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Die Angewandte Makromolekulare Chemie 111 (1983) 179 -201 (Nr. 1719)

* Forschungsabteilung der Firma Chemiefaser Lenzing AG, A-4860 Lenzing, Osterreich

** Institut fur Physikalische Chemie der Universitat Graz, Graz, Osterreich *** Zentrum fur Elektronenmikroskopie, Graz, Osterreich

Untersuchung der Ursachen fur das Auftreten mehrerer Schmelzpeaks in den DSC-Thermogrammen

von hochverstreckten und getemperten Folien aus isotaktischem Polypropylen

Jiirgen Lenz*, Erich Wrentschur** und Wolfgang Geymayer***

Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. 0. Kratky zum 80. Geburtstag gewidmet.

(Eingegangen am 11. Januar 1982)

ZUSAMMENFASSUNG: Isotaktische Polypropylen-Folien wurden hoch verstreckt und unter Streckspan-

nung bei Temperaturen bis maximal 206°C wahrend 20 s getempert. Das Schmelzver- halten dieser Folien wurde mittels DSC verfolgt. Es wurden zwei Schmelzpeaks regi- striert, die bei ca. 165 "C und 174°C auftreten. Die Schmelzenthalpie des erstgenann- ten Peaks iiberwiegt, wenn die Folientemperatur beim Tempern auf iiber 190°C ange- hoben wird. Seine Lage ist unabhangig vom Streckverhaltnis. Dieser Schmelzpeak konnte einer kristallinen Phase mit einer Langperiode von 140 bis 160 A bei nicht- orientierten, zwischenkristallinen Bereichen zugeordnet werden. Der 2. Schmelzpeak entsteht beim Verstrecken. Seine Temperatur steigt mit zunehmendem Streckverhalt- nis an. Er wurde auf eine kristalline Phase mit einer Langperiode von iiber 200 A bei einer mittleren amorphen Orientierungsfunktion der zwischenkristallinen Regionen von 0,4 - 0,5 zuruckgefiihrt. Bei dieser Fraktion handelt es sich offenbar um die para- kristallinen Bausteine der Mikrofibrillen, welche sich bei Folientemperaturen von iiber 190 "C zum groneren Teil in kleinere Lamellen-bildende Parakristalle umwan- deln. Der ubergang der Fibrillen- in eine Lamellentextur wurde elektronenmikrosko- pisch sichtbar gemacht.

SUMMARY: Isotactic polypropylen films were highly stretched and annealed during 20 s under

stretching tension at temperatures up to 206°C at maximum. The melting behaviour

* Korrespondenzautor.

0 1983 Hiithig & Wepf Verlag, Basel 0003-3146/83/11 0179-23/$03.00/0 179

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of these films was investigated by using a differential scanning calorimeter (DSC - 1 B). Two melting peaks at about 165 and 174°C respectively, were observed. The heat of fusion of the former peak predominates, if the film temperature during annealing exceeds 190°C. Its position is independent of the stretching ratio. This melting peak is assigned to crystalline domains, which show a long identity period of 140 to 160 A and corresponds to an amorphous orientation factor of 0 to - 0.2. The higher melting peak appears during stretching. This peak is assigned to crystalline domains, which show a long identity period longer than 200 A and corresponds to an amorphous orientation factor of 0.4 to 0.5. This fraction refers obviously to the paracrystalline building blocks of the microfibrils, which are transformed at a film temperature higher than 190°C to a greater part into smaller lamellaforming para- crystallites. The transformation of the fibrillar into a lamellar texture was visualised by transmission electronmicroscopy.

Einleitung

Das irreversible Schmelzen von deformierten Polypropylen-Kristalliten ist ein komplexer und noch nicht voll aufgeklarter Prozel3'. Zahl und Lage der durch Messung mit einem registrierenden Differentialkalorimeter be- stimmbaren Schmelzpunkte werden durch Erstarrungsbedingungen, Ver- streckung, Tempern und Aufheizgeschwindigkeit beim Schmelzen stark be- einflunt. Die auffalligste Erscheinung ist das Auftreten zweier, manchmal auch dreier Schmelzpeaks nach dem Verstrecken und gegebenenfalls Tem- pern von Folien oder Faden. Diese Erscheinung hat verschiedene Erklarun- gen gefunden. Schwenker und ZuccarelloZ erklaren das Auftreten eines Dop- pelpeaks bei 158 und 174 "C in Polypropylenfasern durch eine Desorientie- rung vor dem eigentlichen Schmelzen. Sieglaff und O'Leary3 beobachteten das Auftreten zweier Schmelzpeaks bei 159 bis 161 "C und 171 bis 175 "C in hochorientierten Polypropylenfaden, welche durch Erstarren einer Schmelze in einer Kapillare unter Scherspannung entstanden waren. Sie ordnen den Hochtemperaturpeak Kristalliten zu, die aus gestreckten bzw. ungefalteten Molekulketten bestehen. Frenke14 findet dieselbe Erklarung fur das Auftre- ten zweier Peaks bei 170 und 190°C in extrem hochverstreckten Polypro- pylen-Fasern. Er stutzt sich hierbei auf Keller und Machin', welche das Schmelzverhalten von Polyethylen in shish-kebab-Struktur untersuchten und feststellten, da13 die gestreckt-kettig kristallisierten Fibrillen einen hiihe- ren Schmelzpunkt besitzen als die lamellenfiirmigen Faltungskristallite. Auch Hellmuth und Wunderlich haben gezeigt, dal3 Polyethylen-Faltungs- kristallite im Gegensatz zu den Kristalliten aus ungefalteten Molekulen nicht uberhitzt werden konnen. Zum selben Ergebnis kommen auch Southern und

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Untersuchung der DSC-Thermogramme iron isotaktischen Polypropylenfolien

Porter7. Fur Polypropylen konnten Grubb, Ode11 und Keller8 zeigen, da13 Kristallite vom shish-kebab-Typ in geprel3ten Filmen uberhitzbar sind. Nach Schmelzen der Lamellen bleibt der faserige Anteil noch bei hoheren Tempe- raturen erhalten.

