenKrupp. Hier am Stammhaus Krupp ist an einem Fahnenmast mal eine Fahne mit dem alten Krupplogo mit den 3 Eisenbahnrädern, ohne den gekrümmten Thyssenbogen drüber, gehisst.

d.) Der Krupp-Park Wir drücken nicht schnell genug auf „Stop“ bei der Strassenbahn an der Haltestelle ThyssenKrupp und ausser uns will da niemand aussteigen. Da fährt der Fahrer einfach weiter bis zur Station Kronenberg. Hier war bis zum 2.Weltkrieg eine von Krupp errichtete Arbeitersiedlung, die Kolonie Kronenberg. Von dieser Siedlung hat nichts den Krieg überstanden. Jetzt ist hier eins dieser grossen Einkaufszentren, das City-Center Altendorf . Gegenüber ist auf den Parkplätzen eines grossen Supermarkts ein belebter, offenbar multikultureller Markt und Flohmarkt.

Zum Krupp-Park haben wir es von Kronenberg bzw. ja Altendorf sogar noch etwas näher. Ein kurzer Fussweg führt auf eine von mehreren nicht sehr hohen Halden in einer angenehm wirkenden grünen Haldenlandschaft mit vielen gerade derzeit blühenden Blumen. Rechts sind die modernen Bauten des neuen ThyssenKrupp-Verwaltungszentrums um den futuristischen Glas-Beton-Stahlwürfel herum und vor uns ist der markante grüne Turm der ehemaligen Zeche Helene-Amalie, benannt nach Helene-Amalie-Krupp (1732 - 1810). Und links sind die einfachen Wohnquartiere des Ortsteils Altendorf in meist dreistöckigen schon älteren Mietshäusern. Die Haldenlandschaft ist bepflanzt mit Wildrosen, anderen haldentypischen einfachen Pflanzen und noch kleinen Bäumen. Ein grosser Kinderspielplatz mit attraktiven Klettergeräten, Tim ist jedenfalls begeistert, ist auf dem interessanten Gelände. Von weitem sieht man links eine Brücke mit rotgestrichenem geschwungenen Stahlgerüst. Als ich näher herangehe, entdecke ich rechts auch den See des Krupp-Parks, der auf den Bildern und Videos im Internet so gross aussah. Er ist aber viel kleiner als erwartet. Die Brücke mit dem rotgestrichenen Stahlgerüst führt über die Helenenstrasse bzw. Haus-Berge-Strasse. Unten sieht man die Strassenbahnhaltestelle Hamborner Strasse . Von der Brücke aus hat man einen schönen Rundblick über eine originell angelegte Haldenlandschaft mit dem See, den modernen Neubauten, nur ganz vereinzelt mal auf ein etwas älteres Gebäude wie einen alten Luftschutzbunker?, dazu die Mietsquartiere des Essener Ortsteils Altendorf. In südlicher Richtung kann man bis zu dem Hochhaus des Essener Rathauses gucken.

Es stimmt, was man ja in Büchern, Dokumentationen nachlesen kann: Nach dem 2.Weltkrieg haben die alliierten Siegermächte hier auf der ehemaligen Kruppstadt so ziemlich „tabula rasa“ gemacht. Und man kann es ja auch etwas nachvollziehen, immerhin war Krupp als Waffenschmiede; als Kanonenproduzent in den Weltkriegen berüchtigt. Wobei man in Biographien über die Familie Krupp auch nachlesen kann, dass der Konzern auch seine guten Seiten gehabt hatte und hat: z.B. die vorbildliche Sozialgesetzgebung, bevor so etwa in Preussen überhaupt erst eingeführt wurde oder den Wohnungsbau für die Arbeiter. Und was Krupp bzw. ja ThyssenKrupp aus der Industriebrache/Ruinenlandschaft der ehemaligen Kruppstadt wieder gemacht hat, ist schon enorm. Ein interessanter und lehrreicher Freizeitpark für Alle ist hier entstanden. Wir gehen noch etwas über den belebten und fast ausschliesslich von Migranten frequentierten Markt in Altendorf. Ein Flohmarkt im eigentlichen Sinne ist das hier nicht. Meist wird Billigware angeboten und es sind jede Menge kleiner Imbisse und Spezialitätenstände aus verschiedenen meist südeuropäischen Ländern dazwischen. Solche Märkte haben wir an Wochenenden auch in Ratingen und so gehen wir noch die Altendorfer Strasse über den breiten Berthold-Beitz-Boulevard zurück zur Station ThyssenKrupp.

e.) Zeche Vereinigte Helene-Amalie Die Strassenbahnhaltestelle Hamborner Strasse, wo ich auszusteigen habe, ist genau die, die ich letztens von der Brücke mit dem rotgestrichenen geschwungenen Stahlgerüst vom Krupp-Park aus gesehen habe. Nur ein kurzes Stück habe ich die multikulturell quirlige, lebendig wirkende Helenenstrasse in Essens Arbeiterviertel Altendorf hineinzugehen, dann sind da schon die Gebäude aus roten Backsteinen der Zeche. Das sind Gebäude aus den 30er Jahren wie es auf einer Schrifttafel der „Route der Industriekultur“ heisst. So

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sieht das auch aus. Das sind kalte, unpersönlich aussehende, meist offenbar leerstehende Industriebauten. Das einzig beschauliche hier ist dieser grüne Turm, der kein Förderturm ist, wie bei der Route der Industriekultur ausdrücklich betont ist, sondern er „beherbergte einen Wasserbehälter und eine Werkstatt.“. Weiter steht bei Route der Industriekultur geschrieben, dass die Besucher auf dem „Gelände einer der frühesten Mergelzechen des Reviers stehen, auf dem bereits 1843/44 die erste Kohle gehoben wurde. Mit einer Kokerei ausgestattet und gegründet von Gewerken u.a. aus der Hüttenindustrie, bestanden von Anfang an Verbindungen zu diesem Industriezweig, die 1921 zu einer Interessengemeinschaft mit der Firma Krupp und 1927 zu einer Übernahme durch sie führte.“

Rings um dieses Zechengelände, das durch einen Zaun abgesperrt ist, stehen weitere alte, vernachlässigt wirkende Industriebauten. Grossflächige Steinmauern sind mit Graffitis verziert, eine davon sieht aber vergleichsweise professionell gemalt aus. „Develope the future“ steht da in nachgemachter Graffitischrift drauf und daneben ist ein ThyssenKrupp-Logo gemalt. Anbiedernd finde ich das. Man merkt die Absicht und ist verstimmt und die ganze Gegend hier wirkt überhaupt trostlos. Über die Pferdebahnstrasse verlasse ich das Gelände. Diese Strasse kreuzt den breiten, 6spurigen, aber fast völlig menschenleeren Berthold-Beitz-Boulevard, der hier an einem Baustellenzaun endet. Dort steht auf einem Schild, dass dieser Boulevard ein Projekt der EU ist. Aber es sieht ganz so aus, als ob hier die Baumassnahmen ins Stocken geraten sind. Vielleicht ist das auch gut so. Das finde ich. Gehts vielleicht auch eine Nummer kleiner.?

Heute nervt das Alles hier. Missmutig gehe ich noch etwas durch den Krupp-Park und nähere mich der Krupp-Hauptverwaltung von hinten. Hier sehen all diese quadratischen, eckigen Gebäude, wo ich letztens von vorne dachte, das hat was, erschreckend, direkt furchteinflössend aus. Mir fällt ein, womit Krupp hauptsächlich sein Geld gemacht hatte. Der Familienbetrieb hat in beiden Weltkriegen Kanonen an alle kriegsführenden Nationen geliefert. Wer macht so etwas schliesslich auch? Und dann ist neben dem futuristischen Würfel der Krupp-Verwaltung (ThyssenKrupp natürlich) dieses Krupp Stammhaus. Das ist ein winziges kleines Häuschen. Heute wirkt das verlogen auf mich, denn da soll ja etwas über die angebliche Bescheidenheit der Dynastie ausgesagt werden. Man kennt doch schliesslich auch die Villa Hügel und weiss, wie die Herrschaften so gelebt hatten.

f.) Fotografien aus zwei Jahrhunderten Heute regnet es fast ununterbrochen, da passt so eine Ausstellung, auch wenn Tim erst lautstark protestiert. 3 Euro pro Erwachsener kostet der Eintritt am hübschen alten Kassenhäuschen unten am Park neben der S-Bahnstation Hügel. Für Kinder ist es umsonst. Das ist ok. Viele Menschen sind wie wir heute auf die gleiche Idee gekommen. Es ist voll hier, aber nicht so wie befürchtet. Man ist aber in Gesellschaft und guckt nicht alleine in den heiligen Hallen des Grosskapitals diese wirklich sehenswerte Sonderausstellung mit z.B. vielen alten Fotos der Gussstahlfabrik in Essen-West, was ich jetzt gut zu schätzen weiss, weil ich ja ein paarmal auf diesem Gelände der ehemaligen Krupp-Stadt war. Da sind ja nur noch einige wenige Fragmente von übrig geblieben. Eigentlich ist es ja nur noch die ehemalige mechanische Werkstatt und das Press- und Hammerwerk Ost, beides ist am Berliner Platz am Beginn der Altendorfer Strasse gelegen.

Eine anschauliche Computeranimation zeigt an s/w-Fotos, wie es in der Kruppstadt vor dem Kriege ausgesehen hat und an farbigen Panoramafotos, wie es an gleicher Stelle heute um die neue ThyssenKrupp-Verwaltung und den Krupp-Park aussieht. Nur einige wenige markante Punkte erkennt man auf beiden Fotodarstellungen wie den Turm der Zeche „Vereinigte Helene-Amalie“. Auch das legendäre Stammhaus Krupp ist ja jetzt wieder originalgetreu nachgebaut; allerdings an einem Ort etwa 100 Meter versetzt von da, wo es früher mal stand.

Konzentriert angucken kann ich mir diese Ausstellung mit einem lebhaften achtjährigen Kind ja nicht gerade, damit war aber zu rechnen. Iimmerhin einige Teile der Ausstellung interessieren auch Tim, da wo Fotos von Kanonen gezeigt werden, etwa. Im Teil der Ausstellung, die dauerhaft hier

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ist, werden auch Kanonenkugeln und Granaten präsentiert und Eisenbahnräder, wodurch ja Krupps Aufstieg begann. Das faszinierendste bei der Dauerausstellung sind die überlebensgrossen Porträts zum einen von Alfred Krupp, dem Bauherren der Villa Hügel und der letzten drei deutschen Kaiser Friedrich 3., Wilhelm der 1. und Wilhelm 2. sowie seiner Gattin Auguste Victoria. Das interessiert auch Tim sehr. In diesen grossen Räumen mit Parkettfussboden, Stuck und Kronleuchtern an den Decken haben die fast 4 Meter hohen photorealistischen Gemälde ja einen würdigen Platz.

Es regnet immer noch, als wir nach etwa 2 Stunden die wie ein Königsschloss wirkende Villa Hügel wieder durch den weitläufigen Park verlassen. Eine S-Bahn fährt uns vor der Nase weg und die halbe Stunde Wartezeit vertreiben wir uns, indem wir noch hinunter an den Baldeneysee gehen, der heute durch die nebelschwadenverhangenen bewaldeten Hügel ringsum eine ganz eigenartige Atmosphäre ausstrahlt.

g.) Krupp-Familienfriedhof in Essen-Bredeney Jetzt will ich schon gerade aufgeben; nur ein ganz normales einfaches Grab, wo Krupp draufsteht, habe ich gefunden, aber Otto ? Das kann es ja nicht sein. Aber auf der Suche nach dem nächsten Ausgang auf diesem ganz schön grossen Friedhof Bredeney sehe ich dann doch so ein umzäuntes Gelände; durch Büsche und Bäume hindurch ahnt man interessant wirkende Skulpturen z.B. einen riesigen Adler? Ich muss fast ganz um diesen Extrafriedhof herumgehen, bis ich eine offene Eingangstür im dieses Areal umgebenden Zaun finde.

Ein eindrucksvoller Park mit Wiesen und Grabstätten tut sich hier mitten im Essener Stadtfriedhof von Bredeney auf. An der zentralen Grabstätte sind überraschend ganz frisch aussehende Kränze abgestellt. Ich gehe näher heran und sehe, dass das wirklich frische echte Blumen sind. Auf dem Grab, das aus mächtigen hellen Marmorplatten besteht, sehe ich an der Inschrift, dass hier der letzte wahre Krupp, nämlich Alfried Krupp von Bohlen und Halbach bestattet ist. Die Kranzschleifen der Kränze sind beschriftet mit „Der Vorstand von ThyssenKrupp“ und „Else und Berthold Beitz“. Dann fällt mein Blick noch einmal auf die Grabinschrift: Am 30.Juli 1967 starb Alfried Krupp. Heute ist ja der 30. Juli (2011)! Also ist heute sein Todestag, der 44.ste. Kann es tatsächlich sein, dass ich die noblen Herrschaften, die hier die Kränze niederlegten, nur um Stunden oder sogar Minuten verpasst habe?

Direkt hinter dem zentralen Grab von Alfried Krupp und damit in der Hierarchie am höchsten ist auf diesem „Friedhofspark“ das noch imposantere Grab des Begründers des Imperiums und Erbauers der Villa Hügel, nämlich von Alfred Krupp. Das ist eine Skulptur aus lebensgrossen Bronzefiguren. Die eine Figur ist ein imposanter Engel mit Flügeln. Das eindrucksvollste Grab hier ist aber das seines Sohnes. Das Grab ist etwas links versetzt vor dem Grab von Alfred Krupp. Dieses Grab besteht aus mächtigen schwarzen Marmorplatten; darauf ist die Inschrift, dass hier F.A. Krupp ruht (also Friedrich Alfred – 1854-1902). Über diesen Marmorsarkophag beugt sich ein mächtiger, überdimensional grosser wilhelminischer Reichsadler aus Bronze, der durch und durch grün oxydiert ist und sich mit der einen Kralle an einem grossen Kranz festhält. Das ist die Adlerfigur, die ich schon von weitem ausserhalb der Umzäunung gesehen habe. Bei diesem Grab ist ausserdem als einzigem Grab auf dem „Krupp-Friedhof“ das alte Krupp-Logo mit den drei Ringen, die Eisenbahnräder symbolisieren als Metallskulptur auf dem Steinsockel des Grabmals dazugefügt. Das ist ein wahrlich eindrucksvolles Grab.

Noch etwas links versetzt vor dem Grab von Friedrich Alfred Krupp befindet sich die Grabstätte von seiner Gattin Margarethe Krupp, der Begründerin der eindrucksvollen Werkssiedlung Margarethenhöhe, was nachwievor einer der chicsten Essener Wohnbezirke ist.

Und rechts von den mächtigsten der Krupps liegen all die Bohlen und Halbachs begraben: Bertha, die Tochter von Friedrich Alfred Krupp heiratete Gustav von Bohlen und Halbach, der nach

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Friedrich Alfred Krupps Tod das Krupp-Imperium als Gustav Krupp von Bohlen und Halbach übernahm. Auch sein Grab ist selbstverständlich hier in diesem wahrlich geschichtsträchtigen „Park“.

