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Künstliche Intelligenz im europäischen Mittelstand: Status quo, Perspektiven und was jetzt zu tun ist. im Auftrag der Roland Berger Stiftung für europäische Unternehmensführung

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Künstliche Intelligenz im europäischen Mittelstand:Status quo, Perspektiven und was jetzt zu tun ist. im Auftrag der Roland Berger Stiftung

für europäische Unternehmensführung

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Künstliche Intelligenz (KI) prägt schon heute unseren Alltag – sei es in Form von Sprachassistenten, Navigationssystemen, Smart Home oder Bildanalyseverfahren zur Diagnose von Krankheiten. Das Potenzial von KI ist enorm. Das belegen nicht zuletzt die hohen Investitionen, die Länder wie China und die USA in diesem Bereich tätigen. In der Zukunft wird KI beispielsweise nötig sein, um autonomes Fahren zu ermög-lichen, Energie- und Mobilitätssysteme zu vernetzen und Städte in Smart Cities zu verwandeln.

Aber auch Unternehmen profitieren. Mit KI können sie ihre gesamte Wertschöpfungskette intelligent gestalten – von der Eingangslogistik bis hin zum Kundendienst, von F&E bis hin zum Personalwesen. Dabei geht es nicht nur um die Ef-fizienzsteigerung von Prozessen, sondern darum, das gesam-te Geschäftsmodell zu transformieren. Auch in die Produkte und Lösungen von Unternehmen wird daher immer mehr KI einfließen und ebenso in die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Erlöse erzielen und steigern können. Gerade für das stark industriell geprägte Europa ist KI mit großen Chancen ver-bunden. Denn in industriellen Prozessen fallen Unmengen von Daten an, die mithilfe von KI genutzt werden können, um Prozesse weiter zu verbessern, vorausschauend einzu-greifen, wenn Probleme drohen, oder neue Lösungen zu ent-wickeln.

Doch wo stehen Europas Unternehmen bei der Nutzung Künstlicher Intelligenz? Diese Frage soll die vorliegende Stu-die beantworten, die der Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik der Universität des Saarlandes, gefördert durch die Roland Berger Stiftung für europäische Unternehmensführung, durchge-führt hat. Dazu beleuchtet die Untersuchung das verarbei-tende Gewerbe, also den industriellen Kern Europas. Und sie

geht noch einen Schritt weiter, denn im Zentrum steht spe-ziell die Nutzung von KI in mittelständischen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes. Aus gutem Grund: Der Mittel-stand bildet das Rückgrat der Industrie in Europa und stellt zahlreiche „Hidden Champions“, also Unternehmen, die we-niger bekannt als Großunternehmen, aber in ihren Bereichen häufig Weltmarktführer und somit für die Wettbewerbsfä-higkeit Europas besonders wichtig sind.

Die Studie belässt es nicht bei Zustandsbeschreibungen. Das aktuelle Bild, das sie aus der Analyse einer Unternehmensbe-fragung entwickelt, wird mit dem Idealbild von KI-Experten verglichen. Dabei zeigt sich, dass in mittelständischen Unter-nehmen noch viel „Luft nach oben“ ist. In einem weiteren Schritt werden daher Zukunftsszenarien für die Anwendung von KI in Unternehmen im Jahr 2030 entworfen. Die Band-breite der Szenarien reicht von einer „KI-Eiszeit“ bis hin zum „KI-Paradies“. Den Abschluss bilden Handlungsempfehlungen für Politik und Unternehmen, wie sich die „KI-Eiszeit“ vermei-den und das „KI-Paradies“ erreichen lässt.

Künstliche Intelligenz wird nicht die Lösung für alle Heraus-forderungen sein, mit denen Unternehmen in Zukunft kon-frontiert sind. Genauso klar ist aber auch, dass Unternehmen ohne den Einsatz von KI demnächst nicht mehr wettbewerbs-fähig sein werden. Angesichts der erwähnten Anstrengungen von China und den USA auf diesem Gebiet wird die erfolgrei-che Anwendung von KI für europäische Unternehmen zur Existenzfrage. Die Roland Berger Stiftung für europäische Unternehmensführung hat die vorliegende Studie daher mit großer Überzeugung gefördert. Wir sehen in ihr einen wich-tigen Beitrag, die Potenziale von KI herauszuarbeiten und Anregungen zu geben, wie KI zum Erfolg werden kann.

Felicitas Schneider Per BreuerVorstand, Roland Berger Stiftung füreuropäische Unternehmensführung

Vorwort

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Künstliche Intelligenz, kurz KI, ist im europäischen Mittelstand angekommen. Einerseits. Doch wie unse-re Unternehmensbefragung andererseits zeigt: Bislang wird die Technologie in den verschiedenen Wertschöp-fungsbereichen nur sehr lückenhaft genutzt. Das hat sicher auch damit zu tun, dass KI für die meisten Mit-telständler derzeit vor allem ein Vehikel zur Kosten-senkung ist – nicht weniger, aber auch nicht mehr. So hat bislang nur jedes zehnte Unternehmen KI in seine Produkte und Lösungen integriert und damit die Wei-chen für eine echte Transformation des eigenen Ge-schäftsmodells gestellt. Außerdem steuern nur etwa 12% Prozent der Firmen ihre Aktivitäten auf der Grundlage einer entsprechenden Strategie. Das heißt im Umkehrschluss: Die große Mehrheit der Mittel-ständler „macht“ KI, ohne dafür jemals klare Ziele, Maßnahmen und Messgrößen definiert zu haben.

In der vorliegenden Studie befassen wir uns mit der Frage, ob und wie der Durchbruch Künstlicher Intel-ligenz im europäischen Mittelstand dennoch gelingen kann. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit kleine und mittlere Unternehmen KI umfassen-der und planvoller nutzen können? Welche Szenarien sind für die Zukunft zu erwarten und was muss pas-sieren, damit Unternehmen und Gesellschaft besser von KI profitieren?

Um Antworten auf diese Fragen geben zu können, ha-ben wir 200 mittelständische Unternehmen des verar-beitenden Gewerbes in acht europäischen Ländern sowie 20 KI-Experten aus Wissenschaft und Praxis befragt. Die Unternehmen haben uns sowohl über den

Künstliche Intelligenz im euro päischen Mittelstand: Prädikat stark ausbaufähig

Zusammenfassung

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Ist-Zustand der KI-Nutzung im Mittelstand informiert als auch ihre Erwartungen an KI-Technologien erläu-tert. Die Experten wiederum haben skizziert, welches Potenzial der Einsatz Künstlicher Intelligenz in ver-schiedenen Wertschöpfungsbereichen und bei ver-schiedenen Tätigkeiten birgt. Dabei fällt der Vergleich des Ist-Zustands mit dem Idealbild der Experten er-nüchternd aus: Die Unternehmen sind derzeit noch weit davon entfernt, die Möglichkeiten von KI voll auszuschöpfen.

Die große Diskrepanz zwischen Realität und Ideal führt zu der Frage, wie die Zukunft von KI im Mittel-stand aussehen kann. Wir haben die Experten daher zusätzlich gefragt, welche Faktoren aus ihrer Sicht den größten Einfluss auf die Entwicklung von KI im Mit-telstand bis zum Jahr 2030 haben werden. Diese Fak-toren lassen sich zu zwei maßgeblichen Hebeln ver-dichten: der Entwicklung des technisch-ökonomi-schen Potenzials von KI und dem gesellschaftlichen Nutzen von KI. Auf dieser Grundlage haben wir vier Szenarien entwickelt, die die Auswirkungen der ver-schiedenen Faktoren deutlich machen. So ist der Ein-satz von KI in unserem Negativ-Szenario einer „KI-Eis-zeit“ stark gebremst, weil die technisch-ökonomische Entwicklung nur langsam vorangeht und KI in der Gesellschaft auf große Bedenken stößt. Dem gegen-über steht das Szenario eines „KI-Paradieses“, in dem die Nutzung von KI im Jahr 2030 dank rascher techno-logischer Fortschritte und eines funktionierenden Ordnungsrahmens in voller Blüte steht. Die beiden anderen Szenarien – „KI-Assistenz“ und „KI-Insellö-sungen“ – bilden Zustände ab, die entweder von einer

hohen Akzeptanz der KI-Technik, aber einer Zersplit-terung der Firmenlandschaft, oder von einer großen Verbreitung von KI-Technik, aber nur in assistierender Funktion, gekennzeichnet sind.

Es ist klar, dass Politik und Unternehmen jetzt die Vo-raussetzungen schaffen müssen, damit Gesellschaft und Unternehmen von KI profitieren können. Daher schließt unsere Studie mit einem Kapitel mit konkre-ten Empfehlungen, die dazu beitragen sollen, das Sze-nario „KI-Eiszeit“ zu vermeiden und den anderen Sze-narien, im besten Falle dem „KI-Paradies“, möglichst nahezukommen. Dafür gibt es zwei zentrale Ansatz-punkte, die idealerweise parallel verfolgt werden sollten:

Um das technisch-ökonomische Potenzial von KI zu entfalten,

• braucht Europa vor allem eine erstklassige digitale Infrastruktur als „KI-Backbone“, also konkret den schnellen Auf- und Ausbau von 5G und Breitband in der Fläche, denn viele Mittelständler sind in ländli-chen Gegenden angesiedelt.

• Um die aktuell großen Defizite der Unternehmen im Bereich KI zu beheben, ist es nicht nur notwendig, substanziell in eine adäquate Ausbildung zu investie-ren. Es müssen auch neue, kreative Wege beschritten werden, damit das Wissen schnell bei Mitarbeitern ankommt, etwa – wie in den USA – via Start-ups, die Weiterbildung anbieten und Unternehmen maßge-schneidert in KI fit machen.

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• Firmen, die KI-Anwendungen für die Wirtschaft ent-wickeln, sollten gezielt gefördert werden. Europa braucht außerdem deutlich mehr KI-Start-ups, die für und mit Mittelständlern Lösungen und neue Ge-schäftsmodelle hervorbringen und dadurch neue Märkte erschließen. Um KI-Wissen im Mittelstand zu verankern, sollten darüber hinaus Forschungs-kooperationen und Know-how-Netzwerke gefördert werden.

• Nicht zuletzt muss der Mittelstand den Einsatz von KI strategisch(er) angehen. Statt auf vereinzelte KI- Piloten zu setzen, sollten die Unternehmen – im Aus-tausch mit anderen Mittelständlern und weiteren Partnern – ein schlüssiges Gesamtkonzept entwi-ckeln.

Um gleichzeitig den gesellschaftlichen Rückhalt für die Nutzung von KI zu stärken, ist der Staat vor allem als intelligenter gesetzlicher Regulierer gefragt.

• Dabei müssen die Regeln den Nutzern einerseits Si-cherheit geben, indem zentrale Fragen wie Datensi-cherheit, Transparenz, Haftung etc. zufriedenstel-lend beantwortet und Bedenken ausgeräumt werden.

• Andererseits muss ausreichend Freiraum für die Ent-wicklung wettbewerbsfähiger KI-Lösungen bleiben. Denn droht der Schlüsseltechnologie KI ein ver-gleichbares Schicksal wie dem Negativ-Beispiel Gen-technik, kann dies zu massiven Nachteilen für die gesamte Industrie führen.

• Bei der Umsetzung intelligenter gesetzlicher Regu-lierung sollten Politik und Unternehmen außerdem darauf achten, weitere Partner wie Wirtschaftsver-bände, Vertreter von Start-ups, KI-Experten und Ge-werkschaften miteinzubeziehen.

