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Unity in Diversity?

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Unity in Diversity?

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© Osteuropa-Institut, Juli 2010

Freie Universität Berlin

Garystraße 55

14195 Berlin

Initiative und Redaktion: Julia Gerlach, Julia Metger

Layout: Vesna Špoljarić

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Inhalt

Seite

Projekte, Projekte, ProjekteVon der Praxis im neuen Hochschulalltag

Exkursion nach Kazan, 17.-23. Mai 2010

„Das ist so bunt hier, Multikulti, schön, der Penner neben dem Geschäftsmann“Die Raumgreifer_Innen untersuchten Vielfalt im öffentlichen Raum

Futtern wie bei Muttern?! Kulinarische Kulturen zwischen Berlin und Kazan

Zwischen den Stühlen… Deutschland – Russland – Tatarstan

Identitäten in bi-kulturellen Familien in Berlin und Kazan

Google Your Way out of the Generation Gap

Kazaner in Berlin - Lebensgeschichten von Auswanderern

Musik und IdentitätWie und durch was entstehen eigentlich Bandidentitäten?

Ethnische Diversität in Unternehmen in Berlin und Kazan

Fotogalerie

Danksagung

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Im 21. Jahrhundert gelten Universi-täten immer noch als Hort der Wis-senschaften. Aber weil sich dieWissenschaften gewandelt haben –oder sich in einer sich wandelndenUmwelt mitwandeln mussten – hatsich auch die Universitätslandschaftverändert. Und sie verändert sichweiter.

Zeichen des Wandels finden sichüberall in den Hochschulen, das istwohl ein globaler Befund. Sie lassensich bei weitem nicht nur in Bologna-Termini wie „konsekutive Studien-gänge“ oder „ECTS“ messen. DerWandel setzt bereits an der Subs-tanz von Lehre und Forschung an.Er ist tiefgreifend – und er wühlt auf,das gesamte Bildungssystem undmit ihm Studierende und Lehrende,Politiker und künftige Arbeitgebereiner neuen Akademikergeneration.

Ein Aspekt der sich wandelndenHochschule ist die Inklusion vonPraxiselementen in die Ausbildungs-philosophie und in den Kurskanonder Universitäten und damit in denHochschulalltag. Akademikerwerden weniger zu dezidiert wissen-schaftlichen Schreibtischtätern, alsvielmehr zu vielfältig und auch prak-tisch einsetzbaren Allroundern aus-gebildet.

Wenn Wissenschaft der Gesellschaftdienen soll, ist die Förderung praxis-relevanter Qualifikationen auch inder Akademikerausbildung eine kon-sequente Schlussfolgerung. DieBerufsfelder der meisten Hochschul-absolventen liegen jenseits des

wissenschaftlichen Kontextes. Siemöglichst gut auf ihre späteren beruf-lichen Tätigkeiten vorzubereiten,muss ein Kernanliegen der Hoch-schulen sein.

Die Praxis hat – vergleichsweisefrüh, nämlich bereits im Jahre 2003– auch Einzug im MasterprogrammOsteuropastudien am Osteuropa-Institut der Freien Universität gehal-ten. Der Kurskanon sieht einen soge-nannten Projektkurs vor, der imersten und zweiten Studiensemesterzu absolvieren ist.

Was verbirgt sich hinter dem Label„Projektkurs“? Eine Lehrveranstal-tung, die sich von den klassischenSeminaren und Vorlesungendadurch abhebt, dass sie Raum fürdie Entwicklung und Realisierungvon Ideen und Vorhaben der Studie-renden gibt. Projektkurse gebenzwar einen wissenschaftlichenRahmen vor, aber es liegt an denStudierenden, diesen Rahmen selbstweiterzudenken und ihn zu konkreti-sieren. Das Ziel besteht darin, inArbeitsgruppen eigene „Projekte“ zugenerieren und sie in die Praxisumzusetzen. Ein Projekt im Sinnedes Projektkurses kann nahezujedes Produkt und jede Maßnahmesein, das oder die geeignet ist, dieErgebnisse der Projektarbeit zumRahmenthema zu illustrieren und zureflektieren. Ob Fotoausstellungoder Film, Radiobeitrag oder journa-listische Reportage, wissenschaft-licher Aufsatz, Workshop oderTheaterstück: es gibt viel Raum fürKreativität, er muss nur erschlossenwerden.

Projekte, Projekte, Projekte

Von der Praxis im neuen Hochschulalltag

Julia Gerlach, Kursleiterin„Berlin – Kazan. Unity in

Diversity?“

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Der wissenschaftliche Rahmen im Studienjahr 2009/2010 lautet „Berlin – Kazan. Unity in Diversity?“.Regional im Mittelpunkt stehen die beiden Stadtregionen Berlin und Kazan (Hauptstadt der RepublikTatarstan, die zur Russländischen Föderation gehört). Konzeptionell liegt der Fokus auf derAuseinandersetzung mit gesellschaftlichen Diversitäten. Kazan und Berlin sind beide Schmelztiegelverschiedener Kulturen und Religionen. Die Perzeption von Diversität und der alltägliche Umgangmit ihr weisen allerdings Unterschiede auf. Diese durch Projekte zu ergründen und zu beleuchten,nicht nur sekundär-wissenschaftlich, sondern durch eigene Feldforschungen und Erfahrungen vorOrt, ist das Kernziel des Kurses. Eine Studienfahrt Mitte Mai 2010, an der über 30 Studierendeteilnahmen, bot Gelegenheit zum intensiven Eintauchen in die Stadtregion Kazan und zum Austauschvor Ort.

In der Summe haben sich acht Projekte konstituiert, die verschiedenen Aspekten von Diversitätenunterschiedlich nachspüren. Die Vielfalt der Sub-Themen und Projektformen ist offensichtlich undspiegelt die unterschiedlichen Interessen der Arbeitsgruppen wider. Auch im winzigen Mikrokosmosdes Projektkurses ist Diversität präsent – und bereichert durch eine breite Palette an Zugängen zumRahmenthema:

Projekt „Der öffentliche Raum in Berlin und Kazan“Unabhängig davon, ob der öffentliche Raum als Raumdemokratischer Öffentlichkeit oder von Konflikt und Unsicher-heit angesehen wird, tritt in ihm gesellschaftliche Diversitätsichtbar hervor. Die Gruppe untersucht in Berlin und in Kazanjeweils einen Platz und einen Park auf die Frage hin, welcheForm von Diversität(en) wie sichtbar wird. Hierzu werdenethnographische Beobachtungen, Interviews, Foto- undVideoaufnahmen durchgeführt, deren Ergebnisse in eineAusstellung einfließen.

Projekt „Futtern wie bei Muttern?! Kulinarische Kulturenzwischen Berlin und Kazan“Essen dient nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern istauch Ausdruck von Identitätsbildung, verknüpft mit Fragender Integration und kulturellen Vielfalt. Welche Zusammen-hänge gibt es zwischen der eigenen Esskultur und derAnpassung an die jeweilige Majoritätskultur? Die Projekt-gruppe hat einen Rezeptwettbewerb ausgerufen, in Kazanreichlich Speisen getestet und Interviews durchgeführt. AlsProdukt ist geplant, einen Kalender mit Rezepten undForschungsergebnissen herauszugeben.

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Projekt „Kulturelle Identität(en) Russlanddeutscher in Berlinund Kazan“Die Gruppe untersucht mit Blick auf Sprache, Gewohnheitenund Traditionen Russlanddeutsche in Berlin und in Kazan bzw.Tatarstan. Wie lässt sich die (hybride?) Identität von Russland-deutschen erfassen? Welche Rolle spielen Generation undEntfernungen?

