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UNIVERSITÄT WIEN Dissertation Zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der gesamten Heilkunde an der Universität Wien Unilaterale und Bilaterale Cochlea Implantation bei gehörlosen Kindern (gekürzte Fassung) Autor: Stefan Marcel Pok Erstbegutachter: Univ. Prof. Dr. P. Franz Zweitbegutachter: Univ. Prof. Dr. K. Ehrenberger Dissertationsbetreuer: Univ. Prof. Dr. P. Franz und OA Dr. W.D. Baumgartner Angefertigt an der Hals- Nasen- Ohrenklinik Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien Vorstand: Univ. Prof. Dr. K. Ehrenberger Wien, im April 2001

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UNIVERSITÄT WIEN

Dissertation

Zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der gesamten Heilkunde

an der Universität Wien

Unilaterale und Bilaterale Cochlea Implantation

bei gehörlosen Kindern

(gekürzte Fassung)

Autor: Stefan Marcel Pok

Erstbegutachter: Univ. Prof. Dr. P. Franz

Zweitbegutachter: Univ. Prof. Dr. K. Ehrenberger

Dissertationsbetreuer: Univ. Prof. Dr. P. Franz

und OA Dr. W.D. Baumgartner

Angefertigt an der Hals- Nasen- Ohrenklinik Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien Vorstand: Univ. Prof. Dr. K. Ehrenberger

Wien, im April 2001

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INHALT: 1. EINLEITUNG 5 2. GRUNDLAGEN DER SPRACHENTWICKLUNG 7 2.1. GRUNDBEGRIFFE DER SPRACHENTWICKLUNG 7 2.1.1. Definitionen 7 2.1.2. Physiologie 7 2.1.3. Zerebrale Lateralität, Dominanz und Plastizität 8 2.2 ENTWICKLUNG DER KINDLICHEN SPRACHE 8 2.2.1. Kritische Periode für den Spracherwerb 8 2.2.2. Theorien zur Sprachentwicklung 9 2.2.3. Voraussetzungen für eine normale Sprachentwicklung 9 2.2.4. Hierarchisches Stufenmodell der kindlichen Entwicklung nach PIAGET 10 2.3. ETAPPEN DER KINDLICHEN SPRACHENTWICKLUNG 10 2.3.1. Übersicht 10 2.3.2. Präverbale (prälinguale) Phase 11 2.3.3. Verbale (linguale) Phase 12 2.3.4. Wortschatz 12 3. GRUNDLAGEN DES HÖRENS 14 3.1. ANATOMIE 14 3.1.1. Außen- und Mittelohr 14 3.1.2. Innenohr 15 3.1.3. PHYSIOLOGIE 16 3.1.3.1. Außen- und Mittelohr 17 3.1.3.2. Innenohr 18 3.1.4. Hörbahn 20 3.1.5. Signal-Kodierung 21 3.1.6. Räumliches Hören – Richtungshören 21 3.1.7. Spracherkennung 22 3.2. ÄTIOLOGIE KINDLICHER HÖRSTÖRUNGEN 23 3.2.1. Ursachen sensorineuraler Hörstörungen 23 3.2.1.1. Genetisch bedingte Innenohr-Hörstörungen 24 3.2.1.2. Syndrome mit Innenohrschwerhörigkeit 25 3.2.1.3. Erworbene Innenohrschwerhörigkeit 26 3.2.1.3.1. Meningitis 26 Übersichtstabelle kindlicher Hörstörungen 27 3.2.1.3.2. Labyrinthitis 28 3.2.1.3.3. Asphyxie 28 3.2.1.3.4. Akute und chronische Otitis media 28 3.2.1.3.5. Traumen, Lärm-, Knall- und Explosionstrauma 28 3.2.1.3.6. Hörsturz, Morbus Menière 28 3.2.1.4. Retrokochleäre und zentrale Hörstörungen 28 3.2.2. Ursachen der Mittelohr-Hörstörungen 29 3.2.2.1. Tubenbelüftungsstörung, Paukenhöhlenerguss 29 3.2.2.2. Seromukotympanon, Tympanosklerose 30 3.2.2.3. Otosklerose 30 3.2.2.4. Fehlbildungen und Unterbrechung der Ossikelkette 30 3.2.2.5. Trommelfellperforation 30 3.2.2.6. Fremdkörper 30 3.2.2.7. Fehlbildungen des Außen- und Mittelohres 30 3.2.2.8. Akutes akustisches Trauma und chronische Lärmschäden 31 4. PÄDAUDIOMETRIE 33 4.1. Neugeborenen-Screening 33 4.2. Reflexaudiometrie 33 4.3. Verhaltensaudiometrie 34 4.4. Spielaudiometrie 34

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4.5. Impedanzmessung 34 4.6. Otoakustische Emissionen (OAE) 34 4.7. Electric Response Audiometry (ERA / BERA) 35 4.8. Aufblähkurve 36 5. COCHLEA IMPLANTAT 37 5.1. Prinzip und Aufbau 38 5.1.1. äußere Komponenten 38 5.1.2. Innere Komponenten 39 5.1.3. Stimulationsmodus 39 5.1.4. Elektrodendesign 40 5.1.5. Übertragungsart 42 5.1.6. Sprachkodierungsstrategien 42 5.1.6.1. CIS-Strategie 43 5.1.6.2. ACE und n-of-m-Strategie 43 5.1.6.3. SPEAK-Strategie und n-of-m-Strategie 43 5.1.6.4. Eingangsdynamik (Input Dynamic Range) 44 5.2. Beispiel: Combi40+ Implantat mit Tempo+ HdO-Sprachprozessor 45 5.3. Die drei derzeit wichtigsten CI-Systeme 46 5.4. Präoperative Dignostik 47 5.4.1. Voruntersuchungen 47 5.4.2. Indikationen 48 5.4.3. Kontraindikationen 48 5.5. Chirurgische Technik 49 5.6. Nachsorge 51 6. ERGEBNISSE COCHLEAIMPLANTIERTER KINDER 52 6.1. Einleitung 52 6.2. Methoden und Patienten 53 6.3. Ergebnisse 56 6.4. Diskussion 60 7. BILATERALE COCHLEA IMPLANTATION BEI KINDERN 61 7.1. Definition 61 7.2. Derzeitiger Stand 61 7.3. Vorteile der bilateralen Implantation 62 7.4. Operatives Vorgehen 63 8. FALLSTUDIEN BILATERAL COCHLEAIMPLANTIERTER KINDER 64 8.1. Kind 1 64 8.2. Kind 2 65 8.3. Kind 3 66 8.4. Kind 4 66 8.5. Kind 5 67 8.6. Kind 6 68 9. LITERATUR 69 10. ANHANG, Kontaktadressen 72

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1. Einleitung Kongenital gehörlosen Kindern ein Hörvermögen zu verschaffen, gehört zu den schönsten Herausforderungen der HNO-Heilkunde. Die konsequente Erfassung frühkindlicher Hörschäden und das Neugeborenenscreening tragen wesentlich dazu bei, dass es in Zukunft kaum mehr Gehörlose geben wird. Sowohl das konventionelle Hörgerät als auch das Cochlea Implantat und seine Operationstechnik machten in den letzten 10 Jahren eine rasante technische Weiterentwicklung durch. Zu erwähnen sind hier die Entwicklung von digitalen intracochleären Mehrkanalsystemen, die tiefe Elektrodeninsertion und moderne Sprachkodierungsstrategien. Dadurch kann dem CI-Träger heute ein hohes Maß an Hörqualität und Sprachverständnis geboten werden (siehe Kap.5). Das Ohr ist zur Zeit das einzige Sinnesorgan, dessen Funktion routinemäßig durch eine elektronische Prothese ersetzt werden kann. Bis heute wurden an der Wiener Univ.- HNO-Klinik über 350 Cochlea Implantationen durchgeführt. Diese Klinik ist daher nicht nur das mit Abstand größte Cochlear-Implant-Zentrum in Österreich, sondern gehört auch weltweit zu den größten Zentren auf diesem Gebiet. Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass der Anteil an implantierten Kleinkindern kontinuierlich zunimmt. Anfang der 90er-Jahre wurden ca. 30 Prozent aller Implantationen an Kleinkindern durchgeführt. Im Jahr 2000 betrug der Kinderanteil bereits mehr als 60 Prozent. Bei rechtzeitiger Implantation in den ersten beiden Lebensjahren und entsprechender Hör- und Spracherziehung können implantierte Kinder, sofern sie keine zusätzlichen Behinderungen haben, meist in reguläre Kindergärten und Regelschulen integriert werden. Durch eine (Wieder-)Herstellung des Hörvermögens wird ein annähernd normaler Spracherwerb überhaupt erst ermöglicht. Diese Dissertation befasst sich mit der Cochlea Implantation an sich, wobei der Schwerpunkt auf die kindliche Implantation und insbesondere auch auf die bilaterale Implantation gerichtet ist. Bis April 2001 wurden in Wien 12 Kinder beidseitig mit Cochlea Implantaten versorgt. Bei Hörgeräten gilt die beidohrige Versorgung von Kindern seit 30 Jahren als Standard. Konkrete Vorteile sind ein besseres Sprachverständnis - vor allem im Störschall - und ein besseres Richtungshören. Die praktische Beobachtung hörgestörter Kinder in den Schulen bestätigt die Sinnhaftigkeit der beidseitigen Hörgeräteversorgung. Die Entwicklung der ersten 12 bilateral mit Cochlea Implantaten versorgten Kinder ist besonders ermutigend (siehe Kap.8). Die Vorteile der bilateralen Hörgeräteversorgung scheinen sich auf die bilaterale Cochlea Implantation übertragen zu lassen (siehe Kap.7). Gelingt es bei Kleinkindern nicht, mit Hilfe konventioneller Hörgeräte in der Aufblähkurve einen besseren Wert als ca. 50 dB(HL) zu erzielen, ist durch die fehlende audioverbale Rückkopplung in der Regel keine Spontansprachentwicklung zu erwarten [1]. Damit diesen Kindern die Chance einer annähernd normalen Sprachentwicklung gegeben wird, ist eine Cochlea Implantation (wenn indiziert) möglichst in den ersten zwei Lebensjahren durchzuführen. Zu beachten ist aber: Nur durch intensives Hör- und Sprachtraining, welches von erfahrenen LogopädInnen oder HeilpädagogInnen durchgeführt wird und in den meisten Fällen über Jahre erforderlich ist, können nach der Implantation optimale Ergebnisse für das Kind erzielt werden.

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2. Grundlagen der Sprachentwicklung Sprache ist ein fundamentaler Bestandteil der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sie ist eine Summationsleistung von Intelligenz, Psyche, Sprechantrieb, Konstitution, Motorik, Sinnesorganen und Umwelt. Sie ermöglicht es, geistige Inhalte (Gedanken) auszudrücken und ist ein wesentlicher Baustein der menschlichen Kultur. Verbale Sprache und später Schrift ermöglichen es dem Menschen, wertvolle Informationen und Erfahrungen an seine Nachkommen weiterzugeben und so auf dem Wissen älterer Generationen aufzubauen. Historisch gesehen war die Entwicklung der Sprache wahrscheinlich zur Zeit des Neandertalers zwischen 120 000 und 40 000 v.Chr. abgeschlossen. Erste Funde einer Schrift datieren in das Zeitalter des Cro-Magnon Menschen und reichen bis 30 000 v.Chr. zurück [2]. Vorbedingung für eine normale Sprachentwicklung sind organische und mentale Gesundheit sowie ein geeignetes soziokulturelles Umfeld. Die Sprachentwicklung ist kein isolierter Prozess, sie ist in die Gesamtentwicklung des Kindes eingebettet. 2.1. Grundbegriffe der Sprachentwicklung

2.1.1. Definitionen Sprechen ist die Fähigkeit, Gedanken durch hörbare Worte mit Hilfe der Sprech- und Stimmorgane auszudrücken. Nonverbale Elemente der Sprache sind z.B. Sprechmelodie und Sprechdynamik. Unter Artikulation versteht man die Bewegungen der peripheren Sprechwerkzeuge, um Sprache zu formen. Körpersprache: nonverbale Verständigung durch Gesten, Mimik, Gebärden, Körperhaltung, Körperbewegungen, usw. Tiersprachen: z.B. Klopfsignale, optische Signale, Duftstoffe, differenzierte Warnschreie bei Affen, Stridulationsapparate bei Insekten, Syrinx bei Vögeln. Wesentlicher Unterschied zur Menschlichen Sprache: fehlende Nenn- und Urteilsfunktion der Tiersprache[2]. Weltweit existieren etwa 4000 Sprachen, die sich aber insgesamt nur ca. 50 phonetischer und 30 zusätzlicher, sog. diakritischer Zeichen bedienen . 2.1.2. Physiologie Sprachperzeption und –produktion sind spezifische kortikale Leistungen und anatomisch wie funktionell (relativ) voneinander getrennt. Die zwei Sprachzentren sind: - Wernicke Region: Das sensorische Sprachzentrum. Hier liegt der Schwerpunkt des Sprachverständnisses. Kortexareal 22, im Gyrus temporalis superior. Direkte Verbindungen mit der primären Hörrinde (Area 41, 42). Läsionen in diesem Bereich führen zur sog. sensorischen Aphasie mit stark reduziertem Sprachverständnis, Neologismen, Paragrammatismus usw. - Broca Region: Das motorische Sprachzentrum. Hier entsteht der Bewegungsentwurf für das zu artikulierende Wort. Kortexareal 44, 45 im Pars triangularis und opercularis des Gyrus frontalis inferior. Verbindungen zur primären und sekundären Hörrinde, dem Gyrus angularis (Teil des Assoziationskortex) und zum Gyrus präcentralis für die Innervation von Zungen- und Mundmuskulatur. Läsionen in diesem Bereich führen zur sog. Broca-Aphasie mit verlangsamter Spontansprache (“non-fluent“), Agrammatismus (“Telegrammstil“), phonematischen Paraphasien usw. 2.1.3. Zerebrale Lateralität, Dominanz und Plastizität

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Verbale und nichtverbale Funktionen sind beim Menschen asymmetrisch auf die beiden Hemisphären verteilt, d.h. lateralisiert. Mit der Lateralität entwickelt sich eine überwiegende Bevorzugung einer Hirnhälfte (Hemisphärendominanz). Die linke Hirnhälfte ist in 97% der Fälle dominant und dann in der Regel auch sprachdominant. Neben der Sprachdominanz spielen hier vor allem auch die Händigkeit und die Ohrigkeit eine wesentliche, erst teilweise bekannte Rolle [2]. Bei 3% ist das Sprachzentrum auf der rechten Seite oder auf beide Seiten (bizerebral) lokalsiert. In den ersten beiden Lebensjahren sind beide Hemisphären noch funktionell gleichwertig und können bei Bedarf (z.B. Hirntumoren, Hirnverletzungen) die Sprachdominanz übernehmen und die Seite wechseln. Mit zunehmendem Alter und Spezialisierung auch in anderen Bereichen (z.B. Entwicklung der Händigkeit) nimmt die Plastizität, also die Fähigkeit zur Um- und Reorganisation des Gehirns, stark ab. Mit dem fünften Lebensjahr ist die dominante Hirnhälfte festgelegt, ab der Pubertät sind die Sprachzentren fest lateralisiert und die Plastizität auf ein Mindestmaß reduziert. Die auditorische Plastizität ist in der Regel nur bis zum 6. Lebensjahr in vollem Umfang gegeben [3]. Die nichtdominante Hemisphäre übernimmt andere, nicht weniger wichtige sprachliche Funktionen wie Diskrimination, Perzeption, räumliche Aufgaben, Prosodie, musikalische Fähigkeiten usw. 2.2. Entwicklung der kindlichen Sprache 2.2.1. Kritische Periode für den Spracherwerb Synonym: sensible Phasen der Sprachentwicklung Vor dem zweiten Lebensjahr ist eine Sprachentwicklung aufgrund mangelnder physischer Reife, nach der Pubertät aufgrund der abnehmenden Plastizität des Gehirnes in der Regel nicht möglich [5] (siehe Abb.1). Daher ist es von größter Wichtigkeit, eine prälinguale Gehörlosigkeit bzw. hochgradige Hörverminderung rechtzeitig und vor allem wirksam - konventionell (Hörgeräte) oder operativ (Cochlea Implantate) - zu behandeln [6]. Nur dann kann die Plastizität des Gehirnes noch im vollen Umfang ausnützt werden und die individuell bestmöglichen Ergebnisse in Sprachentwicklung und Sprachverständnis erzielt werden.

Abbildung 1: kritische Periode für den Spracherwerb (aus Friedrich, Bigenzahn, Zorowka: Phoniatrie und Pädaudiologie. 2.Aufl.,Verlag Hans Huber [5])

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2.2.2. Theorien zur Sprachentwicklung Beim Menschen besteht eine arteigene und einzigartige angeborene Lernfähigkeit für das Sprechen und das Sprachverständnis. Heute existieren vier bedeutende Ansätze, um den Spracherwerb zu erklären. Keine dieser Theorien hat jedoch alleinige Gültigkeit oder schließt die anderen aus. Eine umfassende Theorie, die alle Phänomene der Sprachentwicklung erklären kann, gibt es bisher nicht. Als wahrscheinlich gelten heute anlagebedingte (Nativismus) und umweltbedingte (Behaviorismus) Faktoren:

- Nativismus (nach Chomsky; McNeill; Lenneberg): Vertreter dieser Position nehmen ein angeborenes, erbliches Wissen um sprachliche Strukturen an.

- Behaviorismus (nach Skinner): Alles menschliche Verhalten, also auch die Sprache, ist ausschließlich erlernte Reaktion auf Außenreize, es gibt keine angeborenen geerbten Verhaltensweisen, alles wird durch Lernen und Imitation erworben.

- Interaktionismus (nach Bruner; Snow): Hier spielt u.a. die Interaktion zwischen Mutter und Kind die wesentliche Rolle.

- Kognitivismus (nach Piaget): Es gibt keine speziellen geistigen Mechanismen außer einem allgemeinen angeborenen kognitiven Organ, welches auch die Sprache erwirbt.

2.2.3. Voraussetzungen für eine normale Sprachentwicklung Die Sprachentwicklung muss immer in der Gesamtentwicklung des Kindes gesehen werden. Damit sich die angeborene Sprachbereitschaft entfalten kann sind einige Faktoren bestimmend:

- Normale körperliche, geistige und emotionale Entwicklung - Intakte Sinnesorgane (insbesondere Hör- und Sehvermögen) - Motorische Entwicklung - Intelligenz - Hirnreifung, Dominanzentwicklung und Lateralität - Intakte periphere Artikulationsorgane - Förderliches soziokulturelles Umfeld

ad Intakte Sinnesorgane: Ein normales Gehör ist für die Sprachentwicklung eine notwendige Vorraussetzung. Der Frequenzbereich zwischen 250 und 4000 Hz ist hierbei wesentlich, da er die Hauptinformation der Sprache (Vokalformen und stimmhafte Konsonanten) umfasst. Ab 65 dB Hörverminderung kann Sprache nicht erlernt werden (siehe Abb.2). Schon ein beidohriger Hörverlust von “nur“ 25 dB über einen Zeitraum von 3 Monaten (z.B. durch Seromukotympanon oder Tubenventilationsstörungen) kann sich auf die sprachliche Entwicklung negativ auswirken. Taube Kinder lernen von selbst nicht sprechen. Visuell erfasst das Kind Mimik, Artikulationsbewegungen, Gestik und die Zuordnung von Begriffen zu den Gegenständen.

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Abbildung 2: Sprachentwicklung bei Hörverminderung; dB beziehen sich auf das bessere Ohr. (modif. nach Wirth) *Indikationen und Kontra-indikationen der Cochlea Implantation siehe Kap.5.4.2)

2.2.4. Hierarchisches Stufenmodell der kindlichen Entwicklung nach PIAGET Nach der psychologisch orientierten Wahrnehmungslehre von Piaget verläuft die kindliche (Sprach-) Entwicklung in fünf Stufen, die alle nacheinander durchlaufen werden müssen:

- Sensomotorische Phase (0-1,6 Jahre): besonders rasche Entwicklung der Sinne und motorischen Fähigkeiten.

- Phase des Spracherwerbs (1,6-4 Jahre): Entwicklung der Fähigkeit mit Symbolen (Sprache ist auch ein Symbolsystem) umzugehen. Sprache entwickelt sich aus Spielhandlungen des Kindes und der Nachahmung von Erwachsenen.

- Phase der Wahrnehmungsentwicklung (4-8 Jahre): Das Kind versucht, die Welt direkt durch die Sinne intuitiv zu verstehen. Unterscheidung von Größe, Gestalt und Farbe von Dingen, ohne diese zu berühren.

- Phase der konkreten Operationen (6-12 Jahre): Entwicklung von Denkprozessen höherer Ordnung. Das Kind denkt über seine Beobachtungen und Handlungen nach.

- Phase der formalen Operationen (ab dem 12. Lebensjahr): Beginn des abstrakten (von der Realität unabhängiges) Denkens.

2.3. Etappen der kindlichen Sprachentwicklung 2.3.1. Übersicht Eine zeitliche Übersicht über den normalen Ablauf der Sprachentwicklung zu geben ist problematisch, weil die Norm so wenig exakt zu definieren ist und die Streubreite innerhalb der normalen Entwicklung individuell sehr groß ist. Mädchen und Einzelkinder beginnen früher zu sprechen. Verschiedene Autoren haben zur Sprachentwicklung eigene Zeittafeln entwickelt, die hier angefügte wurde aus einem Fachbuch für Pädaudiologie [5] entnommen. Die genauere Beschreibung der einzelnen Phasen findet sich auf den folgenden Seiten.

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Lebensalter (Monate) Sprachentwicklung

0 - 12 Monate präverbale Phase

1 - 3 Schreiperiode

1,5- 6 Gurrperiode und 1.Lallperiode (Babbling)

6 - 12 2. Lallperiode (Lalling)

ab 8 Monaten erstes Sprachverständnis u. Nachahmung

ab 12 Monaten verbale Phase

10- 12 Das erste Wort

12- 18 Einwort-Sätze

18- 24 Zweiwort-Sätze, Wortexplosion

24- 36 Mehrwort-Sätze

36- 60 Komplexere Sätze

ab 60 Monaten Perfektionierung

Tabelle 1: Etappen der Sprachentwicklung

2.3.2. Präverbale (prälinguale) Phase

Schreiperiode: 1 bis 3 Monate Auf innere und äußere Reize reagiert das Neugeborene mit zunächst noch undifferenzierten Reflexschreien. Ab der 3. Woche sind Unterschiede erkennbar bei Hunger, Schmerz, Zufriedenheit, Freude, Kälte, usw. (modulierter Schrei). Aufmerksame Eltern können die verschiedenen Schreie, wie Lust und Unlustschreie, intuitiv richtig deuten lernen.

Gurrperiode und 1.Lallperiode (Babbling, Kodern): 1,5 bis 6 Monate Ab der 6. Woche treten zusammen mit dem ersten Lächeln Gurrlaute auf: z.B. “erre“ oder “grr“ - bei Zufriedenheit oder in gesättigtem Zustand. Ab dem 2. Monat beginnt die 1.Lallperiode mit instinktiven Lallen und Selbstnachahmung von spielerisch angewandten und spontan auftretenden Lauten. Diskutiert wird, ob es eine universale, internationale “Lallsprache“ gibt, oder auch diese schon zur Muttersprache hinstrebt (Lalldrift). Fest steht, dass das Kind in dieser Phase mehr Laute entdeckt und benützt als für die Muttersprache letztlich benötigt werden. So kommen bei deutschsprachigen Kindern jetzt auch afrikanische Kixe, englische und polnische Laute vor. Diese zufällig entstandenen Urlaute werden aber im 6. bis 9. Monat wieder auf das typische Lautsystem der Muttersprache reduziert. Eine Lallperiode ist auch bei Gehörlosen und Mehrfachbehinderten vorhanden, sie ist aber melodisch verzerrt. Taube Kinder bleiben aber auf dieser Stufe stehen, sie reduzieren ihr Lautsystem nicht wie normale Kinder und stellen die Lautproduktion später meist zur Gänze wieder ein.

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2. Lallperiode (Lalling): 6 bis 12 Monate

In dieser Phase beginnt zunehmend die absichtliche Lautnachahmung: z.B. “bababa, gugugu“. Das Lallen ist aber gleichzeitig ein motorisches Üben mit den Sprechorganen und erfüllt eine erste kommunikative Funktion. Das Kind lernt frei zu sitzen und ohne Daumenopposition zu greifen. Für eine “erfolgreiche“ 2. Lallperiode ist ein intaktes Gehör im Bereich von 250 bis 4000 Hz unbedingt erforderlich. Hörgestörte Kinder werden oft durch ihr gestörtes Lallverhalten auffällig.

Sprachverständnis: ab 8 Monaten Das Kind beginnt seine Sprachumgebung aufmerksamer zu beobachten und wird dabei oft auffallend ruhiger (sog. physiologische „Hörstummheit“). Es versucht, Laute und Silben gezielter nachzuahmen und achtet dabei auch auf Sprachmelodie, Betonung und Mimik. Dieses physiologische „Verstummen“ darf nicht mit dem Verstummen hörgeschädigter Kinder verwechselt werden!

