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UNGARN: FLÜCHTLINGE ZWISCHEN HAFT UND OBDACHLOSIGKEIT Bericht einer einjährigen Recherche bis Februar 2012

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UNGARN:FLÜCHTLINGE ZWISCHEN HAFT UND OBDACHLOSIGKEIT

Bericht einer einjährigen Recherche bis Februar 2012

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HERAUSGEBERbordermonitoring.eu e.V.

Friedenstr. 10, 81671 München

[email protected]

Förderverein Pro Asyl e.V

Postfach 16 06 24, 60069 Frankfurt/M.

[email protected]

V.I.S.D.P.Marc Speer

REDAKTIONMarion Bayer, Karl Kopp

Günter Burkhardt, Marc Speer

LEKTORATMiriam Leitner

LAYOUTMatthias Weinzierl

Christian Jakob

DRUCKapm alpha print medien AG

Darmstadt

AUFLAGE1.500 Stück

PREISEUR 3,oo

TITELErstaufnahmelager Debrecen 2008,

Foto: Marc Speer

I M P R E S S U M

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I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

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FERENC KÖSZEG | Der Eiserne Vorhang gen Osten geschoben

EINLEITUNG | Zur Entstehung dieses Berichtes

ÜBERBLICK | Zahlen und Fakten

MISSSTÄNDE IM UNGARISCHEN ASYLSYSTEM | Warum so viele Flüchtlinge

Ungarn wieder verlassen

HAFTREGIME | Gründe, Dauer, Orte und Bedingungen

12 HAFTDAUER

14 HAFTORTE

14 HAFTBEDINGUNGEN

15 AUSWIRKUNGEN DES VERSCHÄRFTEN HAFTREGIMES

16 SYSTEMATISCHE VERABREICHUNG VON BERUHIGUNGSMITTELN

17 RECHTLICHE KONSEQUENZEN

TRAUMATISIERTE | Behandlung von psychisch vorbelasteten Flüchtlingen

MINDERJÄHRIGE | Altersfeststellungen und Aufnahmekapazitäten

DUBLIN II RÜCKKEHRER | Regelmäßige Inhaftierungen

REFOULEMENT | Abschiebungen nach Serbien und in die Ukraine

SOZIALE SITUATION | Leben in der Obdachlosigkeit

FAMILIENZUSAMMENFÜHRUNG | Unmöglichkeit des Familiennachzuges

ÜBERGRIFFE | Rassismus in Ungarn

ZUSAMMENFASSUNG | Rechtliche Einschätzung und Forderungen

DANKSAGUNG | Ein Gespräch mit einem jungen afghanischen Flüchtling

QUELLENLISTE | FUSSNOTEN

AUTORINNEN

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ASYL IN UNGARN 10

MISSSTÄNDE 12

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BEWERTUNG 34

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Geboren 1939 in Budapest, überlebte Fe-renc Köszeg den Nationalsozialismus alskleiner Junge unter falschem Namen ineinem Budapester Nonnenkloster. Wäh-rend der ungarischen Revolution 1956 ver-teilte er Flugblätter, wurde festgenommenund inhaftiert. Von 1963 bis 1980 arbei-tete Ferenc Köszeg als Redakteur zweier Li-teraturverlage. Als er 1986 anlässlich des30. Jahrestages der Niederschlagung desungarischen Aufstandes eine Stellung-nahme von ungarischen, tschechischen, slo-wakischen, polnischen und ostdeutschenDissidenten mitverfasste, wurde sein Rei-sepass konfisziert. Erst nach seinem Hun-gerstreik wurde er ihm zwei Jahre späterwieder ausgehändigt. Er gründete das Eu-ropean Roma Rights Center und das unga-rische Helsinki-Komitee mit, warMitinitiator des Unabhängigen Rechtsbe-ratungsdienstes in Ungarn (IndependentLegal Aid Service), des „Fonds für dieArmen“ und verschiedener anderer Institu-tionen. 1990 bis 1998 war er Abgeordneterim ungarischen Parlament. Ferenc Köszeghat zusammen mit Mitstreiterinnen undMitstreitern zahlreiche Menschenrechts-verletzungen und die katastrophalen Ver-hältnisse in den Flüchtlings- undHaftlagern an der Grenze Ungarns in derUkraine an die Öffentlichkeit gebracht. DieStiftung PRO ASYL ehrte ihn dafür 2006mit dem Menschenrechtspreis.

„Wenn ich den Namen Ungarn hör,wird mir das deutsche Wams zu enge”,schrieb Heinrich Heine im Rückblick aufdie Monate, als die Ungarn, die letztenin Europa, immer noch für die Freiheitund für die Ideen der Märzrevolutionen1848 gegen die siegreiche Reaktionkämpften („Im Oktober 1849“). Ja, esgab immer wieder Zeiten, auf die manals Ungar stolz sein konnte. Dazu gehörtdas Zeitalter nach dem Ausgleich mitÖsterreich, als das erste Nationalitäten-Gesetz der Welt 1868 im ungarischenParlament verabschiedet wurde, das dasRecht auf den Gebrauch der Mutterspra-che in den Schulen und Lokalverwal-tungen auch für die nicht-ungarischenMinderheiten sicherte. Oder als die Ge-

setze von der bürgerlichen Ehe und vonder Gleichberechtigung der Religionentrotz des Widerstands der Kirchen an-genommen wurden (1894-95). In dieReihe der stolzen Jahre gehört auch1956, als die Nation versuchte, sich vonder sowjetischen Diktatur zu befreien.Sogar auf dem Gebiet des Flüchtlings-schutzes gab es ehrwürdige Perioden.

Am Anfang des zweiten Weltkriegesflohen tausende von polnischen Flücht-lingen nach Ungarn und konnten in denfolgenden Jahren, mit der stillen Hilfeder ungarischen Regierung, zu den West-mächten weiterflüchten. Ungarn war daserste unter den kommunistischen Län-dern von Ost-Mittel-Europa, das 1989die Genfer Flüchtlingskonvention rati-fizierte. Die Regierung ließ (nicht ohnedie Zusage der sowjetischen Führung)die DDR-Flüchtlinge nach Österreichausreisen, und bot etwa zweihundert-tausend Fliehenden aus Ceaucescus Ru-mänien und aus Jugoslawien Schutz an.

Doch oft (oder sogar öfters) mussteman sich für Ungarn schämen. Nachvier Jahrzehnten liberaler Politik warUngarn das erste Land in Europa, dasnach dem ersten Weltkrieg ein Rassen-Gesetz verabschiedete: Das Gesetz „Nu-merus clausus“ (1920) beschränkte dieZahl jüdischer Studenten an den Uni-versitäten. Nach der deutschen Besetzungdes Landes 1944 deportierte man inzwei Monaten mehr als eine halbe MillionJuden nach Auschwitz und in andere

VORWORT

Der Eiserne Vorhang gen Osten geschobenEINE KURZE VORGESCHICHTE VON FERENC KÖSZEG

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FERENC KÖSZEG Foto: Archiv

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KZs. László Endre - Staatssekretär imInnenministerium - überzeugte AdolfEichmann zuvor von der Machbarkeit.Die Verwaltung laufe wie im Frieden,die Gendarmerie sei dienstbereit, mitWiderstand seitens der ungarischen Ge-sellschaft sei nicht zu rechnen, sagte erzu Eichmann. Die Deutschen müsstennur die Aufnahmekapazitäten sichern,die ungarischen Behörden würden dieZüge voller Juden dann bis zur GrenzeUngarns befördern. Heute marschierenwieder Neonazi-Gruppen, antisemitischeund antiziganistische Hassgesänge grö-lend, auf den Straßen ungarischer Städteund Dörfer.

Trotz der vielversprechenden Anfängeist die Behandlung von AsylsuchendenSchmach und Schande der Geschichteder jungen Demokratie in Ungarn. ZurZeit des Umbruchs wurde der Zustromder Fliehenden noch freundlich emp-fangen. Nicht nur diejenigen, die ausRumänien gekommen waren und meistungarischer Abstammung waren, auch„Jugoslawen“ aus Kroatien und aus Ser-bien wurden bereitwillig aufgenommen.Man hatte Mitleid mit den Nachbarn,die plötzlich Opfer eines sinnlosen Krie-ges geworden waren. Die Wende erfolgte1991, als der neue Innenminister, PéterBoross äußerte, Ungarn sei „völlig be-setzt“, der Fremdenhass sei von denFremden selbst verursacht und wennwir ihn vermeiden wollten, dürften wirkeine Fremden mehr ins Land einreisen

lassen. Der Minister, der sich gern alsein politischer Freund von Herrn Stoiberund Herrn Schäuble bezeichnete, folgtein dieser Hinsicht der alten Logik: keineJuden - kein Antisemitismus. Die Be-hauptungen des Ministers haben dazubeigetragen, dass Ungarn heute unterdie Länder geraten ist, die laut Umfragenam fremdenfeindlichsten sind.

Obwohl Ungarn längst ein Mitglied-staat der Genfer Konvention war, er-kannte das Land Flüchtlinge aus nicht-europäischen Ländern erst nach demInkrafttreten des Asylgesetzes 1998 an.Das Gesetz selbst, das zur Zeit einer so-zialistisch-liberalen Regierung verab-schiedet wurde, erlaubte, dass die Grenz-polizei Antragsteller nicht in eine Erst-aufnahmeeinrichtung weiterbefördert,sondern in den Kasernen der ehemaligen

Grenztruppen festhält. Regierung geht,Verwaltung bleibt, sagt man. Asylge-setzgebung und Asylpraxis wurden vonjeher vom Amt für Einwanderung undStaatsbürgerschaft gestaltet, einer mitehemaligen Polizei- und sogar Staats -sicherheitsoffizieren besetzten Behörde,die über Einreise, Aufenthalt, Einwan-derung, Staatsbürgerschaft und Asyl ent-scheidet. Bequem konnten die Polizeiund der Grenzschutz 1998 – mit demEinverständnis der neuen, rechten Re-gierung, aber ohne eine gesetzliche Er-mächtigung – durch eine interne An-ordnung die sogenannten „Gemein-schaftsunterkünfte“ in fremdenpolizei-liche Gefängnisse umwandeln. Am An-fang des Kosovo-Krieges waren tausendevon Flüchtlingen in den überfüllten Ba-racken eingesperrt, unter unmenschli-chen Bedingungen - Männer, Frauen,

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51956 ÜBERQUERTEN UNGARISCHE FLÜCHTLINGE DIE ÖSTERREICHISCH-UNGARISCHE GRENZE TEILS MIT BOOTEN.

Foto: UNHCR

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sogar Säuglinge in einem Raum. „Tränenvon Győr“ und „die Hölle an der öster-reichischen-ungarischen Grenze“ schrie-ben die Zeitungen 1998 in Österreich,in Deutschland und in der Schweiz.1

„Nochmals nach Ungarn?“, fragte ich ei-nen jungen Asylbewerber aus dem Kosovoin der geschlossenen Gemeinschaftsun-terkunft in Szombathely. „Ich werdesogar meine Enkel lehren, nie solltensie Ungarns Erde betreten“, war seineAntwort.

In der Tat waren aber nicht allein dieungarischen Behörden für die unmensch-liche Behandlung der Asylsuchendenverantwortlich. Täglich passieren hundert

Fliehende die Grenze illegal nach Öster-reich, behauptete Österreichs Botschafterin Budapest gegenüber der ungarischenPresse im Dezember 1996. Mit der wach-senden Spannung im Kosovo wuchs auchdie Anzahl der Grenzgänger. Die Um-wandlung der Unterkünfte in geschlos-sene Einrichtungen erfolgte unter demDruck der österreichischen Regierung.Als die Grünen im österreichischen Na-tionalrat, sich auf die unmenschlichenLebensumstände in den ungarischen Ge-fängnis-Unterkünften berufend, gegendie Rückschiebung der Asylbewerbernach Ungarn protestierten, antworteteInnenminister Schlögl (SPÖ) auf dieschriftliche Anfrage wie folgt: „Was die

Frage der Situation in ungarischen Auf-fanglagern anlangt, kommt mir keineZuständigkeit zu.“2 Kurz davor, am 27.Juli 1998, trafen sich die Innenministervon Deutschland, Österreich, Frankreich,Italien und der Schweiz in Gasschurn,Vorarlberg. Der deutsche InnenministerManfred Kanther führte das Wort. Manwolle, sagte er, keine Flüchtlinge ausdem Kosovo. Die Asylbewerber solltenzwangsweise zurückgeschoben werden,Ungarn sei ein sicheres Drittland, fürdie neuen Flüchtlinge sollten Empfangs-zentren in Mazedonien und Nordalbanienerrichtet werden. Darüber waren sichalle fünf Minister einig.3 In Ungarn wur-den Wehrdienstverweigerer aus Serbien

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NEUANKÖMMLINGE IM CAMP IN TRAISKIRCHEN, 1956. INNERHALB VON DREI MONATEN FLOHEN 200.000 UNGARNNACH ÖSTERREICH UND JUGOSLAWIEN. Foto: UNHCR

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und sogar Opfer serbischer Strafexpe-ditionen aus dem Kosovo als Wirtschafts-migranten eingestuft, ihre Asylanträgewurden konsequent abgewiesen. Wort-wörtlich dieselbe Meinung äußerte derösterreichische Minister Schlögl in derZeitung Der Standard. Einige Tage nachdem Beginn der Bombardierung Serbiensließ man in Ungarn dennoch alle Koso-vo-Flüchtlinge frei: Dem Innenministe-rium wurde klar, dass es geradezu bizarrist, Kosovo-Albaner im Gefängnis zuhalten, während die NATO-Verbündetenfür ihre Freiheit Krieg führten. Die be-freiten Häftlinge flohen sofort nachÖsterreich und Deutschland weiter. Da-mit scheiterte auch Minister KanthersPlan: Kriegsflüchtlinge konnten nundoch nicht massenhaft zurückgeschobenwerden.4

Im Mai 2004 wurde Ungarn Mitgliedder Europäischen Union. Zur Zeit desBeitritts unterstützte die Union die Mo-dernisierung des Grenzschutzes in Ost-und Südungarn, d. h. an der zukünftigenAußengrenze der Schengen-Zone, mit167,8 Millionen Euro. Die „Gemein-schaftsunterkunft“ in Nyírbátor wurdezu einem Hochsicherheitsgefängnis um-gestaltet. Im Januar 2004 lobte der Be-fehlshaber des Grenzschutzes in Nord-ostungarn, ein Brigadegeneral, die aus-gezeichnete Zusammenarbeit mit demukrainischen Grenzschutz. 2003 wurden141 Drittstaatsbürger, unter ihnen Af-ghanen, Iraker und Kurden aus der Tür-kei, in die Ukraine in Schnellverfahrenzurückgeschoben.5 Das trug dazu bei,dass die Zahl der Asylsuchenden von2002 bis 2003 von 6400 auf 2400 sank.Als Folge der Verstärkung des Grenz-schutzes und der Zurückschiebungenverschob sich die Route der Migrationnach Norden. Entgegen den gesamteu-ropäischen Tendenzen stieg die Zahl derAntragsteller in Polen und in der Slowakeian. Mit 11.350 Anträgen erreichte ihreZahl in der Slowakei 2004 den Höhe-punkt. Asyl hat dort allerdings keinerbekommen, da sie baldmöglichst nachÖsterreich weitergeflüchtet sind. DieseMöglichkeit wurde mit dem Beitritt derSlowakei in die EU unterbunden. 2005sank die Zahl der Asylsuchenden in derSlowakei auf 3459. Die Erklärung ist

einfach: die Asylsuchenden wurden kur-zerhand in die Ukraine zurückgeschoben,ohne einen Asylantrag stellen zu kön-nen.

Die Zurückgeschobenen aus Ungarnund der Slowakei kamen in ein Lager inPawschino (Deutsch: Pausching) in derNähe von Mukatschewo. Mit der Unter-stützung der UNHCR-Vertretung in Kyivkonnte ich das Lager mitten im Waldmehrmals besuchen, einmal zusammenmit dem Anthropologen Stephan Dünn-wald. „Die slowakischen Polizisten habenuns zusammengeschlagen, dann habendie ukrainischen Grenzsoldaten uns er-neut zusammengeschlagen und sie habenuns auch unsere Sachen wie Uhren, Geldweggenommen“, sagten mehrere Häft-linge aus. Zur Zeit unseres Besuches2006 gab es im Lager keinen Strom.Raufereien um das Trinkwasser warenan der Tagesordnung, denn das Wasserwurde im Tankwagen in das Lager ge-bracht. Ich habe das wiedergesehen, wasich zwischen 1988 und 2004 in Győr,Szombathely, Kiskunhalas und Nyírbátoroft erfahren habe, nur in einer nochbrutaleren Form. Damals war die West-grenze Ungarns die Grenze der Euro-päischen Union. 2004 wurde die Grenzevon der Ukraine und von Serbien zurAußengrenze.6 2008 wurde das Lager inPawschino geschlossen. Trotz der Berichtevon Human Rights Watch, Amnesty In-ternational oder auch dem CPT7 überdie unmenschliche Behandlung der Asyl-suchenden in der Ukraine und über daskorrupte Asylverfahren wurden 2008mehrere neue Lager mit EU-Unterstüt-zung eröffnet. Das Haftzentrum in Lutskliegt 45 Kilometer von der Stadt entfernt.2011 wurde die Haftdauer sogar vonsechs auf zwölf Monate heraufgesetzt.Ja, der Eiserne Vorhang vor der FestungEuropa wurde einige hundert Kilometergen Osten verschoben und die Heucheleiist mitgefahren.

Kurz nach Ungarns Beitritt in die Eu-ropäische Union verkündete Dr. Zsuz-sanna Végh, Generaldirektorin des Amtesfür Einwanderung und Staatsbürger-schaft, in einer Pressekonferenz, dassein Flüchtlingsstrom in Ungarn zu er-warten sei. Diese Prognose widersprach

den eigenen, öffentlich zugänglichen sta-tistischen Angaben des Amtes. Die Vor-hersage spiegelte eher die Angst des Am-tes wider, dass in Zukunft Asylsuchende,die aus Ungarn weiterfliehen, im Rahmendes Dublin II-Verfahrens wieder nachUngarn abgeschoben werden. Denn trotzder Gefängnis-Unterkünfte sind zwischen1999 und 2007 52 Prozent aller Antrag-steller, beinahe 25.000 Asylsuchende,kurz nach der Registrierung in den erstenWochen des Verfahrens verschwunden.Ohne die Mitwirkung der Schleuser wäredas Asylsystem in Ungarn in wenigenWochen zusammengebrochen.8

Unlängst haben österreichische Ge-richtshöfe und auch der Europäische Ge-richtshof für Menschenrechte entschie-den, dass Asylsuchende im Dublin II-Verfahren nicht automatisch nach Ungarnabgeschoben werden dürfen. Die Ver-fasser dieses Berichtes begrüßen dieseUrteile. Zu Recht. Man darf aber nichtvergessen, dass es gerade das Ziel derungarischen Asylpolitik ist, sich von denFlüchtlingen zu befreien. Deshalb istdas einzig wirksame Mittel, die ungari-schen Behörden unter Druck zu setzen,damit sie menschliche Aufenthaltsbe-dingungen, ein anständiges Asylverfahrenund reale Integrationsmöglichkeiten ge-währleisten, weil sie sonst befürchtenmüssten, dass sie keine finanzielle Un-terstützung von der EU mehr erhalten.Dazu müsste aber auch die EuropäischeUnion selbst ihre eigene Moral und diePrinzipien der internationalen Flücht-lingsschutznormen ernst nehmen.

Budapest, den 23. Januar 2012

FERENC KÖSZEG

Ehrenvorsitzender

des Ungarischen Helsinki-Komitees

V O R W O R T

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Dieser Bericht stützt sich (neben derAuswertung schriftlicher Quellen9) vorallem auf die Berichte von Flüchtlin-gen10, die wir bei verschiedenen Recher-chereisen im Zeitraum von Dezember2010 bis Dezember 2011 in Budapest,Debrecen, Bicske, Fót und Balassagyar-mat trafen.11 Weitere Berichte erhieltenwir von Flüchtlingen, die aus Ungarnweitergeflohen sind und von der Ab-schiebung nach Ungarn bedroht warenoder sind. Die meisten von ihnen trafenwir in Deutschland, es liegen uns aberauch Berichte von Flüchtlingen vor,deren Weiterflucht sie nach Schweden,Holland, Österreich und Frankreichführte. Zum Teil haben wir Einzelinter-views, häufig aber auch Gespräche mitGruppen von Flüchtlingen geführt. Wirhaben uns nicht auf quantitative Daten-erhebung konzentriert, sondern stattdessen über einen längeren Zeitraum anunterschiedlichen Orten in die Tiefe ge-hende Gespräche geführt - vor allem mitFlüchtlingen aus Afghanistan und So-malia.

Aus Gründen der zugesicherten Anony-mität der InterviewpartnerInnen wer-den in diesem Bericht anonymisierteKürzel verwendet. Die Transkriptionender Audioaufzeichnungen bzw. die Mit-schriften der Gespräche liegen den Au-torInnen vor.

Die Gruppeninterviews und -gesprächehatten neben der reinen Informations-erhebung eine besondere Bedeutung: soentstanden in diesen Gesprächen häufig

Diskussionen über grundlegende Ele-mente europäischer Migrations- und In-tegrationspolitik. Die Flüchtlingeerläuterten die Auswirkungen dieser Po-litiken und stellten heraus, welche poli-tischen Änderungen notwendig sind.Aus ihren Berichten und Empfehlungenleiten sich die im letzten Kapitel ge-machten Empfehlungen ab.

Haft spielt in der Bewertung der Lebens-realität von Asylsuchenden in Ungarneine zentrale Rolle. Wir haben die Haft-anstalten in Ungarn nicht von innen ge-sehen. Offizielle Delegationen sindoftmals mit dem Problem konfrontiert,dass sich die zuständigen Stellen ineinem möglichst positiven Licht darzu-stellen versuchen und im Vorfeld die In-haftierten unter Druck setzen, negativeAspekte der Inhaftierung gegenüber derDelegation nicht anzusprechen. Daherwurden im Rahmen der Recherche pri-mär qualitative Interviews mit ehemalsInhaftierten geführt, unter Bedingun-gen, die „freies Sprechen“ ermöglichen.Die daraus gewonnenen Erkenntnissewurden in diesem Bericht in Verbindungzu Berichten anderer Organisationenoder Delegationen, insbesondere desHelsinki Komitees Ungarn12, gesetzt, die(zuletzt im Dezember 2011) ein alarmie-rendes Bild der Haftbedingungen fürFlüchtlinge in Ungarn zeichnen.

Dieser Bericht hat zwei Leerstellen - eswäre notwendig, ihnen in weiteren Pu-blikationen mehr Raum einzuräumen:

Zum einen sind Interviews mit Frauendie Ausnahme geblieben. Das ist unteranderem der Tatsache geschuldet, dassFlüchtlinge in Ungarn überwiegendmännlich sind. Dennoch hat das Thema„weibliche Migration“ eine besondereRelevanz, denn Frauen sind auf derFlucht in einer besonders schwierigenSituation. Vor allem die obdachlosen so-malischen Flüchtlinge, mit denen wir inBudapest sprachen, haben diesen Um-stand immer wieder betont.