Auch dieser Teil von Essen ist mir kaum bekannt. Vorhin fuhr ich ab Essen HBF mit der „Kulturlinie“ 107 bis zur Endstation Bredeney und dann weiter mit dem 169er Bus, der bis zur Margarethenhöhe fährt, diese schöne alte wilhelminische ja von Margarethe Krupp gegründete Gartensiedlung, wo die Krupps damals tatsächlich ihre Arbeiter wohnen liessen. Auch jetzt fahre ich mit dem 169er Bus aus dem Villenvorort Bredeney heraus, aber in die andere Richtung, Richtung Velbert.Durch dichten Wald hier im Essener Süden fährt der Bus bis hinunter zum Baldeneysee und nach Essen-Werden. Um den Werdener Markt herum gucke ich mir den mittelalterlichen Ortskern ein bisschen an - in der Abteikirche St.Ludgerus findet gerade eine Trauung statt. Da will ich nicht stören. Die ehemalige berühmte Abtei selber wird jetzt von der Essener Folkwanguniversität genutzt.

h.) Die Siedlung Margarethenhöhe Der Bus 138 fährt zwar laut Fahrplan von Mülheim-Heißen Kirche über Heimaterde zum RRZ (Rhein-Ruhr-Zentrum), aber er streift diese eindrucksvolle von der Firma Krupp vor dem 1.Weltkrieg erbaute Arbeitersiedlung nur. Schade, das muss wohl dann der 136er Bus gewesen sein, wo ich letztens mitgefahren war und so gebannt war von einem wunderbaren Wohnviertel, der von Krupp erbauten Arbeitersiedlung Heimaterde.

Dafür fährt der Bus einmal um das doch recht grosse RRZ herum. Wir gehen zur U-Bahnstation, die mitten auf dem starkbefahrenen Ruhrschnellweg A40 liegt. Links und rechts donnern die Autos an einem vorbei. So merken wir immerhin, dass wir uns jetzt in der Metropole RUHR befinden. Erst eine Station vor dem Essen HBF fährt die Bahn in den Untergrund und wird damit endlich zur U-Bahn. Am HBF steigen wir um in die U-Bahn Richtung Margarethenhöhe. Hhier steigen wir an der Station Laubestrasse aus. Die klassizistischen Häuser sind meist mit Wein oder Efeu bewachsen und jahreszeitgemäß sind die Blätter bunt, was den Eindruck, dass diese Siedlung doch vielleicht schon ein bisschen kitschig ist, noch verstärkt. Wir kaufen an dem Platz an der Laubestrasse, wo es neben der Eisdiele nur eine Bäckerei und eine Näherei gibt, ein Eis. Eine winzige Kugel bekommen wir hier nur. So schön das hier ist, inzwischen ist das hier doch offenbar schon ein Viertel der Besserverdienenden. Das ist eine Idylle, wo man auch hinguckt. Wir gehen durch die Laubestrasse ganz durch und sind im Essener Stadtwald. Marion und Tim wollen im Wald spazieren gehen. Da hätten wir ja auch in Ratingen bleiben können. Und so gehen wir noch einmal ein Stück bis zu diesem Hauptportal der Siedlung, wo auf Texttafeln Informationen zu der Siedlung und der Gründerin der Siedlung Margarethe Krupp (* 15. März 1854 in Breslau; † 24. Februar 1931 in Essen), die Ehefrau von Friedrich Alfred Krupp (* 17. Febrar 1854 in Essen; † 22. November 1902 in Essen), der Sohn vom legendären Alfred Krupp, zu lesen sind.

i.) Siedlung Heimaterde in Mülheim an der Ruhr Der bärtige Busfahrer guckt gelangweilt aus dem Fenster des 753er Busses. Um Punkt 14 Uhr steigen wir und nur drei weitere Fahrgäste am Ratinger Busbahnhof zu ihm in den Bus. Bei dem herrlichen goldenen Oktoberwetter haben wir nun eine angenehme Fahrt bis zur Endstation in Mülheim-Heißen. Der 138er Bus fährt dann von dort zum RRZ (Rhein-Ruhr-Zentrum) wieder nur an der Siedlung Heimaterde vorbei.

Das RRZ an der Stadtgrenze zu Essen ist ja Nichts Besonderes. Am meisten interessiert mich hier, ob es in diesem überdachten Einkaufszentrum tatsächlich diese Messingplatten auf dem Boden wie bei einem Walk of Fame mit Wappen von allen Ruhrgebietsstädten gibt. Und tatsächlich sehe ich da die Wappen von Hamm, Haltern, Dorsten, Dortmund, Gladbeck, Selm.... Aber es gibt auch die Metallplatten mit den Wappen von Köln, Krefeld, Wuppertal, Lemgo, Gummersbach. Also ganz NRW ist da wohl mit Messingtafeln bedacht. Und da sind sogar Wappen von Kettwig, Langenberg

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– auch von Haan und Velbert. Sicher ist dann auch ein Wappen von Ratingen dabei, aber das interessiert mich jetzt nicht mehr.

Auch Marion und Tim sind diesmal von unserem Ausflug enttäuscht. So ein Einkaufszentrum an einem öden Sonntagnachmittagist langweilig. Ja, ich wollte aber ja auch in die Siedlung Heimaterde. Bei einer früheren Busfahrt hier betonte eine Frau im Gespräch mit einer anderen Frau diesen Namen Heimaterde so, dass man ahnen konnte, dass diese Siedlung etwas ganz Besonderes ist. Auf dem Weg zurück nach Mülheim-Heißen fährt der 138er Bus tatsächlich mitten durch Heimaterde hindurch. Am Sunderplatz steigen wir aus. Genau hier ist dieser kleine Platz mit den eigenartigen klassizistischen Wohngebäuden mit Arkadenbögen über den Bürgersteigen, aber sonst ist das ja auch Nichts Besonderes. Wir gehen noch ein Stück weiter zum Platz „Am Rondell“. Hier ist der Park der Siedlung. Mitten in einem nicht sehr gepflegten Teich ist die lebensgrosse Steinskulptur eines Jungen, der einen Adler am Hals packt. Dieser wehrt sich natürlich eindrucksvoll flügelschlagend. Ringsherum über dem Park sind die Häuser der einstmals von Krupp gebauten Arbeiterkolonie. Scherzhaft vergleichen wir das hier mit der ungleich vornehmeren Essener Krupp-Siedlung Margarethenhöhe, wo wohl die Facharbeiter wohnen durften. Hier ist das mehr etwas für die Hilfsarbeiter. Aber wenn man ein bisschen in der Siedlung herumgeht, sieht man doch schon eine eigenwillige Architektur. Es gibt hier ganz originelle Bauten, die ja auch ganz kunstfertig in eine hier sehr hügelige Landschaft gebaut werden mussten.

Am gleichzeitig idyllischen und öden Platz vor der ev. Kirche in Heißen ist Nichts los, nur die Gelateria „La Coccinella“ neben einem jetzt geschlossenen Laden von WAZ und NRZ hat auf. Man bekommt hier auch Bruschetta, lese ich auf einem Plakat, aber wir essen nur ein Eis. Eigentlich sieht man hier am Platz nur die vielen Busfahrer der Busse, die von hier in viele Städte des Reviers fahren. Einzelne der Fahrer sind in Gespräche über Autos und Motoren vertieft. In Richtung Mülheim HBF fahren heute Ersatzbusse. Der Schienenverkehr ist wegen eines durch den früheren Bergbau verursachten Schadens am U-Bahnschacht vorübergehend eingestellt. Wir fahren wieder mit unserem bärtigen Busfahrer nach Ratingen zurück. Da jetzt abends noch immer die Sonne scheint, steigen wir schon am Blauen See aus. Hier gehen wir durch eine weitere schöne Arbeitersiedlung, die von der ehemaligen Baumwollspinnerei Cromford, das war die erste Fabrik auf dem Kontinent und wie die Zinkfabrik in Oberhausen ist das jetzt ein Rheinisches Landesmuseum. In der Cromfordsiedlung wohnt eine ältere Frau, die ich heute morgen noch mit Essen beliefert hatte. Gerade, wo wir vorbeigehen, guckt sie tatsächlich aus dem Fenster und wir grüssen einander.

2.14) Stadthafen Essen, Hafen Bottrop

Nach einem endlos erscheinenden Gewerbegebiet ist da die Strasse Essen-Bottrop. Rechts hinter dem Rhein-Herne-Kanal tut sich plötzlich eine anheimelnde völlig andere Welt auf.

Ab Essen HBF fährt der Bus 196 zur Hafenverwaltung. Hinter dem belebten Viehofer Platz mit seinen Asia-Shops, der Gertrudiskirche, kleinen Parkanlagen, U-Bahnstation, auf den 6 oder 7 Strassen zulaufen, sieht es öde aus. Da ist die Duisburg-Essener Uni in einem tristen Neubau; dann folgt ein riesiges Gewerbegebiet. In der Hafenstrasse dann ist das Georg-Melches-Stadion, wo der traditionsreiche Club Rot-Weiss Essen seine Fussballheimspiele inzwischen in der Regionalliga austrägt. Hier ist auch wieder ein etwas lebendigerer Kiez mit migrantischen Restaurants, griechisch, italienisch, türkisch... in schönen alten Häusern. An der Endstation „Hafenverwaltung“ bin ich aber wieder mitten in einem endlos grossen Gewerbegebiet. Nur ein einziges ödes Hafenbecken mit grossen Kränen sehe ich, dahinter ist überraschend das Bottroper Tetraeder auf der Halde Beckstrasse zu erkennen, während ich die schier endlose Strasse „Am Stadthafen“ entlanggehe. Hier sind nur grosse Fabrikhallen einer Recyclingfirma, einer Drahtfabrik, einer Kranfabrik...

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Endlich aber ist die Strasse „Am Stadthafen“ zuende. Eine belebte Strasse führt nach Essen-Zentrum in die eine Richtung und nach Bottrop in die andere Richtung. Kaum bin ich da ein Stück nach rechts entlang gegangen, ist da der Rhein-Herne-Kanal. Endlich sehe ich von der Brücke mal etwas von den ehemaligen Kruppschen Häfen. Rechts ist etwas vom Essener Stadthafen zu erkennen, links ist der Bottroper Hafen. Unter mir tuckert gerade der vollbeladene Frachtkahn „Flütenberg“ mit dem Heimathafen Haren/Ems auf dem Kanal Richtung Duisburg-Ruhrort entlang.

Hinter dem Kanal ist Bottrop-Ebel. Das ist hier urplötzlich eine urige, komplett andere Welt. Fast wirkt es hier wie auf dem Land. Da gibt es kleine Einfamilienhäuser mit kleinen gemütlichen Gärten. Das sind Bergarbeitersiedlungen und man sieht hier ganz nahe das Tetraeder auf der bewaldeten Halde und einen eindrucksvollen Förderturm von der Zeche Prosper/Haniel. An einem Platz steht zentral eine alte Lore mit dem Symbol der gekreuzten Hämmer, mit dem Bergmannsmotto „Glückauf“. Dann ist da die Emscher, ein junges Ehepaar mit Kinderwagen geht da gerade auf den grünen Uferwegen spazieren. Die frage ich nach dem Weg zum Bahnhof, aber das wissen die nicht so genau. So gehe ich mal einfach gerade aus weiter und dann heisst eine Strasse auch schon Bahnhofstrasse. Etwas verwahrlost und ewig nicht mehr neugetüncht sehen hier die klassizistisch strengwirkenden dreistöckigen Häuser von 1914 aus. Einige stehen auch leer und an einem der leeren Häuser ist zu sehen, dass es hier mal einen Wohnungsbrand gegeben hatte. Und schon beim Nachbarhaus ist wieder idyllisches Ruhrgebietsflair mit kleinen Gärten mit Kinderspielzeug, bepflanzten Balkons.

2.15.) Die Halde Haniel in Bottrop

Diesmal finden wir zur Halde Haniel in Bottrop. Am Fuss der Halde ist eins von 4 der noch aktiven Bergwerke im Ruhrgebiet.

Diesmal finden wir zur Halde des noch aktiven Bergwerks Prosper Haniel. Dafür müssen wir wieder über Essen HBF bis zum gewöhnungsbedürftigen Bottrop HBF fahren. Und dann geht die Fahrt endlos mit dem Bus, dem SB 262, vorbei an der Halde mit dem markanten Tetraeder obendrauf. Eine Frau im Bus frägt mich, ob wir nicht hier aussteigen wollen. An diesem interessanten Ort waren wir schon vor Monaten mal gewesen, deswegen erwidere ich, dass wir jetzt aber zur Halde Haniel möchten. Sie sagt, dass das noch ein langer Weg ist.

Die Stadt Bottrop ist viel interessanter als der hässliche HBF dieser Stadt vermuten lässt. Alte Bergwerkssiedlungen wechseln ab mit Siedlungen von moderneren Mehrfamilienhäusern. Meist sind es ein- und zweistöckige Häuser. Alles wirkt sehr gepflegt. Die Geschäfte hier sind offensichtlich zur Hälfte von Migranten geführt, viele griechische und türkische Restaurants sieht man, aber auch indische, chinesische, italienische... Auch hier in dieser Stadt gibt es einen Wald; der Stadtwald mit grossen alten Bäumen. Direkt anschliessend ist das Zechengelände der Zeche Prosper Haniel und die Haldenlandschaft.

Von weitem schon erkennt man den markanten grünen Förderturm mit dem Logo von der "RAG Steinkohle". Der Fussweg von der Bushaltestelle endet jäh hinter der Autobahnbrücke, wo die Autobahnraststätte Bottrop ist. Über eine durch den vielen Regen der letzten Tage sumpfig gewordene Wiese müssen wir nun gehen, um zur Halde zu kommen. Aber dann ist an einem grossen Parkplatz vor dem riesigen, umzäunten Werksgelände ein kleines Schild, wo "Kreuzweg Haniel" draufsteht. Fast ums ganze Gelände der Zeche herum, in der heute am Samstag offensichtlich nicht viele arbeiten; vielleicht 30 Autos stehen auf dem riesigen Werksparkplatz abgestellt; arbeiten wir uns langsam auf die begrünte Halde hoch. Der untere Teil ist, wie wir es schon von anderen Halden kennen, dicht bewaldet. Schätzungsweise an die 50 Jahre alte Bäume stehen hier. Fast alle Steine, die hier herumliegen, sind steinkohlehaltig, es gibt auch viele dieser roten eisenerzhaltigen. Der Weg hinauf zum Gipfel, zu einem der Gipfel, denn das ist ein

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Haldengebirge mit mehreren Gipfeln, dauert diesmal. Immerhin ist die höchste Erhebung hier 159 Meter hoch. Weiter oben gibt es weniger und kleinere Bäume, dafür umso mehr blühende Pflanzen.

Endlich erreichen wir die Kreuzwegstationen. Ees gibt 15 davon: das sind hölzerne Bildtafeln mit religösen Szenen der Leiden Christi auf dem Kreuzweg verbunden mit einem meist modernen Sinnspruch und einem Gegenstand aus dem beruflichen Alltag der Bergleute.

So steht z.B. bei der 10.Station mit dem Titel " Beraubung der Kleider" ein Sinnspruch vom 2. Vatikanischen Konzil:

Der Mensch ist mehr wert durch das, was er ist als durch das, was er hat.

Und dazu steht neben dem Kreuzwegbild die Skulptur eines Steines, in dem ein stilisierter Abbauhammer der Bergleute steckt und dazu steht auf einer Tafel:

Ein druckluftbetriebenes Gewinnwerkzeug, mit dem die Kohle aus dem Stoß (Wand) herausgebrochen wurde (Nachfolger der Hacke).

Auf diesem (ersten von mehreren) Haldengipfel dann steht ein grosses einfaches Holzkreuz. Hier war einstmals der Papst zu Besuch, nicht der deutsche Benedikt, sondern sein polnischer Vorgänger, Papst Johannes Paul II.. 1987 war das. Auf einer Tafel an einer Lore steht dazu:

Papst Johannes Paul II. sagte am 2. Mai 1987 auf Prosper Haniel vor diesem Kreuz:

Die Arbeit gehört zum Menschen. Sie ist Ausdruck seiner Ebenbildlichkeit mit Gott und so unverzichtbarer Bestand menschlicher Würde.