• Nicht zuletzt können die Unternehmen selbst viel dazu beitragen, die gesellschaftliche Akzeptanz von KI zu verbessern, etwa indem sie Demonstrationsla-bore und Modellfabriken einrichten, die den konkre-ten Nutzen von KI für Mitarbeiter, Kunden und die Gesellschaft insgesamt greifbar machen.

Eine optimale Entwicklung des technisch-ökonomi-schen Potenzials von KI-Anwendungen bei gleichzei-tiger Akzeptanz durch Unternehmen und Gesellschaft rückt Unternehmen in die Nähe des „KI-Paradieses“. Gelingt dieser doppelte Fortschritt, bieten KI-Anwen-dungen enorme Produktivitäts- und Wertschöpfungs-potenziale, die der europäische Mittelstand des verar-beitenden Gewerbes dazu nutzen kann, seine Spitzen-position im nationalen und internationalen Wettbe-werb zu halten oder sogar auszubauen.

Zusammenfassung

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1 Wie nutzt Europas Mittelstand Künstliche Intelligenz? 8

2 Unternehmensperspektive: KI soll vor allem die Kosten senken. 10

3 Expertenperspektive: Anwendungs - möglichkeiten und Potenziale von KI 24

4 Szenarien KI 2030: Wie wird sich die KI-Nutzung im Mittelstand weiterentwickeln? 32

5 Was jetzt zu tun ist: Strategien für Entscheider aus Politik und Wirtschaft 38

6 Wissensaufbau, Infrastruktur, gesetzlicher Rahmen: Politik und Unternehmen müssen (schnell) handeln. 44

Inhalt

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1Bestands auf nahme: Wie nutzt Europas Mittel stand Künstliche Intelligenz?

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Der rasante digitale Fortschritt der vergangenen Jahr-zehnte stellt den europäischen Mittelstand vor neue Herausforderungen. Schlagworte wie Industrie 4.0, Internet der Dinge und Digitalisierung beschreiben den tief greifenden Wandel, der die gesamte Wert-schöpfungskette von Unternehmen massiv verändert.

Längst sind digital vernetzte, automatisierte Ge-schäftsprozesse keine Zukunftsvision mehr, sondern in vielen Unternehmen Alltag. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) markiert die nächste Stufe der Digita-lisierung. KI beschreibt die Fähigkeit von Maschinen, Aufgaben zu bewältigen, die bislang der menschlichen Intelligenz vorbehalten waren. Eine der bekanntesten KI-Disziplinen ist das maschinelle Lernen (Machine Learning). Dabei werten die Systeme mithilfe von Al-gorithmen große Datenmengen aus, erkennen Muster und lernen, Probleme mehr oder weniger selbststän-dig zu lösen.

Die Potenziale solcher KI-Anwendungen sind gut er-forscht, auch in der betrieblichen Praxis können vie-le Anwendungen bereits zum Einsatz kommen. Doch welche Bedeutung hat KI im Alltag europäischer KMU? Bleiben die Vorteile einer umfassenden Nut-zung eher den großen Unternehmen vorbehalten? Das hätte fatale Folgen, denn KMU spielen in der Wirtschaft vieler europäischen Länder eine zentrale Rolle, zahlreiche Lieferketten erfordern ihre Integra-tion. Mittelständische Unternehmen des verarbeiten-den Gewerbes sind dabei von besonderer Bedeutung, zahlreiche „Hidden Champions“ kommen aus die-sem Sektor.

Die vorliegende Studie liefert Antworten auf folgende Fragen:

• Wie wird KI im europäischen Mittelstand des verar-beitenden Gewerbes derzeit genutzt?

• Welche Anwendungen werden in naher Zukunft (im Jahr 2030) besonders wichtig sein?

• Welche Nutzungsformen wären optimal und wie weit sind die untersuchten Unternehmen derzeit von die-sem Idealzustand entfernt?

• Welche Szenarien der KI-Nutzung sind realistisch und welche Schritte führen dorthin?

• Was müssen Politik und Unternehmen tun, um KI auch im Mittelstand zum Erfolg zu führen?

Um den aktuellen Stand der Umsetzung und derzeiti-ge Herausforderungen bei der Nutzung von KI zu er-fassen, haben wir 200 europäische mittelständische Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes befragt (Kapitel 2). Ein Panel europäischer Experten hat au-ßerdem die künftige Entwicklung, Disruptionen und Potenziale von KI eingeschätzt. Die Abfrage bezog sich sowohl auf konkrete KI-Anwendungen, die für Unter-nehmen relevant sind, als auch auf Faktoren, die die Nutzung von KI in Zukunft beeinflussen werden (Ka-pitel 3). Basierend auf den von den Experten genann-ten und gewichteten Einflussfaktoren, skizzieren wir verschiedene Szenarien der Anwendung von KI im Mittelstand im Jahr 2030 (Kapitel 4). Abschließend erläutern wir, was Staat und Unternehmen tun müs-sen, um das volle technisch-ökonomische Potenzial von KI entfalten und die gesellschaftliche Akzeptanz von KI verbessern zu können (Kapitel 5).

Bestandsaufnahme

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2 Unternehmens-perspektive: KI soll vor allem die Kosten senken.

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Breite europäische Basis200 mittelständische Unternehmen in acht EU-Ländern haben an der Befragung teilgenommen

Um herauszufinden, wie KI in mittelständischen Un-ternehmen des verarbeitenden Gewerbes derzeit ge-nutzt wird, haben wir im Frühjahr 2019 200 Firmen in acht europäischen Ländern befragt.→A In Deutsch-land beteiligten sich 35 Unternehmen, in Italien 31, in Frankreich 30, in UK 29, in Spanien 27, in Polen 24, in Belgien 13 und in den Niederlanden 11.

Die acht ausgewählten Länder sind die wirtschafts-stärksten der EU1 und decken 81% des BIP der EU ab. Zudem umfasst die Auswahl ein breites volkswirt-schaftliches Spektrum: von Ländern mit einem hohen Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowert-schöpfung (Deutschland: 21%) bis hin zu serviceori-entierten Volkswirtschaften (UK: 9%).

Die befragten Unternehmen stammen aus unter-schiedlichen Branchen des verarbeitenden Gewerbes, insbesondere aus dem Maschinenbau, der chemischen Industrie, der Elektroindustrie und der Automobilin-dustrie.

Bei der maximalen Umsatzgröße der Unternehmen haben wir uns an der Definition von KMU der Europä-ischen Kommission orientiert, die eine Umsatzober-grenze von 50 Mio. Euro festlegt. Der Mindestumsatz liegt bei 10 Mio. Euro, um eine Verzerrung der Ergeb-nisse durch die Einbeziehung sehr kleiner Unterneh-men zu vermeiden.

1 Sie belegen die Ränge 1–7 und 9 der Rangfolge der EU-Länder nach dem nominalen BIP 2018.

2 Die Anzahl der Mitarbeiter haben wir bei unserer Befragung nicht zur Einschränkung genutzt.

29

13

11

35

30

27

31

24

Nieder- landeVereinigtes

Königreich

DeutschlandBelgien

Frankreich

Spanien

Italien

Polen

Quelle: Universität des Saarlandes

Die meisten der befragten Unternehmen (61%) be-schäftigen zwischen 50 und 250 Mitarbeiter, 8% weni-ger als 50, 32% mehr als 250 Mitarbeiter2. 70% der befragten Unternehmen waren unabhängige Mittel-ständler, 30% Tochtergesellschaften eines Großunter-nehmens.

Unternehmens perspektive

A

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Im ersten Teil haben wir die Unternehmen nach ihrem KI-Know-how, ihrer KI-Strategie und den wesentlichen Treibern und Hemmnissen für die Nutzung von KI befragt. Im zweiten Teil ging es um die Frage, welche KI-Anwendungen bereits konkret in Teilen der Wert-schöpfungskette genutzt werden. Schließlich sollten die Unternehmen erläutern, welche wesentlichen Ver-änderungen sie in den einzelnen Bereichen ihrer Wert-schöpfungskette durch KI bis zum Jahr 2030 erwarten.

2.1 KI-Know-how: allenfalls GrundlagenniveauZunächst wollten wir wissen, ob sich die befragten Unternehmen schon mit KI beschäftigt haben, wie der Wissensstand ist und ob Mitarbeiter die Möglichkeit haben, KI-Know-how zu erwerben.→B Die Antworten zeigen, dass sich derzeit rund ein Drittel der Befragten (34%) bereits mit KI beschäftigt, ein größerer Anteil (43%) verneint dies jedoch. Fast ein Viertel der Befrag-ten (24%) ist sich unsicher.

Die Abfrage zum Wissensstand über KI ergibt ein ähn-liches Bild: 38% der Befragten geben an, dass ihr Un-ternehmen über fortgeschrittene (13%) oder ausrei-chende (25%) Kenntnisse verfügt, 44% sehen kein (14%) oder nur ein geringes (30%) KI-Know-how in ihrer Firma, 19% sind zu unsicher, um die Frage be-antworten zu können.

Das Know-how rangiert damit aktuell bei den aller-meisten Unternehmen allenfalls auf Grundlagenni-

veau und ist stark ausbaufähig. Erstaunlicherweise gibt es in der Mehrzahl der von uns befragten Unter-nehmen zurzeit allerdings für die Mitarbeiter keine Möglichkeit, KI-relevante Qualifikationen zu erwer-ben. Nur 15% der Unternehmen geben an, dass dies aktuell bei ihnen möglich ist, bei immerhin 24% ist es geplant, 35% verneinen die Frage.

Unternehmens perspektive

Nur 15% der Unter­nehmen ermöglichen ihren Mitarbeitern, KI­relevante Qualifikati­onen zu erwerben, bei 24% ist es geplant.

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Quelle: Universität des Saarlandes

Haben Sie sich in Ihrem Unternehmen schon mit KI

beschäftigt?

Wie schätzen Sie den Wissensstand Ihres Unter-

nehmens über KI ein?

Gibt es für Ihre Mitarbeiter Möglichkeiten, KI-relevante

Qualifikationen zu erwerben?

27% Unsicher

24% Nein, ist

aber geplant

34%Ja

13% Fortgeschrittene Kenntnisse

15%Ja

35%Nein

25%Ausreichende

Kenntnisse

30%Geringe Kenntnisse

14%Keine

Kenntnisse

19%Unsicher

43%Nein

24%Unsicher

B KI-Wissen: stark ausbaufähig KI-Know-how in mittelständischen Unternehmen

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Quelle: Universität des Saarlandes

Wer entscheidet in Ihrem Unternehmen über einen

möglichen Einsatz von KI?

Verfügen Sie bereits über eine ausgearbeitete KI-Strategie in

Ihrem Unternehmen?

Nutzen Sie externe Dienstleis-ter für den Einsatz von KI in

Ihrem Unternehmen?