2.3.3. Verbale (linguale) Phase In der verbalen Phase müssen vor allem Fortschritte in folgenden Bereichen gemacht werden:

- Artikulation: phonetische und phonologische Differenzierung (geht dem Erwerb der Grammatik voraus)

- Grammantik: morphologische und syntaktische Differenzierung - Wortschatz: semantische und lexikalische Zugewinne - Pragmatisch-kommunikative Ebene

Das erste Wort: 10 bis 12 Monate

“Mama“, “Papa“ sind die weitaus häufigsten ersten Worte. Eine Theorie dazu liefert R. Jakobson: Die Reihenfolge des Lauterwerbs ist keineswegs zufällig, sondern folgt bestimmten Mechanismen und beginnt mit Lippenlauten, Zahnlauten und schließlich Gaumenlauten. Nach seiner Theorie des maximalen Kontrastes und dem kleinsten Kraftmaß werden nicht die einzelnen Laute, sondern Kontraste von Phonemen erworben: z.B.: Das “a“ ist der offenste Vokal, die Mundhöhle muss maximal geöffnet werden. Der maximale Kontrast ist ein “p“, ein bilabialer Plosiv mit dem stärksten Schluss oder ein “m“, ein stimmhafter bilabialer Nasal. So entstehen “Papa“ bzw. “Mama“. Es folgen z.B. “pipi, tata, nana, dada,...“, spät erworbene Laute sind das “k, g und alle Reibelaute wie das f, w, s, sch, ch und j. Papa und Mama wären damit die von den Kindern immer wieder aufs neue entdeckten Namen für die Eltern.

Einwortsatzstadium: 12 bis 18 Monate “Afi“ kann bedeuten: ich will den Apfel/ das ist ein Apfel, der Apfel schmeckt gut. Die ersten Wörter werden global erfasst und erfüllen Satzfunktion. Das Kind erkennt Zusammenhang von Wort und Gegenstand. Wörter werden auf andere Objekte überdehnt, z.B. sagt das Kind nicht nur “Papa“, wenn es seinen Vater sieht, sondern auch beim Anblick des Mantels des Vaters. Kinder sprechen ein halbes Jahr in Einwortsätzen. Man kann zwischen substantiellen Wörtern (“Substantive“ wie Auto, Decke,...) und relationalen/rationalen Wörtern (drücken aus, was mit Gegenständen passieren kann und in welchem Zustand sie sein können. z.B. kein, da , dies,..) unterscheiden. In dieser Zeit wird ein Wortschatz von etwa 50 Wörtern aufgebaut, es sind aber nahezu keine Zeitwörter (Verben) darunter.

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Zweiwortstadium: 18 bis 24 Monate “Wauwau ada“ = der Hund ist weg: mit 18 Monaten beginnt das Kind ungegliederte Mehrwortsätze zu sprechen. Meist sind diese Äußerungen noch mehrdeutig: “Mami Tasche“ = Mami, gib mir die Tasche/ Mami, wo ist die Tasche?/ Das ist Mamis Tasche. Erste Strukturen der Grammatik werden dabei angewandt: Subjekt + Objekt/Adverb/Prädikatsnomen/Verb. Sätze wie: “da Ball“, “mehr Saft“ werden nach den Regeln der sogenannten Pivot-Grammatik gebildet: Inhaltswörter (Ball, Saft) werden mit Pivots (da, mehr) kombiniert. Verben stehen meist noch im Infinitiv, Artikel werden meist noch weggelassen, einzelne Flexionsmorpheme werden bereits verwendet - nicht beunruhigen sollten anfängliche Fehler wie z.B. “zwei Frau“, “zwei Mannen“, “du haben, ich hat“, usw. Hier sind auch bei Fünfjährigen noch Fehler zu beobachten. Das erste Fragealter “Isndas?“ liegt zwischen 1,5 und 2,5 Jahren. Mit 3 Jahren leitet das “Warum“ das zweite Fragealter ein.

Mehrwortsatzstadium: 24 bis 36 Monate “Eva weinen“, “Mama weglauft“, “Papa Apfel essen“, usw. In dieser Zeit werden Beugeformen, Artikel, Plural, Fallendungen und Vergangenheitsformen erlernt (bis zum 3.Lebensjahr hierbei noch häufige Fehler = physiologischer Dysgrammatismus). Ein Entwicklungsstammeln kann vorübergehend auftreten, verschwindet aber spontan bis zum Ende des 4.Lebensjahres.

Komplexere Sätze: 36 bis 60 Monate Die Syntax entwickelt sich immer mehr zur Erwachsenensprache hin. Verschiedene Arten von Nebensätzen werden verwendet: indirekter Fragesatz, Temporalsatz, Kausalsatz, usw. Die meisten grammatikalischen Regeln werden bis zum 5. Lebensjahr erlernt, schwierigere Satzkonstruktionen erst im Schulalter.

Perfektionierung: ab 60 Monaten Das Kind kann bereits inhaltlich, artikulatorisch und grammatikalisch verständlich sprechen. Die eigentliche Sprachentwicklung ist in der Regel mit Abschluss der Hirnreife, also mit der Pubertät, abgeschlossen. In den Folgejahren wird die Sprache immer weiter perfektioniert.

2.3.4. Wortschatz Mit etwa 18 Monaten erreicht der Wortschatz eines Kindes den sog. Schwellenwert von etwa 50 Wörtern. Ab diesem Zeitpunkt kommt es zur sog. Wortexplosion [4], mit 15 Jahren besitzen die Kinder einen passiven Wortschatz von etwa 60.000 Wörtern.

Alter (in Jahren) passiver Wortschatz 1,5 10-15 2,0 300 3,0 1000 4,0 2000 5,0 2500 Erwachsene 20 000 – 250 000

Tabelle 2: passiver Wortschatz [2]

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3. GRUNDLAGEN DES HÖRENS

Von allen Sinnesorganen des Menschen reift das Hörorgan als erstes voll aus. Erste Reaktionen auf akustische Reize in Form von Herzfrequenz- und Bewegungsänderungen sind bereits vor der Geburt ab der 22. Schwangerschaftswoche zu beobachten. Dem normalen Hörvermögen kommt eine wichtige Rolle in der kindlichen Gesamt- und Sprachentwicklung zu. Ein gehörlos geborenes oder prälingual ertaubtes Kind hat nicht nur eine gestörte Sprachentwicklung und einen erschwerten Bildungsweg vor sich, es drohen auch soziale Isolation und Ausgrenzung. 3.1. Anatomie 3.1.1. Anatomie des Außen- und Mittelohres

Abbildung 3: Anatomie des Ohres – Übersicht

Cochlea und Bogengänge

Gehörknöchelchen

Trommelfell

Die kindliche Ohrmuschel ist weicher und elastischer als beim Erwachsenen. In den ersten Lebensjahren nimmt ihre Größe zusammen mit dem kindlichen Kopf zu, was bei der Anpassung von Hörgeräten bedacht werden muss. Der äußere Gehörgang misst beim Neugeborenen 12-14 mm (Erwachsene: 30-35 mm) und besteht aus einem knorpeligen Anteil, der mit einem leichten Knick in den knöchernen Anteil übergeht. Das Mittelohr ist ein System lufthältiger Zellen und Räume im Os temporale und mit Schleimhaut ausgekleidet. Zu seinen Strukturen gehören das Trommelfell, die Paukenhöhle, die drei Gehörknöchelchen, am kranio-dorsalen Ende das Antrum mastoideum mit den in den ersten zwei Lebensjahren sich pneumatisierenden Cellulae mastoideae und nach medial-kaudal die Tuba auditiva als Verbindung zum Nasenrachenraum. Die Paukenhöhle lässt sich von unten nach oben in drei ineinander übergehende Etagen einteilen: 1. Das Hypotympanum (Paukenkeller), welches direkt über dem Bulbus venae jugularis superior liegt und von diesem nur durch eine dünne Knochenwand (dem Paukenboden) getrennt wird. 2. Das Mesotympanum mit der Tubenöffnung, Stapediussehne, Promontorium (hervorgerufen durch die erste Schneckenwindung), Chorda tympani, dem runden und dem ovalen Fenster. Die Gehörknöchelchen liegen fast zur Gänze im Mesotympanun, nur das Gelenk zwischen Hammerkopf und Ambosskörper befindet sich im Epitympanum. 3. Das Epitympanum (Atticus, Kuppelraum) geht nach hinten in das Antrum mastoideum über, an dessen medialer

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Wand der Facialiswulst und der Bogenganwulst liegen. Das Paukendach grenzt an die mittlere Schädelgrube. Das in der Paukenhöhle unmittelbar nach der Geburt verbleibende Fruchtwasser wird in den ersten 48 Stunden resorbiert oder fließt über die Tube ab. Die Inspektion des Trommelfells mittels Ohrtrichters oder Otoskop kann beim Neugeborenen durch die physiologische Enge des Gehörganges schwierig sein: Das Trommelfell steht beim Neugeborenen noch nahezu horizontal, während es beim Erwachsenen nach vorne, unten und lateral geneigt ist. Es hat beim Erwachsenen einen Durchmesser von 8,5/10,0 mm (horizontal/vertikal), eine Dicke von etwa 0,1 mm, ist perlmuttgrau, leicht trichterförmig nach innen gewölbt mit einem zentralen Umbo, von welchem die Stria mallearis (hervorgerufen durch den dahinter liegenden Hammergriff) nach vorne oben läuft. Am oberen Ende der Stria mallearis laufen die Plica mallearis nach vorne und hinten oben und teilen das Trommelfell in die zweischichtige größere Pars tensa und die dreischichtige (Epithel, Schleimhaut und Bindegewebsschicht) kleinere Pars flaccida. Zentral vom Umbo ausgehend wird ein mit der Basis nach vorne unten gerichteter Lichtreflex sichtbar, dessen Richtungsänderung oder Fehlen ermöglicht Rückschlüsse auf Stellung und Spannung des Trommelfells. Die Gehörknöchelchen sind ebenfalls schleimhautüberzogen und werden durch die Binnenohrmuskulatur (M. tensor tympani, innerviert durch den N. mandibularis, und M. stapedius, innerviert durch den N.facialis) bei lautem Schall versteift (Dämpfungsfunktion). 3.1.2. Anatomie des Innenohres

i

Bogengänge

Abbildung 4: Anatom

Das im Felsenbein gelegene Innenohr besteht aus(“Labyrinth“). Das knöcherne Labyrinth umgibt Das Innenohr enthält die Cochlea (Hörschnecke)ventral liegende Cochlea besteht aus einem der hund vollzieht 2 ½ Windungen um die Achse (MoSchneckenwindungen sind durch die Lamina spirin zwei mit Perilymphe gefüllte Etagen, die Scalader Schneckenspitze sind die Scalen durch das Hvestibuli öffnet sich in den Vorhof (Vestibulum),mit der Membran des runden Fensters. Die mit E(Ductus cochlearis) hat im Querschnitt eine dreieSchneckspitze. Die obere Wand, die für Ionen duden Ductus cochlearis von der Scala vestibuli. Diträgt die Stria vasculairs (zuständig für die Endolals Verankerung. Die untere Wand, die Basilarmeder Scala tympani ab. Der Basilarmembran sitzt dwichtigste Teil des Ductus cochlearis. Die Breite

Foramen vestibul

a

ie des Innenohres

einem zusammedas häutige Layri und die Bogengäärtesten Knochendiolus). Sie ist etalis ossea und de vestibuli und dielicotrema mitein die Scala tympandolymphe gefülckige Form und rchlässige Reissne äußere Wand, dymphbildung) unmbran, grenzt deas Corti-Organ a

der Basilarmemb

Cochle

nhängenden Gangsystem nth. nge (Vestibularorgan). Die des menschlichen Körpers wa 29 bis 35mm lang. Die n Ductus cochlearis jeweils e Scala tympani, geteilt. An ander verbunden. Die Scala

ni endet zum Mittelohr hin lte häutige Schnecke endet blind in der ersche Membran, trennt as Ligamentum spirale, d dient der Basilarmembran n Ductus cochlearis von uf und ist der mechanisch ran nimmt von der

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Schneckenbasis zur Schneckenspitze hin zu (von etwa 200µm bis 360µm). Der Ductus cochlearis steht über den Ductus reuiens direkt mit dem Sacculus in Verbindung. Das Corti-Organ liegt auf der Basilarmembran und wird von der Membrana tectoria bedeckt, die vom Limbus laminae spiralis osseae ausgeht und mit den Sinneshaaren der äußeren Haarzellen in Verbindung steht. Man unterscheidet Stützzellen, die zwei tunnelartige mit Corti-Lymphe gefüllte Tunnelräume umschließen, und die in das Stützgerüst eingelagerten Sinneszellen: eine Reihe innere und drei Reihen äußere Haarzellen. Die Membrana tectoria ist am Limbus laminae spiralis osseae befestigt. Diese Limbuszellen produzieren die Tektorialmembran, die direkt den Haarzellen aufliegt und im Siganltransduktionsprozess eine wesentliche Bedeutung erfüllt. Die anderen Stützzellen seien der Vollständigkeit wegen erwähnt: innere und äußere Pfeilerzellen, Deiters-zellen, Hensen-zellen und Claudius-zellen (von innen nach außen). 3.1.3 Physiologie Das menschliche Gehör hat die Aufgabe, Schallerereignisse in neuronale Signale zu übersetzen. Der für uns hörbare Frequenzbereich liegt zwischen 16 bis 20 000 Herz. In dessen Mitte findet sich der biologisch wichtige Sprachbereich (etwa zwischen 250 bis 4000 Hz). Wir können Schalldrücke in einen großen Laustärkebereich (dynamischer Bereich des Gehörs, siehe Kap. 5.1.6.4) zwischen 0 und 120dB (Hörschwelle bis Schmerzgrenze) wahrnehmen. Man unterscheidet vier wichtige Schallqualitäten: Frequenz, Intensität, Schallrichtung und Entfernung der Schallquelle.

Abbildung 5: Vereinfachte Darstellung der Funktion des Mittel- und Innenohres. Die Pfeile geben die Ausbreitung des Schallreizes an. Die Nummern stehen für die einzelnen Schritte des Hörens (siehe Text). Die Cochlea ist stark vereinfacht und vergrößert skizziert.

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Die einzelnen Hörschritte im Überblick (eine genauere Beschreibung findet sich in den folgenden Kapiteln):

1 Schallwellen treffen auf das Trommelfell und versetzen es in Schwingungen 2-4 Das Trommelfell überträgt die Schwingungen auf die Gehörknöchelchen-Kette 5 Die Steigbügelplatte überträgt die Schwingungen auf das ovale Fenster der Cochlea

und damit auf die dahinterliegende Perilymphflüssigkeit in der Scala vestibuli 6 Die Perilymphschwingung führt zu Relativbewegungen von Basilar- und

Tektorialmembran und bilden sog. Wanderwellen (siehe auch Abb. 6) 7-8 Die inneren Haarzellen wandeln diese Bewegungen in elektrische Nervenimpulse um. Die einzelnen Nervenfasern werden gebündelt und bilden den Hörnerven 9 Die Perilymphschwingungen setzen sich über das Helicotrema auch auf die Scala

tympani fort und führen zu Ausgleichsbewegungen des runden Fensters

3.1.3.1. Physiologie des Mittelohres Trifft eine Schallwellenfront am Kopf ein, wird sie in Abhängigkeit von Einfallsrichtung und Wellenlänge durch den Kopfform “abgeschattet“ oder gebeugt (Head shadow und Head Related Tranfer Funktions - HRTFs). Wegen des hohen Impedanzunterschiedes zwischen Luft und Knochen kann der Luftschall das Schläfenbein nur zu einem geringen Teil direkt in Schwingungen versetzen (Knochenleitung). Das Mittelohr erfüllt hier die notwendige Impedanztransformation: Die Gehörknöchelchenkette wirkt als System aufeinanderfolgender Hebel und überträgt die Schwingungen auf das ovale Fenster. Durch den Oberflächenunterschied des verhältnismäßig großen Trommelfells zur kleinen Stapesfußfläche und den günstigen Hebelarmverhältnissen der Gehörknöchelchen wird eine Schalldruckverstärkung um den Faktor 21 erreicht (siehe Abb. 6)

Abbildung 6: 21:1-Schallverstärkung durch die Ossikel

Das unversehrte und normal gespannte Trommelfell wird durch Schallwellen in Schwingungen versetzt. Dadurch wird der Hammergriff, der direkt mit der Innenseite des Trommelfells verbunden ist, mitbewegt. Die resultierende Drehbewegung des Hammers wird auf den Amboß und von diesem weiter auf den Steigbügel übertragen, der mit seiner Fußplatte dem ovalen Fenster anliegt. Die Membran des ovalen Fensters versetzt die Perilymphe des Innenohres in Schwingungen und führt schließlich zu Relativbewegungen

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zwischen Basilar- und Tektorialmembran und Erregung der Haarzellen (siehe Physiologie des Innenohres). Eine weitere Funktion des Mittelohres ist die Frequenzselektivität beim Lauschen. Diese soll durch eine veränderte Eigenfrequenz der Gehörknöchelchen zustande kommen. Außerdem kann eine Verkürzung der Nachschwingdauer durch gezielte Dämpfung erreicht werden. Diese Phänomene sind durch die Impedanzaudiometrie objektivierbar geworden (siehe Kap.4.5). Darüber hinaus erlaubt das gesunde Mittelohr die für die physiologische Wanderwelle im Innenohr erforderlichen, gegenphasigen Ein- und Ausschwingungen der ovalen und runden Fenster. Der Schall tritt nur dann durch das ovale Fenster in die Cochlea ein, wenn das runde Fenster durch das Trommelfell vor dem Außenschall durch das Trommelfell geschützt ist. Dieses Phänomen wird Schallprotektion genannt. Eine ungehinderte Beweglichkeit des Trommelfells ist eine weitere Voraussetzung. Hierzu muss der Luftdruck im äußeren Gehörgang und im Mittelohr gleich groß sein, was durch den Druckausgleich über die Tube ermöglicht wird. Jede Tubenventilationsstörung kann Druckunterschiede verursachen, die im Mittelohr eingeschlossene Luft wird resorbiert und auf Dauer durch Flüssigkeit ersetzt (Sero/Mukotympanon) und die Trommelfellbeweglichkeit dadurch erheblich eingeschränkt. Die Binnenohrmuskeln, M. tensor tympani und M. stapedius, kontrahieren sich reflektorisch unter Einwirkung von lautem Schall (die Reflexschwelle liegt zwischen 70 und 90 dB) und erhöhen die Impedanz des Mittelohres: Eine Kontraktion des M.tensor tympani, der am Hammergriff ansetzt, bewirkt eine verstärkte Spannung des Trommelfells, es wird mehr Schall zurückreflektiert und weniger in Eigenschwingung umgewandelt. Der M. stapedius kann die Steigbügelplatte leicht ankippen und so eine verminderte Energieübertragung erreichen. Beim Stapediusreflex handelt es sich um einen akustikofacialen Reflex: Der afferente Schenkel des Reflexes läuft in der Hörbahn, auf Höhe des oberen Olivenkerns erfolgt die Umschaltung auf efferente Facialisfasern. Durch ipsi- und kontralaterale Verschaltungen zwischen Hörbahn und Facialiskernen kommt es über den N.facialis (aus dem der N.stapedius abgeht) zu Kontraktionen des M.stapedius in beiden Ohren (auch bei einseitiger Beschallung). 3.1.3.2. Physiologie des Innenohres Das heutige Wissen über die Funktion des Innenohres ist noch immer lückenhaft, unzählige Mechanismen der Cochlea sind noch unerforscht. 1885 legte Helmholz seiner Resonanztheorie [7] zugrunde, dass die Basilarmembran aus verschieden langen und verschieden stark gespannten Fasern (wie die Saiten eines Klavieres) besteht. Es sollen dann immer diejenigen Fasern durch Resonanz in Schwingung geraten, deren Eigenfrequenz dem einwirkenden Schall entspricht. Diese Theorie ist heute nur noch von historischem Interesse. Die hydrodynamische Theorie nach Béséky und Ranke stützt sich auf die direkte Beobachtung von Schneckenmodellen und anatomischen Präparaten. Béséky demonstrierte, das die Basilarmembran Wanderwellen unterstützt, die vom ovalen Fenster bis zum Apex der Cochlea wandern [8]. Der elastische Verschluss des runden Fensters gestattet den Volumenverschiebungen ein Ausweichen. Die zunehmende Breite der Basilarmembran, ihre Elastizität und der abnehmende Durchmesser des knöchernen Kanals geben diesen Wanderwellen besondere Eigenschaften: Ihre Amplitude wächst im Fortschreiten bis zu einer

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bestimmten Stelle mit maximaler Auslenkung an und bricht dann rasch zusammen (siehe Abb.7).

Abbildung 7: Wanderwelle nach Béséky

Hierbei kommt es zur Dispersion, d.h. einer räumlichen Trennung nach Frequenzen: Hohe Frequenzen bilden ihr Amplitudenmaximum an der Schneckenbasis, niedrige Frequenzen an der Schneckenspitze. Dieses Ortsprinzip nennt man auch Tonotopie. Béséky erhielt für seine Arbeiten über die Cochleafunktionen den Nobelpreis im Jahre 1961. Das Auflösungsvermögen der passiven Wanderwellen alleine wäre für eine differenzierte akustische Analyse allerdings viel zu grob. Erst eine weitere - mikromechanische – Funktion ermöglicht die Feinabstimmung. Man fand heraus, dass bei Leicheninnenohren die Frequenzselektivität geringer war als bei lebenden Innenohren. Man führte dies auf einen energieabhängigen Prozess zurück [9]. Man erkannte diesen als eine Leistung der äußeren Haarzellen, die mit ihren längsten Zilien ebenfalls bis in die Tektorialmembran reichen. Sie besitzen die Fähigkeit zu aktiven, rhythmischen Kontraktionen (bis zu 30 kHz) [10], die sowohl verstärkend als auch dämpfend auf die Amplitude der Schwingungen einwirken können - dies wird auch als das Prinzip der Otoakustischen Emissionen (OAE) angenommen (Kap. 4.6). Durch diese Amplitudenverstärkung und aktive Feinabstimmung wird eine scharfe und kontrastreiche Abbildung der Wanderwelle auf der Basilarmembran möglich. Ein ähnliches System der Informationsverfeinerung ist auch auf der Netzhaut des Auges bekannt (laterale Inhibition). Die schallinduzierte Auslenkung der Basilarmembran führt zu einer Relativbewegung zwischen Basilar- und Tektorialmembran, da diese an unterschiedlichen Punkten aufgehängt sind. Dadurch werden die längsten Stereozilien der Haarzellen abgeknickt. Die Haarzellen sind die eigentlichen Sinneszellen des Corti-Organes. Sie besitzen an der der Tektorialmembran zugewandten Seite etwa 100 kleine Sinneshärchen, die Stereozilien, welche mit ihrer Spitze in die gallertigen Tektorialmembran eingebettet sind. Eine Defletion der Zilien infolge des Schallreizes führt zur Änderung des Membranpotentials (Rezeptorpotential). Einzigartig im menschlichen Körper sind dabei die elektrophysiologischen und elektrochemischen Ausgangsbedingungen: Die Endolymphe hat eine ungewöhnlich hohe Kaliumkonzentration von etwa 140 mmol/l, und ist gegenüber den übrigen Extrazellularräumen des Körpers stark positiv geladen (etwa +85mV). Dieses ständig vorhandene Potential heißt endokochleäres Potential. Die Zilien grenzen an den Endolymphraum mit seinem Potential von +85mV, das Ruhemembranpotential der äußeren Haarzellen beträgt –70mV und bei den inneren Haarzellen –40mV. Dadurch errechnet sich für die Zilienoberfläche eine Membranpotentialdifferenz von etwa 125 - 155mV. Weil die K+-Ionenkonzentration der der Endolymphe mit 140mmol/l etwa der intrazellulären K+-Ionenkonzentration entspricht, errechnet sich (nach der Nernst-Gleichung) ein K+-Ionen-Gleichgewichtspotential von 0mV. Das bedeutet, dass die gesamte transmembranale Potentialdifferenz als treibende Kraft für den K+-Einstrom in die Zelle zur Verfügung steht. Eine Defletion der Zilien infolge des

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Schallreizes öffnet K+-Kanäle an der Spitze der Haarzelle. Durch diese strömen K+-Ionen aus der Endolymphe in die Haarzelle und depolarisieren diese. Zur Repolarisation besitzt die Zelle kaliumspezifische Ionenkanäle an der seitlichen Zellmembran, die ihrerseits wiederum durch die Depolarisation geöffnet werden. Durch diese können die K+-Ionen die Haarzelle wieder seitlich verlassen und das Membranpotential wieder auf den Ausgangswert anheben. Durch diesen Mechanismus verbrauchen die Haarzellen bei der elektromechanischen Transduktion keine zelleigene Energie. Die Defletion der Stereozilien bewirkt also eine Depolarisation der inneren Haarzellen und über Calcium-Ionen Einstrom aus der Perilymphe eine Freisetzung von Neurotransmittern am unteren Ende. Der afferente Transmitter wurde noch nicht sicher identifiziert, es handelt sich aber hochwahrscheinlich um Glutamat oder eine verwandte Verbindung. Er gelangt durch Diffusion in den synaptischen Spalt und bindet an entsprechende Rezeptoren an der Nervenzellmembran. Das dadurch ausgelöste Nervenaktionspotential wir dann über Hörnerv, Hirnstamm und zentrale Hörbahn bis zum auditorischen Kortex weitergeleitet: 3.1.4. Hörbahn Die Nervenfasern der Hörbahn haben bei der Geburt noch keine Myelinscheide und zeigen daher auch eine langsamere Nervenleitgeschwindigkeit als bei Erwachsenen. Die Myelinscheide wächst erst in den ersten beiden Lebensjahren aus (Hörbahnreifung). In den Kerngebieten des Hirnstammes wird die Hörbahn mehrfach synaptisch umgeschaltet. Je nach Stimulation des Gehörs gehen nicht benutzte Synapsen zugrunde, während andere stark benutzte nachwachsen (Bahnung). Bahnung und Reifung finden allerdings nur in sog. sensiblen Phasen statt, in denen adäquate Hörreize das Wachstum der Hörbahn noch beeinflussen können. Ohne geeignete Stimulation schließt die Hörbahnreifung auf einem niedrigen Niveau ab. Wegen der abnehmenden Plastizität des Gehirnes kann eine nicht ausgereifte Hörbahn im Erwachsenenalter nicht mehr entwickelt werden, selbst wenn dann zum Beispiel durch ein Cochlea Implantat geeignete Hörreize angeboten werden. Die Hörbahn hat nicht nur die Aufgabe Nervenimpulse an den auditorischen Kortex zu leiten. Durch zahlreiche Interneurone und komplexe inhibitorische und exzitatorische Verschaltungen beginnt die Informationsanalyse bereits in der Hörbahn (siehe Kap.3.1.5. bis 3.1.7.). Der Hörnerv (N.VIII=N.vestibulocochlearis) leitet, zusammen mit den Afferenzen des Gleichgewichtsorganes, das Hörsignal zentralwärts. Er läuft gemeinsam mit dem N.facialis und dem N.intermedius durch den Meatus acusticus internus im Felsenbein, um diesen später wieder durch den Porus acusticus internus zu verlassen und in Höhe des Kleinhirnbrückenwinkels in den Hirnstamm einzutreten. Jede Cochlea ist mit beiden Hirnhälften verbunden. Dies ist durch den teilweise gekreuzten Verlauf der Hörbahn zu erklären:

- Erstes Neuron: Die bipolaren Zellen des ersten Neurons bilden das Ganglion spirale, das direkt an der Spindel der Cochlea liegt. Die distalen Axone verbinden das Ganglion spirale mit den Rezeptoren, die proximalen Axone bilden den N. cochlearis und ziehen zum Kleinhirnbrückenwinkel, wo die Umschaltung auf das zweite Neuron im Nucleus cochlearis ventralis bzw. dorsalis erfolgt.

