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38 ETR  |  APRIL  2013  |  NR. 4 INTERVIEW | CHRISTIAN GRAEVE UND ULRICH KLEEMANN zeichnet sich ab, dass zukünftig bisher auto- nome Systeme über elektronische Schnitt- stellen weit enger verknüpft sein werden. Dann macht es noch mehr Sinn, wenn man einen Lieferanten hat, der alle Komponenten liefert. Die Potenziale für produktübergrei- fende Neuentwicklungen sind hier auch größer. Geht der Trend bei Bremsen hin zu Kom- ponentenlieferungen, weg von Gesamt- systemen? Kleemann: Ich sehe das nicht als generellen Trend. Es kommt darauf an, was der Kunde will. Grundsätzlich ist es so, dass es im Hin- blick auf die Umsetzung der funktionalen Anforderungen, die Zulassungsvorausset- zungen sowie die steigende Komplexität der Systeme Sinn macht, sich über die Beherrsch- Unser Fokus liegt auf den Life-Cycle-Kosten Die französische Faiveley Transport Gruppe liefert Fahrzeugkomponenten für die Eisenbahnindustrie. In Witten befindet sich das Kompetenzzentrum Bremsen und Kupplungen. ETR sprach mit Christian Graeve, Geschäftsführer Faiveley Transport Witten GmbH und Prof. Dr. Ulrich Kleemann, Leiter Sys- tem Engineering, über große Aufträge, interessante Märkte und neue Bremsen. Faiveley Transport Witten liefert unter anderem die Bremsen für den ICx. Was entwickeln Sie augenblick- lich für diesen Auftrag? Kleemann: Wir haben die Verantwortung für das gesamte Bremssystem des ICx, von der Hand des Lokführers bis hinunter zum Rad. Hier entwickeln wir eine neuartige Schnitt- stelle, die klar strukturiert und beherrschbar ist. Aufgrund der spezifischen Anforderun- gen des Powercar-Konzeptes des ICx, bei dem jeder angetriebene Wagen über die komplette Antriebstechnik verfügt, sind au- ßerdem verschiedene Anpassungen not- wendig, um in dem dadurch verringerten Raum unterhalb des Wagens die Bremsen zu installieren. Zudem entwickeln wir ein neu- es Steuerventil, das spezifisch auf die Anfor- derungen der Deutschen Bahn zugeschnit- ten ist. Was ist neu an der Schnittstelle? Kleemann: Die Schnittstelle führt zu einer neuen Abgrenzung der Verantwortungsberei- che – einer Abgrenzung zwischen der überla- gerten elektronischen Steuerung, die der Fahrzeugbauer, also Siemens, verantwortet, und der pneumatischen Steuerung, die wir verantworten. Dieses Konzept erfordert eine komplett neue Koordination. Siemens baut das Steuerungsmodul, Sie den Rest. Gab dieses neue Herangehen für Siemens den Ausschlag, dass Sie den Auftrag bekommen haben? Graeve: Es ist nicht überraschend, dass Sie- mens in der eigenen Kernkompetenz bleiben will und das Steuerungsmodul selbst baut. Die Abgrenzung war sicher ein wichtiger Punkt in den Verhandlungen. Außer den Bremsen liefert Faiveley Transport die Klimaanlagen und die Tü- ren. Ist die Tatsache, dass Sie als Gruppe mehrere Komponenten liefern können, ausschlaggebend, wenn es um große Auf- träge geht? Graeve: Faiveley bietet die kompletteste Pro- duktpalette an Subsystemen für Schienen- fahrzeuge auf dem Markt an: Bremsen, Kupp- lungen, Türen, Klimaanlagen und so weiter. Dies hat für alle Seiten Vorteile. Der Kunde reduziert seine Einkaufskosten, da er mehre- re Systeme aus einer Hand bekommt. Der Be- treiber minimiert die Wartungs- und In- standhaltungskosten, da er unseren Vor-Ort- Service für mehrere Produktbereiche nutzen kann. Wir optimieren die Projektkosten, denn wenn sich auch die Technik in den einzelnen Subsystemen sehr unterscheidet, so ähneln sich die Strukturen im Vertrags- und Projekt- management sehr stark. Wenn man technisch visionär weiterdenkt, > VITA Dipl.-Ing. Christian Graeve Geschäftsführer Faiveley Transport Witten GmbH Christian Graeve studierte Maschinenbau an der Ruhr-Universität Bochum mit der Vertiefungs- richtung Automatisierungstechnik. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren in Führungspositionen im produzierenden Gewerbe, unter anderem als Geschäftsführer bei Flowserve (Ventile) sowie als Produktionsleiter bei der Siemenstochter Flender (Getriebe und Kupplungen). Graeves Schwerpunkte liegen in der Standar- disierung und Modularisierung von Produkten und Prozessen mit dem Ziel, Wirtschaftlichkeit und Liefertreue zu verbessern. So entwickelte er beispielsweise für Flowserve modular aufgebaute Regelventile mit sehr kurzen Lieferzeiten und reduzierte die produktbe- zogenen Herstellungskosten mit Hilfe von CIP-Projekten. Prof. Dr. Ulrich Kleemann Leiter System Engineering Faiveley Transport Witten GmbH Ulrich Kleemann studierte Maschinenbau an der TU München, wo er 1989 promovierte. Von 1989 bis 2008 war Kleemann bei Knorr-Bremse, Systeme für Schienenfahrzeuge GmbH, München in verschiedenen Positionen, unter anderem als Teamleiter Innovation Fernverkehr, tätig. Seit 2009 verantwortet Kleemann das System Engi- neering der Bremsanlagen von Schienenfahrzeu- gen bei der Faiveley Transport Witten GmbH. Seit 2002 hat Kleemann einen Lehrauftrag (Fahrdynamik und Bremstechnik des Schienen- verkehrs) an der TU Berlin inne, 2008 ernannte ihn die TU Berlin zum Honorarprofessor für das Fach „Eisenbahnbremstechnik“. Kleemann ist Mitglied der Deutschen Maschinentechnischen Gesellschaft (DMG) und Mitglied im Fachbeirat der ETR.

