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INHALT Teil 1: » Grundlagen und Indikation Teil 2: » Therapieoptionen Teil 3: » Beratung in der Apotheke Teil 4: » Exemplarische Beratungsgespräche Einleitung Akute unkomplizierte Atemwegsinfektionen wie die klassische Erkältung betreffen zahlreiche Menschen. Während Erwachsene in der Regel ca. zwei- bis dreimal pro Jahr an einer Erkältungskrankheit leiden, können Kinder unter zwei Jahren bis zu achtmal pro Jahr betroffen sein. Dementsprechend sind Atemwegsinfektionen ein häufiges Beratungsthema in der Apotheke, vor allem in den Wintermonaten. Im Rahmen der Beratung ist es wichtig, fundierte Therapieempfehlungen zu geben und darü- ber hinaus zu erkennen, in welchen Fällen ein Arzt zu konsultieren ist. Antibiotika sind bei akuten Atemwegs- infektionen nur in seltenen Fällen indiziert. Hier stehen andere Therapiestrategien im Vordergrund wie zum Beispiel die Phytotherapie oder die symptomatische Behandlung der einzelnen Beschwerden. Diese zertifizierte Fortbildung vermittelt Hintergrundwissen zur Indikation unkomplizierte akute Atemwegs- infektionen und den möglichen Therapieoptionen sowie Beratungswissen für die Praxis. Die Fortbildung ist in drei Teile gegliedert: In Teil 1 werden Anatomie, Physiologie und Indikationen besprochen. Teil 2 befasst sich mit den Therapie- optionen, wobei ein Schwerpunkt auf der Kombination aus Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel liegt. In Teil 3 geht es schließlich um die Beratung in der Apotheke. 1 Unkomplizierte akute Atemwegsinfektionen ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG 3 PUNKTE für Apotheker/PTA Von der Apothekerkammer zertifiziert

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Teil 1: » Grundlagen und Indikation

Teil 2: » Therapieoptionen

Teil 3: » Beratung in der Apotheke

Teil 4: » Exemplarische Beratungsgespräche

EinleitungAkute unkomplizierte Atemwegsinfektionen wie die klassische Erkältung betreffen zahlreiche Menschen. Während Erwachsene in der Regel ca. zwei- bis dreimal pro Jahr an einer Erkältungskrankheit leiden, können Kinder unter zwei Jahren bis zu achtmal pro Jahr betroffen sein.

Dementsprechend sind Atemwegsinfektionen ein häufiges Beratungsthema in der Apotheke, vor allem in den Wintermonaten. Im Rahmen der Beratung ist es wichtig, fundierte Therapieempfehlungen zu geben und darü-ber hinaus zu erkennen, in welchen Fällen ein Arzt zu konsultieren ist. Antibiotika sind bei akuten Atemwegs-infektionen nur in seltenen Fällen indiziert. Hier stehen andere Therapiestrategien im Vordergrund wie zum Beispiel die Phytotherapie oder die symptomatische Behandlung der einzelnen Beschwerden.

Diese zertifizierte Fortbildung vermittelt Hintergrundwissen zur Indikation unkomplizierte akute Atemwegs-infektionen und den möglichen Therapieoptionen sowie Beratungswissen für die Praxis.

Die Fortbildung ist in drei Teile gegliedert: In Teil 1 werden Anatomie, Physiologie und Indikationen besprochen. Teil 2 befasst sich mit den Therapie- optionen, wobei ein Schwerpunkt auf der Kombination aus Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel liegt. In Teil 3 geht es schließlich um die Beratung in der Apotheke.

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Unkomplizierte akute

Atemwegsinfektionen

Z E RT I F I Z I E RT E F O RT B I L D U N G

3 PUNKTEfür Apotheker/PTA

Von der Apothekerkammer

zertifiziert

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Teil 1: » Grundlagen und Indikation

1. Anatomische und physiologische GrundlagenAls Atemwege werden die Teile des menschlichen Körpers bezeichnet, die beim Ein- und Ausatmen von Luft durchströmt werden. Man unterscheidet zwi-schen oberen und unteren Atemwegen (siehe Tab. 1). Die Schleimhaut (Mukosa) der Atemwege ist in der Regel mit einem mehrreihigen hochprismatischen Flimmerepithel versehen. Die Flimmerhärchen (Kino-zilien) schlagen in fast allen Abschnitten in Richtung Rachen und transportieren hierdurch Schleim und die darin aufgenommenen Partikel (z. B. Staub) ab. Für das Feuchthalten der Mukosa sind zahlreiche schleimbildende Becherzellen und seromuköse Drü-sen verantwortlich. [1]

1.1 NaseDie Nase ist sowohl Sinnesorgan (Riechen) als auch ein Atmungsorgan. Darüber hinaus erfüllt sie eine Schutz- funktion (Nasenschleimhaut), ist Reflexorgan (Niesen, Tränen) und an der Klangbildung der Stimme beteiligt. Die beiden Nasenhöhlen (Cavitates nasi) werden unterteilt durch die Nasenscheidewand (Nasensep-tum, Septum nasi), die teils aus Knochen und teils aus Knorpel besteht. Die Oberfläche innerhalb der Nase wird durch je eine obere, mittlere und untere Nasenmuschel vergrößert. Die Nasenmuscheln (Conchae nasales) bilden die Begrenzung für die Nasengänge und sind mit einer Schleimhaut über-zogen. Die Öffnungen nach außen sind die Nasen-löcher, die Öffnungen zum Rachen (innere Nasen-löcher) werden Choanen genannt. Ein Kranz kurzer Haare in den Nasenlöchern schützt davor, dass Fremdkörper in die Atemwege gelangen.

Abb. 1: Atmungsorgane

RiechschleimhautRachen

Luftröhre

Lungen

rechter Hauptbronchus

linker Hauptbronchus

Atemweg

NasenhöhleMundhöhle

Kehlkopf

Abb. 2: Anatomie der Nase

Nasenlöcher RachenmandelÖffnung der Ohrtrompete

Zäpfchen

Nasengang

Weicher Gaumen

Harter Gaumen

obere, mittlere, untere Nasenmuschel

Obere Atemwege UntereAtemwege• Nasen- und Mundhöhle

• Nasennebenhöhlen (Sinus paranasales)

• Nasen-Rachen-Raum (Nasopharynx, Epipharynx)

• Mundabschnitt des Rachens (Oropharynx)

• Kehlkopf (Larynx)

• Luftröhre (Trachea)

• Bronchialbaum: –Hauptbronchien –Lappenbronchien –Segmentbronchien –Bronchiolen / Terminalbronchiolen –Bronchioli respiratorii –Ductuli alveolares –Alveolen

Tab. 1: Unterscheidung obere und untere Atemwege [1]

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Die Nasenschleimhaut besteht aus zwei Schleimhauttypen: der respiratorischen Schleimhaut (Regio respira- toria) und der Riechschleimhaut (Regio olfactoria). Durch erstere wird die Atemluft vorgewärmt, gereinigt und befeuchtet. Das feine Venengeflecht unter der Nasenschleimhaut begünstigt die Erwärmung der Luft. Die kavernösen Räume in der Schleimhaut der Nasenmuscheln, am Nasenseptum und an den Ostien der Nasen-nebenhöhlen regulieren die Schleimhautdicke durch ihre vegetativ gesteuerte, stark variable Füllung mit venösem Blut. Die Füllung der Venen führt zum Anschwellen der Nasenschleimhaut. Ist der Luftweg durch das Anschwellen der Nasenschleimhäute verschlossen, setzt die Mundatmung ein. [1]–[3]

1.2 NasennebenhöhlenDie Nasennebenhöhlen (Sinus paranasales) sind beidseitig angelegt und, wie die Nase, mit respiratorischer Schleimhaut ausgekleidet. Über Öffnungen (Ostien) im mittleren und oberen Nasengang sind sie mit den beiden Nasenhöhlen verbunden. Diese dienen der Ventilation und Drainage der Nebenhöhlen.

Die Form der Nasennebenhöhlen ist individuell und kann bei jedem Menschen anders ausgeprägt sein. Die Kieferhöhlen (Sinus maxillares) sind die größten Nasennebenhöhlen. Sie grenzen unter anderem an die Au-genhöhle und an den harten Gaumen, wodurch sie topografisch nah an den Wurzeln der Backen- und Mahl-zähne sind. Die Ostien der Ausführungsgänge liegen im Falle der Kiefernhöhlen anatomisch ungünstig für eine Spontanentleerung, da sie im oberen Bereich der Nasenhöhlen lokalisiert sind. Die Drainageöff-nung liegt damit nicht am tiefsten Punkt der Höh-le, wie für einen ungehinderten Sekretabfluss bei aufrechter Körperhaltung optimal, sondern weit oben (wie ein „Überlaufventil“). Deshalb sind bei Entzün-dungen der Nasennebenhöhlen häufig die Kiefern-höhlen betroffen.

Zu den Nasennebenhöhlen gehören

• die Stirnbeinhöhle (Sinus frontalis),• die Kiefernhöhlen (Sinus maxillares),• die Siebbeinhöhlen (Sinus ethmoidales)

mit den Siebbeinzellen und• die Keilbeinhöhlen (Sinus sphenoidales).

Die engen topografischen Beziehungen der Nasennebenhöhlen untereinander und zum Schädelinneren be-dingen, dass sich Infektionen – mit dem Risiko einer Hirnbeteiligung – leicht ausbreiten können.

Zu den Funktionen der Nasennebenhöhlen gehören die Vorwärmung, Befeuchtung und Reinigung der Luft. Darüber hinaus wird spekuliert, dass sie dazu dienen, unseren schweren Schädelknochen leichter zu machen und dass sie an der Klangbildung der Stimme beteiligt sind. [1]–[3]

1.3 BronchienDie Bronchien, bestehend aus Hauptbronchien, Lappenbronchien und Segmentbronchien, sind die luftlei-tenden Teile der Lunge, die sich bis hin zu den Lungenbläschen (Alveolen) fortlaufend verzweigen und blind enden. Aufgrund der verzweigten Struktur spricht man auch vom Bronchialbaum. Die Bronchien teilen sich an einer Teilungsstelle (Bifurcatio tracheae) in den linken und rechten Hauptbronchus auf, wobei letzterer weiter

Abb. 3: Nasennebenhöhlen

Stirnbeinhöhle

Keilbeinhöhle

Siebbeinhöhle

Kieferhöhle

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ist und steiler nach unten verläuft. Deshalb gelangen aspirierte Fremdkörper meist in den rechten Haupt-bronchus. Der Hauptbronchus verzweigt sich weiter in die Lappenbronchien: auf der rechten Seite drei an der Zahl, auf der linken Seite zwei. Die Lappenbron-chien gehen schließlich in die Segmentbronchien über (jeweils zehn, links 7. und 8. Segmentbronchus meist verschmolzen). Die Bronchien verzweigen sich immer feiner, bis hin zu den Bronchioli, die weniger als 1 mm Durchmesser aufweisen. Der Gasaustausch findet schließlich in den Alveolen statt, auf deren Höhe die Blutgefäße des kleinen Kreislaufs (Arteria und Vena pulmonalis) ein ausgedehntes Kapillarnetz bilden.

Die Bronchien sind mit respiratorischem Flimmerepithel ausgekleidet, das zahlreiche Becherzellen aufweist. In den stark verzweigten Bronchien sind zudem viele endokrine Zellen im Epithel lokalisiert, die Einfluss auf die Lungendurchblutung und den Spannungszustand der Bronchialmuskulatur haben. [1]

1.4 Die respiratorische Schleimhaut Die respiratorische Schleimhaut überzieht, in mor-phologischen Variationen, die gesamten Atemwege mit ihren Ausbuchtungen und Ausläufern (z. B. Na-sennebenhöhlen, Mittelohrbereich) – mit Ausnahme des Rachens, des Kehldeckels und der Stimmbänder. Das mehrreihige hochprismatische Flimmerepithel ist mit Becherzellen und kleinen Schleimdrüsen aus- gestattet. Diese Zellen produzieren ein wässriges, dünnflüssiges Sekret, das die Schleimhaut wie einen Schutzfilm überzieht, feucht hält und Fremdpartikel (z. B. Staub, Bakterien, Schadstoffe) aufnimmt. Für den Abtransport des Schleims sind die Kinozilien verant- wortlich, die das Sekret durch ihre schlagenden Be-wegungen wie auf einem Transportband rachenwärts transportieren. Es handelt sich um einen hochspe-zialisierten Selbstreinigungsmechanismus, der auch mukoziliäre Clearance (lat. mukus = Schleim, cilia = Flimmerhaar, engl. clearance = Beseitigung) genannt wird. Funktioniert die mukoziliäre Clearance nicht richtig (z. B. durch Entzündung, Rauchen), kommt der sekundäre Reinigungsmechanismus der Lunge zum Tragen: Husten. Die Luftwege befreien sich dann durch einen plötzli-chen Atemstoß von Fremdkörpern oder Schleim. [2] [3]

Abb. 4: Lungen mit Bronchien

Schleimbildende Becherzelle

Schleimbildende Becherzelle

Flimmerhaare (Kinozilien)

Basalmembran

Abb. 5: Mehrreihiges Flimmerepithel

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Exkurs: Kinozilien

Kinozilien, auch Flimmerhaare genannt, sind wimpernartige Zellfortsätze, die rhythmische Bewegungen aus-führen. Die Bewegung setzt sich aus einem schnellen Vorwärtsschlag und einer langsamen Rückholbewe-gung zusammen. Die Flimmerhaare bewegen sich metachron über die Zelloberfläche, das heißt koordiniert und in Wellen (wie ein wogendes Kornfeld). Die Schlagfrequenz beträgt bis zu 25 Schläge pro Sekunde. [2]

Die respiratorische Schleimhaut ist mit verschiedenen Abwehrmechanismen gegen Erreger wie Bakterien und Viren ausgestattet. Man unterscheidet zwei „Verteidigungszonen“:

Sekretdecke und Epithel:

• Mukoziliarapparat: Physikalische Reinigung („Transportband“)

• Unspezifische Schutzfaktoren im Sekret: Lysozyme, Interferone, sekretorische Proteaseinhibitoren, Komplementsystem, sekretorische Glukosidasen, Defensine, Stickstoffmonoxid (NO)

• Spezifische Schutzfaktoren: Immunglobulin A, M und G

Lamina propria:

• Unspezifische Schutzfaktoren und -strukturen: Grundsubstanz und Fibrillen, Mikro- und Makrophagen, Mastzellen, Gefäße, vegetatives Nervensystem, Gewebshormone, Interferone, Proteaseinhibitoren etc.