Yamada, Kamezawa und Takayanagi9 berichten uber eine Verschiebung des Schmelzpeaks von Polypropylenfasern nach hoheren Temperaturen mit zunehmendem Streckverhaltnis. Bei einem Streckverhaltnis 1 : 9,4 entsteht ein neuer zweiter Peak. In Ubereinstimmung mit Samuels lo wird die Zunah- me der Schmelztemperatur beim Verstrecken einem Anstieg der amorphen Orientierungsfunktion zugeschrieben. Die systematischen Untersuchungen von Samuels bei Schmelzversuchen unter Spannung ergaben auBer der Zu- nahme des Schmelzpunktes mit dem Streckverhaltnis ebenfalls das Auftreten eines zweiten Peaks ab einem bestimmten Streckverhaltnis. Beide Tempera- turen korrelieren mit der amorphen Orientierungsfunktion und erklaren die Erscheinung damit als Uberhitzungseffekt. Die Temperaturdifferenz zwi- schen den beiden Peaks nimmt mit zunehmendem Streckverhaltnis zu.

Tanaka, Takagi und Okajima l haben das Auftreten zweier Schmelzpeaks bei spannungslosen Schmelzversuchen bis zu einem Streckverhaltnis von 1 : 21 verfolgt. Ab einem Streckverhaltnis von 1 : 5 erscheinen zwei Peaks, welche sich mit zunehmendem Streckverhaltnis auf Temperaturen von 160 und 170°C zubewegen. Die Autoren erklaren das Auftreten zweier Peaks rnit der Existenz zweier Typen von Mikrofibrillen. Fur den Hochtemperatur- peak sollen Fibrillen verantwortlich sein, welche aus Lamellen aufgebaut sind, wahrend der Niedertemperaturpeak von Mikrofibrillen herruhren soll, welche keine Rontgenkleinwinkel-Periode zeigen und daher ein kristallines Kontinuum darstellen.

Wenn ab einem Streckverhaltnis von 1 : 5 bis 1 : 9 aufwarts ein zweiter Peak bei ca. 170 "C auftritt, so kann man diese Tatsache sicher nicht auf das partielle Vorhandensein von Fibrillen aus entfalteten Molekulen zuruckfuh- ren, da die aufgewendete Deformationsenergie fur das vollstandige Entfal- ten von Molekulen bei weitem nicht ausreicht. Wahrscheinlicher ist das Vor- liegen eines Uberhitzungseffektes aufgrund einer hoheren Orientierung der nichtkristallisierten Molekule. Diese Erklarung beantwortet aber nicht die Frage, warum zwei Peaks nebeneinander in Erscheinung treten kbnnen, denn die amorphe Phase sollte eine einheitliche Orientierung zeigen.

Die Beantwortung dieser Frage geht von der Beobachtung aus, dal3 das Tempern von verstreckten Folien bei extrem hohen Temperaturen unter Spannung die Schmelzenthalpie des Hochtemperaturpeaks vermindert, wah- rend der Niedertemperaturpeak wieder verstarkt in Erscheinung tritt.

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Experimenteller Teil

Versuchsdurch fuhrung

Es wurde folgende Polymertype verwendet:

Daplen BM 55 N, R,: 900000 g/mol, R,: 150000 g/mol, Schmelzbereich: 162 - 166"C, Gehalt an ataktischem Polypropylen: 2 - 3%.

Die Versuche wurden mit einer halbtechnischen Folienfaden-Extrusionsapparatur gemill3 Abb. 1 durchgefuhrt. Die Polymerschmelze wurde durch eine Breitschlitzdiise extrudiert und erstarrte auf einer Kuhlwalze. Die Erstarrungsgeschwindigkeit wurde

9 8 7 6 5 4 3 2 1

Abb. 1 . Schematische Darstellung der Versuchsapparatur. 1 . Extruder, 2. Kuhlwal- Zen, 3. Liefer- bzw. Haltewerk, 4. Schneidbalken, 5. Heizplatte, 6. Streck- werk mit 6 beheizten Waken, 7. Abkuhlstrecke, 8. Fixierwerk mit kalten Waken, 9. Aufspulgatter.

durch die Temperatur des Kuhlmittels gesteuert. Diese Primarfolie wurde mittels ei- nes Schneidbalkens in Langsstreifen geschnitten und bei 120 "C auf einer Heizplatte zu ca. 5 mm breiten und 0,5 mm dicken Folienblndchen verstreckt. Die Temperung erfolgte nach Art einer Schrumpfstabilisierung bzw. Fixierung auf den sechs beheiz- ten Streckwalzen unmittelbar im AnschluR an den Streckvorgang. Die Folientempera- turen, gemessen mit einem Oberflachen-Pyrometer der Pyro-Werke, Type PT 19, wurden schrittweise von 140 auf 205 "C angehoben (Oberflachentaster: Ni/Cr/Ni- Thermoelement). Die Verweilzeit auf den beheizten Streckwalzen lag bei 20 s. Ein Langeneinsprung bzw. Schrumpf wurde wahrend des Temperns nicht zugelassen. Diese spezielle Versuchsanordnung ermoglichte ein Tempern bei Temperaturen weit oberhalb des normalen Schmelzbereiches von Polypropylen, was dadurch zu erklaren ist, daR die Schmelzentropie infolge der hohen Streckspannung um ca. 1 J/mol- K herabgesetzt wird12, 1 3 .