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Page 1: Unser Fokus liegt auf den Life-Cycle-Kosten · PDF file38Geeheet GdreeTnbieeheeBGmes 39 Christian Graeve (links) und Ulrich Kleemann (rechts) produzieren und entwickeln in Witten Drehgestellbremsausrüstung

38 ETR  |  APRIL  2013  |  NR. 4

INTERVIEW | Christian Graeve und ulriCh Kleemann

zeichnet sich ab, dass zukünftig bisher auto-nome Systeme über elektronische Schnitt-stellen weit enger verknüpft sein werden. Dann macht es noch mehr Sinn, wenn man einen Lieferanten hat, der alle Komponenten liefert. Die Potenziale für produktübergrei-fende Neuentwicklungen sind hier auch größer.

Geht der Trend bei Bremsen hin zu Kom-ponentenlieferungen, weg von Gesamt-systemen? Kleemann: Ich sehe das nicht als generellen Trend. Es kommt darauf an, was der Kunde will. Grundsätzlich ist es so, dass es im Hin-blick auf die Umsetzung der funktionalen Anforderungen, die Zulassungsvorausset-zungen sowie die steigende Komplexität der Systeme Sinn macht, sich über die Beherrsch-

Unser Fokus liegt auf den Life-Cycle-KostenDie französische Faiveley Transport Gruppe liefert Fahrzeugkomponenten für die Eisenbahnindustrie. In Witten befindet sich das Kompetenzzentrum Bremsen und Kupplungen. ETR sprach mit Christian Graeve, Geschäftsführer Faiveley Transport Witten GmbH und Prof. Dr. Ulrich Kleemann, Leiter Sys-tem Engineering, über große Aufträge, interessante Märkte und neue Bremsen.

Faiveley Transport Witten liefert unter anderem die Bremsen für

den ICx. Was entwickeln Sie augenblick-lich für diesen Auftrag?Kleemann: Wir haben die Verantwortung für das gesamte Bremssystem des ICx, von der Hand des Lokführers bis hinunter zum Rad. Hier entwickeln wir eine neuartige Schnitt-stelle, die klar strukturiert und beherrschbar ist. Aufgrund der spezifischen Anforderun-gen des Powercar-Konzeptes des ICx, bei dem jeder angetriebene Wagen über die komplette Antriebstechnik verfügt, sind au-ßerdem verschiedene Anpassungen not-wendig, um in dem dadurch verringerten Raum unterhalb des Wagens die Bremsen zu installieren. Zudem entwickeln wir ein neu-es Steuerventil, das spezifisch auf die Anfor-derungen der Deutschen Bahn zugeschnit-ten ist.