- Zweites Neuron: vom dorsalen Cochleariskern laufen die Fasern zu 90% gekreuzt direkt als sog. “schnelle Bahn“ zum Colliculus inferior, die restlichen 10% verlaufen ipsilateral. Vom ventralen Kern ziehen die Fasern teils gekreuzt, teils ungekreuzt

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(“langsame Bahn“) zur oberen Olive, die somit als erste Struktur in der Hörbahn Afferenzen von beiden Ohren (binaurales Hören) erhält.

- Drittes Neuron: Von der oberen Olive laufen die Fasern, die jetzt teilweise von der Gegenseite kommen, im Lemniscus lateralis über den Colliculus inferior, in dem sich die “schnelle Bahn“ wieder der “langsamen Bahn“ anschließt, zum Corpus geniculatum mediale.

- Viertes Neuron: Vom Corpus geniculatum mediale zieht die Hörstrahlung (Radiatio acustica) in die Hirnrinde zur Heschl-Querwindung des Temporallappens. Hier finden sich der primären auditorischen Kortex und ein auditorisches Assoziationsfeld. In tieferen Schichten des Kortex befinden sich die dorsalen und ventralen Projektionsfelder.

Ein Neuron einer niedrigen Ebene ist mit mehreren Neuronen der nächsthöheren Ebene und umgekehrt verbunden. Durch dieses “Divergenz-Konvergenzprinzip“ soll die Übertragung durch mehrere parallele Bahnen weniger störungsanfällig werden. Neben den afferenten Fasern existieren aber auch Efferenzen, die vorwiegend zu den äußeren Haarzellen ziehen und modulierenden Einfluss auf die Erfordernisse der jeweiligen Hörsituation haben: So sollen die äußeren Haarzellen unter anderem die Funktion eines kochleären Vorverstärkers haben, dessen Steuerung über die aktive Kontraktilität der Zilien erfolgt. Die bei der Prüfung der otoakustischen Emissionen (OAE) registrierten Schallaussendungen des Innenohres werden vermutlich ebenfalls durch die aktiven Prozesse dieser Zellen verursacht (siehe Kap.4.6.). 3.1.5. Signal-Kodierung Vier Prinzipien der Informationkodierung können auf der Hörbahn unterschieden werden:

- Tonotopie: Jede Haarzelle und Nervenfaser ist einer ganz bestimmten Tonfrequenz zugeordnet: nur durch diese Frequenz wird die zughörige Hörnervenfaser (durch das Amplitudenmaximum der Wanderwelle auf der Basilarmembran) maximal erregt. Diese Frequenz heißt charakteristische Frequenz oder Bestfrequenz. Diese Tonotopie wird im weiteren Verlauf der Hörbahn beibehalten und lässt sich bis zur primären Hörrinde verfolgen.

- Intensitätskodierung: Die Lautstärke, also die Höhe des Schalldruckpegels, wird durch die Entladungsfrequenz codiert. Bei Erreichen einer maximalen Entladungsfrequenz werden benachbarte Nervenfasern rekrutiert und so auch sehr Laute Schallreize differenzierbar.

- Die Zeitdauer des Schallreizes wird durch die Zeit der Aktivierung codiert. - Periodizitätsanalyse: Hier werden Wiederholungen im Schallsignal (Periodizität)

bereits auf Hörbahnebene erkannt und in die Schallanalyse eingegliedert. Obwohl begrenzt durch die Refraktärzeit der Nerven und Synapsen, gelingt durch das sog. Konvergenz-Divergenz-Prinzip eine Periodizitätserkennung bis in den Bereich von 5-6kHz und deckt damit den Hauptsprachbereich ab.

3.1.6. Räumliches Hören – Richtungshören Die Richtung einer Schallquelle kann geortet werden. Das Richtungshören ist eine Leistung der zentralen Signalverarbeitung und erfordert binaurales Hören. In bestimmten Bereichen, etwa der oberen Olive (LSO) oder dem Colliculus inferior, finden sich auf die

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Raumorientierung hochspezialisierte Neurone, welche die von beiden Ohren ankommenden Signale miteinander auf Zeit- und Intensitätsunterschiede vergleichen. Angenommen die Schallquelle liegt seitlich vom Kopf. Dann ist sie von dem abgewandten Ohr weiter entfernt als vom zugewandten. Der Schall trifft dadurch am abgewandten Ohr etwas später und leiser (durch die Abschattung des Kopfes “Head Shadow“) ein. Diese Unterschiede werden zentral im Verlauf der Hörbahn analysiert:

- Intensitätsunterschiede (IID (oder ILD) =interaural intensity (level) differences): der gerade noch erkennbare Unterschied (JND=just noticeable difference) wird von verschiedenen Autoren zwischen 0,6 und 2 dB angegeben und ist frequenzabhängig [11]. Eine gute Übersicht liefert Blauert in seinem Buch “spatial hearing“ [12]. Für bilaterale CI-Träger scheint der JND im Bereich der minimalen Stromstärkenstufen des Implantates zu liegen [89 bis 96].

- Laufzeitunterschiede (ITD=interaural time differences): der JND wird hier von den verschiedenen Autoren zwischen 2 und 15µs angegeben [87],[12]. Für bilaterale CI-2Träger (COMBI 40/40+) können JNDs im Bereich von bis zu 50µs und darunter beobachtet werden [89 bis 91].

Durch Auswertung dieser beiden Parameter (“Cues“) ist es dem menschlichen Gehör möglich, Richtungsabweichungen von der Mittellinie ab etwa 3˚ zu registrieren. (Angaben in der Literatur reichen von 0,75 bis 4,4˚ [12]). So kann der Raumwinkel einer Schallquelle bestimmt werden. Für die Entscheidung, ob diese allerdings oben, unten, vorne oder hinten liegt, ist vor allem auch die Form der Ohrmuscheln wichtig: Je nachdem, in welchem Winkel der Schall auf die Ohrmuschel auftrifft, wird er verformt (verzerrt). Diese Verzerrungen und spektrale Unterschiede können zentral zum räumlichen Hören (zumindest in der Medianebene) miteinbezogen werden [13]. Weiters spielen Intensitäts-, Laufzeit-, und spektrale Unterschiede auch eine wichtige Rolle für das Hören im Störschall, um z.B. ein störendes Hintergrundgeräusch und den Sprecher als zwei räumlich getrennte Schallquellen (Störsignal und Nutzsingal) wahrzunehmen, und die Konzentration auf den Sprecher zu halten (Coctailparty Effekt, Squelcheffekt). Um diese Möglichkeiten auch beidseits hörgestörten Personen zugänglich zu machen, sollten sie auf beiden Ohren eine Hörhilfe erhalten (bilaterale Hörgeräteversorgung oder Bilaterale Cochlea Implantation). 3.1.7. Spracherkennung Die Spracherkennung ist wahrscheinlich die wichtigste Aufgabe des menschlichen Gehörs. Die Mechanismen werden erst teilweise verstanden: Durch Frequenz-, Intensitäts-, Periodizitäts- und Segmentanalysen können bestimmte Eigenschaften des Schallmusters herausgefiltert werden. So gibt es hochspezialisierte Neurone, die z.B. nur den Beginn oder das Ende von Schallreizen, deren Zeitdauer, Wiederholungen, oder Änderungen der Frequenz bzw. Amplitude analysieren. Schon die Erkennung, dass ein akustisches Signal nicht nur Rauschen darstellt, sondern Sprache und damit sinnbehaftet ist, setzt komplexe Bearbeitungsschritte voraus. Bereits zu Beginn eines Wortes wird im Kurz- und Langzeitgedächtnis, u.a. im Wernicke-Sprachzentrum, nach abgespeicherten passenden Übereinstimmungen gesucht. Würde man die Spracherkennung rein technisch betrachten, stellt sie auf jeden Fall eine sehr “rechenintensive“ Leistung des Gehirns dar. Das Gehirn arbeitet zwar langsamer als unsere heutigen Computer, kann die niedrigere Datenverarbeitungsgeschwindigkeit aber durch einen hohen Grad an Parallelverarbeitung und Plastizität mehr als nur kompensieren.

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3.2. Ätiologie kindlicher Hörstörungen Die besondere Bedeutung kindlicher Hörstörungen liegt in der Tatsache, dass sie früh diagnostiziert werden müssen, um möglichen irreparablen Rückständen in der sprachlichen, intellektuellen, psychosozialen und emotionalen Entwicklung rechtzeitig therapeutisch entgegenzuwirken [14]. Prozesse wie die Sprachentwicklung oder die Hörbahnentwicklung sind nur in der Kindheit in den sogenannten kritischen Phasen möglich [3] (siehe auch Kap.2.2.1, Kap.3.1.4). Eine zu spät gestellte Diagnose oder eine verspätete effiziente Behandlung einer angeborenen oder prälingual erworbenen Hörstörung kann nie mehr die verpassten therapeutischen Möglichkeiten der ersten Lebensjahre aufholen: Ohne Nervenimpulse und Höreindrücke reifen weder die Hörbahn noch der auditorische Kortex voll aus. Bei einem hochgradig hörgestörten Kind stockt die Sprachentwicklung in der 1. bzw. 2.Lallphase bevor es schließlich zur Regression der Sprachentwicklung kommt und die Kinder schließlich wieder verstummen. Es besteht die dringende Notwendigkeit einer frühen Identifizierung von Risikopatienten [15] sowie einer raschen Abklärung, um ein möglichst niedriges Alter der Erstdiagnose und einen verzögerungsfreien Behandlungsbeginn zu gewährleisten [16], [17]. Die Geschlechterverteilung der tauben Kinder zeigt ein noch unerklärtes Überwiegen der Knaben mit 54:46 Prozent (männlich/weiblich) [18]. Bei etwa 50 Prozent aller tauben Kinder lassen sich genetische Faktoren nachweisen, in etwa 30 Prozent finden sich erworbene Ursachen und 20 Prozent der Fälle bleiben äthiologisch ungeklärt. Diese Prozentangaben variieren stark in der medizinischen-genetischen Literatur. Das Wissen um die Formen der genetischen Innenohrhörstörungen hat sich in den letzten fünf Jahren dramatisch erweitert und führt dazu, dass zukünftig weniger Fälle äthiologisch ungeklärt bleiben [19]. Eine primär bestehende isolierte Innenohr-Hörstörung führt obligat zu einer zentralen Schwerhörigkeit auf Grund einer Hörbahnreifungsstörung, weil während der sensiblen Phasen der Hörbahnreifung weder eine ausreichende akustische Rückkoppelung noch eine Stimulation der zentralen Hörbahnen erfolgt. Neben Sprech- und Sprachstörungen kann die akustische Deprivation bei unzureichender Förderung auch zu irreversiblen Defiziten in der intellektuellen, kognitiven, emotionalen und psychosozialen Entwicklung des Kindes führen. 3.2.1. Ursachen sensorineuraler Hörstörungen Synonyme: Schallempfindungs-Hörstörung, Innenohr-Hörstörung/Schwerhörigkeit,

sensoneurinale Hörstörung Die Bezeichnung Innenohrschwerhörigkeit besagt, dass eine Störung der Reizaufnahme bzw. Reizumwandlung im Innenohr zwischen Steigbügelfußplatte und dem ersten Neuron der Hörbahn vorliegt. Prinzipiell kommen folgende Störungen in Frage:

- angeborene Fehlbildungen der Cochlea (Übersicht: Tabelle 3) - erworbene (entzündlich oder traumatische) Zerstörung der Cochlea - isolierte Funktionsstörungen einzelner Innenohrstrukturen (z.B. nur der Haarzellen

oder der Stria vaskularis - z.B. mit Veränderung der Endolymphproduktion) Die heute am häufigsten verwendete Unterscheidung angeborener Labyrinthfehlbildungen in die Typen Scheibe, Michel, Mondini und Alexanderi geht auf Siebenmann (1904) [20] zurück und ist eigentlich inzwischen überholt, da hier kongenitale Folgezustände exogener

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Fetopathien (z.B. Röteln, siehe nächstes Kapitel) und echte Fehlbildungen durch Entwicklungshemmung nicht unterschieden wurden. Nach Mündnich und Terrahe [21] wurden die Labyrinthfehlbildungen deshalb in die Typen 0-3 A/B unterteilt. Die Zahl (0,1,2 oder 3) gibt die Zahl der betroffenen Bogengänge an, A/B gibt an, ob nur das Bogengangsystem (A) oder auch die Schnecke betroffen ist (B). Marangos und Aschendorf [74] schlagen für die bei Cochlea Implantationen klinisch relevanten Innenohrfehlbildungen folgende Einteilung vor: 1. inkomplette Embryogenese komplette Labyrinthaplasie (Typ Michel) common cavity Cochlea-Aplasie/Hypoplasie Bogengang-Aplasie/Hypoplasie Hypoplasie des gesammten Innenohhres Mondini Dysplasie 2. Entwicklungsstörungen erweiterter Aquäductus vestibuli verengter innerer Gehörgang lange Crista transversa inkomplette knöcherne kochleomeatale Separation 3. Fehlbildungen bei Syndromen

Tabelle 3: kongenitale cochleäre Fehlbildungen [74] Audiometrisch ist bei Innenohrhörstörungen die Hörschwelle sowohl über Luftleitung als auch über Knochenleitung verschlechtert. Bei einseitiger Schallempfindungsstörung ergibt der Weber-Versuch eine Lateralisation ins gesunde bzw. bessere Ohr, der Rinne-Versuch bleibt aber positiv. Zur Diagnose von beidseitigen seitengleichen Innenohrhörstörungen sind diese Stimmgabelversuche allerdings ungeeignet, auch eine Unterscheidung in retrocochleäre und kochleäre Störungen ist unmöglich. Hier müssen andere Methoden zur Gehörprüfung angewendet werden (siehe Kap.4). 3.2.1.1. Genetisch bedingte Innenohr-Hörstörungen Synonym: hereditäre (congenitale) Innenohr-Hörstörungen Schwere genetisch bedingte sensorineurale Hörverminderungen mit über 60dB verminderter Hörschwelle treten bei 1:750 bis 1:1000 Geburten auf [19],[22]. Sie manifestieren sich entweder schon bei der Geburt oder erst in den ersten Lebensjahren. Man unterscheidet:

- syndromatische Formen (ca. 30 %): ca. 160 bekannte Syndrome - nicht syndromatische Formen (ca. 70 %): isolierte Hörstörungen

Folgende Erbgänge genetischer Innenohrhörstörungen sind dzt. bekannt:

1. autosomal rezessiv (größter Anteil der erblichen Schwerhörigkeiten): z.B. GJB2 – Connexin 26 Mutationen

2. autosomal dominant (seltener): die Schwerhörigkeit ist bei Geburt meist noch nicht voll ausgebildet (progredienter Hörverlust im späten Kindes/Jugendalter)

3. X-chromosomal rezessiv (selten)

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In mehr als 50% der sensoneuronalen kindlichen Hörstörungen können heute genetische Ursachen identifiziert werden. Bis heute sind mindestens 53 Genloci für isolierte und mindestens 15 Genloci für syndromale Hörstörungen bekannt. Besonders häufig (etwa 50% aller prelingualen Taubheits-Fälle) sind Mutationen im Genlocus DFNB1 an dem GJB2 (Connexin 26) Gen. Diese Mutaionen verursachen eine autosomal-rezessive nicht-syndromale Hörstörung. Bis heute wurden alleine für das GJB2-Gen 26 verschiedene Mutationen gefunden, die häufigste derzeit bekannte ist die Deletion 35delG (82% aller GJB2-Mutationen) [23]. Andere seltenere Erbgänge betreffen Mutationen, die autosomal-dominant oder X-chromosomal weitergegeben werden. Autosomal-dominante Hörstörungen zeigen anfänglich oft noch ein Restgehör, welches aber progredient im Kindes- oder Jugendalter verfällt. Prognostischen Aussagen sollten im Einzelfall aber eher zurückhaltend getätigt werden, wenn keine genaue Familienanamnese und Erbfolge bekannt ist. Im Einzelfall wird sich die Prognose einer hereditären Hörstörung nur abschätzen lassen, wenn man auch ältere Familienmitglieder untersuchen kann. Welches Wiederholungsrisko bei einem schwerhörigen Kind für das nächste Kind besteht, hängt vom Erbmodus ab. Statistische Untersuchungen zeigen, dass taube Kinder bei tauben Eltern (auch wenn beide taub sind) nicht etwa die Regel, sondern die Ausnahme darstellen: Grund hierfür sind die zahlreichen und vor allem unterschiedlichen Ursachen für erworbene und genetische Hörstörungen. Man kann zwischen folgenden Elternkonstellationen unterscheiden:

- Paare von einem tauben Menschen mit einem normal Hörenden: Bei der häufigen autosomal-rezessiven Taubheit ist das Erkrankungsrisiko der nächsten Generation nicht erhöht, alle Kinder erben aber die Veranlagung vom tauben Elternteil, sind also Überträger. Nur etwa 10% aller tauben Menschen haben eine autosomal-dominante Taubheit: 50% der Kinder wird hier erkranken, wenn ein Elternteil eine solche hat.

- Paare von zwei tauben Menschen: Bei nicht erblicher (=erworbener) Gehörlosigkeit besteht kein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Wenn nur ein Elternteil eine erbliche Taubheit hat (und der andere eine erworbene) gilt dasselbe wie bei Ehen von einem Tauben und einem Gesunden (s.o.). Wenn beide Eltern eine erbliche Taubheit haben ist das Erkrankungsrisiko abhängig von der Konstellation: z.B.: 50% Erkrankungsrisiko wenn nur ein Elternteil, 75% wenn beide Eltern eine autosomal-dominante Form haben. Haben beide Eltern eine identische autosomal-rezessive Form sind beide genetisch homozygot und 100% der Kinder taub. Falls keine identische aut.rez. Veranlagung vorliegt sind alle Kinder hörend. Falls keine schlüssige genetische Identifizierung der genauen aut.rez. Form bei beiden Eltern gelingt, liefert das erste Kind die Antwort: Ein normal Hörendes Kind beweist dann in der Regel eine heterogene Taubheitsursache der beiden Eltern.

3.2.1.2. Syndrome mit Innenohrschwerhörigkeit Bei vielen syndromatischen Hörstörungen werden die assoziierten Veränderungen der anderen zusätzlich betroffenen Organe erst später im Verlauf der Kindheit manifest. Deshalb sollten hörgestörte Kinder im Alter von 10-14 Jahren noch einmal kinderärztlich und augenärztlich untersucht werden [2]. Einen umfassende Darstellung der ca. 160 bekannten Syndrome gibt Leiber [24]. Hier sollen einige der häufigeren Syndrome erwähnt werden: Alport-Syndrom: Hörstörung plus Niereninsuffizienz. Die Innenohrschwerhörigkeit ist symmetrisch und progressiv, wird aber meist erst in der 2. Lebensdekade manifest. Hinzu kommt eine thermische vestibulare Untererregbarkeit. Gelegentlich schreitet die Hörstörung

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auch schubweise fort, daher sollte bei kindlichem “Hörsturz“ immer ein Alport-Syndrom ausgeschlossen werden! Hinzu kommt eine chronisch progrediente Nephritis, die früher oder später in einer terminalen Niereninsuffizienz endet. Man unterscheidet TYP 1-6, wobei folgende Kriterien zur Einteilung herangezogen werden: der Erbgang (aut.dom oder X-chr.rez.), Manifestationsalter der Nephropathie (Jugend- bis späteres Erwachsenenalter), Augenanomalien (Lentikokonus, Linsentrübungen, Spärophakie, Augenhintergrund-veränderungen usw. ) und eine ev. vorkommende Thrombozytopathie. Usher-Syndrom: Hörstörung plus Sehstöung (Retinitis pigmentosa). Aut.rez. (Typ 1-3) oder X-chr. (Typ 4) angeborene (Typ1 – 90% der Fälle) oder früh sich manifestierende meist nicht progrediente Innenohrschwerhörigkeit, vor allem im Hochtonbereich. Die Retinitis pigmentosa beginnt im Kindesalter (Typ1) oder erst in der 2. Dekade (Typ2). Der Typ3 weist eine progrediente Schwerhörigkeit auf, begleitenden Augenveränderungen beginnen in der Pubertät [25]. Pendred-Syndrom: Hörstörung plus Struma und milder Hypothyreose. Aut.rez. Syndrom mit missense-Mutationen auf dem Chromosom 7q22-q31.1 (PDS-Gen), kodierend für einen Sulfattransporter [26]. Hypothyreose und Struma können im Kindesalter noch subklinisch sein. Die Diagnose ist dann nur mittels Depletionstest mit Jod123, Perchloratausscheidungstest oder genetischer Untersuchung möglich [27]. Franceschetti-Syndrom: Hörstörung plus typische Facies (“Vogelgesicht“): antimongoloide Lidspalten, Kolobombildung des Unterlids, Oberkieferhypoplasie, Gaumen-Fehlbildung, Ohrmuscheldysmorphie. Autosomal-dominant. 3.2.1.3. Erworbene Innenohrschwerhörigkeit Bei den nicht-hereditären (erworbenen) Hörstörungen wird nach dem Entstehungszeitpunkt zwischen prä-, peri- und postnatal erworbenen Hörstörungen unterschieden. Siehe dazu die Übersicht auf Tabelle 4 (nächste Seite). 3.2.1.3.1 Meningitis Meningitis gilt bei Kindern und Erwachsenen als insgesamt häufigste Taubheitsursache. Bei bis zu 10% aller Kinder mit einer akuten bakteriellen Meningitis kommt es als Komplikation zu einem uni- oder bilateraler Hörverlust. Ein anfangs noch vorhandenes Restgehör kann im weiteren Verlauf progredient verfallen, da es zu einer teilweisen oder vollständigen Verknöcherung der Cochlea (Labyrinthitis ossificans) kommen kann. Dabei wird vor allem das Corti-Organ geschädigt. Hörnerv und Hörbahn bleiben meist unversehrt, was therapeutisch eine Cochlea Implantation erlaubt. Infektionen im subarachnoidalen Spalt breiten sich auf zwei Wegen bis zur Cochlea aus: Der Erste führt von der Basis des Meatus acusticus internus durch das Felsenbein zur Scala tympani der basalen Windung in der Nähe des runden Fensters. Der Zweite Weg führt, ausgehend von lateralen Anteilen des Canalis acusticus internus, über kleine Knochenkanäle von an der rostralen Fläche des Felsenbeins. (Eine Übersicht kindlicher Hörstörungen gibt Tabelle 4 auf der nächsten Seite)

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PRÄNATAL ERWORBENE HÖRSTÖRUNG:

Hereditäre Schwerhörigkeit (positive Familienanamnese)

Schwangerschaftsinfektionen: (vor der 22. SSW)

Rötelnembryopathie

connatale Lues

Toxoplasmose

Toxisch-medikamentös:

Alkoholfetopathie

iv-Drogen

Thalidomid (Contergan- Katastrophe 1960)

Chinin

Schwerer Diabetes Mellitus der Mutter

Plazentainsuffizienz (Ursache einer pränatalen Hypoxie/Asphyxie)

Schwere Blutungen und vorzeitige Wehen in der Schwangerschaft

ionisierende Strahlen in der Schwangerschaft (Reaktorunfall, therapeutisch)

PERINATAL ERWORBENE HÖRSTÖRUNG:

schwere ASPHYXIE (Apgar < 4)

Frühgeburt (<1500 g)

Geburtstrauma (mech. Trauma mit Hirnblutungen und Einbluten in die Cochlea)

Infektiös: Herpes simplex/zoster, Zytomegalie, Masern u.a.