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Untersuchung der DSC- Thermograrnme iron isotaktkchen Polypropylenfolien

MeJmethoden

1) Differential-Thermoanalyse: registrierendes Differentialkalorimeter, Perkin- Elmer, DSC-1 B. Aufheizgeschwindigkeit: 16 "C/min. Bestimmung der Schmelzenthalpie durch Planimetrie der Peaks auf den Thermo- grammen zwischen Kurve und Basislinie.

2) Die Rontgenweitwinkeldiffraktionsmessungen wurden mit einer Zweikreiskamera rnit Pinholekollimation durchgefuhrt.

3) Fur die Rontgenkleinwinkelmessungen wurde eine Kratky-Kamera rnit Strichfo- kus eingesetzt.

4) Raman-Spektroskopie: Anregung: Kryptonlaser 568 nm, 500 mW Aufnahme der Spektren rnit einem holographischen Gitter. Auflosung: 0,6 cm-'

5 ) Fur die Transmissions-Elektronenmikroskopie wurden die Proben durch Schrag- bedampfung rnit Tantal und Kohlenstoffhulle prapariert. Die Vergronerung be- trug 5 6 1 0 0 ~ und 927OOx.

6) Die textilmechanischen Messungen wurden an einer Zugprufmaschine der Firma Zwick (Ulm), Type Z 13C, durchgefuhrt.

7) Die maximale Doppelbrechung wurde durch Bestimmung des Gangunterschiedes rnit einem Berek-Kompensator und der Foliendicke in Langs- und Querrichtung gemessen.

Ergebnisse und Diskussion

In der ersten Versuchsreihe sollte die Abhangigkeit der Schmelzpunkte vom Streckverhaltnis untersucht werden. Dabei zeigte sich, da13 statt der er- warteten zwei Peaks zunachst nur ein Peak auftrat, und ein zweiter erst bei Fixiertemperaturen ab 190 "C erschien.

In den Versuchen wurde die Fixiertemperatur jeweils in Schritten zwischen 2 bzw. 10°C von 140°C auf diejenige Temperatur angehoben, oberhalb de- rer die Folien auf den beheizten Streckwalzen schmolzen. Diese maximale Folientemperatur lag in Abhangigkeit vom Streckverhaltnis zwischen 190 und 210 "C. A n den getemperten Folien wurde mittels DSC die Schmelztem- peratur bestimmt. Das Ergebnis befindet sich in Tab. 1, in welcher zwischen folgenden Schmelzpunkten unterschieden wurde:

1) Schmelzpunkt im ungetemperten Zustand 2) Schmelzpunkt bei einer Fixiertemperatur bis 190 "C 3) Schmelzpunkte bei einer Fixiertemperatur oberhalb 190 OC..

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Tab. 1. Schmelzpunkte von getemperten Folien in Abhangigkeit vom Streckver- haltnis und der Fixiertemperatur.

Streck- verhaltnis

Mittlere Schmelzpunkte f s ("C)

unverstreckt 1:8 1 : 8 (Wieder-

1:9 1 : 12 1 : 14

holung)

unge- Fixiertemperatur tempert < 190°C

Fixiertemperatur > 190 "C

Peak A Peak B

164 - 168 168,O k 2,4

169 169,4 & 1,l 170 170,O 177 176,2 f 3,l 178 177,3 & 5,l

- - 164,7 f 3,s 172,3 k 3,4

165,l f 2,s 172,l & 3,4 165,4 k 1,s 173,O f 1,9 167,s k 3,O 174,s f 1,9 163,3 k 4,l 175,6 k 4,l

Anmerkung: Beim Wiederaufschmelzen einer nach dem Test erstarrten Probe liegt der Schmelzpunkt in allen Fallen bei 163 - 164°C.

Bis 190 "C andert sich der Schmelzpunkt nicht. Bei dieser Fixiertempera- tur treten nun erstmalig zwei Schmelzpeaks au f ein Peak bei ca. 165 "C (A) und ein Peak bei ca. 173°C (B), deren Lage bis zur maximal moglichen Fixiertemperatur innerhalb einer gewissen ausgewiesenen Streubreite kon- stant bleibt. Aus Tab. 1 sieht man, daia die Schmelztemperaturen erwar- tungsgemaia mit dem Streckverhaltnis zunehmen. Eine Ausnahme bildet nur der neu entstandene Peak A, dessen Temperatur unabhangig vom Streckver- haltnis zwischen 163 und 167°C liegt und damit in einem Bereich, in wel- chem auch unverstrecktes isotaktisches Polypropylen schmilzt, wie Tab. l zeigt.

Um AufschluB uber die Entstehungsgeschichte dieses neuen Peaks zu er- halten, wurden die entsprechenden Schmelzenthalpien in Abhangigkeit von der Fixiertemperatur verfolgt. Abb. 2 zeigt, daB die Schmelzenthalpie des Hochtemperaturpeaks (B) bei 190 "C ein Maximum durchlauft und dann steil abfallt. Der hier neu entstehende Niedertemperaturpeak (A) besitzt eine hohere Schmelzenthalpie, die mit zunehmender Fixiertemperatur aber eben- falls abfallt. Dieser Unterschied in den Schmelzenthalpien kommt noch deutlicher in Abb. 3 bei einem von 1 : 8 auf 1 : 9 erhohten Streckverhaltnis heraus.

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Untersuchung der DSC-Thermogramme iron isofakfischen Polypropylenfoliea

Abb. 2. Abhangigkeit der Schmelzenthalpie (AH,) von der Fixiertemperatur (T, "C) bei einem Streckverhaltnis von 1 : 8; -0- T, = 170,8 "C, ----o---- T, = 165,I"C.