20% Ist aktuell in der

Ausarbeitung

70% Führungsebene/Management

30%Expertenebene/Spezialisten

12%Ja

16%Ja

35%Nein, ist aber geplant

25%Nein

25%Unsicher

29%Unsicher

16%Nein, ist aber geplant

24%Nein, kein Bedarf

Unternehmens perspektive

C Mangelware KI-StrategieKI-Entscheidungen und -Strategie in mittelständischen Unternehmen

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2.2 Strategie: Nur wenige Unter nehmen verfolgen ein klares Ziel

Im nächsten Teil der Unternehmensbefragung ging es um die Themen Entscheidungsgewalt und KI-Stra-tegie. →C

In 70% der Unternehmen ist KI Chefsache, in weniger als jedem dritten Unternehmen treffen Experten die Entscheidung. Interessant ist, dass bislang nur eine kleine Minderheit der Unternehmen eine KI-Strategie ausgearbeitet hat – das gilt auch für diejenigen, bei denen nach eigenen Angaben die Unternehmensfüh-rung über den Einsatz entscheidet. Nur 12% der Fir-men haben demnach eine definierte Strategie. Immer-hin 36% der Befragten geben an, dass eine Strategie in Ausarbeitung oder geplant ist. Dass es noch Hand-lungsbedarf gibt, zeigt das knappe Viertel der Befrag-ten, das angibt, keine entsprechende Strategie zu be-nötigen.

Die Antworten legen den Schluss nahe, dass mittel-ständische Unternehmen externe Unterstützung brau-chen, um eine KI-Strategie formulieren und implemen-tieren zu können. Deswegen haben wir gefragt, ob die Unternehmen hierbei externe Dienstleister nutzen. Nur 16% bejahen diese Frage, 35% nutzen noch keine externen Dienstleister, planen dies aber. Die Bedeu-tung professioneller Unterstützung von außen haben zahlreiche Unternehmen also bereits erkannt. Sie könnte auch dazu beitragen, den Mitarbeitern KI-rele-

vante Qualifikationen zu vermitteln und das fehlende KI-Know-how im Unternehmen zu ersetzen.

2.3 Treiber und Hemmnisse: KI ist bislang nur KostenkillerDie Unternehmen wurden außerdem dazu befragt, was sie für die wichtigsten Treiber und Hemmnisse für mittelständische Unternehmen halten, KI einzusetzen. →D Der Tenor ist eindeutig: Die meisten Unternehmen nutzen KI in erster Linie, um Kosten zu senken. So nennen 33% Einsparungen und 29% die Steigerung der Asset-Effizienz3 als wesentliche Motive ihrer KI-Nutzung. Deutlich seltener wird KI als Hebel zur Umsatzsteigerung (18%) oder als Möglichkeit gesehen, neue Geschäftsfelder zu erschließen oder neue Pro-dukte zu entwickeln (13%).

Dass nur wenige Unternehmen KI in Zusammenhang mit ihrem Marktangebot bringen, spiegelt sich in den Antworten auf unsere Frage wider, ob die von ihnen angebotenen Produkte bzw. Lösungen KI enthalten. Das ist nur in jedem zehnten Unternehmen der Fall. Immerhin fast ein Drittel (28%) plant aber Entspre-chendes.

Die wichtigsten Hürden für den Einsatz von KI liegen nach Angaben von 40% im wirtschaftlichen Bereich (z.B. fehlende Fachkräfte). Mit Abstand folgen recht-

3 Die Asset-Effizienz gibt an, wie viel Umsatz ein Unternehmen bezogen auf sein Sachanlagevermögen erzielt.

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16

10%Ja

Quelle: Universität des Saarlandes

1 Z.B. fehlende Fachkräfte, innerbetriebliche Widerstände gegen KI-Lösungen wegen eines drohenden Arbeitsplatzabbaus 2 Z.B. Datenschutz 3 Z.B. unzureichende Bandbreiten 4 Z.B. ethische Bedenken, Algorithmen entscheiden zu lassen

Was ist für Ihr Unter-nehmen der Haupttreiber,

KI anzuwenden?

Enthalten die von Ihnen angebotenen Produkte/

Lösungen KI?

Welche Hemmnisse für den Einsatz von KI

sehen Sie aktuell?

33%Kosten sparen

28%Nein, ist

aber geplant

21%Rechtliche2

28%Unsicher

40%Wirtschaftliche1

12%Gesellschaftliche4

9%Sonstige

19%Technologische3

35%Nein, kein Bedarf

29%Asset-Effizienz steigern

18%Umsatz erhöhen

13%Neue Geschäfts-felder/Produkte

9%Sonstiges

Unternehmens perspektive

D Effizienzziele schlagen neue Geschäftsfelder Treiber und Hemmnisse von KI in mittelständischen Unternehmen

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liche (21%), technologische (19%) und gesellschaftli-che (12%) Hemmnisse.

2.4 Anwendung: KI kommt vor allem in Produk tion und Logistik zum Einsatz

Wir wollten wissen, wie stark zehn wesentliche KI-An-wendungen in den Kernbereichen und in den unter-stützenden Bereichen der Wertschöpfungskette von Unternehmen zum Einsatz kommen.→E

Die Wertschöpfungskette stellt den Wertschöpfungs-prozess innerhalb des Unternehmens schematisch dar. Die Kernbereiche4 sind darauf ausgerichtet, eine Leis-tung beim Kunden zu erbringen. Sie dienen damit unmittelbar der Wertschöpfung des Unternehmens und laufen sequenziell ab, das heißt von der Anliefe-rung der Materialien bis zur Auslieferung der fertigen Produkte. Aktivitäten, die die Kernbereiche unterstüt-zen und unternehmens- oder tätigkeitsübergreifend stattfinden, werden als Unterstützungsaktivitäten be-zeichnet.

Die von uns untersuchten Kernbereiche sind Ein- & Ausgangslogistik (diese beiden Bereiche wurden in der

Studie gemeinsam untersucht), Produktion, Marketing & Vertrieb sowie Service & Kundendienst. Zu den unter-stützenden Bereichen zählen Beschaffung, Forschung & Entwicklung, Personalwesen sowie Unternehmensin-frastruktur (Controlling, Finanzen, Recht, IT usw.).

Die zehn ausgewählten KI-Anwendungen sind opti-miertes Ressourcenmanagement, Predictive Analytics, intelligente Assistenzsysteme, intelligentes Wissens-management, intelligente Qualitätskontrolle, intelli-gente Automatisierung, intelligente Robotik, intelli-gente Sensorik, Sprachsteuerung, autonomes Fahren und Fliegen5.

Das Ergebnis: Optimiertes Ressourcenmanagement, Predictive Analytics und intelligente Assistenzsysteme werden sowohl in den Kernbereichen als auch in den unterstützenden Bereichen der Wertschöpfungskette am häufigsten genutzt. Über alle Anwendungen hin-weg ist die Nutzung außerdem in den Kernbereichen deutlich stärker ausgeprägt als in den unterstützenden Bereichen.→F So haben im Durchschnitt in den Kern-bereichen 19% der Unternehmen geantwortet, die jeweilige KI-Anwendung zu nutzen. In den unterstüt-zenden Bereichen liegt der Wert bei 16%.

Insgesamt unterscheidet sich die Nutzung zwischen den Wertschöpfungsbereichen erheblich: In den Kern-

4 Die Begriffe Kernbereiche und Kernaktivitäten bzw. Unterstützungsbereiche und Unterstützungsaktivitäten werden im Folgenden synonym verwendet. 5 Bezüglich der KI-Anwendungen haben wir uns an der nachfolgenden Studie orientiert (vgl. dort S. 14): Seifert, I., Bürger, M., Wangler, L., Christmann-Budian,

S., Rohde, M., Gabriel, P., Zinke, G.: Potenziale der Künstlichen Intelligenz im produzierenden Gewerbe in Deutschland, iit – Institut für Innovation und Technik in der VDI/VDE Innovation Technik GmbH, Peter Gabriel (Hrsg.), 2018, Berlin.

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Quelle: Universität des Saarlandes

Unterstützungsaktivitäten

Kernaktivitäten

Beschaffung

Forschung & Entwicklung

Personalwesen

Unternehmensinfrastruktur

Eingangs- logistik

Ausgangs - logistik

Service & Kundendienst

ProduktionMarketing & Vertrieb

Unternehmens perspektive

E Wertschöpfungskette als AnalyserahmenUntersuchte Wertschöpfungsbereiche

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bereichen schwankt sie über alle Anwendungen hin-weg zwischen 35% (Produktion) und 10% (Service & Kundendienst). In der Produktion erreicht der Einsatz intelligenter Robotik mit 46% aller Unternehmen den Spitzenwert über alle Anwendungen und Wertschöp-fungsstufen6. Im Bereich Service & Kundendienst wie-derum findet sich mit 7% für autonomes Fahren und Fliegen der niedrigste Wert.

In der Produktion nehmen typische Anwendungen zur Steigerung der Ressourcen- und Prozesseffizienz sowie der Qualität die ersten Plätze ein. Dazu gehören intelligente Robotik, optimiertes Ressourcenmanage-ment, intelligente Automatisierung, intelligente Sen-sorik, Predictive Analytics und intelligente Qualitäts-kontrolle.

Die Ein- & Ausgangslogistik nimmt mit einem Durch-schnittswert von 19% den zweiten Rang bei den Kern-bereichen ein, Marketing & Vertrieb folgen mit 13% auf dem dritten Platz.

In den unterstützenden Bereichen sind KI-Anwendun-gen vor allem in Forschung & Entwicklung zu finden. Im Durchschnitt nutzen hier 20% der Unternehmen KI. Es folgen Beschaffung (18%), Personalwesen (14%) und Unternehmensinfrastruktur (11%).

2.5 KI-Potenzial: eher schrittweise Veränderung als tief greifende Disruption

Als Nächstes wollten wir wissen, mit welchen Verän-derungen die Teilnehmer in den vier Kernbereichen und den vier unterstützenden Bereichen der Wert-schöpfungskette durch den Einsatz von KI bis zum Jahr 2030 rechnen.

Wie die Auswertung zeigt, gehen die Unternehmen zwar von einem signifikanten Wandel in allen Berei-chen aus, allerdings eher in Form schrittweiser Ver-änderungen als durch grundlegende Disruption.→G Das unterstreicht die Erwartungshaltung der Unter-nehmen, dass KI in erster Linie Kosten senken und die Asset-Effizienz erhöhen wird. Offenbar fällt es ihnen – zumindest derzeit – schwer, KI-spezifische Veränderungen zu konkretisieren, denn viele der ge-nannten Veränderungen sind eher allgemeiner Natur oder lassen sich dem gesamten Themenfeld der Digi-talisierung zuordnen, nicht aber speziell dem Einsatz von KI.

6 Wie lässt sich erklären, dass 46% der Unternehmen angeben, intelligente Robotik zu nutzen, aber nur 34% der Unternehmen angeben, sich schon  mit KI beschäftigt zu haben (s. die Ergebnisse der ersten Frage)? Für viele Unter nehmen ist offensichtlich nicht eindeutig, was zu KI gehört und was nicht. Dies zeigt sich darin, dass 24% der Befragten unsicher sind, ob sich ihr Unternehmen schon mit KI beschäftigt hat.