Abgesehen von einem Kasten auf Seite32 befasst sich der Bericht nicht mit derspezifischen Situation einer der größtenFlüchtlingsgruppen in Ungarn: denRoma aus anderen osteuropäischen Län-dern. Im Zuge der zunehmenden antizi-ganistischen Pogromstimmung (etwa inBulgarien, Tschechien und Rumänien)sind Roma auch in Ungarn massiver Dis-kriminierung, Hass und Gewalt ausge-setzt. Diese Art der Verfolgung führtjedoch weder in den (anderen) EU-Mit-gliedstaaten zur Gewährung von inter-nationalem Schutz noch zeigt sich dieEU insgesamt in der Lage, den Men-schenrechtsverletzungen anderweitigwirksam entgegenzutreten. Die Fragedes Umgangs mit innereuropäischenFluchtbewegungen und dem Menschen-rechtsschutz gegenüber Roma geht weitüber die Flüchtlingssituation in Ungarnund die Frage der innereuropäischen Ab-schiebungen hinaus und bedarf dahereiner gesonderten Auseinandersetzung.

q E I N L E I T U N G

EINLEITUNG

Zur Entstehung dieses BerichtesRAHMENBEDINGUNGEN, LEERSTELLEN UND METHODEN

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Manche der Flüchtlinge, die wir in Un-garn getroffen haben, hatten wir bereitszuvor kennengelernt: in Griechenlandoder der Ukraine auf ihrem Weg in dieeuropäischen Länder in denen sie sichSchutz und einen sicheren Ort zum Blei-ben erhoffen. Über das Border Monito-ring Project Ukraine (BMPU)13 bestehenbereits seit über drei Jahren Kontakteauch nach Ungarn. In Griechenlandfährt seit Sommer 2010 ein Infomobil14

regelmäßig die Orte an, die für Schutz-suchende auf ihrer Weiterflucht nachEuropa von Bedeutung sind. Aus diesenKontakten ist das Vertrauen gewachsen,das notwendig ist, wenn derartig per-sönliche und oftmals schmerzliche Er-fahrungen offenbart werden.

Z U R E N T S T E H U N G D I E S E S B E R I C H T S

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DIE MEISTEN FLÜCHTLINGE FLIEHEN AUS UNGARN WEITER IN ANDERE EUROPÄISCHE LÄNDER. Foto: Marily Stroux

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In Ungarn gibt es schätzungsweise1.800 anerkannte Flüchtlinge im Sinneder GFK (hauptsächlich aus dem Irak,Afghanistan, Somalia und dem ehemali-gen Jugoslawien) und gut 3000 Personen,denen subsidiärer Schutz zugesprochenwurde. Die Zahl der registrierten Asyl-anträge schwankte in den letzten Jahrenstark. So wurden im Jahr 2009 (demJahr mit den bislang höchsten Zahlen)4.672 Erstanträge registriert. Im Jahr2010 gab es allerdings wieder einen star-ken Einbruch auf nur noch 2104 Erstan-träge. Neben dem Kosovo und Serbienist Afghanistan das Herkunftsland dermeisten Flüchtlinge.15

Ungarn ist für viele Flüchtlinge undMigrantInnen ein Transitland auf demWeg nach Zentral- und Nordeuropa. Be-reits beim Grenzübertritt (im Osten vonder Ukraine aus, im Süden von Grie-chenland aus über Serbien) ist das Risikoillegaler Zurückweisungen (Verstoß gegendas Refoulement-Verbot16) hoch: Asyl-anträge werden von der ungarischenGrenzpolizei oftmals schlichtweg ignoriertund die Betreffenden innerhalb von Stun-den in die Anrainerstaaten zurückgeführt.Auf systematisches Refoulement vonAsylsuchenden in die Ukraine und nachSerbien wird ab Seite 24 in einem ge-sonderten Kapitel dieses Berichtes de-taillierter eingegangen.

Neu ankommende Asylsuchende wer-den in der Regel zunächst in einem so-genannten „Screening-Center“ in Békés-caba interniert, um die Zuständigkeit ei-nes anderen Staates im Rahmen der Dub-lin II-Verordnung17 zu prüfen. Das Lager

in Békéscaba ist ein geschlossenes Lager,die dort internierten Flüchtlinge dürfendas Lager nicht verlassen. Békéscabawird anders als die Haftzentren für Flücht-linge (Budapest-Airport, Nyírbátor, Kis-kunhalas und Györ) nicht von der Grenz-polizei, sondern vom OIN18 betrieben.Nach Békéscaba kommen zumeist Fami-lien mit Kindern sowie Flüchtlinge, z.B.Somalis, denen eine höhere Anerken-nungschance prognostiziert wird als an-deren. Diese kommen meist nach wenigenTagen auf einer Polizeistation direkt nachBékéscaba. Dort bleiben sie, bis geklärtist, ob laut Dublin II-Verordnung mögli-cherweise ein anderes Land für die Prü-fung ihres Asylantrags zuständig ist.

In vier gesonderten Haftzentren fürFlüchtlinge19 in Budapest (27 Haftplätzeam Flughafen), Nyírbátor (276 Haftplät-ze), Kiskunhalas (138 Haftplätze) undGyör (50 Haftplätze) werden Flüchtlingeinhaftiert, die ohne Papiere die ungarischeGrenze passiert haben, ohne gültige Auf-enthaltspapiere in Ungarn aufgegriffenwurden, deren Asylantrag abgelehnt wur-de oder die als sogenannte Dublin-Rück-kehrer aus anderen europäischen Ländernabgeschoben werden und auf dem Flug-hafen in Budapest landen. Zudem istlaut Helsinki Komitee Ungarn ein neuesHaftlager auf dem Gelände des Erstauf-nahmelagers in Debrecen in Planung.Die Haftdauer beträgt bis zu 12 Monate.

Wird Ungarns Zuständigkeit für dasAsylverfahren festgestellt, kommt es imRegelfall zunächst zur Unterbringung im(offenen) Erstaufnahmelager in Debrecen.

Unbegleitete Minderjährige sollen ineinem Kinderheim in Fót untergebrachtwerden - allerdings nur, wenn sie einenAsylantrag stellen. Vielfach landen jedochMinderjährige, die nach einer Alters-feststellung „nach Augenschein“ als Voll-jährige registriert wurden, in Gefäng-nissen oder auf der Straße.

Anerkannte Flüchtlinge und subsidiärSchutzberechtigte werden für maximalsechs Monate (in Härtefällen um weiteresechs Monate verlängerbar) im Flücht-lingslager in Bicske untergebracht. Wenndieses voll belegt ist, werden anerkannteFlüchtlinge bzw. subsidiär Schutzberech-tigte mitunter auch weiter im Erstauf-nahmelager in Debrecen untergebracht.

Seit Sommer 2011 hat sich das unga-rische Lagersystem weiter ausdifferen-ziert: Es gibt nun ein neues Lager in Ba-lassagyarmat (eröffnet am 8.6.2011), indem insbesondere diejenigen unterge-bracht werden, deren Asylanträge negativbeschieden wurden.20 Balassagyarmat istein halboffenes Lager. Die Flüchtlingeerhalten keinerlei finanzielle Unterstüt-zung mehr und ihnen wird bei der Über-stellung mitgeteilt, dass sie dort auf ihreAbschiebung warten müssen.

Ungarn verfügt (vorausgesetzt, dieBetroffenen werden nicht gleich wiederan der Grenze in den Transitstaat zu-rückgeschoben) über ein Asylsystem,dessen Anerkennungsquoten bezüglichder Zuerkennung der Flüchtlingseigen-schaft - insbesondere für Flüchtlinge ausSomalia - im europäischen Vergleich ver-gleichsweise hoch sind. Dem gegenüber

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ÜBERBLICK

Ungarisches Asylsystem im ÜberblickZAHLEN UND FAKTEN

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stehen jedoch äußerst schlechte sozialeLebensbedingungen und extrem hoheHürden im Zugang zu Bildungs- und So-zialsystem sowie zum Arbeitsmarkt.

Die am 24.12.2010 durch die neueOrban-Regierung21 beschlossene Asyl-und Migrationsgesetzgebung hat dasungarische Asyl- und Ausländerrechtmassiv verschärft. Wir wollen hier nureinige der folgenschwersten Änderungennennen22:

t Die maximale Haftdauer wurde von 6auf 12 Monate heraufgesetzt.

t Die Inhaftierung von Asylsuchendenmit laufenden Dublin-Verfahren ist nunim Gesetz festgeschrieben.

t Asylsuchende dürfen im laufendenAsylverfahren inhaftiert werden, waszur Folge hat, dass eine Vielzahl derSchutzsuchenden ihr Asylverfahren ausder Haft heraus betreiben muss.

t Die bisherige Zuständigkeit bei derInanspruchnahme von Rechtsmittelnim Rahmen des Asylverfahrens gingvom “Metropolitan Court“ (zentralisier-ter Gerichtshof in Budapest) über aufdie Bezirksgerichte, die über kaum Er-fahrungen in diesem Bereich verfügen.

Die beschlossenen Gesetzesänderun-gen haben die bereits bestehenden Härtenfür Asylbewerber und Flüchtlinge weiterverschärft. Nicht erst seit der verändertenRechtslage versucht ein großer Teil derFlüchtlinge nach der Registrierung alsAsylsuchende Ungarn wieder zu verlas-

sen. Die Gründe dafür sind vielfältigund in der Regel existenziell. Im folgendenAbschnitt „Missstände im ungarischenAsylsystem“ wird hierauf detailliert ein-gegangen.

Der Versuch, in einem anderen EU-Mitgliedstaat Schutz und menschenwür-dige Lebensbedingungen zu finden, istjedoch in vielen Fällen gescheitert. Vielederjenigen, die es versucht haben, wurdenrelativ bald nach ihrer Weiterflucht wiedernach Ungarn zurückgeschoben. Dies ge-schieht im Falle von Asylsuchenden oderabgelehnten Antragstellern auf Grundlageder Dublin II-Verordnung und im Fallevon anerkannten Flüchtlingen aufgrundentsprechender Rückübernahmeabkom-men.23 Zahlreiche Flüchtlinge, die fürdiesen Bericht ihre Situation geschilderthaben, wurden bereits mehrmals ausanderen europäischen Ländern nach Un-garn abgeschoben.

Ü B E R B L I C K

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GESPRÄCHE IM FLÜCHTLINGSLAGER DEBRECEN Foto: bordermonitoring.eu

ABSCHIEBELAGER IN BALLASAGYARMAT

Foto: bordermonitoring.eu

PRE-INTEGRATIONSLAGER FÜRFLÜCHT LINGE IN BICSKE

Foto: bordermonitoring.eu

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Die befragten Flüchtlinge nennen ver-schiedene Gründe, nicht in Ungarn zubleiben, sondern weiterzufliehen, unteranderem:

t Das Haftregime, lange Haftzeiten,Erfahrungen mit Polizeigewalt in Haft,Medikamentenabhängigkeiten, die oft-mals in der Haft entstanden sind.

t Die meisten haben (re)traumatisie-rende Hafterfahrungen in ungarischenGefängnissen gemacht.

t Die Unmöglichkeit, bei Erkrankun-gen (sowohl psychischen als auch physi-schen) behandelt zu werden.

t Obdachlosigkeit, Hunger, Kälte undein Mangel an Integrationsperspekti-ven.

t Es gibt kaum Beispiele für eine ge-lungene Integration von Flüchtlingen inUngarn.

t Es gibt kaum Möglichkeiten, Zugangzu Sprach- oder Integrationskursen zubekommen.

t Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist(selbst für anerkannte Flüchtlinge mitArbeitserlaubnis) so gut wie unmöglich.

t Für viele Flüchtlinge (v.a. aus So-malia) gibt es kaum Perspektiven auf Fa-milienzusammenführung, was vor allemfür diejenigen, die Frau und Kinder imHerkunftsland zurücklassen mussten,unerträglich ist.

t In anderen europäischen Ländernhalten sich bereits Familienangehörigeund/oder Freunde auf, die bei der Inte-gration behilflich sein könnten.

t Erfahrungen mit rassistischen Über - griffen.

Diese Missstände werden im Folgendenvertiefend dargestellt.

HAFTREGIME

„Wenn du wissen willst, was Ungarn fürFlüchtlinge bedeutet, dann musst du versu-chen zu verstehen, was es heißt, sechs Mo-nate in einem Gefängnis zu leben, das nurmit Tramadol24 zu ertragen ist. Ungarn istdas einzige mir bekannte europäischeLand, das Menschen in Hochsicherheitsge-fängnisse sperrt, nur weil sie einen Asylan-trag gestellt haben. Dabei hat Ungarn dieGenfer Flüchtlingskonvention unterzeich-net.“ (A.A., Flüchtling aus dem Iran)

HAFTGRÜNDE

Die Mehrheit der Asylsuchenden in Un-garn (inklusive der sogenannten „Dub-lin-Rückkehrer“) wird in besonderenHaftzentren für Flüchtlinge inhaftiert.Es gibt keine klaren Leitlinien, wer wielange inhaftiert wird. In der Praxis ist zubeobachten, dass nur diejenigen Asylsu-chenden, deren Anträge als „potentiellerfolgreich“ gelten, eine Chance haben,langfristiger Inhaftierung zu entgehenund vorzeitig aus der Haft entlassen zuwerden. Andere bleiben für die gesamteDauer ihres Asylverfahrens inhaftiert(selbst wenn einige von ihnen am Endedes Verfahrens zumindest subsidiärenSchutz zugesprochen bekommen).

Begründet wird die Haft offiziell mitdem Vorliegen eines Abschiebebescheids.Dieser Abschiebebescheid wird grund-sätzlich bei jedem Aufgriff (und auchbei den meisten Dublin-Abgeschobenendirekt bei der Ankunft am Flughafen inBudapest) ausgestellt. Erst danach wirdein etwaiger Asyl(folge)antrag registriertbzw. wieder aufgenommen. Dies beendetdie Abschiebehaft allerdings nicht.

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MISSSTÄNDE

Zwischen Obdachlosigkeit und HaftWARUM SO VIELE FLÜCHTLINGE UNGARN WIEDER VERLASSEN

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Was macht die Situation in Ungarn für Flüchtlinge so unerträglich? Im nachfolgenden Kapitel sollen die Gründe beleuchtet werden, ausdenen es den Befragten, die aus Ungarn weiterflohen, unvorstellbar erscheint, dorthin zurückzukehren. Woran liegt es, dass selbst Men-schen, die in ihrem Herkunftsland massivsten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt waren und bei der Rückkehr um ihr Leben fürchtenmüssen, es vorziehen würden „in Somalia zu sterben, statt in Ungarn verrückt zu werden“ (A.B., Flüchtling aus Somalia)?

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HAFTDAUER

Im Dezember 2010 wurde die maximaleHaftdauer von sechs auf zwölf Monateheraufgesetzt – es steht zu befürchten,dass sie (wie die maximale Haftdauervon sechs Monaten zuvor) in den meis-ten Fällen voll ausgeschöpft werdenwird.

Und selbst Familien mit Kindern dür-fen nach der neuen Gesetzgebung (fürmaximal 30 Tage) inhaftiert werden.

Das Ungarische Helsinki Komitee re-gistrierte bereits vor der Asylgesetz-Än-derung im Dezember 2010 einen Poli-tikwechsel. Während die Internierungs-politik zuvor eher moderat war und diemeisten Asylsuchenden zunächst in offe-nen Camps untergebracht wurden, wird

spätestens seit März 2010 restriktiv in-haftiert: „Laut Erkenntnissen des Ungari-schen Helsinki Komitees gaben das OINund die nationale Bundespolizei-Führungim März 2010 eine gemeinsame Verfügungheraus, in der sie die Inhaftierung aller ir-regulären Migranten anordneten - unge-achtet ihres Wunsches, Asyl in Ungarn zubeantragen.“25

Es gibt de facto kaum eine Möglichkeit,gegen die Inhaftierung erfolgreich Rechts-mittel einzulegen. Zwar ist gesetzlichfestgelegt, dass die Inhaftierung unver-züglich zu beenden sei, wenn sich he-rausstellt, dass eine Abschiebung nichtdurchführbar ist, dies ist jedoch in derPraxis so gut wie nie der Fall. Die Inhaf-tierung kann für maximal 72 Stundenohne richterlichen Beschluss angeordnetwerden, danach entscheidet ein Haft-

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HAFTLAGER IN GYÖR Foto: UNHCR/ B.Szandelszky

HAFTZENTRUM IN NYÍRBÁTOR Foto: Bordermonitoring.eu

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richter monatlich über die Verlängerungder Haft. Das Ungarische Helsinki Ko-mitee hat jedoch bislang kaum Fälle er-lebt, in dem der Haftrichter keine Ver-längerung der Haft angeordnet hätte:„Lokale Gerichte erlassen grundsätzlichidentische Entscheidungen in allen Fällen,die Begründung ist kurz und prägnant undlässt eine angemessene Beurteilung dervorgetragenen Fakten und Individualisie-rung vermissen. Die langjährige Erfahrungdes HHC zeigt, dass – anders als in denmeisten europäischen Staaten – die Ver-längerung der Abschiebehaft in Ungarn au-tomatisch ist.“26

HAFTORTE

Bereits seit dem Frühjahr 2010 werdenAsylsuchende in Ungarn regelmäßig in-haftiert. Zwischen April und Juli 2010wurden insgesamt 11 temporäre Flücht-lingsgefängnisse eröffnet. Neun dieserGefängnisse wurden in heruntergekom-menen Polizeigewahrsamsstellen27 ein-gerichtet, die seit Jahren unbenutztwaren. Manche dieser Gefängnissewaren an größere bereits existierendeHaftanstalten angeschlossen (Kiskun-halas und Nyírbátor). Diese temporärenHafteinrichtungen hatten jeweils Kapa-zitäten zwischen 20 und 100 Haftplät-zen. Die hygienischen und baulichenBedingungen waren in den meisten die-ser temporären Haftanstalten katastro-phal. Die Haftkapazität wurde damitvon 282 auf 698 Haftplätze aufgestockt.Nachdem die beiden großen regulärenFlüchtlingsgefängnisse (Kiskunhalasund Nyírbátor) in ihren Kapazitäten ummehr als das Doppelte aufgestockt wur-den, wurden die temporären Haftanstal-ten zunächst wieder geschlossen, stehenjedoch bereit, falls in Zukunft mehrFlüchtlinge kommen sollten. Die viergroßen Haftzentren befinden sich inKiskunhalas, Nyírbátor, Györ und Buda-pest.28 Zudem ist laut Helsinki KomiteeUngarn ein neues Haftlager auf dem Ge-lände des Erstaufnahmelagers in Debre-cen in Planung.

HAFTBEDINGUNGEN

Bei seinen regelmäßigen Monitoring-Besuchen in den ungarischen Haftan-

stalten hat das Ungarische Helsinki Ko-mitee Menschen getroffen, die als Ange-hörige besonders schutzbedürftigerGruppen gelten. So etwa schwangereFrauen, die bis zum Tag der Geburt desKindes inhaftiert blieben, Alte, Behin-derte und Kranke und vielfach schwerTraumatisierte: „Schwangere, alte, kör-perlich oder geistig behinderte Asylbewer-berInnen können gemeinsam mit allenanderen inhaftiert sein. (…) Psycho-sozialeVersorgung steht in Gefängnissen für Im-migranten in Ungarn noch nicht zur Verfü-gung.“29

Zudem führt das Haftregime selbstzur Verschärfung und Entstehung di-verser Traumatisierungen: „Während derMonitoring-Besuche fand das HHC in allenEinrichtungen heraus, dass eine große An-zahl der Inhaftierten aufgrund nichtbe-handelter Traumatisierung, schlechten Haft-bedingungen und/oder der erzwungenenInaktivität an psychologischen oder psy-chiatrischen Problemen litt.“30

Im April 2011 legte das UngarischeHelsinki Komittee einen ausführlichenBericht unter dem Titel „Stuck in Jail – Im-migration Detention in Hungary (2010)“ 31

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hat seit Beginn seiner Flucht ausSomalia vor zweieinhalb Jahren mehrals die Hälfte der Zeit in verschiedenenGefängnissen in der Ukraine und Un-garn verbracht. A. kam im April 2008in die Ukraine und versuchte von dortin die EU zu gelangen: „Wir sind biszur Stadt Barabás [eine Grenzstadt inOstungarn] gekommen, dann kam diePolizei und hat gesagt: Wir werden dirhelfen. Aber das war gelogen und siehaben mich zurückgeschoben und ichbin nach Chop [eine Grenzstadt in derWestukraine] gekommen, da war ichvier Monate inhaftiert. Beim zweitenGrenzübertritt wurde ich wieder er-wischt, war allerdings nur zwei Monatein Haft in Chop und wurde dann nachLutski [ein mit EU-Mitteln finanziertesDetention Centre in der Region Volyn]verlegt. In Chop ist es sehr schwer, dieRäume sind sehr eng, da kann mansich nicht soviel bewegen. Der Knastin Chop ist ein sehr schwieriger Knast.Jeden Mittwoch kam die Caritas undhat Essen und ein paar Klamotten mit-gebracht. Die haben keinen Übersetzergehabt. Die Übersetzer brauchen Geld,die Polizei braucht Geld, der Pförtnerbraucht Geld. Wenn du keine Verwand-ten und somit auch kein Geld hast,bist du da drinnen geliefert.“

A. versuchte es erneut und sagt imRückblick, er habe sogar noch Glückgehabt. Denn nach seinem erfolgreichendritten Versuch des Grenzübertritts

aus der Ukraine sei die maximale Haft-dauer dort von sechs auf zwölf Monateheraufgesetzt worden, ein Freund vonA. sei gegenwärtig seit 10 Monaten inVolyn inhaftiert.

Beim dritten Mal gelang A. zwar dieFlucht aus der Ukraine, er wurde jedocherneut in Ungarn aufgegriffen, als voll-jährig registriert und wegen Verstoßgegen ein Einreiseverbot, das im Zugeder vorangegangenen, gesetzeswidrigenRückschiebungen in die Ukraine aus-gesprochen wurde, zu fünf MonatenHaft verurteilt: „In Budapest haben siemir die Fingerabdrücke abgenommen.Weil ich schon zweimal in Ungarn war,haben sie mich zum Richter gebrachtund ich wurde zu fünf Monaten verur-teilt. Das war ein normales Gefängnisin der Nähe des Budapester Flughafens.Das ist gemischt, ein großes Gefängnis,nicht nur Flüchtlinge wie in Lutski.Auf der Zelle waren wir vier Personen:Zwei Ungarn, ein Bulgare und ich. Alsich im Knast war, hatte ich Angst ummein Leben, da sind Menschen drinnen,die haben ihr Leben aufgegeben. MeineFreunde wussten nicht, ob ich überhauptnoch existiere. Wenn man in den Hofeine Stunde am Tag rausgeht und allekommen neugierig, weil du eine andereHautfarbe hast, manche spucken dichan und du hast Angst, dass sie dir nochwas anderes antun. Ich habe um meinLeben gebangt. Ich war dann vier Mo-nate und 18 Tage im Knast.“

A.I.B. (17 JAHRE, AUS SOMALIA)

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vor, in welchem sehr detailliert aufdie Haftbedingungen in diesen tempo-rären Hafteinrichtungen für Flüchtlin-ge eingegangen wird.

AUSWIRKUNGEN DES

VERSCHÄRFTEN HAFTREGIMES

Vermehrte Selbstverletzungen, Hunger-streiks und Proteste werden mit Polizei-gewalt beantwortet.