• Spezifische Schutzfaktoren: Sensibilisierte T- und B-Lymphozyten, eosinophile Granulozyten, Immun- globulin G, M und E

Die respiratorische Schleimhaut ist also durch unterschiedlichste Mechanismen vor Infektionen geschützt. Die optimale Leistung hängt jedoch von vielen Faktoren ab wie pH-Wert, Temperatur, Zustand des Kolloids, Feuchtigkeit, Weite der Nase oder schädigenden Gasen. Zu einer Infektion kann es vor allem dann kommen, wenn das Immunsystem geschwächt (z. B. als Reaktion auf Stress) oder die Funktion der Schleimhaut, zum Beispiel durch trockene Heizungsluft, beeinträchtigt ist. [3]

1.5 Einteilung von AtemwegsinfektionenBei Atemwegsinfektionen werden, wie auch in der Anatomie, obere und untere bzw. tiefe Atemwegsinfektionen unterschieden. Zu den akuten oberen Atemwegsinfektionen gehören beispielsweise Pharyngitis, akute Otitis media, akute Rhinosinusitis und (Pseudo-) Krupp, während akute Bronchitis, Bronchiolitis und Keuchhusten (Pertussis) den unteren Atemwegsinfektionen zugeordnet werden. Die ambulant erworbene Pneumonie wird abseits von dieser Einteilung als Organinfektion betrachtet. [4]

1.6 Erregerspektrum und InfektionDie primären Erreger von akuten Atemwegsinfektionen sind Viren, am häufigsten Rhinoviren, die für über 50 Prozent der Erkältungskrankheiten verantwortlich sind. [5] Die folgenden Viren sind häufig mit Infektionen der Atemwege assoziiert:

• Rhinoviren (> 100 Serotypen) • Coronaviren • RSV = Respiratory Syncytial Virus • Influenza- und Parainfluenzaviren • Adenoviren

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Viren müssen zwingend in die Zelle eindringen, um sich zu vermehren. Um in die Zelle zu gelangen, binden virale Strukturen (aus Nukleokapsid bzw. viraler Membran) an bestimmte Rezeptoren auf der Zelloberfläche.

Beispiel Rhinovirus:

Rhinoviren binden über den ICAM-1-Rezeptor an die zu infizierenden Zellen. Hierdurch gelangt das Virus in die Wirtszelle und kann sich dort vermehren. Einmal eingedrungen, induziert das Virus die Expression der ICAM-1-Rezeptoren und erhöht damit die Infektiosität.

Es handelt sich hierbei um spezifische zwischenmolekulare Interaktionen, was erklärt, warum verschiedene Virenarten nur bestimmte Organsysteme des Menschen befallen. Durch eine virale Infektion der respiratori-schen Schleimhaut wird das Epithel geschädigt, die Anzahl der schleimproduzierenden Becherzellen erhöht und die Zahl an Kinozilien tragenden Zellen vermindert. Dies erhöht, neben anderen Faktoren, das Risiko für eine bakterielle Superinfektion.

Folgende Bakterien können beispielhaft an Atemwegsinfektionen beteiligt sein:

• Pneumokokken • Hämolysierende Streptokokken • Haemophilus influenzae • Staphylococcus aureus • Moraxella spp. • Pseudomonas aeruginosa [5]–[7]

Auf Noxen, wie z. B. die Infektion durch Viren oder Bakterien, reagiert der Körper mit einer Entzündung, die dazu dient, die schädigenden Einflüsse zu bekämpfen oder zumindest zu begrenzen. Hierbei sind vaskuläre und zelluläre Reaktionen sowie unspezifische und spezifische Abwehrreaktionen eng miteinander verknüpft.

Die fünf lokalen Kardinalsymptome einer Entzündung sind:

• Rötung (Rubor) • Schmerz (Dolor) • Schwellung (Tumor) • Gestörte Funktion (Functio laesa) [2] • Überwärmung (Calor)

All diese Symptome zeigen sich bei akuten Atemwegsinfektionen in unterschiedlicher Ausprägung, je nachdem, welche Bereiche der Atemwege betroffen sind.

1.7 ÜbertragungswegDie Erreger von Atemwegsinfektionen werden in der Regel über eine Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Hierbei werden die Erreger, die sich im Rachenraum oder im Atemtrakt befinden, beim Niesen, Husten oder Sprechen durch Speicheltröpf-chen an die Luft befördert und von einem anderen Menschen eingeatmet. Speicheltröpfchen können aber auch an Gegenständen und Oberflächen haften. Wenn eine Person die betroffenen Gegenstände bzw. Fläche mit den Händen anfasst und anschließend die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen berührt, können die Erreger hierdurch ebenfalls in den Körper gelangen. Die Übertragung kann auch direkt über die Schleimhäute erfolgen, zum Beispiel durch einen Kuss. Abb. 6: Eintrittspforten für Erreger

AugenbindehautNasenschleimhautMundschleimhaut

Genitalschleimhäute

BlutbahnUntere Atemwege

Magen-Darm-Trakt

Hautverletzungen/ Wunden

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Man unterscheidet zwei Arten von Tröpfcheninfektion je nach Durchmesser der Tröpfchen:

1. Tröpfchen mit einem Durchmesser > 5 µm sinken in der Luft rasch ab und können deshalb nur bis zu einer Distanz von ca. einem Meter übertragen werden.

2. Tröpfchen mit einem Durchmesser < 5 µm können hingegen lange in der Luft schweben und daher auch größere Distanzen überwinden.

Beispiele für Krankheiten, bei denen die Infektion über größere Entfernung luftgetragen erfolgen kann, sind Windpocken und Masern. Zu den bakteriellen Krankheiten, die über Tröpfcheninfektion übertragen werden, gehören Scharlach und Meningokokken-Infektionen. [8]

1.8 Akute AtemwegsinfektionenAkute unkomplizierte Atemwegsinfektionen betreffen zahlreiche Menschen, Kinder häufiger als Erwachsene. Während Erwachsene in der Regel nur ca. zwei- bis dreimal pro Jahr an einer Erkältungskrankheit leiden, können Kinder unter zwei Jahren bis zu achtmal betroffen sein. [6] Meist sind Erkältungskrankheiten selbst-limitierend und treten vor allem in den Wintermonaten auf. Risikogruppen sind Kinder, ältere, gebrechliche Menschen, chronisch Kranke, Schwangere und Raucher.

1.8.1 Grippaler Infekt / ErkältungEin grippaler Infekt beginnt meist im Nasopharynx, was sich in anfänglichen Symptomen wie Halskratzen bzw. Halsschmerzen und Schnupfen niederschlägt. Ausgehend vom Nasopharynx kann sich die Infektion aus-breiten, zum einen aufsteigend (aszendierend) in die Nasennebenhöhlen (Rhinosinusitis) und zum anderen absteigend (deszendierend), wodurch eine Mandelentzündung (Tonsillitis), Kehlkopfentzündung (Laryngitis) oder eine akute Bronchitis entstehen kann. Die Inkubationszeit beträgt in der Regel ein bis zwei Tage, die Dauer einer Erkältung nicht mehr als zehn Tage, wobei Husten noch länger anhalten kann (bis zu drei Wo-chen). [5][6] Den typischen Verlauf einer Erkältung zeigt Abb. 7.

Abgrenzung zur „echten Grippe“

Die Infektion mit Influenzaviren (A, B) verläuft mit unterschiedlich stark ausgeprägten Symptomen, birgt jedoch die Gefahr von schweren toxischen Verläufen, vor allem bei Risikogruppen wie älteren Menschen und Schwangeren.

Tage1 2 3 4 5 6 7 8 9

Infektion

Halsschmerzen

Schnupfen

Kopf- und Gliederschmerzen

trockener Reizhusten

festsitzender Husten

Inte

nsit

ät

Abb. 7: Typischer Verlauf einer Erkältung

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In der Anfangsphase ähneln die Symptome zwar denen eines unkomplizierten Atemwegsinfekts, es folgt aber oft ein sehr plötzlicher Verlauf mit schweren Symptomen. Die echte Grippe ist an den folgenden Merkmalen zu erkennen:

• Plötzlicher Verlauf mit hohem Fieber über 39 °C• Schüttelfrost• Muskelschmerzen• Schweißausbrüche• Starke Beschwerden (Kopf-, Halsschmerzen, Abgeschlagenheit, Unwohlsein, Husten) [9]

Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts empfiehlt deshalb für folgende Risikogrup-pen die Impfung gegen saisonale Influenzaviren. [10] Als Standardimpfung: • Personen ≥ 60 Jahre

Als Indikationsimpfung:• Schwangere ab dem 2. Trimenon, bei erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens ab

dem 1. Trimenon

• Personen ab 6 Monaten mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung aufgrund eines Grundleidens wie z. B. – chronischen Krankheiten der Atmungsorgane (inklusive Asthma und COPD), – chronischen Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten, – Diabetes mellitus und andere Stoffwechselkrankheiten, – chronischen neurologischen Krankheiten, z. B. Multiple Sklerose mit durch Infektionen getriggerten Schüben, – angeborener oder erworbener Immundefizienz mit T- und/oder B-zellulärer Restfunktion bzw. Immunsuppression, – HIV-Infektionen.

• Bewohner/innen von Alters- oder Pflegeheimen

• Personen, die als mögliche Infektionsquelle im selben Haushalt lebende oder von ihnen betreute Risikoper-sonen gefährden könnten (Risikopersonen = Personen mit Grundkrankheiten, die eine deutlich reduzierte Wirksamkeit der Influenza-Impfung bedingen, z. B. bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz oder Immun- defizienz bzw. -suppression)

Als Impfung aufgrund eines erhöhten beruflichen Risikos:• Personen mit erhöhter Gefährdung, z. B. medizinisches Personal, Personen in Einrichtungen mit umfang-

reichem Publikumsverkehr sowie Personen, die als mögliche Infektionsquelle für von ihnen betreute Risiko-personen fungieren können

• Personen mit erhöhter Gefährdung durch direkten Kontakt zu Geflügel und Wildvögeln

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1.8.2 Akute RhinosinusitisDer Begriff Rhinosinusitis fasst die Begriffe Rhinitis und Sinusitis zusammen. Rhinitis bezeichnet entzündliche Veränderungen der Nasenschleimhaut und Sinusitis die Entzündung der Nasennebenhöhlenschleimhaut. Beide Erkrankungen gehen bei akuten Infektionen häufig fließend ineinander über.

Eine akute Rhinosinusitis (ARS) ist definiert durch einen zeitlichen Verlauf ≤ 12 Wochen. Von einer rezidivie-renden akuten Rhinosinusitis spricht man, wenn die Beschwerden mind. viermal innerhalb von 12 Monaten auftreten und zwischenzeitlich vollständig abklingen. Die Rhinosinusitis wird als chronisch bezeichnet, wenn die Beschwerden länger als 12 Wochen andauern.

Typische Symptome der Rhinosinusitis sind

• Behinderung der Nasenatmung,• anteriore und/oder posteriore Sekretion,• Gesichtsschmerz,• Riechstörung und • fakultativ: Fieber und Kopfschmerzen.

Die Erkrankung beginnt meist mit der Infektion und Entzündung der Nasenschleimhaut, infolge derer es zu einem gestörten Abfluss und zu einer gestörten Ventilation der Nasennebenhöhlen kommt: Die Infektion brei- tet sich auf die Nasennebenhöhlenschleimhaut aus, begünstigt durch die engen topografischen Beziehungen.