Was ist neu an der Schnittstelle? Kleemann: Die Schnittstelle führt zu einer neuen Abgrenzung der Verantwortungsberei-che – einer Abgrenzung zwischen der überla-gerten elektronischen Steuerung, die der Fahrzeugbauer, also Siemens, verantwortet, und der pneumatischen Steuerung, die wir verantworten. Dieses Konzept erfordert eine komplett neue Koordination.

Siemens baut das Steuerungsmodul, Sie den Rest. Gab dieses neue Herangehen für Siemens den Ausschlag, dass Sie den Auftrag bekommen haben?Graeve: Es ist nicht überraschend, dass Sie-mens in der eigenen Kernkompetenz bleiben will und das Steuerungsmodul selbst baut. Die Abgrenzung war sicher ein wichtiger Punkt in den Verhandlungen.

Außer den Bremsen liefert Faiveley Transport die Klimaanlagen und die Tü-ren. Ist die Tatsache, dass Sie als Gruppe

mehrere Komponenten liefern können, ausschlaggebend, wenn es um große Auf-träge geht? Graeve: Faiveley bietet die kompletteste Pro-duktpalette an Subsystemen für Schienen-fahrzeuge auf dem Markt an: Bremsen, Kupp-lungen, Türen, Klimaanlagen und so weiter. Dies hat für alle Seiten Vorteile. Der Kunde reduziert seine Einkaufskosten, da er mehre-re Systeme aus einer Hand bekommt. Der Be-treiber minimiert die Wartungs- und In- standhaltungskosten, da er unseren Vor-Ort-Service für mehrere Produktbereiche nutzen kann. Wir optimieren die Projektkosten, denn wenn sich auch die Technik in den einzelnen Subsystemen sehr unterscheidet, so ähneln sich die Strukturen im Vertrags- und Projekt-management sehr stark.Wenn man technisch visionär weiterdenkt,

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VITADipl.-Ing. Christian Graeve Geschäftsführer Faiveley Transport Witten GmbH

Christian Graeve studierte Maschinenbau an der Ruhr-Universität Bochum mit der Vertiefungs-richtung Automatisierungstechnik. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren in Führungspositionen im produzierenden Gewerbe, unter anderem als Geschäftsführer bei Flowserve (Ventile) sowie als Produktionsleiter bei der Siemenstochter Flender (Getriebe und Kupplungen). Graeves Schwerpunkte liegen in der Standar-disierung und Modularisierung von Produkten und Prozessen mit dem Ziel, Wirtschaftlichkeit und Liefertreue zu verbessern. So entwickelte er beispielsweise für Flowserve modular aufgebaute Regelventile mit sehr kurzen Lieferzeiten und reduzierte die produktbe-zogenen Herstellungskosten mit Hilfe von CIP-Projekten.

Prof. Dr. Ulrich KleemannLeiter System Engineering Faiveley Transport Witten GmbH

Ulrich Kleemann studierte Maschinenbau an der TU München, wo er 1989 promovierte. Von 1989 bis 2008 war Kleemann bei Knorr-Bremse, Systeme für Schienenfahrzeuge GmbH, München in verschiedenen Positionen, unter anderem als Teamleiter Innovation Fernverkehr, tätig. Seit 2009 verantwortet Kleemann das System Engi-neering der Bremsanlagen von Schienenfahrzeu-gen bei der Faiveley Transport Witten GmbH.Seit 2002 hat Kleemann einen Lehrauftrag (Fahrdynamik und Bremstechnik des Schienen-verkehrs) an der TU Berlin inne, 2008 ernannte ihn die TU Berlin zum Honorarprofessor für das Fach „Eisenbahnbremstechnik“. Kleemann ist Mitglied der Deutschen Maschinentechnischen Gesellschaft (DMG) und Mitglied im Fachbeirat der ETR.