Eindrucksvoll ist auch von dieser Halde der weite Blick über das Ruhrgebiet. Wir sehen unter uns das grosse Werksgelände von Prosper-Haniel mit dem markanten Förderturm. Westlich von uns ist das Gasometer in Oberhausen mit dem Plakat der Sonne. Man sieht die Duisburger Industrieskyline am Rhein mit Kraftwerk Walsum, ThyssenKrupp-Hütte. Im Süden erkennt man die Halde mit dem Tetraeder und im Osten kann man weit bis nach Gelsenkirchen hinein gucken.

Es gibt noch ein Amphiteater auf einem weiteren Haldengipfel, es gibt noch weitere Kunstwerke hier auf dieser faszinierenden Haldenlandschaft, aber ein Jugendlicher der hier auf der Halde wie zahlreiche andere mit seinem Mountainbike fährt, warnt uns eindringlich vor einem für bald angesagten Gewitter. So sieht das hier jetzt auch aus. Dichte schwarze Wolken haben sich zusammengebraut. Wir flüchten von diesem interessanten Ort. Durch dichten Wald gehen wir hinunter - zu einer anderen Stelle, als da, wo wir hergekommen waren. Auch hier ist eine Busstation, hier ist aber nicht mehr Bottrop, sondern bereits der Oberhausener Stadtteil Kleekamp. Das kann man auch an den Kennzeichen der Autos (OB statt BOT) sehen.

Dieser Bus hält, nachdem er endlich nach fast einer halben Stunde Wartezeit im strömenden Regen losgefahren ist, an fast "jeder Milchkanne". Und am Bahnhof von (Oberhausen-)Sterkrade müssen wir noch einmal umsteigen, um bis zum Oberhausen HBF zu kommen. Am HBF gucken wir uns noch ein bisschen das "alte" Zentrum von Oberhausen an. Das sind ein paar Fussgängerzonenstrassen mit den üblichen Geschäften, darunter aber ist der sehr sehenswerte alte Friedensplatz (ehemals Kaiserplatz). Dieser Platz hat eine alte Brunnenanlage in der Mitte mit der überdimensionalen 5 Meter hohen Bronzeskulptur eines Schwanes. An beiden Seiten sind Arkadengänge und an einer der Kopfseiten steht ein barockes Gerichtsgebäude, das Amtsgericht.

2.16.) Siedlung Eisenheim in Oberhausen

Interessanter noch als die Kruppsiedlung Margarethenhöhe ist diese eigenwillige und aussagestarke Siedlung Eisenheim in Oberhausen.

Am Willy-Brandt-Platz, dem Vorplatz des Oberhausen HBF steige ich am unübersichtlichen Busbahnhof in den Bus SB 90. Und ich wundere mich zwar, dass der Bus an mehr als den 5 Stationen hält, die ich auf dem Plan gezählt habe. Aber erst an der Endstation „Ruhrpark“ merke

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ich, dass ich in die falsche Richtung gefahren bin. Das ist aber nicht tragisch, denn nach nur vielleicht 5 Minuten Wartezeit fährt der Bus zurück Richtung Holten über HBF. Jetzt bin ich hier in dem offenbar sehr proletarischem bzw. von Hartz 4 gebeutelten Stadtteil Alstaden. Die Leute im Bus sehen alle etwas mitgenommen aus. Wir fahren an einem schönen alten Haus in der Bebelstrasse vorbei, da steht auf einem Schild, dass hier das Bürgermeisteramt Alstaden war.

An einer Station steigt ein chic mit blütenweißem Hemd gekleideter untersetzter Mann in mittleren Jahren ein und begrüsst eine ältere im Bus mitfahrende Dame. „Wo willst Du denn hin“?, fragt sie - „Ich geh ins CentrO“, erwidert er. In der Stadtmitte ab der Station „Markt“ wird der Bus dann voll und es wird multikulturell. Vor mir stehen zwei junge muslimische ganz tradtionell dunkel gekleidete Frauen mit Kopftüchern. Sie unterhalten sich angeregt auf hochdeutsch. Und an einer Station, wo mein Sitznachbar aufsteht, setzt sich die eine Frau sogar neben mich. Die verhalten sich ja viel weltlicher als ihre traditionelle Kleidung vermuten lässt. Am Hauptbahnhof steigen etliche Schwarze mit ihren Kindern ein. Nun ist der Bus bis auf den letzten Stehplatz gefüllt. Wir queren den Rhein-Herne-Kanal und die parallel dazu fliessende Emscher. Links ist der riesige 117 Meter hohe Gasometer zu sehen. Am CentrO steigen fast alle aus. Das Einkaufzentrum und die Kneipenmeile am Kanal sehen von oben von der Bahn sehr gut besucht aus. Aber nein, da habe ich aber keine Lust auf so einen Trubel.

Von hier sind es nur zwei Stationen bis Eisenheim. Als ich aus der Bahn austeige, sehe ich erst Nichts von der Siedlung,– aber dann ist es schon klar. Eisenheimer Strasse heisst die eine Querstrasse und da sind auch die markanten roten Backsteinhäuser. Zweigeschossige Häuser sind das aus roten Backsteinen. In der Mitte ist eine grüne Tür, rechts und links jeweils ein Fenster mit weissem Fensterrahmen. Und das Dach ist spitz zulaufend mit schwarzen Ziegeln gedeckt. So etwa fünfzig solcher Häuser stehen in einer strengen Anordnung hier in der Eisenheimer Strasse und den Querstrassen Werrastrasse und Sterkrader Strasse. Mehrere dieser Häuser bilden jeweils um einen Garten herum eine Art Hof. Zu jedem Haus gehört noch einmal ein eingeschossiges Haus in der gleichen Bauweise aus roten Backsteinen mit spitz zulaufendem schwarzen Ziegeldach. Das ist ein Gartenhaus für Gartengeräte, Fahrräder etc.. In früheren Zeiten waren diese kleinen Häuser die Ziegenställe. Jeder der hier Wohnenden hielt eine Ziege. Und jedes Haus hat natürlich ein Stück Garten. Ganz am Anfang der Siedlung ist ein ebenerdiger Pavillon einfachster Bauart mit einem grossen blauen Würfel drauf. Auf dem Gartengrundstück darum stehen Kunstwerke wie Skulpturen aus Metall oder Holz. Ein Plakat hängt an dem Haus, da steht unter der Überschrift „Poetische Orte“ , dass hier ein Projekt „Sprechende Strasse – erklärte Baudenkmäler“ zum 150 jährigen Bestehen der Siedlung Eisenheim 1996 stattgefunden hatte.

Es ist hier besser noch als in der Siedlung Margarethenhöhe in Essen, wo wir es gestern fast ein wenig kitschig fanden. Hier ist das eine im Grunde einfache Wohnsiedlung, die aber irgendwie etwas hat. Von oben von der Bus- und Strassenbahnstation „Eisenheim“ sehe ich, dass viele der Gärten hier „türkische Gärten“ sind. Bohnenstangen erkenne ich und Gemüse wird hier angebaut. Es sind einige türkische Frauen mit Kopftuch zu sehen.

Am Oberhausen HBF trinke ich am Döner-Imbiss am Willy-Brandt-Platz ein Bier, ein KöPi, die Flasche kostet nur 1 Euro, das ist ja ok. Der türkische Imbisseigner hat seine Kunden fest im Griff, scherzt mit ihnen und hat für jeden ein paar Worte übrig. In der prallen Altweibersommersonne geniesse ich am heute so quirligen und angenehmen belebten, mit den vielen Südländern fast schon mediterran wirkenden Oberhausener HBF mein Ruhrgebietsbier aus der Brauerei in Duisburg-Beeck.

2.17.) Sternstunden – Ausstellung im Gasometer Oberhausen

In Oberhausen waren wir im Kulturhauptstadtjahr in der Ausstellung „Sternstunden“ - Tim

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hatte Angst, dass dieser überdimensionale Mond in der Kuppel des Gasometers ihm auf den Kopf fällt.

Ein bisschen kennen wir den Weg schon: Am HBF Oberhausen müssen wir nicht am Hintereingang raus bei der alten Zinkfabrik, wo jetzt das Rheinische Landesmuseum ist. Wir müssen zum Haupteingang am Willy-Brandt-Platz. Und da sollten wir nicht in Bahn / Bus nach Mülheim a. d. Ruhr einsteigen, wie es uns schon mal passiert war, sondern die 3 Stationen bis Oberhausens "Neue Mitte" fahren.

An der Arena ist der hypermoderne Bahnhof. Das Gasometer ist ja garnicht zu übersehen. Drinnen sieht man erst, wie gross das Gasometer eigentlich ist. Von aussen täuscht das. Gigantische Ausmasse hat das. Im "Erdgeschoss" ist zentral ein Modell der Sonne plaziert, um die massstabsgerecht grosse Modelle der umkreisenden Planeten aufgebaut sind. Interessant, aber eigentlich ist das auch nicht so spektakulär. Was nur auffällt, ist, wie gut besucht das hier heute ist. Das ist wohl wegen der gerade beginnenden und auch hier stattfindenden Kulturhauptstadt Europas. Richtig spektakulär ist die Ausstellung aber dann, wenn man eine Treppe hochsteigt. Tim dreht sich direkt wieder um. Ihm ist dieser 25 Meter im Durchmesser grosse über uns schwebende Mond in dem ansonsten dunklen, immerhin 117 Meter hohen Gewölbe unheimlich. Er hat Angst, der Mond könnte ihm auf den Kopf fallen. Eine gruselige Hintergrundmusik trägt zu einer wahrhaft unheimlichen Stimmung sehr bei. An einer Stelle von hier aus fahren Aufzüge bis zum höchsten Punkt des Gasometers. Das ist wirklich beeindruckend - und wenn ich auch erst wieder über den hohen Eintrittspreis hier meckerte. Das ist schon gerechtfertigt.

Zurück gehen wir am Rhein-Herne-Kanal entlang bis zu einer Stelle, wo ein kleiner Yachthafen, die Oberhausen Marina, ist. Hier ist auch das Sea Life Oberhausen, wo eine lange Schlange an Menschen ansteht. Der angrenzende CentrO-Park ist ja jetzt im Winter geschlossen. Dafür gehen wir mal ins CentrO hinein, in dieses grosse Einkaufszentrum, was imposant ist und durchaus wie für eine Metropole geplant wirkt. Durch die Fussgängerzone bummeln wir vom CentrO zur Arena an der Gracht vorbei. Nicht nur durch die Gracht wirkt das hier wie in einer holländischen Stadt. Links sind spanische, italienische, griechische, asiatische... Restaurants und auch ein holländisches in den geschmackvollen Neubauten. Rechts sieht man asiatisch anmutende Gebäude wie die grosse Pagode im CentrO Park und ein Reetdachhaus, in dem ein Irish Pub ist.

Wieder fahren wir ab der Arena mit einem Bus - zurück zum HBF. Das finde ich originell, dass auf dieser Strecke sowohl Busse als auch Schienenfahrzeuge fahren. Da wir noch Zeit bis zum Anschlusszug haben, gucken wir uns noch den Museumsbahnsteig an, auf dem noch Exponate vom Rheinischen Landesmuseum stehen. Die gehören zu dieser interessanten Dauerausstellung über Schwerindustrie, die wir uns an einem anderen Tag auch schon angeguckt hatten. Da stehen auf dem Bahnsteig undefinierbare monströse verrostete Stahlteile herum ebenso wie ein ganzer uralter Güterzug. Die Wagen sind schon dicht mit grünem Moos bewachsen. Wie an so vielen Stellen im Ruhrgebiet erobert sich die Natur diese Teile zurück.

2.18.) St. Antony-Hütte in Oberhausen

Die St.Antony-Hütte war die erste Stahlhütte im ganzen Ruhrgebiet. Es war die Vorgängerin der Gutehoffnungshütte, die es inzwischen nicht mehr gibt.

Im Bus vom Oberhausen HBF fahren auch etliche türkische Migranten mit, selten aber reden die türkisch miteinander. Einer redet die ganze Busfahrt über auf deutsch mit seinem Handy. Wir kommen am CentrO mit der Arena vorbei, nach dem Metronomtheater und dem Gasometer heisst eine Station "Zeche Oberhausen", allerdings ist hier nichts zu sehen, was zu einer ehemaligen Steinkohlezeche gehört. Dann überqueren wir den Rhein-Herne-Kanal, auf dem gerade grosse Frachtkähne wie auf dem Rhein fahren. Ein kurzes Stück weiter heisst eine Station "Zeche

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Osterfeld". Hier ist einer dieser imposanten grünen Fördertürme; die dazugehörigen Zechengebäude wirken verfallen; die Fensterscheiben in den roten Backsteinbauten sind fast alle zu Bruch gegangen Man sieht von hier auch das Gasometer, an dem immer noch das grosse Bild mit der Sonne für die noch bis zum Ende des Kulturhauptstadtjahres 2010 laufende Ausstellung "Sternstunden" hängt.

Dann nach 26 Busstationen, kurz vor der Stadtgrenze zu Bottrop, haben wir unser heutiges Ziel erreicht. Das ist ein unscheinbares idyllisch von einem Park mit einem grossen Teich und einem plätscherndem Springbrunnen umgebenes Fachwerkhaus. Eher sieht das aus wie ein kleines Bauernhaus. Tatsächlich ist das aber die St. Antony-Hütte, die Wiege der Montanindustrie im Ruhrgebiet. Ab 1758 wurde hier Stahl und Eisen produziert. Die lebensgrosse Bronzeskulptur vor dem Fachwerkhaus stellt Franz Haniel dar; einer der Grossindustriellen des Ruhrgebiets wie Krupp und Thyssen. Und genau hier auf dem Gelände entstand der einstig international bekannte Grossbetrieb Gutehoffnungshütte, der längst abgewickelt ist und von dem nur noch Fragmente existieren. Die Gutehoffnungshütte wurde praktisch vom CentrO Oberhausen überbaut.

Der etwas gelangweilt wirkende Aufseher des Museums scheint sich zu freuen, endlich mal wieder jemandem etwas erklären zu können und so zeigt er Tim an einem Modell, wo früher der Hochofen der Hütte stand. Aber er muss ihm/uns nicht erklären, was da in den Hochofen hinein kam, nämlich Koks, Kalk und Eisenerz. Wir hatten aufgepasst bei der Führung in der Henrichshütte in Hattingen. Und wir wissen auch, was dann am Ende des Prozesses herauskam: nämlich Schlacke und hochwertiges Roheisen.

Hier in dem ehemaligen Wohnhaus der einstigen Hüttenbesitzer gucken wir uns die kleine, aber feine Ausstellung an. Interessanter noch ist gegenüber auf der anderen Seite der Strasse der von einem geschwungenen Stahldach überdachte archäologische Teil des Museums. Dort sind die jahrzehntelang von einer Wiese überwachsenen Reste der Grundmauern der Produktionsstätten der Hütte ausgegraben und werden der Öffentlichkeit als Teil der Ausstellung präsentiert.

2.19.) Ruhrpark in Oberhausen

Wenn man vielerorts im Ruhrgebiet denkt, das ist ja wie in Berlin oder Paris, ein so weitläufiges Gebiet von Wiesen mit Kühen, Pferden und Wald wie die Ruhrauen zwischen Oberhausen, Mülheim und Duisburg gibt es nur mitten in der Metropole RUHR.

Diesmal weiss ich ja, wo wir am Oberhausen HBF in den SB 90er Bus einzusteigen haben. Das ist am Bussteig 3 und der Bus soll bis zum Ruhrpark fahren, den ich kürzlich zufällig entdeckt hatte, weil ich hierher in die falsche Richtung gefahren war. Mir gefällt diese einfache Arbeitergegend hier im Bezirk Alstaden. Die Strassen sind belebt und in fast jedem der 3-geschossigen Häuser ist unten ein kleines Geschäft. An der Endstation „Ruhrpark“ beginnt auch direkt ein überraschend grosser Park. Ein Kinderspielplatz ist hier mit originellen Klettergeräten, ein Stück dahinter ist ganz unvermittelt plötzlich ein Teil einer „Seilscheibe“ der ehemaligen Zeche Alstaden wie eine künstlerische Plastik mitten im Park aufgestellt. Dahinter steht sogar eine Lore aus der ehemaligen Zeche mit einem Schild, wo das Alles erklärt ist..