Einer ARS liegt in der Regel eine virale Infektion zugrunde, die in ca. 0,5–2 Prozent der Fälle zur Entwicklung einer bakteriellen Rhinosinusitis mit starker entzündlicher Infiltration der Mukosa führt. Sind Bakterien betei- ligt, handelt es sich bei hausärztlichem Klientel in 36–40 Prozent der Fälle um Pneumokokken, in 22–50 Pro-zent um Haemophilus influenzae, in 3–5 Prozent um Staphylococcus aureus, bei 3 Prozent um Streptococcus pyogenes und bei 2 Prozent um Moraxella catarrhalis.

Eine Sonderform der ARS ist die odontogene ARS, eine fortgeleitete Entzündung der Kieferhöhle. Ursachen hierfür können zum Beispiel nicht erkannte Mund-Antrum-Verbindungen, Wurzelreste, Parodontitis oder Zysten sein.

Die akute Rhinosinusitis zeigt eine hohe Spontanheilungsrate: Auch ohne Therapie erfolgt eine vollständige Heilung der Erkrankung bei 60–80 Prozent der Patienten innerhalb von zwei Wochen, bei etwa 90 Prozent der Erkrankten innerhalb von sechs Wochen.

Komplikationen können sich aus den engen anatomischen Beziehungen zu wichtigen Strukturen wie Augen-höhle und Schädelbasis ergeben, wenn die eitrige Entzündung sich dahingehend ausbreitet. Vor allem Kinder sind gefährdet, da ihre Knochenstrukturen noch nicht so gefestigt sind wie bei Erwachsenen. Im hausärztli-chen Bereich geht man von einer Komplikation pro 10.000 ARS-Patienten aus.

Warnzeichen für eine Komplikation sind

• starke Schmerzen,• Gesichtsschwellungen,• anhaltendes Fieber,• Lethargie und / oder• neurologische Symptome. [11]

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1.8.3 Akute HalsschmerzenAkute Halsschmerzen sind definiert als Beschwerden im Rachenraum, die seit maximal 14 Tagen bestehen. Pharyngitis, Rhinopharyngitis und akute Tonsillitis bzw. Tonsillopharyngitis sind klinisch nicht sicher vonei-nander abzugrenzen und werden meist unter dem Begriff Pharyngitis zusammengefasst. Die überwiegende Zahl der akuten Halsinfektionen wird durch Viren, vor allem Rhinovirus, Coronavirus, Adenovirus, verursacht (ca. 50–80 %). In 15–30 Prozent der Fälle sind beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GAS) für die Pharyngitis verantwortlich (GAS-Pharyngitis), in 5–10 Prozent beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppen C oder G.

Folgende Erkrankungen sind mögliche Differentialdiagnosen bei Halsschmerzen:

GAS-Pharyngitis: Pharyngitis mit kulturellem Nachweis von Streptococcus pyogenes (GAS) im Rachenabstrich; Symptome: plötzlich einsetzende Hals-, Kopfschmerzen, Fieber, geröteter Rachen, geschwollene und mit grau-weißlichem Exsudat belegte Tonsillen, Kieferwinkellymphknoten geschwollen und druckschmerzhaft; Erkrankungsgipfel: 5–15 Jahre

Scharlach: Infektion durch GAS-Stamm, der pyrogene Exotoxine bildet; Symptome ähnlich GAS-Pharyngitis, zusätzlich tritt ein Exanthem auf (großflächig-erythematöser Ausschlag, oft ausgehend vom Oberkörper, der sich über Rumpf, Hals und Extremitäten ausbreitet, Mund-Nasen-Dreieck und Hand- und Fußsohlen meist ausgespart), die Haut hat einen sandpapierartigen Charakter (durch Okklusion der Schweißdrüsen); Zunge ist zunächst mit einer hellen Schicht bedeckt, durch die rote Papillen durchscheinen, dann tiefrot (Erdbeerzunge)

Epiglottitis: Cellulitis der Epiglottis und angrenzender Strukturen, Gefahr der plötzlichen, kompletten Atem-wegsverlegung; Symptome: Fieber, Reizbarkeit, Stimm- und Schluckstörungen, Speichelfluss, Atemnot, Stridor und Dyspnoe

Kawasaki-Syndrom: Akute, fieberhafte, selbstlimitierende Vaskulitis unklarer Ätiologie; betrifft Kinder; Symp-tome: hyperämischer Rachen, antibiotikatherapie-resistentes Fieber, gerötete, einreißende Lippen, Himbeer-zunge, zervikale Lymphadenopathie, beidseitige konjunktivale Injektion, Exanthem, Ödeme und Erytheme der Hände und Füße; häufigste Ursache von erworbenen Herzerkrankungen bei Kindern (in den Industrieländern)

Mononukleose: Durch das Epstein-Barr-Virus verursacht; Symptomtrias aus Halsschmerzen, Fieber und Lymph- adenopathie, Lymphknoten am Hals geschwollen, meist auf beiden Seiten und auch im Nacken; bedingt ca. 1–6 Prozent der Pharyngitiden bei jungen Erwachsenen; bei Kindern und älteren Erwachsenen häufig symp- tomlos.

Exkurs: Pseudokrupp

Die Unterscheidung von „echtem Krupp“ (Kehlkopfdiphterie) und falschem Pseudokrupp (virale Laryngitis) wird heute von vielen Ärzten nicht mehr als zeitgemäß angesehen. Vielmehr haben sich Bezeichnungen wie Krupp-Syndrom, akute stenosierende Laryngitis oder einfach Krupp durchgesetzt. Es handelt sich um eine akute Schleimhautschwellung mit vorwiegend subglottischer Lokalisiation, die aber auch Stimmbänder und obere Luftröhre betreffen kann. Der Erkrankungsgipfel liegt bei einem Alter zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Die typische Symptomtrias besteht aus Luftnot, bellendem Husten und Stridor. Lebensbe-drohlich wird die Erkrankung, wenn inspiratorische Dyspnoe, Tachykardie, Agitation, Erstickungsangst, dann Apathie, Zyanose und Blässe auftreten. Dies ist jedoch selten. Die Behandlung erfolgt mit systemischen Glucocoticoiden (Prednisolon 1–2 mg/kg oder Dexamethason 0,15 mg/kg).

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1.8.4 Husten / akute BronchitisHusten ist definiert als plötzlicher Atemstoß nach kurzem Stimmritzenschluss (Flussgeschwindigkeit der ausgeatmeten Luft > 600 km/h!). Er wird ausgelöst durch Reizung der respiratorischen Schleimhaut, z. B. bei Entzündungen, chemischen oder physikalischen Reizen. Zudem können mechanische Veränderungen (Atelek-tase, verminderte Lungencompliance) Husten hervorrufen.

Ausgelöst wird Husten über einen komplexen Reflexbogen, der aus fünf „Stationen“ besteht:

• Hustenrezeptoren (lokalisiert in Larynx, Trachea und Bronchien, Gehörgang, Pleura und Perikard, Ösopha-gus und Magen, Zwerchfell)

• Afferenter Schenkel (Nervus vagus)

• Hustenzentrum im Gehirn (lokalisiert in der Medulla oblongata des Gehirns)

• Efferenter Schenkel (Spinalnerven, Nervus phrenicus, Nervus vagus)

• Effektororgane (Kehlkopf-, Brust- und Bauchmuskulatur)

Es gibt chemisch und mechanisch erregbare Hustenrezeptoren: chemisch z. B. durch Rauch, giftige Gase, pH-Wert und mechanisch durch Berührung oder Druck.

Husten ist zum einen natürlicher Schutzreflex, zum anderen aber auch ein Symptom verschiedener Erkran-kungen. Im Falle einer entzündeten Schleimhaut, wie bei akuten Atemwegsinfektionen, ist die primäre mu-koziliäre Clearance geschädigt, sodass der vermehrt gebildete und zähe Schleim durch Husten (= sekundärer Reinigungsmechanismus) abtransportiert werden muss.

Laut der deutschen DEGAM-Leitlinie wird ein Husten erst ab einer Dauer von acht Wochen als chronisch bewertet. Im Rahmen eines banalen Atemwegsinfekts dauert Husten maximal drei bis vier Wochen. Die Ursa-chen für Husten können sehr unterschiedlich sein, die häufigste Ursache für akuten Husten ist die Virusinfek-tion der Atemwege. [14]

Hustenart Mögliche Ursachenhäufig selten

akuter Husten (< 8 Wochen)

banale Virusinfektionen, akute Sinusitis, Rhino-Laryngo-Tracheobronchitis, Asthma, postinfektiöser Husten, Pneumonie

Pleuritis, Lungenembolie, Pneumothorax, akute Linksherzinsuffizienz, Einatmen von Fremdkörpern (Kinder 1 bis 3 Jahre), Rauchgasvergiftung, Inhalation giftiger Gase, Aspiration

chronischer Husten (> 8 Wochen)

Asthma, COPD, Raucherhusten, Upper airway cough syndrome/Postnatal drip syndrome, unerwünschte Arzneimittel- wirkung (z. B. ACE-Hemmer), gastroöso-phagale Refluxkrankheit

Bronchialtumoren, Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und Pertussis, Bronchiek-tasen, rezidivierende Aspiration, chronisch persistierender Husten (CPH), z. B. bei er-höhter Sensibilität der Hustenrezeptoren

Tab. 2: Mögliche Ursachen für Husten [14]

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Unkomplizierte akute Atemwegsinfektionen

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Akute Bronchitis

Eine akute Bronchitis tritt selten ohne einen einhergehenden Erkältungsinfekt auf. Dementsprechend ist der Übergang von einem banalen Atemwegsinfekt in eine akute Bronchitis fließend. Typische Symptome sind zunächst trockener, dann produktiver Husten, häufig Fieber, Halsschmerzen und Schnupfen. Des Weiteren können auch Zeichen einer bronchialen Obstruktion vorliegen.

CAVE: Die Begleitsymptome Tachypnoe, Tachykardie, hohes Fieber und Nachtschweiß sowie feinblasige Rasselgeräusche (Auskultation) weisen auf eine Pneumonie (Lungenentzündung) hin!

Weitere Differentialdiagnosen bei Husten

Keuchhusten (Pertussis) ist anfangs nur schwer von einer banalen Erkältungskrankheit zu unterscheiden. Typisch ist ein anfallsartiger bellender Husten, ggf. verbunden mit inspiratorischem Stridor und Erbrechen, der über 2–4 Wochen anhält.

Weitere Differentialdiagnosen bei akutem Husten können Allergien, die akute Exazerbation einer COPD, Sinusitis und Influenza sein. [15]

Teil 2: » Therapieoptionen Da unkomplizierte Atemwegsinfektionen in der Mehrzahl der Fälle viral bedingt sind, ist eine Therapie mit Antibiotika in der Regel nicht indiziert. Dennoch entfallen laut einer aktuellen Statistik etwa ein Viertel der Antibiotikaverordnungen auf die Therapie von akuten, oberen Atemwegsinfektionen und 13 Prozent auf die akuten Infekte der unteren Atemwege. [16]

Der uneingeschränkte Einsatz von Antibiotika ist vor allem aufgrund des Risikos von Resistenzentwicklungen kritisch zu sehen. Folgende Faktoren können im humanmedizinischen Bereich zur Entstehung von Resisten-zen beitragen:

• übermäßiger Gebrauch, vor allem zur Behandlung kleinerer oder nicht bakterieller Infektionen

• unsachgemäßer Gebrauch infolge einer Fehldiagnose oder mangels Informationen zu geeigneten Behandlungsalternativen

• unzureichende Anwendung aufgrund fehlenden Zugangs zu Antibiotika

• unzureichende Einhaltung der vorgeschriebenen Behandlung [17]

Da Antibiotikaresistenzen ein dringliches Thema sind – nicht zuletzt, da Antibiotika zu den unverzichtbaren Medikamenten gehören – wurde in Deutschland eine nationale Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) verab-schiedet. Hierzu gehören die genaue Beobachtung von Antibiotikaresistenzen und die Erhebung von Daten zum Antibiotikaeinsatz.