Bereits Anfang 2011 ergab sich ausGesprächen während der ersten Recher-chereisen in Ungarn folgendes Bild überdie neu eingerichteten temporären Ge-fängnisse:

„Die Haftbedingungen variierten stark,in manchen dieser Orte war der Zustandallein der Räumlichkeiten grauenhaft. Jenach Härte des Haftregimes kam es denganzen Sommer über zu massiven Protestenin all diesen Detention-Centres. In kleinerenPolizeistationen, die vereinzelt humanermit den Leuten umgingen, gab es in derRegel weniger Proteste, sie hatten vielleichtnur ein bis zwei Hungerstreiks in den Som-mermonaten. In den meisten anderen (neuenund alten) Detentions gab es unzähligeHungerstreiks, es kam vermehrt zu Selbst-verletzungen (und leider auch zu massivenKämpfen verschiedener Gruppen von In-haftierten). In Kiskunhalas, nahe der ser-bischen Grenze, brannte eine Etage im Zugeeiner Revolte völlig aus. Aus Nyírbátor gab

es mindestens einen Ausbruch von überzehn Flüchtlingen, die meisten wurden al-lerdings kurze Zeit später wieder einge-fangen. Dies alles lief nahezu unbemerktvon jeglicher Öffentlichkeit ab.“32

Ein Bericht des Ungarischen HelsinkiKomitees beschreibt einige Vorfälle vonGewalt in den Haftzentren für Flüchtlingesowie zunehmende Selbstverletzungenvon Flüchtlingen und setzt diese in di-rekten Bezug zum verschärften Haftre-gime: „Eine solch schwerwiegende Ein-schränkung der Bewegungsfreiheit übermehrere Monate und ohne Rechtsgrundlageführt zu extremer Frustration, die psycho-logische und medizinische Probleme verur-sacht, sowie aggressives Verhalten. Die Kor-

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relation zwischen der harten Einschränkungder Bewegungsfreiheit und der Häufigkeitvon gewalttätigen Konflikten, Selbstverlet-zungen und Protesten, die das HHC erfahrenhat, ist daher nicht verwunderlich.” 33

Proteste, Gewalt und Selbstverlet-zungen seien (zwischen April und Sep-tember 2010) Alltag in manchen derFlüchtlingshaftanstalten gewesen. DerBericht des Ungarischen Helsinki Ko-mitees zählt die folgenden Vorfälle auf:34

t Hungerstreiks fanden statt in den Ge-fängnissen in Salgótarján (34 Gefangenefür eine Woche), Debrecen (27 Gefan-gene), Eger (eine Person für über zehnTage), Csongrád (16 Gefangene) undBaja.

t Selbstmordversuche gab es in Debre-cen und Tatabánya, zum Glück endetensie nicht tödlich.

t In verschiedenen Haftzentren wur-den „physische Disziplinarmaßnahmen“angewendet, aufgeführt werden dieOrte Székesfehérvár, Nyírbátor, Salgó-tarján und Tatabánya.

t In Tatabánya protestierten Inhaf-tierte im Juli 2010 mit Schlägen gegendie Tür, Lärm und Rufen für Hofgangund die Möglichkeit zu Rauchen nachdem Abendessen. Daraufhin riefen dieAufseher Verstärkung, woraufhin lokalePolizei maskiert das Gefängnis stürmte,Gefangene in Handschellen legte undmindestens einen Gefangenen heftigschlug. Die Verletzungen waren so stark,dass sie noch drei Wochen nach demVorfall beim Besuch der HHC-Delega-tion deutlich sichtbar waren.

t Dem HHC wurde berichtet, dass inNyírbátor nach dem Ausbruch einigerGefangener das Wachpersonal Gefan-gene um 6 Uhr morgens in ihren Bettenmit Schlagstöcken misshandelte alsForm der kollektiven Bestrafung.

t Gefangene aus Nyírbátor berichteten,das Wachpersonal mache Affengeräu-sche, wenn muslimische Gefangene be-teten.

t Gewalt war am stärksten Thema inSalgótarján und Nyírbátor. In Salgótar-ján kam es zu Kämpfen unter den Ge-fangenen, bei denen im Juni 2010mehrere Inhaftierte verletzt wurden.

t Es gab mehrere Fälle von Selbstverlet-zungen: Unter anderem schlug am20.5.2010 ein Mann seinen Kopf gegendie Eisenstangen der Zellentür, worauf-hin er durch das Wachpersonal mit einerInjektion ruhiggestellt wurde. Am2.8.2010 fügte sich eine weitere Personmit einer Rasierklinge Verletzungen amKopf zu, um gegen die Haftsituation zuprotestieren. Gefangene berichteten ge-genüber dem HHC zudem, das Wachper-sonal setze Reizgas gegen Gefangeneein, wenn diese gegen ihre Inhaftierungprotestierten.

t 15 verschiedene Vorfälle wurdendurch das Wachpersonal in Nyírbátorselbst dokumentiert, wobei auch physi-sche Druckmittel (Handschellen, Schlag-stöcke, Reizgas) zum Einsatz kamen, umWiderstand zu brechen.

t Der aufsehenerregendste Protestaktfand am 14.8.2010 statt, als einige In-haftierte in Kiskunhalas Matratzen inBrand setzten. Im Zuge dessen wurdenzwei Gefangene in Strafhaft genommen.Andere Gefangene berichteten von ge-walttätigem Verhalten des Gefängnis-personals.

SYSTEMATISCHE VERABREICHUNG VON

BERUHIGUNGSMITTELN AN INHAFTIERTE

„Sie begannen diese Methode einzusetzen,weil es mehr und mehr Ärger in den Ge-fängnissen gab, je mehr Menschen sie hi-neinsteckten. Jeder muss diese Tablettennehmen in Nyírbátor!”(H.S. aus Afghanistan)

Wiederholt berichteten uns Flücht-linge in Debrecen von ihren vorange-gangenen Erfahrungen in verschiedenenGefängnissen und betonten, „dass v. a.in Nyírbátor gezielt Schlafmittel und Be-ruhigungsmittel eingesetzt werden, um In-haftierte ruhigzustellen. So seien alle ausdiesem Knast in den vergangenen 3-4 Mo-naten nach Debrecen überstellten Flüchtlinge

auffällig depressiv und schläfrig. Viele ver-suchen über den Lagerarzt weiterhin „head-tabletts“ zu bekommen. Verweigerung dieserMedikamente mache die Leute aggressiv,es handelt sich offenbar um stark wirkendeMedikamente, die nach dem Absetzen Ent-zugserscheinungen verursachen. (…) DieSchlaftabletten müssen in der Regel nichtmit Zwang verabreicht werden: morgensund abends geht ein Arzt und/oder Polizeidurch alle Zellen und bietet Schlaftablettenan und viele greifen zu. Es gibt nichts zutun und die Zeit verrinnt langsam: „Duwillst einfach vergessen, wo du bist undendlich schlafen, nur schlafen.““35

In einem Schreiben an eine Rechts-anwältin in Frankfurt schreibt UNHCR:„Im September 2011 berichten inhaftierteAsylsuchende auch, dass ihnen systema-tisch Drogen oder Beruhigungsmittel ver-abreicht wurden, was zum Teil zurAbhängigkeit führe. Diese Informationwurde von Mitarbeitern jener Aufnahme-einrichtungen bestätigt, wo[hin] Asylsu-chende zum Teil nach Ende einerInhaftierung überstellt worden waren. Seiteiner schriftlichen Intervention vonUNHCR mit den zuständigen Polizei-dienststellen im Oktober 2011 erhieltUNHCR deutlich weniger Berichte überSymptome von dieser Art des Drogenmiss-brauchs.“36

Im Abschiebelager in Balassagyarmatberichteten uns Flüchtlinge im September2011 ebenfalls, dass von den 28 dortzum Zeitpunkt des Interviews lebendenMännern (hauptsächlich Flüchtlinge ausAfghanistan) etwa 20 regelmäßig Tra-madol einnehmen. „Seit der Haft in Ny-írbátor habe ich nicht damit aufhören kön-nen. Eine Tablette reicht mir schon langenicht mehr zum Schlafen“ sagt I.H. undfragt sich, wann er wohl jemals wiederohne Tabletten ruhig schlafen kann.

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RECHTLICHE KONSEQUENZEN

In einem Schreiben an eine Rechts-anwältin in Frankfurt aktualisierteUNHCR die einer Entscheidung des öster-reichischen Asylgerichtshofes zugrundeliegenden Erkenntnisse bezüglich derSituation von Asylsuchenden in Ungarn,insbesondere von aufgrund einer Dub-lin-Entscheidung überstellten Personen,wie folgt:37

„1) Gefahr der Inhaftierung in Ungarnnach Dublin-Überstellung

Asylsuchende, die in Ungarn von derPolizei wegen illegaler Einreise oder illegalenAufenthalts aufgegriffen werden, werdendort unmittelbar in Haft genommen, auchwenn sie sofort einen Asylantrag stellen.Nur unbegleitete Minderjährige, deren Min-derjährigkeit nicht angezweifelt wird, werdennicht inhaftiert.

Die generelle Inhaftierung von Asylsu-chenden wurde bereits seit April 2010 ver-stärkt praktiziert. Mit den gesetzlichenÄnderungen vom Dezember 2010 wurdeauch eine Inhaftierung nach dem Ende desVorverfahrens (Feststellung der Dublin-Zuständigkeit oder Prüfung der Einreiseaus einem sicheren Drittstaat) und überden Beginn der inhaltlichen Prüfung einesAsylantrags ermöglicht. Nunmehr ist eineInhaftierung von bis zu zwölf Monatenmöglich. Familien mit Kindern können nurausnahmsweise und dann nur bis zu 30Tagen inhaftiert werden. In 2011 wurden77 Familien inhaftiert. Nur 65 von ihnenwurden vor der maximalen Haftdauerwieder freigelassen.

Entscheidungen der Behörden über In-haftierungen müssen gerichtlich bestätigtwerden. Diese gerichtliche Überprüfungstellt nach Einschätzung von UNHCR al-lerdings weitestgehend eine bloße Formalitätdar und gewährleistet keine inhaltlicheÜberprüfung der Haftgründe. Nach Er-kenntnissen von UNHCR dauert die ge-richtliche Haftprüfung in Fällen von Asyl-suchenden für Gruppen von zehn bis 20Häftlingen regelmäßig nicht länger als ins-gesamt 30 Minuten. Folglich kann nichtdavon ausgegangen werden, dass jeder Ein-zelfall sorgfältig darauf hin geprüft wird,ob die Haftverhängung rechtmäßig erfolgtist. Hinsichtlich der fehlenden Effektivitätvon Rechtsmitteln gegen die Inhaftierungsiehe auch das Urteil des EGMR im FallLokpo und Touré gegen Ungarn (Urteil vom20. September 2011, Beschwerde-Nr.:10816/10). Beim EGMR sind derzeit weitereVerfahren von Asylsuchenden anhängig, indenen die Effektivität von Rechtsmittelngegen die Inhaftierung in Frage gestelltwird (siehe die Verfahren Alaa Al-Tayyargegen Ungarn [13058/11] und HendrinAli Said gegen Ungarn [13457/11]).

Auch aufgrund der Dublin-II-Verordnungnach Ungarn (rück)überstellte Asylsuchendewerden inhaftiert. (…) Eine Beschreibungder Inhaftierungspraxis findet sich auch inden Ausführungen des EGMR in seinemUrteil vom 20. September 2011 in denFällen Lokpo und Toure gegen Ungarn, Be-schwerde-Nr.: 10816/10. (…)

2) Haftbedingungen

Die in 2010 häufig für die längerfristigeInhaftierung von Asylsuchenden benutztenprovisorischen Hafteinrichtungen, die nurfür einen Aufenthalt von bis zu 72 Stundenim Rahmen von strafrechtlichen Ermitt-lungen ausgelegt und somit für eine län-gerfristige Unterbringung ungeeignet waren,werden seit Beginn 2011 nachdem auch dieZahl der Antragsteller deutlich zurückgingnicht mehr für die Inhaftierung von Asyl-suchenden verwendet. Die nunmehr einge-setzten Hafteinrichtungen unterliegen zumTeil einem strengen Gefängnisregime (etwaim Hinblick auf fixiertes Mobiliar, Vergit-terung, Besuchsregelungen). Dabei gibt esallerdings je nach Einrichtung auch Locke-rungen im Vollzug wie die auf die Nachtbegrenzte Einschließung in Zellen sowieVerbesserungen im Hinblick auf den Zugangzu Aktivitäten im Freien und zu den Sani-täreinrichtungen sowie die Nutzung vonGemeinschaftsräumen. (…)

Das Hauptproblem, das bei Befragungenvon Inhaftierten durch UNHCR im Sep-tember 2011 festgestellt wurde, betraf Miss-handlungen durch Wachpersonal in denHafteinrichtungen. Demnach hat es denAnschein, dass Misshandlungen und Beläs-tigungen durch die Polizisten sehr häufigund immer wieder vorkommen. Alle inter-viewten Asylantragsteller beschwerten sichüber die Brutalität des Wachpersonals. Dem-nach gingen zwar nicht alle Wachen brutalvor, aber einige von ihnen oder bestimmteSchichten provozierten den Angaben zufolgezunächst die Inhaftierten, um sie dannverbal zu belästigen and sogar zu schlagen.Eine wesentliche Ursache scheint zu sein,dass die Polizei in den Hafteinrichtungenhunderte neue Wächter anstellte und dieseohne Ausbildung und ohne Kontrollmecha-nismen Dienst versehen läßt. (…)

Während der Nachtzeit und an Wochen-enden befinden sich keine Sozialarbeiter inden Haftanstalten; dies sind jedoch die Zei-ten, in denen nach Aussagen von Betroffenendie meisten Übergriffe durch das Wachper-sonal erfolgen. (…)

Inhaftierte Asylsuchende werden inHandschellen zu Gericht, zur Bank oderzur Post geführt, obwohl sie nur wegen il-

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H.G. (21 JAHRE ALT,

AUS AFGHANISTAN)

wurde im Herbst 2010 über Mün-chen nach Budapest abgeschoben undzunächst drei Monate in Nyírbátor,einem Gefängnis nahe der Grenze zurUkraine, inhaftiert. Nach seiner Ent-lassung lebte er bis Februar 2011 inDebrecen, in einem trostlosen Lageram Rande der Stadt mit 300 anderenFlüchtlingen. Die Haftbedingungenin Nyírbátor hat er als katastrophalerlebt. Neben der Perspektivlosigkeitbeschreibt er regelmäßige Misshand-lungen seitens der Aufseher und vorallem die Vergabe von stark sedieren-den Psychopharmaka als die großenProbleme in Nyírbátor. „Sie gehenvon Zelle zu Zelle mit einem Tablettvoller Pillen. Wenn du sie nimmst,dann wirst du vergessen. Die Pillenmachen, dass du aussiehst wie einZombie und dein Gesicht bewegt sichnicht mehr.“ Auch sein Freund K.R.erzählt von einem Freund, der sechsMonate in Nyírbátor inhaftiert war.Als er die Tabletten verweigern wollte,sei er heftig geschlagen worden – so-lange bis die Tablette geschluckt war.

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legaler Einreise oder Aufenthalts inhaftiertsind und keiner krimineller Handlung be-schuldigt sind. Inhaftierten Asylsuchendewerden aber nicht nur Handschellen ange-legt, wenn sie zu Terminen außerhalb derHaftanstalt gebracht werden (z. B. Anhö-rungen im Asylverfahren, Verhandlungenvor Gericht, Post), sondern sie werden zu-sätzlich an einer Leine geführt, die norma-lerweise lediglich in Strafverfahren An-wendung findet.“38

Am 20. September 2011 verurteilteder Europäische Gerichtshof für Men-schenrechte (EGMR) Ungarn aufgrundvon Verstoß gegen Artikel 5 (1) der Eu-ropäischen Menschenrechtskonvention(EMRK). Die beiden Kläger wurden am10.3.2009 aufgrund illegaler Einreise ver-haftet und wurden am 10.9.2009, nachAblauf der damals noch gültigen maxi-malen Haftdauer von sechs Monaten,entlassen. Aus der Haft heraus stelltendie Kläger am 18.3.2009 einen Asylantrag,was ihre Inhaftierung allerdings nichtbeendete. Wie der EGMR feststellt, seheArtikel 55 (3) des ungarischen „AsylumAct“ vor, dass Asylsuchende, sobald ihr

Fall die „in-merit phase“ erreicht habe,aufgrund von Mitteilung der „refugeeauthority“ an die „alien administrationauthority“ entlassen werden sollen.39 Wiedas Gericht weiterhin feststellt, sei es zukeiner Entlassung der Kläger gekommen,da die „refugee authority“ dieses Verfahrennicht initiiert habe.40 Hieraus wiederumschlussfolgert das Gericht, „dass den Klä-gern ihre Freiheit entzogen wurde, auf-grund des bloßen Schweigens einer Be-hörde – ein Verfahren, welches nach An-sicht des Gerichts an Willkür grenzt“.41

Der vom EGMR kritisierte Artikel 55 (3)wurde im Zuge der Gesetzesverschärfun-gen Ende 2010 außer Kraft gesetzt: Asyl-suche werden seitdem im Regelfall auchwährend der „in-merit phase“ inhaftiert.

Am 11.1.2012 stoppte der EuropäischeGerichtshof für Menschenrechte weiterhinerstmalig und zunächst ohne weitere Be-gründung die Abschiebung eines suda-nesischen Asylsuchenden von Österreichnach Ungarn.42 Der Flüchtling hatte seineKlage damit begründet, dass die Über-stellung nach Ungarn ihn menschen-rechtswidriger Behandlung aussetzen

würde und dass er zudem gegenüber an-deren Asylsuchenden, über deren Asyl-verfahren kürzlich durch den Österrei-chischen Asylgerichtshof entschiedenwurde, benachteiligt würde.43

TRAUMATISIERTE

Besonders schwerwiegende Folgenhat Haft unter den oben beschriebenenBedingungen für Traumatisierte. Die fol-genden, ausführlich dokumentierten Ein-zelfälle sind mit Sicherheit nur die Spitzedes Eisbergs. Es muss davon ausgegangenwerden, dass im ungarischen Unterbrin-gungs- und Haftsystem der Bedarf anpsychologischer Behandlung von Trau-matisierten bei weitem nicht abgedecktwird. Weiterhin zeigen die Fälle in er-schreckender Weise auf, dass die unga-rischen Behörden selbst bei psychischschwer belasteten Menschen nicht davorzurückschrecken, diese nach der DublinII-Überstellung monatelang zu inhaftie-ren. Dies geschieht selbst dann, wenndie psychische Erkrankung ausführlichdurch Ärzte und PsychologInnen doku-mentiert ist.

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INHAFTIERTER FLÜCHTLING IN EINEM HAFTZENTRUM NAHE DER SERBISCHEN GRENZE Foto: UNHCR / B. Szandelszky

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F.A. (24 JAHRE ALT,

AUS AFGHANISTAN)

wurde im Oktober 2010 aus Rotter-dam/Niederlande nach Budapest abge-schoben. In Afghanistan arbeitete erfür die ISAF als Übersetzer und wurdemit dem Tod bedroht. Sein Gesicht istblass, er wirkt unglaublich müde, alswir uns an einem der ersten richtigwarmen Tage im Frühjahr 2011 in De-brecen treffen. Als F.A. vor über einemJahr Ungarn erreichte, wurde er inhaf-tiert und seine Fingerabdrücke wurdenregistriert. Er verließ Ungarn nach kur-zer Zeit in Haft und floh weiter in dieNiederlande. In den Niederlanden lebtein Cousin, der ihm während seiner im-mer wiederkehrenden psychischen Zu-sammenbrüche Halt geben konnte: „Ichmuss bei meiner Familie sein, sonstwerde ich verrückt“, sagt F.A. Er istschwer traumatisiert, leidet unter hef-tigen Kopfschmerzattacken, Herzrasen,Knochen- und Rückenschmerzen undSchlaflosigkeit. In den Niederlandenwurde er psychiatrisch behandelt. Den-noch wurde F.A. im Oktober 2010 nachUngarn abgeschoben – in Begleitungzweier Polizeibeamter und eines nie-derländischen Arztes. In Budapest wurdeim Beisein des Ungarischen Roten Kreu-zes seine medizinische Akte an die un-garische Grenzpolizei übergeben, in derArztberichte und eine Liste der verord-neten Medikamente enthalten waren.Sowohl der holländische Begleitarzt alsauch das Ungarische Rote Kreuz wiesendarauf hin, F.A. dürfe in dieser Verfas-sung nicht inhaftiert werden. Dennochwurde er im Anschluss nach Nyírbátorgebracht, wo er mehr als fünf Monateinhaftiert blieb. Statt der in Hollandverschriebenen Medikamente wurdenihm die in Nyírbátor üblichen Schlaf-tabletten verabreicht. Da er in den Nie-derlanden bereits mit Psychopharmakabehandelt worden war, schlugen diesenicht an. F.A. wachte monatelang nachtsauf. Er verletzte sich selbst massiv mitSchnitten an den Armen: „Ich war so

müde, ich wollte nicht mehr leben.“ DerGefängnisarzt teilte ihm mit, die ver-ordneten Medikamente könne er be-kommen, wenn er sie selbst zahle. F.A.hatte aber keine 120 Euro monatlich,wie sollte er sie aus dem Gefängnis he-raus bekommen? Zweimal kam es wäh-rend seiner Haftzeit zu Besuchen desUngarischen Roten Kreuzes, welchesversuchte, gegen seine Inhaftierung zuintervenieren, bewirkt hat dies jedochnichts. Erst nach über fünf Monatenwurde F.A. schließlich aus der Haft ent-lassen. Auch im offenen Flüchtlingslagerin Debrecen wurde ihm mitgeteilt, alleMedikamente jenseits von Paracetamolmüsse er selbst bezahlen. Außer Un-terkunft und Verpflegung erhielt F.A.keinerlei Unterstützung. An diesemFrühjahrstag in Debrecen sagte F.A.sehr ruhig und klar zum Abschied: „Ichversuche es noch ein letztes Mal undwenn ich nicht bleiben kann, macheich Schluss.“ F.A. ist momentan in denNiederlanden erneut von der Rückschie-bung nach Ungarn bedroht.

M.R. (ANFANG 30,

AUS AFGHANISTAN)

kam 2009 nach Ungarn. Auf derFlucht wurde er Opfer massiver Über-griffe seitens der Schlepper. Diese Vor-fälle traumatisierten ihn schwer. Er flohvon Ungarn weiter nach Österreich, woer ab November 2009 mehrfach statio-när wegen einer schwerwiegenden post-traumatischen Belastungsstörung undDepressionen behandelt wurde. Nebenplötzlichen Stürzen verlor M.R. gänzlichdie Fähigkeit zum Sprechen und konntenur noch schreibend kommunizieren.Aus Angst vor der Abschiebung nachUngarn floh er von Österreich weiternach Schweden, wo er ebenfalls stationärbehandelt werden musste. Dennochwurde M.R. im Januar 2011 nach Un-garn abgeschoben. Er hatte Panikatta-cken vor dieser Abschiebung und vorallem große Angst vor der darauf fol-genden Inhaftierung: „Keiner glaubte

mir, dass ich in Ungarn sofort ins Ge-fängnis kommen würde, aber ich hattesolche Angst und so hatten die Psycho-logen in Schweden wohl Mitleid undversprachen, sich im Falle einer Inhaf-tierung für mich einzusetzen.“ M.R.kam im Januar 2011 am Flughafen inBudapest an und wurde sofort von fünfungarischen Grenzpolizisten in Hand-schellen gelegt und in Haft genommen.Das medizinische Begleitschreiben mitden verordneten Medikamenten inte-ressierte die Polizisten nicht (und auchspäter hat M.R. immer wieder erfolglosversucht, darauf aufmerksam zu ma-chen). Nachdem M.R. sich nicht wieverabredet meldete, wurde seitens derPsychiatrie in Schweden nach ihm ge-sucht. Aufgrund dieses Drucks wurdeM.R. von Nyírbátor zur psychologischenBehandlung in die Erstaufnahmeein-richtung nach Debrecen gefahren. „Sielegten mir Handschellen an und brachtenmich mit dem Polizeiauto nach Debre-cen. An den Handschellen war eineKette befestigt. Sie zogen mich an dieserKette, gefesselt wie ein Schwerverbre-cher, bis in den Raum der Psychologin.Sie zerrten mich wie eine Kuh durchdas ganze Lager an all den Leuten vorbei.Ich kann dir nicht sagen, wie beschä-mend das war. Aufgrund der Aufregungkonnte ich wieder nicht sprechen, alsich vor der Psychologin stand und esdauerte eine Ewigkeit, bis ich ihnenklarmachen konnte, dass sie zumindesteine Hand losbinden müssen, damit ichmit der Psychologin schriftlich kom-munizieren konnte.“ Wenige Tage späterwurde M.R. nach 25 Tagen Haft, dankdes Drucks der PsychologInnen freige-lassen. M.R. kann sich nicht vorstellenin Ungarn zu bleiben und fragt sich:„Wie lange werde ich es noch aushalten,durch Europa zu irren auf der Suchenach einem sicheren Ort? Kann ich eineweitere Inhaftierung in Ungarn aushal-ten?“ Während er spricht, bleiben ihmimmer wieder die Worte im Halse ste-cken.