Der Park geht im weiteren Verlauf in dichten Wald über und dann geht es links eine Treppe hoch. Von dort sieht man diese weitläufigen Ruhrauen, die wir vorhin schon vom Zug aus auf dem Weg nach Oberhausen gesehen hatten. Die weissen Kühe da unten auf den saftigen Wiesen an der Ruhr hatten wir auch gesehen. Tim und ich sind mutig und gehen direkt an die Ruhr heran und den Weg zu den Kühen hin. Als diese sehen, dass wir ihnen entgegen kommen, kommen sie uns auch entgegen. Dabei entdecke ich, dass dass nicht nur Kühe sind. Da sind auch Bullen oder Ochsen dabei. Wie war das noch mit dem eingezäunten Bullen in Holzwickede ? Da wurde auf einem Schild gewarnt, dass es lebensgefährlich wäre, auf die Wiese zu gehen. Respektvoll verlassen wir diese Wiese schleunigst. Allerdings scheinen die Kühe/die Bullen friedlich zu sein und ein paar

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andere das wunderbare goldene Oktoberwetter Ausnutzender lassen hier in Seelenruhe sogar Drachen steigen. Aber sicher ist doch sicher.

Wir gehen ein ganzes Stück an der Ruhr entlang und sind sehr erstaunt, wie weitläufig das hier ist. Immer wieder müssen wir dabei mal über ein Gatter steigen. Es weiden nicht nur Kühe hier, auch Pferde, einen Esel sehen wir sogar. Und bei dem blauem Himmel und angenehmen Temperaturen von vielleicht 14 Grad sind viele Ausflügler hier unterwegs. Viele führen auch ihre Hunde aus. Das ist ein Idyll fernab der Städte möchte man meinen, aber man ist doch mittendrin zwischen Oberhausen, Mülheim und Duisburg. Nur die Autobahn ist zu hören und in der Ferne sind riesige Brücken zu sehen.

Einmal unterhalten wir uns, wo wir überhaupt jetzt sind. Ich tippe ja auf Mülheim; eine gerade vorbeigehende Auch-ausflüglerin hört das und lächelt wissend. Dann ist endlich mal an einem Weg ein Schild zur Orientierung: „Willkommen in Duisburg“ steht da. Das ist überraschend, aber eigentlich auch nicht. Die Städte sind hier alle so dicht beieinander. Dann ist da endlich mal eine Brücke, die nicht nur für die Autobahn oder die Eisenbahn da ist, sondern auch für Fussgänger. Hier gehen wir hoch und sehen schon in der Ferne Teile des Duisburger Hafens. Ein Stück weiter die Strasse entlang sind wieder Häuser, ein Ortsschild „Duisburg“ mit klein darunter „Duissern“ ist an der Strasse. Kurz dahinter ist eine Bushaltestelle mit wartendem Bus.

Im Bus finde ich einen „Wochenanzeiger“, die Lokalausgabe für Hamborn/Marxloh. Auf der Titelseite wird darüber berichtet, dass 79.xxx Unterschriften für eine Abwahl von Bürgermeister Sauerland gesammelt wurden und da steht auch die Gegenmeinung dazu, dass hier nur die Loveparadetragödie instrumentalisiert wird, um einen unliebsamen CDU-Bürgermeister loszuwerden. Am WAZ-Medienhaus am HBF sehe ich, dass dort offenbar neben WAZ und NRZ auch der „Wochenanzeiger“ herausgegeben wird.

2.20.) Duisburg RHEINORANGE

Auf den Rheinwiesen vor der Skulptur RHEINORANGE hatten wir mal ein hier gänzlich unvermutetes Naturerlebnis.

Der Bus 933 fährt am Duisburg HBF an dem Hochhausgebäude der Industrie- und Handelskammer mit der riesigen vergoldeten Skulptur eines Ankers davor vorbei. Duisburg ist unverkennbar eine Hafenstadt. Wir kommen am Innenhafen mit dem Steiger Schwanentor vorbei. Dann fährt der Bus durch eine interessante Arbeitersiedlung mit vielen migrantischen Restaurants. Das ist der Ortsteil Neuenkamp. Bis zur Endstation Rheindeich fahren wir mit. Vom Deich aus haben wir einen herrlichen Blick auf den Rhein und einen breiten Wiesenstreifen davor. Auf der anderen Rheinseite ist der Duisburger Ortsteil Homberg mit einem grossen chemischen Werk, wo sichtbar an 5 rauchenden Schloten auch heute am Samstag gearbeitet wird. Wir laufen direkt hinunter über die schöne grosse Wiese zum Rheinufer und tatsächlich gibt es auch hier Muscheln ohne Ende. In Düsseldorf hatten wir es kürzlich immerhin noch für möglich gehalten, dass da am Strand von Kaiserswerth die Muscheln eigens für die Touristen von der Nordsee dorthin gebracht werden. Aber in Duisburg würde man sicher nicht auf so eine Idee kommen.

Nach einem längeren Fussweg am Rheinufer entlang sehen wir um die Ecke endlich diese Skulptur "RHEINORANGE" in etwa einem Kilometer Entfernung. Es riecht hier etwas streng nach Schwefel ? Von der chem. Fabrik drüben in Homberg ? Aber nein, klarer Fall, jetzt wissen wir auch, wieso diese grossen Wiesenflächen so gut "gemäht" aussehen. Und diese schwarzen Klümpchen überall auf der Wiese sind eindeutig die Verursacher des strengen Geruchs. Das ist nicht, wie fälschlich von uns vermutet, von der chemischen Fabrik. Vor uns ist nämlich eine riesige Schafherde eingezäunt auf den Rheinwiesen. Einige hundert Tiere sind das.

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Schleunigst verlassen wir diese doch so einladend aussehende Wiese und gehen auf einem Feldweg an den Schafen vorbei und grüssen den Schäfer, der gerade die neue Umzäunung für die Schafherde befestigt, weiter. Hier riecht es nicht mehr, dafür sieht die Wiese noch "ungemäht" aus. Und bald sind wir an dieser Skulptur. Das ist nichts Besonderes eigentlich; eine Landmarke wie so viele im Ruhrgebiet. Es ist eine 25 Meter hohe rechteckige Stahlskulptur mit eigentlich der einzigen Besonderheit, dass sie in diesem markanten Orangeton, dem Farbton in sogenanntem Reinorange ist. Und sie steht direkt am Ufer an der Mündung der Ruhr in den Rhein. Man sieht von hier aus weit in die Duisburger Häfen und in den Ortsteil Ruhrort hinein. Auf der anderen Seite der mehreren Mündungsarme der Ruhr erhebt sich dieses ThyssenKrupp-Kraftwerk mit dem grossen Schornstein, der noch um einiges höher als das RHEINORANGE ist – im Schatten des Kraftwerks ist das ehemalige Ruhrorter Hallenbad, ein schöner Jugendstilbau, in dem jetzt das Binnenschifffahrtsmuseum untergebracht ist. Zentral in dem Schwimmbadbau ist das eindrucksvolle Schiff "Goede Verwachting", ein altes holländischen Schiff, im früheren Schwimmbecken eingefasst.

An dem breiten Ruhrarm entlang gehen wir beschaulich wie in einem Park etwa einen Kilometer Richtung Duisburger Innenstadt, hier sehen wir dann schon die Strassenbahnen über die Ruhrbrücke Richtung Stadtzentrum fahren. Eine Bahn verpassen wir knapp und so gehen wir noch eine Station durch ein belebtes Arbeiterviertel südlich von Ruhrort bis zur nächsten Station. Die dreistöckigen Mietshäuser sind von Anfang letzten Jahrhunderts. Auf den Klingelschildern sind wie eigentlich fast überall im Ruhrgebiet neben deutschen Namen etwa gleich viele türkische Namen und.viele polnische, einige spanische, griechische.... Mit der 901er-Strassenbahn fahren wir dann bis König-Heinrich-Platz. Hier findet gerade ein Bauernmarkt auf der wie immer lebendigen Flaniermeile der Duisburger City, der Duisburger KÖ (von Königsstrasse) statt. Wir haben Hunger und heute am Samstag Glück. Der Imbiss am HBF mit den holländischen Pommes Frites für 1,20 Euro pro Portion mit Ketchup oder Majo hat heute auf. Lecker wie immer schmecken diese breiten, gut gewürzten Fritten auf original holländische Art.

2.21.) Dickelsbachsiedlung in Duisburg

Eigentlich ist die Dickelsbachsiedlung nur eine Reihenhaussiedlung. Aber die Gesamtkonzeption ist raffiniert. Man ist verblüfft, wie gemütlich es dort wirkt, obwohl die Menschen so eng zusammenwohnen.

An einer Stelle fliesst der Dickelsbach unter der Düsseldorfer Strasse in Duisburg hindurch. Das ist der selbe Dickelsbach, der auch durch Ratingen fliesst (durch die Ratinger Dörfer Lintorf und Hösel). Hier im Duisburger Stadtteil Wanheimerort zieht sich an dem kleinen 1 Meter, höchstens 2 Meter breiten Bach eine Grünanlage entlang. Wir gehen einen Weg direkt am Bach vorbei. Links sind unscheinbare, kleine rote Backsteinhäuser mit grünen Fenstern und winzigen Gärten davor.

Das ist schon die Dickelsbachsiedlung. An einer Stelle gehen wir in die Siedlung hinein und sind sehr überrascht, wie interessant und anheimelnd das hier aussieht. Zwar ist alles in dieser Siedlung rechteckig. Wie mit dem Lineal gezogen stehen da hunderte dieser 2-stöckigen Reihenhäuser mit unten einer grünen Tür und 2 Fenstern und oben 3 Fenstern wie in Reih und Glied. Es gibt kleine Seitenstraßen mit ebensolchen kleinen Häuschen und es gibt Innenhöfe mit winzigen Gärten. Alles ist nach einer strengen Ordnung angelegt. Und doch wirkt das hier urgemütlich wie in einer holländischen Neubausiedlung. In Holland haben die Leute auch alle so kleine Gärten und da sind die Siedlungen auch so verwinkelt mit kleinen Gässchen und Höfen.

Man kann den Leuten in ihre Wohnzimmer hineingucken. Auch das ist wie in Holland. Viele der Häuser sind schon weihnachtlich geschmückt. In manchen der Gärten sieht man Kinderspielzeug und ein paar Kinder spielen dort auch trotz des winterlich kalten Wetters. Einige der Häuser stehen aber leer . Wir gucken mal in eines hinein und sehen winzige Räume. Was hier wohl so die Miete kostet? Die Namen der Leute hier an den Klingelschildern sind typisch für Duisburg, fürs

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Ruhrgebiet. Viele slawische und türkische Namen sind dabei.

Wir kommen auf den Posadowskyplatz, den zentralen Platz des trotz der strengen Architektur beschaulichen, ja sogar anheimelnd wirkenden Viertels. Hier am Platz sind die Häuser auch dreistöckig. An einem der Häuser ist ein Schild "Bürgertreff". Da gibt es offenbar auch einen Mieterbeirat. Aber natürlich ist jetzt am Sonntag der kleine Laden hier geschlossen.

Unweit von hier ist die Strassenbahnhaltestelle "Grunewald Betriebsbahnhof". Auf der anderen Seite der Düsseldorfer Strasse ist ein grosser Industriebetrieb. Aus einem der grossen Schornsteine quillt Rauch. Wir fahren mit der Strassenbahn/U-Bahn zurück nach Düsseldorf-Kaiserswerth. Wir haben noch etwas Zeit. Der Anschlussbus nach Ratingen fährt erst in einer dreiviertel Stunde. Und so gehen wir noch am Kaiserswerther Weihnachtsmarkt vorbei durch die mittelalterliche Altstadt mit vielen barocken und so altholländisch wirkenden Giebelhäusern vorbei zum Rhein. Dort geht gerade mit einem grandiosen winterlichen Farbenspiel rotorange die Sonne unter, während die Rheinfähre gerade wieder von Meerbusch-Langst nach Kaiserswerth zurückfährt.

2.22.) Im Landschaftspark Duisburg-Nord

Es gibt weitere interessante Arbeitersiedlungen in Duisburg, z.B. Rheinpreussen in Homberg, Ratingseesiedlung in Meiderich. An einem Sonntag müssen wir aber zu lange auf Busse dahin warten. So landen wir im Landschaftspark Duisburg-Nord.

Heute klappt Alles nicht. Die Ziele, die ich mir aufgeschrieben habe, bleiben für heute unerreichbar. Sonntags fahren die Busse nur selten und und mit Frau und Kind dabei bringt es Nichts, bei trübem Wetter eine dreiviertel Stunde an einer öden Bushaltestelle zu warten. Da wird also heute Nichts aus dem Vorhaben, die Bergbausammlung in Rheinhausen oder die Siedlung Rheinpreussen in Homberg zu besuchen. Auch die Siedlung Bergmannplatz in Neumühl und auch die Ratingseesiedlung in Meiderich fällt flach. Der Bus 907 fährt ab Meiderich Bf. auch erst in mehr als einer halben Stunde.

Da gehen wir eben heute mal wieder in den Landschaftspark Duisburg-Nord; wir fahren die 3 Stationen mit der Strassenbahn 903 dahin. Das ist ja etwas Reelles und man weiss da, was man hat. Im Eingangsbereich ist der Bauernhof mit Gänsen, Pferden; da ist ein Esel. Gerade werden eine Kuh und 2 Ochsen in ihre Ställe gebracht. Dann gibt es einen Anschauungsgarten. Ein bisschen spüre ich hier den erhobenen Zeigefinger: Stadtbewohner, kommt her mit Euren Kindern, damit die nicht in dem Bewusstsein aufwachsen, Kühe sind lila. Dabei ist das Ruhrgebiet und auch sogar Duisburg streckenweise doch sehr ländlich. Und was hat man von einem Garten in Deutschland an einem Novembertag? Nichts. Eigentlich haben wir auch Nichts von dem ganzen Landschaftspark in der ehemaligen Stahlhütte Meiderich heute. Es ist eindrucksvoll in all diesen alten Industrieruinen zu sein, klar. Aber heute kann uns das einfach nicht inspirieren, aufbauen, motivieren zu irgendwas..

Da ist ein Klettergarten. Einige der alpinen Kletterkünstler klettern eifrig in den alten Gemäuern herum. Ich finde das ehrlich gesagt langweilig. Warum klettern so Viele überhaupt in alten Gebäuderesten herum, wo früher Hüttenarbeiter und Bergleute hart malocht haben? Dann ist da eine Art Hof, da sind ein paar junge Leute, die gestikulieren herum. Und dabei sind ein paar andere Leute, die um eine Kamera stehen. Wir fragen noch naiv, was denn los ist und wir bekommen die missmutig klingende Antwort, dass wir denen ins Bild gelaufen sind. Ddie drehen gerade einen Film, aber ohne uns. Entschuldigung aber auch.

Es gibt ein Gasometer hier, das ist viel, viel kleiner als das Gasometer in Oberhausen. Und auch da sind wir nicht willkommen. An einer Treppe, die zum Gasometer hochführt, steht ein Schild „Nur für Taucher“. Und noch etwas von einer Tauchschule steht da, was ich schon garnicht mehr lese. Gähn.

