Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte ... · Ehrenbezeugung durch Strecken des...

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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1792 Helvetiorum Fidei ac Virtuti Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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  • Untervazer Burgenverein Untervaz

    Texte zur Dorfgeschichte

    von Untervaz

    1792

    Helvetiorum Fidei ac Virtuti

    Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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    1792 Helvetiorum Fidei ac Virtuti Vincenz Oertle Vincenz Oertle, Maur: HELVETIORUM FIDEI AC VIRTUTI oder "Ein Tag

    wie der 10. August 1792 kommt nicht über die Völker wie ein Erdbeben, dessen Namen niemand ahnt...." in: Der "Tanzbödeler", Magazin für den Uniformen und Militariasammler Nr. 37. 10 Jahrg. 1992.

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    S. 01: Editorial

    Liebe Leser,

    Aus aktuellem Anlass bringt der «Tanzbödeler» wieder einmal eine Sonder-

    nummer. Es sind nun 200 Jahre her, seit der Sturm auf die Tuilerien

    stattgefunden hat, ein Ereignis, das für die damalige Schweiz wie ein Schock

    wirkte, ist doch ein grosser Teil der Schweizergarde dabei umgekommen, und

    wie wir heute wissen, völlig sinnlos. In Frankreich selber bedeutete dieses

    Ereignis das Ende der alten Monarchie.

    Die Umstände die dazu führten und die vielen unbekannten Details der

    verschiedenen Phasen zeigt uns der Autor, Vincenz Oertle, auf eindrückliche

    Art und Weise in seiner Arbeit. Im Gegensatz zu vielen der späteren

    Geschichtsschreiber, die das Ereignis auf ihre Art und Weise patriotisch

    ausgeschlachtet haben, wird hier auch das Umfeld der Ereignisse beschrieben.

    Die offizielle Schweiz und die Stadt, in der das Löwendenkmal steht,

    ignorieren diesen Tag weitgehend oder sind nicht an Publizität interessiert.

    Man möchte den grossen Nachbarn im Westen wohl nicht unnötig verärgern -

    nach 200 Jahren!

    Das Jahr 1992 scheint auch für den Autor ein Jahr der Jubiläen zu sein, feiert

    er doch im Oktober seinen 50. Geburtstag und startet im kommenden

    November zum 25. Mal am Militärmarathon von Frauenfeld. (Siehe auch

    «Tanzbödeler» Nr. 23). Als aktiver Waffenläufer ist der ehemalige Feldweibel

    der Panzer Kp. 11/16 bereits seit 1963 «auf den Beinen».

    Herzlichst Ihr Redaktor Jürg Burlet

    Inhalt

    10. August 1792 - Tuileriensturm Seite 2

    Anmerkungen 17

    Kampfphasen 18

    Anhang 30

    Bibliographie 40

    Titelbild:

    Grenadier des Schweizer Garderegiments in königlich französischen Diensten,

    um 1790 (Lithografie nach Charlet). Ehrenbezeugung durch Strecken des

    Gewehrs vor dem König und der Generalität.

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    S. 02: HELVETIORUM FIDEI AC VIRTUTI1

    oder «Ein Tag wie der 10. August 1792 kommt nicht über die Völker wie ein

    Erdbeben, dessen Namen niemand ahnt … »2 von Vincenz Oertle, Maur

    Als sich im angebrochenen letzten Viertel des 18. Jahrhunderts die sozialen

    und politischen Spannungen in Frankreich mehrten und zunehmend in Aufruhr

    umschlugen, ahnten wohl viele Offiziere der königlichen Schweizerregimenter,

    dass es sich nur um Vorboten eines nicht allzu fernen Chaos handeln konnte.

    Für die biederen, unwissenden Mannschaften indes manifestierte sich der

    rapide Nieder gang des Ancien Régime vorerst mal in handfesten

    Auseinandersetzungen mit immer aufsässiger werdenden Provokateuren.

    Schlägereien auf Tanzveranstaltungen und in Tavernen, sowie Überfälle auf

    offener Strasse waren an der Tagesordnung. Je häufiger es zu Zusammen-

    stössen zwischen dem unzufriedenen Proletariat und den Truppen des Königs

    kam, umso gezielter liess man die aufgestaute Wut an den hochgewachsenen

    «Rotröcken» aus, die als bestbezahlte Söldner der korrupten Monarchie und

    nicht zuletzt als ernstzunehmende Konkurrenz im Liebeswerben um die

    Garnisonsgrazien seit jeher mit Neid und Missgunst beobachtet worden waren.

    Dass man sich dabei nichts schuldig blieb, beruhte auf Gegenseitigkeit. Am

    Ende der Gewaltspirale entlud sich der übermächtige Volkszorn dann eben am

    Freitag den 10. August 1792 vollends, indem man die verhassten Fremden

    erschlug, vierteilte, aufschlitzte und deren abgehauenen Köpfe im Triumph auf

    Piken pflanzte.

    «Mort aux Suisses»

    Wenn rechtlose Arbeiter überall im Königreich auf die Strasse gingen,

    Lohnerhöhung forderten, streikten, mit leerem Bauch Bäckerstuben und

    Metzgereien plünderten, wenn ausgebeutete Soldaten marodierten und

    Kriminelle in Ausnützung der Situation gut gekleidete Passanten ausraubten,

    waren es vornehmlich Fremdtruppen, darunter auch die zuverlässigen

    Schweizerregimenter, die in Gewaltmärschen heranbeordert wurden, um

    Remedur zu schaffen. Die Schweizer verschanzten sich dann in Feldbivaks,

    umringt von einer feindlich gesinnten Menge, schlecht versorgt und in

    permanenter Alarmbereitschaft, so auch auf dem Pariser Marsfeld in den

    Tagen um den 14. Juli 1789, als die Bastille fiel.

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    In einem Hagel von Pflastersteinen wurden die gestressten Füsiliere und

    Grenadiere von einem Brenn punkt zum anderen durch Quartiere und Gassen

    gehetzt, um Ansammlungen zu zerstreuen und «aufzuräumen».

    S. 03:

    Füsiliere des Schweizer Garderegiments verteidigen die Königinnentreppe an der Westseite des Palastes (vergleiche: Phasen 3 und 4), (Ansichtskarte, um 1920).