Projekt „Identitäten in bi-kulturellen Familien“„Unity in Diversity“ – der Titel des Projektkurses ist gleicherma-ßen Programm in bi-kulturellen Partnerschaften, der wohlpersönlichsten Form kultureller Verständigung. Das Erkenntni-sinteresse der Gruppe bezieht sich auf die Entwicklung vonIdentität im Mikrokosmos bi-kultureller Familien. Sie fragt nachden Faktoren, die das Selbstbild der Familien beeinflussen, undsetzt sich zum Ziel, einen modernen Identitätsbegriff für bi-kulturelle Familien zu diskutieren.

Projekt „Google Your Way out of the Generation Gap: Jungund Alt lernen voneinander“Die Gruppe verbindet Erkenntnisinteresse mit eigenem zivilge-sellschaftlichen Engagement: Sie hat die Generationenlücke,die durch den „digital divide“ verschärft wird, als Feld fürzivilgesellschaftliche Aktivitäten in Berlin und Kazan identifiziertund führt in beiden Städten Internet-Workshops für Seniorendurch, die von jungen Leuten aus beiden Städten geleitet werden.

Projekt „Kazaner in Berlin“Anhand von intensiven Interviews werden die Migrationserfah-rungen von fünf Kazanern und Kazanerinnen, die in Berlinheimisch geworden sind, untersucht und in einer journalistischenReportage in aktuelle Berliner Auswanderer- und Einwanderer-Diskurse eingebracht.

Projekt „Musik und Identität: Die Konstruktion von Band-identitäten am Beispiel von Ittifaq (Kazan) und SkazkaOrchestra (Berlin)“Sowohl in Berlin als auch in Kazan existieren Musikszenenjenseits des Mainstreams, bei denen Bandimages als „russisch“(in Berlin) und „tatarisch“ (in Kazan) eine wichtige Rolle spielen.Die Gruppe untersucht zwei dieser Bands und die Musikszenen,in denen sie aktiv sind. Sie setzt sich dabei mit Konstruktion,Darstellung und Verwendung von Bandidentitäten als „russisch“oder „tatarisch“ auseinander und stellt die Ergebnisse in einemRadiofeature vor.

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Projekt „Ethnische Diversität in Unternehmen: Auswirkungenauf die Zusammenarbeit und Gruppenperformanz in Berlin undKazan“Auch in der Wirtschaft ist Diversität ein Thema, dass insbesonderein profitorientierten Unternehmen unter dem Aspekt von Kosten undNutzen, Kreativ- und Konflikpotential, diskutiert wird. Die Gruppeuntersucht in insgesamt vier Berliner und Kazaner Unternehmen dieAuswirkungen von und Einstellungen zu Diversität am Arbeitsplatz.

Der Projektkurs hat die Studierenden des Masterprogramms Osteuropastu-dien, unabhängig ob ihre Kerndisziplin Politik, Geschichte, Kultur, Soziologie,Wirtschaft oder Recht ist, und die beiden Kursleiterinnen, Julia Gerlach undJulia Metger, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in den ArbeitsbereichenPolitik und Geschichte am Osteuropa-Institut, sowie die Tutorin KathrinDingler ein Jahr lang intensiv beschäftigt.

Summa Summarum ist der Projektkurs eine positive, sehr lohnenswerteErfahrung. Viele Studierende im Kurs werden in ihrem späteren Berufslebenüberwiegend Projektarbeit betreiben. Vielleicht ist diese Lehrform dahertatsächlich näher am späteren Berufsalltag, als andere Kurse.

Für ihr späteres Berufsleben bringen die TeilnehmerInnen nun einigeErfahrungswerte und Skills mit, insbesondere im Bereich Projektmanagement:von der ersten Idee über die Projektskizze und –planung bis zum finalenProdukt haben unsere KursteilnehmerInnen alle Projektphasen selbst mitge-staltet. Sie haben in Teams gearbeitet, Aufgaben verteilt und Terminekoordiniert, teilweise sogar eine finanzielle Förderung für die Realisierungihrer Projekte eingeworben. Sie haben mit Ansprechpartnern zu ihremThemenfeld Kontakt aufgenommen, Interviews geführt und gemeinsam einenWeg ausgearbeitet, ihre Ergebnisse zu illustrieren und zu reflektieren.

Diese Erfahrungswerte und Skills können ein klassisches Seminar oder eineVorlesung nicht vermitteln. Sie müssen es auch nicht, denn eine qualifizie-rende Hochschulausbildung kennzeichnet sich durch ein breites Angebot ausLehr- und Lernformen. Praxiselemente in der Hochschulausbildung sindwichtig, aber sie können und dürfen klassische Bildungsangebote nichtersetzen. Der neue Hochschulalltag ist praktischer orientiert, als der alte undübernimmt damit zunehmend eine Brücken-funktion in die Arbeitswelt. Die Universitätbleibt aber Hort der Wissenschaften, auchim 21. Jahrhundert, etwas gewandelt viel-leicht.

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„Kazan?“ Die Frage stand den Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern amAnfang des vergangenen Wintersemesters deutlich in den Augen. DennKazan stand mit einer Prominenz im Titel des einjährigen Projektkurses,die viele überraschte, hatten doch bis zur Einführungsveranstaltung nurwenige aus der Gruppe von Kazan mehr als den Namen gehört und nochweniger von ihnen Kazan schon einmal besucht. Und nun rückte dieseStadt als Untersuchungsgegenstand des Projektkurses hinein in unserBlickfeld.

Kazan also. Kazan, gegründet vor über tausend Jahren, zählt mit einerBevölkerungszahl von mehr als einer Million Einwohnern zu den größtenStädten Russlands. Es ist die Hauptstadt von Tatarstan, einer großen underdölreichen Republik im europäischen Teil Russlands, einer Republik, diesich in den 1990er Jahren um kulturelle und politische Eigenständigkeitbemüht und innerhalb der Russländischen Föderation inzwischen Autono-miestatus erlangt hat. Knapp die Hälfte der Einwohner Kazans sind Tataren,die übrige Einwohnerschaft setzt sich aus Russen, Tschuwaschen,Mordwinen, Udmurten und Angehörigen anderer Nationalitäten (so derrussische Sprachgebrauch) zusammen.

Dennoch: warum Kazan? Die Zusammensetzung der heutigen Bevölkerungspiegelt die Geschichte der Region. Die damaligen Tatarenkhanate wurden1552 von Zar Ivan IV. erobert und damit nicht nur Teil der sich konsoli-dierenden Moskauer Rus’, sondern auch der Ausgangspunkt für dasmultiethnische Vielvölkerreich der kommenden Jahrhunderte. Im Rus-sischen Reich wie auch in der Sowjetunion mal in den nicht-russisch enund nicht-orthodoxen Elementen belassen, mal Assimilierungsdruckunterworfen, setzte sich die Geschichte der Region als sprachliche undreligiöse Kontaktzone an der Mittleren Wolga fort. Dies umfasste zuunterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichem Ausmaß die Zu- undAbwanderung von Bevölkerungsgruppen aus den verschiedenen Teilendes Reiches, ebenso wie deren Assimilation, den auf sie ausgeübtenAssimilierungsdruck und ihre Eigenständigkeit und Eigenständigkeits-bestrebungen. Verflechtungen und Abgrenzungen, Überlagerungen undUneindeutigkeiten, letztlich also Diversität, waren und sind bis heute dieprägenden Merkmale dieser Region im europäischen Teil Russlands. Diesließe sich in anderer, aber letztlich ähnlicher Form auch in vielen anderenStädten des heutigen Russlands beobachten – vielleicht nicht mit dergleichen historischen Tiefe, vielleicht nicht mit der gleichen Konstellation– aber es ist vor allem unser Fokus auf bestimmte Eigenheiten derMachtzentren, der uns den Blick auf diese Vielschichtigkeit und den damitzusammenhängenden komplexen geistigen und alltäglichen Lebensweltenverstellt. Um also Osteuropa jenseits des üblichen Fokus’ auf das Zentrum

Exkursion nach Kazan, 17.-23. Mai 2010

Julia Metger, Kursleiterin„Berlin – Kazan. Unity in

Diversity?“

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und die dortigen Machthaber zu erforschen, warKazan Untersuchungsgegenstand des diesjäh-rigen Projektkurses und Ziel unserer Exkursion.

