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University of Zurich Zurich Open Repository and Archive Winterthurerstr. 190 CH-8057 Zurich http://www.zora.uzh.ch Year: 2010 Im Visier der Nationalsozialisten. Versuchte Einflussnahme des Auswärtigen Amtes auf die Schweizer Kulturpolitik während des »Dritten Reichs« Amrein, U Amrein, U. Im Visier der Nationalsozialisten. Versuchte Einflussnahme des Auswärtigen Amtes auf die Schweizer Kulturpolitik während des »Dritten Reichs«. In: Neue Zürcher Zeitung, 10 November 2010, p.49. Postprint available at: http://www.zora.uzh.ch Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich. http://www.zora.uzh.ch Originally published at: Amrein, U. Im Visier der Nationalsozialisten. Versuchte Einflussnahme des Auswärtigen Amtes auf die Schweizer Kulturpolitik während des »Dritten Reichs«. In: Neue Zürcher Zeitung, 10 November 2010, p.49.

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Winterthurerstr. 190

CH-8057 Zurich

http://www.zora.uzh.ch

Year: 2010

Im Visier der Nationalsozialisten. Versuchte Einflussnahme desAuswärtigen Amtes auf die Schweizer Kulturpolitik während des

»Dritten Reichs«

Amrein, U

Amrein, U. Im Visier der Nationalsozialisten. Versuchte Einflussnahme des Auswärtigen Amtes auf die SchweizerKulturpolitik während des »Dritten Reichs«. In: Neue Zürcher Zeitung, 10 November 2010, p.49.Postprint available at:http://www.zora.uzh.ch

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nzz 10.11.10 Nr. 262 Seite 49 fe Teil 01

Im Visier der Natio-nalsozialisten

Versuchte Einflussnahme des Auswärtigen Amtes auf die Schwei-zer Kulturpolitik während des «Dritten Reichs»

Im Bericht über das Auswärtige Amt imDritten Reich wird im Zusammenhang mitder Ausbürgerung von Thomas Mann dieRolle der deutschen Botschaft in Bernbeleuchtet. Über diesen prominenten Fallhinaus gibt es weitere Belege für die Ver-suche einer nazistischen Einflussnahmeauf die Schweizer Kulturpolitik.

Ursula Amrein

« Man ist nicht deutsch, indem man völkisch ist.»Mit diesen Worten distanzierte sich Thomas Mannam 3. Februar 1936 in der « Neuen Zürcher Zei-tung» erstmals öffentlich vom Dritten Reich. Aus-drücklich richtete er sich gegen « diejenigen, dieseit drei Jahren schwanken, ob sie es wagen sollen,mir vor aller Welt mein Deutschtum abzuspre-chen». Über die Folgen war er sich im Klaren. DasAuswärtige Amt und die zuständigen Stellen inBerlin leiteten umgehend das Verfahren zur Ab-erkennung seiner Staatsbürgerschaft ein. Der imDezember erfolgten Ausbürgerung kam ThomasMann mit der Annahme der tschechoslowakischenStaatsbürgerschaft zuvor. Ein Gesuch um Einbür-gerung in der Schweiz war erfolglos geblieben.1938 emigrierte er in die USA.

Mit der jüngst publizierten Studie « Das Aus-wärtige Amt und die Vergangenheit. DeutscheDiplomaten im Dritten Reich und in der Bundes-republik» ist die Ausbürgerung von Thomas Mannerneut in die Schlagzeilen geraten. Bereits vor derVeröffentlichung präsentierten die Autoren einDokument, das auf grosses Medieninteresse stiess.Es datiert vom 6. Mai 1936 und soll erstmals be-legen, dass Ernst von Weizsäcker aktiv in das Aus-bürgerungsverfahren involviert war. Weizsäckerwar von 1933 bis 1936 deutscher Botschafter in derSchweiz, später als Staatssekretär ranghöchsterBeamter im Auswärtigen Amt. In Nürnberg wurdeer zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Die Botschaft als HorchpostenDie genannte Studie belegt eindrücklich die Mit-täterschaft des Auswärtigen Amtes im DrittenReich. Mit dem Hinweis auf die Causa ThomasMann gibt sie Einblick in die Karriere eines Diplo-maten, der bestrebt war, die nationalsozialistischePolitik umzusetzen. In diesem Zusammenhangstellt sich auch die Frage nach dem Einfluss derdeutschen Gesandtschaft auf die Schweiz. Weiz-säckers Zustimmung zur Ausbürgerung besitzteine längere Vorgeschichte und kam keineswegsunerwartet. Sein Schreiben ist Teil jenes Schriftver-kehrs zwischen der Botschaft in Bern und demAuswärtigen Amt in Berlin, der das gezielte Vor-

gehen gegen die « antideutsche Propaganda» in derSchweiz dokumentiert.