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Quelle: Universität des Saarlandes

26 43 15 8 23

26 37 16 9 22

21 32 32 15 21

20 27 19 16 20

16 38 11 8 18

21 37 15 8 20

11 28 12 14 16

18 41 10 8 19

14 25 11 7 14

15 46 9 8 19

19 35 13 10 19

Ein- & Aus-gangs logistik Produktion

Marketing & Vertrieb

Service & Kundendienst Ø

Optimiertes Ressourcen management

Predictive Analytics

Intelligente Assistenz systeme

Intelligentes Wissens management

Intelligente Qualitäts kontrolle

Intelligente Auto matisierung

Intelligente Robotik

Intelligente Sensorik

Sprachsteuerung

Autonomes Fahren und Fliegen

Ø

Unternehmens perspektive

F KI-Domäne ProduktionIn welchen Kernbereichen Ihrer Wertschöpfungskette nutzen Sie die nachfolgend genannten KI-Anwendungen? [% aller Unternehmen]

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In welchen unterstützenden Bereichen Ihrer Wertschöpfungskette nutzen Sie die nachfolgend genannten KI-Anwendungen? [% aller Unternehmen]

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15 17 21 12 16

13 17 12 12 13

15 20 16 11 15

17 13 12 9 13

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18 20 14 11 16

BeschaffungForschung & Entwicklung

Personal-wesen

Unternehmens-infrastruktur Ø

Optimiertes Ressourcen management

Predictive Analytics

Intelligente Assistenz systeme

Intelligente Qualitäts kontrolle

Intelligentes Wissens management

Intelligente Auto matisierung

Intelligente Robotik

Intelligente Sensorik

Sprachsteuerung

Autonomes Fahren und Fliegen

Ø

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•Transport- und Durchfluss-optimierung

•VerstärkterEinsatzvonRobotern für Hoch-regale

•AutonomisierungderDatenspeicherung

•VerstärkteNutzungvon GPS

•ErhöhteProduktivität•Weitersteigende

Robotisierung•Verminderungvon

Leerzeiten•HöherePräzisioninder

Produktion, Senkung der Fehlerquote

•AutomatisierteProdukt-kontrolle

•Ermöglichungvon Kleinserienproduktion•VerstärkterEinsatzvon 3D-Druck, auch beim

Endkunden

•BessereRoutenplanung•BessereAnalysen

und Prognosen (Verkäufe, Verbraucher-trends)

•VerbesserungdesKontaktgrads

•MehrSelf-Services

•BessereNutzungvonCRM und Callcentern

•NutzungvonChatbotsmit Empfehlungs-funktion

•AgilereProzesse,schnellere Reaktions-fähigkeit

•HöhereProzessqualität,besseres Eingehen auf Kundenbedürfnisse

Kosten sparen Einsparung von Kontrollpersonal

Managen einer höheren Kapazität (Eingänge, Ausgänge, Fracht)

— Stärkere Nutzung des Internets der Dinge

Mehr webbasierte Services

Ermöglichung höherer Produktionskapazitäten bis hin zu radikaler Stei-gerung der Produktion

Steigerung der Verkäufe Gewinnung neuer Kunden

Senkung von Lohnkos-ten

Senkung von Reisekos-ten (mehr Videokonfe-renzen)

Einsparungen von Personal

Ein- & Aus gangs-logistik Produktion

Marketing & Vertrieb

Service & Kundendienst

Asset-Effizienz erhöhen

Umsatz erhöhen

Neue Geschäfts felder/Produkte

Unternehmens perspektive

G Schwerpunkt auf EffizienzsteigerungenVon Unternehmen erwartete Veränderungen durch KI in den einzelnen Wertschöpfungsbereichen bis 2030

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•OptimiertesManagement, schnellere Prozesse, bessere Bestandskontrolle

•AutomatisierteEinkäufebei Bedarf

•NutzungvonBlockchain•BessereEinbeziehungweiterer

Länder in die Beschaffung

•BessereF&E-Koordinierung,engere Verzahnung mit Kunden bedürfnissen

•StärkereAutomatisierung von F&E

•IntelligentesLabor, stärkerer Einsatz fort-schrittlicher Software

•BessereÜberwachung der F&E-Prozesse

•SchnelleresErkennenvonPersonal bedarfen

•PräzisereEinstellungen•VerbesserteKoordination

mit verschiedenen Abteilungen

•BessereUnterstützung der Mitarbeiter (z.B. beim Lernen)

•VerstärkteAutomatisierungund Digitalisierung

•ErhöhteFunktionalität durch eine bessere Koor-dination zwischen einzelnen Ab teilungen

•BessereFinanzkontrolle•BessereDurchsetzung

rechtlicher Streitigkeiten

Quelle: Universität des Saarlandes

Entwicklung von Robotik, 3D-Druck und Bewegungs-erkennungs technologie

— ——

Managen einer höheren Beschaffungsmenge

Managen einer größeren Zahl von Einstellungen

— —

Kostenersparnis durch eine verbesserte Beschaffungs-prognose und -wahl

Kostenersparnis durch höhere Effizienz

Kostenersparnis durch höhere Effizienz

Auslagerung von Prozessen, schlankere Prozesse, Personalein spar ungen

BeschaffungForschung & Entwicklung Personalwesen

Unternehmens- infrastruktur

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3Experten -perspektive: Anwen dungs-möglich keiten und Potenziale von KI

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Um das Bild aus Perspektive der Unternehmen zu ver-vollständigen, haben wir europäische KI-Experten darum gebeten, die Anwendungsmöglichkeiten und Potenziale von KI im Mittelstand zu erläutern. Zum Panel zählten 20 europäische Fachleute, die sich an Universitäten, Forschungseinrichtungen (z.B. dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intel-ligenz) oder in Unternehmen mit KI befassen. Die Be-fragung fand im Frühjahr 2019 im Rahmen von Inter-views und per Fragebogen statt.

Die in der Unternehmensbefragung gewonnenen Er-kenntnisse beziehen sich auf die komplette Wert-schöpfungskette, das heißt auf alle wirtschaftlichen Aktivitäten eines Mittelständlers.→H Entsprechend wurden auch die KI-Experten nach Anwendungsmög-lichkeiten entlang der gesamten Wertschöpfungsket-te gefragt. Darauf aufbauend haben wir das Idealbild eines KI-nutzenden Mittelständlers des Jahres 2030 entworfen und mit dem Status quo verglichen. Die Unterschiede markieren die wichtigsten Disruptionen durch KI im deutschen Mittelstand.

Anwendungen und Poten ziale von KIIn der Logistik fallen die meisten KI-Anwendungsmög-lichkeiten in die Bereiche (Prozess-)Automatisierung und verbesserte Planung. Zu den wichtigsten zählen den Experten zufolge automatisierte Lagerhaltung, Ablaufplanung mit Anpassungen in Echtzeit und bessere Bedarfs- und Verfügbarkeitsprognosen. Die

größten Potenziale eröffnet hier die Automatisierung. Sie ermöglicht beispielsweise neue Lagerhaltungssys-teme, weil große Flächen frei werden, die bisher für Wege oder als Sicherheitsabstände für die Beschäftig-ten benötigt wurden. Außerdem schonen die KI-ge-stützte, automatische Erfassung von Aufträgen und die Optimierung von Transportwegen Zeit und Res-sourcen. KI erlaubt aber auch große Fortschritte in der Echtzeit-Planung. Dadurch werden Logistiknetzwerke weniger störanfällig.

In der Produktion bietet KI Anwendungen zur Quali-tätssicherung und Individualisierung sowie zur Opti-mierung und Flexibilisierung von Produktionsstraßen. Die wichtigsten sind nach Ansicht der Experten voll-autonome Produktionsstraßen, Ablaufplanung in Echtzeit und Fertigung in Human-Robot-Kooperation. Alle Anwendungen haben großes Effizienzsteigerungs-potenzial. So können flexible Produktionsstraßen Eng-pässe beseitigen und den Output maximieren, z.B. indem Arbeitskräfte bedarfsgerecht zugeteilt werden. Sensorgestützte Verfahren im Rahmen von Predictive und Prescriptive Maintenance minimieren Wartungs-kosten und Ausfallzeiten. Bilderkennungsverfahren, die zur Früherkennung von Fehlerquellen, insbeson-dere während der Fertigungsphase, genutzt werden, reduzieren den Ausschuss. Die dabei gewonnenen Informationen kann der F&E-Bereich wiederum nut-zen, um künftige Produkte und Fertigungsverfahren in einem frühen Stadium zu verbessern.

Die wichtigsten Anwendungen in Marketing & Vertrieb sind das Matching von Angeboten und Kundenwün-

Experten perspektive

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Quelle: Universität des Saarlandes

LOGISTIK→ Viele physische Aufgaben wie Lager haltung,

Sortieren oder Lieferungen werden in Zukunft von autonomen Fahrzeugen bzw. Robotern übernommen.

→ Bedarfs- oder Routenplanung wird vollständig über KI abgewickelt werden. Auslastung von Maschinen, Lagerplätzen und Lieferkapazitäten wird KI-basiert optimiert.

→ Viele Planungsaufgaben werden nicht mehr von Menschen durchgeführt.

PRODUKTION→ KI-gestützte Robotik wird den Roboter-

einsatz auch in Kooperation mit Menschen erlauben.

→ Dadurch wird Kleinserienfertigung nach Kundenwunsch für mehr Produzenten kostendeckend möglich sein.

→ KI-Anwendungen werden neue Geschäfts-modelle schaffen (Produktion als Service), bei denen der Kunde kein fertiges Produkt mehr kauft und bei sich einsetzt, sondern die Herstellungsdienst leistung auf Abruf verfügbar sein wird.

MARKETING & VERTRIEB

→ Die Datenerfassung und Datenaus wertung kann durch KI automatisiert und für viele Mittelständler überhaupt erst ermöglicht werden.

→ KI-Systeme werden auch die Kunden-interaktion verändern, da sie entweder direkt mit dem Kunden reden oder menschliche Mitarbeiter substanziell unterstützen.

BESCHAFFUNG→ Autonome Fahrzeuge werden die

Lagerhaltung automatisieren.

→ Fortgeschrittene KI-Modelle werden den gesamten Bestellvorgang von Vertrags-schluss bis Lieferung übernehmen.

PERSONALWESEN→ Routineaufgaben wie Datenextraktion

aus Bewerberunterlagen und die Daten-bank verwaltung dieser Daten werden durch KI erfolgen.

→ Evaluation der Mitarbeiterleistungen kann durch KI unterstützt und objektiver ablaufen.

SERVICE & KUNDENDIENST

→ Menschliche Kundendienstmitarbeiter werden vollständig oder teilweise durch KI ersetzt. Nur wenn die KI nicht weiterweiß, wird der Mensch übernehmen müssen.

FORSCHUNG & ENTWICKLUNG

→ Die wahrscheinlich größte Disruption wäre die Entwicklung von KI, die neue KI schreibt. Dies würde zu massiven Veränderungen in allen Bereichen führen, die Forschung steht allerdings noch am Anfang.

→ Ansonsten stehen KI-gestützte Simulation von Produktverhalten und die Analyse ungeordneter Daten für Produktentwick-lungen im Vordergrund.

UNTERNEHMENS­INFRASTRUKTUR

→ Routineaufgaben wie Vertragstexte, Buch-führung oder die Verwaltung von Rechner-netzen werden von einer KI über nommen, sodass der Mensch lediglich als Kontroll-instanz benötigt wird.

Experten perspektive

H KI als DisruptorDie wichtigsten Disruptionen durch KI bis 2030 in den einzelnen Wertschöpfungsbereichen nach Ansicht der Experten

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schen, automatisiertes Marketing und intelligentes Informationsmanagement sowie KI-gestützte Daten-verarbeitung. Die Experten halten Matching-Algorith-men für die derzeit wichtigste Anwendung. Mit ihrer Hilfe können Werbung oder Angebote auf spezifische Personengruppen zugeschnitten werden. Automati-siertes Marketing senkt außerdem die Kosten, weil Werbung autonom platziert wird.