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Die beiden Fälle von Inhaftierungvon nach fachärztlicher Ansicht schwertraumatisierten Menschen (unter denweiter vorne beschriebenen Haftbedin-gungen) lassen bezweifeln, dass die eu-ropäischen Aufnahmerichtlinien von Un-garn eingehalten werden. InsbesondereArtikel 17, der ein besonderes Aufnah-mesystem für Traumatisierte vorsieht,ist hier als verletzt anzusehen.44

MINDERJÄHRIGE UNBE-GLEITETE FLÜCHTLINGE

„‚No refugees in orbit’ [‚Keine Flüchtlingein der Warteschleife’] war ein zentralerAnspruch der sogenannten Dublin II-Ver-ordnung, die die Zuständigkeit in Asylver-fahren regelt. Doch das Gegenteil ist derFall. Immer mehr - auch minderjährige -Flüchtlinge irren nach ihrer vermeintlichsicheren Ankunft in einem europäischen

Erstaufnahmestaat noch monate- bis jah-relang durch unterschiedliche europäischeLänder.“45 Diese Odyssee wirkt sich vorallem auf unbegleitende minderjährigeFlüchtlinge verheerend aus: Jugendliche,die weit entfernt von ihren Familien aufsich selbst gestellt sind und keinen si-cheren Ort zum Bleiben finden, wirkenin besonderem Maße haltlos und verlierenmitunter gänzlich die Lust am Leben.Massive psychische Probleme, die zuSelbstverletzungen bis hin zu suizidalemVerhalten führen, sind bei unbegleitetenMinderjährigen, denen „Überstellungen“nach Ungarn drohen, keine Seltenheit.

Unbegleitete minderjährige Flücht-linge (UMF) sollen seit Sommer 2011im „Children Village“ in Fót untergebrachtwerden. Bei einem Besuch haben wireine der wenigen positiven Entwicklungenin Ungarn seit Beginn unserer Recherchefeststellen können: Die Unterbringung

und Behandlung in Fót wurde von denJugendlichen, mit denen wir dort spra-chen, überwiegend positiv bewertet. InFót existieren zwei sozialpädagogischbetreute Wohngruppen mit jeweils 35Plätzen: In der einen werden minder-jährige Flüchtlinge untergebracht, in deranderen ehemals minderjährige Flücht-linge nach Erreichen der Volljährigkeit.Vor dem Hintergrund der seit einigenJahren – nicht nur in Ungarn – massivansteigenden Zahl von UMFs steht al-lerdings zu befürchten, dass bei weitemnicht alle UMFs dort untergebracht wer-den (können).

WILLKÜRLICHE ALTERSFESTSTELLUN-

GEN: ÄLTERMACHEN VON MINDERJÄHRI-

GEN DUBLIN-RÜCKKEHRERN

Mehrfach wurde uns von jugendlichenFlüchtlingen berichtet, dass sie in Ungarnbei ihrer ersten Ankunft einer medizini-

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MINDERJÄHRIGER IM ABSCHIEBELAGER AM FLUGHAFEN BUDAPEST Foto: UNHCR / B. Szandelszky

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schen Untersuchung zur Altersfeststel-lung46 unterzogen wurden, nach der sieals Minderjährige registriert und in dasKinderheim der Interchurch Aid Hungarynach Bicske überstellt wurden. Die meis-ten der von uns befragten Jugendlichenverließen Ungarn kurze Zeit nach demTransfer nach Bicske wegen der dortigenvölligen Perspektivlosigkeit. Allerdingswurden sie in ihrer Hoffnung, in einemanderen EU-Mitgliedstaat Schutz undAufnahme zu finden, enttäuscht. Überdas Dublin-Verfahren wurden sie zumeistwieder nach Ungarn zurückgeschoben,da Ungarn als Staat der Ersteinreise indie EU für zuständig erklärt wurde. Dortangekommen wurde das Alter dann (zumTeil vom gleichen Arzt!) nach Augenscheinverändert. Im ersten Anlauf als 16-jährigeregistrierte Jugendliche „alterten“ so in-nerhalb weniger Monate um mehrereJahre und sind nach Augenschein plötzlich19 Jahre alt. Wir sprachen mit einigenFlüchtlingen, die für jedermann offen-sichtlich keinesfalls älter als 18 Jahrewaren und nach der Rückschiebung nachUngarn plötzlich als 29- oder 31-jährigegeführt wurden.47 Die Flüchtlinge selbstgehen davon aus, dass das „Ältermachen“systematisch geschieht. Einige der Ju-gendlichen, mit denen wir sprachen, wa-ren bereits mehrfach in anderen euro-päischen Ländern und wurden überallnach unterschiedlichsten Methoden derAltersfeststellung als Minderjährige re-gistriert – allerdings nicht in Ungarn.

In einigen der uns bekannten Fällesind auch Minderjährige nach ihrer Dub-lin-Überstellung inhaftiert worden, ob-wohl dies in der ungarischen Gesetzge-bung nicht vorgesehen ist. Meistenswurde zuvor (manchmal auch erst nach-träglich!) das Geburtsdatum durch dieungarischen Behörden geändert. 48

Auch der UNHCR verweist in einerStellungnahme auf die Problematik derInhaftierung von Minderjährigen:

„Unbegleitete Minderjährige sollen ganzvon Inhaftierungen ausgenommen sein undin einer speziellen Einrichtung für unbe-gleitete Minderjährige in Fot untergebrachtwerden. Allerdings werden unbegleiteteMinderjährige, bei denen die Altersangabe

angezweifelt wird, durchaus inhaftiert, wieRecherchen von UNHCR in den Haftein-richtungen gezeigt haben.“49

Und auch das Ungarische HelsinkiKomitee macht diese Beobachtung beiden regelmäßigen Besuchen in den Haft-zentren:

„Bei mehreren Vorfällen während derMonitoring-Besuche wurde das HHC Zeugedavon, dass unbegleitete Minderjährige inden Migranten-Gefängnissen inhaftiertwaren. Nach Akteneinsicht wurde festge-stellt, dass ein Arzt eine Altersfeststellungnach Augenschein durchgeführt hatte. DieArt und Weise, wie in Ungarn Altersfest-stellungen durchgeführt werden, ist hoch-problematisch.“ 50

Am 31.1.2012 schildert UNHCR Nürn-berg in einem Schreiben an eine Rechts-anwältin den konkreten Fall zweier Min-derjähriger, die aus Deutschland nachUngarn abgeschoben wurden: „lm Rahmen

seines „Monitoring“ hat UNHCR im Sep-tember 2011 mit zwei unbegleiteten min-derjährigen Asylsuchenden in der Haftein-richtung in Nyirbator gesprochen. BeideMinderjährigen waren im Rahmen der Dub-lin-ll-Verordnung von Deutschland nachUngarn überstellt worden und hatten deut-sche Dokumente bei sich, aus denen her-vorging, dass sie minderjährig sind. NachAussagen der Minderjährigen hatten siediese Dokumente nach einem Altersfest-stellungsverfahren in Deutschland erhalten.Sowohl die ungarische Polizei als auch dieungarische Asylbehörde beachteten dieseDokumente jedoch nicht.“51

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A.R. (17 JAHRE ALT, AUS AFGHANISTAN)

hat eine schwindelerregende Flucht-geschichte mit unzähligen Haftaufent-halten und Abschiebungen erlebt.

Bis 2007 lebte er nach der Flucht ausAfghanistan mit seinen Eltern und jün-geren Geschwistern in Pakistan. Dannreiste er über den Iran in die Türkei. InVan wurde er festgenommen und zweiMonate lang in Ankara inhaftiert undnach Kabul abgeschoben. Von Afghanistankehrte er nach Pakistan zurück und floherneut über den Iran und die Türkei dies-mal bis Griechenland, wo er wieder in-haftiert wurde. Seine Weiterflucht führtenach Albanien. In Tirana war er einenMonat inhaftiert. Im Kosovo, der nächstenStation seiner Reise, hat er zwei Tage imGefängnis verbracht. In Belgrad/Serbienwar er anschließend drei Monate in einemWaisenhaus für Kinder zusammen mitserbischen Kindern und Jugendlichenuntergebracht. A. war noch immer aufder Suche nach Europa, dem sicherenOrt, an dem er sich Schutz erhoffte.

An der ungarischen Grenze wurde A.

festgenommen und eine Nacht in einerPolizeistation festgehalten, bevor er indas Lager Bicske gebracht wurde. Auchdort wurde er drei Tage isoliert. Ein Arzterklärte ihn für volljährig. Als ihm da-raufhin die Abschiebung nach Griechen-land angedroht wurde, floh er nach Öster-reich. Dort wurde er ca. zehn Tage inhaf-tiert. Nach massiven Selbstverletzungen(Aufritzen der Arme) wurde er als Min-derjähriger in die österreichische Erst-aufnahme nach Traiskirchen gebracht.Nach ca. vier Monaten wurde er nachUngarn zurückgeschoben und anschlie-ßend ca. 15 Tage in Békéscaba interniert.A. floh erneut nach Österreich. Dort gaber an, 30 Jahre alt zu sein, da er hoffte,als Erwachsener mit seiner Fluchtge-schichte ernster genommen zu werden.Nach etwa drei Monaten wurde er wie-derum für zehn Tage in Abschiebehaftgenommen und zum zweiten Mal nachUngarn zurückgeschoben. Es folgten er-neut 15 Tage Internierung in Békéscabaund vier Monate Gefängnis in Nyírbátor,anschließend zwei Monate in Zalaegerszegund zwei Tage im Gefängnis in Budapest.

A. floh zum dritten Mal nach Öster-reich, blieb einen Monat im Erstaufnah-

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melager Traiskirchen und floh vor derRückschiebung nach Ungarn weiter in dieSchweiz. Dort wurde er erst als Minder-jähriger registriert, allerdings nach dreiWochen für volljährig erklärt. A. lebtedann ca. sechs Monate in Zürich in ver-schiedenen Lagern. Vor seiner dritten Ab-schiebung nach Ungarn war A. ca. fünfTage im Gefängnis in Zürich inhaftiertund wurde anschließend drei Wochen inein Abschiebelager nahe der deutschenGrenze gebracht, bevor er wieder nachUngarn zurückgeschoben wurde. Am Flug-hafen in Budapest wurde ihm gesagt, ersolle nach Debrecen oder wieder in einanderes Land gehen. Ein Ticket, um nachDebrecen zu kommen, wurde ihm ver-weigert. A. hat dann ca. zwei Monate imFlüchtlingslager in Debrecen verbracht,bevor er von dort aus in das neue Ab-schiebelager in Balassagyarmat gebrachtwurde. A. floh erneut, er lebt momentanin einer Hamburger Jugendeinrichtung.Aufgrund seiner Fluchtgeschichte leideter unter einer durch ärztliche Atteste be-legten posttraumatischen Belastungsstö-rung.

E.A. (18 JAHRE ALT, AUS AFGHANISTAN)

lebt seit Oktober 2010 in Frankfurt.Er hat eine fast zweijährige Odyssee durchhalb Europa hinter sich. Er floh über Pa-kistan, Iran und die Türkei nach Grie-chenland. Im Spätsommer 2009 erreichteer die griechische Insel Lesbos. SeineOdyssee durch Europa begann im HaftlagerPagani, das wegen der unmenschlichenHaftbedingungen internationale Aufmerk-samkeit erregte. Dort war E.A. zehn Wo-chen lang inhaftiert. Im Zuge einer Revoltebrannten Matratzen und Decken in dermit 83 zum großen Teil minderjährigenFlüchtlingen völlig überfüllten Zelle. EinenTag später wurde E.A. entlassen. Er ver-brachte mehrere Nächte auf der Straße,bevor er mit dem Schiff nach Athen fuhr.Auch dort schlief er in Parks und wurdeZeuge rassistischer Übergriffe auf Flücht-linge. E.A. versuchte weiterzufliehen. Beider ersten Flucht aus Griechenland wurdeer in einer Fähre nach Italien geschnapptund nach Griechenland zurückgeschoben.Er wurde erneut für acht Wochen inhaf-

tiert. Die Haftbedingungen beschreibt erals grauenhaft: zu wenig Essen, überfüllteZellen mit zu wenigen Matratzen. Da erminderjährig war und kein Vormund ver-fügbar war, wurde er länger als alle andereninhaftiert - wieder achtwöchige Haft. Nacheiner weiteren massiven Selbstverletzungwurde er aus der Haft entlassen. Er warnoch immer auf dem Weg nach Norwegen,wo eine Tante lebt. Im Februar 2010 ineiner sehr kalten Nacht wurde E.A. ineiner Gruppe minderjähriger afghanischerFlüchtlinge kurz hinter der serbischenGrenze in Ungarn festgenommen. In Un-garn hatte er einen Asylantrag gestellt,nachdem ihm mit mehrmonatiger Haftund anschließender Abschiebung nachGriechenland gedroht worden war. Erwurde Zeuge von Misshandlungen seitensungarischer Grenzpolizisten. Er wurde ei-ner medizinischen Altersfeststellung un-terworfen, sein Schlüsselbein geröntgt.Als 16-jähriger wurde er nach Bicske über-stellt und dort zunächst für mehrere Tageisoliert. Er erkannte schnell, dass die Le-bensbedingungen in Ungarn sehr schlechtwaren, wieder gab es nur zweimal am TagEssen. Nachts konnte er nicht mehr schla-fen, die Bilder aus all den Gefängnissenin Europa ließen ihn nicht los. E.A. flohweiter und erreichte tatsächlich Norwegen.Dort von Abschiebung nach Ungarn be-droht, versteckte er sich unter der Matratzeeines Freundes, als er abgeholt werdensollte, und floh danach erneut. Diesmalnach Schweden, wo er einen neuen Asyl-antrag stellte. Überall erzählte er seineGeschichte und sagte, er könne unmöglichnach Ungarn zurückgehen, er habe solcheAngst. Im Oktober 2010 erreichte erschließlich Frankfurt. Die traumatischenErlebnisse auf der Flucht und in den vielenGefängnisse lassen ihn noch heute nichtschlafen: „In Ungarn komme ich wiederins Gefängnis. Noch einmal halte ich dasnicht aus.“ sagte E.A. Seine Angst war be-rechtigt: denn in Ungarn war E.A. aufdem Papier nun plötzlich 30 Jahre alt,obwohl er dort beim ersten Aufenthaltals Minderjähriger registriert wurde undauch in Deutschland, Norwegen undSchweden nicht angezweifelt wurde, dasser minderjährig ist. Nach Einschätzungdes Ungarischen Helsinki Komitees ziehtdieses Vorgehen nahezu sicher einen mehr-

monatigen Gefängnisaufenthalt in Ungarnnach sich. Trotz aller Unsicherheit ist E.A.inzwischen in Frankfurt angekommen.„Meinst du, ich werde verrückt? Ich denke,ich bin zu Hause hier“, sagt er auf deutsch.Und diesmal hatte er endlich einen Platzzum Bleiben gefunden. Die Überstellungs-frist nach Ungarn ist mittlerweile ver-strichen und sein Asylantrag wird nun inDeutschland geprüft.

H.A. (18 JAHRE ALT, AUS AFGHANISTAN)

war mit E.A. zusammen unterwegs,als sie gemeinsam die Grenze nach Ungarnüberquerten. Auch er war - ebenfalls alsMinderjähriger - bereits in Griechenlandund Mazedonien lange in Haft gewesen.Auch er wurde in Ungarn kurzzeitig in-haftiert und einer medizinischen Alters-feststellung unterworfen: Seine Zähnewurden untersucht und das Schlüsselbeingeröntgt. Er wurde im Februar 2010 als16-jähriger nach Bicske gebracht, von woaus er sich auf eigene Faust nach Österreichaufmachte. Österreich entschied, ihn nachUngarn zurückzuschieben, obwohl er de-tailliert beschrieb, wie er auf einer unga-rischen Polizeistation misshandelt wordenwar. Nach der Abschiebung aus Österreichim Sommer 2010, war er für die ungari-schen Behörden auf einmal um zwei Jahregealtert und wurde für sechs Monate inGyör inhaftiert. Im Anschluss wurde seinAsylinterview durchgeführt – obwohl H.nur Dari spricht, mit einem Übersetzerfür Pashtoo. Ein weiteres Problem lässtH., der sich noch immer in Ungarn aufhält,keine Ruhe: „Besonders schlimm in De-brecen sind die Kämpfe zwischen den ver-schiedenen Flüchtlingsgruppen. Momen-tan sind sie am schlimmsten zwischenAfghanen und Arabern. Wenn wiedermehrere Leute eine Ablehnung bekommenhaben, ist es abends am schlimmsten.Letzte Woche gab es eine Schlägerei mitüber 50 Beteiligten im Hof. Ein Mannwurde so stark ins Gesicht getreten, dasser tagelang nicht rausgehen wollte, weiles so schlimm aussah. Manche trinkensehr viel, weil sie keine Zukunft haben.Sie sind dann außer sich. Ich fürchte, dassirgendwann noch etwas Schlimmeres pas-siert.“

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DUBLIN II RÜCKKEHRER

2010 wurden 742 Flüchtlinge aus an-deren europäischen Ländern aufgrundder Dublin II-Verordnung nach Ungarnabgeschoben, 2009 waren es 934 Ab-schiebungen. Deutschland ist das euro-päische Land, welches die meisten Ab-schiebungen nach Ungarn vollzogen hat(2009: 261 Überstellungen, 2010: 198

Überstellungen), gefolgt von Österreich(2009: 159 Überstellungen, 2010: 194Überstellungen) und Frankreich (2009:229 Überstellungen, 2010: 100 Über-stellungen). Ungarn ist damit knapp hin-ter Italien und Polen eines der europäi-schen Länder, in die am häufigsten ab-geschoben wird.52

Die bereits beschriebenen generellenProbleme - insbesondere Inhaftierungund Obdachlosigkeit - betreffen Dub-lin-Rückkehrer in besonderem Maße.

„Wer einmal abgehauen ist und das Ver-fahren abbricht, ist kein Asylbewerbermehr.“ Flüchtlinge erzählen, dass ihnen beider Festnahme am Budapester Flughafengesagt wird, dass sie in Haft kommen, zur

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FINGERABDRUCKABNAHME IM FLÜCHTLINGSLAGER DEBRECEN Foto: UNHCR / B. Szandelszky

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Strafe, weil sie weggelaufen sind aus Ungarn.(…) Die Gefängnisse sind voll mit Abge-schobenen aus Österreich, Deutschland,Belgien, Frankreich usw.“53 So schildertenFlüchtlinge in Ungarn ihre Realität als„Dublin-Rückkehrer“.

Asylsuchende, die nach Ungarn infolgeeiner Dublin-Prozedur abgeschoben wer-den, werden fast ausnahmslos inhaftiert.Das Ungarische Helsinki Komitee be-richtet hierzu: „OIN behandelt Dublin-Rücküberstellte nicht automatisch als Asyl-suchende. In der Praxis startet die Auslän-derpolizei zuerst ein fremdenpolizeilichesVerfahren (und stellt einen Abschiebebe-scheid aus) und erst nach diesem Verfahrenregistriert OIN Asylanträge. Daher könnenPersonen zum Zwecke der Abschiebung in-haftiert werden, was das gesamte Asylver-fahren hindurch andauern kann, jedochmaximal 12 Monate.“54

Dazu UNHCR: „Ungarn betrachtet ge-mäß der Dublin-II-Verordnung rücküber-nommene Asylsuchende als Folgeantrag-steller. Dies führt dazu, dass Rechtsmittelngegen negative Entscheidungen keine au-tomatische aufschiebende Wirkung zuer-kannt wird und Leistungen betreffend dieAufnahme im Vergleich zu Erstantragstellerndeutlich eingeschränkt sind.“55

Im Dezember 2011 fasst das Ungari-sche Helsinki Komitee die Behandlungvon sogenannten Dublin-Rückkehrernin Ungarn in einem Informationsschrei-ben unter dem Titel „Zugang zu Schutzgefährdet“ („Access to protection jeopar-dised“) folgendermaßen zusammen:

„Aus Sicht des Ungarischen Helsinki Ko-mitees bietet Ungarn keine ausreichendenAufnahmebedingungen und keinen ausrei-chenden Schutzzugang für Asylsuchende,die nach der Dublin-Verordnung rücküber-stellt werden:

t Asylsuchenden, die nach der Dublin-Verordnung nach Ungarn überstellt werden(sog. „Dublin-Rückkehrer“), wird – als ge-nerelle Praxis – sofort ein Abschiebebe-scheid ausgehändigt, unabhängig vonihrem Wunsch, Asyl zu beantragen.

t Dublin-Rückkehrer, die zuvor einenAsylantrag in Ungarn gestellt hatten, kön-nen ihr vorheriges (unterbrochenes) Asyl-verfahren nicht fortsetzen, und ihrWunsch, ihren Antrag fortzuführen, wirdals Folgeantrag gewertet.

t Asylfolgeanträge haben unterdessenkeine aufschiebende Wirkung gegen Ab-schiebemaßnahmen (abgesehen von einzel-nen Ausnahmen), daher sind diejenigen,die von Ungarn im Dublin-Verfahren zu-rückgenommen werden, oft mals schutzlosgegen Abschiebung, selbst wenn ihr Asyl-antrag nie in einem EU-Mitgliedstaat un-tersucht wurde.

t Basierend auf dem automatisch ausge-stellten Abschiebebescheid wird die Mehr-heit der Dublin-Rückkehrer in Ab schiebe- haft genommen, ohne die individuelle Si-tuation oder Alternativen zur Haft in Be-tracht zu ziehen.

t Beschwerden gegen die Abschiebehaftsind ineffektiv, die Verlängerung der Hafterfolgt quasi automatisch in fast allen Fäl-len-

t Diejenigen Dublin-Rückkehrer (die vonUngarn zurückgenommen wurden), dienicht inhaftiert werden, haben keinen Zu-gang zu angemessenen Aufnahmebedin-gungen, da ihr „Folge“-Asylantrag sie nichtberechtigt, die Unterbringung und Unter-stützung in Anspruch zu nehmen, die nor-malerweise Asylbewerbern zur Verfügungstehen.“56

Des Weiteren problematisiert UNHCRdie Gefahr der Kettenabschiebung nachSerbien (siehe auch den nächsten Ab-schnitt) auch für Dublin-Rückkehrer:

„Die ungarische Asylbehörde sieht Serbienentgegen der Auffassung von UNHCR nachwie vor als sicheren Drittstaat für Asylsu-chende an und schickt jene, die über Serbieneingereist sind, ohne vorherige Prüfungihres Asylantrags in der Sache nach Serbienzurück. Dies gilt auch für Verfahren, indenen der Antragsteller zuvor aufgrunddes Dublin-Systems nach Ungarn rücküber-stellt wurde. In nur rund 20% aller Asyl-verfahren wird eine inhaltliche Prüfung derFluchtgründe durchgeführt.

Die Entscheidungspraxis der ungarischenGerichte bei eingelegten Rechtsmitteln isthöchst unterschiedlich: Während das Gerichtin Budapest in mehreren Fällen in Über-einstimmung mit der UNHCR-Position dieAsylbehörde zu einer inhaltlichen Prüfungdes Asylantrags verpflichtet hat, werdendie Entscheidungen der Behörde vom Gerichtin Szeged, das für die meisten Fälle derüber Serbien eingereisten Personen zuständigist, ohne eingehende Prüfung bestätigt.“57

REFOULEMENT

Eine große Anzahl der Flüchtlinge,die in Ungarn leben oder Ungarn aufihrer Reise passiert haben, haben bereitsvor ihrer Registrierung in Ungarn Er-fahrungen mit monatelangen Inhaftie-rungen und rechtswidrigen Abschiebun-gen (Refoulement) gemacht. Beim Über-queren der ukrainisch-ungarischen sowieder serbisch-ungarischen Grenze werdenFlüchtlinge in vielen Fällen von den un-garischen Grenzpolizisten innerhalb kür-zester Zeit zurückgeschoben, selbst wennsie ein Asylgesuch vorbringen. In derUkraine erfolgte hierauf in der Regeleine Inhaftierung von bis zu 12 Monaten,die seit 2008 verstärkt in einem mit EU-Mitteln finanzierten Lager vollzogenwird. In Serbien sind die zurückgescho-benen Flüchtlinge mit absoluter Armutkonfrontiert und zudem stark gefährdet,eine Kette weiterer Abschiebemaßnamenzu durchlaufen.