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    S. 04: In diesem undankbaren «Job» standen die Schweizer nahezu allein da, denn

    die landeseigenen Verbände der ehemals glanzvollen königlichen Armee samt

    ihrem einst stolzen blauen französischen Garderegiment befanden sich in

    voller Auflösung. Die Mannschaften meuterten, bedrohten die Offiziere,

    verliessen ihre Einheiten, versoffen und verhurten die Regimentskassen und

    verbrüderten sich mit der Gosse. In gleichem Masse, wie die lokalen Behörden

    und das royalistisch gesinnte wohlhabende Bürgertum, das sich kaum mehr aus

    den Häusern wagte, die Schweizer als letzte Ordnungsmacht belobigten und

    die Eidgenössische Tagsatzung an Zuverlässigkeit und Loyalität appellierte,

    eskalierte von unten gehässige Aggression und Gewalttätigkeit.

    Auf verlorenem Posten

    Hatten die Schweizertruppen vorerst gegen Fäuste, Scheuereisen, Heugabeln

    und Sensen noch leichtes Spiel gehabt, so sah man sich zunehmend mit

    schiessenden Haufen konfrontiert, die sich Waffen und Munition bei

    Überfällen auf Pulvermagazine und Arsenale sowie aus der Hand von

    Überläufern organisierten. Allein 28'000 Gewehre und mehrere Geschütze

    stammten aus dem Zeughaus der Invalides, das die Menge vor dem Marsch zur

    Bastille gestürmt hatte.

    Louis XVI., König von Frankreich (1754-1793), (Ansichtskarte, um 1920).

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    Vielleicht wäre es unmittelbar nach der wenig glorreichen Einnahme des

    praktisch leeren Staatsgefängnisses (später zum Nationalfeiertag

    aufgebauscht), das von einer Invalidenkompanie sowie 32 Füsilieren, einem

    Wachtmeister und einem Leutnant aus dem Schweizerregiment Salis-Samaden

    verteidigt worden war,3 noch gelungen, die Lage unter geballtem Einsatz der

    halbwegs loyalen Fremdregimenter in den Griff zu bekommen. Dazu hätte sich

    aber ein entschlossener «Soldatenkönig» vom Format eines Friedrich des

    Grossen an die Spitze der Truppen stellen müssen. Louis XVI. wählte indes,

    anstatt der Flucht nach vorn, die Flucht ins Ausland, die denn auch zwei Jahre

    später, am 21. Juni 1791, noch vor der Grenze, bei Varennes in den Argonnen

    kläglich scheitern sollte. Ludwig und seine Familie wurden unterwegs erkannt,

    gestellt und nach Paris zurückspediert, wo ihnen das Volk höhnend Spalier

    stand. Der de facto bereits weitgehend entmachtete König verharrte daher in

    Resignation und Passivität und

    S. 05: widersetzte sich Schiessbefehle zu erteilen, in der Meinung, allein durch

    Gewaltlosigkeit liesse sich die Monarchie in der einen oder anderen Form noch

    retten. Während die Nationalversammlung (Legislative) debattierte, die

    Revolutionsklubs agierten und die «Strasse» nicht mehr zu bremsen war,

    wartete Ludwig gott- und schicksalsergeben auf die Katastrophe. Die

    Linienregimenter rückten ohne weitere Ordres in ihre Garnisonen ab und im

    brodelnden Hexenkessel Paris blieb auf verlorenem Posten das Schweizer

    Garderegiment allein zurück, ohne eigene Artilleriesektion (1789 aufgelöst)

    und mit einem schwindenden Mannschaftsbestand. «Die Leibgarden, die

    schweren Gardereiter, die Chevaulegers, die Schützen von Monsieur - alle

    diese wunderschönen Korps waren vom Wirbelsturm hinweggefegt worden.

    Die zum Teil aus ehemaligen französischen Garden und aus Deserteuren

    anderer Regimenter bestehende Gendarmerie wartete nur auf eine Gelegenheit,

    um Ludwig XVI. im Stich zu lassen. Die Nationalgarde war, mit Ausnahme

    einiger Bataillone, nur eine wenig zuverlässige Miliz ohne Zusammenhalt und

    Mannszucht»4 und am 16. März 1792 wurden auch noch die traditionellen

    Hundertschweizer entlassen. Dass man nach dem Zerfall der französischen

    Garde im Sommer 1789 dem Schweizer Garderegiment still schweigend eine

    Schonfrist eingeräumt hatte,

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    lag darin begründet, dass sich die Nationalversammlung verpflichtet sah, die

    Sicherheit des Königs noch auf absehbare Zeit zu gewährleisten und dazu

    boten ausschliesslich die Schweizer Garantie.

    Lullin de Châteauvieux

    Auch die Schweizer Linienregimenter in der Provinz und das Garderegiment in

    der Hauptstadt waren Zielscheibe massiver Propaganda und wüster Drohungen

    umstürzlerischer Zirkel. Besonders aktiv zeigte sich der «Helvetische Klub»,

    Forum aus der Eidgenossenschaft abgeschobener Dissidenter. Ziel des Klubs

    war die Durchsetzung längst fälliger politischer und gesellschaftlicher

    Reformen in der Schweiz und dazu sollten auch möglichst viele Soldaten

    eingespannt werden. Die Schweizerregimenter, Profitruppen mit Berufsstolz,

    waren indes weit weniger anfällig auf revolutionäres Gedankengut, als ihre

    französischen Schwestereinheiten.

    Füsilieroffizier des Schweizer Garderegiments (Ansichtskarte, um 1920).

    S. 06: Ausgeprägtes Ehrgefühl der Offiziere und Mannschaften, ein in der Tradition

    verwurzelter Korpsgeist, eine eher konservative Lebenseinstellung und

    wachsame Kader hielten die Zahl der politischen Sympathisanten und

    Meuterer in Grenzen.

    Dennoch, der bekannteste Fall kollektiver, wenn auch nicht unberechtigter

    Gehorsamsverweigerung von Schweizertruppen ereignete sich im August 1790

    in Nancy. Teile des Regiments Lullin de Châteauvieux hatten sich der

    rebellierenden Garnison angeschlossen, die Offiziere unter Druck gesetzt, die

    Rückzahlung von Soldabzügen erpresst und 27'000 Livres verjubelt.