Mit Ferdinand Bruckners dokumentarischemDrama « Die Rassen» brachte das SchauspielhausZürich im Herbst 1933 eine kritische Auseinander-setzung mit dem Antisemitismus auf die Bühne.Gleichzeitig gastierte Erika Mann mit ihrem Kaba-rett « Die Pfeffermühle» in der Stadt. Weizsäckerintervenierte bei der Bundesanwaltschaft und demAussendepartement gegen beide Vorstellungen.Ein Verbot aus politischen Gründen war nicht zuerreichen. Auch bei weiteren Aufführungen blie-ben seine Einsprachen erfolglos. Er belieferte dasAuswärtige Amt mit detaillierten Informationenund lobte die rechtsradikale Nationale Front für ihrlautstarkes und brachiales Vorgehen gegen die« Pfeffermühle». 1935 stand Erika Mann wegen der« deutschfeindlichen Tätigkeit» ihres Kabaretts aufder Ausbürgerungsliste.

Anders als seine Tochter vermied ThomasMann jegliches Aufsehen. Vorsorglich jedoch hattedas Auswärtige Amt die Botschaft 1935 über dieangebliche Sympathie des Schriftstellers für denKommunismus informiert. Ein zwingender Anlasszur Ausbürgerung sei indes nicht vorhanden. DieGelegenheit ergab sich überraschend schnell. Edu-ard Korrodi erklärte in der NZZ vom 26. Januar1936 den Nobelpreisträger zum Repräsentantender wahren deutschen Literatur und richtete sichzugleich vehement gegen eine Emigrantenliteraturjüdischer und linker Prägung. Weizsäcker infor-mierte am 29. Januar Berlin und lobte, dass Kor-rodi « für die Emigration sehr harte Worte» finde.Thomas Mann seinerseits opponierte gegen dieLagerbildung, in die er sich durch Korrodi gedrängtsah, und veröffentlichte seine berühmte Stellung-nahme. Auch darauf reagierte die Botschaft undschrieb bereits am 5. Februar an das AuswärtigeAmt, Thomas Mann habe seine bisherige « neu-trale» Haltung aufgegeben und fordere die « deut-schen Behörden dazu heraus, ihm die deutscheStaatszugehörigkeit abzusprechen». Das Amt in-formierte umgehend das Innenministerium, dasam 3. April die Zustimmung zur Ausbürgerung er-bat. Am 6. Mai sprach sich Weizsäcker dafür aus.

Er tat dies mit Bezug auf ein zehnseitigesSchreiben, das mit erschreckender DeutlichkeitEinblick in den Vernichtungswillen der Nazis gibt.Es datiert vom 25. März 1936 und reagierte seiner-seits auf die Berichte des Auswärtigen Amtes. Tho-mas Manns « Beschimpfung und Verächtlichma-chung des Deutschtums» könne « in ihrer stilistischformvollendeten Umkleidung nicht gemeiner ge-dacht werden», heisst es hier. Dass er im Auslandals der « grösste lebende deutsche Dichter» gelte,sei nicht länger zu dulden. Ausserdem verteidige erdie « Emigrantenliteratur und verherrlicht denjüdischen Einfluss in der deutschen Literatur».

Die Ausführungen gipfeln in der Behauptung:« Die wahre Gesinnung dieses jüdischen Schrift-

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stellers ist stets der Bolschewismus und ein damitverbundener tiefer Hass gegen das Neue Deutsch-land gewesen.» Gegen den angeblichen Juden undKommunisten war es ein Leichtes vorzugehen. Mitder Bitte um Zustimmung, Thomas Mann « diedeutsche Reichsangehörigkeit, die er noch immerbesitzt, gemäss § 2 des Gesetzes vom 14. 7. 1933 ab-zuerkennen», schliesst das Schreiben. Absender istdie Preussische Geheime Staatspolizei, Unter-zeichner ist Reinhard Heydrich, Leiter des Sicher-heitsdienstes, zuvor stellvertretender Chef derBayrischen Polizei in München. Bereits 1933 hatteer verfügt, Thomas Mann bei einer Rückkehr nachMünchen unverzüglich nach Dachau zu bringen.

Als Thomas Mann 1937 zusammen mit KonradFalke die Herausgeberschaft der Exilzeitschrift« Mass und Wert» übernahm, wandte sich auchWeizsäckers Nachfolger im August an das Eid-genössische Politische Departement. Dieses solllaut Bericht des Botschafters zugesichert haben,« die Frage einer etwaigen Ausweisung ThomasManns aus der Schweiz zu prüfen». Dass ein Arti-kel des Schweizer Juden Konrad Falke in der« Neuen Zürcher Zeitung» 1933 mit zu einem ers-ten befristeten Verbot des Blattes im Dritten Reichgeführt hatte, wurde besonders betont. Weizsäckerhatte damals festgehalten, mit ihren « gehässigenArtikeln» sei die Zeitung am Verbot selbst schuld.Thomas Mann beschloss im März 1938 die Über-siedlung nach Amerika.