Rhesusinkompatibilität, Ikterus gravis (Hyperbilirubinämie > 20mg%)

neonatale Meningitis/Sepsis

POSTNATAL ERWORBENE HÖRSTÖRUNG:

MENINGITIS, Meningoenzephalitis

ototoxische Medikamente: Aminogycosid-Antibiotika, Diuretika, Chemotherapie

schwere Mumps- oder Maserninfektion im Säuglingsalter

rez. OTITIS MEDIA (=> komb. Schalleitungs- Schallempfindungsstörung)

TRAUMEN (otobasale Frakturen, Contusio labyrinthi, akust. Trauma z.B. Explosion)

Morbus Menière / kindlicher Hörsturz (selten, DD: hereditär-progrediente Hörstörung,

psychogene Hörstörung)

Tabelle 4: Übersicht erworbener Hörstörungen im Kindesalter

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3.2.1.3.2 Labyrinthitis Praktisch alle in der Tabelle 4 angeführten Infektionen können das Innenohr über eine virale/bakterielle, hämatogene/fortgeleitete Layrinthitis schädigen. 3.2.1.3.3 perinatale und pränatale Asphyxie Häufigste Ursache der erworbenen angeborenen Innenohrschwerhörigkeit. Diagnostisch wegweisend sind ein niedriges Geburtsgewicht, vorzeitige Wehen, Plazentainsuffizienz, starke Blutungen in der Schwangerschaft und ein niedriger APGAR-Score. Beim APGAR-Score werden Atmung, Puls, Grundtonus, Aussehen und Reflexe des Neugeborenen 5/10 Minuten nach der Geburt jeweils auf einer 3-Stufenskala (0,1 oder 2 Punkte) bewertet. Normalerweise erreicht das Neugeborene 9-10 Punkte. Weniger als 7 Punkte weisen auf einen Depressionszustand hin. Am häufigsten wird dieser durch perinatale Hypoxien ausgelöst. Ein kurzfristiger Sauerstoffmangel ruft zunächst eine Hochtonschwerhörigkeit hervor, längere oder schwerere Asphyxie meist eine pantonale Hörstörung bis Gehörlosigkeit. Zusätzlich treten in diesen Fällen fast immer auch andere Schädigungen auf: Besonders häufig sind Hirnschäden, die eine psychomotorische Entwicklungsverzögerung nach sich ziehen können. Im Extremfall kommt es zu zerebralen Bewegungsstörungen und geistiger Behinderung. Häufig werden aber auch diese im Verhalten stark gestörten Kinder nach einer audiologischen Versorgung wesentlich ruhiger und holen in der Entwicklung deutlich auf, wenn die akustische Deprivation, welche die geistige Behinderung verstärkt, mit Hörgeräten oder CI´s beseitigt wird [49]. 3.2.1.3.4 akute und chronische Otitis media Bei akuten bakteriellen Otitiden kommt es nur selten über eine Labyrinthitis zum Hörverlust. Nach einer Grippeotitis, bei der typischweise Blutblasen im Gehörgang und am Trommelfell auftreten, ist durch infektiös-toxische Schädigung häufiger als bei anderen Erregern eine Schallempfindungsstörung zu beobachten. Bei chronisch rezidivierender Otitis media kann es neben einer Schalleitungsschwerhörigkeit zu einer Schallempfindungsschwerhörigkeit kommen. Diese wird dann wie bei der Grippeotitis infektiös-toxisch oder bei einem Cholesteatom über direkten Einbruch der Knocheneiterung ins Labyrinth verursacht. 3.2.1.3.5 Traumen, Lärm-, Knall- und Explosionstrauma Traumen (akustischer oder nicht akustischer Art) können sowohl eine Schallempfindungs- als auch eine Schalleitungsschwerhörigkeit verursachen. (siehe Kapitel 3.2.2.8.) 3.2.1.3.6 Hörsturz, Morbus Menière Beim Kind ist ein echter Hörsturz selten. Man nimmt an, dass der Auslöser viraler, vaskülärer, immunpathologischer oder metabolischer Genese ist. Bei plötzlicher Hörverschlechterung sollte ein Alport-Syndrom und eine psychogene Hörstörung immer ausgeschlossen werden. Ein M.Menière ist beim Kind ebenfalls selten und zeigt die Symptome-Trias: Drehschwindel, Tinnitus, einseitige Hypakusis. Ursache ist ein Hydrops des häutigen Labyrinthes. Typisch ist im Audiogramm eine Tieftonschwerhörigkeit. Einen guten Überblick über diese im Erwachsenenalter häufige und wichtige Erkrankung gibt Arnold [28] und Morgenstern [29].

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3.2.1.4. Retrokochleäre und zentrale Hörstörungen Es handelt sich hier um auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen, welche durch eine Störung der zentralen Hörbahn oder der zentrale Hörprozesse (siehe Kapitel 3.1.4. bis 3.1.7.) verursacht werden.

• Kinder mit Reifungsstörungen der zentralen Hörbahn zeigen trotz normalen peripheren Gehörs erst bei höheren Schallpegeln Reaktionen, als es für das jeweilige Lebensalter typisch ist. Evozierte otoakustische Potentiale (OAE) zeigen hier normale Ergebnisse. Akustisch evozierte Hirnstammpotentiale (BERA) können normal sein oder Latenz/Formveränderungen zeigen. Die Auslösungs-Schwelle der kortikal akustisch evozierten Potentiale ist wie die Reaktionsschwelle erhöht. Die auf eine Reifungsstörung zurückzuführende zentrale Hörstörung hat eine gute Prognose.

• Entzündliche, vaskuläre, metabolische oder traumatische Schäden können ebenfalls zu retrokochleären oder zentralen Hörstörungen führen. Die genaue Ursache kann oft nicht mehr ermittelt werden.

Kinder mit zentralen und retrokochleären Hörstörungen werden oft spät erkannt. Die Standarttests der Audiometrie sind diagnostisch meist unzureichend, weil die Kinder auf grobe Schallreize oft eine adäquate Reaktion zeigen. Spezielle sprachgebundene Untersuchungsmethoden mit oder ohne Bildmaterial sind besser geeignet, um z.B. Lautdiskriminationsstörungen (Verwechslungen: lesen-lösen, Kirche-Kirsche,...) aufzudecken. 3.2.2. Ursachen der Mittelohr-Hörstörung Synonym: Schalleitungsschwerhörigkeit Die Ursache eines gestörten Schalltransportes kann im Bereich des Außen- oder Mittelohres lokalisiert sein. Audiometrisch ist die Hörschwelle über Luftleitung schlechter als über Knochenleitung. Im Weberversuch wird die Stimmgabel bei Schalleitungsstörungen ins schlechter hörenden Ohr lateralisiert, der Rinneversuch ist negativ. Der Grund einer Schalleitungsschwerhörigkeit lässt sich in der Mehrzahl der Fälle durch eine einfache Inspektion des Außenohres, Gehörganges und Trommelfells ermitteln: Gehörgangsatresien/Stenosen, Cerumen/Fremdkörper, Entzündung/Narben, Paukenerguss usw. Auf diese Weise nicht identifizierbare Ursachen beruhen meist auf den relativ seltenen Fehlbildungen/Unterbrechungen der Ossikelkette. 3.2.2.1. Tubenbelüftungsstörungen und Paukenhöhlenerguss Eine der häufigsten Ursachen der kindlichen Schwerhörigkeit ist eine passagere Tubenventilationsstörung, meist im Rahmen eines Infektes der oberen Luftwege. Bedingt durch die begleitende Schleimhautschwellung im Bereich des pharyngealen Ostiums oder im Tubenverlauf (Tubenkatarrh) entsteht eine eingeschränkte oder aufgehobene Öffnungsfähigkeit der Tuba auditiva und damit ein Störung des Druckausgleiches im Mittelohr. Andere Ursachen einer Tubenbelüftungsstörung sind adenoide Vegetationen (hyperplastische Rachenmandel) im Bereich der pharyngealen Tubenostien. Selten werden angeborene Form- und Verlaufsvarianten der Tube beobachtet. Eine muskuläre Insuffizienz

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des Tubenöffnungsmechanismus ist häufiger bei Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten [30] und Down-Syndrom. Bei gestörter Tubenfunktion wird zunächst vermehrt Luft in der Paukenhöhle resorbiert. Der so entstehende Unterdruck bewirkt eine Retraktion des Trommelfells und eine Transudation von seröser Gewebeflüssigkeit, die zusammen mit angestautem normalen Sekret einen Paukenerguss ausbildet. Schon ein geringer Unterdruck im Mittelohr kann über eine Trommelfellretraktion eine Versteifung und Dämpfung der Gehörknöchelchenkette mit vermehrter Reibung verursachen. Das Audiogramm kann unauffällig sein oder eine um etwa 20dB verminderte Luftleitung ab ca. 2000 Hz bei normaler Knochenleitung zeigen. Diagnostisch hilfreich ist neben der Ohrmikroskopie die Tympanometrie (siehe Kap. 4.5). Selbst leichte Hörverminderungen von 15dB können, wenn sie > 3 Monate bestehen, bei Kindern während der sensiblen Phasen zu Sprachentwicklungsverzögerungen führen. 3.2.2.2. Seromukotympanon und Tympanosklerose Persistiert ein seröser Paukenerguss längere Zeit, kommt es zu einer Metaplasie der Mittelohrschleimhaut mit Vermehrung von schleimbildenden Becherzellen [31]. Der mit Entzündungsmediatoren und Proteasen angereicherte Schleim (lat. Mukus) vermischt sich mit dem serösen Paukenerguss und bildet ein Seromukotympanon (Glue ear, Kleisterohr). Klinisch resultieren rezidivierende Otitiden mit einer Schalleitungsschwerhörigkeit von bis zu 40dB. Nach einiger Zeit kommt es zu einer narbigen Fibrose (Tympanosklerose) oder zur Cholesterinablagerung (Cholesteringranulom). Der Resonanzpunkt des Mittelohres verschiebt sich zunehmend zu höheren Frequenzen. Im Audiogramm findet sich deshalb ein weitgehend normales Hochtongehör, bei tieferen Frequenzen aber eine Luftleitungsstörung von etwa 50dB. 3.2.2.3. Otosklerose Bei Kindern selten. Aus ungeklärter Ursache wird der normale Stränchenknochen in der Labyrinthkapsel resorbiert und durch geflechtartigen spongiösen Knochen ersetzt. Häufig kommt es dabei auch zu einer Otosklerose im Bereich der ovalen Fensternische mit Fixierung der Steigbügelplatte (Stapesankylose). Es resultiert eine meist in der Pubertät beginnende langsam progrediente Schalleitungsschwerhörigkeit (bis 60dB, typischerweise gleichzeitig eine scheinbare Innenorschwerhörigkeit bei 2-3kHz = “Carhart-Senke“). Der Stapediusreflex ist am betroffenen Ohr nicht auslösbar. 3.2.2.4. Fehlbildungen und Unterbrechung der Ossikelkette Bestimmte Formen der chronischen Otitis media oder seitliche Schädelbasisfrakturen können die Kontinuität der Gehörknöchelchenkette unterbrechen. Bei intaktem Trommelfell resultiert eine Schalleitungsschwerhörigkeit von etwa 50-60dB. Selten sind Fehlbildungen der Ossikel-kette, etwa eine Verschmelzung des Hammerkopfes mit dem Ambosskörper. Sie kommen isoliert oder in Verbindung mit Fehlbildungen der Ohrmuschel und des Gehörganges vor [32]. 3.2.2.5. Trommelfellperforation Bei Kindern seltener als bei Erwachsenen. Traumatisch oder durch chronische Otitiden können Trommelfelldefekte entstehen. Mit zunehmender Größe des Defektes wird auch die Schallprotektion des runden Fensters verschlechtert. Schallwellen gelangen so in das Mittelohr und treffen gleichzeitig auf dem ovalen und runden Fenster auf, was zur Ausbildung von gegenläufigen Wanderwellen in der Cochlea führt und dadurch den normalen Hörprozess im Innenohr erheblich beeinträchtigt (siehe Kapitel 3.1.3.2.).

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3.2.2.6. Fremdkörper Im einfachsten Fall handelt es sich hier um Cerumen. Gerade bei Kindern kommen aber alle möglichen Gegenstände aus Kinderzimmer und Küche in Frage, wenn sie nur klein genug sind - z.B.: Erbsen, Perlen, Legosteine, Plastilin usw. Organische Fremdkörper können nach längerer Verweildauer im Gehörgang zu eitriger, fötider Ohrsekretion führen. Eine Schalleitungsstörung entsteht nur, wenn der Gehörgang völlig verlegt ist. 3.2.2.7. Fehlbildungen des Außen- und Mittelohres Angeborene Fehlbildungen treten isoliert oder im Rahmen bestimmter Syndrome auf (siehe Kap 3.2.1.2.). Sie sind genetisch bedingt oder durch exogene (infektiös/Teratogene ) Schädigung während der 4./5. Schwangerschaftswoche entstanden. Am häufigsten sind:

- Gehörgangsatresien (Hörverminderung bis zu 60dB) - Ohrmuschelfehlbildungen (Einteilung in 4 Schweregrade [32] - Ossikelfehlbildungen (siehe Kap. 3.2.2.4.)

3.2.2.8. akutes akustisches Trauma und chronische Lärmschäden Eine akutes akustisches Trauma, auch Explosions- oder Knalltrauma genannt, mit >150dB, und <1.5sec kann Folge einer Ohrfeige (meist linkes Ohr betroffen), Kuss aufs Ohr, Feuerwerkskörper oder Spielzeugpistole sein. Durch die kurze Dauer der Schallwelle sind die kochleären Schutzmechanismen (z.B. der Stapediusreflex) nicht wirksam. Innenohr und Mittelohrstrukturen werden meist gleichzeitig geschädigt:

- Mittelohr: Durch die Druckwelle kommt es zu Trommelfellzerreißungen, Ossikelluxation/fraktur und Einblutung in die Paukenhöhle.

- Innenohr: Die Schädigungsmechanismen sind teilweise noch unbekannt. Eine direkte Schädigung der Haarzellen zeigt sich in umgefallenen oder fusionierten Zilien [33],[34]. Hohe Schalldruckspitzen von >200dB können im Corti-Organ zu mechanischen strukturellen Zerreißungen und Zellysen führen. Vorbestehende Minderperfusion und reaktive Mikrozirkulationsstörungen erhöhen das Schädigungsrisiko.

Chronische Lärmschäden bei Kindern sind selten. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Mechanismen werden hier molekularbiologische Veränderungen in der DNA und RNA, der Proteinsynthese und anderen Zellfunktionen der Haarzellen vermutet. Die schädigenden Mechanismen aber großteils noch ungeklärt [35].

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4. Pädaudiometrie Die Messung des Hörvermögens im Kindesalter ist ein Teil der pädaudiologischen Gesamtdiagnostik und unterscheidet sich von der Erwachsenen-Audiometrie in folgenden Punkten:

- größerer Zeitaufwand - Testmethoden müssen dem jeweiligen Alter angepasst sein. Langdauernde

Untersuchungen sind zu vermeiden, da die Konzentrationsfähigkeit und das Interesse an den Hörtests schneller nachlassen

- Ergebnisse (insbesondere die Reaktionsschwellen) können oft nur mit einer Genauigkeit von etwa +/- 20dB angegeben werden (+/- 5 dB bei Erwachsenen).

- Die Tests sollten von pädaudiologisch erfahrenen Fachkräften durchgeführt werden Eine pädaudiologische Diagnostik sollte sich immer auf subjektive und objektive Verfahren stützen (in den folgenden Kapiteln werden die wichtigsten Untersuchungen beschrieben):

- subjektive Verfahren: um verlässliche Ergebnisse zu erhalten, ist man auf die Mitarbeit des Kindes angewiesen. Beispiele: Reflex-, Verhaltens-, Spielaudiometrie.

- objektive Verfahren: sie sind unabhängig von Aufmerksamkeit, Mitarbeit und Bewusstseinslage des Kindes. (Die Ergebnisse werden allerdings subjektiv vom Untersucher beurteilt). Sie sind für die Diagnose frühkindlicher Hörstörungen oft unverzichtbar. Beispiele: Impedanzmessung (v.a. Tympanometrie), Elektrische Reaktionsaudiometrie (v.a. BERA), Otoakustische Emissionen (OAE).

4.1. Neugeborenen-Screening Die Reflexaudiometrie kann als Screening-Methode zum Ausschluss einer gravierenden Hörstörung dienen. Eine hohe Sensitivität und Spezifität weist die Messung otoakustischer Emissionen (OAE) auf (siehe Kap.4.6). Bei Hörverminderungen von über 35-40dB können in der Regel keine TEOAE´s mehr nachgewiesen werden. Das Neugeborenen-Screening erfasst nur Hörstörungen, die zu diesem Mess-Zeitpunkt schon ausgebildet sind. Besonders genetische Formen der Innenohr-Hörstörungen können sich aber erst in den ersten Lebensmonaten manifestieren und daher zu falsch-negativen Screeningergebnissen führen. 4.2. Reflexaudiometrie (bis zum 1.Monat) Hier werden Reflexe auf akustische Reize zwischen 70 und 90dB (im freien Schallfeld oder über Knochenleitung) registriert. Ziel ist es, eine hochgradige Hörstörung auszuschließen. Positive Reflexe beweisen jedoch noch nicht eine Normalhörigkeit des Kindes. Bei negativen Reflexen werden objektive Hörmessungen durchgeführt. Schreckreflex (Mororeflex): besonders innerhalb der ersten 4 Lebensmonate auslösbar. Beobachtet werden kann ein plötzliches Zusammenfahren mit Beugung von Armen und Beinen oder ein verstärktes Umklammern. Startelsreflex: bi- oder monolateraler Reflex mit Beugung der Unterarme bei geschlossener Faust, bei starker Reizantwort auch im Wechsel mit dem Mororeflex.

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Palpebraler Lidreflex: Öffnungs- und Schließbewegungen eines oder beider Augenlider. Visuelle und taktile Reize und tiefe Töne (Vibration) müssen hierbei vermieden werden. Atmungsreflex: vertieftes Einatmen und Luftanhalten (auch im Schlaf). Die Reflexschwellen liegen dabei näher an den Hörschwellen. Überraschungsreflex: plötzliches Aufhören des Schreiens oder Weinens. 4.3. Verhaltensaudiometrie (1/2 bis zum 2.Lebensjahr) Hier werden Verhaltens- und Orientierungsänderungen auf akustische Reize registriert. Ablenktests: Blickreaktionen auf Wobbeltöne oder Geräusche und Kopfwenden in die Richtung der Schallquelle. “Freifeldaudiometrie“: Verhaltens-Beobachtungs-Audiometrie mit Konditionierung im freien Schallfeld. Das vom akustischen Reiz (Wobbel-Ton, Schmalbandrauschen, Kinderlieder) ausgelöste Suchverhalten wird durch eine Beantwortung mit einem attraktiven optischen Reiz (z.B. rote Glühbirne etc) verstärkt. Ein mehrfaches Anbieten dieser akustisch-visuellen Kombination führt dazu, dass das normalhörende Kind schließlich nach dem akustischen Signal den Kopf von selbst zur Schallquelle wendet, weil es den visuellen Reiz (der dann erst nachher “als Belohnung“ geboten wird) schon erwartet (Es handelt sich also um eine Form der Konditionierung: der Ton kündigt den visuellen Reiz an). Wenn dies gut gelingt, kann das Prüfsignal in absteigenden Lautstärken angeboten werden und eine orientierende Hörschwelle zwischen 500 und 1500 Hz ermittelt werden. 4.4. Spielaudiometrie (ab dem 2-3. Lebensjahr) Hier wird das Kind trainiert, auf Tonreize mit einer bestimmten motivierenden Spielhandlung zu antworten (z.B. Steckbretter). Dabei kann die Messung zuerst im Freifeld geübt und später über Kopf- und Knochenleitungshörer (linkes/rechtes Ohr getrennt beurteilbar) durchgeführt werden. So können die ungefähren Hörschwellen ermittelt und in ein Audiogramm eingetragen werden. 4.5. Impedanzmessung (Tympanometrie, Stapediusreflexmessung) Diese kurzen und relativ einfach durchzuführenden Messungen können meistens mit einem einzigen Gerät durchgeführt werden. Unter Typanometrie wird die Messung des Trommelfellwiderstandes bei einer bestimmten Frequenz, unter Stapediusreflexmessung die Registrierung von Binnenohrmuskel-Kontraktionen auf einen lauten Schallreiz verstanden. Wenn der Verdacht auf eine kindliche Hörstörung besteht, können mit der Tympanometrie auf einfache Art Hinweise auf häufige Störungen des Schalleitungsapparates und des Mittelohrdruckes gewonnen werden (z.B. Seromukotympanon, Tubenventilationsstörung). Zur Diagnose einer Innenohr-Hörstörung ist die Impedanzmessung allerdings ungeeignet. 4.6 . Otoakustische Emissionen (OAE) Das Innenohr strahlt unter bestimmten Bedingungen eigene Schallaussendungen ab, die im Gehörgang messbar sind. Dieses von Kemp entdeckte Phänomen [36] konnte anfangs nicht erklärt werden. Heute wird allgemein angenommen, dass dieser abgestrahlte Schall das

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Ergebnis aktiver Verstärkungsprozesse der äußeren Haarzellen ist (siehe Kap. 3.1.3.2), und retrograd zum physiologischen Schallweg die Ossikel und das Trommelfell bewegt, wodurch minimale Schallwellen im äußeren Gehörgang erzeugt werden. Grundsätzlich wird zwischen spontanen (SOAE) und artifiziell erzeugten (TEOAE, DPOAE) otoakustischen Emissionen unterschieden.

- Transitorisch evozierte OAE (TEOAE) - Distorsionsprodukt-OAE (DPOAE)

Die TOAE und DPOAE haben für die Früherkennung kindlicher Hörstörungen besondere Bedeutung erlangt, da sie bereits ab dem 1. Lebenstag nachgewiesen werden können, sowie eine objektive, nichtinvasive und kurzdauernde Untersuchungsmethode darstellen. Transitorische OAE: Der Gehörgang wird mit einer Messsonde abgedichtet, in die ein Lautsprecher und ein Mikrofon eingebaut sind. Über den Lautsprecher werden kurze akustische Reize (Clicks, Tonbursts oder Sinustöne) abgegeben und über das Mikrofon die Emissionen im äußeren Gehörgang aufgenommen, um sie in einem Rechner zu analysieren. Nach etwa 3ms sind die passiven Klick-Reflexionen im äußeren Gehörgang abgeklungen, die folgenden 20ms werden gewertet. Um interne und externe Störgeräusche herauszufiltern, werden typischerweise 260 Messdurchgänge benötigt (Averaging), was abhängig vom Störlärm etwa 1 Minute benötigt. Ab etwa 35dB Schalleitungs- und ab etwa 40dB reiner Schallempfindungsstörung lassen sich keine TOAE mehr messen. Sind bei Säuglingen oder Kleinkindern trotz Messwiederholung und stabiler Untersuchungsbedingungen keine TOAE nachweisbar, muss eine mittelohrbedingte Schwerhörigkeit sicher ausgeschlossen und eine weiterführende pädaudiologische Diagnostik (einschl. BERA) eingeleitet werden. Distorsionsprodukt-OAE: Wenn der Pegel eines akustischen Stimulus zu laut wird, arbeitet das Innenohr nicht mehr linear. Es werden mehr Frequenzen wahrgenommen als im Stimulus enthalten sind (ähnlich dem Klirrfaktor von Lautsprechern). Bereits 1743 beschrieb der italienische Geiger Tartini dieses Phänomen, als er bemerkte, dass er beim Fortespiel zweier Töne drei Töne hören konnte. Die Frequenz dieser entstehenden sog. kubischen Differenztöne ist heute mathematisch vorhersagbar (z.B. f1 und f2, f1< f2 sind im Stimulus enthalten. Die zusätzliche wahrgenommene Frequenz: f3 = 2f1 –f2). Die DPOAE werden, als Produkt nichtlinearer Verzerrung, von der Hydromechanik des Innenohrs erzeugt (Distorsions-produkt). Nur bei intakten äußeren Haarzellen können diese zusätzlich entstehenden Frequenzen nachgewiesen werden. Durch eine flexible Wahl der Stimulationsfrequenzen kann man die Basilarmembran akustisch abtasten und nach gesunden Haarzellen suchen. DPOAE sind bis zu einem Hörverlust von etwa 25-60dB nachweisbar und ermöglichen eine detaillierte Funktionsprüfung der Haarzellen. 4.7. Electric Response Audiometry (ERA / BERA) Die elektrische Reaktionsaudiometrie stellt ein objektives Verfahren zur Prüfung des Hörvermögens dar. Aufgrund des vergleichsweise großen technischen Aufwandes ist die ERA allerdings keine Routineuntersuchung. Prinzip: Es werden akustische Reize (z.B. Clicks) gesetzt und die dadurch hervorgerufenen Veränderungen der Hirnaktivität (akustisch evozierten Potentiale =AEP) mittels EEG über die Kopfhaut abgeleitet [77]. Um die spezifische Reizantwort (AEP) herausfiltern zu können, wird ähnlich wie bei den OAE ein computergestütztes Mittelungsverfahren (Averaging aus etwa 2.000 Einzelmessungen) eingesetzt. Man unterscheidet je nach Latenzzeit frühe (0-

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12ms), mittlere (12-80), späte (80-500ms) und sehr späte AEP (>500ms), weil die AEP in zeitlich-örtlicher Reihenfolge entlang der Hörbahn (von der Cochlea bis zur Hirnrinde) entstehen. Sie können daher mehr oder weniger exakt den jeweiligen anatomischen Strukturen der Hörbahn zugeordnet werden. Brainstem Electric Response Audiometry (BERA): Sie stellt die klinisch wichtigste Anwendung dieser Methode dar: Die hier analysierten frühen AEP besitzen eine leichte Ableitbarkeit (Klebeelektroden) und liefern Informationen aus dem Hörnerv und dem Hirnstamm. Während der Untersuchung sollte das Kind ruhig liegen. Bei Neugeborenen gelingt dies zumeist nach der Mahlzeit im Schlaf, bei älteren Kindern ist häufig eine Sedierung bzw. eine Narkose erforderlich. Die aufgezeichneten Potentiale werden in Wellenform in ein Diagramm eingezeichnet. Auf dessen Abszisse zeichnet man die Latenzzeiten in ms ein, die Ordinate gibt die Spannung in µV an. Die einzelnen Wellen (I-V) repräsentieren in etwa folgende topographischen Strukturen: 1.distaler Anteil des N.cochlearis 2.proximaler Anteil des N.cochlearis 3.Nucleus cochlearis 4.Nucleus olivarus superius 5.Colliculus inferior. Bei einem lauten Click werden alle 5 Wellen sichtbar. Bei mittleren Reizpegeln nur noch die 1.,3. und 5. Welle. Für die Auswertung am wichtigsten ist der Nachweis der 5.Welle, da sie bei Reizpegeln knapp über der Hörschwelle als einzige sichtbar wird. Bewertet werden auch die zeitlichen Abstände zwischen den Wellen, da diese Aussagen über die Hirn- und Hörbahnreifung ermöglichen. Ist keine Welle selbst bei lautesten Pegeln auslösbar, muss bei korrekter Messung von einer “an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit“ ausgegangen werden. Die BERA ist besonders aussagekräftig im mittleren Frequenzbereich (1-4kHz) und kann mit großer Sicherheit die Hörschwelle (etwa auf 20dB genau) in diesem Bereich ermitteln. Für den Nachweis eventueller tieffrequenter Hörreste ist die BERA allerdings zu ungenau. Andere Formen der ERA: Die Elektrocochleographie (ECochG), bei der AEP mit einer transtympanalen Promontoriumselektrode aus dem Innenohr abgeleitet werden. Die CERA (Cortical Electrical Response Audiometry) analysiert die späten AEP. 4.8. Aufblähkurve Um Hörhilfen bei Kindern optimal anzupassen, sind wiederholte Bestimmungen der Hörschwellen mit und ohne Hörgerät erforderlich. Es werden dafür die Testmethoden der subjektiven Audiometrie angewandt (Kap.4.3. bis 4.4.). Die ungefähr bestimmbare Hörschwellenkurve im Audiogramm, die mit Hörgeräten erreicht wird, nennt man Aufblähkurve.