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    Einzelne Kompanien des Regiments hatten sich schon am Tag des Bastille-

    sturmes in Paris einem Schiessbefehl gegen Demonstranten verweigert. Als die

    Situation vollends ausser Kontrolle zu geraten schien, liessen die Behörden

    unter Teilnahme der Schweizerregimenter de Castella und de Vigier Nancy

    stürmen. In der Folge kam es zu heftigen Strassenkämpfen, wobei auch eine

    Kompanie des Regiments de Castella durch Kartätschenfeuer empfindliche

    Verluste erlitt. Insgesamt fielen über 400 Offiziere und Soldaten. Das

    Schweizer Kriegsgericht liess 24 Todesurteile vollstrecken, verhängte 41

    langjährige Galeeren- und etliche Gefängnisstrafen (Galeerenstrafen mussten

    unter besonders miesen Bedingungen auf abgewrackten verankerten Schiffen

    verbüsst werden). Auf Betreiben der Jakobiner (radikalster politischer Klub der

    Französischen Revolution) und unter Protest der Eidgenössischen Stände

    wurden die Galeerensträflinge allerdings am 1. Januar 1792 amnestiert, im

    Triumphzug von Brest nach Paris geleitet, in der Nationalversammlung

    ehrenvoll empfangen, mit Volksfesten gefeiert und die toten Meuterer zu

    «Märtyrern der Freiheit» hochstilisiert.

    Pfeifer des Schweizer Garderegiments (Ansichtskarte, um 1920).

    Eine ganze Reihe weiterer spektakulärer, von der Geschichtsschreibung

    zuweilen verschwiegener Revolten spielten sich in den Jahren 1789/90 auch im

    Schweizer Garderegiment ab, hier ebenso vor dem Hintergrund sozialer

    Ungerechtigkeit und der Forderung nach bürgerlicher Gleichberechtigung.

    Ganze Kompanien verweigerten den Exerzierdienst, setzten in den

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    S. 07: Schweizer Linienregimenter in französischen Diensten

    Stand Anfang 1792

    Regiment von Ernst (Nr. 63) bestehend seit 1672

    letzte Garnison: Aix-en-Provence

    Regiment von Salis-Samaden (Nr. 64) bestehend seit 1672

    letzte Garnison: Arras

    Regiment von Sonnenberg (Nr. 65) bestehend seit 1672

    letzte Garnison: Marsal

    Regiment von Castella (Nr. 66) bestehend seit 1672

    letzte Garnison: Metz

    Regiment von Vigier (Nr. 69) bestehend seit 1673

    letzte Garnison: Strassburg

    Regiment Lullin de Châteauvieux (Nr. 76) bestehend seit 1677

    letzte Garnison: Bitsch

    Regiment von Diesbach (Nr. 85) bestehend seit 1689

    letzte Garnison: Lille

    Regiment von Courten (Nr. 86) bestehend seit 1690

    letzte Garnison: Valenciennes

    Regiment von Salis-Marschlins (Nr. 95) bestehend seit 1734

    letzte Garnison: Korsika

    Regiment von Steiner (Nr. 97) bestehend seit 1752

    letzte Garnison: Grenoble

    Regiment des Fürstbischofs von Basel - von Reinach (Nr. 100)

    bestehend seit 1758, letzte Garnison: Dünkirchen

    Vergleiche:

    August von Gonzenbach, Der 10. August 1792 mit besonderer Rücksicht auf

    die Haltung des Schweizer Garderegiments, Bern 1866, Seite 16 f

    Eugène Fieffé, Geschichte der Fremdtruppen im Dienste Frankreichs ...‚

    München 1856, 1. Band, Seite 532 ff.

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    Die in der Provinz stationierten Schweizer Linienregimenter bildeten, obwohl

    teils revolutionär angehaucht, für die örtlichen Behörden oft die letzte

    zuverlässige Truppe, um in den ersten Jahren des Umsturzes Ordnung und

    Sicherheit aufrechtzuerhalten. Nach dem Untergang des Garderegiments

    wurden die zehn noch in Frankreich verbliebenen Linienregimenter entlassen.

    Das Regiment von Ernst war nach seiner Entwaffnung in Aix-en-Provence

    bereits im Frühjahr 1792 vom kapitulierenden Kanton Bern abberufen worden.

    Anfang Oktober war die Rückführung aller Regimenter abgeschlossen.

    Zahlreiche Offiziere und Mannschaften liessen sich umgehend in die Heere der

    französischen Republik anwerben, traten in die Dienste der antirevolutionären

    europäischen Koalition oder der royalistischen Vendée.

    S. 08: Schreibstuben mit gezücktem Säbel die Unterzeichnung einiger Hundert

    Congés durch und in Courbevoie «warfen sie sich auf den Wirt der Kaserne,

    plünderten und verwüsteten seinen Keller, töteten sein Schlachtvieh,

    zerschlugen seine Mobilien und nahmen ihm 200 Louis d'or weg».5

    Aber auch in den niederen Chargen des Offizierskorps rumorte es, machte sich

    Opposition bemerkbar, insbesondere gegen die in den Schweizerregimentern

    weit verbreitete Vetternwirtschaft.

    Schweizer Gardegrenadiere (links) im Nahkampf (anonyme Darstellung). Nach dem Abmarsch des Detachements Dürler zur Nationalversammlung drangen die Belagerer in den Palast ein und trafen auf die sich sammelnden Reste des Regiments (vergleiche: Phasen 5 und 6).

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    Denn, renommierte Offiziersdynastien mit «Vitamin B» erhielten

    freigewordene lukrative Kommandostellen stets bevorzugt zugeschanzt,

    während verdiente Offiziere «ordinärer» Herkunft nur mühsam vorwärts

    kamen.

    Eine ebenso bemerkenswerte Episode spielte sich in Aix-en-Provence ab. Das

    Regiment von Ernst hatte langjährigen Dienst auf Korsika versehen, war zu

    Beginn der Revolution nach Marseille verschifft und schliesslich rundum

    angefeindet in Aix kaserniert worden. Von über 10'000 Revolutionären

    belagert und im Schussfeld zahlreicher Geschütze sah man sich am 27. Februar

    1792 gezwungen Übergabeverhandlungen aufzunehmen.

    S. 09: Nach freiwilliger Entwaffnung erhielt das Regiment mit den Fahnen

    ungehinderten Abzug, wurde von der Berner Regierung zurückgerufen und

    überschritt nach einem turbulenten Rückmarsch Mitte Juni die Grenze.