Im Vergleich zu anderen EU/EWR-Ländern ist die Antibiotikaverbrauchsdichte in Deutschland im ambulanten Sektor zwar relativ gering (14,9 DDD pro 1.000 Einwohner im Gegensatz zu einem EU/EWR-Durchschnitt von 21,5 DDD pro 1.000 Einwohner), jedoch werden in Deutschland häufiger Reserve- bzw. Breitspektrum-Antibio-tika verordnet – besonders die Verbrauchsdichte von Cephalosporinen ist gestiegen. [17] [18]

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2.1 Indikationen einer Antibiotikatherapie bei Atemwegsinfektionen Aufgrund der viralen Genese sind Antibiotika bei Atemwegsinfektionen eher selten indiziert, laut Therapie-empfehlungen der AkdÄ in den folgenden Fällen:

Tonsillopharyngitis: Antibiotikatherapie nur bei• gesicherter A-Streptokokken-Angina• Verdacht auf A-Streptokokken-Angina und

– schwerer Erkrankung, Verdacht auf Peritonsillarabszess oder – Scharlach oder – rezidivierender A-Streptokokken-Angina

» Mittel der 1. Wahl: Penicillin V (7–10 Tage)

Akute Otitis media:Antibiotikatherapie nur bei• Säuglingen und/oder initial stark ausgeprägten Krankheitszeichen bzw. beidseitiger oder perforierter Otitis• unzureichender Beschwerdebesserung oder Progression• Vorliegen einer Grunderkrankung» Mittel der 1. Wahl: Amoxicillin (5–7 Tage)

Akute Rhinosinusitis:Antibiotikatherapie nur bei• hoher Wahrscheinlichkeit einer bakteriellen Verursachung*• schwerer Beeinträchtigung oder drohenden Komplikationen*• Verschlechterung der Beschwerden (Tag 5–10) oder Beschwerdepersistenz > 10 Tage» Mittel der 1. Wahl: Amoxicillin (5–7 Tage)

Akute Bronchitis: Keine Indikation für die regelhafte Gabe von Antibiotika

Keuchhusten: Antibiotikatherapie indiziert, wobei durch diese nur die Erreger eliminiert werden und sich meist kein Ein-fluss auf den klinischen Verlauf zeigt.» Mittel der 1. Wahl: Azithromycin (3 Tage) oder Clarithromycin (7 Tage)

Ambulant erworbene Pneumonie: Antibiotikatherapie indiziert, nur leichtgradige Pneumonie kann ambulant behandelt werden.» Mittel der 1. Wahl: Amoxicillin (5–7 Tage)*Eiterstraßen an der Rachenhinterwand und starke Schmerzen (Score > 3/5) und/oder erhöhtes CRP (> 20) und Fieber

Antibiotika sind somit nur in bestimmten Fällen indiziert wie zum Beispiel bei einer Lungenentzündung, Keuch- husten, gesicherten Infektionen durch Bakterien, schwerer Symptomatik oder speziellen Patientengruppen. [19]

Ärzte sollten das Nutzen-Risiko-Verhältnis zum Einsatz von Antibiotika bei Atemwegsinfektionen sorgfältig abwägen, wobei neben der Resistenzproblematik auch die Nebenwirkungen der Antibiotika gegenüber dem Nutzen zu berücksichtigen sind. Zu den unerwünschten Arzneimittelwirkungen von Antibiotika gehören bei-spielsweise Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall, Bauchschmerzen und Übelkeit, allergische Reaktionen der Haut wie Rötungen und Juckreiz und Scheidenpilzinfektionen bei Mädchen und Frauen.

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2.2 Medikamentöse Maßnahmen – chemisch definierte WirkstoffeEs sind zahlreiche Wirkstoffe und Arzneimittel zur Therapie von Erkältungssymptomen im Handel. Die Aus-wahl sollte sich am vorliegenden Beschwerdebild orientieren. Liegen mehrere Symptome gleichzeitig vor, kann ein Kombinationsarzneimittel (z. B. Ibuprofen/Pseudoephedrin) in Betracht gezogen werden. Nicht zu empfehlen sind Kombinationsarzneimittel hingegen, wenn hierdurch nicht vorhandene Symptome mitbe-handelt werden und der Körper somit unnötig mit Arzneistoffen und den entsprechenden Nebenwirkungen belastet wird. Im Folgenden werden zunächst die chemisch definierten Wirkstoffe wie z. B. Ibuprofen oder Xylometazolin, vorgestellt, die im Rahmen von Atemwegsinfektionen eingesetzt werden können.

2.2.1 Analgetika/AntipyretikaDie nicht verschreibungspflichtigen analgetisch und antipyretisch wirksamen Stoffe Paracetamol, Ibuprofen, Acetylsalicylsäure (ASS) und Diclofenac können die Symptome Erkältungsschmerzen und Fieber im Rahmen eines grippalen Infekts lindern. Die nicht steroidalen Antiphlogisitika (NSAR) Ibuprofen, ASS und Diclofenac weisen neben der analgetischen und antipyretischen Wirkung zusätzlich eine antiphlogistische Wirkung auf. Paracetamol wirkt vorwiegend analgetisch und antipyretisch. Unter Therapie mit Ibuprofen konnte im Rahmen einer Studie zusätzlich das Symptom „Niesen“ stärker gelindert werden als unter Placebo. Bei Kin-dern werden Ibuprofen oder Paracetamol in kindgerechten Darreichungsformen eingesetzt. Kinder unter 12 Jahren sollten grundsätzlich nicht mit Analgetika/Antipyretika behandelt werden, es sei denn zur Fiebersen-kung. Diclofenac sollte erst ab 14 Jahren, ASS ab 16 Jahren in Betracht gezogen werden. Die Einnahme von Schmerzmitteln kann dazu verleiten, die Erkältungssymptome zu übergehen, statt sich zu schonen.

Da die Substanzen keineswegs unproblematisch sind, ist unbedingt auf die wirkstoffspezifischen Kontraindi-kationen und Wechselwirkungen zu achten. So dürfen Kinder unter 12 Jahren beispielsweise kein ASS einneh-men, da hier die Gefahr besteht, dass das Reye-Syndrom auftritt. NSAR sind bei Patienten mit Asthma, Ulkus und Leber- oder Niereninsuffizienz kontraindiziert. Diclofenac hat weitere Kontraindikationen bei verschiede-nen kardiovaskulären Erkrankungen (z. B. Herzinsuffizienz). Bei Paracetamol ist strikt auf die korrekte Dosie-rung hinzuweisen, da eine Überdosierung zu schweren Leberschäden führen kann. [7] [11][20]

Merke:

Einnahme von Analgetika nicht länger als an drei aufeinanderfolgenden Tagen und nicht mehr als zehn Tage im Monat!

Symptom Schmerzen Wenn Patienten im Rahmen des grippalen Infekts unter „Erkältungsschmerzen“ leiden, also z. B. Kopf-, Hals-schmerzen, können analgetische Wirkstoffe eingesetzt werden. Diese lindern die Beschwerden je nach Wirk-stoff für mehrere Stunden.

ZUSATZINFO: Lutschtabletten, Gurgellösungen und Rachensprays, die Lokalanästhetika, Antiseptika und/oder Antibiotika enthalten, werden laut DEGAM-Leitlinie Halsschmerzen grundsätzlich nicht empfohlen. Die Begründung hierfür lautet, dass die Antiseptika nur an der Oberfläche wirken, die wesentliche Infektion sich aber in den tieferen Schichten des Gewebes abspielt. Zudem besteht sowohl bei lokalanästhetischen wie z. B. Benzocain, Lidocain als auch bei antiseptischen Wirkstoffen (z. B. Benzalkoniumchlorid, Cetylpyridi-niumchlorid, Chlorhexidin, Cresol) das Risiko für allergische, teils lebensbedrohliche Reaktionen. Überwie-gend liegen keine aussagekräftigen randomisierten klinischen Studien zur Wirksamkeit dieser lokal wirksa-men Halsschmerzmittel vor. Einzig lokal angewendetes Ambroxol zeigte in zwei kontrollierten Studien eine Überlegenheit gegenüber Placebo in Hinblick auf einen Summenscore verschiedener Symptome. [12][13] [20]

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Symptom Fieber Fieber ist eine physiologische Körperfunktion und stimuliert körpereigene Abwehrmechanismen, wie z. B. die Bildung von Interferonen oder bestimmte Funktionen der Leukozyten. Daher muss im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden, ob die Fiebersenkung durch Antipyretika sinnvoll ist oder nicht. In der Regel sollte Fieber nur behandelt werden, wenn die Körpertemperatur 39–39,5 °C (39 °C bei Kindern unter 12 Monaten) über-steigt, der Allgemeinzustand schlecht ist, ein hohes Risiko für das Auftreten von Fieberkrämpfen besteht oder die Person stark dehydratisiert ist. Kleinkinder sind anfälliger für Fieberkrämpfe, die Inzidenz liegt bei Kindern bis sechs Jahren bei 3–5 Prozent. [20]

Ab welcher Temperatur ist es Fieber? Fieber ist im Allgemeinen definiert als eine Körpertemperatur über 38,5 °C bei rektaler Messung. Die Litera-turangaben zu einer weiteren Klassifikation sind unterschiedlich, eine mögliche Einteilung ist die folgende:

• 36,5–37,5 °C = Normaltemperatur • 37,5–38,5 °C = erhöhte Temperatur • ab 38,5 °C = Fieber • > 39,5 °C = hohes Fieber [21]

2.2.2 DekongestivaDekongestiva (alpha-Sympathomimetika) wirken vasokonstriktorisch und führen hierdurch zu einer vorüber-gehenden Abschwellung der Nasenschleimhaut. Deshalb eignen sie sich bei einer Rhinitis bzw. einer akuten Rhinosinusitis (ARS) zur kurzfristigen Linderung der Symptome (Nasenobstruktion, gestörte Ventilation der Nasennebenhöhlen).

Die Sympathomimetika Xylometazolin und Oxymetazolin werden topisch appliziert als Nasenspray oder -tropfen. Da das Konservierungsmittel Benzalkoniumchlorid reizend und schädigend auf die Schleimhaut wir-ken kann, sind konservierungsmittelfreie Formulierungen zu bevorzugen. Systemisch werden unter anderem Pseudoephedrin oder Phenylephrin angewendet. Die systemische Gabe darf bei Patienten unter 12 bzw. über 60 Jahren nicht erfolgen, weitere Kontraindikationen sind Schwangerschaft und eine eingeschränkte Leber- oder Nierenfunktion. Es können Nebenwirkungen wie Tachykardie, Unruhe, Schlaflosigkeit und Hypertonie auftreten.

Wichtig:

Dekongestiva sollten nicht länger als 7–10 Tage verwendet werden, damit das Risiko einer Gewöhnung ausgeschlossen wird. Ist es bereits zu einer Rhinitis medicamentosa gekommen, kann die Entwöhnung nach einem speziellen Stufenschema unter Verwendung eines topischen Kortikoids erfolgen (» Arzt). [7] [11] [20]

2.2.3 Topische GlukokortikoideTopische Glukokortikoide wie Mometason und Beclometason hemmen bei Rhinitis oder Rhinosinusitis die Entzündungsreaktion, verbessern die Nasenatmung und begünstigen dadurch die Heilung. Die Wirksamkeit für diese Indikation wurde nur für Mometason nachgewiesen. Es sind weitere Studien zur Beurteilung des Nutzens erforderlich. [20]

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2.2.4 Antitussiva / ExpektorantienEin akuter Husten im Rahmen eines Infekts oder einer akuten Bronchitis heilt in der Regel auch ohne spezifi-sche medikamentöse Therapie. Um die Symptome zu lindern, können jedoch Expektorantien bzw. Antitussiva gegeben werden.

Laut der DEGAM-Leitlinie Husten sollen Antitussiva nur in Ausnahmefällen angewendet werden. Eine solche Ausnahme betrifft zum Beispiel nicht produktiven und quälenden Reizhusten. Hier kann die Gabe von Antitus-siva die Schlaffähigkeit verbessern. Die chemisch-definierten und nicht verschreibungspflichtigen Antitussiva Dextrometorphan und Pentoxyverin unterdrücken den Hustenreflex infolge einer Hemmung des Hustenzen- trums im Stammhirn. Dextrometorphan, ein Morphin-Derivat, wirkt darüber hinaus als NMDA-Rezeptor-Anta- gonist. Pentoxyverin besitzt zusätzlich eine leicht bronchodilatierende, spasmolytische und anticholinerge Wirkung. Die antitussiven Wirkstoffe sollten in der Regel nicht länger als zwei Wochen eingenommen werden. Kontraindikationen und Wechselwirkungen sind zu beachten.

Expektorantien wie Bromhexin, Ambroxol und Acetylcystein sollen das Abhusten des zähen Schleims erleich-tern, indem sie sekretolytisch (Verflüssigung des Schleims) und sekretomotorisch (Aktivierung des Flimmer- epithels) wirken. Laut DEGAM-Leitlinie Husten werden chemisch-definierte Expektorantien bei akutem Husten im Rahmen eines Infekts aufgrund fehlender aussagekräftiger Studien nicht empfohlen.

Wichtig:

Um einen Sekretstau zu vermeiden, sollten Antitussiva und Expektorantien nicht gleichzeitig angewendet werden bzw. auf einen ausreichenden Einnahmeabstand geachtet werden!

Bei einer akuten Rhinosinusitis ist der Nutzen von chemisch definierten Sekretolytika (Ambroxol, Acetyl- cystein) nicht belegt. [11] [15] [20]

2.3 Medikamentöse Maßnahmen – PhytotherapeutikaPhytotherapeutika haben in der Behandlung akuter unkomplizierter Atemwegsinfektionen – nicht zuletzt aufgrund ihrer hohen Akzeptanz – einen hohen Stellenwert.