Die Schmelzenthalpie von Polypropylen liegt bei 209,5 J/g 12. Die Summe der Schmelzenthalpien beider Peaks liegt im Maximum von 196°C bei 106 J/g entsprechend einem Kristallisationsgrad von 0,506. Zwecks Uberpru- fung der Lage dieses Maximums wurde die Kristallinitat der Folien aus Ront- genweitwinkeldiffraktionsmessungen und Dichtemessungen bestimmt . Nach beiden Methoden wurde das Kristallinitatsmaximum von 196 "C bestatigt (Abb. 4 und 5). Abb. 6 erganzt dieses Bild fur das erhohte Streckverhaltnis.

Die Zunahme der Kristallinitat von verstreckten Polypropylenfolien durch Tempern ist ein normaler, seit langer Zeit bekannter Vorgangl4Pl5. Er steht mit dem Wachstum der Langperiode wahrend des Temperns in Zusammen- hang 14. Aus diesem Grunde wurde die Anderung der Langperiode wahrend des Temperns untersucht. Abb. 7 zeigt, dalj die Langperiode erwartungs- gemal3 wie die Kristallinitat zunachst mit steigender Fixiertemperatur zu- nimmt, dann aber bereits bei 190°C steil abfallt. Das Maximum der Lang- periode liegt also 6 "C unterhalb des Maximums der Kristallinitat an derjeni- gen Stelle, an welcher der Niedertemperaturpeak (A) erstmalig in Erschei- nung tritt. Dieser Sachverhalt liel3e sich mit der Annahme erklaren, dal3 bei 190 "C eine neue Kristallitform mit kurzerer Kristallitlange in Streckrichtung

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\ *y \ \ * r .\

\ \ \ \

\ t

Abb. 3. Abhangigkeit der Schmelzenthalpie (AHf) von der Fixiertemperatur (T, "C) bei einem Streckverhaltnis von 1 : 9; -0- T, = 172,l "C; ----c--- T, = 164,5"C.

9 5 130 140 150 160 170 180 190 200 210

T ("C)

Abb. 4. Abhangigkeit der Rtintgenkristallinittit (a,,, x ) von der Fixiertemperatur (T, "C).

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Untersuchung der DSC-Thermogramme iron isotaktischen Polypropylenfolien

I I I I I I I I

130 140 150 160 170 180 190 200 210 T ("C)

Abb. 5 . Abhangigkeit der aus der Dichte berechneten Kristallinitat (a,,, p) von der Fixiertemperatur (T, "C) bei einem Streckverhaltnis von 1 : 8.

089 190 200 210

Abb. 6 . Abhangigkeit der aus der Dichte berechneten Kristallinitat (a,,, p) von der Fixiertemperatur (T, "c) bei einem Streckverhaltnis von 1 : 9.

auftritt. Dadurch wurde die mittlere Langperiode erniedrigt werden, nicht aber der Kristallisationsgrad.

Einen zusatzlichen Hinweis auf eine Verkleinerung der Kristallite bei 190 "C lieferte die Untersuchung der aquatorialen Rontgenkleinwinkel-

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loo 1 0 ' I I I I I I I I I

130 140 150 160 170 180 190 200 210 T ("C)

Abb. 7. Abhlngigkeit der Langperiode (L, A) von der Fixiertemperatur.

streuung. Die aquatoriale Streuintensitatskurve wies einen Wendepunkt auf. Die daraus berechnete laterale Periode in Querrichtung zeigt, wie in Abb. 8 ersichtlich, ebenfalls ein Maximum bei 190 - 195 "C.

Es wurde nun versucht, den neu entstandenen Schmelzpeak zu identifizie- ren. Nach Samuels l6 wird die amorphe Phase von verstreckten Polypropy- lenfolien durch rauchende Salpetersaure weggeatzt. Bei einer solchen Oxida- tion sollten kleine Kristallite starker geschadigt werden als grofie. Daher

I 0

'""1 0 ' I I I I I I I I ,

130 140 150 160 170 180 190 200 210 T ("C)

Abb. 8. Abhangigkeit der lateralen Periode in Querrichtung (B, A) von der Fixier- temperatur.

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Untersuchung der DSC- Thermogramme tion isotaktischen Polypropylenfolien

wurden die getemperten Folien ca. 45 - 60 min mit rauchender Salpetersaure bei 75 "C behandelt und anschliefiend mittels registrierender Differentialka- lorimetrie vermessen. Das Ergebnis findet sich in Tab. 2. In allen Fallen nahm die Schmelzenthalpie des Niedertemperaturpeaks im Verhaltnis zu derjenigen des Hochtemperaturpeaks stark ab. In vier der sieben untersuch- ten Faille verschwand Peak A vollstandig. Hieraus ware zu schlieDen, dafi der Niedertemperaturpeak einer Kristallitfraktion mit geringeren Dimensionen zuzuordnen ware.

Tab. 2. Anderung der Schmelzenthalpie von getemperten Folien durch Atzen mit konzentrierter Salpetersaure.