UKRAINE

Im Januar 2011 kritisierte das BorderMonitoring Project Ukraine (BMPU) ge-meinsam mit Pro Asyl die Tatsache, dassFlüchtlinge, die Ungarn von der Ukraineaus erreichen, massiv der Gefahr desRefoulement ausgesetzt sind:

„Dutzende Flüchtlinge, welche vomBMPU in den letzten beiden Jahren befragtwurden, berichten übereinstimmend davon,dass ihnen ihr Recht auf Zugang zum Asyl-verfahren in Ungarn und in ähnlicher Weiseauch in der Slowakei verwehrt wurde undsie innerhalb von 24 Stunden in die Ukraineabgeschoben wurden. Diese Praxis wider-

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spricht dem sogenannten Refoulement-Ver-bot und stellt einen klaren Verstoß gegendie Genfer Flüchtlingskonvention sowie ge-gen die Europäische Menschenrechtskon-vention dar. Die Anzahl und die zeitlicheVerteilung der vom BMPU dokumentiertenRückschiebungen lassen darauf schließen,dass es sich hier nicht um Einzelfälle,sondern um ein regelmäßiges, rechtswidrigesVorgehen handelt.“58

Im November 2010 erschien eine Bro-schüre des Border Monitoring ProjectUkraine, in der Interviews mit Flücht-lingen veröffentlicht wurden, die zumTeil mehrfach von Ungarn in die Ukrainezurückgeschoben worden waren:

„Das Bordermonitoring Project Ukraine(BMPU) hat eine alarmierende Anzahlrechtswidriger Rückschiebungen in dieUkraine dokumentiert. (…) BMPU deckteregelmäßige Verletzungen internationalerFlüchtlingsrechte auf, begangen durch dieGrenzpolizeien verschiedener EU-Mitglied-staaten. Fälle von Refoulement durch un-garische und slowakische Grenzpatrouillenan den Außengrenzen der EU sind keineAusnahme, sondern die Regel.“59

Auch der UNHCR-Bericht zu Ungarnvom November 2010, aus Anlass der„Universal Periodic Review“, einer peri-odischen Untersuchung der Menschen-rechtssituation in allen UN-Mitglieds-staaten, kritisiert nach wie vor, Ungarnrespektiere das Non-Refoulement-Prinzipnicht:

„Der Zugang zum Territorium des Landesund zu dessen Asylverfahren ist nicht mitvoller Respektierung des Non-Refoulement-Prinzips sichergestellt. (…) (Durch NGOsbestätigte) Beschwerden gingen zum Beispielvon und/oder durch somalische und afgha-nische Asylsuchende ein, darunter alleinreisende Minderjährige, über ihre offenbardurch die ungarische Grenzpolizei erzwun-gene Rückkehr in die Ukraine.“60

Im November 2010 erschien zudemein ausführlicher Bericht von HumanRights Watch zur Situation von Flücht-lingen in der Ukraine, welcher ebenfallsRückschiebungen von Ungarn und derSlowakei in die Ukraine kritisiert:

„Mehr als die Hälfte der interviewtenMigranten, die aus der Slowakei oder Ungarnzurückgeschoben wurden, sagten aus, siewurden in der Ukraine geschlagen oderMisshandlungen unterworfen. Die meistenhatten versucht, in Ungarn oder der SlowakeiAsyl zu beantragen, aber laut ihren Angabenwurden ihre Anträge ignoriert und sie wur-den schnell ausgewiesen. Beide Länder wie-sen auch unbegleitete Kinder aus.“ Undweiter: „Dieser Bericht hat gezeigt, dassdie Slowakei und Ungarn das Non-Refou-lement-Prinzip verletzt haben, sowohl inflüchtlings- als auch menschenrechtlicherHinsicht, sowie ihre nach EU-Recht beste-hende Verpflichtung der Bereitstellung vonZugang zu Asyl. Dieser Bericht dokumen-tiert, dass ukrainische Beamte aus der Slo-wakei und Ungarn zurückgeschobene Mig-ranten gefoltert haben und sie unmensch-lichen und entwürdigenden Behandlungenunterwarfen und dass Asylsuchende, dieaus der Slowakei und Ungarn zurückge-schoben wurden, keinen effektiven Schutzdavor erhielten, an Orte abgeschoben zuwerden, an denen sie begründeterweiseAngst vor Verfolgung oder anderem schwer-wiegenden Schaden hatten.“61

SERBIEN

Nicht nur an der ukrainisch-ungari-schen Grenze laufen Flüchtlinge Gefahr,zurückgeschoben zu werden. Zunehmendwird die serbisch-ungarische Grenze zumBrennpunkt von Refoulement. Im Sep-tember 2011 fristeten in Subotica/Ser-bien, wenige Kilometer von der serbisch-ungarischen Grenze entfernt, hunderteFlüchtlinge aus unterschiedlichen Kri-senregionen der Welt ihr Dasein - ob-dachlos auf einem Friedhof, denn dortgibt es immerhin Zugang zu Wasser. Ineinem Bericht ist von etwa 150 Personendie Rede, in anderen von hunderten, derTotengräber von Subotica schätzt sie garauf 1000 Personen62. Sie kommen ausPakistan, Afghanistan, Libyen, Tunesien.„Ich habe dreimal versucht, nach Ungarnzu gelangen“, sagt ein Libyer und fasstzusammen: „Ungarn? Großes Problem!Zwecklos zu sagen, dass man Asyl braucht.Sinnlos zu erklären, dass Krieg ist, dort wowir herkommen oder dass wir verfolgt wer-den – das interessiert die ungarische Grenz-polizei nicht.“63 Anfang November 2011brannte die serbische Polizei eine An-

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FLÜCHTLINGSBLEIBE IN SERBIEN NAHE DER GRENZE ZU UNGARN Foto: Merlin Nadj-Torma

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sammlung von Plastikplanen-Behausun-gen nieder, in denen Flüchtlinge unterärmlichsten Bedingungen versuchten zuüberleben, bis sich eine Möglichkeit er-gibt, weiter nach Europa zu gelangen.Dieser Vorfall wurde auf einem ungari-schen Blog mit einem Video dokumen-tiert.64

Die meisten Flüchtlinge in Suboticahaben bereits mindestens einmal die Er-fahrung gemacht, aus Ungarn nach Ser-bien zurückgeschoben worden zu sein.

Denn Ungarn verweigert Asylsuchen-den, die über Serbien nach Ungarn ein-

gereist sind, die Untersuchung ihrerAsylanträge aufgrund der Annahme, Ser-bien sei in der Lage, diesen Personenden benötigten Schutz zu gewähren. Seitder Asylgesetzänderung im Dezember2010 hat Ungarn eine Regelung geschaf-fen, in der die Einreise über einen „si-cheren Drittstaat“ zu prüfen ist, bevorUngarn für die Durchführung eines Asyl-verfahrens zuständig wird. Serbien giltin Ungarn als „sicherer Drittstaat“. Dasbedeutet de facto, dass Flüchtlinge, dieüber Serbien nach Ungarn gelangen, seitBeginn des Jahres 2011 von Abschiebungnach Serbien bedroht sind.

Das Ungarische Helsinki Komitee re-cherchierte im Juni 2011 in Serbien zurSituation der Flüchtlinge. Der darausresultierende Bericht „Serbien als SichererDrittstaat: eine falsche Annahme“ (“SerbiaAs a Safe Third Country: A Wrong Pre-sumption”) kommt zu dem Schluss, dassdiese Praxis einen Bruch der EuropäischenMenschenrechtskonvention darstellt:

„In der Realität ist das serbische Asyl-system hochgradig dysfunktional. VieleAsylsuchende sind mit Not konfrontiertund das bestehende System ist schwerwie-gend unterfinanziert und personell unter-besetzt (nur zwei Beamte müssen mit hun-derten von Fällen umgehen). Obwohl eingroßer Anteil der Asylsuchenden aus Af-ghanistan oder dem Irak stammt, hatSerbien nie jemandem eine Flüchtlingsan-erkennung zugestanden. Serbien erachtetGriechenland und die Türkei als sichereDrittstaaten, während Russland und Weiß-russland als sichere Herkunftsländer gelten.UNHCR spricht sich deutlich gegen die Be-trachtung von Serbien als sicherem Dritt-staat aus.“ 65

Direkt nach Griechenland finden mo-mentan aus Ungarn - wie aus den meistenanderen europäischen Ländern - keineDublin-Überstellungen statt. Auf derserbischen Liste sicherer Drittstaatenfindet sich jedoch neben Griechenlandauch die Türkei:

„Angesichts der gravierenden Defiziteder Asylsysteme mancher Nachbarländer(Bezug genommen werden könnte zum Bei-spiel auf das Urteil 2011 M.S.S. des Euro-päischen Menschenrechtsgerichtshofs) ver-ursacht diese Praxis ein ernsthaftes Risikovon Kettenabschiebungen.“66

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R.A. (16 JAHRE ALT,

AUS AFGHANISTAN)

wurde im Februar 2011 nahe derserbischen Grenze in Ungarn mit zweiweiteren unbegleiteten Minderjährigenfestgenommen. Die Jugendlichen be-richteten über brutale Schläge seitensder ungarischen Polizei bei der Verhaf-tung. Die vollständige Entkleidung inder Polizeistation erlebten sie als be-sonders beschämend. Am folgenden Tagwurde R. in Kiskunhalas inhaftiert. „Ichhabe große Angst gehabt“, erinnert sichR., „und mich ständig hungrig gefühlt,da wir sehr wenig zu essen erhalten ha-ben. Außerdem habe ich nicht verstan-den, warum sie mich ins Gefängnis ge-bracht haben. Das einzige, was ich wollte,ist zu meinem Bruder zu kommen.“ Ei-nige Tage nach der Inhaftierung erhieltR. Besuch von einer Rechtsanwältin desHelsinki Komitees aus Budapest. An ei-nem der Folgetage wurde er aus demungarischen Gefängnis heraus nach Sub-otica/Serbien zurückgeschoben. Auchin Serbien wurde R. einige Tage inhaf-tiert. Nach der Entlassung gelang ihmdie Flucht von Serbien nach Hamburg.Mittlerweile lebt er dort mit seinemBruder, der bereits seit 3 Jahren inHamburg wohnt und über einen sicherenAufenthaltsstatus verfügt, gemeinsamin einer Jugendhilfeeinrichtung.

Das Gefängnis in Kiskunhalas warnicht das erste europäische Gefängnisauf seiner Flucht aus Afghanistan, indem R. Erfahrungen sammeln musste.Bei der Flucht über das türkische Fest-land in der Evros-Region wurde er vongriechischen Grenzpatrouillen festge-nommen und in ein vollkommen über-fülltes Gefängnis gebracht. Nach einigenTagen wurde er mit der Aufforderung,Griechenland binnen vier Wochen zuverlassen, auf die Straße gesetzt. R. ver-suchte mehrmals vergeblich, über Patrasnach Italien zu gelangen. „Ich habemehrfach versucht, mich unter eineLKW-Achse zu legen. Ich habe Angstgehabt zu sterben.“ Dann machte ersich auf den Weg nach Athen und ent-schied sich nach einigen Monaten zuversuchen, über Mazedonien, Kosovo,Serbien und Ungarn zu seinem Bruderin Deutschland zu gelangen. In allenLändern wurde er inhaftiert und machteGewalterfahrungen. Die schwerwiegen-den Menschenrechtsverletzungen, dieR. sowohl an den Grenzen der EU alsauch innerhalb Europas auf dem Wegzu seinem Bruder erleben musste, habennach Ansicht seines Arztes zu einerschwerwiegenden posttraumatischenBelastungsstörung geführt. „Obwohlich jetzt bei meinem Bruder bin, habeich immer noch Angst. Was wird mitmir in Deutschland passieren? Werdeich bei meinem Bruder bleiben können?Nachts fällt es mir schwer zu schlafen.Ich bin nicht mehr derselbe.“

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SOZIALE SITUATION

„Die Kälte und der Hunger in Ungarn,das ist unser Krieg in Europa. Und sie schi-cken mich immer wieder in diesen Kriegzurück. Es ist wie eine Narbe, die nichtverheilt, weil sie immer wieder aufgekratztwird. Wenn wir wieder abgeschoben werden nach Ungarn, dann bitte wenigstens nichtim Winter.“ (A.D.N., 17 Jahre alt, Flücht-ling aus Somalia)

Anerkannten Flüchtlingen stehen nursechs Monate Unterbringung in einerFlüchtlingsunterkunft zu, die in beson-deren Fällen um weitere sechs Monateverlängert werden kann. Danach drohtdie Obdachlosigkeit. Neben mangelndenIntegrationsmöglichkeiten ist Obdach-losigkeit die Hauptursache der für aner-kannte Flüchtlinge unerträglichen Si-tuation in Ungarn. Daraus ergeben sichweitere Probleme: Ohne Meldeadressegibt es weder Zugang zu Sozialleistungen

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FAMILIE G. (AUS AFGHANISTAN)

Frau G. floh gemeinsam mit ihremMann und ihren drei Kindern von Afgha-nistan zunächst nach Griechenland. Auf-grund der dramatischen Zustände fürFlüchtlinge in Griechenland konnte dieFamilie dort nicht bleiben, zumal die Dia-betes-Erkrankung von Frau G. in Athennicht behandelt wurde. Die Weiterfluchtaus Griechenland ist kompliziert undteuer, weshalb die Familie getrennt wurde:Der 18-jährige Sohn lebt momentan inLandshut, der 14-jährige Sohn in Öster-reich und der Vater in den Niederlanden.Frau G. befindet sich hingegen, gemeinsammit ihrer siebenjährigen Tochter, aktuellin Ersatzabschiebehaft in einer Pensionin Rosenheim. Zuvor waren Frau G. unddie Tochter in einem Abschiebezentrumin Ungarn untergebracht und ihnen wurdedie Überstellung nach Serbien angedroht.Aus Angst davor machten sie sich auf den

Weg nach Deutschland. Ihr Ziel war es,zu ihrem Sohn nach Landshut zu kommen.

Frau G. und ihrer siebenjährigen Tochterdroht nun die Abschiebung nach Ungarn.Von dort aus ist eine Abschiebung nachSerbien, von Serbien aus weiter nach Grie-chenland zu befürchten. Da sich der Groß-teil der Familie (Mutter, Tochter M. undder erwachsene Sohn A.R.) nun in Deutsch-land befindet, ist nur hier eine Familien-zusammenführung aller Familienmitgliedermöglich und durchführbar. Im Falle einerRückschiebung nach Ungarn wäre diesnicht gewährleistet. Frau G. ist schwerkrank: Sie leidet an schwerer Diabetes,die im Falle einer Nicht-Weiterbehandlungtödlich verlaufen kann. Außerdem liegtbei ihr eine posttraumatische Belastungs-störung vor. Gegen die Abschiebung derFamilie hat der Bayerische FlüchtlingsratPetitionen im Bayerischen Landtag undim Deutschen Bundestag eingereicht.67

OBDACHLOSER SUDANESE IN EINEM OBDACHLOSENHEIM IN BUDAPEST Foto: UNHCR / B. Szandelszky

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noch zu medizinischer Versorgung. DasLeben in der Obdachlosigkeit macht zu-dem besonders verletzlich, in vielenFällen berichteten Flüchtlinge von ras-sistisch motivierten Übergriffen und z.T.auch von sexuellen Misshandlungen,während sie auf der Straße lebten.

ZUGANG ZU SOZIALLEISTUNGEN

ERSCHWERT BIS UNMÖGLICH

Viele anerkannte Flüchtlinge scheinenProbleme zu haben, Sozialhilfe zu er-halten. Und selbst wer Sozialleistungenbekommt, kann davon nicht überleben,da diese lediglich 28.500 HUF betragen(dies entspricht ca. 90 Euro68). Wennalle Bedingungen erfüllt werden, kannSozialhilfe für die ersten zwei Jahre abAnerkennung in Anspruch genommenwerden.69 Voraussetzungen für eine Wei-terführung der Hilfe bis zu vier Jahrensind: Kooperation mit dem Arbeitsamtzwecks Arbeitssuche für mindestens einJahr, Teilnahme an Qualifizierungsmaß-nahmen und gemeinnützige Arbeit fürmindestens drei Monate. Alle von unsinterviewten Flüchtlinge waren trotzgrößter Anstrengungen nicht in der Lage,diese Nachweise zu erbringen.

Flüchtlinge berichteten uns wieder-holt, dass sie schon nach spätestens ei-nem Jahr keine Sozialleistungen mehrbekommen haben. Alle, die wir befragten,die bereits einmal in ein anderes euro-päisches Land weitergeflohen waren undnach Ungarn abgeschoben wurden, hattenzunächst (und manchmal komplett) alleAnsprüche verloren und/oder wusstennicht, wie sie solche hätten geltend ma-chen können.

Der Hauptgrund dafür ist, dass dieAuszahlung an die Vorlage einer Melde-adresse gekoppelt ist. Somit haben ob-dachlose Flüchtlinge de facto keinen Zu-gang zu Sozialleistungen. Folglich führtder (erzwungene) Auszug aus der Erst-aufnahmeeinrichtung zum Verlust derSozialhilfe und darüber hinaus auch zurUnmöglichkeit sich krankenzuversichern.

Anerkannte Flüchtlinge können beiVerlassen des Lagers in Bicske einmaligeine Niederlassungsbeihilfe in Höhe von171.000 HUF beantragen (entspricht

etwa 550 Euro). Dafür muss allerdingsein Mietvertrag für eine „angemessene“Wohnung vorgelegt werden und der An-trag kann nur bis zu sechs Monate nachVerlassen der Erstaufnahmeeinrichtunggestellt werden. Gedacht ist dieses Geldals eine Art Starthilfe.

Zudem gibt es die Möglichkeit, Wohn-geldbeihilfe zu bekommen. Diese wirdjedoch nicht dauerhaft in Höhe der an-fallenden Miete gezahlt:

„Abhängig vom Wohnort des Flüchtlingskann ein kompetenter Notar dem FlüchtlingBedarf an Lebenshaltungskostenbeihilfebescheinigen, die von der Kommunalver-waltung zu finanzieren ist. Diese Hilfe kannviermalig, zu jeder Zeit des Jahres, einmaljährlich während der vier Jahre in Anspruchgenommen werden. Die Höhe beträgt 28.500HUF [ca. 90 Euro] und sie kann niemalsdie tatsächlichen Unterkunftskosten decken.Diese Hilfe kann nur gewährt werden, wennder Empfänger Belege für aktuelle Zah-lungen von Unterkunftskosten vorlegenkann. Unglücklicherweise wird diese Hilfekaum an Flüchtlinge gegeben, weil sie keineWohnungsbesitzer finden, die bereit sind,ihnen eine Quittung für die Miete auszu-stellen.“70

Der ungarische Parlamentsbeauftragtefür Bürgerrechte71, der als vom Parlamentgewählter, unabhängiger Ombudsmanngegenüber allen Staatsorganen anhandeiner Beschwerde eine Untersuchungeinleiten kann, welche die Benachrich-tigung des betroffenen Organs über dierechtswidrige Praxis und die Vertretungder Rechte des Beschwerdeführers be-inhaltet, hat zur Problematik obdachloserFlüchtlinge in Ungarn berichtet. Zweiseiner Berichte, sind in diesem Zusam-menhang wichtig und werden im Fol-genden wiederholt zitiert. Zum einenberichtete er über die spezifische Situationvon obdachlosen Flüchtlingen, zum an-deren über Rechtsverletzungen durchdie neuen Obdachlosengesetze und kom-munalen Verordnungen Ungarns.

Somalische Flüchtlinge zeigten unsim September 2011 ein „Hotel“, in demeinige von ihnen gelegentlich übernach-ten. Ein Bett in einem Vierbettzimmer

kostet dort 2000 HUF (umgerechnetetwa 6 Euro) pro Nacht. Eine billigereUnterkunft ist in Budapest nicht zu fin-den. Somit ist selbst für diese billigsteVariante monatlich fast doppelt so vielzu zahlen, wie der monatliche Sozialhil-fesatz beträgt. Die Auslandsvermittlungder Bundesagentur für Arbeit erklärtbezüglich der Lebens- und Unterkunfts-kosten in Budapest:

„Die Lebenshaltungskosten sind in denvergangenen Jahren angestiegen – unteranderem, weil die ungarische Regierung imSeptember 2006 die Mehrwertsteuer auf20 Prozent angehoben hat. (…) In Budapestzahlt man in der Regel sehr hohe Mietpreise:für eine kleine Wohnung bis zu 500 € warm;günstige Wohnungen oder Zimmer findetman meist nur über Beziehungen. Insgesamtliegen die Lebenshaltungskosten dort aberetwa um ein Viertel niedriger als in deut-schen Großstädten.“72

Die von uns interviewten anerkanntenFlüchtlinge waren erkennbar kaum inder Lage, ihr Überleben zu sichern undwaren daraus resultierend permanentmit lebensbedrohlichen Situationen kon-frontiert (Erkrankungen, die nicht be-handelt wurden oder Übergriffe, denensie in der Obdachlosigkeit ausgesetztwaren).

OBDACHLOSIGKEIT BEI ANERKANNTEN

FLÜCHTLINGEN

Offizielle Zahlen zu bekommen, wieviele obdachlose Flüchtlinge in Ungarnzur Zeit leben, scheint unmöglich zusein. Auch dem Parlamentsbeauftragtenfür Bürgerrechte gelang dies nicht:

„In Ermangelung professioneller Insti-tutionen, die sich mit obdachlosen Auslän-dern in Ungarn beschäftigen, hatte keineder Organisationen und/oder staatlichenOrgane die geeigneten Mittel, um exakteDaten darüber zu veröffentlichen, wie vieleobdachlose Flüchtlinge in der HauptstadtUngarns leben.“73

Bereits im März 2010 veröffentlichteder UNHCR einen Recherche-Berichtüber Obdachlosigkeit anerkannter Flücht-linge aus Somalia in Budapest mit dem

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Titel „Flüchtlingsobdachlosigkeit in Ungarn“(„Refugee Homelessness in Hungary“).74

Der Bericht kommt unter anderemzu folgenden Erkenntnissen:

t Flüchtlinge mit dem höchsten Risikoobdachlos zu sein, sind diejenigen, diebereits einmal aus einem anderen euro-päischen Land nach Ungarn abgescho-ben wurden.

t Nach der Rückkehr nach Ungarn fan-den sich die Befragten in einer in hohemMaße verletzlichen Situation wieder, dasie nicht länger Zugang zu unterstüt-zenden Sozialleistungen im „Pre-Inte-gration Centre“ in Bicske hatten.

t Während anerkannte Flüchtlinge ei-gentlich zwei Jahre ab Anerkennung imFalle der Teilnahme an einem Sprach-kurs berechtigt wären, eine minimale fi-nanzielle Unterstützung zu erhalten,erhielten sie diese häufig erst nach teilsmehrmonatigen Wartezeiten nach derRücküberstellung nach Ungarn wieder.

t Das Fehlen einer somalischen Com-munity in Ungarn wurde von den Be-fragten als Schlüsselbarriere genannt,welche Integration verhindere.

t Gefangen in einem Teufelskreis ausHoffnungslosigkeit und ohne Beispielegelungener Integration unter den soma-lischen Flüchtlingen in Ungarn, tendier-ten die meisten der Befragten dazu,erneut in andere europäische Länderweiterzufliehen, wenn sie die Möglich-keit fänden, mit dem Ziel „einen Platzzum Essen und Schlafen zu finden, und seies nur für einige Monate.“

Der UNHCR zieht daraus das Fazit:

„Ungarn hat kein rechtliches oder poli-tisches Rahmenwerk, welches eine Strategieeinschließt, die sich speziell mit der Inte-gration von Personen beschäftigt, deren in-ternationales Schutzbedürfnis anerkanntist. Nach dem Gesetz LXXX von 2007 zuAsyl haben Flüchtlinge und Personen mitsubsidiärem Schutz die Rechte und Pflichtenungarischer Staatsbürger. Sie sind des wei-teren berechtigt, Unterkunft, Verpflegung

und „Vor-Integrations-Maßnahmen“ in An-spruch zu nehmen, die im OIN-geführten„Pre-Integration Centre“ angeboten werdenfür die Zeitspanne, die in Abschnitt 41 Un-terabschnitt (1)-(3) des Regierungserlasses301/2007.(XI.9.) über die Umsetzung desAsylrechts festgelegt wird. Nach Verlassendes Centres sind sie berechtigt, einige spe-zielle Leistungen zu erhalten, die ungarischenSprachunterricht bis zu 520 Stunden, eineUnterhaltsbeihilfe von 28.500 HUF [ca.90 Euro] für einen Zeitraum von zweiJahren ab Anerkennung, abhängig von derTeilnahme an Sprachkursen, sowie eine mo-natliche Wohnungsbeihilfe und eine Nie-derlassungsbeihilfe in Höhe von 171.000HUF [ca. 550 Euro] beinhalten. Es gibtkeine Behörde, die gesetzlich zuständig istfür die Integration von Flüchtlingen aufkommunaler Ebene. Wenn Flüchtlinge Bicskeverlassen, sind sie zumeist abhängig vonfragmentierten, unterfinanzierten und pro-jektbasierten Flüchtlingsunterstützungs-angeboten in Budapest, welche von NGOsangeboten werden. Diese können keine Lö-sungen für oftmals strukturelle Integrati-onsprobleme anbieten, die eine strategische,ressortübergreifende Antwort erfordern.“75

Menedék, eine der wenigen NGOs,die in Ungarn Sozialberatung für Flücht-linge anbietet, erklärte einem von unsbefragten Flüchtling auf seine Bitte nachUnterstützung hin, dass sie damit über-fordert seien: sie könnten nicht helfenund im Übrigen seien die Obdachlosen-wohnheime alle voll. Dies konnte derbefragte Flüchtling auch mittels einerausgedruckten E-Mail belegen.