Die Bewertung der Wirksamkeit kann sich bei pflanzlichen Arzneimitteln schwierig gestalten: Es existieren zwar in der Regel zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zu den einzelnen Heilpflanzen, jedoch seltener Studien zu den jeweiligen Präparaten. Das Besondere an pflanzlichen Arzneimitteln ist, dass jedes Phytophar- makon einzigartig ist. Die Eigenschaften eines Präparats werden durch Parameter wie den spezifischen Her- stellungsprozess, die Art der Pflanze, das Anbaugebiet und die Erntezeit beeinflusst. Bei Phytopharmaka gibt es somit keine klassischen Generika. Auch erfahrungsmedizinische Aspekte spielen bei pflanzlichen Arznei- mitteln, unabhängig von kontrollierten Studien, eine Rolle, da ihr Einsatz häufig auf eine lange Tradition zurückgeht.

2.3.1 Heilpflanzen bei Infektionen der AtemwegeIn der folgenden Tabelle sind ausgewählte Heilpflanzen dargestellt, die häufig bei Infektionen der Atemwege eingesetzt werden.

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Arzneidroge Typische Inhaltsstoffe

Anwendungsgebiete Hinweise

Andornkraut (lat. Marrubii herba; Marrubium vulgare L., Lamiaceae)

Diterpen-Bitter-stoffe, Flavonoide, Phenylpropan-derivate, Lamia-ceen-Gerbstoffe, ätherische Öle

HMPC: Eingestuft als tra-ditionelles pflanzl. Arznei-mittel* unter anderem zur Anwendung als Husten lö-sendes Mittel (Expektorans) bei erkältungsbedingtem Husten

• Kontraindiziert bei Magen- und Zwölffinger-Darmgeschwüren

• Bei Gallensteinen und -be-schwerden Anw. nur unter ärztlicher Aufsicht

• Keine Daten zur Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit

• Unzureichende Daten zur An- wendung bei Kindern bis 12 Jahren

Efeublätter (lat. Hederae folium; Hedera helix L., Fam. Araliaceae)

Triterpensaponine (hauptsächlich Hederacoside), Flavonoide, Kaffee- säurederivate, Sterole

HMPC: Trockenextrakte (DEV 3-8:1), Dickextrakte (DEV 2,2-2,9:1) und Flüs-sigextrakte (DEV 1:1) med. anerkannt als Expektorans bei produktivem Husten („well-established use“). Zulassung (durch klinische Studien belegt): Zur Linde-rung der Beschwerden bei chronisch-entzündlichen Bronchialerkrankungen, Erkältungskrankheiten der Atemwege

• Kontraindiziert bei Gastritis und Magengeschwüren

• Keine Daten zur Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit

• Kinder bis vier Jahre: Nur unter ärztlicher Aufsicht

Eibischwurzel (lat. Althaeae radix; Althaea officinals L., Malvaceae)

Schleimstoffe HMPC: Eingestuft als tradi- tionelles pflanzl. Arznei-mittel* unter anderem zur Anwendung bei Schleim-hautreizungen im Mund- und Rachenraum und damit verbundenem Reizhusten

• Keine Daten zur Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit

• Kinder bis drei Jahre: Nur unter ärztlicher Aufsicht

Eukalyptusöl (lat. Eucalypti aetheroleum; Eucalyptus globulus Labill., Myrtaceae)

1,8-Cineol HMPC: Eingestuft als tradi- tionelles pflanzl. Arznei-mittel* unter anderem zur Anwendung bei erkältungs-bedingtem Husten

• Keine Daten zur Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

• Anwendung bei Kindern unter vier Jahren nicht empfohlen

• Bei Säuglingen und Kleinkin-dern bis drei Jahren: Risiko eines Glottiskrampfs mit Atem-stillstand

Holunderblüten (lat. Sambuci flos; Sambucus nigra L., Adoxaceae)

Flavonoide, Hydroxy- zimtsäure-Derivate, Triterpene, Schleim-stoffe, äth. Öl

HMPC: Eingestuft als tradi- tionelles pflanzl. Arznei-mittel* zur Linderung der ersten Symptome einer Erkältung

• Keine Daten zur Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit sowie zur Anwendung bei Kindern

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Unkomplizierte akute Atemwegsinfektionen

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Arzneidroge Typische Inhaltsstoffe

Anwendungsgebiete Hinweise

Isländisch Moos (lat. Lichen islandicus; Cetraria islandica (L.) Acharius s.l., Parmeliaceae bzw. Lichenes)

Schleimstoffe, Flechtensäuren

HMPC: Eingestuft als tradi- tionelles pflanzl. Arznei-mittel* zur Anwendung bei Schleimhautreizungen im Mund- und Rachenraum und damit verbundenem trocke-nen Reizhusten

• Keine Daten zur Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

• Anwendung bei Kindern unter sechs Jahren bei Husten: Nur unter ärztlicher Aufsicht

Kamillenblüten (lat. Matricariae flos; Matricaria chamo-milla L., Asteraceae)

äth. Öl mit Sesqui-terpenen (Bisabolol, Bisabololoxide) und En-In-Dicycloethern; außerdem Flavono- ide, Phenolcarbon- säuren, Schleimstoffe

HMPC: Eingestuft als tradi- tionelles pflanzl. Arzneimit-tel* unter anderem zur An-wendung bei einer banalen Erkältung (innerlich)

• Kontraindiziert bei Korbblüt-lerallergien

• Keine Daten zur Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

• Unzureichende Daten zur An- wendung bei Kindern unter 12 Jahren

Kapuzinerkressen-kraut (lat. Tropaeoli herba; Tropaeolum majus L., Tropaeolaceae)

Isothiocyanate (Senf- öle), hauptsächlich Benzylisothiocyanat, außerdem Chloro-gensäure, Vitamin C

HMPC: Keine Monographie

Zulassung (durch klinische Studien belegt): Zur Besse-rung der Beschwerden bei akuten entzündlichen Er-krankungen der Bronchien, Nebenhöhlen und ableiten-den Harnwege

• Keine Daten zur Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

• Unzureichende Daten zur Anwendung bei Kindern unter 12 Jahren

• Kontraindikation bei Magen- oder Darmgeschwüren, Nieren-entzündung

Meerrettichwurzel (lat. Armoraciae radix; Armoracia rusticana, Brassicaceae)

Isothiocyanate (Senf- öle), hauptsächlich Allylisothiocyanat und 2-Phenylethyl- isothiocyanat, außerdem Phenol- carbonsäuren, Cumarine

Lindenblüten (lat. Tiliae flos; Tilia cordata Mill. oder Tilia platyphyllos Scop.; Malvaceae)

Flavonoide, Schleimstoffe, Gerbstoffe, äth. Öl

HMPC: Eingestuft als tradi- tionelles pflanzl. Arznei-mittel* unter anderem zur Anwendung bei Erkältungs-krankheiten

• Keine Daten zur Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

• Unzureichende Daten zur An- wendung bei Kindern unter 4 Jahren

Malvenblätter (lat. Malvae folium; Malva sylvestris L. oder Malva neglecta Wallr., Malvaceae)

Schleimstoffe, Flavonoide

HMPC: Keine Monographie

ESCOP: Anwendung bei trockenem Husten

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Arzneidroge Typische Inhaltsstoffe

Anwendungsgebiete Hinweise

Pelargoniumwurzel (lat. Pelargonii radix; Pelargonium sidoides DC., Gerani-aceae)

Cumarine, Gerbstof-fe, einfache pheno-lische Verbindungen (z. B. Gallussäure)

HMPC: Eingestuft als tradi- tionelles pflanzl. Arzneimit-tel* zur Behandlung einer banalen Erkältung; Zulassung (durch klinische Studien belegt): Zur Behand-lung einer akuten Bronchitis

• Berichte über lebertoxische Effekte

• Keine Daten zur Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

• Keine Anwendung bei Säug-lingen unter einem Jahr

• Behandlung von Kleinkindern unter sechs Jahren nur nach Rücksprache mit einem Arzt

Salbeiblätter (lat. Salviae officina- lis folium; Salvia officinals L, Lamia-ceae)

äth. Öl mit Thujon, 1,8-Cineol und Campher, Diterpen- phenole, Lamiaceen- Gerbstoffe, Flavono- ide

HMPC: Eingestuft als tradi- tionelles pflanzl. Arznei-mittel* unter anderem zur symptomatischen Behand-lung von Entzündungen im Mund- und Rachenbereich (äußerlich)

• Keine Daten zur Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

• Unzureichende Daten zur Anwendung bei Kindern und Jugendlichen

Thymiankraut (lat. Thymi herba; Thymus vulgaris L., Lamiaceae)

äth. Öl (Thymol, p-Cymen, γ-Terpinen und andere Mo-noterpene), Lami-aceen-Gerbstoffe, Flavonoide

HMPC: Eingestuft als tradi- tionelles pflanzl. Arzneimit-tel* innerlich als schleimlö-sendes Mittel (Expektorans) bei erkältungsbedingtem Husten; Thymianöl äußerlich (Einreibungen, Bäder) zur Linderung von Erkältungs-symptomen

• Bei Säuglingen und Kleinkin-dern bis drei Jahren: Risiko eines Glottiskrampfs mit Atem-stillstand

• Keine Daten zur Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

• Anwendung bei Kindern unter vier Jahren nicht empfohlen

• Thymianöl nicht auf Schleim-häute oder verletzte Haut und nicht im Bereich der Augen aufbringen

HMPC = Herbal Medicinal Product Committee (HMPC); auf europäischer Ebene verantwortlich für die Beurteilung der Zulassung pflanzlicher Arzneimittel; Einordnung einer pflanzlichen Droge in die Kategorien „well-established use“ (= anerkannte medizinische Wirkung und akzeptierte Unbedenklichkeit) und „traditional use“ („traditionelles pflanzliches Arzneimittel“); ESCOP = European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP)*eingesetzt aufgrund langjähriger Erfahrung, traditionelles Arzneimittel nach § 39a Arzneimittelgesetz

Tab. 3: Übersicht von Heilpflanzen, die bei Atemwegsinfektionen eingesetzt werden [22]

Für einige pflanzliche Präparate konnte die Wirksamkeit und Verträglichkeit bei unkomplizierten Atemwegs-infektionen in placebokontrollierten, randomisierten, klinischen Studien belegt werden. Bei akuter Rhinosinu-sitis erwiesen sich demnach z. B. die folgenden Phytotherapeutika als wirksam:

• Präparat mit Extrakten aus Ampfer, gelbem Enzian, Holunder, Eisenkraut, Schlüsselblume

• Eukalyptus-Extrakte (Cineol, Myrtol)

• Extrakte aus der Pelargoniumwurzel (Pelargonium sidoides) » Off-Label (Zulassung nur zur Behandlung der akuten Bronchitis) [11]

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Bei Husten bzw. akuter Bronchitis zeigten die folgenden pflanzlichen Inhaltsstoffe bzw. Pflanzenpräparate eine signifikante Wirkung im Rahmen von randomisierten, kontrollierten Studien:

• Myrtol (Mischdestillat aus rektifiziertem Eukalyptusöl, rektifiziertem Süßorangenöl, rektifiziertem Myrtenöl und rektifiziertem Zitronenöl)

• Präparat mit Extrakten aus Thymian und Efeu

• Präparat mit Extrakten aus Thymian und Primelwurzel

• Extrakte aus der Pelargoniumwurzel (Pelargonium sidoides) [15]

Ebenfalls umfassend untersucht ist ein pflanzliches Arzneimittel mit einer Kombination aus Kapuzinerkres-senkraut und Meerrettichwurzel, das zur Besserung der Beschwerden bei akuten entzündlichen Erkrankungen der Bronchien, Nebenhöhlen und der ableitenden Harnwege indiziert ist. Die Pflanzenkombination wirkt anti- bakteriell, antiviral und antientzündlich und ist geeignet zur Akuttherapie, begleitend zu einer Antibiotika- therapie oder bei rezidivierenden Infektionen. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf die Studienlage zum Einsatz bei Atemwegsinfektionen.

2.3.2 Isothiocyanate = pflanzliche AntiinfektivaDie Arzneidrogen Kapuzinerkressenkraut (Tropaeoli majoris herba) und Meerrettichwurzel (Armoraciae rusti- canae radix) enthalten Isothiocyanate (Senföle) als wirksamkeitsbestimmende Bestandteile (siehe Tab. 4). Iso- thiocyanate entstehen durch die Hydrolyse ihrer Vorstufen, den Glucosinolaten, die als sekundäre Pflanzen-stoffe in der intakten Pflanze enthalten sind. Erst wenn die Pflanze verletzt wird, treten das pflanzliche Enzym Myrosinase und das Substrat (Glucosinolat) in Kontakt, wodurch die wirksamen Isothiocyanate entstehen. [23] [24]

Studien belegen, dass Isothiocyanate sowohl bakteriostatisch als auch bakterizid wirken. Die bakteriosta-tische Wirkung beruht unter anderem auf einer Reaktion mit Sulfhydrylgruppen von Enzymen, die für den Zellstoffwechsel der Bakterien relevant sind. Auch Virenstoffwechsel und -synthese werden durch das in Kapuzinerkressenkraut enthaltene Benzylisothiocyanat beeinträchtigt. In vitro wurde für Benzylisothiocya-nat zusätzlich eine antimykotische Wirkung gezeigt, die ebenfalls auf der Reaktion von Isothiocyanaten mit Sulfhydrylgruppen bestimmter Proteine beruht. Resistenzentwicklungen gegenüber Isothiocyanaten sind nicht bekannt und aufgrund des multimodalen Wirkmechanismus der Isothiocyanate wird Bakterien die Ent-wicklung möglicher Resistenzmechanismen gegen Senföle deutlich erschwert. [25]–[29]

Arzneidroge Glucosinolate Biologisch aktive Isothiocynate

Kapuzinerkressenkraut (lat. Tropaeolum majus L.)