Ein Projektkurs ist keine Vorlesung und keinSeminar, auf die man sich mit der bei Blackboardeingestellten Lektüre oder am Schreibtisch derStaatsbibliothek vorbereiten kann. Denn ein Pro-jektkurs trägt die Teilnehmenden hinaus aus denGrenzen des universitären Alltags und hinein indie „wirkliche“ Welt, idealerweise mit einer hohenEigenmotivation und einem großen Engagementaller Beteiligten.Anstelle von Refera-ten, Klausuren oderHausarbeiten werdeneigene Projekte erar-beitet, die in Auseinan-dersetzung mit dernicht-univers i tärenWelt erforscht undderen Ergebnisse auchwieder einer nicht-uni-versitären Öffentlich-keit vorgestellt werden.Was liegt dann näher,als auch tatsächlich indiese „wirkliche“ Welt zu reisen, wenn sie schonThema des Kurses ist.

Kazan. Sachlich betrachtet, lässt sich die Exkur-sion natürlich wie folgt zusammenfassen: DieStudienfahrt gab den Studierenden die Möglich-keit, für ihre Projekte vor Ort zu recherchieren undeigenständig Feldforschungen zu betreiben. Siebot darüber hinaus einen landeskundlichen Ein-blick in das Leben der tatarischen Hauptstadt. Dieenge Zusammenarbeit mit den Kazaner Studie-renden, Lehrenden und Projektpartnern ermögli-chte einen intensiven interkulturellen undwissenschaftlichen Austausch, von dem abseh-bar ist, dass er fortgesetzt wird.

Aber diese Art der Beschreibung steht in einemoffensichtlichen Missverhältnis zu dem, was eineExkursion an Erlebnissen bringt. Ein Reiseberichtmüsste eher Folgendes umfassen: Die Studien-fahrt konfrontierte uns mit vielfältigen und wider-

sprüchlichen, auf alle Fälle mit vielenunerwarteten Eindrücken. Wir saßen an LeninsSchreibtisch im Hörsaal der Universität underfuhren, dass er dort noch weniger Zeit verbrachthat, als Tolstoi, was man aber erst in letzter Zeitden Besuchern erzählen würde. Wir wurden imprächtigen Rathaus der Stadt empfangen, dasursprünglich ein Versammlungsort des örtlichenAdels gewesen war und später nicht nur Bürosder sowjetischen Behörden sondern auch Wohn-raum für deren Angestellte beherbergt hatte. Wirbeobachteten, wie mit der neuen Moschee und

der neuen Metro eindeutliches Zeichen fürein selbstbewusstesTatarstan gesetzt wird.Wir lernten neue Men-schen kennen,machten auch zufälligeBekanntschaften underlebten eine Offenheitbei Gesprächen amKüchentisch, dieebenso erstaunte wiedie Förmlichkeit derGespräche im offizi-ellen Rahmen. Die Viel-

schichtigkeit und zum Teil auchWidersprüchlichkeit des Erlebten war beeindru-ckend und lässt sich hier allenfalls bruchstückhaftskizzieren. Was wir allerdings in Worte fassenkönnen, ist, dass wir den Eindruck hatten, dassjede und jeder von uns – und das schließt unsKursleiterinnen explizit mit ein – etwas gelernt,einiges Neues erfahren, viel erlebt und dabei einegute Zeit gehabt hat. Die Exkursion war unsergroßes Ziel, und ebenso wenig, wie am Anfangdes Wintersemesters absehbar war, ob unsereIdeen funktionieren und was die Studierendenerarbeiten würden, war klar, ob wir tatsächlich aufExkursion fahren würden. Dass es geklappt hat,und noch dazu mit einer Gruppe von über dreißigPersonen, hat uns selbst erstaunt und zu glückli-cheren wissenschaftlichen Mitarbeiterinnengemacht.

Daher: Kazan!

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Der öffentliche Raum – ein Raum, der für alle zugänglich ist! Oder nicht?Gerade diese Selbstverständlichkeit, mit der ein Ort ohne visuelleBeschränkungen als offen benannt wird, zeichnet ihn als Forschungsfeldaus. Denn dieser ist auch ein Ort der Heterogenität, an dem Diversitätstattfindet. Die Kategorien Inklusion und Exklusion, Handlungen undAkteure dienten unserer Projektgruppe als Untersuchungsfolie, um Diver-sität unterschiedlicher sozialer Gruppen und ihre Wirkungsweisen zuuntersuchen. Mithilfe von Befragungen der Nutzer_innen, ethnologischenBeobachtungen, Fotografien und Expert_innengesprächen näherten wiruns der Frage: Wie findet Diversität statt? Dafür wählten wir jeweils einenPark und Platz in Kazan und in Berlin:

� Hackescher Markt: Ein als „typisch Berlin“ beliebter Ort beiTourist_innen, der stark kommerziell und gastronomisch geprägt ist.

„Das ist so bunt hier, Multikulti, schön, der Penner neben dem Geschäftsmann“Die Raumgreifer_Innen untersuchten Vielfalt im öffentlichen Raum

Der Wandel in den letzten 20 Jahren hatte hohe Mieten und Angebotefür finanzkräftiges Publikum zur Folge.

� Görlitzer Park: Die größte Grünfläche im Stadtteil Kreuzberg, regezum Grillen, Entspannen, Sporttreiben und für Kinderaktivitätengenutzt, ist stadtweit bekannt für das „gemischte“ Publikum, aber auchfür die mangelhafte Sauberkeit.

� Platz Tukaja (Kolzo): Als zentraler Verkehrsknotenpunkt in derKazaner Innenstadt, umgeben von einer Einkaufspassage und derFußgängerzone, ist der Platz ein beliebter und frequentierter Treffpunktder Stadt.

� Der Park „Schwarzer See“: In der Nähe der Uni gelegen, ist erZielpunkt für junge Menschen und Subkulturen. Geplant und genutztals Sport- und Kinderpark zu sowjetischen Zeiten, erfüllt er dieseFunktionen wegen renovierungsbedürftiger Anlagen nur noch teilweise.

(Fast) alle Befragten bestätigten uns, dass die öffentlichen Orte uneinge-schränkt zugänglich seien: „Hier sind alle, verschiedene Nationalitäten“,versichert eine usbekische Frau am Kazaner Tukaja-Platz. Auch „derHackesche Markt ist für jeden offen“, bekräftigt ein Passant. DieserUmstand wurde meist positiv bewertet: „Das ist so bunt hier, Multikulti,schön, der Penner neben dem Geschäftsmann“, sagt ein Tourist aus demSaarland, der auch genau aus diesem Grund nach Berlin gekommen ist.