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5. Das Cochlea Implantat Seit 1978 werden in Wien gehörlose Patienten mit Cochlea Implantaten versorgt. Besonders bedeutsam war die Pionierarbeit von K. Burian, der gemeinsam mit Inge und E.Hochmaier die „Wiener Prothese“ als eines der weltweit ersten CI-Systeme entwickelte und bereits in den siebziger Jahren europaweit erste Cochlea Implantationen durchführte. Bis heute wurden an der Wiener Univ.-HNO-Klinik über 350 Cochlea Implantationen vorgenommen. Damit ist diese Klinik das größte Cochlear-Implant-Zentrum in Österreich und gehört auch weltweit zu den größten Zentren auf diesem Gebiet. Das AKH Wien ist in Österreich das einzige Krankenhaus, in dem die Geräte aller Hersteller implantiert werden (Implantate der Firmen MedEl, Cochlar und Advanced Bionics). Sowohl der Erwachsenen- als auch der Kinder-Implantation wird an der Wiener Univ.-HNO-Klinik seit Jahrzehnten große wissenschaftliche Bedeutung beigemessen. Als eine der weltweit führenden Kliniken im Bereich der Bilateralen Cochlea Implantation wird in Wien auch auf dem neuen Gebiet der EAS (Elektro-Akustische-Stimulation, dh. CI und HG am ein und demselben Ohr) intensiv geforscht. Außerdem werden seit 1998 Soundbridge-Geräte der Fa. Symphonix implantiert. Diese Geräte sind keine CI´s sondern aktive Mittelohrimplantate: die Schallwellen werden weder als verstärkte Schallwellen wie beim konventionellen Hörgerät, noch als elektrische Impulse wie beim Cochlea Implantat, sondern als mikromechanische Vibrationen übertragen. Gedacht sind diese implantierbaren Hörhilfen für Patienten mit beidseitiger sensorineuraler Hörstörung, die keinen Nutzen aus konventionellen Hörgeräten ziehen. 1792 Volta beschreibt akustische Wahrnehmungen nach elektrischer Stimulation seines eigenen mit

Kochsalzlösung gefüllten Gehörganges. (aus heutiger Sicht eher als sog. elektrophoner Effekt zu erkären)

1855 Duchenne of Boulogne verwendete erstmals Wechselstrom und eine zweite Massenelektrode

auf dem Mastoid 1957 Djourno und Eyries berichten erstmals über eine mikrofongesteuerte direkte elektrische

extracochleäre Reizung des Hörnerven. Der Patient gabe ein Grillenzirpen-ähnliche Wahrnehmung an, deren Rhythmus ihm das Lippenlesen erleichtert

1961 House implantiert erstmal intracochleär eine einkanalige Golddrahtelektrode in die Scala

tympani. Später implantierte er auch mehrkanalige Elektroden. 1963 Zöllner und Keidel schlagen eine mehrkanalige intracochleäre Stimulation mit 10-20 nach

Frequenz abgstimmten Kanälen vor. 1964 Doyle, Doyle und Turnbull beweisen, dass unterschiedliche Reizfrequenzen eine

Frequenunterscheidung ermöglichen. 1965 Simmons et Merzenich berichten über Versuche mit bipolarer Stimmulation 1976 Die Wiener Gruppe um Burian und Hochmaier führt in Wien europaweit erste Cochlea Implantationen durch und entwickelt die mehrkanalige intracochleäre Wiener Prothese.

Zeitgleich entwickelt Banfai in Köln eine mehrkanalige Promontoriumelektrode und die

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Pariser Gruppe um Chouard eine Rundfensterelektrode. Schindler und Merzenich (San Francisco) implantierten ebenfalls bereits intracochleäre Mehrkanalsysteme.

80er Durchbruch der CI-Versorgung durch digital-pulsatil arbeitende intracochleäre

Mehrkanalsysteme (Gruppe um G.Clark 1981) mit transkutaner Übertragung (welche die infektionsgefährdete perkutane Steckerverbindung entbehrlich machte).

1981 G.Clark beschreibt in Melbourne eine neue Stimulationstrategie als Grundlage für die späteren

Nucleus Implantate. 90er Weiterentwicklung der verschiedenen Sprachkodierungsstrategien und tiefe

Elektrodeninsertion bringen entscheidende Fortschritte für Sprachverständnis und Hörqualität. Kleine Hinter-dem-Ohr-Prozessoren erhöhen den Tragekomfort.

1991 B.Wilson (Research Triangle Institute, USA) präsentiert eine neue Sprachkodierungsstrategie

(CIS), die herausragende Verbesserungen des Sprachverständnisses ermöglicht 1995 Erste bilaterale Cochlea Implantationen in Wien und ab 1996 auch in Würzburg

Tabelle 5: historische Meilensteine der CI-Entwicklung

5.1. Prinzip und Aufbau des Cochlea Implantates Prinzip: elektrische Stimulation des Hörnerven mit Elektroden, die in die Cochlea eingeführt werden. Aufbau: Alle verschiedenen heute am Markt erhältlichen Cochlea Implantate sind ähnlich aufgebaut. Sie unterscheiden sich vor allem im Elektrodendesign und der verwendeten Sprachkodierungsstrategie. Ein Cochlea Implantat besteht aus zwei Hauptkomponenten:

- Innere Komponenten (operativ eingesetzt, das eigentliche Implantat) - Äußere Komponenten (abnehmbar)

5.1.1. äußere Komponenten Der externe Teil des Cochlea Implantates wird außerhalb des Körpers getragen, ist abnehmbar (z.B. in der Nacht) und bei Bedarf auswechselbar (z.B. wenn weiterentwickelte oder kleinere Sprachprozessoren erhältlich sind). Er besteht aus folgenden Komponenten: Mikrophon wandelt Schallwellen in schwache analoge elektrische Signale um. Sprachprozessor wandelt die analogen Signale in digitale Signale um, analysiert das

Freqeunzspektrum und modifiziert die eingehende Information (u.a. mittels digitaler Filter und Dynamikregler). Durch die sog. Sprachkodierungsstrategie wird für jede einzelne Elektrode laufend die optimale Stromstärke für jeden einzelnen Stimulationpuls berechnet. Die Energieversorgung dafür erfolgt über Batterien. Ein Kabel leitet die

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Infomation und die Energie an den Transmitter (Sender, Sendespule) weiter.

Transmitter enthält eine extern auf der Haut anliegende Spule, welche die elektrischen Signale vorrübergehend in schwache elektromagnetische Wellen umwandelt. Die zuvor aufbereitete akustische Information und die Energieversorgung für die implantierten Teile wird so durch die intakte Haut transportiert. Dies erfolgt kabel- und steckerlos mittels Induktionsprinzip (=Transkutane Übertragung). Der Empfänger gehört zu den inneren implantierten Komponenten (siehe nächstes Kapitel) und besitzt wie der Transmitter einen eigenen Magneten, damit Transmitter und Empfänger trotz dazwischenliegender Haut sicher zusammenhalten

5.1.2. Innere Komponenten Diese müssen chirurgisch implantiert werden und sind durch ihre Lage unter der Haut, im Knochen und der Cochlea vor äußeren Einflüssen relativ gut geschützt. Wenn die äußeren Komponenten z.B. nachts oder zum Haarwaschen/Duschen abgenommen werden, werden die inneren Teile dadurch ebenfalls abgeschaltet. Nur durch sorgfältiges Tasten ist der Empfänger dann noch durch die Haut spürbar. Empfänger eine Induktionsspule wandelt die übertragene Information wieder in

elektrische Impulse um. Der Transmitter, der an der äußeren Seite der Haut hinter dem Ohr haftet besitzt einen Magneten, der durch einen zweiten Magneten im Empfängerteil angezogen wird. Um den Empfänger ruckfrei und stabil unter der Haut zu verankern, wird ein kleines Knochenbett mit einer Tiefe von 1mm bei Kindern (2mm bei Erwachsenen) im Bereich des Planum mastoideum angelegt. Vom Empfänger zieht der Elektrodenträger in die Cochlea.

Elektrode am Ende des Elektrodenträgers befindet sich der eigentliche Stimulationsteil mit den Elektrodenkontakten, die in die Schnecke eingeführt werden und den Hörnerven tonotopiegerecht stimulieren.

Erdungselektrode bei der energiesparenden monopolaren Stimulationsart wird jeweils eine Elektrode gegen eine separate Referenzelektrode stimuliert. Diese wird in den temporoparietalen Muskel platziert. Bei bipolarer Stimulationsart dienen benachbarte Elektroden als Referenz.

5.1.3. Stimulationsmodus Um den elektrischen Strom zum Fließen zu bringen, muss eine Spannung zwischen zwei Punkten erzeugt werden. Daher wird neben einer Stimulationselektrode eine Referenzelektrode (Erdungselektrode) benötigt. Die Verschaltung und Funktionsweise der Elektroden ist bei den einzelnen Implantattypen verschieden. Man unterscheidet:

- monopolare Stimulation: Die Referenzelektrode liegt hier weit von der in der Cochlea positionierten Reizelektrode entfernt. Sie wird meist unter den temporoparietalen Muskel gelegt. Vorteile der monopolaren Stimulation sind:

1. geringerer Energieverbrauch (seltenerer Batteriewechsel nötig) 2. niedrigere Hörschwellen

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3. niedrigere MCL-Werte (mittlere angenehme Lautstärke). - bipolare Stimulation: Die Spannung bei monopolarer Stimulation breitet sich

symmetrisch aus, es werden mehrere Hörnervenfasern erregt. Dies war der Grund für die Entwicklung der bipolaren Stimulation, die allerdings wesentlich höhere Stromstärken benötigt um Höreindrücke auszulösen. Bei der bipolaren Stimulation dient jeweils eine der Reizelektrode benachbarten (die nächste / übernächste / drittnächste) und gerade unbenützte Elektrode als Referenz. Nachteilig ist, dass wenn eine einzige Elektrode ausfällt, gleich zwei Kanäle verloren gehen, da die defekte Elektrode dann weder als Reiz- noch als Referenzelektrode benutzt werden kann. Vorteil ist eine genauere Kanaltrennung, da sich die Stromfelder umschrieben ausbreiten und deshalb die Tonotopie der Cochlea besser imitieren.

- common ground: Bei dieser Stimulationsart werden alle gerade unbenützten Elektroden zu einer gemeinsamen Referenzelektrode zusammengeschalten. Vorteil ist ein der monopolaren Stimulation nahekommender niedriger Energieverbrauch. Dieser Modus wird selten verwendet.

- tripolare Stimulation: derzeit nur in der Forschung angewandt, u.a. zur Untersuchung von Kanalinteraktionen.

5.1.4. Elektrodendesign Die heute verwendeten Elektroden sind alle intracochleär, mehrkanalig und nur mit dem jeweils dazugehörigen CI-System kompatibel. Sie unterscheiden sich im wesentlichen in den folgenden Punkten (siehe Abbildung 8):

- Anzahl, Platzierung und Abstand zwischen den Elektroden. Eine höhere Anzahl an Elektroden korreliert aber nicht unbedingt mit besserem Sprachverständnis [37]. Es können nicht selten gleichgute Ergebnisse erzielt werden, wenn von z.B. 12 verfügbaren Elektroden die 8 “besten“ ausgewählt und dafür schneller stimuliert werden können.

- Form der Elektrodenkontakte: ringförmig/halbbandförmig/plattenförmig. - Form des Elektrodenträgers: Flexibel-gerade Elektrodenträger passen sich bei der

Insertion passiv den Windungen der Cochlea an. Vorgeformte oder perimodioläre Elektrodenträger haben die Tendenz, sich intracochleär einzurollen, was den Abstand zur Innenwand der Skala tympani und den Nervenenden verringert.

- Einige Hersteller bieten Implantate mit speziellen Elektroden für ossifizierte oder fehlgebildete Cochleae an: z.B. das COMBI 40+S (short) der Firma Med-El, bei dem die 12 Elektrodenpaare auf 12mm (statt normal auf 27mm) komprimiert sind (vorteilhaft bei geringeren Insertionstiefen). Oder das COMBI 40+ GB mit 2 getrennten sog. split-Elektroden, die von zwei separaten Cochleostomien aus in die Scala tympani eingeführt werden, um so einer Ossifikation “auszuweichen“.

Eine hohe Anzahl an Elektroden kann theoretisch das Ortsprinzip der Cochlea besser nutzen, Erfahrungen zeigen aber, dass es im allgemeinen zu keiner wesentlichen Verbesserung des Sprachverständnisses kommt, wenn die Elektrodenzahl z.B. von 7 auf 20 erhöht wird [37]. Dies gilt sowohl für die CIS als auch für die SPEAK-Sprachkodierungsstrategie [38].

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Abbildung 8: Verschiedene Elektrodendesigns: Clarion Hi-Focus Elektrode Nucleus CI 24M (die neuere 24k Elektrode findet

sich unter: www.cochlear.com)

Combi 40 Elektrode

Combi 40+ Elektrode

Abbildung 9:

Postoperatives Röngten einer Combi40+ Elektrode in der Cochlea. Die Elektrode wurde 30mm tief inseriert (630°). Deutlich erkennbar sind die 12 Elektrodenkontakte aus Platin. CI-Arbeitsgruppe Wien [39])

Abbildung 10: Combi40 Elektrode in der Scala tympani (Histologischer Schnitt eines zu Testzwecken Implantierten Leichenohres. Aufgenommen. CI-Arbeitsgruppe Wien [39] Elektrode Scala tympani Scala vestibuli

Vorgeformte (mit einem “Positioner“ zu inserierende) Elektroden (Fa. Clarion) und sich selbst-einrollende Elektroden (mit einem nach der Insertion zu entfernenden “Stylet“; Fa.Nucleus) sollen die Elektrodenkontakte näher an die Innenwand der Cochlea und damit näher zu den Nervenfasern bringen. Eine neuentwickelte vorgeformte Perimodioläre Elektrode (MedEl) befindet sich derzeit in klinischer Erprobung. Trotz aller Entwicklungen

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und Erkenntnisse ist aber noch immer ungeklärt, welches Elektrodendesign das beste Sprachverständnis ermöglicht. 5.1.5. Übertragungsart Die Informationsübertragung vom äußeren Teil des CI zum Inneren kann auf zwei Arten erfolgen:

- transkutan: nutzt das Induktionsprinzip und wird heute in allen gängigen Systemen verwendet. Vorteile: keine offene „Wunde“, kein Infektionsrisiko, keine Kabel oder Stecker durch die Haut. Der äußere Sender haftet mit Magneten am innen liegenden Empfänger und kann einfach (zB zum Duschen oder in der Nacht) abgenommen werden.

- perkutan: mittels Steckerverbindung an der Hautoberfläche. Vorteil: weniger störanfällig, weil kaum Interferenzen und nur der Elektrodenträger implantiert wird. Nachteil: Infektionsrisiko (deshalb ungeeignet für die klinische Praxis, Verwendung für wissenschaftliche Fragestellungen)

5.1.6. Sprachkodierungsstrategien Um ein zufriedenstellendes Sprachverständnis ohne Lippenlesens erreichen zu können, muss die akustische Information, die vom Mikrophon des CI aufgenommen wird, gezielt analysiert und aufbereitet werden. Die Entwickler von Sprachkodierungsstrategien stellen sich dabei folgende Fragen: Welche Informationen des Eingangsignals sind für das Sprachverständnis relevant, an welchem Ort sind die einzelnen Stimuli in welcher Art, Reihenfolge und Geschwindigkeit zu setzen, usw. Diese Fragen sind noch nicht endgültig geklärt, ebenso wenig wie die Frage, welche Strategie den anderen insgesamt überlegen ist. Es wurden verschiedene Strategien entwickelt [40]. Die drei derzeit wichtigsten (CIS, ACE und SPEAK-Strategie) werden in den folgenden Kapiteln genauer beschrieben. Hier eine Übersicht der heute verwendeten Strategien:

- CIS-Strategie: Continuous Interleaved Sampling; moderne schnelle digitale Strategie mit guten Spracherkennungs-Ergebnissen (u.a. beste Ergebnisse im Störschall [41],[42]). Siehe Kap.5.1.6.1.

- ACE, n-of-m-Strategie: Advanced Combination Encoders; Zwei miteinander vergleichbare moderne digitale Strategien mit ebenfalls guten Spracherkennungs-Ergebnissen. Sie stellen den Versuch dar, die Vorteile der CIS- und der SPEAK-Strategie zu vereinen. Siehe Kap.5.1.6.2.

- SPEAK: Spectral-Peak Strategie; eine ebenfalls moderne digitale Strategie, wird aber zunehmend von der ACE-Strategie abgelöst. Siehe Kap.5.1.6.3.

- CA (entspricht in etwa der SAS), PPS: Compressed Analogue; Paired Puslatile Stimulation: Sie stellen Weiterentwicklungen der in den 70er Jahren verwendeten analogen Strategien dar. Auch mit ihnen kann ein gutes Sprachverständnis erreicht werden, die meisten Hersteller konzentrieren sich aber auf die oben genannten Strategien.

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Abbildung 10 a: Grafische Darstellung einer pulsatilen Sprachcodierungs-

Strategie (hier am Beispiel der ACE / n-of-m Codierung). Aus dem Wort „Fall“ wird eine zeitliche Abfolge von elektrischen Einzelpulsen für die zugeordneten Elektroden berechnet.

5.1.6.1. CIS-Strategie Entwickelt wurde die Continuous Interleaved Sampling Strategie von Forschern des Research Traingle Institut im Jahr 1991 [42]. Das Eingangssignal wird in genausoviele Frequenzbänder zerlegt, wie das Implantat Elektroden besitzt. Die Schallenergie jedes einzelnen Frequenzbandes codiert für die Stromamplitude für den fix zugeordneten Kanal (Elektrodenkontakt). Die einzelnen Kanäle werden nacheinander nicht-simultan (also nicht überlappend, “interleaved“) angesteuert, um Kanalinteraktionen zu vermeiden. Die Stimulationsreihenfolge der Kanäle ist frei programmierbar, häufig wird zB aufsteigend auf 1, 3, 2, 4, 3, 5 usw stimuliert. Jeder neue Stimulationszyklus wird mit neu berechneten Parametern begonnen. Daraus ergibt sich, dass je höher die Stimulationsrate (ermöglicht durch leistungsfähige Mikrochips), umso mehr Information kann der Hörbahn pro Zeiteinheit angeboten werden und umso besser wird die Information zeitlich „abgebildet“. Die Überlegung ist: je schneller desto besser [76]. Man kann das Hören mit einem Punkt-für-Punkt aufgebauten “Hörbild“ vergleichen: je mehr Punkte, desto höher die Auflösung und desto klarer das Bild. Die höchste Stimulationsrate von 18.180 pps (Pulse pro Sekunde) mit jeweils neu berechneten Stimuli erreichen derzeit die Sprachprozessoren der Fa. Med-El. Sogar der HdO-Prozessor “TEMPO+ “ erreicht diese hohe Stimulationsrate bei zusätzlich weiterentwickelter high-rate CIS+ Strategie, die einen breiteren Frequenzbereich bearbeiten kann und die sog. Helmholz-Transformation verwendet (ermöglicht eine genauere Extraktion der Einhüllkurven (Envelopes) des Sprachsignals). Die CIS-Strategie scheint einer Studie [41] zufolge anderen Sprachkodierungen sowohl in Ruhe als auch insbesondere im Störschall

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überlegen zu sein. Die für das Sprachverständnis wichtige zeitliche Abfolge der einzelnen Laute wird von der schnellen digitalen CIS-Strategie am zeitlich detailliertesten an den Hörnerv weitergegeben. Alle führenden Gerätehersteller bieten deshalb die CIS-Strategie als Kodierungsmöglichkeit an. 5.1.6.2. ACE und n-of-m-Strategie Die ACE und die n-of-m Strategie sind im Prinzip miteinander vergleichbare Strategien (ACE wird in Cochlear, n-of-m in Med-El-Sytemen verwendet): Das Eingangssignal wird in maximal 22 Frequenzbänder zerlegt, aus welchen dann jeweils die 6-20 Bänder mit der meisten spektralen Information ausgewählt werden. Jedes dieser maximalen Frequenzbänder stimuliert dann den zugehörigen Elektrodenkontakt. Welche der Elektroden stimuliert werden hängt von den jeweiligen Frequenzen ab: hohe Anteile im Schallspektrum (z.B. das “sh“ im Wort “show“) werden an diejenigen Elektrodenkontakte geschickt, die am Anfang in der Schnecke (=basal) liegen, tiefe Frequenzanteile (z.B. das “ow“ im Wort “show“) stimulieren tiefer in der Cochlea liegende (=apikalere) Kontakte (Prinzip der Tonotopie – siehe Kapitel 3.1.5.). Diese Form der Sprachkodierung zeichnet sich daher besonders durch ihre flexible Elektrodenauswahl aus. 5.1.6.3. SPEAK-Strategie Bei der SPEAK-Strategie wird das Eingangssignal in 20 Frequenzbänder zerlegt; daraus werden 6-10 spektrale Maxima bestimmt und die korrespondierenden Kanäle (nach dem Tonotopie-Prinzip) ausgewählt. SPEAK ist eine zwar etwas langsamere dafür aber dafür stromsparendere Strategie (Batterie-Lebensdauer!). Trotzdem wird heute zunehmend zu moderneren Strategien übergegangen (CIS bzw. ACE /n-of-m), da mit diesen bei der Merzahl der CI-Träger ein höheres Sprachverständnis erzielt werden kann. 5.1.6.4. Eingangsdynamik (Input Dynamic Range) Schallreize der Umwelt treffen in sehr unterschiedlicher Intensität auf das Ohr. Der gerade noch wahrnehmbare Schallpegel liegt definitionsgemäß bei 0 dB (Hörschwelle), die Schmerzgrenze bei 120 dB. Der Schallpegelumfang, den das normale menschliche Gehör verarbeiten kann, wird als dynamischer Bereich des Gehörs bezeichnet und beträgt ~120dB. Dem gegenüber steht der relativ kleine dynamische Bereich der elektrischen Stimulation von ~10-20dB. Daher müssen bei CI´s Strategien angewandt werden, um um die großen Schallpegelunterschiede möglichst physiologisch auf die geringere elektrische Dynamik des Hörnerven umzurechnen (auch das gesunde Ohr verfügt über entsprechende Mechanismen). Der Schalldruck als korrelierende messbare physikalische Größe des Schallpegels [dB] wird in Pascal angegeben und vervielfacht sich dabei von etwa 3,2x10-5 Pa (Hörschwelle bei 1000 Hz) um das etwa Zweimillionenfache auf 63 Pa (Schmergrenze). Die für den Alltag wichtige Sprache bewegt sich in einem Schallpegelbereich zwischen 40 und 90dB [43]. Neben der Tatsache, dass die einzelnen Sprachlaute unterschiedlich laut gebildet werden, können wir durch mehr oder weniger kräftige Stimmbildung die Sprachlautstärke verändern: das Flüstern erzeugt einen mittleren Schallpegel von etwa 40 dB, normale Konversation etwa 65 dB, lauteres Sprechen (z.B. im Störschall) etwa 90 dB. Diese Faktoren bilden den sogenannten dynamischen Bereich der Sprache von bis zu 50dB [44].