Glucotropaeolin (Hauptbestandteil: ≥ 90 %)

• Benzylisothiocyanat (Benzylsenföl: ≥ 90 %)

Meerrettichwurzel (lat. Armoracia rusticana)

Sinigrin • Allylisothiocyanat (Allylsenföl: ≥ 85 %)

Gluconasturtiin • 2-Phenylethylisothiocyanat (2-Phenylethylsenföl: ca. 15 %)

Tab. 4: Glucosinolate und aktive Isothiocyanate, die in Meerrettichwurzel und Kapuzinerkressenkraut enthalten sind [22]

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Unkomplizierte akute Atemwegsinfektionen

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Die in Kapuzinerkresse und Meerrettich enthaltenen Isothiocyanate üben darüber hinaus einen hemmenden Effekt auf das bakterielle Kommunikationssystem Quorum Sensing (QS) aus, das für die bakterielle Biofilmbil-dung relevant ist. [30]–[32]

Die antiinflammatorische Wirkung wird auf die duale Hemmung des 5-LOX- und COX-Signalpfades zurückge-führt, wohingegen keine Wirkung auf COX-1 beobachtet werden konnte. In vitro wurde eine selektive Hem-mung der LPS-induzierten COX-2-Expression in humanen Lymphozyten durch Isothiocyanate sowohl einzeln als auch in Kombination beobachtet. Hierdurch wird die Freisetzung von Entzündungsmediatoren, wie z. B. Prostaglandin E2, unterdrückt. Die Hemmung des 5-LOX-Signalwegs führt wiederum zu einer Blockade der Synthese von Leukotrien B4. Damit zeigen Isothiocyanate ein deutliches Hemmpotential auf die Entzün-dungsantwort. Studien deuten aber auch darauf hin, dass neben den Isothiocyanaten andere Wirkstoffe aus Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel ebenfalls antiinflammatorisch wirken. [33]–[39]

Isothiocyanate sind fettlöslich und werden im oberen Dünndarm schnell und vollständig resorbiert. Aufgrund dessen wird die körpereigene Darmflora durch die Isothiocyanate faktisch nicht beeinträchtigt. Die Senföle liegen, nach ihrer Resorption, gebunden an Erythrozyten und Serumproteinen vor und erreichen nach der Metabolisierung in der Leber die Wirkorte (Lunge, Niere bzw. ableitende Harnwege) in Form von Mercaptur-säure-Derivaten in therapeutisch wirksamen Konzentrationen. [23] [24]

2.3.2.1 Antibakterielle WirksamkeitIsothiocyanate zeigen ein breites antimikrobielles Spektrum. Im Rahmen einer experimentellen Untersuchung der Universität Freiburg konnte eine ausgeprägte antimikrobielle Wirksamkeit der untersuchten Isothiocyana-te (Mischung aus Benzylisothiocyanat, Allylisothiocynat und 2-Phenylethylisotiocyanat) gegenüber dreizehn klinisch relevanten Erregern von Atemwegs- und Harnwegsinfektionen festgestellt werden. Dazu zählten auch multiresistente Keime wie Klebsiella pneumoniae, EBSL-bildende Spezies und MRSA. [29]

Bei Atemwegsinfektionen ist die ausgeprägte Wirkung gegenüber den folgenden klinisch relevanten Keimen besonders relevant:

• Haemophilus influenzae • Moraxella catarrhalis • Streptococcus pneumoniae • Streptococcus pyogenes • Pseudomonas aeruginosa

Die Untersuchungen zeigten zudem, dass aus der Kombination der beiden Arzneidrogen im Vergleich mit den einzelnen Komponenten ein erweitertes Wirkspektrum resultiert. [25]–[29]

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Spezies n MHK90 MBK90

% (v/v) mg/ml % (v/v) mg/ml

Gram-positiv

Staphylococcus aureus (MSSA) 49 0,004 0,04 0,5 5,42

-S. aureus, Methicillin-resistent (MRSA) 48 0,004 0,04 0,5 5,42

Streptococcus pyogenes 48 0,008 0,09 0,25 2,71

Streptococcus pneumoniae 48 0,008 0,09 0,03 0,32

-Streptococcus pneumoniae, Penicillin-resistent, Makrolid-resistent oder intermediär resistent

31 0,015 0,16 0,03 0,32

Enterococcus faecalis 48 0,015 0,16 ≥ 1 ≥ 10,81

Enterococcus faecium 45 0,015 0,16 ≥ 1 ≥ 10,81

-Enterococcus faecium, Vancomycin-resistent (VRE) 50 0,015 0,16 ≥ 1 ≥ 10,81

viridans Streptococci 48 0,03 0,32 1 10,81

Gram-negativ

Klebsiella pneumoniae 69 0,125 1,35 0,125 1,35

-Klebsiella pneumoniae, ESBL1-produzierend 49 0,125 1,35 0,125 1,35

Escherichia coli 54 0,015 0,16 0,25 2,71

-Escherichia coli, ESBL1-produzierend 49 0,015 0,16 0,125 1,35

-Escherichia coli, Ciprofloxacin-resistent 53 0,3 0,32 0,25 2,71

Pseudomonas aeruginosa 87 0,3 0,32 0,06 0,65

-Pseudomonas aeruginosa, Imipenem-, Ceftazidim-resistent oder multiresistent2

50 0,3 0,32 0,06 0,65

Proteus vulgaris 48 0,004 0,04 0,015 0,16

Serratia marcescens 47 0,004 0,04 0,004 0,04

Moraxella catarrhalis3 46 0,002 0,02 0,004 0,04

Haemophilus influenzae 48 ≤ 0,0005 ≤ 0,005 ≤ 0,0005 ≤ 0,005

Hefen

Candida spp. 43 0,004 0,04 0,004 0,04MHK90 = Minimale Hemmkonzentration für 90 % der getesteten Stämme, MBK90 = Minimale bakterizide Konzentration für 90 % der getesteten Stämme1 ESBL = extended spectrum beta-lactamase2 Resistenz gegenüber ≥ zwei der folgenden Antibiotika: Ceftazidim, Ciprofloxacin, Gentamicin, Imipenem, Piperacillin 3 Pluronic® F127 wurde verwendet, um die Isothiocyanate zu lösen

Tab. 5: In-vitro-Wirksamkeit einer Mischung aus Isothiocyanaten gegenüber klinisch relevanten Bakterien [29]

In Untersuchungen zu bakteriellen Biofilmen stellte sich zudem heraus, dass die Schwefelverbindungen Benzylisothiocyanat, Allylisothiocyanat und Phenylethylisothiocyanat das bakterielle Kommunikationssystem Quorum sensing (QS) und dadurch die Bildung von Biofilmen bzw. die metabolische Aktivität innerhalb eines reifen Biofilms hemmen. Die Isothiocyanate hemmen unter anderem die Bildung von N-Acyl-Homoserin-Lac-ton, einem Signalmolekül der interbakteriellen Kommunikation. Es war zudem ein direkter inhibitorischer Effekt auf das Bakterienwachstum innerhalb der Biofilme zu beobachten. [30]–[32]

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Unkomplizierte akute Atemwegsinfektionen

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In einer aktuellen Studie fanden die Forscher heraus, dass die Isothiocyanate sowohl die Entwicklung als auch die metabolische Aktivität in reifen Biofilmen von Pseudomonas aeruginosa inhibierten. Pseudomonas aeruginosa bereitet als einer der häufigsten Erreger nosokomialer Infektionen der Atemwege und ableiten-den Harnwege zunehmend Probleme im klinischen Bereich. Es zeigten sich synergistische Effekte, wenn die Isothiocyanate aus Kapuzinerkresse und Meerrettich kombiniert wurden. [32]

Biofilme stellen ein Problem dar, wenn eine Infektion chronisch ist oder Fremdmaterialien, wie z. B. Katheter, in den Körper eingebracht werden. In Biofilmen können die organisierten Erreger nur schwer durch Antibiotika eradikiert werden, da die Bakterien sich durch die Matrix, die Bedingungen innerhalb der Matrix (pH-Wert etc.), Resistenzgene und Persister (metabolisch inaktive Zellen) schützen. [40]

2.3.2.2 Antivirale WirksamkeitIn Hinblick auf Erkältungskrankheiten und unkomplizierte Atemwegsinfektionen besonders relevant: die anti-virale Wirkung der Isothiocyanate. In einer aktuellen Untersuchung der Universität Gießen konnten Forscher die Vermehrung von Influenzaviren des Typs H1N1 in Kulturen von menschlichen Lungenepithelzellen durch die kombinierte Gabe der Isothiocyanate aus Kapuzinerkresse und Meerrettich zu fast 100 Prozent hemmen. Dies übersteigt die Wirksamkeit der einzelnen Isothiocyanate, die ebenfalls hinsichtlich ihrer antiviralen Ak-tivität untersucht wurden, um das 105-fache. Die antivirale Wirkung des Senföls aus Kapuzinerkresse wurde bereits im Jahr 1956 entdeckt. [41]–[43]

2.3.2.3 Antiinflammatorische WirksamkeitVerschiedene Studien belegen die antiinflammatorische Wirkung der in Kapuzinerkressenkraut und Meerret-tichwurzel enthaltenen Isothiocyanate und weiterer Inhaltsstoffe. [33]–[39] Dies ist bei akuten Infektionen von Vorteil, da neben der antibakteriellen und antiviralen Wirkung auch die Entzündungsreaktion – und damit die durch die Entzündung hervorgerufenen Symptome – gedämpft werden.

In den Studien zur antiinflammatorischen Wirkung der Pflanzenextrakte erzielten die Forscher unter anderem folgende Resultate:

1: Zellen adhärieren an einer Oberfläche; 2: Zellen verlieren ihre Mobilität und produzieren extrazelluläre polymere Substanzen (EPS). Schaffung hoher Zelldichten, Austausch von Informationen (Quorum sensing). 3–4: Der Biofilm reift mit Vermehrung der Biomasse, mehrere Schichten entstehen, weitere Subpopulationen können sich ansiedeln; 5: Zellen können aus dem Biofilm zur Kolonisierung anderer Habitate entweichen.

Abb. 8: Entstehung von Biofilmen

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Unkomplizierte akute Atemwegsinfektionen

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• Benzylisothiocyanat unterdrückte in vitro die Entzündungsreaktion, indem der Pflanzenstoff die Bildung proinflammatorischer Mediatoren über den Lipoxygenase- (LOX) und den Cyclooxygenase (COX)-Signal-weg inhibierte. Das Isothiocyanat inhibierte selektiv die COX-2-Expression. [39]

• Im Lipopolycaccharid (LPS)-induzierten Entzündungsmodell an humanen peripheren mononukleären Immunzellen zeigte ein wässriger Extrakt aus Kapuzinerkresse regulatorische Wirkungen auf die Arachi-donsäurekaskade und bewirkte dosisabhängig eine verminderte Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Prostaglandin E2. [35]

• Ein wässriger Extrakt aus Meerrettichwurzel lieferte ähnlich positive Ergebnisse: Es zeigte sich ein kon-zentrationsabhängiger Hemmeffekt auf die LPS-induzierte Entzündungsantwort durch Hemmung der COX2-Expression und der daraus folgenden blockierten Synthese von PGE2 und Leukotrien B4. [34]

Die antientzündlich wirksamen Inhaltstoffe aus Kapuzinerkresse und Meerrettich wirken vermutlich über die MAPK (Mitogen aktivierte Proteinkinase) auf die LOX- und COX-Signalwege ein.

2.3.2.4 Klinische Studien im Bereich AtemwegsinfektionenIsothiocyanate haben sich bereits seit Jahrzehnten in der Therapie von Atemwegsinfektionen bewährt. Zahl-reiche Studien untermauern die klinische Effizienz und Verträglichkeit der Phytokombination aus Kapuziner-kressenkraut und Meerrettichwurzel.

So zeigte eine prospektive Kohortenstudie, dass das Fertigarzneimittel mit der Kombination aus Kapuziner-kressenkraut und Meerrettichwurzel der Therapie mit einem Standardantibiotikum nach Auswahl des Arztes – bei signifikant besserer Verträglichkeit (UAW in der Prüfgruppe 1,5 % vs. Kontrollgruppe 6,8 %) – nicht unter-legen war. Eingeschlossen waren insgesamt 1.649 Patienten ab vier Jahren, die an Infektionen der Atemwege oder Harnwege litten (Prüfgruppe n = 1223, Kontrollgruppe n = 426):

• Der Beschwerdescore reduzierte sich bei 536 Patienten mit akuter Sinusitis unter Therapie mit der Phyto-kombination um 81,3 Prozent versus 84,6 Prozent in der Antibiotikagruppe.