Doch die positive Vorstellung von Offenheit und Vielfalt - benannt mit „alle“- scheint ambivalent. So bezieht sich „alle“ in einem Fall auf einendefinierten Kreis von Menschen, der sich von anderen abgrenzt. In anderenFällen wiederum konstituiert sich die Offenheit über die Präsenz von als

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fremd empfundenen Menschen. Sokönnte man sagen, dass der öffent-liche Raum ebenfalls als Bühne zurEingrenzung und Bestätigung eigenerIdentitäten und ihrer materiellenPraxis dient.

Die von vielen Menschen wahrgenom-mene Vielfalt in den untersuchtenOrten wurde benannt; allerdings auchunerwünschte Teilnehmer_innen auf-gezählt: „Ja diese sogenannten Alkis,die sehen wir nicht gerne.“ (Passantinam Hackeschen Markt). Insbesonderefür den Hackeschen Markt ist anzu-nehmen, dass die Beschränkung vonDiversität also auf einer Ebene vonsozialer Erwünschtheit und nicht aufdirektem Ausschluss basiert.

Gleichzeitig stellten wir fest, dass dieseTeilnahme an der sogenannten undwahrgenommenen Vielfalt nicht für allegleich positiv und selbstgewählt ist. Sokonnten wir an den verschiedenenOrten unterschiedliche Formen vonprekären Ökonomien beobachten:F l a s c h e n s a m m l e r _ I n n e n ,Verkäufer_Innen von Blumen, Snacksoder Obdachlosenmagazinen,Bettler_Innen eignen sich den Ort desKonsums als Ort der Arbeit an. „Wennich nicht müsste, wäre ich nicht hier“,sagt eine Rentnerin, die als Blumen-verkäuferin am Platz Tukaja tätig ist.Andererseits funktionieren die Plätzeals Orte des Transits für Menschenzur oder von der Arbeit, oder desWartens und Treffens. Diese funktio-nale Differenzierung und Diversitäteröffnet einen Blick auf soziale undökonomische Hierarchien.Aus der vergleichenden Perspektiveschließen wir, dass die Wahrnehmungvon Privatsphäre und Öffentlichkeit,die Schnittstellen zwischen Öffent-

lichem und Privatem Raum in Berlinund Kazan jeweils unterschiedlichverlaufen. Auch wenn in beidenStädten die Parks gewisse Privats-phäre bieten, ist zum Beispiel in Rus-sland sowohl der Park als auch derPlatz immer wieder deutlich als Ort derLiebe benannt (und von uns beobach-tet) worden. Gleichzeitig jedochwurden jegliche Handlungen, die mit„wohnen“ assoziiert werden, selbstver-ständlich ausgeschlossen.

Der öffentliche Raum bildet mit seinenineinanderwirkenden und vielschich-tigen Wirkungsmechanismen inbeiden Städten gesellschaftliche Pro-zesse auf eine spezifische Art ab. Esist der Raum, wo die Spannungsver-hältnisse von Geschlossen und Offen,Privat und Öffentlich, Sehen undGesehenwerden, Nebeneinander undMiteinander, Einfalt und Vielfalt beson-ders sichtbar werden. Auch dient deröffentliche Raum als Ort der Verge-meinschaftung, wobei die Gemein-schaft, das „Alle ist gleich Wir“,abgrenzend zu denjenigen verstandenwird, die nicht am Ort gesehen werden(möchten). Prozesse der (Selbst-)Exklusion und unbewussten Homoge-nisierung laufen parallel ab zu Prozes-sen des Präsentierens undRepräsentierens eigener Identitätenund persönlicher oder lokaler Narra-tive.

Projektteam: Theresa Ahrens, Mirjam Baumert, Verena Bunkus,Friederike Kreßner, Barbara Mühlbacher, Ulrike Penk und Jakob Stürmann

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Essen ist nicht nur Essen,sondern hat vielfältigeDimensionen, die auch mitden Themen Identitätsbil-dung und kulturelle Vielfaltim Zusammenhang stehen.Diesen Themen haben wiruns mit unserem Projekt„Futtern wie bei Mutern“genähert.Wir sind in diesem Kontextder Frage nachgegangen, ob

die Angehörigen einer kulturellenMinderheit ihre Esskultur nutzen, umihre eigene Identität zum Ausdruckzu bringen. Dazu haben wir in Berlin lebendeMenschen mit russischem Migrati-onshintergrund in Interviews befragt.In Kazan haben wir ebenfalls Inter-views geführt. Unsere Gesprächs-partner in Kazan waren Tataren, diein der Russländischen Föderationeine kulturelle Minderheit darstellen.Um geeignete Interviewpartner zufinden, haben wir einen Rezeptwett-bewerb ausgeschrieben, in dem wirInteressierte dazu aufforderten, unsihre Lieblingsrezepte sowie Hinter-grundinformationen zu diesemRezept in Form einer kurzenGeschichte zuzusenden. Die Autorineines tatarischen Kochbuchs, FrauTaissina, hat uns bei der Auswahl der

Gewinner des Wettbewerbs unter-stützt.Durch die Berichte der Wettbewerbs-teilnehmer haben wir bereits ersteErkenntnisse über den Zusammen-hang zwischen Esskultur und Identi-tät gewonnen. Diese dienten uns alsAnhaltspunkte für die Interviews, diewir in Kazan und Berlin durchgeführthaben.Während unserer Exkursion in Kazanhaben wir nicht nur mit Familien überihre Esskultur gesprochen, sondernauch eine Kochschule besucht, wowir viel über die Traditionen dertatarischen Küche erfuhren und unsein umfassendes Bild über die iden-titätsstiftende Wirkung der Esskulturverschaffen konnten.Neben der Auswertung der Inter-views in Bezug auf unsere For-schungsfrage, war die Erstellungeines Küchenkalenders ein wichtigerTeil unserer Arbeit. In diesem Wand-kalender werden die besten Rezeptezum Nachkochen veröffentlicht.Außerdem beinhaltet er Aussagenunserer Interviewpartner zum ThemaEssen und Identität. Neben der Ver-breitung unserer Ergebnisse soll derKalender dazu anregen, sich mit dereigenen Kultur und dem Zusammen-leben verschiedener Gesellschafts-gruppen auseinanderzusetzen.

Futtern wie bei Muttern?! Kulinarische Kulturen zwischen Berlin und Kazan

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Projektteam: Katharina Glowska, Anna-Lena Guske, Leonie Liemich, JuliaSimon, Karolin Weber, Stephan Wicker und Ai Yokoyama

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Zwischen den Stühlen… Deutschland – Russland – TatarstanRusslanddeutsche und ihr Umgang mit der dreifachen Identität

Wer bin ich und wohin gehöre ich? DieseFrage stellt sich wohl jeder einmal, aufder Suche nach einer spezifischen Iden-tität und Zugehörigkeit zu einer bestimm-ten Gruppe, Kultur oder einerGesellschaft. Dabei ist es wohl für Men-schen mit einem Migrationshintergrundam schwierigsten, darauf eine einheit-liche Antwort zu geben. Oft sind sie hinund her gerissen zwischen den verschie-denen Kulturen und können oder wollensich dabei nicht für eine bestimmte Kulturentscheiden. Sie entwickeln dabei einehybride Identität, fühlen sich also zweioder mehreren kulturellen Räumen glei-chermaßen zugehörig.

Unsere Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt,dieses Phänomen der hybriden Identitätund den Umgang damit anhand derRusslanddeutschen sowohl in Berlin,als auch in Kazan‘, in verschiedenenLebensbereichen zu untersuchen. Inter-essant ist dabei für uns unter anderem,eine Vorstellung über den Grad derEingliederung der Russlanddeutschenin die deutsche oder russische Gesell-schaft zu erhalten, bzw. zu erfahren,inwieweit russische, deutsche und tata-rische Traditionen und Sitten sowohl inBerlin, als auch in Kazan‘ erhalten undgepflegt werden.