Streckver- Atzung Peak A Peak B C Schmelz- haltnis (call@ (cal/g) enthalpie (cal/g)

1 : 8 1 : 8

1 : 9 1 : 9

1 : 12 1 : 12

1 : 12 1 : 12

1 : 13 1 : 13

1 : 14 1 : 14

1 : 14 1 : 14

- + -

+ - + - + - + - c

- +

15,9 795

10,s 0

8 8 4 2

23,4 0

29,l 0

12,l 0

995 4,o

7,3 10,6

498 11,7

1,4 395

13,7 41,6

21 ,I 4,6

12,7 17,7

992 19,2

23,2 18,l

15,3 11,7

9,4 7,7

37,l 41,6

50,2 4,6

2 4 8 17,7

18,7 23,2

Eine Bestimmung der Kristallitlange dieser durch Tempern entstandenen neuen Kristallitfraktion ist mittels Rontgenkleinwinkelstreuung nicht durch- zufiihren, weil die Langperiode einen Mittelwert uber die gesamte periodi- sche Elektronendichteschwankung in Streckrichtung darstellt. Eine exakte Messung der Lange eines kristallisierten Molekiilelementes ist aber im Be- reich von 180 A abwarts durch die Raman-Spektroskopie moglich. Diese

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Segmente werden durch Lichtwellen zu einer harmonika-artigen Schwingung angeregt, deren Frequenz nach folgender Formel von der Lange des Segmen- tes abhangt 17,18:

Wellenzahl: v (cm-'). Lange des Segmentes: 1 = a, * L. Volumenkristallinitat: a,. Langperiode: L. Elastizitatsmodul des Polypropylenmolekiils aus Rontgenmessungen: E = 4,l * 10" dyn/cm2 19.

Dichte der kristallisierten Phase: p = 0,936 g/cm3l7. Schwingungsordnung: m.

Abb. 9 zeigt die Raman-Spektren einer ungetemperten (A) und einer ge- temperten (B) Polypropylenfolie. Im Fall B treten drei Banden auf, im Fall

A

L

B I I

I

- We I I e n z a h I (c m-'I

10 20

Abb. 9. Ramanspektrum einer ungetemperten Folie (A) und einer getemper- ten Folie (B).

A dagegen keine. Tab. 3 enthalt die daraus berechneten Langperioden. Sie liegen erwartungsgemafi - bis auf einen Wert - niedriger als die aus der Rontgenkleinwinkelstreuung berechnete Langperiode, die einen Mittelwert

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Untersuchung der DSC- Thermogramme uon isotaktischen Polypropylenfolien

Tab. 3. Gegeniiberstellung verschiedener Strukturmerkmale von ungetemperten und bei 206°C getemperten Folien.

ungetempert getempert

Rontgenkristallinitat : 0,5942 Kristallinitat aus der Dichte:

Gewichtsanteil: 0,525 Volumensanteil: 0,500

IR-Kristallinitat

0,672

Schmelzenthaipie (cal/g): Peak 171 "C 19,s Peak 157°C 995

(kristallin) f, 0,865 Orientierungsfunktion:

(kristallin) fa - 0,424 Langperiode (A):

1. Ordnung: 215,O

Streuintensitat (Imp./sec): 56,l Raman-Frequenzen

2. Ordnung: -

(10" * sec-I): - daraus berechnete Langperiode (A)

0,6607

0,581 0,557

0,775

1,42; 3,50* 8,OO; 4,16*

0,750 - 0,391

167,O 140,6 404,O

3,50; 3,84; 4,17 169,7; 154,7; 142,s

* Nach Atzung mit HNO,.

aus einer Haufigkeitsverteilung darstellt und daher die im Raman-Spektrum nicht abtrennbaren langeren Perioden einschlieljt.

Ein weiterer Hinweis auf das Vorliegen von Kristalliten mit reduzierter Lange ergibt sich aus der Lage des Reflexes zweiter Ordnung. Die aus diesem Reflex berechnete Langperiode betragt nur 140,6 A im Vergleich zu 167,O A des Reflexes erster Ordnung. Der Quotient aus der Langperiode erster und zweiter Ordnung liegt somit bei 1,19. Nach Reinhold, Fischer und Peterlin" bedeutet ein Langperioden-Verhaltnis der beiden Ordnungen von uber 1 eine positive Verteilungsdissymmetrie, d. h., das Haufigkeitsmaximum der Lang- perioden-Verteilung ist zu niedrigen Langperioden hin verschoben. Ein Ver- haltnis von unter 1 zeigt dagegen eine Verschiebung des Haufigkeitsmaxi- mums zu hoheren Langperioden an. Ein Verhaltnis von 1,19 bedeutet dem- nach, dalj die Haufigkeitsverteilung der Langperiode zu niedrigen Werten

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hin steil, zu hohen hingegen flach abfallt. Beim Tempern konnte sich also eine Fraktion von Kristalliten mit kleineren Dimensionen gebildet haben. Daneben miissen aber auch noch Kristallite mit der urspriinglichen Lange er- halten geblieben sein.

Die bisher beschriebenen Versuche hatten, wie eingangs hervorgehoben, Folien zum Gegenstand, welche trotz eines hohen Streckverhaltnisses nur einen Schmelzpunkt aufwiesen. Im zweiten Teil dieser Arbeit wurden solche Folien untersucht, welche bereits im ungetemperten Zustand zwei Schmelz- peaks besitzen, wie dies in der Literatur ofter beschrieben wurde.

Es wurde gefunden, darj verstreckte Folien dann zwei Schmelzpeaks zeigen, wenn die Ausgangsfolie langsam unter Ausbildung einer spharolithischen Textur erstarrt und eine hohe Kristallinitat aufweist.