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5.2. Beispiel: Combi40+ Implantat mit Tempo+ HdO-Sprachprozessor Ein hochentwickeltes und kindertaugliches Cochlea-Implantatsystem stellt das COMBI 40+ Implantat in Kombination mit dem Hinter-dem-Ohr-Prozessor TEMPO+ dar. Die Innbrucker Herstellerfirma Med-El ist eine der drei führenden CI-Hersteller. Seit 1996 wird das COMBI 40+ Implantat angeboten, das eine Weiterentwicklung des COMBI 40 darstellt und durch seine geringen Abmessungen (33x23x4mm) sowohl für Kinder als auch Erwachsene geeignet ist.

30mm

Intracochleäre Stimulationselektrode

Empfängerteil Erdungselektrode

33mm

Abbildung 11: Das COMBI 40+ Implantat mit Keramikgehäuse und flexiblen Elektroden wiegt 9g und ist 4mm flach. Die Stimulationselektrode wird ca. 30mm tief in die Schnecke eingeführt. (Größenverhältnis etwa 1:1). Der Durchmesser der Stimulationselektrode beträgt 0,4mm (siehe auch Abb.8) Der implantierte innere Teil (Abb.11) wiegt 9g und besteht aus dem Empfängerteil, welches in einem versiegelten Keramikgehäuse untergebracht ist. Von hier ziehen der Stimulations-Elektrodenträger in die Schnecke und die Referenzelektrode unter den temporoparietalen Muskel. Die Standardelektrode des COMBI 40+ besitzt 12 Platin-Elektrodenpaare (siehe Abb.8, Kapitel 4.1.4) und kann über 30mm tief in die Cochlea eingeführt werden. Der Durchmesser des intracochleär liegenden Elektrodenträgers beträgt an der Spitze 0,4 und an der Basis 0,65 mm. Mit dem C40+ Compressed und C40+ GB stehen 2 spezielle Elektroden für ossifizierte oder fehlgebildete Cochleae zur Verfügung. Der abnehmbare äußere Teil (Abb.12) besteht aus dem TEMPO+ HdO-Prozessor, der ebenfalls sehr klein und leicht ist (67x8,3x13,5mm / 11g inkl. Batterien). Der TEMPO+ Sprachprozessor verfügt über eine verbesserte Variante der CIS- Sprachkodierungsstrategie, der CIS+ Strategie. Das besondere ist die sehr schnelle Stimulationsrate von 18.180 pps (Pulsen pro Sekunde). Bei 12 aktiven Elektroden kann jeder einzelnen 1.515 mal in der Sekunde ein jeweils neu berechneter Impuls geschickt werden. Ein leistungsfähiger Mikrochip führt die nötigen Berechnungen durch.

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Kleinkinder-Prozessor mit externem Batterieteil

TRANSMITTER

Prozessor gewinkelt (inkl. Batterien)

Prozessor gerade (inkl. Batterien)

Abbildung 12: Varianten des TEMPO+ HdO Sprachprozessors. In der Regel kann von Beginn an der normale (gerade oder gewinkelte) Prozessor getragen werden.

Trotz dieser Leistung ist der Batterieverbrauch gering, unter anderem deshalb, weil die energiesparende monopolare Stimulationsart verwendet wird. Die 3 Knopfbatterien können bei den geraden und den gewinkelten TEMPO+ -Versionen direkt im HdO-Teil eingelegt werden. Unter dem Zubehör befindet sich auch von vielen Kindern verwendetes externes Batterieteil, das über ein Kabel den HdO-Prozessor mit Strom versorgen kann und meistens an der Kleidung über den Schultern angesteckt wird. Die implantierten Teile – das eigentliche COMBI 40+ Implantat – benötigt keine eigenen Batterien, da seine Stromversorgung (kabel- und steckerlos) transkutan über Induktion erfolgt (siehe Kap. 5.1.5). 5.3. Die derzeit wichtigsten CI-Systeme Von den heute kommerziell verfügbaren CI-Systemen sollen die drei weltweit am häufigsten eingesetzten kurz beschrieben werden. Bei allen drei Systemen handelt es sich um hochwertige mehrkanalige intracochleäre Implantate, die mit eigenen HdO-Prozessoren verwendet werden können. Unterschiede bestehen vor allem im Elektrodendesign, den verwendeten Sprachkodierungs-Strategien und den Stimulationsraten.

- Das COMBI 40+ Implantat mit dem TEMPO+ HdO-Prozessor oder dem CIS PRO+

Taschenprozessor der Fa. Med-El: siehe Kapitel 5.2. Detaillierte Produkt-informationen sind u.a. im Internet unter www.medel.com abrufbar/anforderbar.

- Das Nucleus 24M/24k –System der Fa.Cochlear: Das Nucleus 24 Contour – Implantat verfügt über eine vorgeformte (self-curling) “Contour“-Elektrode, die näher an die Innenwand der Cochlea gelangt. Nach der Insertion wird ein sog. Stylet (verhindert das Abknicken der Elektrode während der Insertion) entfernt. 22 Stimulationskontakte können wahlweise mono- oder bipolar angesteuert werden. Auch hier sind ein Taschen- (Sprint™) und ein HdO- (ESPrit™) Prozessor erhältlich. Die Implantate sind in einem Silikon-Titan Gehäuse eingefasst. Als Sprachcodierungen stehen für den Kästchenprozessor ACE, CIS und SPEAK zur Auswahl. In Kürze wird ein neuer HdO Prozessors erhältlich sein (ESPrit™3G), der nicht nur SPEAK sondern auch ACE und CIS als Sprachkodierungen anbieten wird und technisch damit die Möglichkeiten des

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Sprint™-Taschenprozessors erreicht. Detaillierte Produktinformationen sind im Internet unter www.cochlear.com abrufbar/anforderbar.

- Das Clarion CII Bionic Ear - System von Advanced Bionics: Das Implantat verfügt über eine vorgeformte Elektrode (HiFocus II ™), die mit einem sog. Positioner in die Cochlea eingeführt wird. Es stehen 8 Elektrodenpaare zur Verfügung, die wahlweise mono- oder bipolar verwendet werden können. Auch hier sind sowohl ein Taschen- (Platinum™) als auch ein HdO-Prozesor (Platinum BTE™) erhältlich. Als Sprachkodierungen stehen die CIS, eine simultane analoge (SAS – Simultaneous Analogue Stimulation) und eine teilweise simulatane analoge (PPS - Paired Pulsatile Stimulation) Strategie zur Verfügung. SAS und PPS leiten sich von der CA-Strategie ab. Je nach Strategie werden unterschiedlich hohe Stimulationsraten erzielt. Derzeit wird vor allem am vergleichweise noch zu hohen Strombedarf des HdO-Prozessors und neuen Sprachkodierungen (n-of-m, HAP) gearbeitet. Detaillierte Produktinformationen sind im Internet unter www.cochlearimplant.com abrufbar/anforderbar.

5.4. Präoperative Dignostik An der Wiener HNO-Klinik werden jährlich etwa 200 Patienten bezüglich einer Indikationsstellung für ein Cochlea Implantat evaluiert. Ein immer größerer Anteil der vorgestellten Kandidaten sind Säuglinge und Kleinkinder. Nur bei 30-40 Personen pro Jahr kommt eine Implantation aus medizinischen Argumenten tatsächlich in Frage. Eine sinnvolle Entscheidungsfindung und Kandidatenselektion setzt immer eine genaue audiologische Diagnose und Beratung mit den betreuenden LogopädInnen und Heilpädagogen voraus. Bei Kindern sind vor allem folgende Punkte zu beachten:

- ein CI ist nur bei beidseitiger Gehörlosigkeit/hochgradiger Hörstörung sinnvoll [45] - bei prälingual ertaubten Säuglingen und Kleinkindern sollte einen Cochlea

Implantation so früh wie möglich [46, 47, 48, 49], idealerweise innerhalb der ersten 24 Lebensmonaten erfolgen, um optimale Erfolge zu erzielen [50].

- bei postlingual oder perilingual (z.B. durch progredienten Hörverlust) ertaubten Personen kann man allgemein sagen: je kürzer die Dauer der hochgradigen Schwerhörigkeit/Taubheit , desto günstiger die postoperativen Ergebnisse / Entwicklung [51],[52], [75].

5.4.1. Voruntersuchungen Wenn Eltern, Logopäden, Ärzte und alle Beteiligten eine Cochlea Implantation für sinnvoll erachten, werden die Voruntersuchungen eingeleitet. Mit den Ergebnissen der Voruntersuchung können unter anderem auch die anatomischen Bedingungen und damit die operative Vorgangsweise abgeschätzt werden. In intensiven Gesprächen aller Beteiligten muss die gemeinsame Entscheidung getroffen werden, ob und wann eine Cochlea Implantation durchgeführt werden soll. Nicht selten treten die betroffenen Eltern vorher noch mit anderen Familien mit implantierten Kindern in Kontakt (zB über Selbsthilfevereine, wie dem CIAA [siehe Anhang: 1]), um so einen direkteren Einblick gewinnen zu können.

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Voruntersuchungen:

- allgemeine HNO-Untersuchung - Audiometrie (Aufblähkurven, objektive Verfahren) und nochmaliger Versuch, mit

optimal angepassten konventionellen Hörgeräten das Auslangen zu finden * - Hochauflösende Computertomographie und Magnetresonanztomographie): Mögliche

Obliterationen und Fehlbildungen der Cochlea können so erkannt und bei der Operationsplanung (Seitenwahl, Implantat-Typ) mit berücksichtigt werden.

- Nur selten ist zusätzlich ein Promontoriumstest erforderlich: die extracochleäre Probe-Elektrostimulation dient zur Prüfung der elektrischen Stimulierbarkeit der Hörbahn **

* Ein Drittel aller vorgestellten Cochlea-Implantkandidaten ist mit einem neuen modernen Hochleistungshörgeät zufriedenstellend versorgbar. Ist jedoch selbst mit den bestmöglich angepassten Hörgeräten keine ausreichende Hörleistung erzielbar (Aufblähkurve bleibt mit HG schlechter als ca. 50dB(HL), gestörte Sprachentwicklung verlangsamt sich weiter oder wird regredient, das Kind verstummt, usw.), so ist eine Cochlea Implantation zu erwägen. ** Zur Funktion eines Cochlea Implantates sind ein zumindest teilweise intakter Hörnerv notwendig. Eine Prüfung der elektrischen Stimulierbarkeit mittels Promontoriumstest kann erforderlich sein. Durch eine Promontoriums- oder Ohrkanalelektrode wird ein CI simuliert und die Reizleitung subjektiv und objektiv gemessen (siehe Kapitel 4). Die prognostische Aussagekraft ist allerdings gerade bei Kindern gering: auch bei negativem Promontoriumstest kann die Hörbahn intakt bzw. noch entwickelbar sein! 5.4.2. Indikationen

• prälingual und perilingual ertaubte Kinder • postlingual ertaubte Patienten: jedes Alter • beidseitige Taubheit bzw. hochgradige Hörverminderung • keine adäquate Sprachentwicklung mit Hörgeräten • Motivation und Kooperation des sozialen Umfeldes (v.a. der Eltern) • Sicherstellung der postoperativen Therapie und Förderung • (Promontoriumstest positiv)

5.4.3. Kontraindikationen

• einseitige Hörstörung (absolut) • congenital taube Jugendliche ( > ca. 14 Jahren) und bereits erwachsene prälingual

ertaubte Patienten (absolut) • neurogene oder zentrale Hörstörung (absolut) • chronische Otitis media (relativ) • ungeeignetes soziales Umfeld

Keine Kontraindikationen an sich sind:

- Teilweise missgebildete oder ossifizierte Cochlea: hier stehen eigene Elektroden und Operationstechniken zur Verfügung, die eine Operation meist doch noch ermöglichen

- Mehrfachbehinderungen: auch diese Kinder profitieren von einer Cochlea Implantation [53]

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5.5. Chirurgische Technik Die Cochlea Implantation gilt in größeren Kliniken wie im AKH Wien mittlerweile als Standardoperation (durchschnittliche Dauer inklusive intraoperativer Messungen: ca. 3 Stunden). Die Technik wird jedoch von Zeit zu Zeit etwas modifiziert, um sich den technischen Neuerungen der unterschiedlichen Implantatsysteme optimal anzupassen. Das chirurgische Vorgehen bei einem Kind unterscheidet sich dabei praktisch nicht von der Implantation eines Erwachsenen, da das Innenohr bei der Geburt bereits voll ausgebildet ist und somit kein nennenswertes Wachstum mehr aufweist. Um allerdings das zu erwartende Schädelwachstum auszugleichen, wird zwischen dem Empfängerteil und Schnecke für den verbindenden Elektrodenträger eine spiralig gewundene “Reservelänge“ angelegt, um eine spätere Elektrodenretraktion auszuschliessen.

Die Wiener Operationstechnik: Zuerst wird ein retroauriculärer Hautschnitt (Abb.13), der zunächst knapp hinter der Ohrmuschelumschlagfalte geführt wird, bogenförmig nach kraniodorsal verlängert. Die Hautinzision wird unmittelbar bis an den Knochen des Felsenbeines durchgeführt und ein einschichtiger kaudal-gestielter Hautmuskelperiostlappen gebildet. Mit dieser Schnittführung wird die Gefäßversorgung des Lappens über die A.occipitalis sichergestellt. Um Lappennekrosen vorzubeugen, sollte zwischen Inzision und Implantat ein Sicherheitsabstand von 1,5cm eingeplant werden. Die bei Erwachsenen manchmal erforderliche Lappen-ausdünnung auf 4-5mm ist bei Kinder praktisch nie notwendig. Außerdem sollte der Lappen intraoperativ feucht gehalten werden und unnötige Manipulationen vermieden werden [54].

Abb. 13: retroauriculärer Hautschnitt

Um das Implantat stabil und ruckfrei zu verankern, wird bei Kindern ein 1mm tiefes (Erwachsene: 2mm) knöchernes Bett angelegt. Es wird mit Hilfe von Schablonen im occipito-temporo-parietalen Knochen ausgefräst (Abb.14). Zusätzlich werden am Rand Bohrlöcher für die geplante Nahtfixierung geschaffen. Im nächsten Operationsschritt wird der Zugang vom Implantatbett zur Schnecke ausgefräst. Dazu wird zunächst das Mittelohr mittels einer posterioren Mastoid- und Tympanektomie eröffnet, um das Promontorium und die Rundfensternische darstellen zu können. Der kurze Ambossfortsatz und die Stapediussehne können identifiziert werden, der Verlauf der Chorda tympani kann über 3mm dargestellt werden. Die Eröffnung der Schnecke erfolgt über eine promontorielle Cochleostomie. Dabei wird die Skala tympani nach tangentialem Anfräsen 1-2mm kaudal vom Steigbügel schonend eröffnet. Bei speziellen Fragestellungen kann der basale Abschnitt der Skala tympani jetzt mit Video-Mikroendoskopen (Durchmesser 0,35-0,89mm) auf einer Länge von etwa 7-8mm vorsichtig eingesehen werden. Dadurch werden eventuelle fibröse oder knöcherne Obliterationen im Schneckenlumen sichtbar und erforderlichen Maßnahmen (z.B. Aufbohren, Wahl eines anderen Implantates) können rechzeitig (d.h. vor der Elektrodeninsertion) ergriffen werden, um doch noch eine möglichst atraumatische und tiefe Insertion zu erreichen. Eine alternative Möglichkeit, Insertionsprobleme früh zu erkennen, ist die Verwendung von sog. Dummies. Wenn durch diese Vorbereitungen gesichert ist, dass einer Insertion nichts mehr im Wege steht, wird die Steril-Verpackung des CI´s geöffnet. Das Implantat wird in das vorgefräste Knochenbett eingelegt und mit nichtresorbierbaren Nähten fixiert (Abb.17).

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Die Erdungselektrode wird unter den M.temporalis eingelegt und so mit Fibrinkleber fixiert, dass sie direkten Knochenkontakt hat. Zuletzt wird die Stimulationselektrode über die Mastoidhöhle, die posteriore Tympanotomie und die promontorielle Cochleostomie in die Skala tympani eingeführt (Abb.15, Abb.16). Die Richtung der Insertion sollte nach medial, kaudal und anterior erfolgen, um den Elektrodenträger an der kaudal-lateralen Wand der Scala tympani entlanggleiten zu lassen. Ein Vorschieben bis etwa 30mm in die Schnecke im Sinne einer “Deep Insertion“ ist in den meisten Fällen problemlos möglich [55]. So kann das Prinzip der Tonotopie der Schnecke besser ausgenutzt und die Anzahl der stimuliert Nervenfasern erhöht werden [56]. Ein Abknicken der Elektrode sollte unbedingt vermieden werden. Die Elektrode sollte nur bis zum Punkt des ersten Widerstandes inseriert werden, weitere Versuche und Manipulationen können zu einem zunehmenden Trauma in der Schnecke führen [55],[57].

Abb. 16: Inserierte Elektrode ( mit ange- deutetem Verlauf in der Cochlea)

Abb. 17: Fixierung mit nichtresorbier- barem Nahtmaterial

Abb. 15: Elektrodeninsertion nach posteriorer Tympanotomie und promontorieller Cochleostomie

Abb. 14: ausgefrästes Implantatbett und posteriore Mastoidektomie

Die zu erwartende lange Nutzungsdauer erfordert ein Minimieren des Insertionstraumas von cochleären Strukturen und Ganglienzellpopulationen, da speziell bei Kindern eine jahrzehntelange CI-Versorgung vorauszuplanen ist und die Erfolgsaussichten eventueller späterer Reimplantationen zwecks Wechsel auf weiterentwickelte Modelle nicht geschmälert werden dürfen. Obwohl die Zuverlässigkeit der heutigen Implantate sehr hoch ist, sind Totalausfälle, die einen sofortigen Implantataustausch erfordern, nie ganz auszuschließen.

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Tierexperimente und die Erfahrung haben gezeigt, dass der Implantatwechsel zumindest bei nicht vorgeformten Elektroden problemlos ist [58],[59]. Für vorgeformte Elektroden könnte das Risiko eines größeren Explantationstraumas meiner Ansicht nach zumindest theoretisch größer sein, entsprechende Studien zu diesem Thema werden vermutlich erst in einigen Jahren vorliegen. Bevor die Elektrode schließlich fixiert wird, erfolgt eine intraoperative Telemetrie- und Stapediusreflexprüfung. So kann bereits intraoperativ die Funktion des Implantates überprüft und die Impedanzen an den einzelnen Elektrodenkontakten gemessen werden. Nach einer Reduktion der narkosebedingten Muskelrelaxation wird der Stapediusreflex geprüft, indem die Kontraktionen der Stapediussehne direkt über das Operationsmikroskop beobachtet werden. Die ermittelten Stapediusreflexschwellen geben erste Anhaltspunkte für die spätere Erstanpassung des Sprachprozessors. Das Elektrodenkabel zwischen Empfänger und Stimulationselektrode wird spiralig gewunden in die Mastoidhöhle eingelegt, um das kindliche Kopfwachstum kompensieren zu können. Um ein postoperatives Herausgleiten der Elektrode zu verhindern, wird das Elektrodenkabel an einer umschriebenen Stelle in der Mastoidhöhle mit sog. Bone Paté fixiert. Es handelt sich um ein Gemisch aus Fibrinkleber und beim Bohren gesammeltem Knochenmehl und wird innerhalb weniger Wochen in soliden Knochen umgewandelt [60]. Schließlich erfolg der zweischichtige Wundverschluss. Nach zwei bis drei Wochen ist die Wunde üblicherweise abgeheilt und die Erstanpassung der äußeren Implantatkomponenten kann erfolgen (siehe nächstes Kapitel). 5.6. Nachsorge Die Implantation erfordert in der Regel einen stationären Aufenthalt von 4-5 Tagen, wobei bei kleinen Kindern die Möglichkeit besteht, dass ein Elternteil auch über Nacht beim Kind bleiben kann. Etwa 10 Tage nach der Operation werden die Nähte entfernt, nach 2-3 Wochen ist die Wunde der Hautinzision in der Regel abgeheilt und die Schwellung hat sich zurückgebildet. Jetzt erhält der Patient zum ersten Mal die äußeren Teile des Implantates. Ein CI-Techniker nimmt zusammen mit der Logopädin die Erstanpassung – das sog. Fitting – vor. Dies erfordert bei Kleinkindern besondere Erfahrung, da diese im Gegensatz zu Erwachsenen oft keine verlässlichen Angaben über Qualität und Quantität ihrer Höreindrücke machen können. Nachjustierungen der verschiedenen Einstellungsparameter am Sprachprozessor sind die Regel und werden vor allem vorgenommen, um zu erkunden, welche Programmierung eine optimale Hör- und Sprachentwicklung ermöglicht. Bei manchen Kindern wird ein Fitting mit Hilfe von Stapediusreflexen durchgeführt. Eine gute Zusammenarbeit und Motivation aller Beteiligten (Eltern, Logopäden, Heilpädagogen, Technikern und HNO-Ärzten) trägt wesentlich zum Erfolg des CI bei. Eine weitere wichtige Anlaufstelle stellen Selbsthilfevereine dar, wie zB der CIAA (Cochlear Implan Aktiv Auditiv). Hier kommen regelmäßig Unentschlossene, Eltern, Betroffene, Interessierte und CI-Träger zusammen, um sich zu informieren und gegenseitig zu unterstützen (Kontakt: www.medel/ciaa oder siehe Anhang 1). Wichtige Entscheidungen, wie die Auswahl des Kindergartens oder der Schule, sollten prinzipiell immer vorher mit den betreuenden Logopäden besprochen werden, da sie in diesen Fragen eine jahrelange Erfahrung einbringen können und bei der Organisation von Integrationslehrern helfen können. Den größten Beitrag zum Implantationserfolg leistet natürlich das Kind selbst, da es von einem Tag auf den anderen eine neue Sinnesfunktion präsentiert bekommt und das Hören und Sprechen erst erlernen muss.

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6. Ergebnisse unilateral cochleaimplantierter Kinder 6.1. Einleitung An der HNO-Klinik im Wiener Allgemeinen Krankenhaus wurden bis heute über 350 Cochlea Implantationen durchgeführt. Seit 1992 bis heute wurden über 100 Kindern cochleaimplantiert. Demographische Daten liefert Tabelle 6. Die häufigste prälinguale/congenitale Taubheitsursache dieser Kinder war eine genetisch bedingte Innenohrschwerhörigkeit (siehe Kap.3.2.1.1.). Die häufigste postlinguale Taubheitsursache dieser Kinder war eine bakterielle Meningitis (siehe Kapitel 3.2.1.3.1.).

Tabelle 6: Demographische Daten aller seit 1992 im AKH-Wien cochleaimplantierten Kinder:

Mittelwert Mittelwert Mittelwert

Beginn der Taubheit Dauer Implantationsalter

alle Kinder 0,5 (0-14) 3,6 (0,1 - 12) 4,1 (0,75-14) präling. ertaubte Kinder 0,1 (0 - 1) 3,55 (0,25-12) 3,65 (0,75-12) peri/postling.ertaubte Kinder 6,2 (1-14) 1,5 (0,1 - 5) 7,8 (3,25-14)

Erfreulicherweise hat der Kinderanteil in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen (siehe Diagramm 1). Im Jahr 2000 waren 60% der Implantierten Patienten Kinder. Dies hat zwei wesentliche Gründe:

- Die konsequente Frühdiagnose von kindlichen Hörstörungen sowie das Neugeborenenscreening tragen wesentlich dazu bei.

- Nach 30 Jahren Erfahrung bei Erwachsenen und 20 Jahre nach den ersten Kinder-Implantationen wird die Cochlea Implantation heute als sichere und effiziente Rehabilitationsmöglichkeit gehörloser Kinder anerkannt.

Diagramm 1: Anteil der Kinder an den Cochlea Implantationen in Wien.