Für diese Untersuchung haben wir einenumfassenden Fragebogen sowohl in deut-scher, als auch in russischer Sprache ver-fasst. Der Fragebogen istgenerationsübergreifend und enthält unteranderem Fragen zur Identifikation derBefragten in unterschiedlichen Lebensbe-reichen, wie Koch- oder Fernsehgewohn-heiten, und ihre eigene Positionierung imVerhältnis zweier Heimatorte.Von der Auswertung der Fragebögen inbeiden Städten erhoffen wir uns einebessere Übersicht darüber, wie Russland-deutsche mit ihrer doppelten Identität umge-hen, abhängig auch davon, ob sie nachDeutschland emigriert sind, oder ob sie inRussland geblieben sind.

Das Endprodukt unserer Projektarbeit istdie Erstellung einer Homepage, die unterder folgenden Internetadresse zu finden ist:http://www.zwischen-den-stuehlen.isfrom.deAuf ihr werden wir unsere Ergebnisse undArbeitsschritte präsentieren, mit interes-santen Extras, wie dem geschichtlichenHintergrund, vielen Fotos und diversenVeranstaltungshinweisen.

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Projektteam: Irina Bomke, Pavla Grozeva, JuliaSchmidt, Olga Seidensal, Valeria Semjakina und Kerstin Twardy

Projektgruppe:Irina Bomke

Pavla GrozevaJulia Schmidt

Olga SeidensalValeria Semjakina

Kerstin Twardy

Deutsches Haus der Republik Tatarstan

Lange Nacht der Wissenschaften 2010

http://www.zwischen-den-stuehlen.isfrom.de

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Wie reagiert man, wenn die eigene russischePartnerin vor dem Fernseher anfängt zu weinenund man nicht versteht warum? Was bringt einenmuslimisch-tatarischen Vater dazu, seineTochter christlich-orthodox taufen zu lassen?

Diesen und ähnlichen Fragen ist unsere Gruppenachgegangen, als sie deutsch-russische Fami-lien in Berlin und tatarisch-russische Familien inKazan im Rahmen des Projektkurses 2009/2010interviewte.

Im Gegensatz zu Berlin, wo die Russen alsMigranten eine nationale Minderheit bilden,leben Tataren und Russen in Kazan seit über450 Jahren in annähernd gleicher Zahl friedlichneben- und miteinander. Diese unterschiedlicheAusgangslage bietet die Möglichkeit, dasZusammenleben bi-kultureller Familien unterverschiedenen Bedingungen zu untersuchen.Ziel des Forschungsvorhabens ist es herauszu-finden, ob bzw. wie sich die Identitäten in bi-kulturellen Familien verändern. Hat die unter-schiedliche Kultur des Partners – d.h. seineMuttersprache, seine Religion und seine Tradi-tionen – Einfluss auf die eigene Identität? Undwie entwickelt sich die Identität der Kinder ineinem bi-kulturellen Umfeld? In Kazan wurdenmit insgesamt elf Interviewpartnern – darunterfünf Kinder – in Berlin mit zehn Interviewpartnern– darunter zwei Kinder – ausführliche, qualitativeGespräche geführt.

Das Identitätsbewusstsein der Kazaner Elternwurde vor allem durch das sowjetische Ideal vonder kulturellen Gleichheit aller Sowjetbürgerbeeinflusst; daher nehmen sie auch heute nochdie kulturellen Unterschiede zwischen Tatarenund Russen als gering wahr. Eine wesentlicheIdentitätsentwicklung im Laufe der Beziehungfand bei unseren Gesprächspartnern nicht statt.Die Kinder hingegen spüren in der post-sowje-tischen Zeit ein Spannungsverhältnis der beidenKulturen, in denen sie aufwachsen. Sie stehenvor der Herausforderung, die beiden Kulturen zuvereinen oder sich sogar für eine Identität zuentscheiden.

Identitäten in bi-kulturellen Familien in Berlin und Kazan

In Berlin konfrontieren die Unterschiede zwischender deutschen und der russischen Kultur sowohlEltern als auch Kinder stärker mit Fragen bezüg-lich ihrer Identität. Während die Erfahrung derMigration bei manchen russischen Partnern zueiner starken Betonung ihrer russischen Identitätführt, entsteht bei anderen Paaren im Laufe desgemeinsamen Lebens eine Art Mischidentität.Wichtig ist allen deutsch-russischen Paaren, dassihre Kinder mit beiden Kulturen und insbesonderemit beiden Sprachen aufwachsen. Die russisch-tatarischen Paare hingegen sind oft nicht in derLage, die tatarische Sprache sowie traditionelleund religiöse Bräuche weiterzugeben - die Rolledes Kulturvermittlers übernehmen deshalb häufigdie Großeltern. Gemeinsam ist beiden Befra-gungsgruppen die Freude an der Vielfältigkeitihres bi-kulturellen Familienlebens.

Die Ergebnisse des Forschungs-vorhabenswerden im Rahmen einer Podiumsdiskussionvorgestellt und mit Experten diskutiert. Die Ver-anstaltung findet am 28.Oktober 2010 im Interkul-turellen Frauenzentrum S.U.S.I. statt. AlleInteressierten sind herzlich eingeladen!

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Interkulturelles Frauenzentrum S.U.S.I.Linienstr. 13810115 BerlinHomepage: www.susi-frauen-zentrum.com

Falls Sie Fragen zu unserem Projekt oder zu derPodiumsdiskussion haben, zögern Sie nicht, mituns in Kontakt zu treten: [email protected]

Nach dem Interview mit einer russisch-tatarischen Familie.

Projektteam: Salome Ast, Lisa Gürster, Mark Hann, Liesa Schallund Mona Vintila

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Das Projekt „Google Your Way out of the Generation Gap“ entstand imRahmen des Projektkurses ‘Berlin – Kazan: Unity in Diversity’, mit demZiel, einen generationsübergreifenden Internet-Workshop für Seniorenin Berlin und Kazan zu organisieren. Denn bei der Recherche trafen wirauf ein wenig beachtetes Problem: die wachsende Generationslücke,u.a. verursacht durch digitale Medien wie das Internet. Unser Projektsoll zur Überwindung dieser Lücke beitragen, indem das Internet alsMedium zur Annährung von Jung und Alt verwendet wird.

Google Your Way out of the Generation Gap

Die Generation Gap

Das Konzept der Generation Gap(Generationslücke) bezeichnet diesich verstärkende Kluft zwischen derjüngeren und älteren Generation, dieu.a. durch die Neuen Medien(Facebook, Twitter, Chat etc.) ver-stärkt wird. Genau in dieser Kluft liegtjedoch auch viel ungenutztes Poten-zial: Die Gesellschaft könnte voneinem vermehrten Generationsaus-tausch stark profitieren. Dieses Poten-zial kann durch neueKommunikationstechnologien, wiedas Internet, freigesetzt werden.

Die neuen Kommunikationstechnolo-gien können Senioren oft nicht soschnell erfassen wie die Jüngeren. ImAlltag spielen sie jedoch eine immerwichtigere Rolle, sei es in der Ausbil-dung, im Beruf oder der Freizeit. Oftführt die schnelle Entfaltung modernerInformations- und Kommunikations-technologien daher zur Entfremdungder Generationen und dies kann dieLücke zwischen Alt und Jung, dieGeneration Gap, vergrößern. DasProjekt „Google Your Way out of theGeneration Gap“ setzt genau hier anund versucht, den, Fluch’ der digitalenSpaltung zwischen Jung und Alt durchdas Internet in einen Segen zu kehren.