• Bei 634 Patienten mit akuter Bronchitis reduzierte sich die Symptomatik bei Einnahme des pflanzlichen Arzneimittels um 78,3 Prozent versus 80,3 Prozent unter Therapie mit einem Antibiotikum. [44]

Abb. 9: Reduktion des Beschwerdescores bei akuter Sinusitis

100-

80-

60-

40-

20-

0-

Mitt

lere

pro

zent

ualle

Red

uktio

n de

s

Besc

hwer

desc

ores

bei

aku

ter S

inus

itis

(%)

Prüfgruppe

81,3 84,6

Kontrollgruppe

Abb. 10: Reduktion des Beschwerdescores bei akuter Bronchitis

100-

80-

60-

40-

20-

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Mitt

lere

pro

zent

ualle

Red

uktio

n de

s

Besc

hwer

desc

ores

bei

aku

ter B

ronc

hitis

(%)

Prüfgruppe

78,3 80,3

Kontrollgruppe

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Eine weitere prospektive Kohortenstudie konzentrierte sich auf die Behandlung von Kindern und Jugendli-chen zwischen vier und 18 Jahren mit Infektionen der Atemwege (Sinusitis, Bronchitis) oder der Harnwege. [45] Untersucht wurden insgesamt 858 Kinder und Jugendliche (Prüfgruppe n = 523, Kontrollgruppe n = 335), die entweder die Phytokombination oder ein Standardantibiotikum nach Auswahl des Arztes erhielten. Auch hier zeigte sich das pflanzliche Arzneimittel hinsichtlich der Wirksamkeit vergleichbar mit dem Standardanti-biotikum, wobei die Phytokombination wieder deutlich besser verträglich war (UAW in der Prüfgruppe 0,6 % vs. Kontrollgruppe 3,9 %).

Eine placebokontrollierte Doppelblindstudie zeigte darüber hinaus, dass das pflanzliche Arzneimittel mit Ka-puzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel außerdem die Infekthäufigkeit reduzieren kann. [46] Untersucht wurden 351 Probanden während der Erkältungssaison mit mindestens zwei akuten Atemwegsinfektionen in der vorangegangenen Erkältungssaison über einen Zeitraum von zwölf Wochen. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen randomisiert:

• Gruppe 1 (n = 117) erhielt 3 x 2 Tabletten Verum pro Tag • Gruppe 2 (n = 117) erhielt 2 x 2 Tabletten Verum und 1 x 2 Tabletten Placebo pro Tag • Gruppe 3 (n = 117) erhielt 3 x 2 Tabletten Placebo pro Tag

Die Phytokombination minderte die Rezidivrate signi-fikant um 48 Prozent (p = 0,0171) und zeigte hinsicht-lich der Häufigkeit von Erkältungsperioden während der zwölfwöchigen Einnahme einen Vorteil gegenüber Placebo.

Abb. 11: Reduktion des Beschwerdescores bei akuter Sinusitis, Kinder und Jugendliche

100-

80-

60-

40-

20-

0-

Mitt

lere

pro

zent

ualle

Red

uktio

n de

s

Besc

hwer

desc

ores

bei

aku

ter S

inus

itis

(%)

Prüfgruppe

84,8 85,5

Kontrollgruppe

Abb. 12: Reduktion des Beschwerdescores bei akuter Bronchitis, Kinder und Jugendliche

100-

80-

60-

40-

20-

0-

Mitt

lere

pro

zent

ualle

Red

uktio

n de

s

Besc

hwer

desc

ores

bei

aku

ter B

ronc

hitis

(%)

Prüfgruppe

82,177,7

Kontrollgruppe

Abb. 13: Anteil der Patienten mit Erkältung in 12 Wochen

[%]30-

25-

20-

15-

10-

5-

0-Verum 3 x 2

(n = 113)

13,3 %

18,4 %

Verum 2 x 2 (n = 114)

25,6 %

Placebo (n = 117)

-48 % -28 %

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Teil 3: » Beratung in der Apotheke

Im Beratungsgespräch sollten insbesondere die einzelnen Symptome der Erkältungskrankheit erfragt werden, um ein passendes bzw. die passenden Arzneimittel auszuwählen. Natürlich sind, wie bei jeder anderen Indika- tion auch, die Grenzen der Selbstmedikation und die möglichen Differentialdiagnosen zu beachten, um schwere Verläufe möglichst zu verhindern oder frühzeitig behandeln zu lassen. Im Folgenden werden Fragen, Hinweise und weitere Tipps für das Beratungsgespräch zusammengefasst.

3.1 Wichtige Fragen an Patienten mit Erkältungskrankheiten:

• Für wen sind die Arzneimittel? Schwangerschaft/Stillzeit? Säuglinge/Kleinkinder?• Welche Beschwerden liegen vor?• Seit wann bestehen die Beschwerden?• Wann treten die Beschwerden auf?• Was wurde bereits unternommen?• Welche Grunderkrankungen liegen vor?• Welche Arzneimittel werden regelmäßig eingenommen bzw. angewendet? [47]

Holt eine andere als die erkrankte Person die Medikamente aus der Apotheke, sind Differentialdiagnosen wie die echte Grippe zu bedenken, da es sein kann, dass die erkrankte Person zu starke Beschwerden hat, um die Apotheke selbst aufzusuchen.

Merke:

Indikatoren für eine echte Grippe sind plötzlicher Beginn, hohes Fieber über 39 °C, Schüttelfrost, Muskel-schmerzen, Schweißausbrüche, starke Beschwerden (Kopf-, Halsschmerzen, Abgeschlagenheit, Unwohlsein, Husten).

Darüber hinaus sind auch andere mögliche Ursachen für eine Erkältungssymptomatik (Husten, Schnupfen, Halsschmerzen) im Hinterkopf zu behalten wie z. B. Allergien, Schilddrüsenerkrankungen, Asthma, COPD, Refluxösophagitis und nicht zuletzt auch unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln (z. B. Husten bei ACE-Hemmern) oder Missbrauch von Arzneimitteln wie z. B. Nasenspray-Abusus.

3.2 Grenzen der Selbstmedikation bei Erkältung

• Dauer > 10 Tage (Anmerkung: Husten kann bis zu drei Wochen persistieren, hier gilt: Dauer > 3 Wochen als Grenze)

• Fieber > 38 °C über 48 Stunden• Ohrenschmerzen• Starke Kopf- und Gliederschmerzen• Schmerzen beim Atemholen oder Husten• Atemnot• Eitriger Auswurf• Ausbleibende Besserung innerhalb einer Woche• Verschlimmerung der Beschwerden [21]

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Risikogruppen sind ältere, gebrechliche Menschen, chronisch Kranke, Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder sowie Raucher.

Es sollte ein Arzt zurate gezogen werden, wenn Halsschmerzen als Hauptsymptom vorliegen, die Mandeln vergrößert oder eitrig sind oder möglicherweise eine Tonsillitis (Angina) vorliegt, die regionären Lymphkno-ten geschwollen und druckschmerzhaft sind, ein Pilzbefall (Soor) vermutet wird oder die Halsschmerzen eine andere Ursache als die Erkältung haben (Verletzung, Verbrühung, Verätzung).

Wird eine akute Sinusitis vermutet (mit Gesichtsschmerzen, Kopfschmerz, Verschlimmerung beim Vornüber-beugen), sollte ebenfalls sicherheitshalber ein Arzt die Diagnose stellen.

3.3 Nichtmedikamentöse MaßnahmenNeben der Beratung und Empfehlung von Medikamenten können auch die folgenden nichtmedikamentösen Maßnahmen eine Linderung der Erkältungssymptome verschaffen:

• Eine ausreichende Trinkmenge (ca. 1,5–2 Liter/Tag)

• Isotone, salinische Nasenspülungen » bei akuter Rhinosinusitis empfehlenswert. Studien deuten auf vorhandene, wenn auch begrenzte Wirksamkeit hin.

• Lokale Wärme/heiße Dämpfe inhalieren (20 Min. bei 38–42 °C) » symptomatische Linderung konnte in kleineren Studien gezeigt werden.

• Rauchkarenz (aktiv und passiv) » bei Husten

• Wadenwickel bei erhöhter Temperatur oder Fieber » bei nicht gefährdeten Personen, nur wenn die Füße warm sind. Wassertemperatur sollte nur wenige Grad unter der aktuellen Körpertemperatur liegen.

• Körperliche Schonung, Vermeiden von Unterkühlung, regelmäßig Stoßlüften, Spazierengehen an der frischen Luft

• Bei Halsschmerzen: Befeuchtung der Raumluft, Gurgeln mit Salzwasser (1/4 Teelöffel in einem Glas Was-ser auflösen), Gurgeln mit Tee (z. B. Salbei, Kamille), heiße Zitrone, Lutschen von Halsbonbons, Halswickel

• Erkältungssalben mit ätherischen Ölen » können ggf. die Schlaffähigkeit verbessern. Vorsicht: Keine An-wendung bei Säuglingen und Kleinkindern. Ausnahme: Die Erkältungssalbe ist speziell hierfür zugelassen.[20] [21] [11] [13]

3.4 Prophylaxe von ErkältungenDer Wunsch nach einer Möglichkeit, Atemwegsinfektionen von vorneherein vorzubeugen, ist groß, da Erkäl-tungen immer wieder auftreten und die Symptome, wenn auch kurzfristig, belastend sind und zu Arbeitsaus-fällen führen. Die Studienlage zur Prophylaxe von Erkältungskrankheiten ist jedoch noch durchwachsen, das eine „Wundermittel“ gibt es leider nicht. Favoriten sind aber insbesondere pflanzliche Phytopharmaka, da diese nebenwirkungsarm und damit auch für eine prophylaktische Langzeitanwendung geeignet sind.

3.4.1 ZinkZink ist ein wichtiges Spurenelement, das neben seinen physiologischen Funktionen, z. B. als Cofaktor vieler Enzyme, antibakteriell und antiviral wirkt. In einzelnen Studien konnte gezeigt werden, dass die (hochdosier-te!) Einnahme von Zinkionen, besonders in Form von Lutschtabletten, die Erkältungsdauer verkürzen und die

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Symptome abmildern konnte bzw. das Erkrankungsrisiko senkte. Die Studienlage ist jedoch heterogen, Unter-suchungen an größeren Patientenkollektiven fehlen. Kinder über zehn Jahren und Erwachsene sollten 50–75 mg Zink (als Salz) pro Tag einnehmen. [20]

3.4.2 ProbiotikaBei chronisch rezidivierenden Infekten kann die Einnahme von Probiotika (Lactobacillus acidophilus oder Lactobacillus bifidus) möglicherweise zu einer unspezifischen Stimulation der Immunabwehr führen. Wenige kleinere, klinische Studien zeigten einen Effekt hinsichtlich der Prophylaxe oberer Atemwegsinfektionen und einer reduzierten Einnahmehäufigkeit von Antibiotika. Die Anwendung wird durch die europäische Leitlinie EPOS (Rhinosinusitis) empfohlen. [7] [20]

3.4.3 Kapuzinerkressenkraut / MeerrettichwurzelWie in Kapitel 2.3.2.4 beschrieben, deutet eine klinische Studie darauf hin, dass durch die Einnahme der Kom-bination aus Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel die Häufigkeit des Auftretens von Erkältungen reduziert werden kann. Das Präparat wurde in einer Dosierung von zwei Tabletten dreimal täglich eingenom-men. [46] Die prophylaktische Einnahme von Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel wird in der aktuellen ärztlichen S3-Leitlinie zur Behandlung von unkomplizierten Blasenentzündungen empfohlen. [50]

3.4.4 Vitamin CAscorbinsäure ist Teil eines wichtigen körpereigenen Redoxsystems, Cofaktor zahlreicher Enzyme und trägt unter anderem zu einer funktionierenden Immunabwehr bei. Dennoch konnte bislang im Rahmen von klini-schen Studien kein Nutzen für die prophylaktische und therapeutische Gabe von Vitamin C festgestellt wer-den. Einzig Menschen, die einer extremen Körperbelastung ausgesetzt sind (z. B. Marathonläufer), profitierten von der prophylaktischen Einnahme: Das Erkältungsrisiko konnte in dieser Gruppe gesenkt werden. [20]

3.4.5 EchinaceaEchinacea-Extrakte zeigen nachweislich Effekte auf das Immunsystem: Es kommt zu einer Erhöhung der Leu-kozyten- und Milzzellenzahl und einer gesteigerten Zytokinfreisetzung sowie erhöhter Phagozytoseleistung. Dennoch liegen weder zur prophylaktischen noch zur therapeutischen Gabe von Echinacea-Extrakten konsis-tente Studienergebnisse vor, was nicht zuletzt an der Heterogenität der untersuchten Extrakte liegt. Extrakte von hoher Qualität können womöglich einen Nutzen haben. [20]

3.4.6 Andere ImmunstimulantienNeben Echinacea-Extrakten werden weitere Arzneidrogen zur Immunstimulation eingesetzt, z. B. Pelargonium- wurzel, Knoblauch, Lebensbaum oder Wasserdost. Die Anwendung der pflanzlichen Immunstimulatoren kann möglicherweise wirksam sein, es fehlen jedoch aussagekräftige Studien an größeren Patientenkollektiven. [20]