Durch langsames bzw. schnelles Abkiihlen der Schmelze wurden Primar- folien mit einer Rontgenkristallinitat von 0,422 bzw. 0,324 erzeugt, ver- streckt und getempert. Die schnell abgekiihlte Folie zeigte nach dem Ver- strecken nur einen Peak (Abb. lO/l), der sich durch das Tempern in drei Peaks aufspaltete (Abb. 10/2). An der langsam abgekiihlten Folie wurden dagegen nach Verstrecken und Tempern jeweils zwei Peaks ermittelt (Abb. 10/3, 4). In Tab. 4 sind die dazugehorigen Schmelzenthalpien aufgefiihrt. ErwartungsgemaiD hat der Niedertemperatur-Peak (A) nach dem Tempern

v3 Abb.10. DSC-Thermogramme. 1. schnell

4 5 0 T ( K) 400

abgekiihlt, verstreckt; 2. schnell abgekiihlt, verstreckt, getempert; 3. langsam abgekiihlt, verstreckt; 4. langsam abgekiihlt, verstreckt, getempert.

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Untersuchung der DSC- Thermogramme 11on isotaktischen Polypropylenfolien

Tab. 4. Anderung der Schmelzenthalpie von Folien durch Tempern.

Abkiihlung Streck- Fixier- Peak A Peak B Peak C der Primar- verhaltnis temperatur folie ("C) W / g ) (cal/g) (cal/g)

langsam langsam langsam langsam

schnell schnell schnell schnell

1 : 12 1 : 12 1 : 13 1 : 13

1 : 11 1 : 11 1 : 12 1 : 12

- 190,4

194,O -

- 198,4

199,5 -

594 14,s 795 13,5 - ll,o

ll,o -

bei allen Versuchen die hochste Enthalpie. Eindeutig dominiert er aber nur bei der langsam abgekuhlten Ausgangsfolie, wo er auch schon vor dem Tem- pern vorhanden ist. Bei den beiden Versuchen mit den schnell abgekiihlten Folien liegen die Enthalpien der drei Peaks naher beieinander.

Abb. 11 zeigt die dazugehorigen meridionalen Intensitatskurven der Ront- genkleinwinkelstreuung . Die beiden oberen Kurven mit ihrem scharf ausge- pragten Intensitatsmaximum wurden an denjenigen Folien aufgenommen, welche nach dem Tempern den Niedertemperaturpeak mit der eindeutig hochsten Schmelzenthalpie geben (Abb. 11/2, 3). Die beiden unteren Kurven stammen dagegen von den Folien, welche nach dem Tempern drei ahnlich in- tensive Peaks zeigen (Abb. 11/1 , 4). Wie man sieht, fallen die beiden unteren Kurven zu kleineren Streuwinkeln hin flach ab. An der Gesamtstreuung miissen in diesen beiden Fallen demnach auch Elektronendichteschwankun- gen mit langeren Perioden beteiligt sein. So wurde auch diese Beobachtung fur einen Zusammenhang zwischen der Lage der Schmelzpeaks und der Lange der Kristallite sprechen.

Die Werte in Tab. 5 zeigen, dalj die gemessenen Langperioden praktisch identisch sind. Unterschiede bestehen nur in der Streuungsintensitat. Die in Tab. 6 zusammengefdten Werte fur die entsprechenden Kristallisations- grade lassen nach dem Verstrecken und Tempern trotz differierender Aus- gangskristallinitat keine Unterschiede erkennen. Dasselbe gilt fur die kristal- linen Orientierungsfunktionen f, und f,, wie aus Tab. 7 ersichtlich. Abwei- chungen treten dagegen bei den amorphen Orientierungsfunktionen (f,) auf, worauf in der Schluflfolgerung noch eingegangen wird.

193

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J . Lenz, E. Wrentschur und W. Geymayer

5,OO .lo*

4,OO 1 n

0 0, lO 0,20 0,30 0,40 0,b 0,b 0,70 Cm

Abb.11. Meridionale Rbntgenkleinwinkel-Streuintensitatskurven. 1. schnell abge- kiihlt, 1 : 11 verstreckt, getempert; 4. schnell abgekiihlt, 1 : 12 verstreckt, getempert; 2. langsam abgekiihlt, 1 : 12 verstreckt, getempert; 3. langsam abgekuhlt, 1 : 13 verstreckt, getempert.

Tab. 5. Vergleich der Langperioden von ungetemperten und getemperten Folien.

Abkuhlung Streck- Fixier- Langperiode Streuintensitat der Primar- verhalt- tempera- (4 (Imp./s) folie nis tur 1. Ord- 2. Ord- 1. Ord- 2. Ord-

("C) nung nung nung nung

langsam langsam langsam langsam

schnell schnell schnell schnell

~ ~~

- 1 : 1 2 - 258,8 - 68 1 : 12 190,4 168,s 140,32 425,6 37,7 1 ~ 1 3 - 258,8 - 77 1 : 13 194,O 168,s 140,32 425,6 37,7

1 : 1 1 - 243,2 - 40 1 : 11 198,4 176,7 149,74 177,6 18,8 1 : 1 2 - 231,O - 37 1 : 12 199,5 171,l 140,OO 315,6 27,8

-

-

-

194

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Untersuchung der DSC- Thermogramme uon isotaktischen Polypropylenfolien

Tab. 6. Vergleich der Kristallinitaten von ungetemperten und getemperten Folien.

Folien- Streckver- Fixier- Rantgen- Kristallinitat abkuhlungs- haltnis ternperatur kristallinitat aus der geschwindigkeit ("C) Dichte (To)

langsam langsam langsam langsam langsam

schnell schnell schnell schnell schnell

1 : 12 1 : 12 1 : 13 1 : 13

1 : 11 1 : 11 1 : 12 1 : 12

- 190,4

194,O -

- 198,4

199,s -

42,2 60,6 71,2 61,6 71,4

32,4 61,3 70,6 58,9 70,6

60,5 55,6* 5 5 3 22,4* 57,6

50,8 54,5* 53,6 52,9* 54,7

* Die Proben enthielten Poren.