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Erfolg des Workshops

Anfang Mai 2010 führten wir in Berlin und EndeMai 2010 in Kazan die geplanten Workshopsdurch, an denen Senioren ab 55 Jahren sowieStudenten vor Ort teilnahmen. Die Mobilisierungder Teilnehmer erfolgte mit Hilfe des Humanisti-schen Verbands Deutschland in Berlin und desDeutschen Hauses in Kazan. Die Mobilisierungvon Senioren verlief unproblematisch; in Kazangab es sogar deutlich mehr Anmeldungen zumWorkshop als erforderlich. Auch die Bereitschaftvon Studenten in beiden Städten war bemerkens-wert.

Der Ablauf des Projektes gestaltete sich insge-samt sehr positiv. Die deutschen und russischenSenioren waren sehr interessiert und besondersvom Lernen im Tandem begeistert. Viele Seni-oren äußerten im persönlichen Gespräch undden Fragebögen ihren Wunsch über die Teil-nahme an einem Aufbauworkshop, so dass inBerlin und Kazan. auf Grund der großen Nach-frage, auch in Zukunft weitere Seminare inPlanung sind.

Internet-Workshop für Senioren

Um die bestehende Generationslücke zu thema-tisieren und zu verkleinern, führten wir im Rahmendes Projektes einen Internet-Workshop für Seni-oren in Kazan und Berlin durch, der sich inhaltlichmit den Neuen Medien beschäftigte. Ziel war es,Senioren und junge Freiwilligen zusammenzubrin-gen, um diese in einem Tandem miteinander undvoneinander lernen zu lassen. Nach einer kurzentheoretischen Einführung zu Beginn des Work-shops lösten zehn Senioren mit ihrem jeweiligenjungen Tandempartner auf spielerische Weisevorbereitete Aufgaben zur Anwendung der NeuenMedien und nutzten zudem die Möglichkeit, dasInternet individuell, nach Interessengebiet, zuerkunden. So richteten sie nicht nur Emailkontenein oder recherchierten bei Wikipedia, sondernhörten auf Youtube auch ihre Lieblingsmusik undchatteten mit Gleichaltrigen. Abschließend bewer-teten die Teilnehmer den Workshop mit Hilfe vondurch uns erstellten Fragebögen.

Fazit

Die Nachhaltigkeit unserer Workshops und somitunserer Projektidee gibt uns die Gewissheit, dassmit Hilfe der Neuen Medien die Kluft zwischen Altund Jung, wenn nicht aufgelöst, so aber zumindestverkleinert werden kann.

Projektteam: Salome Chanturia, Claudia Kamke, Bettine Marissen,Armin Pialek und Kornelia Zaleska

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„Ich fühl‘ mich zuhause, wo ich Freunde habe,wo ich Wurzeln habe, wo ich mich gut fühle“,sagt Nour*, eine unserer Gesprächspartner. Inunserem Projekt „Kazaner in Berlin“ sprachenwir mit fünf ehemaligen Kazanern, die nun inBerlin leben. Wir wollten von ihnen wissen, obsie sich hier heimisch fühlen und welche Fak-toren dabei eine Rolle spielen. Sind sie „neue“Berliner oder „alte“ Kazaner? Leben sie imNebeneinander der Multi-Kulti-Stadt oder imMiteinander des Melting-Pots? Wo verorten siesich selbst im Spannungsfeld zwischen altemund neuem Zuhause?

Die Antworten fielen so verschieden aus, wie esunsere Gesprächspartner sind. Für Aleksej ist„Russland immer noch die Heimat Nr. 1“, Nataljafragt sich, „was soll man da?“, Russland kehredoch zur Tyrannei zurück. Alle verbindet jedoch,dass sie sich „Heimat“ nicht vorstellen könnenohne einen Bezug zu Sprache, kulturellemHintergrund und ihren Mitmenschen.

Die Weitergabe ihrer Muttersprache(n) istunseren Gesprächspartnern sehr wichtig.Adelma, die sich um die Zukunft der tatarischenSprache sorgt, schickt ihre Tochter jedenSommer in ein tatarisches Ferienlager. DieTochter von Natalja hat sich anfangs gewehrt,aber bei den Großeltern muss sie Russischsprechen. „Das ist auch gut so“, sagt Natalja.Die Weitergabe der russischen Sprache anseine kleine Tochter ist auch Farid wichtig. Erbetont aber, dass sie so früh wie möglichDeutsch lernen sollte.

Kazaner in Berlin - Lebensgeschichten von Auswanderern

Tag der tatarischen Küche in Berlin-Lichtenberg

Präsentationunseres Projektes

bei der LangenNacht der

Wissenschaften

Neben der Sprache sind vor allem kulinarischeTraditionen eine Verbindung zur „alten“Heimat. Besonders zu Festen wie dem ortho-doxen Ostern, zu dem Natalja ihre Eier unbe-dingt selber färben muss. Oder demtatarischen Kuran Bairan, an dem Nour immerbäckt, obwohl sie die Bedeutung des Festesgar nicht mehr kennt. Aleksej dagegen sagtuns: „Traditionen habe ich kaum, die Elternhaben auch keine“. Er bezeichnet sich als„sowjetisch geprägt“.

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* Alle Namen geändert.

Nour

Adelma

Farid

Die Menschen, die am Leben unserer Interview-partner in ihrer neuen Heimat teilhaben, sindmeist Kommilitonen oder Arbeitskollegen. Beimanchen hat sich aus Bekanntschaften einePartnerschaft entwickelt. So bei Natalja, die sich„irgendwie dazugehörig durch ihn, und nicht soalleine“ fühlte. Farid zählt Deutsche, aber auchAuswanderer aus der ehemaligen Sowjetunionzu seinen Bekannten, „weil alle Auswanderer einbisschen auch einander halten“. Adelmas Enga-gement ermöglicht es anderen Berliner Tataren,„bisschen eigene Sprache zu quatschen, eigeneLieder zu singen und so eigene Spezialitäten zugenießen“.

Insgesamt hat das Leben in Kazan unsere Inter-viewpartner geprägt und bestimmt auch nachJahren der Auswanderung ihr Selbstbild. Aleksejwürde sich auf Grund seiner russischen Wurzelnals „selbst ein bisschen rau“ bezeichnen. Nourspricht davon, dass sie ein Kosmopolit sei undFarid sieht sich eher als einen „vollblütigenTataren“ und weniger als Deutscher.

Wir hoffen, dass Sie diese kurze Projektvorstel-lung neugierig gemacht hat. Eine Broschüre mitallen Ergebnissen, Bildern und Informationen zuunserem Projekt können Sie kostenfrei per E-Mailerhalten. Schreiben Sie uns einfach an folgendeAdresse: [email protected].

Projektteam: Friederike Sophie Foitzik, Alicja Fraszczynska, ChristophKrakowiak, Erzsébet Lajos und Friederike Müller

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Musik und Identität

Wie und durch was entstehen eigentlich Bandidentitäten?

Methode: qualitative InterviewsIn Kazan und Berlin wurden zwei Gruppen von Befragten ausgewählt:Musiker, die das Untersuchungsobjekt vertreten und Experten der jeweiligenMusikszene, also Musiker und Art-directors, die andere Musiker fördern und/oder ihre Musik verkaufen.