Die Palette möglicher Anwendungen in Service & Kunden dienst reicht von Chatbots für den Erstkontakt bis hin zu Assistenzsystemen für Servicepersonal und Geschäftsmodellerweiterungen. Dabei spielen in der Kundeninteraktion vor allem Sprachtechnologien und semantische Systeme eine große Rolle. Interessant sind die Anwendungen unter anderem deswegen, weil automatisierte Kundeninterkation die Kosten senkt. Mithilfe von KI-gestützten Ferndiagnosen durch Pre-dictive- und Prescriptive-Maintenance-Methoden kön-nen außerdem frühzeitig Servicetermine angeboten und dadurch die Kundenzufriedenheit erhöht werden.

In Forschung & Entwicklung sind die bedeutendsten Anwendungen Simulationen von Produktverhalten, die Analyse ungeordneter Daten sowie selbstlernende KI. Außerdem können KI-Modelle virtuell Experimen-te durchführen, Datensätze vorbereiten oder Sensor-daten auch während laufender Prozesse analysieren. Die größten Potenziale liegen nach Einschätzung der Fachleute in Assistenzsystemen und Robotern, die repetitive oder riskante Aufgaben übernehmen und so die Arbeitsqualität und -sicherheit erhöhen. Dies ist beispielsweise für Laborarbeit in der chemischen In-

In der Kunden inter­aktion spielen Sprachtechno logien und semantische Systeme eine große Rolle.

dustrie relevant, wenn mit Gefahrgütern gearbeitet wird oder Produkte durch Laboranten verunreinigt werden können. Weitere Vorzüge sind intelligentes Wissensmanagement und die KI-gestützte Simulation von Produktverhalten über den gesamten Lebenszyk-lus hinweg.

Im Bereich der Unternehmensinfrastruktur liegen die wichtigsten Anwendungsfelder von KI-Systemen in der Automatisierung von Routineaufgaben, Intrusion De-tection für IT-Sicherheit und der automatischen Er-stellung von Vertragstexten, außerdem in den Berei-

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chen Prozessüberwachung und Predictive Maintenan-ce. So ermöglichen voll automatisierte Systeme zur Unternehmensinfrastruktur (Steuern, Controlling) hochwertigen Support bei niedrigeren Kosten (vor al-lem durch Personaleinsparungen). Auch Routineauf-gaben wie das Erfassen von Formulardaten, das Ver-senden von Bescheiden oder die Erstellung von Rech-nungen und Kennzahlen-Berichten kann KI erledigen. Ist eine Vollautomatisierung nicht möglich, können KI-Systeme den Menschen dennoch entlasten, etwa indem sie Vertragstexte zumindest vorformulieren.

Im Bereich Einkauf & Beschaffung sind Smart Con-tracts, Bedarfsvorhersagen sowie die automatische Auftragserfassung besonders vielversprechende Appli-kationen. Hauptanwendungsbereiche sind die Ablauf-planung, Bestandsplanung, Lagerhaltung und Daten-analyse. Auch hier sind Effizienzgewinne durch (Teil-)Automatisierung und Optimierung des Einkaufs- und Bestellvorgangs das zentrale Stichwort. Einsparungen sind aber auch durch die Übernahme von Lager- und Planungsaufgaben, durch verringerte Fehlerquoten bei der Kontrolle von Vertragstexten und bei der Lie-ferantenauswahl möglich. KI kann etwa den Materi-albedarf prognostizieren, selbstständig Bestellungen aufgeben und in Abstimmung mit der Logistikabtei-lung festlegen, wann die Lieferung eintreffen soll.

Im Personalwesen betrachten die von uns befragten Experten die Erstellung personalisierter Weiterbil-dungsmaßnahmen, das Matching zwischen Bewerber und Jobangebot sowie die Automatisierung der In-formationserfassung als wichtigste Anwendungen. Optimiertes Mitarbeiter-Stellen-Matching und per-sonalisierte Mitarbeiterentwicklung können auch hier dazu beitragen, Kosten zu senken und die Pro-duktivität zu erhöhen. Dank KI kann die Mitarbeiter-leistung außerdem häufiger anhand objektiver Da-ten7 automatisiert evaluiert werden.

7 Auch KI ist nicht immer objektiv. Beim Lernprozess auf Basis von vorurteilsbehafteten historischen Daten bleiben diese Vorurteile erhalten. Dieses Problem wird weiterhin erforscht.

Experten perspektive

Voll automatisierte KI­Systeme zur Unter­ nehmens infrastruktur ermöglichen hoch ­ wertigen Support bei niedrigeren Kosten.

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KI wird vor allem zur Auto-matisierung von Routine -aufgaben führen

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die meisten KI-Anwendungen führen zu Disruptionen in Form von Automatisierung. Dabei werden vor allem Rou-tineaufgaben bis 2030 voraussichtlich stark von KI übernommen, die Entscheidungsgewalt bleibt aller-dings überwiegend in menschlicher Hand (siehe auch Szenarioanalyse in Kapitel 4). Was die einzelnen Wert-schöpfungsstufen angeht, sind die größten Disrupti-onen in den Bereichen Eingangs- & Ausgangslogistik, Service & Kundendienst sowie in der Unternehmens-infrastruktur zu erwarten.→H Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich in diesen Bereichen viele Routineaufgaben vollständig durch KI erledigen lassen, etwa in der Lagerhaltung, beim Controlling oder in der Kundeninteraktion. Die Folge: Ganze Ge-schäftsbereiche werden mit weniger Mitarbeitern auskommen.

Substanzielle Veränderungen der Geschäftsfelder durch KI sind beispielsweise in der Produktion (Pro-duktion als Service) zu erwarten. In Forschung & Ent-wicklung ist die Entwicklung von selbstlernender KI, die ohne menschlichen Input weiterforschen kann, ein derzeit noch offener Prozess. Hier wird weiterer Fortschritt allerdings spätestens dann disruptiv wir-ken, wenn KI in der Lage ist, eigenständig neue KI zu schreiben, und ihre Lernprozesse vollständig vom Menschen entkoppelt.

Der „ideale“ Mittelständler von morgenAuf der Grundlage der Expertenaussagen zu Anwen-dungsbereichen und Potenzialen haben wir das Ideal-profil eines Mittelständlers im Jahr 2030 entwickelt. Dieser ideale Mittelständler hat weite Teile seiner Wertschöpfungskette teil- oder vollautomatisiert. Rou-tinetätigkeiten werden vollständig von KI übernom-men, kompliziertere oder Kreativität erfordernde Tä-tigkeiten werden weitgehend durch KI unterstützt.

→ Fünf Wertschöpfungsstufen sind dabei besonders betroffen:

• Die Eingangs- & Ausgangslogistik, in der viele Rou-tinearbeiten wie die komplette physische Lagerhal-tung von autonomen Fahrzeugen erledigt werden. Routenplanungen und Bedarfsprognosen über-nimmt KI.

• Die Produktion, in der KI-Systeme menschliche Arbeit bei komplexen Produktionsprozessen gezielt unterstützen und dadurch vereinfachen können. Bei leicht zu produzierenden bzw. in großen Men-gen produzierten Produkten wird die gesamte Pro-duktion von Robotern durchgeführt.

• In Marketing & Vertrieb hilft vollautomatisierte On-line-Werbung dem Mittelständler dabei, zielgrup-pengerechte und gut getimte Angebote auf den Markt zu bringen.

• Im Bereich Service & Kundendienst minimieren Assistenzsysteme den Bedarf an Servicepersonal und ermöglichen eine optimale Vernetzung mit den

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Ideal und Wirklichkeit: Abgleich zur Unternehmens-befragung

Der Vergleich des Idealzustands mit dem Status quo fällt eher ernüchternd aus. Zwar sind die physischen Teile der Wertschöpfung wie Logistik und Produktion schon heute stark von KI geprägt, eingesetzt werden die Systeme allerdings meist nur in Kernbereichen der Wertschöpfung (Produktion). Der Grad der Automati-sierung ist außerdem deutlich niedriger als im Ideal-profil. In anderen Bereichen wie Marketing und Kun-denservice ist die Diskrepanz noch größer: Erwarten die Wissenschaftler hier ebenfalls eine vollständige Automatisierung von Routinetätigkeiten, sieht die Pra-xis derzeit noch ganz anders aus.

Von der aktuellen Nutzung von KI in den Kernberei-chen der Wertschöpfung im europäischen Mittelstand zu dem von Experten umrissenen Idealprofil eines zukünftigen Einsatzes führt also noch ein weiter Weg:

Logistik Während Mittelständler derzeit überwiegend schritt-weise Optimierungen und Effizienzsteigerungen durch KI-Systeme erwarten oder bereits umsetzen, sind im Idealszenario große Teile der Logistik wie das Lager-management und der komplette Bestellvorgang voll automatisiert.

Produktion Für Mittelständler des verarbeitenden Gewerbes ist KI

Kunden. Ein automatisierter Kundendienst er-kennt Servicebedarfe frühzeitig und bedient Rou-tineanfragen mithilfe von Sprachsystemen eigen-ständig.

• Im Bereich der Unternehmensinfrastruktur werden Standardabläufe wie Steuern, Controlling und das Aufsetzen von Verträgen von KI-Programmen über-nommen, für regelmäßige Einkäufe sogar die Ver-tragsabschlüsse.

→ Dadurch verändert sich in vielen Unternehmen das Geschäftsmodell: Sie vernetzen sich intensiver mit ihren Kunden und Zulieferern oder bieten statt fer-tiger Produkte eine Produktionsdienstleistung an (Produktion als Service). Außerdem wird die gesam-te Wertschöpfungskette kapitalintensiver (voraus-gesetzt, die erzielten Einsparungen werden nicht komplett in neues Personal investiert), weil mehr und mehr Aufgaben von KI-Systemen durchgeführt werden.

→ Insgesamt werden Mittelständler flexibler, weil sie schneller auf neue Anforderungen reagieren kön-nen.

Experten perspektive

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vor allem Mittel zum Zweck – nämlich zur Kostensen-kung. Im Idealprofil übernimmt KI dagegen eine stark unterstützende und kooperierende Funktion. Bei „ein-facher“ Produktion wird sie den gesamten Prozess automatisieren.

Marketing & Vertrieb Während Unternehmen aus dem Mittelstand die Vor-teile einer KI-Nutzung vor allem in besserer Prognose- und Analysequalität und in einer Steigerung der Effi-zienz sehen, könnten KI-Systeme das Marketing nach Ansicht der Experten grundlegend automatisieren und zielgruppengerecht anpassen.

Service & Kundendienst In diesem Bereich nutzen die befragten Unternehmen aktuell kaum KI, erwarten aber großen Nutzen durch KI-gestützten Kundenservice. Die Experten sehen nicht nur eine Vollautomatisierung großer Teile des Service & Kundendienstes, sondern auch eine stärkere Vernetzung mit Kunden und Zulieferern.

Unternehmensinfrastruktur Die Mittelständler sehen hier vor allem die Möglich-keit, die Kosten weiter zu senken. Dies ist zwar auch im Idealprofil das Ziel, allerdings rechnen die Experten mit einer umfassenderen Automatisierung, die sogar Vertragsabschlüsse durch KI beinhaltet.

Über alle Wertschöpfungsstufen hinweg lassen sich die beschriebenen Defizite nur durch eine unterneh-mensspezifische KI-Strategie ausgleichen – diese fehlt nach eigener Aussage aktuell aber den meisten Mittel-

ständlern noch. Voraussetzung dafür ist jedoch ein guter Zugang zu KI-Wissen. Fehlendes KI-Know-how in den Unternehmen ist damit eine der größten Hür-den auf dem Weg zum Idealzustand. Die Konsequenz: Die Unternehmen benötigen (externe) Unterstützung bei der Entwicklung einer entsprechenden Strategie für sämtliche Geschäftsfelder und -modelle. Externe Unterstützung ist einer der wichtigsten Hebel für den Durchbruch der KI-Nutzung in der Breite.