    Das Schweizer Garderegiment

    Das Schweizer Garderegiment wurde im Jahre 1616 durch Louis XIII.

    gegründet. Erster Kommandant war der Glarner Oberst Kaspar Gallati (1535-

    1619). «Gaspard Gallaty, du canton de Glaris catholique, à jamais célebre dans

    les annales de France, pas sa conduite remplie de bravoure, de mème que par

    son attachement inviolable, pour Henri III, Henri le Grand & Louis XIII, se

    trouvant en 1614 pour la septieme fois, à la tète d'un regiment Suisse de 3000

    hommes, divisé en dix compagnies de 300 hommes chacune: ce corps fut créé

    le 16 Mars 1616, régiment des gardes Suisses de sa majesté par des lettres-

    patentes de Louis XIII, donnés à Tours.»6

    Das Schweizer Garderegiment galt und verstand sich nicht bloss als loyale

    Wach- und Repräsentationstruppe, sondern war ein in zahlreichen Schlachten

    erprobter Eliteverband erster Wahl.

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    Es nahm nach dem französischen Garderegiment, mit dem es den Dienst teilte

    und eine Brigade bildete, den zweiten Rang in der Armeehierarchie ein. Das

    Garderegiment besass also auch gegenüber den elf Schweizer Linien-

    regimentern eine bevorzugte Stellung. Mannschaften, Unteroffiziere und

    Offiziere waren rangmässig höher eingestuft, was sich gesellschaftlich wie

    pekuniär auszahlte. Während die Linie im wesentlichen kantonale Kontingente

    umfasste, rekrutierte sich das Garderegiment in strenger Auslese aus der

    gesamten Eidgenossenschaft.

    Französische und Schweizergarden versahen in den königlichen Residenzen

    die sogenannte «äussere Wache», im Gegensatz zur Wache im Inneren der

    Paläste, welche das Garde du Corps und die Compagnie des Cent Suisses

    (gegründet 1496/97) versahen. «Und wenn der König, begleitet von einem

    glänzenden Gefolge, beim Klang der dumpfen Trommeln und den schrillen,

    den Bernermarsch spielenden Pfeifentönen, die Treppen herunterschritt, so

    standen links und rechts von ihm, wie zwei unbewegliche Mauern, die

    französische Garde von azurblauer und die Schweizergarde von blutroter

    Farbe.»7

    Das Regiment war, seit der Ordonnanz vom 1. Juni 1767 mit einem

    Sollbestand von 2415 Mann, in vier Bataillone zu je drei Füsilierkompanien

    und einer Grenadierkompanie eingeteilt. Angeschlossen war eine Gardebatterie

    mit 8 Geschützen und ein Spiel. Die Füsilierkompanien rekrutierten nur

    Bewerber mit einer Mindestgrösse von 5 Fuss 4 Zoll (162 cm),

    S. 10: die Grenadierkompanien und die Generalkompanie verlangten ein Gardemass

    von 5 Fuss 6 Zoll (168 cm). Die Generalkompanie, benannt nach deren

    Ehreninhaber, dem Oberkommandierenden, dem französischen «Colonel

    Général des Suisses et Grisons», erhielt als eigentliche Vorzeigekompanie

    exklusiv stets die grössten und schönsten Rekruten. Das Offizierskorps

    bestellte sich fast ausschliesslich aus dem Adel und dem Patriziat der

    eidgenössischen Orte und deren Zugewandte.

    Die völlige Zerschlagung dieses stolzen, ruhmreichen Korps am 10. August

    1792 und zwar innert weniger Stunden, war eine militärische Katastrophe.

    Zuweilen wagte man sogar den Vergleich mit dem Kampf der Spartaner gegen

    die Perser bei den Thermopylen von 480 v. Chr.

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    «On a comparé la journé du 10 août à celle des Thermopyles. Les Spartiates

    combattoient pour leurs femmes, pour leurs enfans, pour leur gloire, pour leur

    patrie, pour les autels de leurs dieux, les Suisses pour le sentiment du devoir,

    de la foi aux sermens, de l'honneur de leur pays. Les Spartiates et les Suisses

    savoient d'avance qu'ils marchaient à une mort inévitable, ils l'ont acceptée de

    sang froid, sans délibérer ni se plaindre. Mais les Spartiates avoient leur roi à

    leur tète et ce roi n'avoit pas ses propres sujets pour ennemis.»8 Tradition und

    Selbstverständnis der Truppe liessen den Soldaten in der Tat gar keine andere

    Wahl, als den Auftrag widerspruchslos zu erfüllen und in einem sinn- und bald

    auch aussichtslosen Kampf die eigene Haut möglichst teuer zu verkaufen. «La

    Garde meurt mais elle ne se rend pas!»

    Hauptmann Jost von Dürler (1746-1802), später Oberst des britischen Schweizerregiments von Roll (anonyme Miniatur). Dürler leitete nach der Gefangennahme des Interims-Kommandanten de Maillardoz unter persönlichem Einsatz die Verteidigung der Tuilerien, führte aufgrund des falsch übermittelten Befehls Louis XVI. ein Detachement zur Nationalversammlung und geriet in Gefangenschaft (vergleiche: Phase 5).

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    S. 11:

    Handschriftlicher Befehl Louis XVI. an Hauptmann Jost von Dürler (vergleiche: Phase 5). «Le Roi ordonne aux Suisses de déposer à l'instant leurs armes et de se retirer dans leurs casernes».

    Vor dem Sturm

    Im Oktober 1789 war Louis XVI. von Versailles in die Tuilerien «umgezogen»