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Postlingual ertaubte Erwachsene erreichen mit einem modernen CI-System in den meisten Fällen ein sehr gutes Sprachverständnis [61], [62], [63], [48], [41], [42]. Viele CI-Träger können wieder in den Beruf zurückkehren, telefonieren und sogar im Störschall noch ein hohes Maß an Sprachdiskrimination erzielen [64], [65], [66], [67], [41]. 6.2. Methoden und Patienten Die implantierten Kinder wurden mittels EARS (Evaluation of Auditory Responses to Speech)- Testbatterie auf ihre prä- und postoperativen Hör- und Sprachleistungen getestet [68]. Die zeitaufwendige EARS-Studie startete im Jahr 1995. Es wurden 33 prelingual ertaubte Kinder, die zwischen 1995 und 1998 ein COMBI40/40+ Implantat erhielten, in die Studie aufgenommen. Demographische Daten finden sich in Tabelle 7. Die Kinder wurden von Beginn an über einen Zeitraum von drei Jahren getestet. Die EARS-Testbatterie wurde speziell für hörgestörte Kinder entwickelt und besteht aus 4 geschlossenen und 3 offenen Tests:

- geschlossene (closed set) Tests: Das Kind muss die dargebotenen Wörter identifizieren, indem es auf entsprechende Abbildungen zeigt.

- offene (open set) Tests: Das Kind muss die Wörter richtig nachsprechen oder auf die Fragen korrekt antworten. Die offenen Tests sind für Kinder in der Regel schwieriger.

Bei der für diese Arbeit verwendeten EARS-Testbatterie handelt es sich also um eine Zusammenstellung von verschiedenen Hör/Sprachtests mit steigendem Schwierigkeitsgrad. Das Ziel ist es, die auditorischen Fähigkeiten (Detektion, Diskrimination, Identifikation, Erkennung/Nachsprechen und Verstehen) nach einer Cochlea Implantation zu evaluieren. Alle Tests wurden vom Sprachtherapeuten “live“ präsentiert, um so auch die kleinsten Kinder zu motivieren. Alle Tests wurden dabei rein auditorisch durchgeführt. Zusätzliche Informationen durch Lippenlesen wurden dem Kind vorenthalten. Die einzelnen Tests wurden kurz vor der Operation, bei der Erstanpassung und dann 1, 3, 6, 12, 18, 24 und 36 Monate nach der Implantation durchgeführt. Die EARS-Studie ist so konzipiert, dass nicht bei jedem postoperativen Kontrolltermin alle verschiedenen Tests durchgeführt werden, sondern vor allem diejenigen, deren Schwierigkeitsgrad dem bereits erreichten Sprachverständnis und (Sprach)alter entsprechen. Wenn einmal bei einem Test über ~90% richtige Antworten erreicht wurden, wurde in weiterer Folge der nächstschwierigere Test angewandt. Es wurde außerdem vermieden, mehr als ein bis mximal zwei Tests pro Besuch durchzuführen, da bei Kleinkindern der Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit natürliche Grenzen gesetzt sind und auch die Freude sowie das Interesse am Getestetwerden schnell nachlassen können.

Die einzelnen Tests der EARS-Testbatterie in der ungefähren Reihenfolge ihres Schwierigkeitsgrades:

1. Der LiP (Listening Progress Profile)-Test: Ein geschlossener Test, der die auditorischen

Fähigkeiten (Detektion, Unterscheidung und Identifikation) des Kindes messen soll. Das Kind wird Umweltgeräuschen ausgesetzt und die Reaktion darauf beurteilt (0, 1 oder 2 Punkte: keine Reaktion, manchmal Reaktion, immer Reaktion). Zum Beispiel die

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Reaktion auf einen Trommelschlag (mit Identifikation durch Zeigen auf Bilder), Unterscheidung zwischen laut/leise, kurz/lang, einzeln/wiederholt usw. Die erreichten Punkte werden als Prozent der maximal 42 erreichbaren Punkte angegeben.

2. Der geschlossene MTP (Monosyllabbic Trochee Polysyllable)-Test setzt sich aus ein-,

zwei, und mehrsilbigen Wörtern zusammen. Man testet in 3 verschiedenen Schwierigkeitsstufen mit 3, 6 und schließlich 12 Wörtern (MTP 3/6/12), wobei das Silbenmuster (=MTP-Pattern) und das Wortverständnis (MTP-Wort) getrennt analysiert werden. Die Identifikation erfolgt durch auf Bilder zeigen.

3. Der Closed Set Monosyllabic-Test (geschlossener Einsilbertest) existiert in zwei

Versionen (eine mit 4- und eine mit 12 einsilbigen Wörtern). Auch hier identifiziert das Kind jedes Wort, indem es auf Bilder zeigt.

4. Der Closed Set Sentence Level-Test (geschlossene Satztest) besteht aus zwei Satzlisten

mit unterschiedlichen Wörtern. Die leichtere Liste umfasst 3-Wort-Sätze mit einer 2 X 3 Matrix (alles Einsilber), die schwerere Liste besteht aus 4 Wort-Sätzen mit einer 4 X 4 Wortmatrix (1 oder 2 Mehrsilber pro Satz). Beispiel: Ein kleines rotes Auto (2 X 3 Matrix). Der Untersucher geht nur zum nächsten Schwierigkeitsgrad über, wenn über 90% der Wörter durch Bilderzeigen richtig erkannt wurden.

5. Der offene Liste-Einsilber Test (Open Set Monosyllabic Word-Test) ist ein offener Test,

d.h. das Kind muss das Verstandene nachsprechen. Er besteht aus zwei Listen mit 10 Wörtern in Konsonant-Vokal-Konsonant-Form. Bewertet wird die Anzahl der korrekt nachgesprochenen Phoneme und der richtigen ganzen Wörter.

6. Der GASP (Glendonald Auditory Screening Procedure)-Test ist ebenfalls ein offener

Test. Er besteht aus einer Liste mit 10 Fragen, zum Beispiel “Wie ist dein Name?” oder “Wo ist deine Mama“ oder “Wie alt bist du“. Gewertet werden die korrekten Antworten.

7. Der Sprachspezifische Satztest (Language Specific Sentence -Test) ist wie der GASP

Test für schon relativ weit sprachentwickelte Kinder gedacht. Er besteht aus 10 Sätzen, die sich in der Anzahl von Silben unterscheiden. Zwei dieser Sätze haben 5 Silben, die nächsten zwei 6, usw. Die letzten Sätze bestehen aus 9 Silben. Bewertet wird die Anzahl der korrekt wiederholten Wörter und Sätze.

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Tabelle 7: Demographische Daten

Kind

Geschlecht

Ertaubungsalter

(in Jahren)

Taubheitsdauer

(in Jahren)

Implantationsalter

(in Jahren)

Äthiologie

Gruppe 1: Implantationsalter ≤ 3 Jahre

1 m 0.5 1.5 2 Meningitis 2 w 0 2 2 Cong./ungeklärt 3 w 0 3 3 Sepsis 4 w 0 2 2 Cong./ungeklärt 5 m 0 2 2 Röteln 6 m 0 3 3 Cong./ungeklärt 7 w 0 3 3 Cong./ungeklärt 8 w 0 2.5 2.5 Cong./ungeklärt 9 m 0 2 2 Cong./ungeklärt

10 w 0 3 3 Cong./ungeklärt 11 m 0 2.5 2.5 Cong./ungeklärt 12 w 0.25 0.5 0.75 Meningitis 13 w 0 3 3 Cong./ungeklärt 14 w 0 1.5 1.5 Cong./ungeklärt 15 w 0 2 2 Cong./ungeklärt

Gruppe 2: Implantationsalter > 3 Jahre

16 m 0 5 5 Cong./ungeklärt 17 w 0 5 5 Cong./ungeklärt 18 m 0 4 4 Cong./ungeklärt 19 w 0 6 6 Cong./ungeklärt 20 w 0 4 4 Cong./ungeklärt 21 m 0 4 4 Cong./ungeklärt 22 m 0 8.5 8.5 Cong./ungeklärt 23 w 0 4 4 CMV-Infektion 24 m 0 4 4 Cong./ungeklärt 25 m 0 4.5 4.5 Cong./ungeklärt 26 m 0 4 4 Cong./ungeklärt 27 m 0 9.5 9.5 Cong./ungeklärt 28 w 1 8 9 Meningitis 29 w 0 7 7 Cong./ungeklärt 30 w 0 5 5 Cong./ungeklärt 31 m 0 4.5 4.5 Cong./ungeklärt 32 m 0 8.5 8.5 Cong./ungeklärt 33 m 0 4 4 Gusher Syndrom

Gruppe 1: N=15 (10w, 5m) 0.05 2.23 2.28 Gruppe 2: N=18 (7w, 11m) 0.05 5.53 5.58

Alle Kinder: n=33 (17w, 16 m) 0.05 4.03 4.08

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6.3. Ergebnisse Die durchschnittlichen Ergebnisse, die die Kinder in der EARS-Testbatterie erreicht haben, werden in den Diagrammen 2-8 dargestellt.

0

20

40

60

80

100

Prä-OP 1 3 6 12 18 24 36Monate nach der Erstanpassung

%

Implantationsalter < 3 Jahre Implantationsalter > 3 Jahre

Diagramm 2: EARS Testbatterie. Gesamtdurchnitt über alle Tests; Vergleich der Ergebnisse nach dem Implantationsalter. Frühzeitig implantierte Kinder zeigen eine besonders günstige Entwicklung. Da mit zunehmendem Alter immer anspruchsvollere Tests durchgeführt werden konnten, ist aus diesem speziellen Diagramm, das alle Tests mittelt, keine Steigerung mehr nach dem 12. Monat ablesbar. (Dies darf nicht mit einem Stehenbleiben derEntwicklung verwechselt werden: dass die Hör- und Sprachleistungen der Kinder auch nach 12 Monaten noch voranschreiten ist eindeutig aus den Ergebnissen der Einzeltests ersichtlich – siehe Diagramme 3-8) Die Säulen in Diagramm 2 stellen die Durchschnittswerte aller zusammengerechneten Einzel-Ergebnisse der EARS-Testbatterie dar, die Balken geben die jeweiligen Standardabweichungen vom Mittelwert an. Kinder, die vor dem 3. Lebensjahr implantiert wurden, erreichten durchwegs bessere Ergebnisse als später implantierte Kinder. Für einen derartigen Vergleich dürfen (wie es hier gemacht wurde) nur prälingual ertaubte Kinder herangezogen werden, weil peri- und postlingual ertaubte Kinder auf ein auditorisches Gedächtnis aufbauen können und sich in ihren Hör- und Sprachleistungen daher oft deutlich schneller entwickeln.

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Listening Progress Profile Test (LiP)

0

20

40

60

80

100

Prä-OP 1 3 6 12 18 24 36Monate nach Erstanpassung

%

Diagramm 3: LiP-Test Mittelwerte; Durschnitte und Standardabweichungen. Der LiP-Test (Diagramme 3, 4) wurde präoperativ und dann nach 1, 3, 6, 12 , 18 und 36 Monaten durchgeführt. Die Durchschnittswerte stiegen kontinuierlich von 31% beim 1-Monatstest auf 98% nach 2 Jahren Implantaterfahrung an. Da einige Kinder ein geringes Resthörvermögen besasen, erreichten sie schon präoperativ minimale LiP-Werte, ohne jedoch eine adäquate Sprachproduktion oder ein Sprachverständis zu entwickeln.

Listening Progress Profile Test (LiP)

0

20

40

60

80

100

12; 24 18; 36 12; 36 3; 36 0; 12 6; 12 6; 36 12; 36 6; 12 12; 24 0; 24 6; 18 0/12/18 12; 18 3; 12 12; 24 0; 6 0/6/12 18; 26 0/36

Monate nach Erstanpassung (1-36, Präoperativ=0)

%

Diagramm 4: LiP-Test. Ergebnisse einzelner Kinder. Dieses Diagramm soll die großen Unterschiede der einzelnen Kinder veranschaulichen. Es sind jeweils nur ein Zwischen- und ein Endergebnis pro Kind aufgetragen. (Pat1 12; 24 bedeutet: Kind Nr.1, die Test-Ergebnisse von 12 und nach 24 Monaten nach der Erstanpassung sind aufgezeichnet)

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MTP- 6 Test

0

20

40

60

80

100

Prä-OP 1 3 6 12 18 24 36Monate nach der Erstanpassung

%

Muster Wörter

Diagramm 5: Monosyllabic Trochee Polysyllable (MTP-6)-Test. Schweregrad 2/3: Liste mit 6 Wörtern. Das Kind hörtein Wort und soll das Wort zweite Säule identifizieren, indem es auf entsprechende Bilder zeigt (closed-set Test). Gewertet werden weiters die erkannten Silbenmuster. Auch beim MTP-6 Test (Diagramm 5) erreichten die Kinder gute Ergebnisse. Der Grund, warum für den eigentlich schwereren MTP-12 Test (Diagramm 6) gleichgute Ergebnisse wie für den leichteren MTP-3 Test vorliegen ist der, dass nach z.B. 3 Monaten die besseren Kinder schon mit dem MTP-12 gestestet werden konnten, während bei sehr kleinen Kindern zuerst mit dem MTP-3/6 begonnen wurde.

Diagramm 6: Monosyllabic Trochee Polysyllable (MTP-12)-Test. Schweregrad 3/3: Liste mit 12 Wörtern. Das Kind soll das Silbenmuster (erste Säule) sowie das Wort selbst (zweite Säule) identifizieren, indem es auf entsprechende Bilder zeigt (geschlossener Test).

MTP-12 Test

0

20

40

60

80

100

Prä-OP 1 3 6 12 18 24 36Monate nach der Erstanpassung

%

Muster Wörter

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CLOSED SET-TESTSEinsilber Wort-Test, Sentence Level-Test ("A" / "B")

0

20

40

60

80

100

12 18 24 36 12 18 24 36 12 18 24 36

Wort 12 Sätze "A" Sätze "B"12 bis 36 Monate nach Erstanpassung

%

Diagramm 7: Ergebnisse für die geschlossenen Tests (Closed Set Tests): Einsilber- (Monosyllabic-) Test (12 Wörter); Satztest (Sentence Leveltest) mit ebenfalls zwei Schweregraden (Sätze “A“/“B“). Die Identifikation erfolgt durch Zeigen auf Bilder.

Die schwereren Closed-Set Einsilbertests (4/12) und Satzteste (a/b) sowie die Open-Set-Tests (Diagramme 7, 8) wurden erst 12 bis 36 Monate nach der Implantation durchgeführt.

OPEN SET-TESTSEinsiber Test (Phoneme/Wörter), GASP, L.S.Sätze

0

20

40

60

80

100

12 18 24 36 12 18 24 36 12 18 24 36 12 18 24 36

phonemes words GASP L.S. sentences12 bis 36 Monate nach Erstanpassung

%

Diagramm 8: Ergebnisse für die offenen Tests: Im Open Set Monosyllabic Word-Test muss das Kind die dargebotenen Wörter nachsprechen, wobei die Anzahl der richtigen Phoneme und die richtig wiederholten Wörter gewertet werden. Der Glendonald Auditory Screening Procedure-Test besteht aus 10 Fragen, gewertet werden die richtigen Antworten. Der Language Specific Sentence-(Sprachspezifischer Satz-)Test ist der schwerste Test der EARS-Testbatterie.

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6.4. Diskussion Es muss beachtet werden, dass es nicht immer möglich war, alle Kinder zu allen Zeitpunkten zu testen. Da die meisten Kinder der Studie noch sehr klein waren, war es oft nicht vertretbar, von jedem Kind möglichst viele Test-Daten zu gewinnen. Die Tests sind zwar speziell für Kinder entwickelt worden, die Konzentrationsfähigkeit und die Freude am Getestetwerden lassen aber schnell nach. Um verlässliche Ergebnisse zu erhalten, erschien es daher nicht sinnvoll, mehr als zwei Einzeltests pro Besuch durchzuführen. Trotzdem konnten mit der Zeit von fast allen Kindern aussagekräftige Ergebnisse von mindestens zwei Testungen je Test im postoperativen Verlauf gewonnen werden, was hauptsächlich der im Gebiet der Kinderrehabilitation sehr erfahrenen Logopädin, die alle Tests durchführte, zu verdanken ist. Für diese Arbeit wurden alle bis heute angefallenen Test-Bögen ausgewertet und Endergebnisse berechnet. Die von Gstöttner et al. veröffentlichten vorläufigen Ergebnisse konnten im wesentlichen bestätigt werden [69]. Im LiP, Open-Set-Phoneme und GASP-Test erreichten die Kinder jetzt insgesamt etwas höhere Durchnittswerte, bei den anderen Tests traten keine nennenswerten Unterschiede auf. Die Voraussage anderer Autoren [46, 47, 48, 49, 50],[6] , dass frühzeitig implantierte prälingual ertaubte Kinder insgesamt eine günstigere Entwicklung im Sprachverständnis und im Spracherwerb zeigen, wird von den hier vorliegenden Testergebnissen untermauert (Diagramm 2). Ein Grund dafür, warum spät implantierte prälingual ertaubte Kinder langsamer aufholen, liegt vermutlich in der mit steigendem Lebensalter abnehmenden Plastizität des Gehirnes [3]. Weiters zeigen die postoperative Ergebnisse, das von Kind zu Kind große Unterschiede auftreten (siehe u.a. Diagramm 3). Der Spracherwerb und das Sprachverständnis wird aber auch bei normalhörenden Kindern verschieden schnell entwickelt. Die individuellen Unterschiede der CI-Kinder werden auch von anderen Autoren beschrieben [70],[71],[72],[73]. Ein wesentlicher Grund dafür, warum jedes Kind eigentlich einzeln betrachtet werden müsste, liegt u.a. in den sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. So sind das Implantationsalter, das Ertaubungsalter (prä/peri/postlingual), die Dauer der Taubheit, die Taubheitsursache und eventuelle Mehrfachbehinderungen oder psychomotorische Entwicklungsverzögerungen nur einige der Faktoren, die einen entscheidenden Einfluss auf die postoperative Entwicklung haben. Implantierte Kinder sollten – immer wenn es möglich bzw. organisierbar ist – in reguläre Kindergärten und Schulen integriert werden. Von allen in Wien implantierten Kindern, sind mittlerweile 38 in das schulpflichtige Alter gekommen. Die Kinder, die keine zusätzlichen Behinderungen haben, konnten alle in Regelschulen eingegliedert werden - einige besuchen vollkommen reguläre Klassen, die meisten sogenannte Integrationsklassen. Diese Integrationsklassen werden in der Regel von zwei Lehrern, 15-20 normalhörenden Kindern und 1-4 hörbehinderten Kindern geführt. Der so ermöglichte ständige Kontakt mit normalhörenden Kindern hat sich erfahrungsgemäß als sehr wichtig erwiesen; er stellt eine wichtige Motivation für die weitere sprachliche Entwicklung des Kindes dar. Inwieweit die bilaterale Cochlea Implantation die Kinder in ihrem Bildungsweg noch besser unterstützen kann, wird die Zukunft zeigen - an den bisher für die beidseitige Versorgung ausgewählten Kindern sind die Ergebnisse sehr ermutigend (siehe Kap.7 u. 8).

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7. Bilaterale Cochlea Implantation bei Kindern 7.1. Definition Der Begriff “Bilaterale Cochlea Implantation“ bedeutet, dass dem Patienten auf beiden Seiten (rechtes und linkes Ohr) ein CI implantiert wird. Es werden folgende Möglichkeiten unterschieden:

- Der Patient erhält zwei identische moderne CI´s und benutzt beide gleichzeitig (er ist ein “Bilateraler User“). Dies ist die optimale Variante der bilateralen Cochlea Implantation.

- Der Patient erhielt vor vielen Jahren ein bis heute funktionierendes CI (z.B. analog,

extracochleär, einkanalig). Um ihm ein modernes überlegenes CI-System (digital, intracochleär, mehrkanalig, CIS-Strategie) anbieten zu können, ohne den Erfolg des Alten zu riskieren, wurde das andere Ohr implantiert. Alle Patienten dieser Gruppe (Kinder und Erwachsene) benützen heute nur noch das modernere CI, da es dem Alten weit überlegen ist (“Unilateraler User“).

7.2. Derzeitiger Stand Bis heute wurden weltweit schätzungsweise über 120 Personen bilateral implantiert (bilateraler User/unilaterler User). Erste Berichte zu diesem Thema wurden bereits vor 13 Jahren veröffentlicht [79],[78]. Die Höreindrücke zweier unabhängig voneinander arbeitender Prozessoren scheinen problemlos zu einer gemeinsamen Wahrnehmung ohne Interferenzen integriert/fusioniert werden zu können [79]. Trotzdem wird derzeit auch über die Möglichkeit eines Einzel-Prozessors nachgedacht, der beide Implantate synchronisiert ansteuern soll [80]. Ob die binauralen Fähigkeiten von bilateralen CI-Träger durch eine Synchronisation weiter gesteigert werden könnten, ist derzeit eine der vielen Fragen, die dieses Thema aufwirft. Interessant ist hier u.a. die Tatsache, dass einige bilateral implantierte Personen auch mit zwei unsynchronisiert laufenden Prozessoren überraschend gute binaurale Fähigkeiten besitzen, und in Experimenten Zeitdifferenzen von bis zu 50µs und darunter wahrnehmen können [89-

91]. Andere bilaterale Überlegungen betreffen zB die optimalen Stimmulationsraten, die Stimultionsreihenfolge der Elektroden, und ob eines Tages eine spezielle binaurale Stimulationsstrategie eingesetzt werden könnte. Die bilaterale Implantation ermöglicht eine Reihe von neuen technischen Möglichkeiten und Herrausforderungen. Sie gibt darüber hinaus für die Forschung und die Weiterentwicklung der gesamten Cochlea Implantation wichtige Impulse. Vor allem aber bringt sie schon in ihrer heutigen Form für den CI-Träger entscheidende Vorteile (siehe Kap. 7.3.) und ermöglicht einen noch natürlicheren und presenteren Höreindruck.

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Die Erfahrung an bilateral implantierten Erwachsenen zeigt, dass zwei CI´s in der Regel dann objektive und subjektive Vorteile bringen, wenn folgende Kriterien erfüllt werden:

• Implantation von zwei identischen modernen CI-Modellen • Annähernd symmetrisches Fitting beider Geräte (Hörschwellen, MCL (maximal

comfort level)-Werte, gleiche Sprachkodierungsstrategie und deren Programmierung) • Symmetrische anatomische Voraussetzungen. Eine gleiche/ähnliche Taubheitsursache

beider Ohren scheint vorteilhaft zu sein • Annähernd symmetrische Elektroden-Insertionstiefe

Die meisten Erfahrungen über bilaterale Implantationen konnten mit CI´s der - im bilateralen Bereich in Forschung und Entwicklung führenden - Firma Med-El gesammelt werden. Etwa 100 Erwachsene und Kinder weltweit erhielten bis heute beidseitig ein COMBI40/40+ Implantat. An der HNO-Universitätsklinik in Wien alleine gibt es bis heute 12 bilateral implantierte Kinder. 7.3. „Indikation“ und Vorteile der bilateralen Cochlea Implantation Die Vorteile einer bilateralen Cochlea Implantation ergeben sich analog zur bilateralen Hörgeräteversorgung. Bei beidseits hörgestörten Kindern gilt die bilaterale Anpassung von Hörgeräten (HG) seit über 30 Jahren als Standard. Die Überlegenheit im Vergleich zur einseitigen HG-Versorgung ist unumstritten und wurde mehrfach nachgewiesen [81], [82], [83], [84]. Da die Kosten eines zweiten CI´s ungleich höher als die eines zweiten HG´s sind, und die Cochlea Implantation einen operativen Eingriff (mit einem geringen aber nie gänzlich ausschließbaren Operationsrisiko) darstellt, ist die Indikationsstellung allerdings wesentlich strenger zu handhaben. Auch sind die volkswirtschaftlichen Resourcen ebenso wie die Kapazitäten der Kliniken begrentzt. Die Indikationen und Kontraindikationen der bilateralen Implantation entsprechen im wesentlichen denen der einseitigen Implantation (siehe Kap. 5.4.2., 5.4.3.). Zusätzlich müssen allerdings zwei Punkte beachtet werden:

1. Keines der beiden Ohren darf über ein noch mit Hörgeräten ausreichend nutzbares Restgehör verfügen (ca. 75 dB(HL) und besser). In diesem Fall ist derzeit primär eine HG-Versorgung des resthörigen (und - wenn erforderlich - eine CI-Versorgung des schlechteren Ohres) anzustreben.