1937 hatte Hitler am Reichsparteitag zur Kultur-politik ausgeführt, diese sei im « Rahmen der Ge-samtpolitik» zu beurteilen und habe « allgemeinpo-litische Ziele zu verfolgen». Vom Auswärtigen Amtentsprechend instruiert, musste das deutsche Kon-sulat in Zürich feststellen, « die deutschsprachigeSchweiz scheint bis jetzt für uns von amtlicher Seiteaus kein besonderes kulturelles Betätigungsfelddargestellt zu haben». Die Förderung kulturellerAustauschbeziehungen sollte nun im Rahmen einer« Heim-ins-Reich»-Politik forciert werden.

Schweizer AnbiederungenDazu gab es viele Vorschläge. Es ging etwa darum,« mit kulturellen Artikeln in die NZZ hineinzu-kommen». Eine Liste mit Internationalen Kon-gressen in der Schweiz sollte dem AuswärtigenAmt helfen, « würdige» Vertreter Deutschlands andie Veranstaltungen zu schicken. Systematisch aus-spioniert wurden die an Schweizer Hochschulenlehrenden Germanisten, dies mit Blick auf dieFrage, ob und wie sie sich für das Dritte Reich ein-spannen liessen. Im Fokus standen auch zahlreichekulturelle Organisationen, darunter die ZürcherKunstgesellschaft und die Gottfried-Keller-Gesell-schaft. Erfolge waren am damaligen Opernhaus zuverzeichnen. Dessen Direktor Karl Schmid-Blossarbeitete mit der Reichstheaterkammer zusam-men, bekam finanzielle Unterstützung bei der Ein-ladung namhafter Musiker aus dem Dritten Reichund verhinderte 1937, dass Thomas Mann auf Ein-ladung des Theatervereins einen Vortrag zu Ri-chard Wagner an seinem Haus halten konnte. ImAuftrag Goebbels bemühte er sich ausserdem umdie Übernahme des verhassten Schauspielhauses.Die Aktivitäten des Direktors waren Gegenstandöffentlicher Debatten, und selbst der Chef der Eid-genössischen Fremdenpolizei, bekannt für seineantisemitische Politik, monierte die « deutsche Pro-paganda» an diesem « Nazi-Theater».

Die Schweiz reagierte zunehmend sensibler aufsolche Übergriffe. Das Zürcher Konsulat berich-tete, aufgrund der « Hetze, die mit angeblichen

politischen und kulturellen EroberungsgelüstenDeutschlands getrieben worden ist», sei « eineAngstpsychose entstanden, für die die Schweizerselbst das Schlagwort geistige Landesverteidigunggeprägt» hätten. Die kulturelle Verbundenheit mitDeutschland gehe verloren, der Schweiz droheeine « Provinzialisierung des Geisteslebens». Eshabe sich die Überzeugung durchgesetzt, « dasswahre deutsche Kultur heute eigentlich nur noch inden Kreisen um Thomas Mann zu finden sei».

Die Erinnerung der Nachkriegszeit hat diesesBild fixiert und damit auch verdeckt, dass die kul-turelle Grenzziehung weit weniger eindeutig ver-lief als nachträglich behauptet. 1933 hatten sichmassgebliche Repräsentanten der schweizerischenBildungselite um Anerkennung im Dritten Reichbemüht und sich instrumentalisieren lassen. So derSchriftstellerverein, der sich aus eigener Initiativebereits 1933 kollektiv in die Reichsschrifttumskam-mer aufnehmen liess, unter Deklarierung derNamen jüdischer Mitglieder. Das Auswärtige Amthatte den Antrag unterstützt. Es ging darum, Loya-litätsbeziehungen aufzubauen und Einfluss auf dieMeinungsbildung in der Schweiz zu nehmen. 1945war davon keine Rede mehr. Jetzt sprach man vom« kulturellen Reduit» und von der Schweiz als Be-wahrerin unverfälschter deutscher Kultur. AlsThomas Mann 1947 anlässlich der InternationalenPEN-Tagung in Zürich erstmals aus Amerika zu-rückkehrte, wurde er triumphal empfangen. 1952nahm er Wohnsitz bei Zürich. Das Schweizer Bür-gerrecht jedoch blieb ihm erneut verwehrt. DieBundesanwaltschaft hielt warnend fest, seine« kryptokommunistische Tätigkeit» sei erwiesen.

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Ursula Amrein ist Professorin für Literaturwissenschaft an der Uni-versität Zürich und Verfasserin der Studien «‹Los von Berlin!›DieLiteratur- und Theaterpolitik der Schweiz im ‹Dritten Reich›» sowie«Phantasma Moderne. Die literarische Schweiz 1880 bis 1950» .