    worden und lebte dort mit reduzierter Hofhaltung, quasi als Internierter, unter

    Kontrolle der Nationalversammlung. Die königliche Familie verliess das

    Stadtschloss nicht mehr und selbst die Spaziergänge in den Gärten wurden zum

    Spiessrutenlaufen unter den unflätigen Kommentaren des rund um die Uhr

    anwesenden neugierigen Gesindels. Die gesamte Verantwortung für den

    Schutz der Tuilerien lag praktisch auf den Schultern der Schweizer

    Wachmannschaften, weil auf die neugeschaffenen Nationalgarden kaum

    Verlass war. «Von ihren Fenstern aus konnte die königliche Familie die roten

    Schildwachen in den Höfen und vor den Türen auf- und abgehen sehen. Die

    Wachablösung geschah um 11 Uhr mit grosser Feierlichkeit, mit Fahne und

    Musik, wie in den schönen Tagen von Versailles. In zwei Reihen im

    Königshofe aufgestellt, schimmernd in der Augustsonne und unter den

    Klängen des von den Trommlern und Pfeifern geblasenen und geschlagenen

    Schweizermarsches erwiesen die ablösende Kompanie links und die abgelöste

    rechts der Fahne die militärischen Ehren und zeigten dabei jene Exaktheit in

    den Bewegungen ... wie sie den Schweizern eigen war.»9

    Als sich die Lage in Paris Ende Juli 1792 durch den steten Zuzug revolutio-

    närer Verbände dramatisch zugespitzt hatte und der Angriff in der Luft lag,

    war das Schweizer Garderegiment in der Nacht vom 4. zum 5. August

    alarmiert worden. Die Bataillone rück ten in die Tuilerien ein, verbrachten den

    ganzen Tag unter Waffen, kehrten aber, als sich nichts tat, abends wieder in die

    Kasernen zurück.

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    Das Regiment war seit Beginn der Revolution bestandesmässig auf

    Sparflamme gehalten worden. Am 7. August wurden zudem 300 Mann und 8

    Offiziere herausgezogen und in die

    S. 12: Normandie in Marsch gesetzt, offiziell mit dem Auftrag Getreidetransporte zu

    begleiten. Später wurde aber auch die Vermutung geäussert, das Detachement

    sei als Eskorte für die königliche Familie vorgesehen gewesen, falls sich diese

    nochmals zu einem Fluchtversuch entschlossen hätte. Das Detachement wurde

    später in Dieppe entlassen. Die Gardisten schlugen sich in die Heimat durch

    oder schlossen sich Einheiten der royalistischen Vendée an.

    Die Tuilerien Der Ende des 16. Jahrhunderts erbaute zwei- und dreistöckige Tuilerienpalast bildete auf einer Breite von über 300 Metern den nach Westen gerichteten Abschluss des Louvre. Er wurde flankiert von den heute noch bestehenden Pavillons de Marsan und de Flore. Der Ostseite vorgelagert waren verschiedene Gebäudekomplexe und Höfe, mit Mauern und Toren gegen den Place du Carrousel gesichert. Nach Westen erstreckten sich über fast 800 Meter grosszügige Parkanlagen bis zum Place Louis XV. (heute Place de la Concorde). Die Längsseiten des Parks säumten erhöhte breite Promenaden, die sogenannten Terrasses, von denen aus die Gärten überblickt werden konnten. Schloss und Nebengebäude wurden beim Aufstand der Pariser Kommune 1871 niedergebrannt und danach abgerissen. Die vorliegenden Lagepläne der Tuilerien (taktische Eintragungen von V. Oertle) stammen aus: Paul de Vallière, Treue und Ehre - Geschichte der Schweizer in fremden Diensten, Neuenburg 1912, Seite 517. Der Plan verhält sich zu den tatsächlichen Dimensionen nicht ganz massstabgetreu.

    So ist, als das Schweizer Garderegiment schliesslich den entscheidenden

    Befehl erhält, sich am 9. August morgens um 3 Uhr in den Tuilerien zu

    versammeln, um seinen König, dessen Familie und Residenz samt Resten des

    Hofstaates zu verteidigen, dessen Bestand auf die Hälfte der 2415 Mann Soll

    zusammengeschrumpft. Abzüglich der Kranken, Urlauber, Nichtkombattanten,

    der Wachsoldaten in den Stadtkasernen, in Rueil, Courbevoie und in den

    verwaisten Schlössern um Paris ...‚ beträgt die Kampfstärke gerade noch etwa

    900 Mann. An deren Seite stehen lediglich eine Handvoll schlecht bewaffnete

    Aristokraten, Minister, Offiziere und Bedienstete sowie etwa 2000 National-

    gardisten und etwas Gendarmerie, die beim ersten Schuss überlaufen werden.

    Die Munitionsdotation ist mangelhaft, die zu verteidigenden Gebäude-

    komplexe, Höfe und Gärten unübersichtlich, das Glacis durch windige

    französische Einheiten besetzt.

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    Es fehlt an einer straffen, einheitlichen Kommandostruktur, der König gibt

    keine Führerfigur ab, der für die Gesamt-verteidigung zuständige Chef der

    S. 13: Pariser Nationalgarde wird noch vor Kampfbeginn ermordet und der Interims-

    Kommandant des Garderegiments, der Freiburger Oberstleutnant Jean Roch

    Marquis de Maillardoz, gerät wenig später mit Louis XVI. in Gefangenschaft.

    Rund um die Tuilerien werden in den Morgenstunden des 10. August, begleitet

    von Sturmglocken und unter den Klängen von Carmagnole und Marseillaise,

    über 100'000 Mann und Weiber aufmarschieren, ein blutrünstiger Mob,

    Abschaum, Mitläufer, Revolutionsbataillone, zehntausende ehemalige

    Soldaten, übergelaufene Garde Nationale und Gendarmerie ... gut bewaffnet,

    fanatisiert und mit reichlich Artillerie ausgestattet. Parole: Tuilerien stürmen,

    Schweizer mit Stumpf und Stiel ausrotten und das «dicke Schwein» arretieren!

    Westseite des Tuilerienpalastes - Blick von der Terrasse de 1'Eau (Kupferstich von Rigaud).

    Legende und Wahrheit

    Der 10. August 1792 ist ein bedeutendes Datum in der Geschichte der

    Französischen Revolution und derjenigen der eidgenössischen Fremddienste.