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Es gibt im Landschaftspark einen unvermeidlichen Laden der Metropole RUHR, einstmals der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010. Da sind natürlich die obligatorischen Prospekte, Flyer, Broschüren für die kommenden Veranstaltungen in der Metropole RUHR erhältlich. Es gibt auch einen Verkaufsstand, wo man all diese bekannten oft kitschigen Ruhrgebietssouvenirs erwerben kann: Bilder von kohlegeschwärzten Kumpels, T-Shirts oder Umhängetaschen mit dem Symbol der gekreuzten Hämmer und dem Bergarbeitermotto GLÜCK AUF...

Und es gibt ein Restaurant und Geschäfte in ehemals stahlproduzierenden Abteilungen der ehemaligen Stahlhütte. Uns ist das da allesamt zu teuer, oft auch zu neppig.

Es ist vielleicht das Wetter. Heute ist zum ersten Mal in diesem November richtig zu merken, dass der Winter kommt. Aber der Landschaftspark Duisburg-Nord, den wir bei einem Besuch vor 2 Jahren mal richtig grossartig fanden, nervt heute bzw. er langweilt. Es ist vielleicht auch so, dass man so viele gigantische Industriedenkmäler im Ruhrgebiet zuletzt schon erlebt hat, dass man all diese Souvenirläden, In-Restaurants, Klettergärten... einfach nicht mehr sehen kann. Gestern war ich an der KruppMannesmann-Hütte in Duisburg-Huckingen. Das ist dann wieder interessant, wenn da sogar am Samstag gearbeitet wird, es aus Schloten qualmt, Maschinengeräusche zu hören sind und auf die konventionelle Art Stahl produziert wird.

2.23.) Der Duisburger Hafen

Wir haben Glück, dass bei unserem Hafenbesuch das Museumsschiff „Oskar Huber“, ein Radschleppdampfer, zum letzten Mal in diesem Jahr, geöffnet ist.

An der Station König-Heinrich-Platz im Zentrum von Duisburg steigen wir um in die U-/Strassenbahn 901 Richtung Marxloh. Am Tausendfensterhaus steigen wir aus der Bahn. Und nun lassen wir uns bei dem herrlichen Wetter durch den so beschaulichen Duisburger Stadtteil Ruhrort treiben. Vorbei an dem grossen Betrieb Haniel in modern wirkenden Gebäuden, vorbei an schön anzusehenden alten Kirchen und kleinen gepflegten Mietshäusern aus der Gründerzeit. Und dann sind wir tatsächlich jetzt auf der Dammstrasse und eine schmale abschüssige Gasse führt hinunter zum „Hafenmund“. Hier ist natürlich Hafenatmosphäre pur wie in Hamburg. Bei dem herrlichen Wetter sind die Lokale am sonnenbestrahlten Hafenmund bis auf den letzten Platz besetzt. Und viele Frachtkähne sind heute hier am Kai festgemacht. Meistens sind es holländische. Das kennt man so in Duisburg. Da liegt die „Breezand“, die „Middelburg“, die „Talisman Dordrecht“... Wegen dem Feiertag ist aber gar kein Schiffsverkehr heute zu beobachten. Lediglich auf dem Rhein ein Stück weiter nördlich von hier fährt ab und zu ein Schiff.

Dafür liegt hier am Hafenmund auch dieses altehrwürdige Schiff „Oskar Huber“, ein Museumsschiff . Das gehört zum Binnenschiffahrtsmuseum und kann besichtigt werden. 4 Euro kostet die Familienkarte. Das machen wir jetzt und wir werden durch eine informative Ausstellung mehr als entschädigt für den dafür günstigen Eintrittspreis. Es werden die Maschinenräume dieses eindrucksvollen Radschleppdampfers in guter Erhaltung gezeigt. Man sieht die Wohnräume einer Binnenschifffahrerfamilie bis ins Detail. In weiteren Räumen auf dem überraschend grossen Schiff werden typische Schifffahrerwerkzeuge und -utensilien gezeigt. Da sind urig aussehende Gegenstände, bei denen wir uns oft garnichts drunter vorstellen können. Was z.B. ist eine „Trimmeisen-Klapprolle“? Oder ein „Persenning-Stoßeisen“? Oder ein „Meerhaken mit Fretter“? Es werden viele Seefahrerknoten gezeigt. Auch die sehen meist ganz urig aus und heissen z.B. „Kreuzknoten mit doppelten Slipstek“ oder „Flachplatting“ oder „Schotstek mit Slipstek“.

Bei der jungen Studentin, vermutlich ist sie ja Studentin, weil sie so über Büchern versenkt ist an der Kasse fragen wir noch nach einem Flyer. Sie zuckt bedauernd die Schultern. Ausserdem

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erfahren wir von ihr, dass heute der letzte Tag im Jahr ist, wo hier noch geöffnet ist. Da haben wir ja Glück gehabt.

Gemütlich bummeln wir am Hafenmund entlang bis zur Friedrich-Ebert-Brücke. Drüben auf der anderen Seite ist der Duisburger Bezirk Homberg und ein Stück weiter südlich ist die orangefarbene Stahlskulptur „Rheinorange“ an der Mündung der Ruhr in den Rhein zu erkennen. Nördlich der Brücke ist ein heute natürlich stark frequentierter Biergarten. Wir holen uns ein Eis an einem Eiswagen. 50 Cent kostet hier die Kugel nur. Damit lassen wir uns dann gemächlich durch Ruhort bzw. am Hafenmund in Ruhrort in Richtung Strassenbahnstation treiben. Wir kommen vorbei an der Schifferbörse, am ehemaligen Kasteel in Roerort . Interessant; auf einer Informationstafel steht, dass Ruhrort früher Roerort genannt wurde. Also hiess auch die Ruhr einstmals wie dieses kleine Flüßchen Rur (holl.Roer) in der Eifel, was beim holländischen Ort Roermond in die Maas fliesst,.

2.24.) Der Alsumer Berg in Duisburg

Eine Woche nach der Loveparadetragödie war eine Trauerfeier in der Salvatorkirche. Wir waren an dem Tag auch in Duisburg. Wir waren da am Alsumer Berg.

Der Matenatunnel ist gesperrt. Man kann nur durch die Plastikplanen der Absperrung hindurch in einen beleuchteten Tunnel hineingucken, aber eben nicht hineingehen. Und das wurde im Internet so blumig als Filmkulisse bei Schimanski-Tatortfilmen beschrieben. Unter der Stahlhütte von ThyssenKrupp hindurch. Nun stehen wir vor dem gesperrten Tunnel und wissen nicht recht, was nun. Aber jetzt sind wir hier; so gehen wir also an dem monströs grossen Werksgelände herum. Und dann finden wir doch im Ortsteil Schwelgern die Alsumer Strasse. Das ist genau die, auf die auch laut Beschreibung im Internet der 400 Meter lange Matenatunnel unter dem Werk hindurch mündet.

Endlich finden wir den Abzweig zum Alsumer Steig und dann ist da schon der Rhein zu sehen. Eine fast unberührt scheinende weite Wiesenlandschaft ist hier mitten neben diesem gigantisch grossen Industriegebiet. Wir kommen an der Kokerei Schwelgern vorbei. Direkt hinter dem Zaun kann man fast hautnah, mit viel Geräuschen und unter Entwicklung dieser charakteristischen in sich geschlossenen weissen Wolke in dem grossen Ofen verfolgen, wie gerade Unmengen von Kohle zu Koks veredelt werden.

Und direkt nebenan ist dann ein fast unberührtes, unglaublich grosses Landschaftsschutzgebiet mit weiten grünen Wiesen am Rhein, rechts sieht man das qualmende grosse Kraftwerk in Walsum; auf der anderen Rheinseite tut sich beschaulich der ländliche Niederrhein auf. Zum Haldengipfel des nur 50 Meter hohen Alsumer Berges sind es immer noch 1,4 Kilometer. Aber der Weg lohnt sich. Auf einer Tafel der „Route der Industriekultur“ wird einem ein bisschen über die Geschichte des Berges und des Ortes Alsum erzählt. Das war ein kleines Fischerdorf. Im 2. Weltkrieg wurde es fast ganz zerstört - und dann abgetragen und diese Halde Alsumer Berg entstand. Dicht bewaldet ist die Halde. Man könnte meinen, der Wald hier existiert schon immer. Und der Blick über hoch gewachsene Bäume und Sträucher ist fast noch spektakulärer als auf den anderen Halden, wo wir waren. Auf der einen Seite ist diese gigantisch grosse, mir apokalyptisch erscheindende Werksanlage der heute am Samstag sichtbar an vielen qualmenden Schloten und auch laut und deutlich hörbar arbeitenden ThyssenKrupp - Stahlhütte und dann auf der anderen Seite der grandiose Blick über den Rhein mit dem Kraftwerk Walsum, dem beschaulichen Niederrhein bis hin zu einer weiteren Halde am Niederrhein, der Halde Rheinpreussen in Moers, wie man an dieser charakteristisch wie ein roter Leuchtturm aussehenden Landmarke deutlich erkennen kann.

„Es stinkt“, sagt Tim. Und tatsächlich weht einem gelegentlich hier ein unfeiner Geruch in die Nase. Dieser Berg hier war mal eine Mülldeponie und da tritt schon mal etwas Methangas aus.

Den Weg zurück wollen wir natürlich nicht wieder durch dieses riesige Industriegebiet machen und

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so gehen wir auf dem Rheindeich am Rhein entlang. Allerdings verfolgt einen links viele Kilometer weit das riesengrosse ThyssenKrupp-Gelände. Das scheint ja eine Stadt in der Stadt zu sein. Mit Strassen, Unmengen von riesigen oft lärmigen Werkshallen, mit Schienen, Güterzügen.

Endlich haben wir mal wieder bewohntes Gebiet erreicht. Auf einem Schild sehen wir, dass wir bereits 5 Kilometer zu Fuss gegangen sind vom Alsumer Berg. Beeckerwerth heisst dieses interessante Arbeiterviertel, wo sicher all die Industriearbeiter der Hütte und der Kokerei wohnen. Das sind rote 2stöckige Backsteinhäuser von Anfang letzten Jahrhunderts, alle im gleichen geschmackvollen Stil mit hübschen Gärten hintendran. Auf den Klingelschildern sind meist türkische und polnische Namen. Und endlich finden wir ein "Eis-Cafe Italia" an einem ruhigen Platz, wo auch eine kleine, aus den gleichen roten Backsteinen wie die Wohnhäuser gebaute Kirche steht. Der junge Italiener, der uns Eis und Kaffee serviert, unterhält sich mit den anderen draussen sitzenden Gästen über das Geschäft und über seinen bevorstehenden Italienurlaub. Und überwiegend redet er über das neue Auto, was er sich durch die Arbeit hier im Cafe seines Vaters verdient hat... Urig ist das hier.

Dann gehen wir weiter, denn die Busse hier fahren meist in die nördlichen Bezirke wie Walsum, Marxloh, Meiderich. Wir gehen weiter am Rhein entlang. Das ist ja auch überraschend schön hier. Der nächste Bezirk heisst Laar. An einer Stelle steht eine Siedlung von alten dreistöckigen Mietshäusern direkt am Rheindeich. Von einem der Häuser grüsst schelmisch eine steinerne Skulptur. Auf einer Tafel am Rheindeich steht dazu geschrieben:

"Der Laarer Junge auf dem Haus Deichstrasse 50 grüsst die vorbeifahrenden Binnenschiffer."

Die Schiffe hier sind meist holländisch. Das erkennt man an den holländischen Namen auf den Schiffen und den rotweissblauen Fahnen, die an den Schiffen flattern. Wesentlich weniger Schiffe gibt es hier mit den schwarzrotgelben oder schwarzgelbroten, den deutschen oder den belgischen Fahnen. Nach 2 weiteren Kilometern haben wir dann das Binnenschifffahrtsmuseum in Ruhrort erreicht. Hier steigen wir, endlich, unsere Füsse qualmen schon fast, in die Strassenbahn. Und wir fahren nun durch den multikulturellen Ortsteil Ruhrort. Über teils ganz schmale Gässchen. An einer Stelle muss der Strassenbahnfahrer einen migrantischen Autofahrer aus einem türkischen Cafe hupen, der mal eben für einen Plausch sein Auto auf den Schienen abgestellt hatte. Ein Stück weiter ist eine Hochzeit von Farbigen. Das hatten wir heute morgen schon gesehen an diesem kleinen Platz mit Kirche. Jetzt feiern die vielen Schwarzen immer noch. Es gibt Kneipen hier, die heissen "Kaiserhafen" oder "Am Freihafen", aber die meisten Lokale in Ruhrort sind türkisch, chinesisch, griechisch, italienisch, indisch...

In der schönen Duisburger Fussgängerzone machen wir noch Pause mit holländischen Pommes Frites und italienischem Eis, bevor wir völlig erschöpft zurück fahren nach Ratingen. Vom abfahrenden Regionalzug im HBF sehen wir noch, dass da am ehemaligen Güterbahnhof, wo ja letzten Samstag die Loveparade stattfand, inzwischen weitgehend aufgeräumt ist und dass jetzt da keine Polizeieinsatzwagen mehr herumstehen. Heute war ja in der Duisburger Salvatorkirche die Trauerfeier für die 21 Toten der Loveparade-Tragödie. Bis auf einige wenige junge Leute, die heute Morgen mit traurigem Blick in der S-Bahn wohl auf dem Weg zur Trauerfeier mit uns sassen, haben wir da aber heute Nichts von mitbekommen.

2.25.) „Die Sonne sank, bevor es Abend wurde“

47-stündiges Gedenken an die Loveparade-Tragödie 23./24.7.2011

Wenn man aus der U-Bahn, die hier über der Erde als Strassenbahn fährt, aussteigt an der Station Karl-Jarres-Strasse und von der Düsseldorfer Strasse rechts in die Karl-Lehr-Strasse geht, ist es schon fast ein bisschen, als ob man durch einen Tunnel geht. Zu beiden Seiten der ersten 100 Meter der Strasse stehen streng und massiv wirkende dreigeschossige Villen und Mietshäuser in wilhelminisch-klassizistischem Stil aus roten Backsteinen und mit hohen Fenstern: Sicher sind die

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Räume in diesen Häusern sehr hoch. Vor sechs Tagen war ich mit Marion und Tim schon einmal hier. Wir fühlten uns etwas befangen in dieser Strasse, wo im letzten Jahr die Loveparade-Katastrophe passierte und 21 junge Leute starben. Wir wollten ja nicht stören und kamen uns eigentlich zu Unrecht etwas wie Voyeure vor. Heute bin ich nochmal alleine hierhin gefahren zum 47-stündigen Gedenken an die Katastrophe. Jetzt erst sehe ich klar, was diesen Eingangsbereich der Strasse so düster wirken lässt. Das sind die kräftigen Platanen, die durchgehend rechts und links von der Strasse stehen wie bei einer Allee und durch ihr dichtes Laubwerk viel von dem an einem trüben und verregneten Tag wie heute eh schon wenigen Licht schlucken.

Anschliessend kommt der Teil der Karl-Lehr-Strasse mit dem Tunnel. Wobei das eigentlich 5 Tunnel sind, die durch eine auf der rechten Seite der Strasse durchgehende Wand miteinander verbunden sind. Auf der linken Seite sind die Rampen d.h. die Zugänge zum ehemaligen Güterbahnhof und hinter dem längsten der 5 Tunnelteile zu den Bahngleisen kurz vor dem Duisburger Hauptbahnhof. Heute und morgen am Jahrestag der Katastrophe ist der Tunnel (sind die Tunnel) für den Autoverkehr gesperrt. Nur Fussgänger dürfen durch die Sperre und Radfahrer, die ihr Rad schieben. Eine Menge Ordner sind hier und noch wesentlich mehr Leute mit lila Westen von der „Notfallseelsorge“, wie es auf den Westen geschrieben steht. Auch Einsatzwagen der Feuerwehr sehe ich, Polizei; die Ordner haben alle Funkgeräte. Was an dem Tag der Katastrophe vor einem Jahr zum Teil nicht beachtet wurde, ist heute zum Gedenken an die Tragödie im Übermass da.