2. Die Ertaubungsursache sollte für beide Ohren gleich oder vergleichbar sein (z.B. congenital, genetisch, Meningitis usw. Ungünstiger wäre z.B. eine angeborene Taubheit des einen und ein traumatischer oder post-meningitischer Hörverlust des anderen Ohres)

Wenn eine bilaterale Implantation finanziell möglich und anatomisch/audiologisch sinnvoll erscheint, sind von der bilateralen Cochlea Implantation folgende Vorteile zu erwarten [86]:

• besseres Sprachverständnis im Störschall • verbessertes räumliches Hören, Schallquellenlokalisation • ein zentraler symetrischer Höreindruck (Das Hören wird “presenter“) • besseres Sprachverständnis ohne Störschall • Beschleunigung der Sprachentwicklung (nach bisherigen Beob.) • verbessertes Gleichgewichtskontrolle bei einigen Kindern (laut Eltern-Berichten) • schnellere Reaktion auf Schall (Sprache, Geräusche), Blickwendung zur Schallquelle

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Als heute gesichert gelten ein verbessertes räumliches und bidirektionales Hören sowie die schnellere Reaktionszeit auf Schall. In Situationen, in denen mehrere Nutz- und Störschallquellen miteinander konkurrieren, verbessert sich die Fähigkeit, die Sprache “herauszufiltern“. So konnte auch der damit eng verbundene “Squelch-Effekt“ bereits sicher nachgewiesen werden [89, 90, 91]. Eltern und Logopäden berichten in einigen Fällen über ein besseres Gleichgewichtsgefühl ihrer Kinder. Einige bilateral implantierten Erwachsenen können mit einem zweiten CI ihr Sprachverständnis in Ruhe verbessern. Vor allem aber steigert sich das Sprachverständnis im Störschall [86], [96]. Es kann also gehofft werden, dass diese bei Erwachsenen beobachteten Vorteile auch bei (Klein)kindern zutreffen und einen zusätzlichen günstigen Einfluss auf die Sprachentwicklung hat - insbesondere erhofft man sich ein leichteres und schnelleres Aufholen in der Sprachentwicklung. Mehr Patienten, mehr Daten und eine längere Beobachtung der Kinder werden allerdings erforderlich sein, um statistisch gesicherte Aussagen zu erhalten. Inwieweit die bilaterale Cochlea Implantaion die in sie gesetzten Hoffnungen und Erwartungen erfüllen wird, kann nur die Zukunft zeigen. Die Entwicklung der 12 bisher für die beidseitige Versorgung ausgewählten Kinder darf jedenfalls als sehr ermutigend bezeichnet werden (siehe auch Kapitel 8.: Ergebnisse der bilateralen Cochlea Implantation bei Kindern). 7.4. Operatives Vorgehen Die chirurgische Technik der bilateralen Implantation unterscheidet sich nicht von der unilateralen Versorgung (siehe Kapitel 5.5.). Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten beide Ohren zu implantieren:

• Einzeitig: in ein und derselben Operation werden beide Ohren implantiert. Vorteile: nur ein Krankenhausaufenthalt, nur eine Wundheilungsphase, kostengünstiger als das zweizeitige Vorgehen. Nachteil: längere Operationsdauer, möglicher größerer Blutverlust (muss bei Kleinstkindern eingeplant werden), höheres Narkoserisiko. Das einzeitige Vorgehen stellt derzeit noch die Ausnahme dar.

• Zweizeitig: Drei (oder mehr) Monate nach dem ersten wird das zweite Ohr

implantiert. Vorteile: kürzere Operationsdauer, kürzere Narkose. Nachteile: teurer, da zwei Krankenhausaufenthalte erforderlich sind, zwei Wundheilungsphasen. Das zweizeitige Vorgehen wird derzeit häufiger gewählt, unter anderem auch deshalb, weil viele Eltern zwei “kleineren“ Operationen den Vorzug geben.

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8. Fallstudien bilateral cochleaimplantierter Kinder In Wien wurden bis heute 12 Kinder bilateral cochleaimplantiert. Weltweit gehören sie zu den ersten wenigen Kindern, denen eine beidseitige Versorgung ermöglicht werden konnte. Sechs dieser Kinder sollen auf den folgenden Seiten vorgestellt werden*. Die meisten von ihnen habe ich kennenlernen dürfen, als sie zur Sprachförderung in die Ambulanz kamen. Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Frau Dipl. Log. Brigitte Egelierler bedanken, dass sie mich vielen CI-Kindern und Eltern vorstellte und mir die Möglichkeit gab, die Kinder auch während der Therapiestunden zu beobachten. Bei einigen Kindern liegen zusätzlich einige Testergebnisse (siehe Kap.6) vor, die dann jeweils in der Fallbeschreibung enthalten sind. * Auf den folgenden Seiten werden sechs interessante (weil verschiedene) Kinder präsentiert. Wichtig erscheint es mir, neben “Vorzeigekindern“ auch Kinder vorzustellen, bei denen die Ausgangsbedingungen aus verschiedenen Gründen schwieriger war. Erfreulicherweise scheinen aber selbst diese Kinder überraschend gute Fortschritte in ihrer Sprachentwicklung und im Sprachverständnis zu machen. 8.1. Kind 1 Initialen: M.S.

Geboren: ..4.5..1996

Geschlecht: weiblich

Diagnose: congenitale Taubheit beidseits.

Implantation: 13.11..1997: COMBI 40+ rechte Seite ; TEMPO+ HdO Sprachprozessor

17.02..1999: COMBI 40+ linke Seite ; TEMPO+ HdO Sprachprozessor

Implantationsabstand: 1,5 Jahre

Anamnese: Trotz Mutter-Kind-Pass wurde die congenitale Hörstörung erst diagnostiziert,

als den Eltern auffiel, dass die damals 1-Jährige nach einer unauffälligen Lallphase nicht zu sprechen begann und “Mama“ nur stumm nachahmte. Mit 14 Monaten bestätigten Reflexaudiometrie und BERA die Diagnose. Es folgte ein kurzer (erfolgloser) Versuch mit beidseitigen Hörgeräten. Schwangerschafts-, Geburts- und Familienanamnese unauffällig. Keine schweren Kinderkrankheiten oder Kontakt mit ototoxischen Substanzen. Die Ertaubungsursache konnte nicht geklärt werden.

Entwicklung seit der Implantation:

Dieses Mädchen zeigt eine außerordentlich erfreuliche Entwicklung: Im 20. Lebensmonat erste Cochlea Implantation. Nach ein paar Wochen zeigte sie erste Reaktion auf Schallreize. Eine intensive Hör- und Sprach-Förderung durch die Logopädin und die Mutter folgten (die Therapie wird bis heute fortgesetzt). Anfang 1998 (im 2.Lebensjahr) sprach sie die ersten Worte (Papa, Wauwau). Im August 98 folgten 2-Wortsätze. Nach diesem Erfolg und dem Wunsch der Eltern entsprechend wurde knapp vor dem 3. Geburtstag das zweite Ohr implantiert. Erste Reaktionen auf Schallreize zeigte das Kind bereits nach 2 Tagen (versuchsweise war nur das neue CI eingeschaltet). Das Gleichgewicht verbesserte sich schlagartig am Tag der Erstanpassung des zweiten CI, das Kind begann sofort flüssiger und sicherer zu gehen. Die Sprachentwicklung ging rasant weiter und im Oktober 99 konnte sie Mehrwortsätze (wie “Mama bitte Schuhe anziehen!“) sprechen. Bis heute hat die Fünfjährige in ihrer Sprachentwicklung soweit aufgeholt, das sie das Sprachalter eines normalhörenden

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Fünfjährigen besitzt. Sprachmelodie, Aussprache und Artikulation sind völlig unauffällig. Sie geht dzt. in einen regulären Kindergarten, hat einen (normalhörenden) Freundeskreis und ist ein kluges, fröhliches, sich völlig unproblematisch entwickelndes Kind. Mit nur einem CI war sowohl das Richtungshören und das Sprachverständnis im Störschall stark eingeschränkt. Beim Mutter-Kind-Turnen im Turnsaal oder am Strand wirkte das Kind “wie verloren“. Laut Mutter verbesserte sich das Richtungshören mit dem zweiten CI wie “1000:1“.

8.2. Kind 2 Initialen: M.U.

Geboren: 25.10..1991

Geschlecht: weiblich

Diagnose: congenitale Taubheit rechts, minimales Restgehör links, Innenohrfehlbildung beidseits.

Implantation: 5..10..1998: COMBI 40+ rechte Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

...6.4..2000: COMBI 40+ linke Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

Implantationsabstand: 1,5 Jahre

Anamnese: Im ersten Lebensjahr Behandlung einer Hüftdysplasie und eines Schiefhalses (beides heute

ausgeheilt). Steißgeburt (APGAR-Score normal). Die Mutter merkte zwar früh, dass irgendetwas nicht stimmte, nach dem ersten Jahr, in dem man sich auf die orthopädischen Probleme konzentrierte, wurde ihr aber geraten, das Kind erst einmal für ein Jahr in Ruhe zu lassen. Als das Mädchen mit zwei Jahren nicht zu sprechen begann (nach unauffälligen präverbalen Lallphasen), wurde nach genauen pädaudiologischen Untersuchungen (inkl. OAE und BERA) eine Gehörlosigkeit rechts und eine hochgradige Schwerhörigkeit links diagnostiziert. Obwohl beidseitig Hörgeräte angepasst wurden und eine optimale logopädische und mütterliche Förderung begonnen wurde, zeigten sich keine Fortschritte in der Hör- und Sprachentwicklung. Die besorgte Mutter kam schließlich von selbst in die HNO-Ambulanz des Wiener AKH.

Entwicklung seit der Operation:

Mit beinahe 7 Jahren kam das Mädchen erstmals in die CI-Ambulanz im Wiener AKH. Noch vor dem 7. Geburtstag wurde das rechte Ohr implantiert. Trotz einer leichten cochleären Fehlbildung gelang eine 30mm tiefe Insertion. 3 Wochen nach der Erstanpassung zeigte das Mädchen erste Reaktionen auf Schallreize und wurde zusehends lebendiger. Intensives Hör- und Sprachtraining ermöglichten trotz der späten Versorgung eine insgesamt erfreuliche Entwicklung. Da das Kind bis zur zweiten Implantation einige male mit der EARS-Testbatterie getestet wurde, liegen hier einige Testergebnisse vor: LiP-Test: präoperativ:17%, nach 6 Monaten 98%, MTP-3 Wörter: präop: 0%, nach 3 Monaten 100%, MTP-6 Wörter: 88% nach 12 Monaten, geschlossene Sätze(A): 62% nach 6 Monaten. Diese positive Entwicklung setzt sich bis heute fort, es liegen allerdings keine weiteren Ergebnisse der EARS-Testbatterie vor. In der kurzen Zeit bis zum Schuleintritt konnte sie zwar im Sprachverständnis gewaltige Fortschritte machen, den Rückstand in der Sprachentwicklung erwartungsgemäß aber nur teilweise aufholen. Mit 8 Jahren konnte sie doch in eine Integrationsklasse (12 normalhörende und 4 Schwerhörige Kinder) aufgenommen werden. 1,5 Jahre nach dem ersten wurde das zweite Ohr (im 8.Lebensjahr) implantiert, in der Hoffnung eine zusätzliche Beschleunigung der Sprachentwicklung zu erreichen. Eine sofortige Verbesserung konnte für das Gleichgewicht erreicht werden. Ein Jahr nach der zweiten Implantation konnte sie weiter Fortschritte im offenen Sprachverständnis und in der Sprachentwicklung machen, eine intensive logopädische und mütterliche Förderung bleibt aber nach wie vor unverzichtbar. Telefonieren (v.a. mit Fremden) ist ihr dzt. noch kaum möglich, sie kann aber bereits mit fremden Personen relativ gut verbal kommunizieren. Sie ist ein fröhliches, kontaktfreudiges und selbstbewusstes 9-jähriges Mädchen.

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8.3. Kind 3 Initialen: P.R.

Geboren: 2.8.8..1984

Geschlecht: weiblich

Diagnose: postlingual erworbene Taubheit beidseits (Pneumokokkenmeningitis im 14.LJ.)

Implantation: 19.3..1998: COMBI 40+ linke Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

21.7..1998: COMBI 40+ rechte Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

Implantationsabstand: 4 Monate

Anamnese: Postlingual ertaubt. Mit 13 ½ akute Pneumokokkenmeningitis, Aufnahme in einem peripheren Krankenhaus, 3 Tage im Koma, innerhalb weniger Tage entwickelte sich eine beidseitige Taubheit. (Ototoxische Antibiotika dürften dabei keine äthiologische Rolle gespielt haben). Rasche Überweisung ins AKH Wien. Sie entschloss sich zu einer Cochlea Implantation.

Entwicklung seit der Operation:

Nur 6 Wochen nach Taubheitsbeginn Implantation des ersten Ohres (Insertionstiefe 30mm). Sofortiges Sprachverständnis nach der Erstanpassung. Konnte nach 2 Wochen wieder telefonieren. Sie berichtete, das im Hören fast kein Unterschied zu früher bemerkbar sei. Vier Monate später Implantation des anderen Ohres. Trotz einer massiven Ossifikation, wie sie nach einer Meningitis häufig schnell entsteht, gelang eine 32mm tiefe Elektrodeninsertion. Auch mit dem zweiten CI sofortiges Sprachverständnis, allerdings in der Hörqualität etwas schlechter (wie Comicstimmen) verglichen mit dem ersten CI. Wegen des anfangs störenden Klangunterschiedes verwendete sie in den ersten Wochen beide CI´s nur stundenweise zusammen. Dann bemerkte sie aber, dass das zweite CI´s wieder ein gewisses Maß an Richtungshören ermöglicht und sie sich in den Schulstunden auch weniger stark konzentrieren musste. Seitdem ständiger bilateraler User. 100% Sprachverständnis im Freiburger Zahlentest, 100% im Innsbrucker Satztest, 85% im Freiburger Einsilbertest. Heute geht sie in eine reguläre Berufsschule und gehört zu den besten in der Klasse (Klassenkollegen sind alle normalhörend). Im Sommer absolvierte sie erfolgreich ein Ferialpraktikum (inkl. Telefondienst). Sie hört gerne Musik, singt gerne und geht am liebsten Reiten. Die kurze Taubheitsdauer von nur 6 Wochen dürfte maßgeblich mit diesem erfreulichen Ergebnis zusammenhängen ([47], [48])

8.4. Kind 4 Initialen: F.M.

Geboren: ...1.3..1992

Geschlecht: männlich

Diagnosen: congenitale Taubheit beidseits, psychomotorische Retardierung, sensorische

Integrationsstörung.

Implantation: 17...4.1996: COMBI 40 linke Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

..15.3.2000: COMBI 40+ rechte Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

Implantationsabstand: 4 Jahre

Anamnese: Mehrfachbehindertes Kind.

Schwangerschaft und Geburt verliefen komplikationslos. Das Kind entwickelte sich in den ersten 6 Monaten völlig normal. Im 7. Lebensmonat fielen eine nächtliche Schlaflosigkeit mit

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schrillem Schreien auf. Ab diesem Zeitpunkt stagnierte die Gesamtentwicklung und zeigte dann eine (insbesondere motorische) Entwicklungsverlangsamung mit teilweiser motorischer Rückentwicklung. Nach eingehenden Untersuchungen wurden eine schwere psychomotorische Retardierung, sensorische Integrationsstörung und muskuläre Hypotonie diagnostiziert. Im 12.Monat bestätigte eine BERA-Untersuchung den Verdacht, dass eine zusätzliche an Taubheit grenzende Hörverminderung besteht. Es wurden beidseits Hörgeräte angepasst und eine Hör- und Sprachförderung eingeleitet. Trotz optimaler Förderung blieb die Sprachentwicklung aus, das Kind verstummte schließlich völlig. Motorisch konnte er gute Fortschritte machen, mit 3 ½ Jahren hatte er Gehen gelernt, mit 7 lernte er Radfahren.

Entwicklung seit der Operation:

Als mit 4 Jahren noch immer keine Hör- und Sprachentwicklung erkennbar war, entschlossen sich die Eltern zu einer Cochlea Implantation. Er akzeptierte das CI (Insertionstiefe 31mm) sofort und zeigte erste Reaktionen auf Schallreize nach 6 Wochen. Langsam enwickelte er wieder erste Laute. Er wurde innerhalb weniger Monate lebendiger, weniger ängstlich und an seiner Umwelt interessiert. Da das Kind vor der zweiten Implantation an der EARS-Studie teilnahm, liegen hier einige Testergebnisse vor: LiP-Test: präoperativ:0%, nach 6 Monaten 52%, nach 36 Monaten 76%; MTP-3 Wörter: präop: 0%, nach 24 Monaten 76%, MTP-12 Wörter: präop: 0%, 83% nach 12 Monaten. Diese positive Entwicklung setzt sich bis heute fort. In der Sprachentwicklung machte er zwar langsam aber dennoch gute Fortschritte: Mit 6 Jahren konnte er die ersten Worte sprechen. Er konnte in eine Kindergarten-Integrationsgruppe eingegliedert werden. In der Hoffnung, den Spracherwerb weiter zu beschleunigen, wurde das zweite Ohr kurz nach dem 8.Geburtstag implantiert. (Insertionstiefe 32mm). Ein Jahr nach der zweiten Implantation zeigt er ein hohes Maß an Sprachverständnis und bildet 1-Wortsätze, die er mit Gebärden kombiniert. Die bilaterale Versorgung ermöglicht ihm ein gewisses Maß an räumlichem Hören. Er besucht derzeit die zweite Klasse einer regulären Volksschule, in der eine Integrationsklasse (15 normalhörende, 4 schwerhörige Kinder, 2 Lehrkräfte) eingerichtet wurde. Besonders gerne ´hört´ er mit seinem Walkman Musik. Bis jetzt konnte dieses fröhliche und interessierte Kind - seinen Möglichkeiten entsprechend - gewaltige Fortschritte in seiner gesamten und sprachlichen Entwicklung machen, es erlernt zur Zeit etwa 1-2 Wörter pro Woche.

8.5. Kind 5 Initialen: J.M.

Geboren: 1....9.1993

Geschlecht: weiblich

Diagnose: congenitale hochgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits, Innenohrfehlbildung beidseits.

Implantation: 13.12..1995: COMBI 40 linke Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

03.11..1999: COMBI 40+ rechte Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

Implantationsabstand: 4 Jahre

Anamnese: Mit 6 Monaten Diagnose einer beidseitigen Hörstörung mit minimalem Restgehör und beidseitige Hörgeräteanpassung. Die Sprachentwicklung blieb trotzdem stark verzögert, das Kind konnte mit 2 Jahren trotz intensiver Förderung durch Eltern und Logopäden nur “Mama“ und “Papa“ artikulieren. Den Eltern fiel auf, dass das Mädchen nach dem ersten Lebensjahr insgesamt immer stiller wurde und einen zunehmend lustlosen Eindruck machte.

Schwangerschafts-, Geburts- und Familienanamnese unauffällig. Keine schweren postnatalen Erkrankungen oder Kontakt mit ototoxischen Substanzen. Die Ertaubungsursache konnte nicht sicher geklärt werden.

Entwicklung seit der Operation: Erfolgreiche erste Implantation: trotz leichter Fehlbildung tiefe Insertion der Elektrode in die Cochlea. Nach der Erstanpassung wurde das Mädchen innerhalb weniger Wochen zusehends

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lebendiger. Sie holte in der zuvor stehengebliebenen Sprachentwicklung rasant auf, und bereits ein Jahr nach der Implantation erreichte sie im LiP-, MTP-3, MTP-6 und MTP-12 –Test die maximal möglichen Punkte (100%). Im geschlossenen Satz-, offenen GASP- und offenen Sprachen-spezifischen Satztest erreichte sie 3 Jahre nach der Implantation alle Punkte (100%). Im 6.Lebensjahr zweite Implantation links, leichte Fehlbildung wie beim ersten Ohr, 29mm tiefe Insertion. Auch mit dem zweiten CI wurden alle Tests bestmöglich absolviert. Dem Mädchen musste anfangs allerdings erst “bewiesen“ werden, dass es mit dem zweiten Ohr jetzt genauso gut hören kann wie mit dem vier Jahre zuvor implantierten Ohr. Das geschah durch ein vorübergehendes Abschalten des ersten CI´s während der Therapiestunden. Heute benutzt sie beide Ci´s über den ganzen Tag, ist 7 Jahre alt und geht in eine reguläre Volkschule, in der eine Integrationsklasse (schwerhörige und normalhörige Kinder) mit einer zusätzlichen Lehrkraft eingerichtet wurde. Sie erhielt eine gute Förderung durch die Mutter und eine intensive logopädische Hör- und Sprachtherapie und ist heute ein aufgewecktes, temperamentvolles und sehr selbstbewusstes Kind, das fernsieht, telefoniert und der täglichen oralen Kommunikation auch mit fremden Personen gewachsen ist.

8.6. Kind 6 Initialen: M.F.

Geboren: 1..0.2.1994

Geschlecht: männlich

Diagnose: congenitale Taubheit links, erworbene Taubheit rechts (Hörsturz im 8.LJ.)

Implantation: ..28.4.2000: COMBI 40+ rechte Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

..28.6.2000: COMBI 40+ linke Seite, TEMPO+ HdO Sprachprozessor

Implantationsabstand: 2 Monate

Anamnese: Peri/postlingual ertaubt. Als mit 1 ½ Jahren die Sprachentwicklung ausblieb, wurde im Wiener AKH eine Taubheit links

und eine schwere Innenohrhörstörung rechts diagnostiziert. Eine sofortige bilaterale Hörgeräteversorgung und Hör- und Sprachförderung wurde eingeleitet. Mit 2 ½ Jahren sprach das Kind erste Worte. Die Sprachentwicklung ging stetig voran, mit 5 ½ Jahren sprach er 1-Wortsätze und zeigte ein zufriedenstellendes Sprachverständnis (mit Lippenlesen). Kurz vor den 6. Geburtstag kam es zu einem Hörsturz auf dem rechten Ohr mit bleibendem Hörverlust.

Schwangerschafts-, Geburts- und Familienanamnese unauffällig. Keine schweren Kinderkrankheiten oder Kontakt mit ototoxischen Substanzen. Die Ertaubungsursache konnte nicht geklärt werden.

Entwicklung seit der Operation: Drei Monate nach dem Hörverlust am rechten Ohr Cochlea Implantation rechts (Insertionstiefe 30mm). Nach einem Monat verstand er die ersten Worte ohne Lippenlesen. Implantation des zweiten Ohres (Insertionstiefe 30mm) zwei Monate nach der ersten Implantation. Heute (ein Jahr nach der ersten Implantation) zeigt er ein hervorragendes Sprachverständnis ohne Lippenlesen, versteht auch fremde Personen und kann mit vertrauten Personen telefonieren. Er spricht dzt. schon in 4-Wortsätzen und geht in einen Integrationskindergarten (mit 16 normalhörenden Kindern). Ab September ist der Schulbesuch (in einer Integrationsklasse) geplant.

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Anhang: Kontaktadressen in Österreich: (diese Liste stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) 1 Cochlea Implantat Beratung/Unterstützung:

Cochlea Implant - Auditiv Aktiv (Gesellschaft) (CI-AA) ; A - 1090 Wien, Währingerstraße 6-8/4/17 Tel. 01/317 2400 Fax 01/317 2400-14 ; mailto: [email protected] Beratungsstelle für allgemein Hörbehinderte Kinder und Erwachsene Spätertaubte. Selbsthilfe-Verein, der von CI-Trägern selbst organisiert wird. Treffen jeden 2ten Mittwoch im Monat: Schumanng.15, 1180 Wien. www.medel.com/ciaa

- Beratung/Soforthilfe: Fuchs Karl-Heinz Obmann Tel: 01/317 2400 Privat: Rud. Dieselstr. 7/2 4400 Steyr Oberösterreich Telefax. 07252/77758 ; Mobil 0699-1-8888-235 mailto: [email protected]

- Elternvertretung: VALENTA Birgitt Schriftführerin 1190 WIEN Obkirchergasse 42/7 Tel. 01/32 05 536 Fax 01/32 05 536 ; Der Kindertreff in der Stumpergasse 43. 1060 Wien, Treffen werden jeweils angeschrieben.

- CI-Beratung: Luise Schakata Obmann Stellvertreter 1150 WIEN, Johnstraße 58/25 Tel. Fax 01/983 62 44 ; Mobil: 0664-4346473

- Kontaktadresse: Stephan Sowago Heiligwasserweg 14 6080 IGLS/Tirol Tel: 0512 / 37 00 45 ; Fax 0512 / 36 58 39 20 e-mail: [email protected]

2 CI Ambulanzen in Österreich (Beratung, Voruntersuchungen,...)

INNSBRUCK: Klinische Abteilung für Hör- Stimm.u-Sprachstörungen, Prof. Dr. Thumfart. Anichstraße 35, A-6020. Tel: +43-512-504-3141 ; 0512/504-3220 ; Fax: 43-512-504-3144 http://gin.uibk.ac.at/hno/Index1.htm

LINZ: Krankenhausstr. 9, 4020 LINZ, Prof. Dr. Richter. Telefon 0732/7806-3430

Fax : 0732/7806-1131 SALZBURG: Müllner Hauptstraße 48, Prof. Dr. Albegger. Tel: 0662/4482-4000 Fax: 0662/4482-4003

http://www.hno-salzburg.at/ ; http://www.oecig.com/ St. PÖLTEN: A-3100 St. Pölten, Propst-Führer-Straße 4. Tel: 02742-3002851 Fax: 02742-3002867

Prof. Dr. Böheim ; [email protected] ; [email protected]

FELDKIRCH: Carinagasse 47, A- 6800 Feldkirch. Vorarlberg

WIEN: AKH Wien, Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien; Tel.01/40400-3330 od. 3331; Kontaktperson: OA Dr. Wolfgang Baumgartner

Fax 01/40400-3332. Cochlea Ambulanz HNO Ebene 8 J. e-mail: [email protected] ; http://www.univie.ac.at/cochlear/

3 Med-El Wien: Währinger Straße 6-8/4/17; 1090 Wien. Tel: +43-1/317 2400, Fax: +43-1/317 2400-14

e-mail: [email protected] ; e-mail: [email protected] , www.medel.com Med-El Innsbruck: A-6020 Innsbruck, Fürstenweg 77a; Tel: +43-512/28 88 89 ; Fax: +43-512/293381 www.medel.com 4 Dr. med. Stefan Marcel Pok : für Fragen, aber auch für kritische Anregungen und Beschwerden zu

dieser Arbeit oder zum Thema Cochlea Implantation allgemein stehe ich gerne zur Verfügung. Falls Ihnen inhaltliche Fehler auffallen, teilen Sie mir diese bitte mit. Tel: +43/6763358988 bzw. +43/1/4277-29512 ; FAX: +43/1/4277-9296 e-mail: [email protected]

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