    An diesem Tag beseitigte eine neue schwungvolle Idee mit Hilfe der Anarchie

    ein überkommenes morsches System. Selbst für eine konstitutionelle

    Monarchie, deretwegen sich das berühmteste Schweizerregiment des

    königlichen Heeres, weniger aus politischer Überzeugung als vielmehr dem

  • - 18 -

    S. 14: Ordre de Bataille des Schweizer Garderegiments

    am Vorabend des 10. August 1792

    I. Bataillon (Standort Paris) Grenadierkompanie de la Thanne (Freiburg) Generalkompanie (Füsiliere) Oberstenkompanie (Füsiliere) Oberstleutnantskompanie (Füsiliere)

    II. Bataillon (Standort Rueil) Grenadierkompanie de Castella (Freiburg) Füsilierkompanie d'Affry (Freiburg) Füsilierkompanie von Salis-Zizers (Graubünden) Füsilierkompanie von Roh (Solothurn)

    III. Bataillon (Standort Courbevoie) Grenadierkompanie von Diesbach (Freiburg) Füsilierkompanie von Dürler (Luzern) Füsilierkompanie de Loys (Bern) Füsilierkompanie Pfyffer von Altishofen (Luzern)

    IV. Bataillon (Standort Courbevoie) Grenadierkompanie von Surbeck (Solothurn) Füsilierkompanie von Byss (Solothurn) Füsilierkompanie von Reding (Schwyz) Füsilierkompanie von Erlach (Bern)

    Vergleiche: August von Gonzenbach, Der 10. August 1792 mit besonderer Rücksicht auf die Haltung des Schweizer Garderegiments, Bern 1866, Seite 111 f. Der Sollbestand des Regiments betrug 2415 Mann. Nach den Revolten der Jahre 1789/90 mit den nachfolgenden Entlassungen umfasste das Regiment noch rund 2000 Mann. Danach sank der Bestand bis zum August 1792 auf rund 1500 Mann ab. Es fanden kaum noch Rekrutierungen statt und Urlaube wurden grosszügig gewährt. Die Gardebatterie mit 50 Artilleristen war bereits 1789 aufgelöst und deren 8 Geschütze an die Nationalgarde abgetreten worden.

    Abzüglich der am 7. August in die Normandie detachierten 300 Soldaten und 8 Offiziere (aus allen Kompanien herausgezogen), der Nichtkombattanten, der Kranken, der Urlauber sowie der Wachmannschaften in den Kasernen, Schlössern, Palais und anderen staatlichen Einrichtungen in und um Paris standen zur Verteidigung der Tuilerien gerade noch etwa 900 Mann samt 42 Offizieren zur Verfügung.

    S. 15: Eid verpflichtet, buchstäblich in Stücke hauen liess, war kein Platz mehr. Das

    Regiment verteidigte Höfe, Gärten, Stauungen, Wachlokale ... und ein Schloss,

    das der König am Morgen, eine Stunde vor dem Angriff freiwillig verlassen

    hatte. Während sich Kompanien und Züge in totaler Befehlskonfusion,

    gnadenlosen Nahkämpfen und verzweifelten Ausbruchversuchen aufrieben,

    sass derjenige, dem der Einsatz galt, nur wenige hundert Meter entfernt, in der

    zur Nationalversammlung umfunktionierten ehemaligen königlichen Reitbahn

    bereits in Arrest.

  • - 19 -

    Das Opfer war letztlich vergebens, umsomehr verdient die Haltung der Truppe

    uneingeschränkten Respekt. «Ich bin für mein Verhalten den eidgenössischen

    Ständen, meiner Obrigkeit, verantwortlich, nie werde ich die Waffen

    strecken»,10 soll Hauptmann von Dürler im Cour Royale der Aufforderung zur

    Kapitulation entgegnet haben.

    Das Debakel des 10. August 1792 war bis in unser Jahrhundert hinein

    Gegenstand zahlreicher, wenn auch zumeist heroisierender kriegsgeschicht-

    licher Abhandlungen. Dabei geisterte stets von neuem die These herum, das

    Regiment sei «bis zum letzten Mann» aufgerieben worden, obwohl lange vor

    der ersten Centenarfeier bereits sachliche Forschungsergebnisse vorlagen,

    unter anderem des eidgenössischen Staatsschreibers August von Gonzenbach

    (Der 10. August 1792 mit besonderer Rücksicht auf die Haltung des Schweizer

    Garderegiments, Bern 1866). Diese immer wieder kolportierte Legende basiert

    offensichtlich auf ersten Horrormeldungen aus Paris, wonach «alle Schweizer

    in den Tuilerien umgekommen seien».11 Schon ein Blick in das «Verzeichniss

    der noch lebenden Offiziers, Unter-Offiziers und Soldaten, welche den 10.

    August 1792 unter dem Königlichen Schweizer-Garde-Regiment in Paris, den

    Kampf für die Sache des Königs bestanden haben», der Eidgenössischen

    Kanzlei in Bern vom 5. Dezember 1818, hätte solche Behauptungen längst ad

    acta legen lassen. Die Liste diente als Grundlage für die Verleihung der von

    der Tagsatzung gestifteten Denkmünze «Treue und Ehre» und enthielt 345

    Namen.

    Füsilier und Kanonier (rechts) des Schweizer Garderegiments (Ansichtskarte, um 1920).

  • - 20 -

    S. 16: Geschichtslosigkeiten

    Noch um die Jahrhundertwende waren die Fremddienste im Bewusstsein

    breiter Bevölkerungskreise solid verankert. Damals lebten immerhin noch

    neapolitanische Veteranen, sowie ehemalige päpstliche Carabinieri, Cacciatori

    und Zuavi von Mentana (3.11.1867) und Castelfidardo (18.9.1860) und

    altgediente Fremdenlegionäre waren hoch im Kurs. Historische Daten wie der

    10. August 1792 wurden vom eidgenössischen Milizheer, mangels eigener

    zeitnaher Glanzlichter, nur zu gerne für die Traditionspflege vereinnahmt. Und

    noch während der Grenzbesetzung 1939/45 gehörte der Kampf des Schweizer

    Garderegiments in den Tuilerien, als nachahmenswertes Beispiel unbeirrter

    Pflichterfüllung bis in den Tod, zum Repertoire offizieller

    Durchhaltepropaganda, quasi als Moralspritze für Volk und Armee.

    Sappeur des Schweizer Garderegiments (Kupferstich von Wille).

    Danach gerieten die Fremddienste zunehmend in Vergessenheit, bis über

    diesen bedeutenden Abschnitt schweizerischer Militär- und Kriegsgeschichte

    weitum kaum noch ein blasser Schimmer an Wissensstand festzustellen war.

    Dafür fühlte sich das selbst gefällige Kleinbürgertum aufgerufen, gegen

    moderne Schweizer Reisläufer, insbesondere Interbrigadisten und

    Ostfrontkämpfer, pauschal Dreck zu schmeissen, ohne selbst je einen Schuss

    Pulver gerochen zu haben. «Vae victis»!

    Wer ist denn heute noch in der Lage, Namen wie Pavia, Rocroy, Denain oder

    Baylen ... in der militärhistorischen Agenda einzuordnen? Vielleicht ist

    katholischen Insidern der Sacco di Roma (6.5.1527) noch ein vager Begriff.