Der bereits erwähnte Bericht des Par-lamentsbeauftragten für Bürgerrechtefasst zusammen:

„Meine Kollegen fanden heraus, dassdie meisten Flüchtlinge, die zurückgekehrtwaren, zurück zur Unterkunft [Bicske] gin-gen, da sie keinen anderen Ort hatten, anden sie hätten gehen können. Sie wurdenin der Unterkunft abgelehnt und sie bekamenkeine Hilfe, wie sie ihre benötigten Doku-mente beschaffen könnten, noch bekamensie Anweisungen, wie sie diese bekommenkönnten. Daher hatten die Flüchtlinge,denen der Zugang zur Unterkunft verwehrtwurde, keine Identitätskarten, also konnten

sie keinen Antrag stellen auf einen Schlaf-platz und daher wurden sie obdachlos.“76

Der UNHCR-Bericht „Flüchtlingsob-dachlosigkeit in Ungarn“ verweist zudemauf das Problem der inadäquaten Er-nährung sowie auf den mangelhaftenZugang zu Gesundheitsversorgung füranerkannte Flüchtlinge in Ungarn:

t Die Mehrheit der Befragten habe be-richtet, nur eine Mahlzeit pro Tag zusich zu nehmen, meist mit geringemNährwert (Nudeln und Reis, keinFleisch). Daraus resultierend beklagtensie oft, vor Hunger Schwindel zu verspü-ren und an Bauchschmerzen zu leiden.Die monatliche Unterstützung sei nichtausreichend für eine ausgewogene Er-nährung.

t Flüchtlinge litten häufiger als die All-gemeinbevölkerung an physischen undpsychischen Erkrankungen infolge ihrervergangenen Erlebnisse von Verfolgung,Trauma und Flucht. Sie erlebten häufigProbleme, wenn sie Zugang zu medizi-nischer Versorgung suchten, da sie oftkeine ausreichenden Sprachkenntnissehätten, um mit Ärzten zu kommunizie-ren. Viele der Befragten hätten nacheiner Abschiebung nach Ungarn keineKrankenversicherungskarte gehabt. Inzwei Fällen hätten die Betroffenen sechsMonate warten müssen, bis eine neueKrankenversicherungskarte ausgestelltworden sei.77

NEUE RESTRIKTIVE GESETZGEBUNG

GEGEN OBDACHLOSE SEIT APRIL 2011

Im April 2011 trat in Ungarn eineneue restriktive Gesetzgebung gegenObdachlose in Kraft. Seitdem ist es ver-boten, in Bahnhöfen oder auf offenerStraße zu übernachten. 50.000 HUF(umgerechnet etwa 165 Euro) beträgtdie Strafe für „Wohnen auf der Straße“.78

Und auch das Wühlen in Mülltonnenhat seitdem strafrechtliche Konsequenzen- Geldstrafen, die von den betroffenenMenschen im Regelfall nicht beglichenwerden können. Somit können „Wieder-holungstaten“ sogar dazu führen, dassdie Betroffenen in Haft genommen wer-den. Zu mehr Plätzen in Notunterkünften

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führte die neue Gesetzgebung nicht.

Am 2. Dezember 2011 wandte sichder Parlamentsbeauftragte für Bürger-rechte an das ungarische Verfassungs-gericht und forderte die Abschaffungder neuen Anti-Obdachlosengesetze und-erlasse:

„Entsprechend der Sicht des Parlamen-tarischen Menschenrechtskommissars er-möglicht die neue Regelung (das Gesetzzur Gestaltung und zum Schutz der öffent-lichen Umgebung von 2010) den Einsatzumfassender Polizeiaktivitäten auf öffent-lichen Plätzen gegen obdachlose Menschen,indem sie obdachlose Menschen kriminali-siert - dies entspricht nicht den ungarischenVerfassungs- und den europäischen Men-schenrechtsnormen.“79

Im Speziellen nimmt die Klage desParlamentsbeauftragten für BürgerrechteBezug auf die nach der Gesetzesänderungdurch die Budapester Stadtverwaltungim Mai 2011 erlassene Regelung, die dieVerhängung von Ordnungsgeldern gegen„permanentes Leben auf der Straße” vor-

sieht. Bei wiederholter Zuwiderhandlungwerden sogar Geldstrafen in Höhe von150.000 HUF (ca. 500 Euro) oder Er-satzfreiheitsstrafen (wenn die Geldstrafenicht gezahlt wird) verhängt. Bereits inseinem Bericht vom Juli 2011 habe derOmbudsmann angemahnt, die Regelunglasse den Kommunalverwaltungen zugroßen Spielraum für Sanktionen, mitdenen die Menschenwürde und dieGrundrechte besonders schutzbedürftigerGruppen verletzt würden. Der Parla-mentarische Beauftragte für Bürgerrechtehatte vor seiner Klage das Innenminis-terium sowie die Budapester Stadtver-waltung erfolglos zur Streichung derentsprechenden Passagen im neuen Ge-setz und dem entsprechenden Erlassaufgefordert.

Bereits in seinem Bericht vom August2011 zu den Fällen von zehn obdachlosensomalischen und irakischen Flüchtlingen(die die ungarische Menschenrechts-NGO Mahatma Ghandi ihm vorlegt hatte)war der Parlamentsbeauftragte für Bür-gerrechte u. a. zu folgendem Schluss ge-kommen:

„Es ist klar, dass dieser Beschluss mitdem Vorsatz gefällt wurde, die Obdachlosenvon den Straßen der Stadt zu vertreiben,aber auch, dass es den Status eines Ob-dachlosen mit einem kriminellen Akt gleich-setzt. Von dem Moment an, als diese Rege-lung in Kraft trat, wurde es illegal, in Buda-pest obdachlos zu sein und es wurde zurNotwendigkeit für sie, unter allen Umstän-den eine Unterkunft zu finden, die Flücht-linge, die keine Dokumente besaßen, warenjedoch nicht in der Lage, untergebracht zuwerden, daher wurden sie, ohne Unrechtgetan zu haben, nicht nur obdachlos, sondernauch noch kriminell. Diese Kombinationvon Umständen verursacht eine Verletzungihrer Grundrechte, des Rechts auf Men-schenwürde.“ 80

ZUGANG ZUM ARBEITSMARKT

Auf eine etablierte „Community“ kön-nen insbesondere somalische Flüchtlinge

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D.A.B. (17 JAHRE ALT,AUS SOMALIA)

kam Ende 2007 nach Ungarn. Vor allemdie schrecklichen Erlebnisse in Ungarnseien es, die ihn nicht zur Ruhe kommenlassen, erzählt der nach fachärztlicher Aus-sage schwer traumatisierte Jugendliche:„Mein Kopf gibt mir viele verschiedeneBefehle, denn ein Obdachloser ändert seineEntscheidung ständig. Seitdem ich in Un-garn bin, bin ich ein Nomade. Im Winterwaren wir in Nachbarländern. Dort warendie Bahnhöfe wärmer. Ich bin sehr müdegeworden. Wir sind in Ungarn - besondersim Winter - völlig schutzlos. Abgas- undLüftungsschächte von Heizungen habenwir uns gesucht, um uns zu wärmen, undnicht mal da dürfen wir bleiben. Wir leidenin Europa und wir hungern in Europa. Wirerleben das gleiche, weshalb wir unsereHeimat verlassen haben. Es gibt JugendlicheSomalis, die an Ungarn verrückt gewordensind. Sie wurden verrückt und sind zu-rückgeflohen, nach Griechenland oder bisnach Syrien. Einer schaffte es bis zurück

nach Somalia und wurde dort umgebracht.“D. lebte nach einer Abschiebung aus derSchweiz in Budapest auf der Straße. Inder Erstaufnahme in Bicske hing sein Fotoneben anderen an der Pforte aus, die inden letzten Monaten dort rausgeworfenwurden: „Sie hängen die Fotos auf, damituns an der Pforte direkt gesagt wird, dassfür uns hier kein Platz mehr ist“, erzähltD. Er bettelte Touristen um Essen an undernährte sich phasenweise aus dem Müll.„Häufig habe ich Durchfall bekommen vondem weggeworfenen Essen. Und das istauf der Straße sehr schlimm! Wie willstdu da schnell eine Toilette finden.“ AuchD. berichtet über Angriffe von Rechtsradi-kalen. Das größte Problem sei aber derungarische Winter. Im Winter, so sagt er,zeige sich das Fehlen einer somalischenCommunity in Budapest am meisten. „Einanderer Somalier hätte vielleicht Mitleidund würde sagen, komm, heute Nachtkannst du bei mir schlafen. Ein Freundvon mir wurde kürzlich aus Frankreich ab-geschoben. Er sagte mir im Chat: „Ich habehier in Budapest keinen einzigen Somali

gesehen. Wo sind die denn alle hin?“ Kaumeiner hält es dort lange aus, denn du kannstnichts erreichen und keiner bleibt überden Winter.“ Als die Obdachlosen zuneh-mend aus den Bahnhöfen Budapests ver-trieben wurden, seien sie auf die Randbe-zirke ausgewichen und hätten in verlassenenSchrebergärten geschlafen: „Wenn wir einenPlatz gefunden hatten zum Schlafen, konn-ten wir ihn am nächsten Tag nicht mehrbenutzen, weil die Polizei mitbekommenhat, wo wir schlafen und kam, um uns zuvertreiben. Wir bettelten, um ein bisschenGeld zu haben, damit wir ein paar Stundenim Internet-Café bleiben können, wo eswarm ist. Aber die machen auch irgendwannzu und dann müssen wir da auch raus. Esgab Nächte, in denen wir überhaupt nichtgeschlafen haben. Wir sind rumgerannt,bis die Sonne aufging.“ D. lebt inzwischenin einer Jugendeinrichtung in Hessen undbefindet sich in psychologischer Behand-lung. Nachts sind D.s Angstzustände be-sonders stark, nach 3-4 Stunden Schlafmuss D. aufstehen, da er Albträume hat.

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in Budapest nicht zurückgreifen. Daherist es für sie wie auch für viele andereMinderheiten de facto kaum möglich,Arbeit zu finden. Somit haben anerkannteFlüchtlinge zwar Zugang zum Arbeits-markt, nur ist es praktisch unmöglich,Arbeit zu finden. Wir haben im Rahmenunserer Recherche mit keinem einzigen(anerkannten) Flüchtling gesprochen,der Arbeit in Ungarn hat bzw. hatte, we-der legal noch informell, etwa als Tage-löhner auf einer Baustelle.

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WARTENDER FLÜCHTLING IM FLÜCHTLINGSLAGER DEBRECEN Foto: UNHCR / Béla Szandelszky

ARBEITSMIGRATION VON

UND NACH UNGARN

Wir gewannen den Eindruck, die Ab-nahme der Bevölkerung in Ungarn mitungarischen Pässen liegt nicht an der Emi-gration, sondern habe eher demographischeGründe. Anders als in der Ukraine, Ru-mänien oder Bulgarien emigrieren bisheute relativ wenige aus Ungarn. Das hatauch Folgen für den Arbeitsmarkt. Währendin Rumänien auf Grund des durch die Ar-beitsmigration entstandenen Arbeitskräf-temangels viele AsiatInnen auf dem Bau,in Fabriken und auch Privathaushaltenarbeiten, hängt der Arbeitsmarkt in Ungarninsgesamt weit stärker von allgemeinenwirtschaftlichen Entwicklungen ab. In Zei-ten des Booms konnten ukrainische Bau-arbeiter leicht Jobs in Budapest finden,dies ist jedoch aktuell nicht mehr der Fall.

Auf Druck der EU, des InternationalenWährungsfonds (IWF) als auch aus wirtschaftlichen Gründen wurde wie in ande-ren osteuropäischen Ländern das Renten-eintrittsalter für Frauen und Männererhöht. Der sogenannte „inaktive“ Teil derBevölkerung, d.h. FrührentnerInnen, In-valide, SchwarzarbeiterInnen, geriet zu-nehmend unter Druck, Arbeit zu suchen.Mit der Folge, dass migrantische Arbeits-kräfte kaum eine Chance auf dem ungari-schen Arbeitsmarkt haben. Die Anzahl derSchwarzarbeiterkontrollen, die Reorgani-sierung der Landwirtschaft, die Krise imBausektor haben insgesamt die Chancenfür MigrantInnen, Arbeit zu finden, deut-lich verschlechtert.

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KEINE FAMILIEN-ZUSAMMENFÜHRUNG FÜRANERKANNTE FLÜCHTLINGE

Familienzusammenführungen sindvor allem für Somalis aufgrund der Nicht-anerkennung somalischer Pässe sowievon Ersatzdokumenten durch die unga-rischen Behörden81 de facto unmöglich.Dies ist ein weiterer Grund dafür, dasssich viele somalische Flüchtlinge trotzungarischer Flüchtlingsanerkennung zurWeiterflucht entscheiden.

Der UNHCR-Bericht über Obdachlo-sigkeit dokumentiert den dramatischenFall einer jungen Somalierin, die ihredrei Kinder bei ihrer eigenen Mutter inSomalia zurückließ, um in Europa Schutzzu suchen. Nach ihrer Flüchtlingsaner-kennung wurde ihr von einem Sozialar-beiter in Bicske erklärt, dass es nichtmöglich sein werde, mit den Kindern inUngarn wieder zusammenzukommen,da Ungarn keine somalischen Reisedo-kumente anerkenne. Sie berichtet:

„Ich war zehn Tage in Bicske und sah,dass ich hier gar nichts erreichen konnte.Wenn ich meine Kinder nicht nach Ungarnbringen kann, dann müsste ich dringendarbeiten, um sie in Somalia ernähren zukönnen. Ich ging nach Schweden, um Arbeitzu suchen. Nach 15 Tagen erreichte michdie Nachricht, dass zwei meiner Kinder inSomalia getötet wurden.“82

RASSISTISCHE ÜBERGRIFFE

Ein weiteres gravierendes Problem,von dem uns mehrfach berichtet wurde,ist der in Ungarn weit verbreitete Ras-sismus. Immer wieder berichteten unsFlüchtlinge von teils massiven rassisti-schen Übergriffen. Fast alle Flüchtlinge,mit denen wir sprachen und die in Ungarnobdachlos waren, haben rassistische Be-leidigungen, Beschimpfungen und Dis-kriminierung erlebt. Fast alle wurdenmindestens einmal sogar Opfer körper-licher Angriffe aufgrund von Rassismusoder haben derartige Angriffe auf Freundeund Bekannte miterleben müssen. Seit2010 die rechtsextreme Partei JOBBIK(Bewegung für ein besseres Ungarn) beiden Parlamentswahlen 17 Prozent derStimmen erhielt und damit die dritt-stärkste Kraft ist, geriet der Antiziga-nismus in Ungarn zunehmend in denBlickpunkt der europäischen Öffentlich-keit. Zuletzt machten Pogrome gegendie ethnische Minderheit der Roma in-ternational Schlagzeilen. Und immerwieder werden auch schwarze Menschenin Ungarn Opfer rassistischer Gewalt,wie uns in verschiedenen Interviews be-richtet wurde.

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SITUATION VON ROMA IN UNGARN

In Ungarn leben sowohl Roma mitungarischer Staatsangehörigkeit als auchStaatsangehörige der benachbarten Staa-ten, etwa aus Rumänien oder Serbien.Viele Kriegsflüchtlinge aus dem ehema-ligen Jugoslawien waren Roma. Gegen-wärtig muss davon ausgegangen werden,dass viele Flüchtlinge aus dem Kosovoebenfalls Roma sind.

Im Sozialismus, zu Zeiten der Voll-beschäftigung, waren die meisten RomaHilfsarbeiter oder Bergarbeiter. Oftmalswohnten sie unter prekären Bedingungenin der Nähe der Fabriken. Die Roma inUngarn waren mit die ersten, die in derZeit der politischen Veränderung undder damit einhergehenden Deindustria-lisierung auf der Straße landeten. DieMehrheit der Roma besuchte lediglichSonderschulen. Neue Siedlungen fürRoma wurden vor allem in Hinblick aufihre Kontrollierbarkeit geplant. DieRoma-Communities wurden in die Pla-nung der Ansiedlungsprojekte nicht ein-bezogen. Dies hat sich bis heute kaumgeändert. Allerdings ist die Roma-Com-munity auch mit neuen roma-feindlichenGesetzen konfrontiert. Das vor einigerZeit eingeführte Holzsammelverbot, wel-ches tausende von Ermittlungsverfahrennach sich zog, sei hier als eines vonvielen Beispielen genannt.

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R A S S I S T I S C H E Ü B E R G R I F F E

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ALS A.D.N. (17 JAHRE ALT,

AUS SOMALIA)

im April 2008 in Ungarn ankam, gaber aus Angst ein falsches Geburtsdatuman: seine Helfer hatten (offenbar ausFurcht, wegen Schleusung Minderjährigerhärter bestraft zu werden) von ihm ver-langt, sich älter zu machen. Als er wenigeMonate später aus der Erstaufnahme inBicske entlassen wurde und obdachloswurde, floh A. aus Ungarn nach Finnland.Dort gab er sein richtiges Alter an, erwar gerade 15 Jahre alt geworden. ZehnMonate später wurde A. von der Polizeiaus der finnischen Jugendeinrichtung ge-holt und nach Ungarn abgeschoben. AlsA. in Ungarn am Flughafen ankam, wurdeer durch ungarische Polizisten befragt.„Sie fragten mich, warum ich abgehauenbin. Ich habe gesagt, dass ich auf derStraße nicht überleben kann. Sie habenmich einfach aus dem Flughafen rausge-schmissen. Ich wollte nicht gehen, weilich keine Ahnung hatte, wo ich hingehensollte, aber sie beschimpften mich. Ichbekam Angst, dass sie mich schlagen undso ging ich dann doch lieber freiwilligraus. Weil ich keine Ahnung hatte, woich hingehen sollte, ging ich zum Flücht-lingslager in Bicske, aber der Pförtnersagte: ‚Du bist hier nicht mehr angemeldet,du kannst nicht hier bleiben!’ Scheinbarbekam er aber doch Mitleid mit mir undso sagte er: ‚Du kannst heute bis fünfUhr morgens hier bleiben, bis die anderenMitarbeiter kommen, dann musst du ver-schwinden.’“ Im Winter floh A. erneutaus Ungarn: „Ihr seid in Deutschland ge-boren. Ihr wisst selbst, dass man in diesen

Ländern im Winter nicht im Freien schla-fen kann.“ Diesmal ging A. nach Frank-reich. Wieder lebte er in einer Jugend-einrichtung, wieder besuchte er eine Schu-le, hatte ein Bett und bekam Essen. Auchaus Frankreich wurde A. abgeschoben,wieder holte ihn die Polizei aus der Ju-gendeinrichtung, wieder wurde er in Buda-pest in die Obdachlosigkeit entlassen:„Es war ja schon das zweite Mal und sodiskutierte ich nicht mehr so viel mit derungarischen Polizei, wie bei der erstenAbschiebung aus Finnland. Ich blieb still,weil ich ja noch einen Platz suchen musste,wo ich die Nacht auf der Straße verbringenkonnte, bevor es zu dunkel war.“ A. lebteerneut monatelang auf der Straße. Erging nicht zur Schule, er fand selten aus-reichend Essen und er schlief unter Papp-kartons: „Das schlimmste für mich warendie Hunde. Die Leute gehen mit den Hun-den spazieren und wenn du auf der Straßeliegst, um zu schlafen, dann pissen dieHunde einfach auf dich. Und die Hunde-besitzer sagen gar nichts und gehen ein-fach weiter. Manche Leute beschimpfendich und manche treten und schlagenund werfen mit Flaschen nach uns, wennsie betrunken sind. Es gibt viel Rassismusin Ungarn. Wie kannst du das aushalten:als Obdachloser leben zu müssen unddann auch noch dieses Beschimpfen, Be-leidigen und Anpinkeln zu ertragen?“ A.wurde in der Obdachlosenküche gesagt:„Schwarze hinten anstellen!“, und wenner an die Reihe kam, war das Essen oftmalsaus. Einmal verweigerte ihm ein Sozial-arbeiter im Winter ein Hilfspaket, als erentdeckte, dass ein Schwarzer unter demPappkarton lag.

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Der vorliegende Bericht dokumentiertsystemische Mängel hinsichtlich derAufnahmebedingungen für Asylsu-chende und des Zugangs zu einem fai-ren Asylverfahren in Ungarn.

RECHTSWIDRIGE INHAFTIERUNG

VON SCHUTZSUCHENDEN

Die Mehrheit der Asylsuchenden inUngarn und der Überstellten auf Grund-lage der Dublin II- Verordnung wird inbesonderen Haftzentren inhaftiert. ImDezember 2010 wurde die maximale Ab-schiebungshaftdauer von sechs auf zwölfMonate heraufgesetzt.

Die ungarischen Behörden inhaftierenauch psychisch schwer belastete Schutz-suchende nach Dublin II-Rücküberstel-lungen monatelang. Dies geschieht selbstdann, wenn die psychische Erkrankungdurch ärztliche und psychologische Gut-achten dokumentiert ist.

KEIN EFFEKTIVES RECHTSMITTEL GEGEN

DIE VERHÄNGUNG VON

ABSCHIEBUNGSHAFT

Es gibt de facto kaum eine Möglichkeit,gegen die Inhaftierung ein effektivesRechtsmittel einzulegen. Zwar ist ge-setzlich festgelegt, dass die Inhaftierung

unverzüglich zu beenden sei, wenn sichherausstellt, dass eine Abschiebung nichtdurchführbar ist. In der Praxis wird diesegesetzliche Regelung kaum angewendet.Die Inhaftierung kann für maximal 72Stunden ohne richterlichen Beschlussangeordnet werden, danach entscheidetein Haftrichter monatlich über die Ver-längerung der Haft. Diese gerichtlicheUntersuchung ist nach Einschätzungvon UNHCR allerdings eine bloße For-malität und führt zu keiner inhaltlichenÜberprüfung der Haftgründe. Dem Un-garischen Helsinki Komitee ist kein Fallbekannt, in dem ein Haftrichter dieVerlängerung der Haft nicht angeordnethätte.