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Christian Graeve (links) und Ulrich Kleemann (rechts) produzieren und entwickeln in Witten Drehgestellbremsausrüstung für die ganze Welt (Fotos: Claudia Jaquet)

barkeit der Schnittstellen und die funktiona-len Verantwortungen Gedanken zu machen. Wir sehen uns hier als Systemlieferant, der die Verantwortung für das gesamte Brems-system trägt. Graeve: Bei Faiveley sind wir grundsätzlich für neue Lösungen offen. Wir sind nicht starr und sagen: „Das ist jetzt so“, sondern denken mit. Das neue Konzept ist eine Herausforde-rung, auf die wir uns gerne einlassen. Deutschland wird von der Konzernzent-rale als Wachstumsmarkt genannt, zu-sammen mit Märkten wie Russland, Chi-na oder den USA. Trifft diese Aussage auch für Ihren Bereich, also Bremsen und Kupplungen zu, und woher rührt diese Dynamik?Kleemann: Sie trifft ganz besonders auf den Bereich Bremsen und Kupplungen zu. Die Dy-namik rührt daher, dass die deutschen Schie-nenfahrzeughersteller so erfolgreich sind und wir uns als Anbieter von Bremssystemen erfolgreich auf den Plattformen der Herstel-ler etabliert haben. Faiveley sieht die größten Wachstums-märkte beim Güterverkehr, im Stadtver-kehr und bei Regionalzügen. Welche Ent-wicklungsaufgabe sehen Sie bei Bremsen und Kupplungen in diesen Bereichen?Kleemann: Für den Güterverkehr haben wir die Transpact-Kupplung entwickelt. Durch die Automatisierung der Kupplung können Betreiber ihre Betriebskosten signifikant sen-ken. Güterzüge können schneller zusammen-gestellt werden. Daneben liefern wir neuarti-ge Klotzbremseinheiten für Güterwagen, mit denen der Aufwand des Bremseneinbaus im Drehgestell deutlich reduziert wird. Außer-dem entwickeln wir Bremsklötze, die Lärm-emissionen senken. Bei den Entwicklungen für den Nah- und Re-gionalverkehr legen wir den Schwerpunkt auf die Senkung der Life-Cyle-Kosten. Wir setzen auf wartungsarme Konzepte. Ölfreie Kom-pressoren machen eine Kondensatentsor-gung überflüssig. Sandungsanlagen mit ex-akter Dosiereinrichtung reduzieren den Sandverbrauch und bieten den zusätzlichen Vorteil, dass man aus einem Sandbehälter mehrere Sandrohre versorgen kann. Unsere elektropneumatischen Produkte sind sehr kompakt. Fahrzeugbauer können sie leicht in ihren Plattformkonzepten unterbringen. Wo stehen Sie mit der Einführung der Transpact?Kleemann: Die Kupplung ist zurzeit bei ver-schiedenen Betreibern in Pilotverkehren im Einsatz, bei denen spezifisch ausgerüstete Lokomotiven und ein spezifischer Wagen-park zusammenkommen. Einer der Einsatz-orte ist bei der Deutschen Bahn. Sie fährt schwere Erzzüge, die mit der üblichen Kupp-lung nicht gefahren werden können. Es wa-

ren neue Lokomotiven und neue Wagen er-forderlich. Wegen der Kuppelbarkeit der Transpact mit den im Fahrzeugpark vorhan-denen alten europäischen Mittelpufferkupp-lungen wurden die neuen Lokomotiven und Wagen mit ihr ausgerüstet, sodass der Fahr-zeugpark flexibel eingesetzt werden kann.

Wie weit sind Sie mit der Entwicklung der LL-Sohle? Kleemann: Wir entwickeln die LL-Sohle aus Sinter-Material. Die Entwicklung schreitet gut voran, ist aber noch nicht vollständig abge-

schlossen. Sie ist auch nicht die einzige lärm-reduzierende und verschleißarme Lösung. Es gibt Betreiber und Wagenvermieter, die stark auf geräuscharme Scheibenbremsen im Gü-terverkehr setzen. Hier werden die Funktionen des Bremsens und des Führens und Tragens des Wagens getrennt, was den Verschleiß min-dert und so die Life-Cycle-Kosten senkt.

Werden Ihre LL-Sohlen bis 1. Juni auf dem Markt sein?Kleemann: Nein, aber der Zulassungsprozess läuft.