Ein weiteres Wertschöpfungsstufen-übergreifendes Hindernis ist die Angst vor einem möglichen Verlust von Arbeitsplätzen. Diese ist dann unangebracht, wenn die „gewonnene“ Arbeitszeit anderweitig produktiv eingesetzt wird, etwa für kreative Tätigkeiten, die KI nicht leisten kann. Die meisten der von uns befragten Experten gehen davon aus, dass dies der Fall sein wird und dass Befürchtungen über Arbeitsplatzverluste da-mit unbegründet sind.

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4Szenarien KI 2030: Wie wird sich die KI-Nutzung im Mittelstand weiter -ent wickeln?

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Wir haben die Experten gebeten, die weitere Entwick-lung einzuschätzen und Einflussfaktoren zu nennen, die den Verlauf der KI-Nutzung im Mittelstand in den nächsten zehn Jahren prägen werden8.

Zur Entwicklung der verschiedenen Szenarien haben wir die Einflussfaktoren je nach Bewertung in kritische Unsicherheiten, Trendfaktoren und Sekundärfaktoren eingeteilt. Kritische Unsicherheiten sind Faktoren, deren Einfluss zwar groß, deren künftige Entwicklung aber eher unsicher ist. Trendfaktoren dagegen sind wichtige und vor allem stabile Faktoren. Sekundärfak-toren haben untergeordnete Bedeutung, und zwar unabhängig davon, ob ihre Entwicklung stabil oder unsicher ist.

KRITISCHE UNSICHERHEITENKritische Unsicherheiten sind für die Entwicklung der verschiedenen Szenarien insofern entscheidend, als ihr Verlauf völlig unterschiedlich ausfallen kann. Um Szenarien zu entwickeln, werden die kritischen Unsi-cherheiten daraufhin untersucht, ob sie auf eine ge-meinsame, übergeordnete Dimension „einzahlen“. In unserem Fall sind das die beiden Dimensionen „tech-nisch-ökonomische Möglichkeiten“ und „Rückhalt in der Gesellschaft“.→I

Die Dimension technisch-ökonomische Möglichkeiten umfasst alle kritischen Unsicherheiten, die eine Nut-zung von KI-Anwendungen durch technologischen Fortschritt erst ermöglichen oder die Rentabilität der Anwendungen erhöhen. Die Dimension Rückhalt in der Gesellschaft bildet alle kritischen Unsicherheiten ab, die menschliche Bedenken bei der Nutzung von KI betreffen. Eine hohe Ausprägung in dieser Dimension bedeutet, dass Gesellschaft und Mittelstand bereit sind, die KI-Nutzung auszuweiten. Darüber hinaus erlaubt die Gesetzgebung eine entsprechende Nut-zung.

TRENDFAKToRENTrendfaktoren entwickeln sich im Gegensatz zu kriti-schen Unsicherheiten in allen Szenarien gleich und geben so die generelle Richtung des künftigen Verlaufs vor. Diese Faktoren spielen für die Nutzung von KI im europäischen Mittelstand eine zentrale Rolle.

Zu den wichtigsten Trendfaktoren zählen nach Aussa-ge der Experten der Mangel an KI-Fachkräften und die unzureichende Förderung von KI. Der europäische Mittelstand wird sich daher insbesondere im interna-tionalen Wettbewerb schwertun. Weitere wichtige Trendfaktoren liegen im Bereich Infrastruktur (Daten-infrastruktur und Netzabdeckung).

Auf die Faktoren Infrastruktur und KI-Förderung hat der Mittelstand selbst keinen direkten Einfluss. Dem Fachkräftemangel kann er allerdings durch den Aufbau eigener Expertise bzw. durch Kooperationen oder Part-nerschaften mit geeigneten Drittanbietern begegnen.

8 In der ersten Runde haben die Experten in einer offenen Befragung die ihrer Ansicht nach wichtigsten Einflussfaktoren genannt. Diese Einflussfaktoren wurden anschließend konsolidiert und anonymisiert, um Mehrfachnennungen zu beseitigen und eine Zuordnung der Einflussfaktoren zu den Befragten zu vermeiden. In der zweiten Fragerunde wurden die konsolidierten Einfluss-faktoren allen Experten vorgelegt, um sie in Bezug auf Einfluss und Unsicher-heit zu bewerten. Die endgültige Bewertung jedes Faktors entspricht der durchschnittlichen Bewertung unseres Expertenpanels.

Szenarien KI 2030

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Quelle: Universität des Saarlandes

Akzeptanz von Datentransparenz

Gesellschaftliches Bewusstsein für den (ökonomischen) Nutzen von KI

Akzeptanz von KI-Techniken

Wunsch, menschliche Autonomie und Autorität zu bewahren

Ethische Bedenken

Regelung von Haftungsfragen bei KI-Entscheidungen

Gesetzgebung, um Datenmonopole einzuschränken

Vertrauen in KI-Entscheidungen

Richtlinien zur Transparenz von KI-Entscheidungen

Regelung für Speicherung von Daten

Enttäuschung der Erwartungen an KI

Rückhalt in der Gesellschaft

Selbstlernende KI

Skalierbarkeit der Anwendungen

Verfügbarkeit und Rentabilität von Standardlösungen

KI-Nutzung durch Wettbewerber

Kompatibilität von Daten und KI-Programmen

Netzneutralität, Vorbeugung von Lock-in-Effekten

Investitionskosten (Sensorik, Datencenter, interne Netzwerke)

Ressourcenschonung durch KI

Technisch-ökonomische Möglichkeiten

Szenarien KI 2030

I Hoher Einfluss, unsichere EntwicklungKritische Unsicherheiten und Szenariodimensionen

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SEKUNDäRFAKToRENIm Gegensatz zur öffentlichen Diskussion9 ist die Angst vor Arbeitsplatzverlust ein eher nachgelagerter Faktor. Die meisten Experten erwarten allerdings deutliche Veränderungen der Tätigkeiten oder den Wegfall von Routineaufgaben. Das steigert die Pro-duktivität und schafft Freiräume, die Mitarbeiter ziel-gerichteter einzusetzen.

SZENARIENAuf Grundlage der genannten Faktoren haben wir vier Zukunftsszenarien für die KI-Nutzung im Jahr 2030 entwickelt.

Szenario Neue KI-Eiszeit Dieses Szenario beschreibt ein Umfeld, in dem der Einsatz von KI aus zwei Gründen stark gebremst ist. Zum einen ist die technisch-ökonomische Entwick-lung von KI-Lösungen nur langsam vorangeschritten. Die Folge: Es gibt keine bezahlbaren Standardlösun-gen, KI-Expertise ist Mangelware und KI-Anwendun-gen gewinnen wegen schlechter Leistung nicht das Vertrauen der Anwender. Bestehende KI-Lösungen sind so rar und kostspielig, dass kein Mittelständler sie sich leisten kann oder will. Weil dies auf breiter Front der Fall ist, gibt es auch kaum Druck, in KI zu investieren. Dadurch droht das Interesse an KI abzueb-ben – ähnlich wie nach anfänglicher Euphorie in den

70er und 80er Jahren – und in eine weitere Eiszeit ein-zutreten, in der das kommerzielle Interesse erlischt.

Zum anderen findet KI in diesem Szenario nicht die erforderliche Akzeptanz – weder in der Gesellschaft noch bei den Anwendern. Dem Gesetzgeber ist es nicht gelungen, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der drängende Fragen beantwortet und die für die Ent-wicklung von KI notwendigen Freiräume schafft. Fra-gen wie die, wer beim Einsatz von KI haftet, wie KI-Ent-scheidungen transparent gemacht werden können und wie es um den Datenschutz bei KI-Lösungen bestellt ist, sind nicht geregelt. Das hemmt den Einsatz und die kommerzielle Entwicklung von KI zusätzlich. Die Erwartungen potenzieller Anwender an KI werden ent-täuscht. Insgesamt schwindet das Interesse an KI und nur wenige mittelständische Unternehmen in Europa nutzen sie.

Szenario KI-Assistenz In diesem Szenario eröffnet der KI-Einsatz prinzipiell große wirtschaftliche Potenziale. Die technologische Entwicklung von KI-Anwendungen ist rasch vorange-schritten, leistungsfähige Standardlösungen erlauben auch mittelständischen Unternehmen, KI in allen Tei-len der Wertschöpfungskette zu bezahlbaren Preisen einzusetzen. Das gesamte Unternehmen kann intelli-gent vernetzt und mit Kunden und Zulieferern ver-knüpft werden. Der positiven technischen Entwick-lung steht allerdings ein mangelnder Rückhalt in Ge-sellschaft und bei den Anwendern gegenüber. Wie im Szenario „Neue KI-Eiszeit“ gibt es keine funktionie-rende Regulierung für KI-Anwendungen. Dadurch

9 Vgl. z.B.: Nedelkoska, L. and G. Quintini (2018), „Automation, skills use and training“, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, No. 202, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/2e2f4eea-en (Abruf am 02.08.2019).

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fehlt die Vertrauensbasis für deren Nutzung, die Sys-teme können ihr Potenzial nicht entfalten. Ethische Bedenken und Angst vor umfangreicher Speicherung sensibler Daten überwiegen in der Gesellschaft und bei den Unternehmen. Ein rechtlicher Rahmen, der diese Bedenken entkräftet, fehlt.

KI-Anwendungen können in der Folge nur innerhalb eines engen Korridors zum Einsatz kommen, nämlich primär in assistierender Funktion. Damit haben sie eingeschränkten Datenzugriff und keine Entschei-dungsgewalt. In diesem Szenario ist KI zwar weitver-breitet, kann aber nur Routineaufgaben vollständig übernehmen oder bei der Entscheidungsfindung un-terstützen. Eine Vollautomatisierung ganzer Bereiche findet nicht statt.

Szenario KI-InsellösungenIn diesem Szenario herrscht großes Interesse an der Nutzung von KI, ihr Einsatz ist gesellschaftlich breit akzeptiert. Auch gesetzgeberisch sind die Vorausset-zungen erfüllt, um KI in allen Unternehmensberei-chen zu nutzen. Staatliche Regelungen zur Speiche-rung, Offenlegung und zum Schutz von Daten, Richt-linien zur Transparenz von KI-Entscheidungen, Geset-ze zur Einschränkung von Datenmonopolen und die Regelung von Haftungsfragen von KI-Entscheidungen haben sich bewährt und sorgen für Vertrauen.

Allerdings schreitet die technisch-ökonomische Ent-wicklung von KI in diesem Szenario nicht im gleichen Tempo voran. Es fehlen Standardlösungen, die dazu beitragen, KI flächendeckend im Mittelstand zu ver-

ankern. Die meisten Unternehmen, die dennoch KI-Lösungen nutzen, haben diese durch eigene Exper-tise und großen Forschungsaufwand entwickelt – da-mit bleibt der Einsatz in erster Linie auf KI-affine Groß-unternehmen beschränkt. Die wenigen mittelständi-schen Unternehmen mit umfassender KI-Expertise entwickeln individuelle Insellösungen für Assistenz-systeme sowie Teil- oder Vollautomatisierung. Die Kombination aus Engpässen einerseits und Insellö-sungen andererseits führt zur Zersplitterung der Fir-menlandschaft: Während der eine Teil durch die Nut-zung von KI Wettbewerbsvorteile erreicht, wird der andere zunehmend abgehängt.