Zuerst geht man unter diesem Tunnel durch, wo oben der Autobahnzubringer entlangführt. Dieser erste Tunnel ist vielleicht 30 Meter breit. Dann kommt links eine erste schmale Rampe und dann zwei von diesen Tunnels mit der so markant gewölbten Decke, die jeweils vielleicht 50 Meter lang sind. Hinter dem zweiten dieser (Vor-)Tunnel und vor dem eigentlichen Karl-Lehr-Tunnel, der etwa 200 Meter lang ist, befindet sich links die Rampe, die zum ehemaligen Güterbahnhof hinaufführt und wo das Unglück geschah. Heute ist der Zaun weg vor dem wie ein Altar geschmückten vielleicht 3 Meter breiten Streifen an der Wand von der Strasse bis zu der berüchtigten Treppe hin. Das sind vielleicht 20 Meter. Und auch von der gegenüberliegenden Seite der Rampe ist jetzt der Zaun weg. Hier standen vor 6 Tagen noch 4 Bagger. Oberhalb der Treppe am Unglücksort ist jetzt mit einem von einer weissen Plane überdeckten Maschendrahtzaun abgesperrt. Nur noch durch eine Tür im Zaun, an der ein Schild zeigt, dass das ein Notausgang ist, ist hier noch der Zugang zum ehemaligen Güterbahnhof möglich.

Der Unglücksort ist durchgehend dicht mit kräftigem Gras bewachsen und ist vollgestellt mit Blumen in Vasen, in Amphoren, es sind Kränze aufgestellt. Der eindrucksvollste Kranzspruch besagt Alles: „Die Sonne sank, bevor es Abend wurde.“ Auf der Kranzschleife sehe ich das Foto einer hübschen jungen Frau. Es sind jede Menge Schrifttafeln aufgestellt mit Gedichten, mit Erinnerungen, manchmal mit Anklagen. Es stehen da brennende Kerzen, Grablichter meistens, da sehe ich Kuscheltiere, auf eine Tafel sind alle Fotos von den 21 verunglückten Menschen montiert, drumherum ist ein kleiner weisser Zaun gestellt... Innerhalb des weissen Zaunes stehen brennende Kerzen, Engelsfiguren aus Keramik, mit Texten bunt bemalte Kieselsteine. An einer anderen Stelle steht ein grosser Haufen mit diesen in bunten Farben mit Gedenktexten bemalten Steinen. Eine Gedenktafel von der Stadt Duisburg hängt zentral über der Unglückstelle mit dem schlichten Text „Duisburg gedenkt der Opfer der LOVEPARADE 24.Juli 2010“. Darunter ist an die Wand mit Kreide geschrieben „Ist das Alles?“ mit Pfeil zu dem Schild. Ja, das ist auch so meine Empfindung, wenn ich das hier so sehe und in der Zeitung lesen musste, dass die Berliner Möbelfirma, die jetzt hier eine Filiale errichten will, diese Gedenkstätte sogar abreissen wollte. Diesen so wunderbar und feierlich gestalteten Altar oder wie kann man das nennen?, der für viele Menschen sicher eine grosse Bedeutung hat..

Auch die schmale Treppe, auf die sich am Unglückstag Menschen retten wollten, ist liebevoll

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gestaltet. Hier wollten sich am Tag der Katastrophe einige der jungen Leute retten, einige stürzten von der Treppe ab und gingen in der Menschenmenge unter. Genau dieser Ort wurde ihnen zum Verhängnis. 21 der Treppenstufen sind für die 21 Toten liebevoll gestaltet. Da liegt auf jeder der 21 Treppenstufen eine ockerfarbene Amphore, in der ein Blumentopf mit blühenden Blumen drin steht. Daneben ist jeweils eine brennende Kerze und hinter jeder Kerze steht ein Holzkreuz, an dem nicht nur der Name eines der Todesopfer steht. Es ist auch an jedem Kreuz eine kleine Landesfahne befestigt, so dass man sieht, dass neben Deutschen auch Menschen aus Italien, Spanien, Holland und anderen Ländern ihr Leben bei dieser Veranstaltung vor einem Jahr verloren. Auch auf den kopfsteingepflasterten Boden der Rampe sind, allerdings meist schon verwitterte und kaum noch lesbare, Gedenkschriften zu sehen. Eine holländische Gedenkschrift mit weisser Farbe kann ich noch entziffern: „Jan Wilhelm – zonder jou is alles anders“.

Auf einem grossen zentral positionierten Plakat steht anklagend etwas über die „konsum- und profitorientierte Spassindustrieveranstaltung“, wo die jungen Menschen ihr Leben verloren.. Ja man kann diese hilflosen Anklagen aber doch verstehen. Etwas abseits von hier, an der die Tunnel verbindenden Wand zwischen den beiden Vortunnels, habe ich vor 6 Tagen ein grossformatiges Schriftplakat des Loveparadeveranstalters gesehen, wo auch er seine Trauer über das Geschehene ausdrücken will und um Verzeihung bittet. In grossen Fetzen ist dieses Plakat heruntergerissen worden. Man sieht nur noch Fragmente davon. Vor mir an der Unglücksstelle stehen drei etwas alternativ aussehende Menschen; eine Frau und zwei Männer, der eine mit Zopf; die im Gespräch vertieft sind. Auch aus deren Gespräch höre ich Anklagen gegen die Stadtverwaltung und den Veranstalter heraus. Das sind offenbar Presseleute, denn sie erwähnen einen Flyer, den sie gestaltet haben und zu dem es wohl viel Kritik gab.

Zu dem „Kunstwerk“ muss man durch den langen Tunnel, den eigentlichen Karl-Lehr-Tunnel, gehen. Heute bin ich mit wenigen Leuten hier alleine drin. Wieder wirkt dieser durch weisse Neonröhren nur sehr unzureichend beleuchtete Tunnel unheimlich. Zu beiden Seiten sind in weissen Umrissen lebensgrosse Figuren durchgehend an die Wände gesprüht. Wo ich vor 6 Tagen hier mit Marion und Tim durchging, fuhren gerade 2 schwere Motorräder hier durch. Das hallte mächtig. Und hinter dem Karl-Lehr-Tunnel ist noch eine Rampe und dann folgt sogar noch ein fünfter Tunnel. Dieser allerdings ist der kürzeste Tunnel von Allen mit vielleicht 20 oder 25 Metern. Links dahinter ist ein kleiner Park, wo sich das offizielle Mahnmal der Stadt Duisburg befindet; ein in Auftrag gegebenes Kunstwerk.

Das Kunstwerk ist eine 3*3 Meter grosse rostige Metallplatte. Vor der Platte sind lange vierkantige ebenfalls rostige Metallstangen übereinandergestellt, als ob sie gerade im Fallen sind. Natürlich sind es genau 21 Stück. Und auf der Rückseite ist in abgehobenen grossen Metallziffern das Datum 24.07.2010 plaziert und eine Plexiglasscheibe angebracht. Mit dem daraufstehenden Text in schwarzen Buchstaben: „Sie kamen um zu feiern und fanden den Tod.“ Dann folgen die 21 Namen und dann „Die Bürger Duisburgs erinnern mit diesem Mahnmal der Opfer der Loveparade-Tragödie“.

Anschliessend gehe ich in der Duisburger City in die Salvatorkirche, wo wir im letzten Jahr mal in der Vorweihnachtszeit zufällig die Vorbereitung eines Literaturgottesdienstes miterlebten. Diese Veranstaltung hatte das so reviertypische Motto „Unter Tage ist immer dunkel.“ Aber heute habe ich die schöne alte protestantische Kirche, die mit ihrer geschwärzten Kuppel ja auch ein Mahnmal, an den 2.Weltkrieg, ist, ganz für mich. Ein Gedenkgottesdienst für die Loveparade-Opfer findet hier erst morgen am Jahrestag der Katastrophe statt. Nur ein kleiner Flyer mit Terminen zu dem 47-stündigen Gedenken an die Loveparade-Tragödie, was ja natürlich keinen Eventcharakter bekommen soll, liegt aus. Da steht auch, was ich schon aus der Zeitung weiss, dass morgen der Tunnel; die Unglücksstelle für 3 Stunden für die Hinterbliebenen der Opfer reserviert ist. Das finde ich gut.

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Ich gehe noch bis zum Innenhafen und vorbei am Legoland, wo ich mit Tim mal war vorbei an all den ehemaligen Getreidespeichern mit den kleinen Grachten dazwischen bis hin zur eindrucksvollen Küppersmühle, wo jetzt ein Museum drin ist und denke darüber nach, wie wir, die wir zwar garnicht an der Loveparade teilnahmen, aber doch viele der daran Teilnehmenden zufällig getroffen hatten. Das war am Tag des Ereignisses, am Tag der Tragödie:

24.07.2010 Am Hagen HBF gehen wir uns das eindrucksvolle Glasgemälde im Empfangsgebäude des barocken Bahnhofs nochmal angucken. Da sind Industriearbeiter dargestellt. Der ganze alte Bahnhof ist eindrucksvoll. Aber das ist schon das einzige alte Gebäude am Platz. Der zuerst eindrucksvoll wirkt mit den bewaldeten Hügeln ringsum. Aber all die hässlichen Plattenbauten aus der Nachkriegszeit ringsum verhindern, dass das ein angenehmer Platz ist.

Im Bahnhof sind überraschend viele Jugendliche, gestylt und geschminkt, fast etwas schrill wirkend. Wir hatten gedacht, dadurch, dass wir heute mal in eine ganz andere Region der Metropole RUHR fahren, kommen wir garnicht erst in die Menschenmassen, die zur heute stattfindenden Loveparade in Duisburg wollen. Eine halbe Million Menschen werden da erwartet. Das ist Nichts für mich/uns. Wir sind heute über Düsseldorf, Wuppertal, Schwelm hier nach Hagen gefahren, um in den Zug nach Essen umzusteigen und in Witten auszusteigen.

Und nun sind wir am Bahnsteig inmitten all der jungen Leute, die aus dieser Gegend nach Duisburg wollen. In kleinen Cliquen sitzen die Raver auf dem übervollen Bahnsteig, trinken Bier, Wein oder evt., auch härtere Getränke? Einige haben Musikrecorder mit, diese laut aufgedreht. Ehrlich gesagt: die nerven etwas. Wir wissen ja natürlich noch garnichts von der Katastrophe. Junge Polizisten als Ordner sitzen etwas gelangweilt wirkend auf den Wartebänken am Bahnsteig und steigen mit uns und den Ravern in den einfahrenden Zug, der proppevoll wird.

Naja, die 2 Stationen können wir den Trubel, und die Raver machen ununterbrochen welchen, schon aushalten. Erst kommt die Station Wetter und dann am Witten HBF steigen wir aus, während die Raver weiter und einige von ihnen ja in ihren Tod fahren. So drastisch muss man das im Rückblick sehen, leider. Denn während wir im beschaulichen Witten, eine Nicht-mehr-ganz-Grossstadt mit 98.000 Einwohnern zum interessanten Berger Denkmal auf dem Berg Hohenstein gehen, wo man einen zwar vielleicht etwas langweiligen, aber schönen und vor allem ruhigen Blick über das grüne Ruhrtal hat, fahren die jugendlichen Technofans weiter bis Essen und dann nach Duisburg zur diesjährigen Loveparade, die ja bekanntlich in einer schrecklichen Katastrophe endet.

3.) RÄUME ZUM TRÄUMENTiger & Turtle – Magic Mountain

3.1.) Tiger & Turtle und der Rheinpark in Duisburg

Einen goldenen Oktobersonntag verbringen wir im grossartigen Angerpark und im ebenso reizvollen Rheinpark in Duisburg. Endlich kommt man im Süden von Duisburg an den Rhein.

Inzwischen kennen wir den Weg. An der U-Bahnstation Mühlenkamp steigen wir aus der Bahn. U-Bahn ist das hier garnicht. Die Bahn fährt hier als Strassenbahn und Grossstadt ist das hier erst recht noch nicht. Man ist hier ganz im Grünen. Die dann schon sehr städtisch wirkende Mündelheimer Strasse gehen wir entlang. An einer Eisdiele holen wir uns ein Eis. Nebenan ist die Lokalredaktion Duisburg-Süd von WAZ und NRZ. In den ausgehängten Zeitungsseiten lese ich einen Artikel über den Angerpark. Da steht drin, dass die Einweihung der Landmarke Tiger & Turtle am 13.11. sein

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wird. Dazu ist ein kleines Foto der prachtvollen Landmarke inclusive dem jetzt vor ein paar Tagen erst eingebauten Looping-Teil. Wir gehen wieder den Weg entlang zwischen dem Angerbach und.einer Häuserzeile auf die Halde zu. Hier ist eine urige Ruhrpottatmosphäre mit den jetzt wunderbar grünen und blühenden Gärten hinter den alten Mietshäusern, den Taubenschlägen mit vielen gurrenden Tauben in dem einen Garten und den freundlichen und kommunikativen Menschen, die hier wohnen. Und tatsächlich ist die grüne Halde jetzt noch imposanter. Das zuletzt noch fehlende Teil ist in das eigenwillige Kunstwerk eingebaut. Viele Ausflügler bestaunen wie wir das fertige Tiger & Turtle-Gebilde, was wie eine Achterbahn aussieht. Nachwievor ist aber ein Bauzaun um diese schönste von allen Landmarken im gesamten Ruhrgebiet.

Tim und ich klettern die Halde ganz hoch. Die Landmarke wird begehbar sein. Es sind Treppenstufen in die Windungen eingebaut. Nur der „Looping“ wird natürlich nicht begehbar sein. Ausserdem steht auf einem Plakat am Baustellenzaun, dass die Landmarke durch viele LED-Elemente nachts beleuchtet sein wird.

Wieder gehen wir mit heimatlichen Gefühlen, weil es hier so ist wie an einem Weg an der Anger in Ratingen, den 650 Meter langen Angerbachweg von der Halde bis zum Rhein, der Angermündung in den Rhein, nach „Angerort“. Rechts neben uns ist Hafengelände. Das ist erstaunlich, aber an diesen grossen Kränen steht etwas von „Duisport-logport“ (excellence in logistics); also ist das hier praktisch ein Teil vom Duisburger Hafen. Die vielen riesigen Container von Maersk oder Hanjin... auf dem weitläufigen Gelände werden hier an einem grossen Kai auf Schiffe verladen. Unten neben dem Kai sitzen bei dem schönen Wetter doch tatsächlich 2 Angler in aller Seelenruhe. Wie optimistisch. Ob die hier wirklich eine Chance haben, was herauszufischen? . Links von uns ist das grosse RWE-Kraftwerk, dessen riesige Heizkessel von manchen Orten in Ratingen oder Düsseldorf aus zu sehen sind. Trotz der Hütte und des Kraftwerks hier ist der Angerbach sauber. Die Ufer sind begrünt wie an einem Angerweg in Ratingen oder Wülfrath, wo die Anger ja entspringt.