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INTERVIEW | Christian Graeve und ulriCh Kleemann

Der Erhalt der Infrastruktur ist politisch wie wirtschaftlich ein großes Thema. Können Bremsen zur Schonung der Schienen beitragen, Wirbelstrombrem-sen beispielsweise? Kleemann: Die Wirbelstrombremse gilt als verschleißfreie Bremse, wobei es dabei weni-ger um den Schienenverschleiß als um den Verschleiß der aktiven Bremselemente selbst geht. So interessant das Konzept des Wirbel-

stroms für den physikalischen Effekt der Bremsen ist, so sehr ist der betriebliche Ein-satz komplex. Das zeigen die vielfältigen Re-gelwerke zu Zulassung und Betrieb. Wir lie-fern derzeit keine Wirbelstrombremsen. Bei der Diskussion um Schienenverschleiß muss man bedenken, dass die Kräfte, die die Bremsen auf die Schiene ausüben, insgesamt geringer sind als die Kräfte, die die Antriebs-anlagen auf die Schiene ausüben. Bremskräf-te sind Kräfte, die sich entlang des gesamten Zuges verteilen, während die Antriebskräfte sehr konzentriert in die Schiene eingeleitet werden. Die spezifischen Probleme, die zur-zeit im Schienenverschleiß auftreten, sind mehr antriebsindiziert als bremsindiziert. Dennoch: Die Transpact führt aufgrund der günstigeren Verteilung der Längskräfte zu ei-nem signifikant geringeren Radverschleiß. Und der geringere Radverschleiß führt si-cherlich zu einem geringeren Schienenver-schleiß, auch wenn dies bisher messtech-nisch noch nicht erfasst wurde.

Sind Sie von Witten aus für Deutschland zuständig oder für die ganze Welt?Graeve: Witten ist das Kompetenzzentrum Bremse und Kupplung für die Märkte welt-weit. Die Produktion ist bei Faiveley jedoch im Verbund organisiert. Wenn ein Kunde bei uns eine Bremsanlage bestellt, kommen Drehgestellbremsausrüstung aus Witten, der Zylinder aus Frankreich, die Steuerung und der Kompressor aus Italien. Rund zwei Drittel unserer Umsätze machen wir in Europa, ein weiteres Viertel in Asien. Im US-amerikani-schen Markt verstärken wir unsere Präsenz.

Faiveley hat 2011 Graham-White gekauft, ei-nen nordamerikanischen Komponentenher-steller, der auch Service für weitere Fahrzeug-komponenten anbietet. Hiermit erweitern wir unseren Service-Bereich und verbessern den Zugang zum amerikanischen Markt. In Witten haben wir uns personalmäßig mit Blick auf Osteuropa erweitert. Außerdem hat der Customer Service seine Präsenz in Südeu-ropa ausgebaut.

Wenn Sie von Asien sprechen, meinen Sie damit speziell China, oder Indien?Graeve: Beide, sowohl bei Bremsen als auch bei Kupplungen.

Auf den Ständen der chinesischen Her-steller CNR und CSR bei der InnoTrans hatte ich den Eindruck, dass diese Unter-nehmen im Prinzip alles selbst herstellen können. Wo liegt der Markt in China - im Hochgeschwindigkeitsbereich, im Güter-verkehr, im Nahverkehr?Graeve: Im Augenblick sehen wir den größten Markt für uns bei den Lokomotiven. Grund-sätzlich müssen sich Produkte über die Nut-zungsdauer hinweg im Hinblick auf Life- Cycle-Kosten und lange Wartungszyklen bewähren. Daher gehen wir davon aus, dass unsere Produkte auch in China weiterhin wettbewerbsfähig sind.

Und Japan?Graeve: In Japan sind wir augenblicklich nicht vertreten.

In welchen Märkten engagieren Sie sich in den USA – hauptsächlich im Güterbe-reich?Kleemann: Wir sind natürlich im Güterver-kehr aktiv, hauptsächlich mit Bremsanlagen. Wir sind aber auch im Nahverkehr und be-sonders bei den Straßenbahnzügen vertre-ten. Die amerikanische Produktpalette in die-sem Segment unterscheidet sich nicht wesentlich von der europäischen, da der amerikanische Straßenbahnmarkt stark von den europäischen Lieferanten bedient wird.

In welche Richtung gehen die Innovatio-nen bei Faiveley?Graeve: Bei Faiveley gibt es neu die Quer-schnittorganisation „Friction Pair“, die stand-ortübergreifend an der weiteren Optimierung der Life-Cycle-Kosten arbeitet. Neu ist, dass dabei sowohl die Scheibe als auch die Brems-beläge gesamt betrachtet werden. Wir haben hier auch ein Forschungsprojekt zusammen mit einer Universität. Unser Fokus liegt ganz eindeutig auf den Life-Cycle-Kosten, die für den Kunden letztendlich ausschlaggebend sind. Wir hoffen, dass sich die LCC-Betrach-tung, die in anderen europäischen Ländern und auch in Asien schon weitgehend Stan-dard ist, auf Dauer auch in Deutschland durchsetzen wird.