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3.5 Nichtmedikamentöse Maßnahmen zur ProphylaxeWie auch bei der akuten Erkrankung, können nichtmedikamentöse Maßnahmen wie die folgenden dazu beitragen, Erkältungen vorzubeugen:

• Vermeiden von Schlafmangel, Stress und Alkohol• Vermeiden von Rauch (aktiv/passiv)• Vermeiden von Unterkühlung • Ausgewogene Ernährung• Ausreichende Flüssigkeitszufuhr von ca. 1,5 bis 2 Litern pro Tag• Einhalten von Hygiene, engen Kontakt zu Erkrankten vermeiden• Regelmäßiges Stoßlüften• Luftbefeuchtung in Wohn- und Arbeitsräumen• Regelmäßige Bewegung an der frischen Luft, Ausdauersport• Regelmäßige Saunagänge• Wechselduschen [20]

3.6 Hygienetipps zur Vermeidung von InfektionenMit einfachen Maßnahmen können sich Menschen vor der Infektion durch (respiratorische) Viren und Bakterien schützen:

1. Regelmäßig Händewaschen

2. Richtig Hände waschen » unter fließendem Wasser mit Seife, mind. 20–30 Sekunden, mit sauberem Tuch abtrocknen

3. Nicht mit den Händen in das Gesicht fassen » Mund, Augen und Nase nicht mit ungewaschenen Händen berühren

4. Im Krankheitsfall Abstand halten » auf Körperkontakte verzichten, eigenes Geschirr und eigene Handtü-cher verwenden, ggf. separate Toilette nutzen, in separatem Raum aufhalten

5. Richtig Husten und Niesen » Abstand von anderen halten bzw. wegdrehen, Taschentuch benutzen oder die Armbeuge vor Mund und Nase halten, Taschentücher nur einmal benutzen und nach Gebrauch in einen verschließbaren Mülleimer werfen

6. Wunden schützen » mit einem Pflaster oder Verband abdecken

7. Raumhygiene » Küche und Bad regelmäßig reinigen, Putzlappen nach jedem Gebrauch gut trocknen und häufig auswechseln

8. Heiß waschen » Ess- und Küchenutensilien mit warmem Wasser und Spülmittel reinigen, Spüllappen und Putztücher, Handtücher, Waschlappen, Bettwäsche und Unterwäsche bei mind. 60 °C waschen

9. Regelmäßig lüften » geschlossene Räume mehrmals täglich für einige Minuten lüften [48]

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Teil 4: » Exemplarische Beratungsgespräche (nicht akkreditiert)Bitte beachten: Die exemplarischen Beratungsgespräche sind kein Bestandteil der zertifizierten Fortbildung.

A = Apothekenmitarbeiter/in P = Patient/in

1. Erwachsene Kundin mit den ersten Anzeichen einer Erkältung

A : Guten Tag, was kann ich für Sie tun?

P : Guten Tag, ich hätte gerne etwas gegen meine beginnende Erkältung. Ich würde gerne verhindern, dass ich in ein paar Tagen richtig flachliege.

A : Das kann ich gut verstehen. Welche Beschwerden haben Sie denn genau?

P : Ich fühle mich seit gestern schlapp und angeschlagen. Außerdem habe ich Kopf- und Halsschmerzen und meine Nase ist zu. Also typisch Erkältung.

A : Haben Sie noch andere Erkrankungen oder Allergien?

P : Nein, habe ich nicht. Ich nehme momentan auch keine anderen Medikamente ein.

A : Sind Sie schwanger oder stillen Sie gerade?

P : Nein, ebenfalls nicht.

A : Ok, ich empfehle Ihnen hier ein pflanzliches Präparat mit Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel. Die enthaltenen Stoffe wirken gegen die Erreger und die Entzündung. Sie können es im akuten Fall wie jetzt einsetzen, aber auch bereits bei den ersten Anzeichen. Eine andere Möglichkeit ist die Behandlung Ihrer einzelnen Symptome. Hierzu empfehle ich Ihnen ein Schmerzmittel, das Sie bei Bedarf gegen die Halsschmerzen nehmen können sowie ein Schnupfenspray zur kurzfristigen Anwendung. Zusätzlich soll-ten Sie die Schleimhäute feucht halten, zum Beispiel mit Lutschtabletten und Arzneitee.

P : Gut, dann entscheide ich mich für das pflanzliche Mittel und das Schnupfenspray. Schmerzmittel habe ich bei Bedarf auch schon zu Hause. Welchen Tee würden Sie mir denn empfehlen?

A : Ein Tee, der traditionell bei den ersten Anzeichen der Erkältung eingesetzt wird, ist ein Erkältungstee mit Linden- und Holunderblüten. Zur Beruhigung im Hals- und Rachenbereich empfehle ich Ihnen einen Tee mit Eibisch und Süßholz. Zum Gurgeln eignet sich bei Halsentzündungen vor allem Salbeitee.

P : Salbei mag ich ja so gar nicht vom Geschmack. Aber da ich im Moment Halsschmerzen habe, würde ich gerne noch den Tee mit Eibisch und Süßholz nehmen. Danke für Ihre Beratung! Ich nehme dann das pflanz- liche Präparat, das Schnupfenspray und den Tee. Damit hoffe ich, die Erkältung schnell hinter mir zu lassen.

A : Das wünsche ich Ihnen natürlich auch, berichten Sie mir gerne von Ihren Erfahrungen mit den Mitteln! Ich erkläre Ihnen jetzt, wie Sie die Arzneimittel anwenden: Von dem pflanzlichen Präparat nehmen Sie im akuten Fall dreimal täglich vier Tabletten ein, jeweils nach einer Mahlzeit und mit einem Glas Leitungs-wasser. Das Schnupfenspray können Sie bei Bedarf einsetzen, maximal dreimal täglich ein Sprühstoß in jedes Nasenloch. Das Nasenspray sollten Sie aber nicht länger als eine Woche benutzen, da sonst die Nasenschleimhäute in Mitleidenschaft gezogen werden und es zu einer Gewöhnung kommen kann. Den Tee können Sie bei Bedarf mehrmals täglich trinken.

P : Ok, vielen Dank!

A : Gerne, haben Sie noch Fragen zu den Medikamenten?

P : Nein, im Moment nicht.

A : Dann wünsche ich Ihnen gute Besserung!

P : Danke, auf Wiedersehen!

A : Auf Wiedersehen!

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Unkomplizierte akute Atemwegsinfektionen

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2. Erwachsener Kunde mit einem Rezept über ein Antibiotikum

P : Guten Tag, ich möchte gerne dieses Rezept einlösen.

A : Guten Tag! Sehr gerne, ich hole Ihnen das Medikament sofort. Der Arzt hat Ihnen ein Antibiotikum aufge- schrieben, das gegen die bakterielle Infektion wirkt. Das Medikament sollen Sie fünf Tage lang zweimal täglich einnehmen. Es ist wichtig, dass Sie die Tabletten regelmäßig, am besten genau alle 12 Stunden und über den gesamten Zeitraum, einnehmen. Die Tabletten nehmen Sie einfach mit einem Glas Leitungs- wasser ein, entweder mit den Mahlzeiten oder davor, das spielt bei diesem Mittel keine Rolle. Ich schreibe Ihnen das aber auch noch einmal auf die Packung.

P : Vielen Dank für die Informationen, das ging beim Arzt gerade doch etwas schnell, da habe ich nicht alles mitbekommen.

A : Gerne, haben Sie noch weitere Fragen zu Ihrem Medikament?

P : Zu dem Medikament nicht, danke. Ich habe eine schlimme Nasennebenhöhlenentzündung und würde gerne noch etwas Unterstützendes dazu nehmen.

A : Da empfehle ich Ihnen gerne etwas. Haben Sie denn noch andere Erkrankungen, Allergien oder nehmen Sie andere Medikamente ein?

P : Nein, ich habe aktuell nur ein Nasenspray und nehme bei Bedarf eine Schmerztablette ein, wenn die Schmerzen nicht mehr auszuhalten sind.

A : Ja, eine Nasennebenhöhlenentzündung kann sehr schmerzhaft sein. Welche Beschwerden haben Sie denn außerdem?

P : Eigentlich sind es momentan der Schnupfen, der Druck und die Schmerzen im Gesichtsbereich, Husten oder Halsschmerzen habe ich nicht mehr.

A : Gut, ich hole Ihnen gerne zwei Medikamente, die ich Ihnen begleitend zu Ihrer Antibiotikatherapie empfehlen kann, damit Ihre Beschwerden schnell abklingen. Ich habe hier zum einen ein pflanzliches Präparat mit fünf Arzneipflanzen, das dazu führt, dass sich der Schleim in den Nasennebenhöhlen löst und besser abfließen kann. Das andere Mittel ist ebenfalls pflanzlich, es enthält Kapuzinerkresse und Meerrettich. Dieses Medikament wirkt gegen die Entzündung und zusätzlich gegen Viren und Bakterien. Beide Medikamente können Sie begleitend zum Antibiotikum einnehmen.

P : Da ich schon das Nasenspray habe, möchte ich gerne das zweite Mittel nehmen, danke.

A : Schön, in Ihrer jetzigen akuten Situation nehmen Sie bitte dreimal täglich vier Tabletten ein, ebenfalls mit einem Glas Leitungswasser und jeweils nach einer Mahlzeit. Wenn Sie das nächste Mal erste Anzeichen einer Erkältung bemerken, können Sie das Präparat erneut einsetzen, die Anwendungsdauer ist hier nicht begrenzt.

P : Vielen Dank! Auf Wiedersehen!

A : Auf Wiedersehen!

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3. Erwachsene Kundin mit wiederkehrenden Erkältungen

P : Guten Tag! Ich würde mich gerne beraten lassen, da ich diesen Winter immer wieder mit Erkältungen zu kämpfen habe.

A : Guten Tag, sehr gerne! Haben Sie denn aktuell Beschwerden?

P : Nein, aktuell nicht. Ich habe aber Angst, dass ich schon wieder eine Erkältung bekomme. Ich kann es mir im Moment einfach nicht leisten, auszufallen.

A : Wie oft waren Sie denn in den vergangenen sechs Monaten erkältet?

P : Ach, ich schätze mal so etwa dreimal. Es hat aber erst seit Winterbeginn so richtig angefangen. Dass ich viel Stress habe, macht die Sache wahrscheinlich auch nicht besser. Bei den letzten Malen habe ich meine Beschwerden mit diesen Komplexmitteln so einigermaßen in den Griff gekriegt. Ich suche jetzt aber etwas, damit ich nicht schon wieder krank werde.

A : Ja, Stress kann dazu führen, dass man anfälliger für Infekte wird und die Komplexmittel, die sie erwähnt haben, können dazu führen, dass man einfach normal weitermacht und sich nicht schont. Aber so schwer es auch fällt: Bei einer Erkältung braucht der Körper Ruhe und Erholung.

P : Das stimmt, ich weiß das zwar auch, aber irgendwie schaffe ich das meistens nicht. Was können Sie mir denn zur Vorbeugung empfehlen?

A : Ich empfehle Ihnen gerne ein Medikament. Dazu würde ich aber zuerst gerne wissen, ob Sie andere Erkrankungen haben oder regelmäßig Medikamente einnehmen?

P : Erkrankungen nein, ich nehme ansonsten nur die Pille.

A : Haben Sie denn bestimmte Allergien?

P : Ja, ich habe eine Allergie gegen Korbblütlergewächse, Kamille darf ich nicht nehmen.

A : Ok, dann die letzte Frage: Sind Sie schwanger oder stillen Sie gerade?

P : Nein, beides nicht.

A : Ok, dann hole ich Ihnen gerade zwei Alternativen, die ich Ihnen vorschlagen möchte. Ich habe hier zum einen ein Medikament, das Zinkionen enthält. Zink ist ein wichtiges Spurenelement für den Körper und das Immunsystem und wirkt außerdem antimikrobiell. Es soll laut einiger Studien die Erkältungshäufig-keit reduzieren, wenn man es regelmäßig und in relativ hoher Dosis einnimmt. Das andere Medikament ist pflanzlich und enthält Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel. Die Pflanzen enthalten Stoffe, die antibakteriell, antiviral und antientzündlich wirken. In einer Studie konnte die Erkältungshäufigkeit bei den teilnehmenden Patienten, die dieses Mittel nahmen, deutlich gesenkt werden.

P : Ok, danke. Dann würde ich gerne das pflanzliche Mittel ausprobieren.

A : Schön, von diesem Mittel nehmen Sie bitte dreimal täglich zwei Tabletten mit ausreichend Wasser ein, jeweils nach den Mahlzeiten. Berichten Sie mir doch bitte, ob Ihnen das Medikament tatsächlich geholfen hat.

P : Das mache ich, vielen Dank für die Beratung.

A : Ich danke Ihnen auch, auf Wiedersehen!

P : Auf Wiedersehen!

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