Tab. 7. Vergleich der Orientierungsfunktionen in der Definition von Hermans von ungetemperten und getemperten Folien.

Ab- Streck- Fixier- f, fP fam fa" An kiihlung verhalt- tempe- der nis ratur Primar- ("C) folie

langsam langsam langsam langsam

schnell schnell schnell schnell

1 : 12 1 : 12 1 : 13 1 : 13'

1 : 11 1 : 11 1 : 12 1 : 12

- 190,4

194,O -

- 198,4

199,s -

0,933 0,941 0,945 0,945

0,920 0,952 0,928 0,928

- 0,414 - 0,478 - 0,482 - 0,477

- 0,470 - 0,476 - 0,472 - 0,471

0,564 - 0,220

0,513 -0,198

0,418 -0,100

0,340 - 0,018

0,788 0,607 0,779 0,618

0,726 0,643 0,686 0,650

0,0298 0,0157 0,0287 0,0162

0,0261 0,0178 0,0243 0,0159

f, : Kristalline Orientierung in der c-Achse; fp : kristalline Orientierung in der b-Achse; fa, : amorphe Or ien t i e r~ng~~; fa" : durchschnittliche OrientierungZ5; An : Doppelbrechung ny - n,.

1 95

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J. Lenz, E. Wrentschur und W. Geymayer

Die exakte Auswertung von Streudiagrammen setzt einen hohen theoreti- schen Aufwand voraus. Zu ihrer Interpretation konnen oft verschiedene Strukturmodelle herangezogen werden. Fischer, Goddar und Schmidt2' ha- ben daher darauf hingewiesen, dafi andere Untersuchungsverfahren heran- gezogen werden mussen, um die Vieldeutigkeit der Rontgenkleinwinkelpha- nomene einzuschranken.

Aus diesem Grunde wurden von getemperten und ungetemperten Folien nach dem Atzen mit rauchender Salpetersaure mittels Transmissionselektro- nenmikroskopie Mikrophotos aufgenommen. Abb. 12 zeigt die fibrillare Morphologie einer frisch verstreckten Folie. Abb. 13 gibt das Bild derselben Folie in getempertem Zustand wieder. (Langsame Abkuhlung der Primarfo- lie, Streckverhaltnis 1 : 13, Fixiertemperatur: 194 "C). Es hat sich offensicht- lich eine Lamellentextur herausgebildet. Abb. 14 zeigt dieselbe Folie in star- kerer Vergrofierung (92 700 x ). In diesem Bild sind die grofien Unterschiede in den Lamellendicken deutlich erkennbar. Eine exakte Haufigkeitsvertei- lung lafit sich aufgrund der Photos nicht erstellen, weil die Abstande der Schattenlinien durch Schraglage der Lamellen optisch so verzerrt sein kon- nen, dafi sie kein Mafi fur die Lamellendicke darstellen. Es ist dennoch un- verkennbar, dafi sehr dicke und sehr dunne Lamellen nebeneinander auftre- ten.

Grob geschatzt liegt das Haufigkeitsmaximum der Dickenverteilung bei ca. 180 A. Die dickeren Lamellen streuen im Bereich um 360 A und daruber. Die Abweichung von der Langperiode (168,5 A) ist dadurch zu erklaren, dafi dunnere Lamellen durch die Atzung mit rauchender Salpetersaure starker angegriffen werden als dicke. In Abb. 15 ist dieselbe Folie nach einer Atzung mit heifiem Xylol abgebildet. Durch die Tantal-Bedampfung senkrecht zur Streckrichtung erkennt man die Reste von Mikrofibrillen. Die Photos sind den von Owens mittels Rasterelektronenmikroskopie an verstreckten und getemperten Folien aus Niederdruckpolyethylen erhaltenen Bildern ahn- lichZ2.

Der Ubergang einer fibrillaren in eine lamellenartige Textur sollte sich auf die mechanischen Eigenschaften einer Folie auswirken. Wie Tab. 8 zeigt, nimmt die maximale Zugspannung in Streckrichtung rnit steigender Fixier- temperatur erwartungsgemafi ab. Dafur steigt aber die Querfestigkeit der Folie, gemessen als diejenige Kraft, die benotigt wird, um die Folie der Lan- ge nach entzweizureifien. Diese Grofie wird als Weiterreifikraft in Querrich- tung definiert. Die Anderungen der mechanischen Eigenschaften sind rnit der Entstehung von dunnen und breiten Lamellen, wie sie das elektronen- mikroskopische Bild zeigt, gut vereinbar.

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Untersuchung der DSC- Thermogramme i7on isotaktischen Polypropylenfolien

Abb. 12

Abb. 13

Abb. 12. Mikrophoto einer Folie, die langsam abgekuhlt, 1 : 13 verstreckt und mit Salpetersaure geatzt wurde (23 100 x).

Abb. 13. Mikrophoto einer Folie, die langsam abgekuhlt, 1 : 13 verstreckt, getem- pert und mit Salpetersaure geatzt wurde ( 5 6 1 0 0 ~ ) .

197

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J. Lenz, E. Wrentschur und W. Geymayer

Abb. 14

Abb. 15

Abb. 14. Mikrophoto einer Folie, die langsam abgekiihlt, 1 : 13 verstreckt, getem- pert und mit Salpetersaure geatzt wurde (92700 x).

Abb. 15. Mikrophoto einer Folie, die langsam abgekiihlt, 1 : 13 verstreckt, getem- pert und mit Xylol geatzt wurde ( 5 6 0 0 0 ~ ) .

198

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Untersuchung der DSC- Thermogramme tion isotaktischen Polypropylenfolien

Tab. 8. Maximale Zugspsynung und WeiterreiRkraft in Querrichtung von unge- temperten und getemperten Folienfaden.