» Unser Fokus liegt ganz eindeutig auf Life-Cycle-Kosten, die für den Kunden

letztendlich ausschlaggebend sind. «

Christian Graeve

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Ist eine Innovation schon spruchreif? Kleemann: Wir werden auf der Grazer Schienenfahr-zeugtagung eine neuartige Bremsscheibe vorstellen, die deutliche Vorteile beim Ge-wicht und bei der Lebens-dauer haben wird. Ein weite-rer Vorteil ist die schnelle Verfügbarkeit, da sie theore-tisch in wenigen Tagen her-gestellt werden kann.

Wie erreichen Sie das? Graeve: Während herkömm-lich Bremsscheiben gegos-sen sind, wird diese zusam-mengesetzt sein. Dadurch vermeiden wir die Unwäg-barkeiten des Gusses und können die Scheibe außer-dem Just-in-time herstellen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Materialien je nach Kun-denspezifikation kombiniert werden können.

Thema Fachkräftemangel: Haben Sie das Problem auch und was tun Sie dagegen?Graeve: Wir tun eine Menge. Zwei Drittel der Mitarbeiter in Witten arbeiten nicht mehr in der Produktion, sondern sind Angestellte. Dass wir eine eigene Produktion vor Ort ha-ben, ist gut, doch wird sie sicher nicht ausge-baut. Unser Fokus in Witten ist das Entwi-ckeln. Für die Produktion finden wir genug Fachkräfte, wir bilden auch selbst aus. Kriti-scher ist die Suche nach hoch qualifizierten Schienenfahrzeugbauern und Projektmana-gern. Hier haben wir ein Instrumentarium entwickelt, das Engpässe, wie sie in der Ver-gangenheit gelegentlich auftraten, beseiti-gen soll. Zum einen bieten wir eine Vielzahl an Qualifizierungsmöglichkeiten für unsere Mitarbeiter. Zum anderen gehen wir schon sehr früh an die Hochschulen, um zukünftige Absolventen frühzeitig an uns zu binden, sei es über das Angebot von Praktika, die Betreu-ung von Abschlussarbeiten oder die Förde-rung von Promotionen. Über die Dozententä-tigkeit von Professor Kleemann haben wir einen engen Kontakt zur Berliner Hochschule und angehenden Eisenbahningenieuren. Wir nehmen aktiv an Jobbörsen teil. Dabei versu-chen wir, das ganze Thema Eisenbahn attrak-tiver zu gestalten, um zu verhindern, dass fähige Studenten in die Autoindustrie ab-wandern.

Neue Studien zeigen, dass das Auto als Statussymbol bei jungen Leuten an Be-deutung verliert und im Zuge eines neuen Mobilitätsverständnisses auch die Eisen-bahn häufiger genutzt wird. Eine Chance für Ihre Fachkräftegewinnung?

Graeve: Sicherlich. Wir unterstützen dies, in-dem wir schon in den Schulen mit unserer Arbeit beginnen, dort für die Eisenbahn wer-ben und verstärkt Schülerpraktika anbieten. Die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die ein-mal für die Eisenbahn gewonnen wurden, nur selten in andere Branchen abwandern.

Faiveley ist international aufgestellt. Nutzen Sie Fachkräfte aus anderen Län-dern?Graeve: Wenn das Angebot hochqualifizierter Fachkräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht ausreicht, sind Fachkräfte aus dem Ausland für mich durchaus eine Option. Ich habe schon mit meinem Kollegen im Werk in Spanien gesprochen, wo aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung im Lande das Wachstum etwas gebremst ist. Der spanische Arbeitsmarkt ist für uns sehr inte-ressant. Über das Faiveley-Werk im indischen Bangalore haben wir uns eine verlängerte Werkbank im Engineering aufgebaut. Dort arbeiten einige Ingenieure ausschließlich für uns.

Eine persönliche Frage an Sie beide. Wie entspannen Sie sich?Graeve: Beide gleich, mit dem Fahrrad. Ich mit dem Mountainbike, Prof. Kleemann mit dem Rennrad.

Kleemann: Sport ist eine sehr gute Möglich-keit, schnell abzuschalten.

(Das Gespräch führte Dagmar Rees)

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autonome Systeme über elektronische Schnittstellen weit enger verknüpft sein werden. «

Ullrich Kleemann