Musik spiegelte schon immer die Stimmungen der Zeit wieder. So ist es nicht verwunderlich,dass die Globalisierung mit all ihrem intensiven Austausch und ihrer dichten Vernetzung, auchhier Spuren hinterlässt. Der intensive Austausch, welcher nicht nur Nationen, sondern auchjedes einzelne Individuum einbezieht, zwingt jeden, seine Zugehörigkeit und seine Identität neuzu definieren.In den letzten Jahren haben sich besonders drei Spannungsfelder herauskristallisiert, welchebei der Identitätsbildung eine wichtige Rolle spielen: der Gegensatz von Tradition und Moderne,von lokaler Verbundenheit und globaler Ausbreitung, sowie von Homogenität und Diversitäteiner Gesellschaft. Obwohl diese Tendenzen global zu beobachten sind, so prallen sie dochheftiger in Großstädten aufeinander, wo die Agglomeration an Menschen verschiedenerHintergründe größer ist.Auch und besonders in der modernen Musik finden sich die gleichen Gegensätze wieder. Musikist ein Medium, welches es ermöglicht neue Formen und Expressionen zu finden, moderne Ge-gensätze zu katalysieren. Eine Vielzahl an Musikszenen mit unterschiedlichsten Musikstilen sindheutzutage typisch für Großstädte oder ganze Regionen. Netzwerke für Musiker können leichtdurch moderne Kommunikationstechnologien entstehen, Ideen werden schnell global ausge-tauscht und verbreitet und die Plattform für unkonventionelle Musik ist erheblich größer. Imgleichen Atemzug geht die globale Vernetzung einher mit einem gegensätzlichen Trend: je mehrdie Welt offen steht, desto mehr besinnt man sich auf eigene Wurzeln und Traditionen zurück....

Theoretischer AnsatzDas Projekt basiert auf der theoretischen Grundannahme, dass Identitäten gesellschaftlicheKonstrukte sind. So auch Bandidentitäten. Für die gesellschaftliche Konstruktion vonBandidentitäten werden zwei Faktoren als wichtig und einflussreich identifiziert: diekollektiven Identitäten der Bandmitglieder und die Musikszene, in der die Band entstandenist und agiert.Unter kollektiver Identität werden kulturelle, nationale, soziale und sprachliche Merkmaleverstanden, die Gruppen sich selbst zuschreiben oder ihnen von anderen zugeschriebenwerden.Musikszenen werden für die Untersuchung in ´scenes´ und ´arenas´ geteilt.Unter scenes werden Netzwerke zwischen Musikern, Art-directors und Fansverstanden. Arenas hingegen sind die konkreten Orte, in denen die Musik-performance sichtbar wird, also Clubs, Kneipen und Proberäume.

Ein Projekt von: Anna Demianova, Jacob Venuß, Barbora Lenneffer

Get the Radio-Feature:[email protected]

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Projektteam: Anna Demianova, Jacob Venuß und Barbora Lenneffer

Russische Musikszene in BerlinDie russische Musikszene in Berlin ist einNetzwerk aus stilistisch unterschiedlichenBands, die als gemeinsames Merkmal dierussische Sprache und eine ‚slawische‘Melodie aufweisen. Diese Musikszenehat sich in den 90er Jahren als Folge vonMigrationsprozessen im Nachwende-Berlinentwickelt und spiegelt somit ein StückBerliner Diversität wieder. Genau genom-men, besteht die Szene aus Musikern derganzen ehemaligen Sowjetunion und wurdeirgendwann unter dem Begriff ‚RussischeMusik‘ subsumiert. Trotz stilistischer Un-terschiede verbindet die Musik osteuropäi-sche/russische Folkmelodien und Rockmu-sik, auch unter Verwendung traditionellerInstrumente. Insbesondere die ‚Russendis-ko‘ von Vladimir Kaminer im Kaffee Burgerhat die Russische Musikszene aus Berlin ab2000 auch überregional bekannt gemacht.Neben dem Kaffee Burger ist heutzutagedie Stella-Bar/Hangar 49 Treff- und Wir-kungsort Russischer und OsteuropäischerMusiker.

Als konkretes Beispiel für die Verschmelzung von modernen Gegensätzen untersuchten wir dierussische Musikszene in Berlin und die tatarische Musikszene in Kazan/Russland. Wir verglei-chen Bandidentitäten der Berliner Band ‚SkaZka Ochestra‘ und der Kazaner Band ‚Ittifaq‘ aufunterschiedlichste Einflüsse:

Obwohl beide Bands viele Gemeinsamkeiten aufweisen, unterscheiden sie sich erheblich inihrer Motivation Musik zu machen: wohingegen die Rückbesinnung auf ihre Wurzeln bei SkaZkaeher ein Nebeneffekt bei der Gründung der Band war, so ist die Sprache bei Ittifaq ein zentralesMoment. Die Musik von SkaZka versucht Menschen verschiedener Hintergründe durchEnthusiasmus an der Musik zu vereinen. Ittifaq hingegen verfolgt einen eher nationalenGedanken: die tatarische Sprache wieder zu beleben, zu modernisieren und tatarische Jugend-liche dazu zu bewegen, ihre Sprache wieder aufleben zu lassen.

Alternative tatarische Musikszene in KazanDie tatarische Musikszene ist höchstens5 Jahre alt und steckt somit noch tief in denKinderschuhen. Als einziges Identifikations-merkmal hat sie die Sprache. Als Folge derPerestrojka konnten sich die tatarische Kulturund Sprache nach Jahren der Unterdrückungdurch das Sowjet-Regime wieder frei ent-falten. Es brauchte jedoch 15 Jahre bis einehandvoll Menschen sich entschlossenhaben, tatarische Musik fernab des Main-streams Estrada zu produzieren. Waren dieersten zwei Jahre geprägt durch einen nati-onalen Enthusiasmus, überhaupt modernetatarische Musik zu machen, so entwickeltesich die Musikszene in den letzten zweiJahren in eine qualitativere Richtung, mittiefgründigeren Texten und mehr stilistischerAbwechslung. Die Verbreitung alternativertatarischer Musik ist jedoch weitgehendschwierig, da das Interesse der Massen nochfehlt. Den Musikern fehlt Raum für Konzerte,ihre Musik wird nicht im Radio gespielt undihre CDs sind nicht einmal im Geschäft erhält-lich. Lediglich der Veranstaltungsort „ZheltajaKofta“ in Kazan weckt Hoffnung, da dieserClub Nachwuchsbands fördert und ihnen dieMöglichkeit gibt, ein Publikum zu erreichen.

SkaZka Orchestra (Berlin)Deutschlandrussisch (fast alle)jaRussisch/DeutschAusschließlich russisch20-30 JahreSka-Jazz, Elektro PopGlobal + Lokal

1.Land (Wohnort)2.Nationalität3.Minderheit4.kulturelle Zugehörigkeit5.Musiksprache6.Alter7.Musikstil8.Stil-Einflüsse

Ittifaq (Kazan)Russländische Föderationtatarisch (alle)jaTatarischAusschließlich tatarisch20-30 JahreR´n´B & Hip Hop + FolkGlobal + Lokal