Fixiertemperatur ("C) Maximale Zugspannung WeiterreiRkraft (CN)

- 198 199 202 206

399,O 450,O 254,O 307,7 221,9 100,s

4,42 4,13 7,18 6,99 7,13 6,54

SchluJfolgerung

Die Versuche haben zweierlei gezeigt:

1) Durch Tempern von monoaxial verstreckten Polypropylenfolien unter Spannung bei > 190°C entsteht ein Schmelzpeak, der bei einer Tempera- tur von ca. 165 "C liegt. In Fallen, wo dieser Peak schon vor dem Tem- pern vorhanden ist, nimmt seine Schmelzenthalpie durch Tempern um das ca. 3-fache zu.

2) Gemeinsam mit dem Auftreten eines zweiten Peaks nimmt die Lange des grorjeren Teiles der Kristallite schlagartig ab. Langere Kristallite bleiben jedoch teilweise erhalten.

Es erhebt sich die Frage, ob zwischen diesen beiden Vorgangen ein ursach- licher Zusammenhang besteht.

Nach Berichten von Kanig23 uber die Kristallisier- und Schmelzvorgange bei Polymeren stehen zwei Ursachen fur den Schmelzbereich von Polymeren zur Diskussion:

1) Eine breite Lamellendickenverteilung 2) Eine vom AusmaB der Kristallisation abhangige Konformationsentropie

der Schmelze

Mit Hilfe der DSC-Methode lien sich am Beispiel von Polyethylen den dicken Lamellen ein Schmelzpeak bei 133 "C, den dunnen Lamellen ein Peak bei 122°C zuordnen. Kanig kommt zu dem SchluD, daD bei reinem, linearen Polyethylen der Schmelzbereich einer verschmierten Umwandlung erster

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J. Lenz, E. Wrentschur und W. Geyrnayer

Ordnung entspricht, die auf eine Lamellendickenverteilung zuruckzufuhren ist. Die Konformationsentropie ist demgegenuber praktisch als Konstante zu behandeln.

In diesem Zusammenhang ist von In'leresse, dal3 Ward24 kurzlich an Poly- ethylenlamellen, welche untereinander durch gespannte Molekule zu Fibril- len verbunden sind, einen Schmelzpunkt von 139 "C gemessen hat.

Wenn man diese Ergebnisse auf die vorliegenden Versuche anwendet, kommt man zu dem SchluD, dal3 das Auftreten von mehreren Schmelzpeaks eine Folge des Vorhandenseins von Kristallitfraktionen mit unterschiedlicher Lange sein sollte. Diese Erklarung wurde dann voll befriedigen, wenn breite, verschmierte Peaks vorliegen wurden. Dies ist in der Tat oft der Fall. Hier geht es aber um deutlich voneinander abgesetzte Schmelzpeaks. Es ist daher nicht auszuschliel3en, dal3 wie von Samuels l o beschrieben die interkristalline Orientierung einen Einflul3 auf die Lage der Schmelzpeaks ausubt. Dies konnte bedeuten, dal3 der Hochtemperaturpeak durch lange, zu Mikrofibril- len verbundene Kristallite hervorgerufen wird, der Niedertemperaturpeak dagegen durch kurzere Kristallite, welche zu Lamellen vereinigt sind. Die Unterschiede der amorphen Orientierungsfunktion in Tab. 7 wurden diese Annahme unterstutzen. Die Abnahme der amorphen Orientierungsfunktion ist bei denjenigen Folien grofier, bei denen auch das Schmelzenthalpiever- haltnis des Hoch- zum Niedertemperaturpeak beim Tempern besonders auf- fallig abgenommen hat (Tab. 4). Hieraus konnte man schlienen, da13 bei die- sen Folien, die nach Peterlin in Mikrofibrillen vorhandenen, gespannten Molekule bzw. quasikristallinen Brucken, welche durch ihre Orientierung in Streckrichtung die amorphe Orientierungsfunktion heraufsetzen, durch das Tempern nahezu verschwunden sind.

Diese Deutung der Versuche wurde aul3erdem die Tatsache erklaren, da13 die Lage des Hochtemperaturpeaks vom Streckverhaltnis abhangig ist, die Lage des Niedertemperaturpeaks dagegen nicht .

Um zum Ausgangspunkt dieser Untersuchung zuruckzukehren, wurde durch dieses Bild das Auftreten zweier Schmelzpeaks beim Verstrecken einer spharolithischen Folie ebenfalls seine Erklarung finden. Beim Niedertempe- raturpeak durfte es sich demnach um die Reste der die Spharolithe auf- bauenden Lamellen handeln. Wird dagegen eine rasch abgekuhlte Folie ver- streckt, entsteht eine einheitliche Fibrillentextur mit nur einem Peak, die bei uber 190 "C teilweise in eine Lamellentextur zuruckverwandelt wird, wo- durch der Niedertemperaturpeak entsteht.

200

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Untersuchung der DSC- Therrnograrnrne von isotaktischen Polypropylenfolien

Herrn Prof. Dr. J. Schurz (Institut fur Physikalische Chemie der Universi- tat Graz) danken wir fur zahlreiche Diskussionen und Hinweise. Den Herren Prof. Dr. H. W. Schrotter (Institut fur Experimentalphysik der Universitat Munchen) und Prof. Dr. F. Aussenegg (Institut fur Experimentalphysik der Universitat Graz) mochten wir an dieser Stelle unseren herzlichen Dank fur die Anfertigung der Raman-Spektrogramme aussprechen.

Weiterhin gilt unser Dank dem Osterreichischen Forschungsforderungs- fonds, der diese Arbeit finanziell unterstutzte.

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