BESONDERS SCHUTZBEDÜRFTIGE IN HAFT

Schwangere, alte, körperlich oder geis-tig behinderte Asylsuchende können ge-meinsam mit allen anderen inhaftiertsein. Eine psycho-soziale Versorgungsteht in den ungarischen Haftlagernnicht zur Verfügung.

SYSTEMATISCHER EINSATZ VON

BERUHIGUNGSMITTELN WÄHREND DER

INHAFTIERUNG

UNHCR, das Ungarische Helsinki Ko-mitee und die Verfasserinnen dieses Be-richtes dokumentieren Aussagen von in-haftierten Schutzsuchenden, dass ihnensystematisch Medikamente oder Beru-higungsmittel verabreicht wurden. DieseInformationen wurden nach Angabendes UNHCR auch von Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern der Aufnahmeeinrich-tung bestätigt, in der Asylsuchendenach Ende ihrer Inhaftierung unterge-bracht wurden.

MISSHANDLUNGEN DURCH POLIZEI-

KRÄFTE IN DEN HAFTEINRICHTUNGEN

Bei den Befragungen von Inhaftiertendurch UNHCR im September 2011 wurdefestgestellt, dass Misshandlungen durchPolizeikräfte in den Hafteinrichtungenam der Tagesordnung sind. UNHCR be-richte: Es hat den Anschein, dass Miss-handlungen und Belästigungen durchdie Polizisten alltäglich vorkommen.

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ZUSAMMENFASSUNG

Systemische Mängel im ungarischenAufnahme- und Asylsystem erfordernReaktionenRECHTLICHE EINSCHÄTZUNG UND FORDERUNGEN

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DUBLIN- ÜBERSTELLTEN WIRD DER ZU-

GANG ZU EINEM FAIREN ASYLVERFAH-

REN VERWEIGERT

Asylsuchenden, die nach der Dublin-Verordnung nach Ungarn überstellt wer-den, wird – als generelle Praxis – sofortein Abschiebungsbescheid ausgehändigt,unabhängig von ihrem Wunsch, Asyl zubeantragen. Schutzsuchende, die bei ih-rem ersten Aufenthalt in Ungarn bereitseinen Asylantrag gestellt hatten, könnenihr unterbrochenes Asylverfahren nichtfortsetzen. Ihr Schutzgesuch wird alsFolgeantrag gewertet. Asylfolgeanträgehaben in der Regel keine aufschiebendeWirkung gegen Abschiebungsmaßnah-men: Die Folge: Dublin-Überstellte sindoftmals schutzlos gegen Abschiebung,selbst wenn ihr Asylantrag nie in einemEU-Mitgliedstaat untersucht wurde;

DROHENDE KETTENABSCHIEBUNGEN

NACH SERBIEN

Es besteht für Dublin-Rücküberstelltedie Gefahr der Kettenabschiebung nachSerbien. Die ungarische Asylbehördesieht Serbien als sicheren Drittstaat fürAsylsuchende an. Schutzsuchenden, dieüber Serbien nach Ungarn eingereistsind, droht ohne vorherige Asylprüfungdie Zurückschiebung nach Serbien. Dies

gilt auch für Verfahren, in denen derAntragsteller zuvor aufgrund der Dub-lin-II-Verordnung nach Ungarn rück-überstellt wurde.

MINDERJÄHRIGE WERDEN WILLKÜRLICH

ÄLTER GEMACHT

Minderjährigen, die im Rahmen derDublin-II-Verordnung als Minderjährigevon einem anderen europäischen Staatnach Ungarn überstellt werden, laufenGefahr in Ungarn wie Erwachsene be-handelt zu werden. Die ungarischen Be-hörden missachten häufig Dokumentezur Altersfeststellung und machen min-derjährige Flüchtlingskinder durch bloßeund willkürliche Inaugenscheinnahmezu Erwachsenen.

KEINE ANGEMESSENEN AUFNAHMEBE-

DINGUNGEN FÜR DUBLIN- ÜBERSTELLTE

Diejenigen Dublin-Überstellten, dienicht inhaftiert werden, haben keinenZugang zu angemessenen Aufnahmebe-dingungen: Die rechtswidrig als Asyl-folgeantragssteller eingestuften Dublin-Überstellten sind nicht berechtigt, dieUnterbringung und Unterstützung inAnspruch zu nehmen, die normalerweiseAsylsuchenden in Ungarn zur Verfügungstehen.

OBDACHLOSIGKEIT UND PERSPEKTIVLO-

SIGKEIT VON ANERKANNTEN

FLÜCHTLINGEN

Anerkannten Flüchtlingen stehen inUngarn nur sechs Monate Unterbringungin einer Flüchtlingsunterkunft zu. DieserZeitraum kann in besonderen Fällenum weitere sechs Monate verlängertwerden. Danach droht die Obdachlosig-keit. Neben fehlenden Integrationsmög-lichkeiten ist Obdachlosigkeit die Haupt-ursache für anerkannte Flüchtlinge, sichder prekären Situation in Ungarn durchWeiterreise in ein anderes europäischesLand zu entziehen.

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die regelmäßige Inhaftierung vonSchutzsuchenden – Asylantragstellernund Dublin-Überstellten – stellt eineVerletzung von Art. 5 EMRK (Recht aufFreiheit und Sicherheit) dar. Die Inhaf-tierungspraxis von Minderjährigen ver-letzt zudem die UN-Kinderrechtskon-vention. Beschwerden gegen die Abschie-bungshaft sind nicht effektiv, da dieVerlängerung der Abschiebungshaft inder Regel automatisch verhängt wird.Dies stellt eine Verletzung von Art. 13EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde)dar.

Z U S A M M E N F A S S U N G E

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Der Einsatz von Beruhigungsmittel,sowie die Misshandlungen in ungarischenHaftanstalten stellen eine unmenschlicheund erniedrigende Behandlung (Art.3EMRK) dar. Diese menschenrechtswid-rigen Praktiken müssen lückenlos un-tersucht und beendet werden. In diesemZusammenhang muss auch das Antifol-terkomitee des Europarates aktiv werden.

Solange anerkannte Flüchtlinge odersubsidiär Schutzberechtigte trotz ihresStatus gezwungen werden, unter un-menschlichen Bedingungen in Ungarnauf der Straße zu leben und keine hin-reichende Unterstützung von der Regie-rung erhalten, müssen die EU- Mitglied-staaten Verantwortung für diese Gruppeübernehmen. Um Artikel 3 der EMRKnicht zu verletzen, ist davon abzusehen,Abschiebungen nach Ungarn durchzu-führen. Anerkannte Flüchtlinge solltenin Europa die volle Freizügigkeit genießenund anderen Bürgern von Mitgliedstaatengleichgestellt sein.

RECHTLICHE BEWERTUNG IM LICHTE DES

GRUNDSATZURTEILS DES EUGH VOM

21. DEZEMBER 2011

Der Europäische Gerichtshof (EuGH)hat in seinem Grundsatzurteil die zen-tralen Aussagen, die der EuropäischeMenschenrechtsgerichtshof (EGMR) be-reits am 21. Januar 2011 in seiner sog.M.S.S.-Entscheidung getroffen hat, über-nommen und klargestellt, dass es keinblindes Vertrauen in die Funktionsfä-higkeit und Sicherheit anderer Mitglied-staaten gibt, wenn es um die Beachtungder Grundrechte gegenüber Flüchtlingengeht.

So müssen die EU-MitgliedstaatenBerichte – auch von Seiten der Nichtre-gierungsorganisationen – zur Kenntnisnehmen und eine Bewertung durchfüh-ren, ob die menschenrechtlichen Anfor-derungen noch gewahrt sind.

Der EuGH stellt weiterhin klar, dassAsylsuchende nicht in einen nach derDublin II-Verordnung zuständigen Mit-gliedstaat überstellt werden dürfen, wenndie Gefahr besteht, dort einer unmensch-lichen und erniedrigenden Behandlungausgesetzt zu werden. Der EuGH stelltfest, dass es eine „unwiderlegliche Ver-mutung der Sicherheit“ in dem anderenMitgliedstaat nicht geben darf. Eine solcheunwiderlegliche Vermutung ist mit denUnionsgrundrechten nicht vereinbar.

Der Asylsuchende kann nach Auffas-sung des EuGH „systemische Mängel“des Asylverfahrens oder der Aufnahme-bedingungen, die eine „unmenschlicheoder erniedrigende Behandlung der andiesen Mitgliedstaat überstellten Asyl-bewerber“ belegen, geltend machen. Dervorliegende Bericht, die Stellungnahmendes Ungarischen Helsinki Komitees, unddes UNHCR dokumentieren systemischeMängel hinsichtlich der Aufnahmebe-dingungen und des Asylverfahrens inUngarn. Nationalstaatliche Behörden undGerichte sind von daher verpflichtet, dieÜberstellung von Asylsuchenden nachUngarn zu unterlassen. Die EuropäischeKommission muss handeln: Angesichtsder eklatanten Mängel im ungarischenAsylsystem ist die Einleitung von Ver-tragsverletzungsverfahren dringend ge-boten. Angesichts der desparaten Situa-tionen von Flüchtlingen, denen interna-tionaler Schutz in Ungarn gewährt wurde,ist offenkundig, dass die Anerkennungs-richtlinie nicht umgesetzt wurde>

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Um diesen Bericht zu schreiben, haben wirmit vielen Menschen mit unterschiedlichenHintergründen gesprochen. Allen, die unsunterstützt haben, möchten wir herzlichdanken. Manchmal haben wir Berichte ge-hört, die uns beim Zuhören sehr erschütterthaben. Vor allem für diejenigen, die uns vonihren eigenen Erfahrungen berichtethaben, war es oft nicht leicht zu sprechen,denn viele Fluchtgeschichten sind schmerz-haft. Viele haben diesen Schritt ausdrück-lich aus Solidarität mit jenen getan, die alsnächste den Weg durch Ungarn gehen. Wirmöchten uns an dieser Stelle für das unsentgegengebrachte Vertrauen bedanken.Wir hoffen, dass dieser Bericht manchender Beteiligten eine Hilfe sein kann auf derSuche nach Anerkennung ihres Rechts aufein menschenwürdiges Leben. Und uns ge-meinsam einem Europa ein winzigesSchrittchen näherbringt, das in der Zu-kunft sein könnte: ein weltoffenes Europa,das Willkommen heißt.

Eine weitere Danksagung gilt einem jungenafghanischen Flüchtling, ohne den dieserBericht über die Flüchtlingssituation in Un-garn wahrscheinlich nie zustande gekom-men wäre. Im Juli 2010 gab E.A. uns einTelefoninterview, er befand sich zu diesem

Zeitpunkt in Schweden, von wo aus er balddarauf weiterfloh – um der Abschiebungnach Ungarn zu entgehen, diesmal nachDeutschland. Im Kapitel „Minderjährigeunbegleitete Flüchtlinge“ ist seine Odysseedurch Europa beschrieben. E.A. ist nochimmer in Deutschland. Das Telefoninter-view mit ihm stand ganz am Anfang unse-rer Recherche und so soll dieser Bericht -stellvertretend für viele andere, mit denenwir sprachen - mit der Empfehlung enden,die er schon damals abgab:

Was muss sich ändern, damit du dich respektiert fühlst?

E.A.: Oh, da gibt es so viele Dinge, die ge-ändert werden müssen! Sie müssen ver-suchen zu verstehen: wir müssen dieseganze Dublin-Regelung abschaffen.Wenn jemand sterben wird, interessiertes sie nicht. Sie interessieren sich nur fürdiese Regel. Aber wofür sind Regeln ge-macht? Sind sie gemacht, um Menschenzu töten? Sollen sie uns alle verrücktmachen? Menschen zurückzuschickenin griechische Gefängnisse, in ungari-sche Gefängnisse… Diese Regelung, siemuss wirklich abgeschafft werden.Manchmal denke ich darüber nach, nach

Afghanistan zurückzukehren, denn daskönnte zumindest besser sein als Un-garn. Aber dort kann ich auch nichtüberleben! Meine Hoffnung ist abhängigvon einer Unterschrift. Von jemandem,der irgendwo in irgendeinem Büro sitzt.Ich weiß nicht einmal, wer es sein wird,der über meine Zukunft entscheidet, ir-gendwo in seinem Büro. Und es betrifftnicht nur mich. Es gibt so viele Jungs inderselben Situation. Dublin II bedeutet,sie spielen Fußball mit uns, schießenuns von einem Land ins nächste, siespielen mit uns und verschwenden un-sere Zeit. Wir haben eine Hoffnung:Dass es jemanden gibt, der zuhört, dassda jemand ist in Europa, der wirklichversteht. Ich denke, wenn die Verant-wortlichen nicht verstehen, dann musses andere geben, die es ihnen begreiflichmachen. Ich danke dir, ich bin sehr froh,dass uns jemand zuhört.

Ich danke dir, dass du mit uns gesprochen hast!

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DANKSAGUNG

Dublin II bedeutet, sie spielen Fußball mit uns…KURZINTERVIEW MIT EINEM AFGHANISCHEN JUGENDLICHEN

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BERICHTE

AMNESTY INTERNATIONAL, Amnesty International Annual Report 2011 - Hungary, 13. Mai 2011.

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http://www.unhcr.org/refworld/country,,AMNESTY,,HUN,,4dce156445,0.html

BORDER MONITORING PROJECT UKRAINE, Access to Protection Denied - Refoulement of Refugees and Minors on the Eastern Borders of

the EU - the case of Hungary, Slovakia and Ukraine, November 2010.

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http://bordermonitoring-ukraine.eu/files/2010/11/refoulement-report.pdf

EUROPEAN REFUGEE FUND, Country Report: Hungary, updated Mai 2007.

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http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_redakteure/INFORMATIONEN/ICF/Laenderberichte/4.Hungary_200705.pdf

HUMAN RIGHTS WATCH, Buffeted in the Borderland - The Treatment of Asylum Seekers and Migrants in Ukraine, Dezember 2010.

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http://www.hrw.org/en/reports/2010/12/16/buffeted-borderland-0

HUMAN RIGHTS WATCH, Rights on the Line, Human Rights Watch Work on Abuses against Migrants in 2010, Dezember 2011.

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http://www.hrw.org/de/reports/2010/12/12/rights-line

HUNGARIAN HELSINKI COMMITTEE, Stuck in Jail - Immigration Detention in Hungary 2010, April 2011.

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http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1306237449_hhc-20immigration-20detention-eng-final.pdf

HUNGARIAN HELSINKI COMMITTEE, Serbia as a Safe Third Country: A Wrong Presumption, September 2011.

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http://www.unhcr.org/refworld/docid/4e815dec2.html/

HUNGARIAN HELSINKI COMMITTEE, Access to Protection Jeopardised, Information note on the treatment of Dublin returnees in Hungary,

Dezember 2011.

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http://helsinki.hu/access-to-protection-jeopardised/

PARLIAMENTARY COMMISSIONER FOR CIVIL RIGHTS, Report in case number AJB 1692/2010 (and a related case: AJB 420/2010), Affected

bodies: Ministry of the Interior Office of Immigration and Nationality (Bevándorlási és Állampolgársági Hivatal), Bicske Reception Centre

(Bicskei Befogadó Állomás), The Municipality of Budapest, August 2011.

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http://www.obh.hu/allam/eng/pdf/201001692.pdf

UNHCR, Refugee Homelessness in Hungary, März 2010.

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http://www.unhcr.org/refworld/docid/4bb4b9ac2.html

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UNHCR, Submission by the United Nations High Commissioner for Refugees for the Office of the High Commissioner for Human Rights’

Compilation Report - Universal Periodic Review: Hungary, November 2010.

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http://www.unhcr.org/refworld/docid/4cd8f31b2.html

UNITED STATES DEPARTMENT OF STATE, 2010 Country Reports on Human Rights Practices - Hungary, 8. April 2011.

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http://www.unhcr.org/refworld/docid/4da56dbf9b.html

WELCOME TO EUROPE NETWORK, Kurzbesuch Ungarn: Budapest - Debrecen - Bicske, Dezember 2010.

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http://dublin2.info/files/2011/01/Kurzbesuch-Ungarn_12.2010.pdf

PRESSEERKLÄRUNGEN

BORDER MONITORING PROJECT UKRAINE / PRO ASYL, Kein Zugang zum Asylsystem für Flüchtlinge in Ungarn, 13. Januar 2011.

link >

http://www.proasyl.de/de/presse/detail/news/kein_zugang_zum_asylsystem_fuer_fluechtlinge_in_ungarn/

BUNDESFACHVERBAND FÜR UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE / WELCOME TO EUROPE NETWORK, Dokumentation von

fünf Einzelfällen von afghanischen jungen Flüchtlingen in Ungarn, April 2011.

link >

http://dublin2.info/2011/04/junge-afghanische-fluchtlinge-in-ungarn/

BUNDESFACHVERBAND FÜR UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE/WELCOME TO EUROPE NETWORK, Ungarn inhaftiert sys-

tematisch Asylsuchende - darunter auch Minderjährige, April 2011.

link >

http://dublin2.info/2011/04/ungarn-inhaftiert-systematisch-asylsuchende-darunter-auch-minderjahrige/39

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RECHTSSPRECHUNG

ASYLGERICHTSHOF ÖSTERREICH, Beschluss vom 27.10.2011 - Spruch S4 422.020-1/2011/4Z.

link >

http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=AsylGH&Dokumentnummer=ASYLGHT_20111027_S4_422_020_1_2011_00

ASYLGERICHTSHOF ÖSTERREICH, Beschluss vom 31.10.2011 - Spruch S4 422.020-1/2011/5E.

link >

http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=AsylGH&Dokumentnummer=ASYLGHT_20111031_S4_422_020_1_2011_00

EGMR, Case of Lokpo and Touré v. Hungary, Application no. 10816/10, 20.9.2011.

link >

http://helsinki.hu/wp-content/uploads/Microsoft-Word-CASE-OF-LOPKO-AND-TOURE-V-HUNGARY.pdf

VG ANSBACH, Beschluss vom 24.05.2011 - AN 11 E 11.30214.

link >

http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/18567.pdf

VG ANSBACH, Beschluss vom 09.06.2011 - AN 11 E 11.30254.

link >

http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/18632.pdf

VG HAMBURG, Beschluss vom 11.04.2011 - 19 AE 173/11.

link >

http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/18463.pdf

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SONSTIGES

AMNESTY INTERNATIONAL, Recommendations to Hungarian presidency: Mid-term review, 01.04.2011.

link >

http://www.amnesty.eu/content/assets/Doc2011/Letter_to_Hungarian_Presidency_Mid-term_Review_010411.pdf

DIETRICH, HELMUT, Flüchtlingslager an den neuen Außengrenzen - wie Europa expandiert, 24.02.2004.

link >

http://www.materialien.org/texte/migration/AussengrLager.pdf

KONICZ, TOMAS, Ungarn: „Kultur des Faschismus“, Ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky über den völki-

schen Ungeist in Ungarn, 03.05.2011.

link >

http://www.heise.de/tp/artikel/34/34646/1.html

KÖSZEG, FERENC, Die Mauer Europas verschiebt sich gen Osten und die Doppelmoral reist mit, in: Der Schlepper Nr.38, Frühjahr 2007.

link >

http://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_39/s39_34-35.pdf

KÖSZEG, FERENC, Neue Mauern im Osten. Zurückschiebungen und Flüchtlingslager an den EU-Ostgrenzen, in: Wolfgang Benz, Claudia

Curio, Heiko Kaufmann (Hrsg.), Von Evian nach Brüssel, Menschenrechte und Flüchtlingsschutz 70 Jahre nach der Konferenz von Evian, von

Loeper Literaturverlag, August 2008.

PRO ASYL, Newsletter Nr. 170.

link >

http://www.proasyl.de/de/news/newsletter-ausgaben/nl-2011/newsletter-nr-170/

UN NEWS SERVICE, Hungary facing crucial challenges on racism and intolerance, UN expert says, 31 Mai 2011.

link >

http://www.unhcr.org/refworld/docid/4decbed42.html 41

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1 Der Standard, 27.5.; FAZ 30.5.; Profil

15.6.; Tages-Anzeiger, Zürich, 5.11.; Format

30.11.

2 27.11.1998, stenographisches Protokoll

des Bundestags.

3 Zitiert nach Fortress Europe Circular

Letter, August 1998

http://www.fecl.org/open/german/d-nb-

9910-tampere.htm. Siehe auch Ferenc Kös-

zeg: Neue Mauern im Osten. In: Von Evian

nach Brüssel. Von Loeper Literaturverlag,

2008. p. 189.

4 Herr Kanther selbst musste 2000 sein

Bundestagsmandat niederlegen, weil er

beschuldigt wurde, gegen das Parteispen-

dengesetz verstoßen zu haben. 2007 wurde

er zu einer Geldstrafe von 54.000 Euro ver-

urteilt.

5 Ungarisches Helsinki-Komitee: Látoga-

tás az államhatáron három szakaszán.

[Besuch an drei Abschnitten der Staats-

grenze], 26.-30.1.2004. www.helsinki.hu.

6 Von meinen Erfahrungen berichtete ich

auf der Pro-Asyl-Tagung „Kein Ort. Nir-

gends?“ am 8.9.2006 in Tutzing. Eine ge-

kürzte Fassung erschien in: Der Schlepper

38, Frühjahr 2007. Ein Bericht von Stephan

Dünnwald: Vor dem Grenzzaun Europas. In:

Hinterland Magazin 4/2007, pp.6-15.

7 European Committee for the Prevention

of Torture and Inhumane or Degrading

Treatment or Punishment (CPT).

8 Für die statistischen Angaben zur Mi-

gration in Ungarn siehe:

www.bmbah.hu/statisztikak.php.

9 Siehe Quellenliste.

10 Die Terminologie „Flüchtling“ wird in

diesem Bericht nicht im juristischen Sinne

verwendet, sondern für alle Personen, die

gezwungenermaßen ihr Heimatland verlas-

sen mussten. Dort wo der Begriff im juris-

tischen Sinne verwendet wird, wird die

Terminologie „Flüchtling im Sinne der

Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)“ oder

„anerkannter Flüchtling“ benutzt.

11 Folgende Reisen fanden statt: 17./18.

Dezember 2010 (Budapest, Bicske, Debre-

cen), 28.-30. Januar 2011 (Budapest, Debre-

cen), 29./30./31. März 2011 (Budapest,

Debrecen), 11.-24. Juli 2011 (Budapest,

Bicske, Balassagyarmat), 15.-17. Septem-

ber 2011 (Budapest, Bicske, Balassagyar-

mat), 24.-27. November 2011 (Fót),

3.-6.Dezember 2011 (Budapest).

12 Das Hungarian Helsinki Committee

(HHC) ist eine Menschenrechts-NGO, die

sich seit Jahren mit Menschenrechtsver-

letzungen in den ungarischen Flüchtlings-

gefängnissen und –lagern

auseinandersetzt. Das HHC koordiniert ein

Netzwerk von Asylrechts-AnwältInnen. Ein

Anwalt des HHC ist im offenen Flüchtlings-

lager Debrecen präsent, zudem besuchen

AnwältInnen des Komitees die Gefängnisse

für MigrantInnen wöchentlich und machen

Border Monitoring an den Grenzen zur

Ukraine und Serbien. Webseite der Organi-

sation (z. T. auch englischsprachig):

www.helsinki.hu.

13 Border Monitoring Project Ukraine (auf

englisch) siehe: http://bordermonitoring-

ukraine.eu/.

14 Infomobil in Griechenland (auf englisch):

http://infomobile.w2eu.net/.

15 Englischsprachige Statistiken des OIN

2009-2010: http://www.bmbah.hu/statiszti-

kak_ENG_44.xls .

16 Refoulement: Ein zentrales Element

der Genfer Flüchtlingskonvention ist das

sogenannte Non-Refoulement-Gebot. Arti-

kel 33, Paragraph 1 der Konvention lautet:

„Keiner der vertragsschließenden Staaten

wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise

über die Grenzen von Gebieten ausweisen

oder zurückweisen, in denen sein Leben

oder seine Freiheit wegen seiner Rasse,

Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zuge-

hörigkeit zu einer bestimmten sozialen

Gruppe oder wegen seiner politischen

Überzeugung bedroht sein würde.“

17 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18.