  • - 21 -

    Des Oberleutnants Thomas Legler und seiner Beresinagrenadiere von 1812

    werden sich nur noch geschichtsbewusste Glarner erinnern und neben

    knipsenden Touristen aus Asien und Amerika dürften zahlreiche Schweizer

    wohl ebenso ratlos vor dem sterbenden Löwen von Luzern verweilen, im

    erfolglosen Bemühen die lateinischen Texte zu deuten.

    Die aufgrund von Berichten Überlebender in etlichen Publikationen

    rekonstruierten Kampfhandlungen um die Tuilerien sind im wesentlichen

    erforscht, wenn auch nicht immer mit deckungsgleichem Ergebnis.

    Insbesondere über die Einsätze kleinerer

    S. 17: Kampfgruppen (namentlich auch der Generalkompanie) des am frühen

    Nachmittag des 10. August 1792 zerschlagenen und führungslos gewordenen

    Regiments kursieren verschiedenste Versionen. Mit dem unrealistischen und

    zudem noch falsch übermittelten Befehl Louis XVI., das Regiment solle sich in

    die Kasernen zurückziehen, verwandelte sich schon zu Beginn der Gefechte

    ein erster unerwartet glänzender Abwehrerfolg abrupt in eine vernichtende

    Niederlage. Der trotz widriger Umstände nicht chancenlose Verteidigungsplan

    zerfiel in eine Vielzahl unkoordinierter Einzelaktionen, deren Ablauf sich

    später nur noch mühevoll nachvollziehen liess.

    Anhand von Lagekarten und gegliedert in sechs, in Wirklichkeit sich

    überschneidende Hauptphasen, sollen hier zum 200. Jahrestag des

    Tuileriensturms die Kämpfe in groben Zügen und damit zum leichteren

    Verständnis nochmals skizziert werden.

  • - 22 -

    Anmerkungen

    1 «Der Treue und Tapferkeit der Schweizer» - Inschrift über dem

    Löwendenkmal in Luzern.

    2 Gonzenbach August von, Der 10. August 1792 mit besonderer Rücksicht auf

    die Haltung des Schweizer Garderegiments, Bern 1866, Seite 4.

    3 Der kommandierende Unterwaldner Leutnant von Flüe verfasste einen

    ausführlichen Bericht über die Verteidigung der Bastille und die Umstände, die

    zur Einnahme durch die Revolutionäre führten. Vergleiche: Eugène Fieffé,

    Geschichte der Fremdtruppen im Dienste Frankreichs …...‚ München 1856,

    I. Band, Seite 468 ff

    4 Vallière Paul de, Treue und Ehre - Geschichte der Schweizer in fremden

    Diensten, Lausanne 1940, Seite 604 f

    5 Carl, Die Schweizerregimenter in Frankreich 1789-1792. Episoden aus der

    Revolutionsgeschichte Frankreichs und der Schweiz, St. Gallen 1853, Seite 94f

    6 May M. de Romainmotier, Histoire militaire de la Suisse et celle des Suisses

    dans les différens services de l'Europe, Lausanne 1788, Tome VI., Seite 374f.

    7 Vallière Paul de, Heldentod des Schweizer Garderegiments - Die Verteidi-

    gung des Tuilerienschlosses am 10. August 1792, Zürich/Leipzig 1937, S. 14.

    8 Pfyffer Karl, Récit de la Conduite du Régiment des Gardes Suisses à la

    Journée du 10. Août 1792, Luzern 1819, Seite 1.

    9 Vallière Paul de, Treue und Ehre - Geschichte der Schweizer in fremden

    Diensten, Lausanne 1940, Seite 605.

    10 desgleichen, Seite 620

    11 Gonzenbach, August von, Der 10. August 1792 mit besonderer Rücksicht

    auf die Haltung des Schweizer Garderegiments, Bern 1866, Seite 252.

  • - 23 -

    S. 18/9: 1. Phase 9. August 1792

    Angesichts der kritischen Lage werden die Bataillone aus Rueil, Courbevoie

    und die Pariser Garnison in der Nacht vom 4. zum 5. August in die Tuilerien

    beordert. Die Garde steht den ganzen Tag unter Waffen und rückt, da sich

    nichts tut, abends wieder ab.

    In der Nacht vom 8. zum 9. August wird das Schweizer Garderegiment erneut

    alarmiert. Ein Teil der Fahnen wird in der Kaserne von Courbevoie vergraben,

    um sie nicht an den zahlenmässig weit überlegenen Gegner zu verlieren. In den

    Kasernen verbleiben nur Wachmannschaften, Nichtkombattante und Kranke.

    Kleinere Detachemente sichern Schlösser und staatliche Einrichtungen in und

    um Paris.

    1. Die Bataillone treffen, gesichert durch Vorhut und Plänkler gegen 03.00

    über die Champs-Elysées in den Tuilerien ein.

    «Hinter den Sappeuren erhebt sich der stolze Schatten des Marquis von

    Maillardoz zu Pferd, dann folgt der Tambourmajor Chaullet, riesenhaft und in

    prachtvoller Uniform, den Pfeifern und kleinen, 15jährigen Trommlern

    vorangehend. Es folgen die Bärenmützen von Castella, die Walliser Kompanie

    von Courten, die Freiburger des Hauptmanns Ludwig von Affry, die

    Grenadiere von Diesbach, die Bündner von Salis, die Solothurner von Roll, die

    Luzerner von Dürler, die Berner und Waadtländer von Loys und die Schwyzer

    von Reding. Unter dem regelmässigen Taktschritt wogen die Gewehre von

    einem Kolonnenende zum anderen, die Bajonette werfen kurze Blitzlichter

    über die weissgeränderten Dreispitzhüte.

  • - 24 -

    Mit Todesdrohungen werden diese Männer empfangen, die sich dessen

    bewusst sind, dass dieser nächtliche Aufmarsch ihr letzter ist» (Paul de

    Vallière, Heldentod des Schweizer Garderegiments - Die Verteidigung des

    Tuilerienschlosses am 10. August 1792, Zürich/Leipzig 1937, Seite 56 f).