Bei wunderschönem Spätsommerwetter gehen wir die Ehinger Strasse ein Stück stadteinwärts. Rechts ist die grüne Halde vom Angerpark mit dem Tiger & Turtle obenauf, der „Magic Mountain“ und links zieht sich das Gewerbegebiet weiter am Rhein entlang. Wir steigen in eine Strassenbahn ein, die 903 Richtung Dinslaken Bf. Im Bezeirk Hochfeld hinter dem S-Bahnhof Hochfeld-Süd steigen wir wieder aus. Und wir gehen in den heute sehr belebten Rheinpark. Viele Ausflügler sind heute wie wir hierhergekommen. Hunderte von Jugendlichen benutzen die Skaterbahn an Resten von Werkshallen, die mit phantasievollen Graffitits verziert sind. Am Rheinufer ist Sand aufgeschüttet wie ein Strand. Und es gibt ein Strandcafe. Rriesige alte Werkshallen der ehemaligen Drahtfabrik sind als eindrucksvolle Kulissen auf dem Gelände bis jetzt erhalten geblieben. Am kleinen Kiosk neben dem Strandcafe bekommt man nicht mehr die gewünschten Eissorten. Bei dem Hochbetrieb heute ist fast alles ausverkauft. Bei dem herrlichen Wetter kann man am „Strand“ gemütlich die Seele baumeln lassen und die vorbeifahrenden Schiffe auf dem Rhein beobachten. Meistens sind es holländische Schiffe. Eins der rheinabwärts, also nach Duisburg hinein fahrenden Schiffe ist voll beladen mit Kohle?

Wir gehen noch am Rhein entlang bis zur Brücke der Solidarität, die Brücke mit dem eindrucksvollen roten Stabbogen, die den Ortsteil Rheinhausen mit Duisburg verbindet. Drüben in Rheinhausen sieht man fast nichts von dem Ort oder den auch dort vielen ansässigen Industriebetrieben, sondern Trecker, die auf den Rheinwiesen fahren, Pferde und eine Schafherde. Der Bus fährt durch Hochfeld und am Böninger Park, da wo der Karl-Lehr-Tunnel ist, der traurige Berühmtheit durch die Loveparade-Tragödie im letzten Jahr erlangt hat, vorbei zum Osteingang vom Duisburger HBF.

3.2.) Auf dem Rheinturm in Düsseldorf

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Da man von der Halde im Duisburger Angerpark als einzigen Punkt in Düsseldorf den Rheinturm erkennen kann, müsste man doch umgekehrt von dort die neue Landmarke sehen?

An verschiedenen Stellen habe ich in Ratingen und in Düsseldorf geguckt,. ob da von einem erhöhten Punkt aus die Landmarke im Duisburger Angerpark auffindbar ist. Vergeblich bisher. Vom Berg in Düsseldorf-Knittkuhl ist deutlich die Skyline von Duisburg bis hin zum Kraftwerk Walsum zu erkennen, aber ausgerechnet die Sicht auf den Süden von Duisburg ist durch Bäume verdeckt. In Ratingen-West bin ich mit Tim mal auf eins der noch bunten Papageienhäuser hochgefahren bis zum 15ten Stock. Auch vergeblich.

Einer der nördlichen Düsseldorfer Bezirke ist Angermund. Etwa da, wo das Wasserschloss Heltorf ist, überragt die für die Region ungewöhnliche zwiebelförmige Kuppel der Dorfkirche in Duisburg-Rahm längst abgeerntete Felder. Und links sind auch die mächtigen Heizkessel des RWE-Kraftwerks auf dem KruppMannesmann-Gelände. Da, wo nebenan unterhalb von Haus Angerort, einer ehemaligen Ritterburg, die Anger in den Rhein mündet.

Die beiden einzigen Punkte in Ratingen/Düsseldorf, die ich von oben von der Heinrich-Hildebrand-Höhe im Angerpark erkennen konnte, sind das ARAG-Hochhaus und der Rheinturm in Düsseldorf. An einem Oktobersonntag fahren wir also mal zum Rheinturm.

Natürlich ist die Sicht von so einem Fernsehturm imponierend. Immerhin ist der Düsseldorfer Fernsehturm etwa 240 Meter hoch. Die Aussichtsplattform ist natürlich ein ganzes Stück tiefer.

Dennoch bin ich etwas enttäuscht. Es ist bewölkt. Die Sicht auf Düsseldorf ist aber gut. Unten ist der Rhein mit dem Landtag und im Norden der Stadt blickt man bis zum Flughafen und man kann sogar die Papageienhäuser in Ratingen-West erkennen. Die ehemaligen Papageienhäuser (bye, bye Papagei heisst das etwas sarkastische Motto der LEG, der landeseigenen Entwicklungsgesellschaft), auch die beiden anderen der 3 einst so markant in gelb-, rot- und orange-Tönen getünchten Häuser werden derzeit luxusmodernisiert. Und die Häuser werden danach wie das dritte schon sanierte dieser 15stöckigen Hochhäuser ganz weiss aussehen und heissen dann auch Himmelhäuser.

Von der Duisburger Skyline sind da aber nur ein paar undefinierbare rauchende Schlote auszumachen. Vielleicht kann man bei klarerer Luft ja mehr Details erkennen? Die Landmarke Tiger & Turtle bleibt auch vom Düsseldorfer Fernsehturm, den man deutlich von der Heinrich-Hillebrand-Höhe im Duisburger Angerpark sehen kann, heute zumindest unsichtbar.

3.3.) Mannesmann Tor 2,3 und 4

Die KruppMannesmannhütte im Duisburger Süden ist so riesig, dass zwei Strassenbahnstationen und mehrere Busstationen nach ihr benannt sind.

Das Interessanteste am Viertel um den U-Bahnhof Duisburg-Sittardsberg ist ein neues Verkehrsschild an der Sittardsberger Allee, was zum „Tiger & Turtle“ auf dem „Magic Mountain“ hinweist. Der Bus 946 fährt ab hier kreuz und quer im südwestlichsten Zipfel von Duisburg und dem Ruhrgebiet herum. Wir fahren über die Mündelheimer Strasse. Ich erkenne links die Lokalredaktion Duisburg-Süd von WAZ und NRZ. Kurz dahinter muss man schon genau hingucken, wo der Bus über die Anger fährt. Der kleine Bach ist hier von dichtem Grün überwuchert. An einigen Stellen werden die Mietshäusern rechts vom neuen Loopingteil der Landmarke „Tiger & Turtle“ überragt. Die nächsten Busstationen heissen Mannesmann Tor 2, Blechwalzwerk, am Röhrenwerk und Mannesmann Tor 3. Die HKM, die Stahlhütte KruppMannesmann ist eben riesig gross. Ich habe gelesen, dass hier ein Zehntel des europäischen Rohstahls produziert wird. „Stahl. Das sind wir. HKM.“ steht selbstbewusst auf einem Plakat.

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In Ehingen, wo ich aus dem Bus aussteige, ist die Welt aber schon wieder ganz anders. Hier sind ausser der Hütte Felder, ein Wäldchen und eine Handvoll kleiner eineinhalbgeschossiger Häuser mit Gärten und Kinderspielzeug. Ich habe noch ein Stück an der Hütte vorbei zu gehen. Vorbei an Mannesmann Tor 4 zum „Ehingen Denkmal“. Ein Restaurant heisst „Zum Bootshaus“ und dahinter sind grüne Rheinwiesen, der Rhein und auf der anderen Rheinseite geht das direkt weiter mit Industrie. Das Bayerkreuz über all den Fabrikgebäuden drüben auf der anderen Rheinseite verrät, dass hier die Bayerfiliale von Krefeld-Uerdingen ist.

Ich gehe wieder auf den Rheindeich. Gerade kommt der Bus, der Richtung Krefeld-Uerdingen fährt. Da der nur stündlich einmal fährt, sprinte ich hin und der Busfahrer ist so freundlich, auf mich zu warten. Durch ländliches Duisburg in Ehingen und Mündelheim mit Feldern und Wiesen fährt der Bus zur Brücke und über den Rhein nach Krefeld-Uerdingen. Hier ist das Ruhrgebiet zu Ende. Nur einmal bin ich hier mal vor vielen Jahren mit dem Fahrrad auf dem Weg zu einer Freundin in Holland über diese Brücke gefahren. An der Endstation des Busses Krefeld-Uerdingen Bf. steige ich aus Nur kurz gehe ich mal durch einen pittoresken, mittelalterlichen Ortskern mit barocken Häusern z.B. dem Haus Neuhofs von 1778 an den Hafen von Uerdingen. Auch von hier kann man drüben nur die HKM-Hütte, nicht aber die Landmarke im Angerpark sehen.

Ich habe Glück, dass am Bahnhof von Uerdingen gerade ein Regionalzug nach Duisburg kommt. Über Rheinhausen und die Eisenbahnbrücke von Hochfeld fahre ich zurück ins Ruhrgebiet zum Duisburg HBF und mit dem Regionalzug Richtung Aachen wieder aus dem Ruhrgebiet heraus.

3.4.) Einweihung der Landmarke Tiger & Turtle im Angerpark am 13.11.11

Eigentlich ist Tiger & Turtle ein Projekt von RUHR.2010 im Kulturhauptstadtjahr. Aber gut Ding will eben Weile haben. Die Eröffnungsfeier am 13.11.2011 begeistert.

Diesmal sehen wir die Anger sofort von der Mündelheimer Strasse aus. Vermutlich extra zu der Einweihung der Landmarke Tiger & Turtle ist der Wildwuchs von Sträuchern über der Anger, wodurch man den Bach von dem kleinen Fussweg aus hinter den Mietshäusern mit den Gärten zuletzt garnicht mehr sehen konnte, gestutzt worden.

Viele Menschen sind schon von weitem erkennbar heute gekommen, um endlich die neue Landmarke befreit von Baggern, Kränen und Baustellenzäunen drumherum zu erleben. Und um auch endlich mal diese wie eine Achterbahn aussehende Landmarke begehen zu können. Wir klettern heute mal nicht wie sonst hier auf „Abkürzwegen“. Von weitem sehen wir nämlich, dass an der Landmarke einige Security-Leute sind und uns fällt dazu unser Besuch kürzlich am auch neu geschaffenen Dortmunder Phönixsee ein, wo Securityleute penetrant jeden kleinsten Verstoss, jedes minimalste abweichende Verhalten mit Ermahnungen ahndeten.

Aber hier ist die Security offenbar dafür da, den grossen Andrang an Menschen zu regulieren. Es sind sicher einige Tausend Menschen hier zu dem Eröffnungsfest gekommen. Niemand sagt etwas, wenn jemand eine Böschung hochklettert und abseits des angelegten Wegenetzes geht. Das ist ja schon mal gut. So eine Landschaft soll ja für die Menschen da sein. Immerhin erfahren wir aber dadurch, dass wir die angelegten Wege um den „Berg“ herum entlang gehen, wie gross das Gelände hier überhaupt ist. Auf einer Wiese ist ein Zeltdorf aufgebaut mit weissen überdachten Zelten und kleinen Imbissständen. Tim isst hier einen Crepe mit Schokolade. Und wir hören erstaunt von anderen Besuchern dieses Volksfestes, dass hier gestern schon eine offizielle Eröffnung mit handverlesenen Gästen stattgefunden hatte. Aber da mussten wir aber auch wirklich nicht dabei sein, um mal die Ministerpräsidentin Kraft oder Bürgermeister Sauerland zu sehen.

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Nach dem kleinen Imbiss im Zeltdorf gehen wir die Halde hoch. Von der Rückseite der Halde her, die ich noch garnicht kenne, hat man eine überraschende Aussicht auf eine ThyssenKrupp-Eisengiesserei an der Ehinger Strasse. Auch das ist in dieser Industrielandschaft wie die benachbarte KruppMannesmannhütte ein gigantisch grosses Werk, was auch heute am Sonntag arbeitet. Der Himmel ist aber blau, wenn man von ein paar Wolken absieht, die aus Schloten dieses Werkes abgelassen werden.

Wenn wir bisher mal hier waren, hatten wir die Halde manchmal fast für uns alleine. Heute zur Eröffnung ist es sehr belebt hier. Und selbstverständlich stelle ich mich auch an die lange Schlange geduldig Ausharrender an, die oben auf der Halde vor einer Art Abfertigung mit 2 Ordnern vor dem Kunstwerk warten. Genau 40 Leute dürfen die Landmarke heute gleichzeitig begehen, erfahre ich von Mitwartenden. Immer wieder kommt Tim an und frägt zur Belustigung anderer Wartender, ob es noch lange dauert. Es dauert wirklich lange. Mindestens eine Stunde müssen wir Schlange stehen, bis wir auch mal das Tiger & Turtle begehen können. In der Zeit hat sich das Wetter dramatisch verändert. Es ist Nebel aufgekommen. Eine richtig dichte Waschküche ist das jetzt hier. Man erkennt die Industriebetriebe ringsum zum Teil nur noch in Umrissen. Ausserdem ist es schon fast dunkel. Aber dafür kommt die weisse LED-Beleuchtung der Landmarke jetzt voll zur Geltung.

Die erwartete bzw. erhoffte gute Sicht von hier oben lässt so bei dieser Waschküche doch ziemlich zu wünschen übrig. Immerhin ist da aber wohl hinter den Gewerbebetrieben der Hütten und des RWE-Kraftwerks tatsächlich der Rhein? Bei einem Industriewerk ist eine brennende Flamme aus einem Rohr zu beobachten. Aber es ist auch so, dass nach der langen Wartezeit es eigentlich mehr darum geht, dabei zu sein bei diesem Fest heute. Man kommt mit etlichen Leuten hier ins Gespräch; meist sind es Familien mit Kindern wie wir. Es ist trotz des dichten Nebels inzwischen eine angenehme Atmosphäre. Endlich feiert man in der Stadt Duisburg nach der Loveparade-Tragödie mal wieder ein richtig schönes Fest. Die Aussicht auf den Rhein und die Industriebetriebe kann man ja jederzeit noch mal geniessen. Ohne all den heute aber wirklich angenehmen Trubel. Das ist ja wirklich wie ein Volksfest heute. Und das ohne die lästige „Security“ wie am Phönixsee, wo wir uns so bevormundet fühlten. Die Absicht dieser Landmarke, dieses Angerparks, einem Projekt von der EU in Zusammenarbeit mit den RUHR.2010-Initiatoren auf einer ehemaligen Deponie ist es ja auch, den Menschen „Räume zum Träumen“ zu geben. Hier muss man nicht teure entstehende Eigentumswohnungen schützen und offensiv dafür Werbung machen wie am Dortmunder Phönixsee. „Räume zum Träumen“ - dieses so treffende Motto habe ich vor Monaten hier mal auf einem Plakat am Bauzaun um das Tiger & Turtle auf dem Magic Mountain gelesen.

Die Strassenbahn hat Verspätung. Über eine halbe Stunde warten wir im inzwischen nächtlichen Duisburg am Fuss der Halde mit dem durch dichten Nebel aber durch die weisse LED-Beleuchtung deutlich erkennbaren Tiger & Turtle. Mit einigen der Mitwartenden hatte sich Marion schon unterhalten, während ich mit Tim auf der Landmarke gekletttert war. Die sind fast alle aus Duisburg und Mülheim. Ein älterer Mann erzählte, dass er vor Jahren auch schon bei der Eröffnungsfeier des Tetraeders in Bottrop dabei war.

3.5.) Froschenteich, Duisburg-Rahm

Ein Landspaziergang führt uns von Düsseldorf-Froschenteich nach Duisburg-Rahm.

Ein einfaches Schild am Schlosspark Heltorf zwingt uns, für heute ein anderes Ausflugsziel zu wählen. Auf dem Schild steht, dass durch Baumfällarbeiten der Park heute am Sonntag ? gesperrt ist. Na toll.

Was sonst kann man tun hier in Froschenteich ? Das ist hinter Wittlaer, irgendwo zwischen Düsseldorf und Duisburg an einem Novembersonntagnachmittag. Da es aber für November

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ungewöhnlich mild ist und die Sonne scheint und hier auch ausserhalb des Parks des Schlosses der Familie von Graf Spee, denen die ganzen Wälder hier im Angerland und besonders auch in Ratingen gehören, landschaftlich schön ist, gehen wir etwas ziellos spazieren.