Februar 2003 des Rates zur Festlegung der

Kriterien und Verfahren zur Bestimmung

des Mitgliedstaats, der für die Prüfung

eines von einem Drittstaatsangehörigen in

einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags

zuständig ist, ABl. Nr. L 50 S. 1.

18 Das OIN (Office of Immigration and Na-

tionality, ungarisch Bevándorlási és Állam-

polgársági Hivatal, BÁH) ist dem

Innenministerium unterstellt. Es ist das

ungarische Pendant zum deutschen Bun-

desamt für Migration und Flüchtlinge.

19 Wir benutzen in diesem Bericht durch-

gehend den Begriff Haftzentren für Flücht-

linge. Zwar ist diese Haft juristisch auf

einen Abschiebebescheid begründet, dieser

wird jedoch auch bei gestelltem Asylantrag

zuvor ausgestellt und der Asylantrag ist

dann in Bezug auf die Haft nachrangig und

begründet keine Aufhebung der Haft wäh-

rend des laufenden Verfahrens. In diesem

Sinne handelt es sich also nicht um reine

Abschiebegefängnisse.

20 Quelle (auf ungarisch):

http://www.bmbah.hu/aktualis.php?id=352

&PHPSESSID=.

21 Mit den Parlamentswahlen im April

2010 wurde die vorherige sozialistische Re-

gierung durch ein nationalkonservatives

Kabinett ersetzt.

22 Die hier beschriebenen Änderungen

sind in folgendem Bericht (auf englisch)

beschrieben: Hungarian Helsinki Commit-

tee, National report Hungary, in: Dublin

Transnational Project – Final report, May

2011, page 53.

23 Deutsch-ungarisches Rückübernahme-

abkommen in Kraft seit 1.1.1999.

24 Tramadol ist ein opioides (und recht

kostengünstiges) Schmerzmittel. Zu der

schmerzdämpfenden hat es zusätzlich

eine antidepressive Wirkkomponente. Ne-

benwirkungen sind Sedierung, Schläfrig-

keit, verschwommene Sicht und

Verwirrtheit. Der Entzug von Opioiden ge-

hört zu den langwierigsten überhaupt, so

können bei vorangegangenem starken

Konsum noch ein Jahr später Nebenwir-

kungen wie Schlafstörungen und Alp-

träume auftreten. (Quelle u. a.

wikipedia.de).

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25 Hungarian Helsinki Committee, National

report Hungary, in: Dublin Transnational

Project – Final report, page 54 - „Accor-

ding to the HHC’s knowledge, the Office of

Immigration and Nationality and the Natio-

nal Police Headquarters issued a joint in-

struction in March 2010 ordering that all

irregular migrants should be detained re-

gardless of their wish to seek asylum in

Hungary.“

26 Hungarian Helsinki Committee, National

report Hungary, in Dublin Transnational

Project – Final report, page 54 - „Local

courts issue basically identical decisions in

all cases, the reasoning of which is short

and laconic, lacking proper fact assess-

ment and individualisation. The HHC’S

long-standing experience shows that – un-

like in most European states – the exten-

sion of alien policing detention is automatic

in Hungary.”

27 Diese befanden sich (von April bis Juli

2010) in folgenden Orten: Baja, Csongrád,

Debrecen, Eger, Salgótarján, Sopron, Szé-

kesfehérvár, Tatabánya, Zalaegerszeg.

28 Hungarian Helsinki Committee, Immi-

gration Detention in Hungary 2010, April

2011.

29 Hungarian Helsinki Committee, National

report Hungary, in: Dublin Transnational

Project – Final report, page 54 - “Pregnant,

elderly, physically or mentally disabled

asylum seekers may be detained along

with everyone else. (…) Psycho-social care

is not yet available in immigration jails in

Hungary.“

30 Hungarian Helsinki Committee, Immi-

gration Detention in Hungary 2010, April

2011 – „During its monitoring visits the HHC

found in all facilities that a large number of

detainees had psychological or psychiatric

problems due to an untreated previous

trauma, bad detention conditions and/or

forced inactivity.”

31 Hungarian Helsinki Committee, Immi-

gration Detention in Hungary 2010, April

2011.

32 Welcome to Europe Network, Kurzbe-

such Ungarn: Budapest – Debrecen –

Bicske, Dezember 2010.

33 Hungarian Helsinki Committee, Immi-

gration Detention in Hungary 2010, April

2011 - „Such a severe limitation of move-

ment for several months and without any

legal ground results in extreme frustration,

which generates psychological and medical

problems, as well as an aggressive atti-

tude. The correlation experienced by the

HHC between the severe limitation of mo-

vement and the frequency of violent con-

flicts, self-harm and protests is therefore

not surprising.”

34 Hungarian Helsinki Committee, Immi-

gration Detention in Hungary 2010, April

2011, page 11-12.

35 Welcome to Europe Network, Kurzbe-

such Ungarn: Budapest – Debrecen –

Bicske, Dezember 2010.

36 Aus einem Brief von Henrike Janetzek,

UNHCR Zweigstelle Nürnberg vom 31.

Januar 2012 an Rechtsanwältin Schlung-

Muntau in Frankfurt.

37 Brief von Henrike Janetzek, UNHCR

Zweigstelle Nürnberg vom 31. Januar 2012

an Rechtsanwältin Schlung-Muntau in

Frankfurt.

38 Aus einem Brief von Henrike Janetzek,

UNHCR Zweigstelle Nürnberg vom 31.

Januar 2012 an Rechtsanwältin Schlung-

Muntau in Frankfurt.

39 RN 7.

40 RN 22.

41 RN 24: „(...) that the applicants were de-

prived of their liberty by virtue of the mere

silence of an authority – a procedure which

in the Court´s view verges on arbitrari-

ness.“

42 DiePresse.com vom 13.1.2012: http://die-

presse.com/home/panorama/oesterreich/7

23580/Strassburg-stoppt-erstmals-Ab-

schiebung-nach-Ungarn-.

43 Dublin Transnational Project:

http://www.dublin-

project.eu/dublin/Files/ECHR-Interim-

measure-against-the-transfer-of-an-asy-

lum-seeker-from-Austria-to-Hungary.

44 Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.

Januar 2003 zur Festlegung von Mindest-

normen für die Aufnahme von Asylbewer-

bern in den Mitgliedstaaten.

45 Bundesfachverband für unbegleitete

Minderjährige Flüchtlinge/ Welcome to

Europe Network, Ungarn inhaftiert syste-

matisch Asylsuchende – darunter auch

Minderjährige, April 2011.

46 Dabei wurde ihnen laut eigenen Aussa-

gen das Schlüsselbein geröntgt und sie

wurden einer Zahnuntersuchung unterwor-

fen.

47 BAMF Aktenzeichen: 5453564-423 und

5501277-273.

48 Siehe http://w2eu.net/2010/10/26/hun-

gary-imprisons-minors-after-dublin2-de-

portation/ .

49 Aus einem Brief von Henrike Janetzek,

UNHCR Zweigstelle Nürnberg vom 31.

Januar 2012 an Rechtsanwältin Schlung-

Muntau in Frankfurt.

50 Hungarian Helsinki Committee, National

report Hungary, in: Dublin Transnational

Project – Final report, page 55 - „On seve-

ral occasions during its detention monito-

ring visits the HHC has witnessed

unaccompanied minors detained in the im-

migration jails. After checking their files it

was noted, that the doctor determined their

age only by looking at their torsos. The way

age assessment is carried out in Hungary

is highly problematic.”

51 Aus einem Brief von Henrike Janetzek,

UNHCR Zweigstelle Nürnberg vom 31.

Januar 2012 an Rechtsanwältin Schlung-

Muntau in Frankfurt.

52 Alle Zahlen entstammen dem englisch-

sprachigen Abschlussbericht des Dublin

Transnational Project – Final report, May

2011.

53 Welcome to Europe Network, Kurzbe-

such Ungarn: Budapest – Debrecen –

Bicske, Dezember 2010.

43

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54 Hungarian Helsinki Committee, National

report Hungary, in: Dublin Transnational

Project – Final report, page 55 - “The OIN

does not consider persons returned under

Dublin as being asylum seekers automatic-

ally. In practice the alien police first starts

with an alien policing procedure (and issue

an expulsion order) and only after this, the

OIN registers asylum application. As a re-

sult, a person may be detained for the pur-

pose of expulsion which can last for the

entire duration of the asylum procedure,

but for a maximum of 12 months”.

55 Zitiert u.a. in folgendem Beschluss des

Asylgerichtshofs Österreich: Asylgerichts-

hof Österreich, Beschluss vom 27.10.2011 –

Spruch S4 422.020-1/2011/4Z.

56 Hungarian Helsinki Committee, Access

to Protection Jeopardised – Information

note on the treatment of Dublin returnees

in Hungary, December 2011.

57 Zitiert u.a. in folgendem Beschluss des

Asylgerichtshofs Österreich: Asylgerichts-

hof Österreich, Beschluss vom 27.10.2011 –

Spruch S4 422.020-1/2011/4Z.

58 Border Monitoring Project Ukraine/ Pro

Asyl, Kein Zugang zum Asylsystem für

Flüchtlinge in Ungarn, 13. Januar 2011.

59 Border Monitoring Project Ukraine, Ac-

cess to Protection Denied - Refoulement of

Refugees and Minors on the Eastern Bor-

ders of the EU – the case of Hungary, Slo-

vakia and Ukraine, November 2010 - „The

Border Monitoring Project Ukraine (BMPU)

has documented an alarming number of

unlawful returns to Ukraine. (…) BMPU re-

vealed serious violations of international

refugee law that are committed by the bor-

der police of several EU-member states.

Cases of refoulement by Hungarian and

Slovakian border patrols at the eternal bor-

ders of the EU are not an exception, but

occur on a regular basis.”.

60 UN High Commissioner for Refugees,

Submission by the United Nations High

Commissioner for Refugees for the Office

of the High Commissioner for Human

Rights’ Compilation Report - Universal Pe-

riodic Review: Hungary, November 2010 -

„Access to the country’s territory and to the

asylum procedure for asylum-seekers is

not ensured with full respect of the princi-

ple of non-refoulement. (…) For example,

complaints (confirmed by NGOs) were re-

ceived from and/or registered by Somali

and Afghan asylum-seekers, including se-

parated minors, on their apparently forced

return to Ukraine by the Hungarian Border

Police.”

61 Human Rights Watch, Buffeted in the

Borderland - The Treatment of Asylum

Seekers and Migrants in Ukraine, Novem-

ber 2010 - „More than half of the migrants

interviewed who had been returned from

Slovakia and Hungary said that they were

beaten or subjected to ill-treatment in

Ukraine. Most had tried to seek asylum in

Hungary or Slovakia, but said their claims

had been ignored and they were quickly ex-

pelled. Both countries also expelled unac-

companied children.” Und weiter: “This

report has shown that Slovakia and Hun-

gary have violated the principle of nonre-

foulement in both refugee and human

rights law, as well as their obligation under

EU law to provide access to asylum. This

report documents that Ukrainian officials

have tortured migrants returned from Slo-

vakia and Hungary and subjected them to

inhuman and degrading treatment and that

asylum seekers returned from Slovakia

and Hungary have not been provided ef-

fective protection from return to places

where they have a well-founded fear of

being persecuted or of being exposed to

other serious harm.”

62 Quelle: Artikel auf dem ungarischen

Nachrichtenportal origo.hu unter dem Titel

„Hungary, big problem“ - Magyarország

kapujában várják a csodát a harmadik világ

nyomorgói, 15.9.2011, verfügbar unter:

http://www.origo.hu/nagyvilag/20110914-

szerbia-arab-es-azsiai-menekultek-a-sza-

badka-melletti-erdoben-.html des

weiteren Fernsehbericht auf MTV Videotar,

15.9.2011, verfügbar unter:

http://videotar.mtv.hu/Videok/2011/09/15/19/

Menekultaradat_Szabadkan__rettegnek_a_

lakok.aspx.

63 „Hungary, big problem“ - Magyarország

kapujában várják a csodát a harmadik világ

nyomorgói, 15.9.2011, verfügbar unter:

http://www.origo.hu/nagyvilag/20110914-

szerbia-arab-es-azsiai-menekultek-a-sza-

badka-melletti-erdoben-.html.

64 Link zum Video:

http://mindennapi.blog.hu/2011/11/19/kifus-

tolt_menekultek_szabadkan?utm_source=

ketrec&utm_medium=link&utm_content=2

011_11_20&utm_campaign=index.

65 Hungarian Helsinki Committee, Serbia

As a Safe Third Country: A Wrong Pre-

sumption, September 2011 - „In reality, the

Serbian asylum system is largely dys-

functional. Many asylum-seekers face des-

titution and the entire system is heavily

underfunded and understaffed (only two of-

ficers have to deal with hundreds of cases).

Even though a large proportion of asylum-

seekers come from Afghanistan and Iraq,

Serbia has never granted refugee status to

anyone. Serbia automatically considers

Greece and Turkey as a safe third country,

while Belarus and Russia figure on its list

of safe countries of origin. The UNHCR cle-

arly advises against the consideration of

Serbia as a safe third country.”

66 Ebenda - „In the light of the grave defi-

ciencies of some of the neighbouring coun-

tries’ asylum systems (reference could be

made for example to the 2011 M.S.S. judge-

ment of the European Court of Human

Rights), this practice gives rise to a serious

risk of chain refoulement.”

67 Der Fall von Familie G. ist ausführlich

dokumentiert auf der Webseite des Bayri-

schen Flüchtlingsrates: http://www.fluecht-

lingsrat-bayern.de/familie-ghafari.html.

68 Umrechnungskurs Anfang des Jahres

2012.

69 Richtlinie zur Umsetzung des Asyl-

rechtsgesetzes, Nummer 301/2007, (XI.9),

Paragraph 52 (1).

70 Parliamentary Commissioner for Civil

Rights, Report in case number AJB

1692/2010 (and a related case: AJB

420/2010), Affected bodies: Ministry of the

Interior Office of Immigration and Nationa-

lity (Bevándorlási és Állampolgársági Hiva-

tal), Bicske Reception Centre (Bicskei

Befogadó Állomás), The Municipality of

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Budapest, August 2011 - „According to the

place the refugees reside at, a competent

notary can ascribe the refugee a living ex-

penses subsidiary, which is to be financed

by the local government. This subsidiary

can be requested four times at any time

once a year during those four years, and

the amount is 28.500 Ft and it can never

supersede the actual accommodation cost

amount. This subsidiary can be granted

only if the receipts for actual money trans-

fer intended for covering the accommoda-

tion expenses can be shown. Unfortunately

this subsidiary is rarely given to refugees,

because they do not manage to find flat

owners who are willing to issue a receipt

for their rental.”

71 In Ungarn hat die Position des Parla-

mentsbeauftragten für Bürgerrechte, wie

es dort heißt, in anderen Ländern wird

diese Funktion mit „Ombudsmann“ be-

zeichnet, seit 2007 Prof. Dr. Máté Szabó

inne. Von ihm stammen die im Weiteren zi-

tierten Berichte. Ombudsmann laut Defini-

tion der Internationalen

Juristenvereinigung:„Eine Institution, die

durch die Verfassung oder durch die Le-

gislative bzw. das Parlament gegründet

wird, die von einem der Legislative bzw.

dem Parlament gegenüber verantwortli-

chen, unabhängigen und hochrangigen Be-

amten geführt wird. Er untersucht in

eigener Befugnis die Anliegen der Perso-

nen, die sich an ihn gewandt haben, bezüg-

lich Verfahren von Behörden, Beamten,

Arbeitgebern oder anderen selbständigen

Organisationen. Er ist berechtigt, Maßnah-

men für die Korrektur der Rechtsverlet-

zungen zu initiieren und Berichte zu

erstatten.“ (Caiden: International Handbook

of the Ombudsman. Evolution and Present

Function. 1983. S. 44).

72 Quelle: http://www.ba-auslandsvermitt-

lung.de/lang_de/nn_2820/DE/LaenderEU/U

ngarn/Arbeiten/arbeiten-

knoten.html__nnn=true (alle Daten 2008,

�-Umrechnung gemäß Wechselkurs von

August 2008).

73 Parliamentary Commissioner for Civil

Rights, Report in case number AJB

1692/2010 (and a related case: AJB

420/2010), Affected bodies: Ministry of the

Interior Office of Immigration and Nationa-

lity (Bevándorlási és Állampolgársági Hiva-

tal), Bicske Reception Centre (Bicskei Be-

fogadó Állomás), The Municipality of

Budapest, August 2011 - “In lack of profes-

sional institutions which deal with home-

less foreigners in Hungary, none of the

organizations and/or state organs had the

proper means to release exact data about

how many homeless refugees are residing

in the capital of Hungary.”

74 UN High Commissioner for Refugees,

Refugee Homelessness in Hungary, March

2010.

75 UN High Commissioner for Refugees,

Refugee Homelessness in Hungary, March

2010 - „Hungary does not have a legal or

policy framework including a strategy that

deals specifically with the integration of

persons recognized to be in need of inter-

national protection. Under the Act LXXX of

2007 on Asylum, refugees and persons with

subsidiary protection have the rights and

obligations of a Hungarian citizen. They are

furthermore entitled to accommodation,

meals and pre-integration services provi-

ded at Bicske OIN run Pre-Integration Cen-

tre for the period of time stipulated in

Section 41 Subsections (1)-(3) of Govern-

ment Decree 301/2007.(XI.9.) on the imple-

mentation of the Asylum Law. Upon leaving

the centre, they are entitled to some spe-

cial benefits including Hungarian language

classes up to 520 hours, a subsistence al-

lowance of HUF 28,500 for a period of two

years from status recognition pending on

attendance of language courses as well as

a monthly housing allowance and estab-

lishment grant of HUF 171,000. There is no

government agency with a statutory re-

sponsibility for refugee integration at com-

munity level. Once refugees move out of

Bicske, they mostly rely on fragmented,

under-funded and project based refugee

support services in Budapest run by NGOs.

These cannot provide solutions to what are

often structural problems of integration re-

quiring a strategic, crossdepartmental re-

sponse.”

76 Parliamentary Commissioner for Civil

Rights, Report in case number AJB

1692/2010 (and a related case: AJB

420/2010), Affected bodies: Ministry of the

Interior Office of Immigration and Nationa-

lity (Bevándorlási és Állampolgársági Hiva-

tal), Bicske Reception Centre (Bicskei Be-

fogadó Állomás), The Municipality of

Budapest, August 2011 - “My colleagues

found that most of the refugees who had

returned went back to the centres because

they had no place to go to. They were re-

jected at the centres and they did not re-

ceive any help how to obtain documents

they needed, neither had they got any di-

rections at how to get them. Therefore

those refugees who were rejected from

going back to the centre, did not have any

identity cards and thus they could not apply

to places where they could have had a

chance to sleep and therefore they turned

homeless.”

77 UN High Commissioner for Refugees,

Refugee Homelessness in Hungary, March

2010.

78 Quellen (auf ungarisch): http://hvg.hu/it-

thon/20110427_hajlektalan_szabalysertes_k

ozgyules und http://szocialismunkas.free-

blog.hu/archives/2011/04/30/

79 Quelle:

http://www.obh.hu/allam/eng/index.htm –

Eintrag vom 8.12.2011 – “According to the

views of the Parliamentary Commissioner

for Civil Rights, the new regulation (the Act

on the shaping and protection of built envi-

ronment, 2010) enables the use of boarder

police actions on public places against

homeless people - thus criminalizing the

homeless people – cannot match the Hun-

garian constitutional and the European

human rights norms.”

80 Parliamentary Commissioner for Civil

Rights, Report in case number AJB

1692/2010 (and a related case: AJB

420/2010), Affected bodies: Ministry of the

Interior Office of Immigration and Nationa-

lity (Bevándorlási és Állampolgársági Hiva-

tal), Bicske Reception Centre (Bicskei

Befogadó Állomás), The Municipality of

Budapest, August 2011 - “It is clear that

this resolution is purposely made to chase

the homeless away from the city’ streets,

but also that it equals the status of a

homeless to a crime. From the moment

that this regulation was brought, it became

illegal to be a homeless in Budapest, and it

became a must for them to find an accom-

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Page 46: UNGARN - PRO ASYL · László Endre - Staatssekretär im Innenministerium - überzeugte Adolf Eichmann zuvor von der Machbarkeit. Die Verwaltung laufe wie im Frieden, die Gendarmerie

modation under any circumstances, howe-

ver, those refugees who did not have any

documents were not in a position to be ac-

commodated, therefore, without them

actually doing any ill, they became not only

homeless, but criminals as well. This set of

circumstances causes a breach of their

basic rights, the right to human dignity.”

81 Vergleiche Annex 1 des Ungarischen Re-

gierungsdekrets No. 328/2007 (XII.11.).

82 UN High Commissioner for Refugees,

Refugee Homelessness in Hungary, March

2010.

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MARC SPEER

ist Diplom-Soziologe und Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des BayerischenFlüchtlingsrats. Seit vielen Jahren be-schäftigt er sich mit der Situation vonFlüchtlingen in Osteuropa und ist u.a.im Border Monitoring Project Ukraineaktiv. Darüber hinaus ist er im Vorstandder Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl inder Kirche und des Vereins bordermo-nitoring.eu. Weiterhin promoviert er ge-genwärtig an der Universität Göttingenzum Thema „Transitmigration durch dieUkraine".

MARION BAYER

arbeitet seit vielen Jahren ehrenamt-lich für die Diakonische Flüchtlingshilfeim Main-Kinzig-Kreis. Seit 2009 reistesie regelmäßig nach Griechenland unddokumentierte dort vor allem die Le-benssituation von Flüchtlingen, die auf-grund der Dublin II-Verordnung nachGriechenland zurückgeschoben wurden.Seit Ende 2010 besuchte sie wiederholtUngarn, da sie im Rahmen ihrer Arbeitverstärkt mit Flüchtlingen aus Afgha-nistan, Eritrea und Somalia in Kontaktkam, die im Rahmen der Dublin II-Ver-ordnung nach Ungarn zurück geführtwerden sollten bzw. sollen.

L A Y O U T

MATTHIAS WEINZIERL

ist freier Grafiker und Mitarbeiterdes Bayerischen Flüchtlingsrates.

www.matthiasweinzierl.de

q A U T O R I N N E N

47

Der gemeinnützige Verein border-monitoring.eu wurde 2011 in Münchengegründet. Im Zentrum der Tätigkeitendes Vereins steht die Auseinanderset-zung mit den Politiken, Praktiken undEreignissen im europäischen Grenzre-gime und in den Bewegungen der Mi-gration. Zu diesem Zweck kombiniertder Verein wissenschaftliche Forschung,politisches Engagement, kritische Öf-fentlichkeitsarbeit und konkrete Un-terstützung für Flüchtlinge und Migran-tInnen. Der Verein leistet damit einenBeitrag zur Veränderung der Realitätan den Grenzen und ihrer Konsequenzenfür die Gesellschaft in Europa.

In Zeiten zunehmender europäischerAbschottung und rigoroser Abschie-bungspolitik sind die Rechte von Flücht-lingen in Gefahr. PRO ASYL ist eineunabhängige Menschenrechtsorgani-sation, die sich seit über 25 Jahren fürdie Rechte verfolgter Menschen inDeutschland und Europa einsetzt. Mehrals 15.000 Menschen sind bereits Mit-glied des Fördervereins PRO ASYL. Ne-ben Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit,Recherchen und der Unterstützung vonInitiativgruppen gehört es zu den Auf-gaben des Vereins, Flüchtlinge in ihrenAsylverfahren zu begleiten und konkreteEinzelfallhilfe zu leisten. Gleichzeitiggreift PRO ASYL konsequent in aktuellepolitische Debatten zur deutschen undeuropäischen Flüchtlingspolitik ein.

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u Haftzentrum für Flüchtlinge | v Geschlossenes Screeningcenter | w Halb-offenes Flüchtlingslagerw Offenes Flüchtlingslager

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SLOWENIEN

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