Szenario KI-ParadiesIn dieser idealen Welt sind große Teile der Arbeit durch KI automatisiert und optimiert. Breite Verfüg-barkeit und klarer ökonomischer Nutzen bezahlbarer und leistungsfähiger KI-Technologien (insbesondere von KI-Standardlösungen) sowie deutliche Fortschrit-te bei selbstlernender KI, die ohne menschlichen In-put auskommt, ermöglichen eine weitreichende Transformation des gesamten verarbeitenden Gewer-bes. Gesellschaft und Anwender sind von der tech-nisch-ökonomischen Leistungsfähigkeit von KI und ihrem Nutzen überzeugt. Ein funktionierender Ord-nungsrahmen sorgt für Akzeptanz, weswegen auch die meisten Unternehmen KI-Lösungen nutzen und sie als unverzichtbaren Bestandteil ihrer Wertschöp-fungskette ansehen.

Dies trifft auch für den Mittelstand zu. KI-Systeme übernehmen dabei nicht nur Routineaufgaben oder

Szenarien KI 2030

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Langsam Schnell

Akzeptanz/Rückhalt in der Gesellschaft

Hoch

Niedrig

Quelle: Universität des Saarlandes

KI-Insellösungen KI-Paradies

Neue KI-Eiszeit KI-Assistenz

Entwicklung der technisch-ökonomischen Möglichkeiten

stehen Menschen beratend zur Seite, sondern unter-stützen Entscheidungsprozesse und treffen selbst Ent-scheidungen, etwa über Liefermengen und -zeitpunk-te. KI erlaubt daher nicht nur einen effizienteren Ein-satz von Ressourcen und optimierten Prozessen, son-dern auch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle,

indem Leistungserstellung, Angebot und Erlösmodell neu kombiniert werden. Mitarbeiter können sich in diesem Szenario auf lenkende, kreative oder strategi-sche Tätigkeiten konzentrieren, das optimierte Zusam-menspiel von Menschen und Maschinen schafft große Wettbewerbs vor teile.

J Von der Eiszeit bis zum ParadiesSzenarien der KI-Anwendung im Mittelstand 2030

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5Was jetzt zu tun ist: Strategien für Entscheider aus Politik und Wirtschaft

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Wer das Szenario „Neue KI-Eiszeit“ vermeiden will, muss jetzt die richtigen Weichen stellen. Dabei gibt es zwei grundsätzliche Stoßrichtungen: In der einen ver-folgen Politik und Unternehmen das Ziel, die tech-nisch-ökonomischen Möglichkeiten von KI optimal zu entfalten. Die Dynamik verläuft also in Richtung des Szenarios „KI-Assistenz“. Die zweite Stoßrichtung zielt darauf ab, den Rückhalt für KI in der Gesellschaft zu stärken und peilt damit das Szenario „KI-Insellösun-gen“ an.

Stoßrichtung 1 Technisch-ökonomisches Potenzial entfalten

Hier ist der Staat als zentraler Akteur gefragt, denn er schafft die Voraussetzungen dafür, dass sich das tech-nisch-ökonomische Potenzial von KI überhaupt ent-falten kann: über eine leistungsfähige digitale Infra-struktur, eine Ausbildungslandschaft, die den Anfor-derungen von KI Rechnung trägt, sowie durch eine gezielte Förderung der Unternehmenslandschaft.

Ohne erstklassige digitale Infrastruktur keine moder-nen KI-Anwendungen. Das heißt: KI braucht Netze, die große Datenmengen schnell, flächendeckend und ohne Unterbrechung übertragen. 5G ist hier ein we-sentliches Stichwort. Ein Blick auf die Netzabdeckung des Vorgängerstandards LTE in der größten europäi-schen Wirtschaftsmacht Deutschland veranschaulicht jedoch, wie unzuverlässig und langsam mobile Daten-

übertragung im internationalen Vergleich ist. Eine aktuelle internationale Studie zu Mobilfunknetzen10 sieht Deutschland bei der Flächenabdeckung von LTE mit 66% auf dem 70. und damit drittletzten Platz! An-dere europäische Länder wie die Niederlande und Norwegen liegen in der Spitzengruppe (mehr als 90% Abdeckung), auch Spanien (82%) und Polen (73%) sind weiter als Deutschland. Auf den ersten Plätzen liegen Japan, Südkorea sowie die USA und China. Die-se Staaten haben auch beim neuen Standard 5G eine Vorreiterrolle, während er in Deutschland gerade erst gestartet ist.

Wie unsere Unternehmensbefragung zeigt, gibt es auf-seiten der europäischen Mittelständler große Defizite im KI-Know-how. Substanzielle Investitionen in eine adäquate Ausbildung können hier Abhilfe schaffen, müssen aber schnell erfolgen, damit die EU im inter-nationalen Vergleich nicht weiter abgehängt wird. Ei-nerseits sollte die Förderung von KI-fokussierten Hochschulprogrammen deutlich intensiviert werden. Auch die Forschung muss die erforderlichen Mittel erhalten, um leistungsfähige KI-Lösungen in Indust-riekooperationen entwickeln zu können und das KI-Wissen der Forschungsinstitute für den Mittelstand bezahlbar zu machen. Auf der anderen Seite muss die Praxisrelevanz der Programme sichergestellt werden. Auch die Ausbildung muss mit Blick auf die tatsächli-chen Bedürfnisse KI-nutzender Unternehmen erfol-gen. Deswegen sollten konventionelle Studiengänge um KI-relevante Qualifikationen ergänzt werden.

10 Etrality: Mobilfunkreport 2019.

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Auf Unternehmensseite wird außerdem die Aus- und Weiterbildung des bestehenden Personals eine ent-scheidende Komponente sein. Der Strukturwandel durch KI erfordert einen Strukturwandel im Ausbil-dungssystem. Dies kann etwa durch die Ergänzung des deutschen dualen (berufsorientierten) Ausbil-dungssystems um modulare Elemente im Bereich Digitalisierung/KI erfolgen, die auch während des Erwerbslebenszyklus durchlaufen werden können. Die Etablierung solcher ausbildungsähnlichen berufs- und joborientierten Fortbildungsgänge „in der Mitte der Karriere“ sollte staatlich gefördert werden. Wäh-rend größere Unternehmen in der Lage wären, solche Weiterbildungsmaßnahmen intern anzubieten, be-nötigen kleine und mittlere Unternehmen Unterstüt-zung, etwa durch öffentlich finanzierte Weiterbil-dungsnetzwerke. Dass in Deutschland KI-Trainer in speziellen Kompetenzzentren der Bundesregierung gezielt mittelständische Unternehmen schulen, um das Wissen über KI-Potenziale und -Anwendungen schnell zu verbreiten, ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Ansatz11. Geplant ist eine Mindestanzahl von 20 Trainern bundesweit. Ein guter erster Schritt, allerdings wird es vieler weiterer kreativer Elemente des Wissenstransfers bedürfen. Der internationale Vergleich liefert gute Vorbilder für eine zeitgemäße Vermittlung von KI-Know-how: So bieten in den USA zahlreiche Start-ups maßgeschneiderte Angebote, mit

denen Unternehmen ihre Mitarbeiter für KI-Anwen-dungen ausbilden können. Auch in China ist die Re-gierung derzeit dabei, Bildungseinrichtungen und Unternehmen bei der Fortbildung in KI zu unterstüt-zen und die Ausbildung in „KI +“-Berufsfeldern12 zu stärken.

Der dritte staatliche Hebel zur Unterstützung des tech-nisch-ökonomischen Potenzials von KI ist die gezielte Förderung der Unternehmenslandschaft. Diese kann und sollte zwar weiterhin auch durch klassische Inst-rumente wie Forschungs-, Investitions- und Exportför-derung erfolgen. Auf KI-Plattformen kann das Know-how verschiedener Firmen gezielt gebündelt und ver-breitet werden. Allerdings wird innovatives und gleich-zeitig unternehmensrelevantes KI-Wissen zurzeit vor-wiegend in Start-ups produziert, um dann an andere Firmen verkauft zu werden. Die europäische Firmen-landschaft braucht deutlich mehr KI-Start-ups, die für und mit Mittelständlern Lösungen und neue Geschäfts-modelle entwickeln und dadurch neue Märkte erschlie-ßen. Auch hier verdeutlicht der internationale Vergleich den Nachholbedarf auf europäischer Seite: 2018 entfie-len von den weltweit 5,1 Mrd. USD Corporate-Venture- Capital-Investitionen in KI-Start-Ups 44% auf Nordame-rika und 42% auf Asien, aber nur 13% auf Europa. Europa muss also viel mehr Venture Capital mobilisie-ren, z.B. durch staatlich unterstützte VC-Fonds oder

11 Im Juni 2019 begannen im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Saarbrücken die ersten KI-Trainer mit ihrer Arbeit. Im Rahmen der KI-Strategie der Bundesregierung ist die Einrichtung von bundesweit 25 Kompetenzzentren geplant, die KMU Wissen über KI-Anwendungen vermitteln.

12 Unter „KI+“-Berufsfeldern versteht China solche an der Schnittstelle von KI mit Wirtschaft, Sozialem, Management oder Recht. Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.: Vergleich nationaler Strategien zur Förderung von Künstlicher Intelligenz; Sankt Augustin/Berlin, 2018.

Was jetzt zu tun ist

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kapitalbasierte Rentenmodelle, die in Venture Capital inves tieren.13

Der Mittelstand sollte den Einsatz von KI strategisch angehen. Statt selbst einzelne KI-Piloten zu starten oder darauf zu warten, dass passgenaue und marktrei-fe Technologien von großen Unternehmen nach unten durchsickern, sollten Unternehmen ein eigenes Ge-samtkonzept entwickeln. Dieses sollte beschreiben, wie KI in der Wertschöpfungskette genutzt werden kann und wie sich die Lösungen vernetzen und mit-hilfe von KI neue Geschäftsfelder erschließen lassen. Dabei ist der Austausch mit anderen Mittelständlern entscheidend. Während große Unternehmen über die Mittel verfügen, eigenständig an KI-Lösungen und KI-Strategien zu arbeiten, sollte der Mittelstand hierzu Kooperationen forcieren. Durch gemeinsame Anstren-gungen können schneller preiswerte und praxisrele-vante Standardlösungen erarbeitet und eingesetzt werden. Formal kann dies über KI-Plattformen für Mittelständler und gemeinsame Investitionsprojekte erfolgen. Dabei beschränkt sich die externe Unterstüt-zung nicht nur auf den Austausch mit anderen Mittel-ständlern und größeren Unternehmen, sondern ins-besondere auf Kooperationen mit KI-Start-ups und der Wissenschaft. Wichtig ist außerdem, dass mittelstän-dische Unternehmen ihren Mitarbeitern ermöglichen, schnell und maßgeschneidert KI-Know-how zu erwer-ben. Auch bei Neueinstellungen sollte auf die KI-Ex-pertise der Bewerber geachtet werden.