Hier haben wir die merkwürdige Kombination von bäuerlicher Landschaft mit weitläufigen Wiesen, Feldern, auf denen wohl meist Raps angebaut wurde (bei dem milden Wetter stehen auf den abgeernteten Feldern immer noch einige gelbblühende dieser Pflanzen) und gigantischen Industrieanlagen links am Horizont. Und da ist diesmal aber nicht nur der so oft für hässliche Industriekulissen gescholtene Ruhrpott dran schuld. Die Schlote ganz links jedenfalls gehören eindeutig nicht mehr zu der benachbarten KruppMannesmannhütte und zum RWE-Kraftwerk in Duisburg-Wanheimerort, sondern zum Bayerwerk in Krefeld.

Wie so oft hier in der dichtbesiedelten Rhein-Ruhr-Region weiss man mal wieder nicht so genau, in welcher Grosstadt man sich eigentlich befindet. Krefeld scheidet aber aus, denn den Rhein haben wir ja nicht überquert. Da bleibt hier also nur Duisburg und Düsseldorf. Ein schmaler Feldweg bringt uns aber nicht dem markanten Zwiebelturm der Dorfkirche von Duisburg-Rahm näher. Der Weg endet jäh an einer starkbefahrenen Landstrasse, der Krefelder Strasse. Und diese Strasse überqueren wir mit Tim sicher nicht. Dahinter sieht man schon den grossen Rahmer See, hier beginnt schon die Duisburger 6 Seenplatte. Jetzt müssen wir aber wieder fast bis Schloss Heltorf zurückgehen. Aber von da aus finden wir schnell in eine Siedlung mit Häusern an Feldern, wo bergeweise geerntete Zuckerrüben am Wegrand liegen, vorbei. Natürlich sind wir nun gespannt, in welcher Stadt wir gelandet sind bzw. in welchem Dorf Es stehen ja nur Duisburg-Rahm oder Düsseldorf-Angermund zur Wahl. And the winner is: eindeutig Duisburg. Alle Autos hier haben das Kennzeichen DU statt D.

In Rahm spielen Kinder auf den kaum befahrenen Strassen im Dorf. Allerdings ist das hier etwas abseits vom Ortszentrum von Rahm ein neuzeitliches Dorf mit Einfamilienhäusern und 3- oder 4-geschossigen Reihenhaussiedlungen. Nichts scheint hier los zu sein. Wir finden den S-Bahnhof, der eigenartig wirkt. Die Unterführung ist grossstädtisch vollkommen mit wirren Graffitis „verziert“ und ein dunkler Schacht führt zu den Gleisen hoch. Rechts und links donnern hier an dem schmalen Steg der beiden Gleise die Intercity- und Regionalzüge vorbei. Ausser uns warten nur 2 türkische Männer auf die S-Bahn Richtung Solingen. Nach (Ratingen-)Lintorf will der eine Mann. Da muss er in Angermund, der nächsten Station ab hier, aussteigen. Vom Bahnsteig aus gucken wir auf eine moderne Reihenhaussiedlung, die langweilig und öde wirkt. Das einzig Interessante ist eine mit LED-Lämpchen verzierte und von ein paar Menschen nur umlagerte reviertypische Trinkhalle mit Kiosk in einem der 4-geschossigen Neubauten. Davor ist eine weitläufige Wiese.

3.6.) Der „Magic Mountain“ und der „Franzosenweg“

In der Schlussszene des Schimanski-Tatortklassikers „Das Mädchen auf der Treppe“ bringt Schimanski die junge symphatische Hauptdarstellerin noch davon ab, den Mörder ihrer Mutter (gespielt von Günter Lamprecht) zu erschiessen. Dieser sagt, dass er die Mutter des Mädchens geliebt hat und dass sie sich aber ihm entzogen hat. Im Bildhintergrund ist deutlich der Name einer Apotheke zu lesen, die sich auch als Duisburger Apotheke „ergoogeln„ läßt. Allerdings ist diese Apotheke im linksrheinischen Ortsteil Rheinhausen nahe Moers am Töppersee. Das ist mir viel zu weit für heute dahinzufahren. Immerhin hatte ich heute mittag ja schon in Ratingen Essen ausgefahren.

Stattdessen fahre ich nochmal zum „Magic Mountain“. Und fast wäre ich doch direkt weitergefahren bis Duisburg HBF, denn während der Strassenbahnfahrt fing es heftig an zu regnen und es wurde neblig. Ganz so wie schon bei der Eröffnungsfeier der Landmarke „Tiger & Turtle“. Aber ich habe auch mal Glück. Schon auf dem Fussweg an der heute braunes Hochwasser

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führenden Anger vorbei zum „Berg“ vorbei an den im Taubenschlag gurrenden Tauben in dem einen der Gärten klart das Wetter auf. Und tatsächlich ist der Himmel blau, als ich auf die eindrucksvolle von 2 in einem Geländewagen sitzenden Securityleuten überwachte Landmarke klettere.

Der Blick bei jetzt klarer Sicht und sogar fast ohne Wolken ist grandios. Wie all die Fotos von Industrielandschaften im Polizeirevier der Schimanskifilme sieht das hier aus. Da sind links eigenartig geformte Faultürme, weiter rechts diese riesigen Heizkessel des RWE-Kraftwerks, die gigantisch-grosse Stahlhütte KruppMannesmann, der dazugehörige Logport, ein Teil des Duisburger Hafens. Und der Blick geht diesmal auch weit über den Rhein bis nach Krefeld-Uerdingen zum Bayerwerk mit Bayerkreuz über Rheinhausen und die rote Brücke der Solidarität nach Hochfeld und bis nach Moers mit der Halde Rheinpreussen?

Ein Mann frägt, wo denn aber ein Zugang zum Rhein ist. Ich kann ihm mit der Auskunft aushelfen, dass man da unten an der Anger entlang zwischen Kraftwerk und den Krananlagen vom Logport bis zur Angermündung an den Rhein gehen kann. Ob man denn da auch bis zum Rhein mit dem Auto fahren kann, frägt der etwa 60-jährige Mann. Nein, der Angerbachweg ist ja nur ein schmaler Fussgängerweg.

Vom nahen Ratingen erkennt man auch von der obersten begehbaren Stelle der Landmarke Nichts. Und von Düsseldorf erkenne ich nur den Rheinturm und das Araghaus. Das finde ich aber eigentlich auch richtig so. Denn wenn man sich hier so umguckt, sieht man ringsum nur Betriebe, wo hart gearbeitet wird. Dennoch ist Duisburg eine der ärmsten Städte Deutschlands und Düsseldorf ist eine der reichsten. Dann soll wenigstens diese Landmarke auf dem Magic Mountain und selbst der Blick darauf ganz der Stadt Duisburg gehören.

Dann gehe ich auf der Ehinger Strasse stadteinwärts zu Fuss. Es ist jetzt schönes Wetter und die Gegend hier ist viel spannender als es von der Strassenbahn aussieht. Links sind nur die Industriebetriebe, aber rechts sind viele Mietshäuser, ganze Mietshaussiedlungen in den Querstrassen, viele kleine Geschäfte, alles hier scheint türkisch (und zu einem kleineren Teil italienisch) bewohnt zu sein. Auch eine kleine Moschee gibt es, das ist die Eyüp-Sultan-Moschee. Und dann ist da plötzlich ein Schild, was eine Rheinpromenade links ausweist. Verblüfft gehe ich dort entlang und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hinter all den Gewerbebetrieben verbergen sich beschauliche kleine Arbeitersiedlungen mit Gärten, Spielplätzen, Kneipen, eine Kirche ist da. Und kilometerweit führt dann eine Promenade ganz beschaulich am Rhein entlang. Nur ab und zu begegnen einem hier Menschen, die aber stets freundlich grüssen. So etwas muss man sich mal in Düsseldorf vorstellen, wo viele Leute die Nase weit oben tragen.

Jetzt verstehe ich auch, wonach der Mann gefragt hatte. Von diesem versteckten Stück Duisburg hat er sicher schon im Gegensatz zu mir gehört. Es geht dann noch durch einen Park und dann ist da ein Schild, wo drauf steht:

FranzosenwegAn dieser Stelle überschritten in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1795 französische Truppen den Rhein. Unter Umgehung von Wanheim und Angerhausen drangen sie in das Herzogtum Berg ein und erzwangen bei Huckingen den Rückzug der österreichischen Verteidiger.

Hinter dem Schild geht es am „Rheintörchen“ auf die Verlängerung der Ehinger Strasse, die hier Wanheimer Strasse heisst. Das Ecklokal heisst Rheintörchen. Das ist ein spanisches Restaurant und hier gibt es spanische Tapas.

Noch ein Stück weiter gehe ich zu Fuss durch immer multikulturelleres Duisburg in Richtung

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Hochfeld und eine Station kurz vor der Hochfelder Brücke steige ich mit ausnahmslos migrantischen Duisburgern in die gerade haltende Strassenbahn. Durch den quirligsten Teil der Stadt, dem absolut multikulturellen Hochfeld fährt die Strassenbahn Richtung Hauptbahnhof. Am König-Heinrich-Platz steige ich aus. Hier auf der Königstrasse ist der wundervolle Weihnachtsmarkt. Mit all den mediterranen Menschen, den Gerüchen aus den zahlreichen Restaurants, Imbissen und von Esständen des belebten Weihnachtsmarktes mit vielen internationalen Musikgruppen, Porträtzeichnern, Gauklern.. fühle ich mich wie in einer Mittelmeerstadt. Vielleicht sollte ich mal auf das Angebot von Gudrun und Sheriff zurückkommen, dass sie uns gerne mal mit dem Auto wo hinfahren, dafür dass ich ihnen Dinge am Computer gezeigt habe. Sheriff ist ja in Duisburg-Hamborn aufgewachsen, wie er mir erzählt hat. Sicher kann er uns noch den ein oder anderen Tip in dieser mich immer wieder verblüffenden Stadt Duisburg geben.

3.7.) Markttag auf dem Hochfelder Markt

Im südlichen Duisburger Bezirk Hochfeld findet 2mal in der Woche ein beliebter Markt statt; auf dem Hochfelder Markt rechts ab von der Wanheimer Strasse, wo die Strassenbahnen fahren.

In der Arnheimer Strasse kurz vor der Endhaltestelle des 749er Busses aus Mettmann sehe ich, dass die Strassenbahn nach Meiderich gerade losgefahren ist. Da habe ich also Zeit genug, hier in Kaiserswerth noch etwas an den Rhein zu gehen. Wie schon vor 2 Wochen hat der Fluss (wieder) Hochwasser und die Rheinwiesen drüben in Meerbusch-Langst sind überflutet.

Es regnet heute wieder fast ununterbrochen. Diesmal wollten Marion und Tim nicht mit mir mitfahren. Aber ich muss mal raus und etwas erleben trotz des scheusslichen Wetters und so steige ich in die Strassenbahn nach Duisburg. Wieder einmal gehe ich dann von der Karl-Jarres-Strasse in die Gitschiner Strasse hinein. Nicht nur durch diesen Strassennamen fühle ich mich hier in eine längst vergangene Zeit versetzt, wo ich mal direkt am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg wohnte. Eine der auf diesen Platz mitten in Kreuzberg SO 36 zuführende Strasse heisst auch Gitschiner Strasse.

Diese Gitschiner Strasse hier in Duisburg-Hochfeld führt zum Hochfelder Markt. Und tatsächlich ist heute hier Markttag. Auch das versetzt mich gefühlsmässig nach Berlin. Das ist hier, wie ich es eigentlich ja erwartet hatte, ein orientalisch anmutender Markt, der mich sehr an den „Türkenmarkt“ am Neuköllner Maybachufer erinnert.

Schon letzte Woche war ich mal hier und da war mir schon dieser rechteckige grosse Platz inmitten dichter städtischer Wohnbebauung aufgefallen. Rechts ist ein grosser alter Bau, wo eine Schule untergebracht ist und links überragt ein 5stöckiges massives, aber düster wirkendes leerstehendes Hochhaus mit hohem spitz nach oben zulaufendem Ziegeldach den Platz. Mehrere Strassen mit schönen Gründerzeithäusern münden auf diesen Platz, der trotz des miesen Wetters jetzt zum Markttag rege besucht zu sein scheint. Eine mediterrane, eigentlich schon orientalische Atmosphäre ist hier durch etliche Gemüse- und Lebensmittelstände und auch Stände mit Bekleidung, die meist von Türken und Arabern, aber auch von Polen, Bulgaren, Rumänen... bewirtschaftet werden.

Bei einem Bäckerstand kaufe ich ein lecker aussehendes Krustenbrot. Etwas ungläubig frage ich die Verkäuferin, ob das tatsächlich nur 1 Euro kostet. Ja, wirklich; für den Preis bekommen wir in Ratingen aber kein Brot. Ein paar Stände weiter kaufe ich bei einem türkischen Imbiss einen Kaffee für nur 50 Cent und setze mich damit an eine von mehreren durch eine Zeltplane vor dem Regen geschützte Holzbank und beobachte die Menschen hier. Fast überwiegend sieht man hier türkische Menschen. Wie in einer türkischen Stadt komme ich mir vor.

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Und das setzt sich weiter fort, als ich den Markt in Richtung Wanheimer Strasse, wo auch die Strassenbahnen fahren, wieder verlasse. Mit „Hackenporsche“ ausgestattete und meist auch mit Kopftuch bekleidete türkische Frauen eilen mir auf ihrem Weg zum Marktplatz entgegen. Vorbei an der aus roten Backsteinen gebauten Pauluskirche, wo auf einem grossen Plakat steht, dass das hier ein „Stadtteil der Kulturen“ ist und etwas vom „Stadt Wandel Hochfeld“ gehe ich zu den „Hochfelder Arkaden“. Das ist hier eine überdachte und also gegen den Regen geschützte Ladenzeile mit wieder (fast) ausschliesslich türkischen Geschäften. Ein älterer Migrant frägt mich an einer Strassenecke aufgeregt, ob ich wüsste, wo an dieser Bank ein Geldautomat ist. Ich gucke mich um und tatsächlich ist ja doch nicht alles der Infrastruktur in diesem Bezirk türkisch. Diese Bank jedenfalls ist die Filialstelle einer deutschen Bank. Aber als hier Ortsfremder kann ich dem Mann leider auch keine Auskunft geben.

Eine Moschee der islamischen Gemeinde Duisburg e.V., die „Haci Bayram Veli Camii“, gibt es hier und auf einer im Fussboden eingelassenen Messingtafel heisst es, dass es 2049 Schritte weit bis zum Rhein ist.

Am Ende der Wanheimer Strasse finde ich dann einen einladenden Imbiss, das „Schnellrestaurant Ali Baba“. Hier bestelle ich mir eine Linsensuppe. Mit einem in Streifen geschnittenen viertel Fladenbrot und einem Stück Zitrone bekomme ich die Suppe serviert und verspeise sie genussvoll an einem Tisch mit Blick auf die so lebhaft wirkende Wanheimer Strasse. Auch das hier erinnert mich sehr an Berlin-Kreuzberg; an die Oranienstrasse oder die Adalbertstrasse.

Überwiegend zu Fuss (eine Station fahre ich auch mal mit der Strassenbahn) bewege ich mich dann zum Duisburg HBF. Es hat aufgehört zu regnen und als ich an einer Bushaltestelle in der Friedrich-Wilhelm-Strasse sehe, dass gleich der nur einmal stündlich nach Geldern fahrende SB 30 hier hält, bin ich versucht, da einfach mitzufahren. Dieser Bus fährt nämlich über Kamp-Lintfort, wo das Bergwerk West ist, eins von 4 noch bis voraussichtlich 2018 Steinkohle abbauenden Bergwerken im Ruhrgebiet. Aber ich verkneife es mir. Diese Tour nach Kamp-Lintfort und da z.B. zum Kloster Kamp machen wir mal an einem anderen Tag.