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Die Projektgruppe „Ethnische Diversität inUnternehmen in Berlin und Kazan“ befasstsich mit der Frage, wie sich Vielfalt auf denUnternehmenserfolg auswirkt. Im Mittel-punkt der Analyse stehen hier nicht abs-trakte Zahlen und Gewinne, sondern dieZusammenarbeit innerhalb einesArbeitskollektivs. In der wirtschaftswis-senschaftlichen Literatur finden sich aufder einen Seite Theorien, welchedavon ausgehen, ethnische Vielfaltbeinhalte Kreativpotential, auf deranderen Seite Theorien, welche einKonfliktpotential konstatieren. Vordiesem Hintergrund wurden in

kleineren EinzelhandelsunternehmenBefragungen und Interviews sowohl der Mitarbeiter als

auch der Personalführung durchgeführt, welche erhellensollen, ob sich ethnische Vielfalt eher positiv oder negativauf die Performanz der Gruppe auswirkt und welcheRahmenbedingungen dabei ausschlaggebend sind. Beieiner Befragung von Besuchern der „Langen Nacht derWissenschaften“ in Berlin stellte sich heraus, dass diebeinahe einhellige Meinung herrscht, ethnische Vielfalterzeuge mehr Kreativität als Konflikte. Die Auswertungder in Berlin erhobenen Daten weist darauf hin, dassdiese Einschätzungen richtig sind. Der Sachverhaltscheint einfach und banal, solange nicht die verglei-chende Perspektive herangezogen wird. In Kazan stelltesich heraus, dass Vielfalt nicht gleich Vielfalt ist und beiso einer Frage vieles nicht davon abhängt, wie derSachverhalt „objektiv“ ist, sondern wie er wahrgenommenwird. Hier leben Russen und Tataren seit Jahrhundertenzusammen. Dies hat dazu geführt, dass die ethnischenGrenzen verwischt wurden. Russen und Tataren fühlen sichbei weitem nicht so voneinander abgegrenzt wie man anneh-men könnte. Alle besitzen die Staatsangehörigkeit der Russ-ländischen Föderation, sowohl der russisch-orthodoxe alsauch der islamische Glaube treten in sehr moderater Form aufund die Gesellschaft ist stark säkularisiert, sodass ein Glau-benskampf nicht aufkommt. Eine Personalchefin erwähnte imInterview, dass sowohl die orthodoxen als auch die isla-mischen Feste in ihrem Unternehmen gemeinsam gefeiertwerden. Auch die integrierende Wirkung der russischenSprache trägt ihren Teil dazu bei. In Kazan selbst wirdvornehmlich russisch gesprochen, tatarisch hört man eherselten. Allerdings gibt es in Tatarstan auf dem Lande Dörfer,in denen Menschen leben, die gar nicht oder nur schlechtrussisch sprechen. Hier setzt oft der Vorteil tatarischer Mitar-

Ethnische Diversität in Unternehmen in Berlin und Kazan

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beiter in einem Unternehmen an. Sie sind in derLage, die aus den Dörfern anreisenden Kundenzu bedienen, wenn sie denn selbst das Tatarischebeherrschen, was bei weitem nicht immer der Fallist. Es ist also die Sprache, welche ausschlagge-bend ist und auch bei der Einstellung neuerMitarbeiter eine Rolle spielt, weniger Mentalitäts-unterschiede oder Ähnliches. Konflikte gibt es wieüberall, wo Menschen zusammentreffen, jedochsind diese nicht ethnischer Herkunft. Wenn inethnischer Vielfalt überhaupt ein Faktor erkanntwird, so ist er also positiv.Während wir es in Berlin mit einer Gesellschaftzu tun haben, die von Deutschen dominiert wird

und ethnische Vielfalt erst inder zweiten Hälfte des letztenJahrhunderts entstanden ist,stehen in Tatarstan seit Jahr-hunderten Russen undTataren mehr oder wenigergleichgewichtig da und derDurchdringungsgrad ist vielhöher. Erst dieser Vergleichmacht die Ausgangsfrage,welche durch nebenstehendeBefragte so scheinbar selbst-verständlich beantwortetwurde, interessant und füreine wissenschaftliche Unter-suchung lohnenswert. Eineandere Frage, welcher in der

Analyse der Gruppe nicht eingehend nachgegan-gen werden konnte, ist die Frage der Gastarbeiterin Tatarstan. Sie kommen vor allem ausden ehemaligen Sowjetrepubliken, vor-nehmlich Zentralasien sowie aus derTürkei, was mit der äußerst nahen Sprach-verwandtschaft der Turksprachen, zudenen auch das Tatarische gehört, zu tunhat. Die Gesprächspartner gingen daraufein, dass diese es sind, welche abgegrenztwerden: abgegrenzt durch die Einheimi-schen, Tataren und Russen, welche einenzusammenhängenden Block gegenüber denvon außen Kommenden bilden. Dies ist nichtgleichzusetzen mit Fremdenfeindlichkeit,welche in Tatarstan seltener als in anderenTeilen Russlands vorhanden ist. Das Zusam-menleben ist friedlich, aber getrennt. Gastar-

beiter arbeiten zum Beispiel auf Baustellen, wosie dann meistens auch leben oder haben ihreeigenen Geschäfte wie zum Beispiel die auch inBerlin wohlbekannten Dönerbuden, die dannhomogen türkisch arbeiten. Diese Dimension derHeterogenität, wie sie aus Deutschland bekanntist, ist dort jedoch ein neues Phänomen.

Ergebnisse zur Befragung der Mitarbeiter in denjeweiligen Unternehmen in Kazan und Berlin:Im berliner Unternehmen „Mexx“ ist die Vorstel-lung über Arbeitsprozesse unterschiedlicher alsin der kazan Unternehmensgruppe „Love Repu-blic, Be Free und Zarina“, aber dafür ist dieWahrnehmung über die Austragung der Konfliktein Berlin „eher weniger“ wie in Kazan („ehermehr“) vorhanden. Die Zusammenarbeit im Kol-lektiv bezüglich der Vorschläge zur Verbesserungder Arbeitsabläufe beweist sich als etwas frucht-barer in Berlin wie in Kazan. Wobei die Konfliktein Kazan meistens in einem tête-à-tête Gesprächgelöst werden, wird in dem Berliner Unternehmender Chef miteinbezogen. Schließlich haben sichbeide Belegschaften haben positiv über dieKommunikationsvorteile mehrerer Sprachen, diein einer ethnisch heterogenen Belegschaft vor-handen sind, geäußert.

Projektteam: Nora Albu, Alexander Austenfeld, Dimitri Kling und Olena Ponomarenko

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Für die ideelle und finanzielle Unterstützung des Projektkurses und insbesondere der Studienfahrtnach Kazan möchten wir den folgenden Personen, Einrichtungen und Vertretungen herzlich danken:

der Staatlichen Universität Kazan, Herrn Professor Evgueni Tchiglintsev, Dekan der HistorischenFakultät, sowie seinen Kolleginnen Frau Professor Svetlana Malysheva und Frau Professor AllaSalnikova, außerdem Herrn Andrey Krylov, Leiter des Büros für Internationales, und Frau RozaZakirova, Mitarbeiterin im Büro für Internationales,

dem Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, Frau Professor Gertrud Pickhan, Lehrstuhl fürdie Geschichte Ostmitteleuropas, und Herrn Professor Klaus Segbers, Center for Global Politics,

dem Außenamt der Freien Universität Berlin, Herrn Gottfried Gügold,

dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD),

der KNAUF-Gruppe GUS Russland, Herrn Dr. Gerd Lenga und Herrn Dr. Eduard Dobmeier,

sowie der RWE Companius-Initiative, mit deren Unterstützung diese Kursbroschüre veröffentlichtwerden konnte.

Zudem ganz herzliche Grüße aus Berlin an unsere Freunde und Bekannten in Kazan, die uns dasLeben in der Hauptstadt Tatarstans so viel näher gebracht und unsere Studienfahrt damit soerfolgreich gemacht haben!

Danksagung

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Informationen zum Osteuropa-Institut der

Freien Universität Berlin und zum

Masterprogramm Osteuropastudien:

www.oei.fu-berlin.de

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