Stoßrichtung 2 Gesellschaftliche Akzeptanz stärken

Auch wenn es darum geht, gesellschaftlichen Rückhalt für die Anwendung von KI zu schaffen, ist die Politik in der Pflicht – mit intelligenter gesetzlicher Regulie-rung. Diese hat zwei Komponenten:

Auf der einen Seite müssen die Regeln den Nutzern Sicherheit geben, um die Akzeptanz in der Gesellschaft zu verbessern. Europäer, vor allem Deutsche, haben diesbezüglich andere Vorstellungen als Chinesen oder Amerikaner, die einer breiten Datenerhebung oder einer Überwachung per Gesichts- oder Bewegungser-kennung aufgeschlossener gegenüberstehen. Daher muss der Gesetzgeber in Europa auf verschiedenen Handlungsfeldern Rahmenbedingungen schaffen, die die Bedenken der Bevölkerung entkräften und ihre wichtigsten Fragen beantworten. Dazu gehören vor allem Regeln zur Datenauswertung, zur Transparenz von Datenerhebung und Entscheidungsmechanismen, zu Haftungsfragen und zu geistigen Eigentumsrech-ten. Dabei müssen die Informationsasymmetrien zwi-schen Nutzern und Kunden von KI-Anwendungen bzw. KI-Unternehmen ausreichend berücksichtigt werden. Fühlen sich die Anwender übervorteilt, werden Rufe nach stärkerer Regulierung die Folge sein.

Auf der anderen Seite muss die Gesetzgebung ausrei-chend Freiraum für die Entwicklung wettbewerbsfä-higer KI-Lösungen lassen. Technologien in Unterneh-

13 Vgl.: BVK, IE.F, Roland Berger (Hrsg.): Treibstoff Venture Capital, Berlin/München, 2018.

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men dürfen nicht überreguliert werden. Als lehrrei-ches Beispiel für einen solchen Fall kann die Gentech-nik dienen. Sie fand kaum gesellschaftliche Akzeptanz. Weil sich die Gesetzgebung an den Präferenzen der Bevölkerung orientieren sollte, wurde die Gentechnik in vielen Ländern entsprechend stark reguliert. Da-durch sind europäische Zulassungsverfahren für prak-tische Anwendungen wie genmanipulierte Kultur-pflanzen langwierig und kostspielig.14 Die Konsequenz: ein massiver Rückgang von Forschungsinvestitionen und unternehmerischer Tätigkeit in diesem Bereich. Eine vergleichbare Entwicklung bei einer Schlüssel-technologie wie KI kann zu massiven Nachteilen für die gesamte Industrie führen. Auch hier gibt es in Be-zug auf die umfassende und autonome Nutzung von Daten große ethische Bedenken. Nur wenn diese über-zeugend ausgeräumt werden, kann eine Regulierung mit ausreichenden Freiräumen durchgesetzt werden. Umso wichtiger ist es, ein breites Verständnis für den Nutzen und die Funktionsweise von KI-Technologien zu fördern.

Wenn es konkret darum geht, einen intelligenten ge-setzlichen Rahmen zu schaffen, sollten Politik und Unternehmen darauf achten, auch Wirtschaftsverbän-de, Vertreter von Start-ups, KI-Experten und Gewerk-schaften miteinzubeziehen. Nur so ist eine ausgewo-gene Balance zwischen den Anforderungen von KI-Sys-temen und den Interessen ihrer Nutzer möglich.

Aber auch Unternehmen können viel dazu beitragen, für die Vorteile von KI zu werben und so die gesell-schaftliche Akzeptanz zu verbessern, etwa durch (im besten Falle staatlich geförderte) Demonstrationsla-bore und Modellfabriken. In diesen kann gezeigt wer-den, dass KI-Lösungen gefährliche oder eintönige Arbeiten übernehmen und KI-basierte Entscheidun-gen von Maschinen transparent und nachvollziehbar sind. Außerdem bilden sie eine geeignete Plattform, interessante neue Arbeitsfelder zu präsentieren und deutlich zu machen, wie Prozesse durch die Nutzung von KI beschleunigt und Ausfallzeiten bzw. Fehler minimiert werden. Eine Botschaft ist wichtig: Der Mensch bleibt Träger der wesentlichen Entschei-dungsgewalt im Unternehmen und KI dient dem Men-schen – nicht der Mensch der KI.

Kombination von Stoßrichtung 1 und 2 Technisch-ökonomisches Potenzial und gesellschaft liche Akzeptanz parallel entwickelnAm besten sollten Politik und Unternehmen eine Kombination beider Stoßrichtungen verfolgen, denn sie wirken synergetisch – und führen damit direkt ins „KI-Paradies“. Die gesellschaftliche Akzeptanz von KI wächst, während ihre technische Leistungsfähigkeit zunimmt und die Nutzung durch Standardlösungen bezahlbar wird, sodass mehr und mehr Menschen mit ihr in Kontakt kommen.

14 F. Hartung, J. Schiemann (2013): Precise plant breeding using new genome editing techniques: opportunities, safety and regulation in the EU; The Plant Journal 78, 742–752 doi: 10.1111/tpj.12413

Was jetzt zu tun ist

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Entwicklung der technisch- ökonomischen Möglichkeiten

Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach KI-Lösungen, wenn der gesellschaftliche Rückhalt für KI durch intel-ligente Regulierung zunimmt. In der Folge werden sich immer mehr Firmen für KI interessieren, die Unsicher-heit von Investitionen in KI sinkt und diese werden

insgesamt attraktiver. Der Markt für den Kauf und Ver-kauf von KI-Lösungen wächst, Staat und Unternehmen haben starke Anreize, entsprechend zu investieren, damit sich leistungsfähige und wirtschaftliche KI-Lö-sungen entwickeln und angewendet werden können.

Quelle: Universität des Saarlandes

Langsam Schnell

Akzeptanz/Rückhalt in der Gesellschaft

Hoch

Niedrig

KI-AssistenzNeue KI-Eiszeit

KI-Paradies

Status quo 1

21 2+

Stoßrichtung

1 Technisch-ökonomisches Potenzial entfalten

2 Gesellschaftliche Akzeptanz stärken

K Eiszeit vermeiden, Paradies anstreben Mögliche Szenarien und Strategien

KI-Insellösungen

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6Wissens aufbau, Infra-struktur, gesetzlicher Rahmen: Politik und Unter nehmen müssen (schnell) handeln

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Das Interesse an KI-Anwendungen ist auch im euro-päischen Mittelstand groß und viele Unternehmen haben bereits erste praktische Berührungspunkte mit dem Thema KI. Allerdings schwankt das Ausmaß der Integration von KI-Anwendungen zwischen den ver-schiedenen Stufen der Wertschöpfungskette stark. Arbeiten in Kernbereichen wie der Produktion bereits 35% der Firmen mit selbstlernenden Algorithmen, liegt der Prozentsatz in unterstützenden Wertschöp-fungsbereichen nur bei durchschnittlich 15%. Damit ist der Abstand zum „idealen“ Mittelständler, der in allen Wertschöpfungsbereichen stark von KI geprägt ist, Wertschöpfungsstufen-übergreifend teil- oder vollautomatisierte bzw. integrierte Prozesse hat und bei dem Routinetätigkeiten vollständig von KI über-nommen werden, noch groß.

Auf Unternehmensseite liegen die größten Herausfor-derungen daher jetzt beim gezielten Wissensaufbau und in der Entwicklung einer unternehmenseigenen KI-Strategie. Auch die derzeitige Unsicherheit in Bezug auf gesetzliche Rahmenbedingungen muss schnell be-seitigt werden, wenn die Lücke zwischen Status quo und Idealprofil geschlossen und die Disruptionen in der Wertschöpfung optimal aufgefangen werden sollen.

Werden die Erwartungen an KI enttäuscht, der Know-how-Aufbau als zu kostspielig eingeschätzt und bleibt die Nutzung mit starken ethischen Bedenken verbun-den, wird das Interesse an dieser Technologie schnell abnehmen. Dieses Szenario, das wir die „Neue KI-Eis-zeit“ genannt haben, gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.

Eine optimale Entwicklung des technisch-ökonomi-schen Potenzials von KI-Anwendungen bei gleichzei-tiger Akzeptanz durch Unternehmen und Gesellschaft bringt die Unternehmen dagegen nah ans „KI-Para-dies“. Gelingt dieser doppelte Fortschritt, bieten KI-An-wendungen ungeahnte Produktivitäts- und Wertschöp-fungspotenziale, die der europäische Mittelstand des verarbeitenden Gewerbes dazu nutzen kann, seine Spitzenposition im nationalen und internationalen Wettbewerb zu halten oder sogar auszubauen.

Die größten Heraus­forderungen von Unter ­ nehmen liegen im gezielten Wissen s aufbau und in der Ent wicklung einer KI­Strategie.

Wissensaufbau, Infrastruktur, gesetzlicher Rahmen

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Asset-Effizienz Verhältnis von Umsatz und Sachanla-gevermögen

Autonome Fahrzeuge Fahrzeuge ohne menschlichen Fahrer

Chatbot Programm, das einfache Kommunikations-aufgaben übernimmt

Deep Learning Lernprozess auf Basis vielschichtiger neuronaler Netze

Disruption Starke Veränderung, die bisherige Verfah-ren und Arbeitsweisen verdrängt

Hidden Champion Marktführer ohne hohen Bekannt-heitsgrad, meist Produzent eines Nischenprodukts

Human-Robot-Kooperation Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ohne räumliche Trennung

Informationsextraktion Überführung von ungeordne-ten Daten (z.B. Formularen) in Datenbanken

Intrusion Detection Verfahren, die unbefugtes Ein-dringen in Rechnernetze oder Firmengelände auf-decken sollen

Lock-in-Effekt Kundenbindung durch hohe Wechsel-kosten oder technische Beschränkungen

Machine Learning Sammelbegriff für statistische Ver-fahren, mit denen KI ihr gewünschtes Verhalten er-lernt

Matching-Methoden Paarweise Zuordnung verschie-dener Beobachtungen nach beliebigem Überein-stimmungskriterium

Netzneutralität Verbot von Bevorzugung oder Diskri-minierung bei der Datenübertragung im Internet

Neuronale Netze KI-Architektur, die der Hirnstruktur nachempfunden ist

Predictive Maintenance KI-gestützte Vorhersage von Wartungsbedarf

Prescriptive Maintenance KI-gestützte Planung des optimalen Wartungszeitpunkts

Selbstlernende KI KI, die ganz ohne menschlichen Input lernen kann

Semantische Systeme Systeme, die den Inhalt von Sprache verstehen sollen

Smart Contracts Automatisierte Vertragsabschlüsse, die ihre Bedingungen an die aktuelle Situation an-passen

Sprachverarbeitung Systeme, die mündliche Sprache produzieren oder erfassen

Venture Capital Risikokapital

Wissensmanagement Verwaltung des im Unter-nehmen verfügbaren Wissens (in Form von Daten-banken, Mitarbeiterwissen etc.)

Glossar

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Haftungsausschluss

Diese Studie dient ausschließlich der generellen Orientierung. Der Leser sollte Aktivitäten nicht ausschließ­lich auf Basis der Inhalte dieser Studie anstoßen, insbesondere nicht ohne vorherige professionelle und individuelle Beratung. Die Universität des Saarlandes ist nicht haftbar für Schäden, die aus Handlungen auf Basis dieser Studie entstehen.

Danksagung

Die Universität des Saarlandes und die Autoren danken der Roland Berger Stiftung für europäische Unternehmensführung für die finanzielle Unterstützung der Studie sowie Dr. Torsten Henzelmann und Dr. Christian Krys von Roland Berger für die inhaltliche Begleitung.

Herausgeber

Universität des Saarlandes Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik Campus C3 1 66123 Saarbrücken

Autoren

Prof. Dr. Ashok Kaul Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik Universität des Saarlandes

Dr. Manuel Schieler Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik Universität des Saarlandes

Christian Hans Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik Universität des Saarlandes

© 2019 Universität des Saarlandes. Alle Rechte vorbehalten.

Impressum

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