    2. Knapp 900 Schweizer, etwa 200 schlecht bewaffnete königstreue Adelige

    und ehemalige französische Offiziere, rund 2000 Mann Nationalgarde mit

    etwas Artillerie sowie einige Abteilungen Gendarmerie richten sich auf

    Verteidigung ein.

    Dem Schutz des Schlosses, der Höfe und vorgelagerten Gebäudekomplexe gilt

    erste Priorität. Die Zugänge von der Place du Carrousel her, sowie bei den

    Pavillons de Flore und de Marsan werden abgeriegelt. In der weitläufigen

    unübersichtlichen Gartenanlage, entlang der Terrasses de l'Eau und Feuillants

    (heute Rue Rivoli), an der Drehbrücke zur Place Louis XV. (heute Place de la

    Concorde) wird nur leicht gesichert.

    Der Aufmarsch der Revolutionsbataillone und fanatisierter Massen zeichnet

    sich in den Nachtstunden zum 10. August definitiv ab. Die Verteidiger

    beziehen Gefechtsposition.

    Der greise 79jährige Generalleutnant und Oberst des Schweizer Garde-

    regiments Graf Ludwig August d'Affry übergibt das Kommando an Oberst-

    leutnant Marquis de Maillardoz aus Freiburg und zieht sich zurück.

    S. 20/1: 2. Phase 10. August 1792, morgens

    Louis XVI. inspiziert um 06.00 unter dem Gejohle zahlreichen Pöbels die zur

    Verteidigung bereitgestellten Truppen. Während dieser letzten Revue in den

    Höfen und Parkanlagen der Tuilerien machen sich bei den französischen

    Einheiten Auflösungserscheinungen bemerkbar. Die Schweizerkompanien

    bewahren Haltung, zeigen sich ruhig und gefasst.

    «Die Schweizer Trommler schlagen feierlich den Ehrenmarsch. Pfeifentöne

    schrillen in die Luft. Indem sie die Waffen präsentieren, folgen die Männer

    erhobenen Hauptes dem Blicke dessen, der schon nicht mehr König von

    Frankreich ist. Die Offiziere grüssen mit dem Degen. Die geflammten Fahnen

    mit dem weissen Kreuz flattern in der Luft. Gleichgültig und zerstreut geht der

    König, ohne stille zu stehen, an den Reihen vorbei» (Paul de Vallière,

    Heldentod des Schweizer Garderegiments - Die Verteidigung des

    Tuilerienschlosses am 10. August 1792, Zürich/Leipzig 1937, Seite 83).

  • - 25 -

    1. In Erwartung des Angriffs lässt sich der König durch Minister und

    Abgeordnete überreden, die Nationalversammlung aufzusuchen um sich unter

    deren «Schutz» zu stellen.

    Mit einer Eskorte, bestehend aus der Schweizer Generalkompanie und 50

    Grenadieren der Nationalgarde verlässt die königliche Familie gegen 08.30 das

    Schloss. Im Gefolge befinden sich auch Oberstleutnant de Maillardoz und

    Offiziere des Regimentsstabs.

    2. Die Generalkompanie bleibt unterhalb der von Revolutionären dicht

    belagerten Terrasse des Feuillants zurück und wartet auf weitere Befehle.

    3. Abgeordnete und Grenadiere der Nationalgarde bahnen dem König und

    seinem Gefolge den Weg zur Nationalversammlung. Oberstleutnant de

    Maillardoz (Anfang September 1792 in der Conciergerie ermordet) und die

    Stabsoffiziere werden gefangen genommen. Louis XVI. und seine Familie

    kommen in einer Journalistenloge in Sicherheitshaft.

    Nachdem der König das Schloss verlassen hat, verdrücken sich die National-

    gardisten in Masse oder laufen zu den Belagerern über.

    S. 22/3: 3. Phase 10. August 1792, vormittags

    Nach der Gefangennahme des Interims-Kommandanten, Oberstleutnant von

    Maillardoz, übernimmt der Luzerner Hauptmann Jost von Dürler die Leitung

    der Verteidigung.

  • - 26 -

    Inzwischen haben sich an die 100'000 Gegner, Revolutionsbataillone,

    übergelaufene französische Einheiten, Unterweltsgestalten aller

    Schattierungen, ein blutrünstiger Mob, Mitläufer und Gaffer rund um die

    Tuilerien zusammengerottet.

    1. Um etwa 09.00 werden alle Sicherungen aus den Gärten zurückgezogen und

    die Verteidigung auf die Gebäudekomplexe und Höfe konzentriert. Mit den

    königstreuen französischen Adeligen und Offizieren bleibt gerade noch eine

    Handvoll Nationalgarde und Gendarmerie bei der Stange. Das Regiment hat

    Ordre erst zu schiessen, wenn es angegriffen wird. Das Gerücht, die Schweizer

    hätten das Feuer eröffnet, wird später das kriminelle Gesindel vollends zu

    Greueltaten aufstacheln.

    2. Gegen 09.30 durchbrechen die Angreifer das Tor zum Cour Royale. «Am

    Fuss der grossen Treppe sehen sie vier Schweizerkompanien in Schlacht-

    ordnung, Gewehr bei Fuss, die Offiziere vor der Front, die Wachtmeister hinter

    der Linie in Reih und Glied, andere Abteilungen decken, einem scharlachroten

    Teppich gleich, die Stufen. Das ist der letzte Anblick des Regiments im Glanz

    der blitzenden Bajonette, der schimmernden Uniformen und der flatternden

    Fahnen» (Paul de Vallière, Heldentod des Schweizer Garderegiments - Die

    Verteidigung des Tuilerienschlosses am 10. August 1792, Zürich/Leipzig

    1937, Seite 95). Die letzten französischen Artilleristen wechseln die Front und

    richten die Geschütze gegen das Schloss. Die Gendarmen laufen über. Die

    Menge drängt in die Höfe und fordert die Kapitulation.

  • - 27 -

    Die Schweizer Offiziere lehnen die kampflose Übergabe ab. Rangeleien

    zwischen provozierten Wachtposten und Sansculottes folgen vereinzelte

    Schüsse, worauf die Revolutionäre im Cour Royale das Feuer eröffnen. Die

    Schweizer schliessen die auf gerissenen Reihen, erwidern Pelotonfeuer und

    schlagen den Angriff ab. Auch auf der Gartenseite setzt der Beschuss ein.

    3. Die Generalkompanie wartet in schwieriger Lage seit einer Stunde auf

    Befehle.

    S. 24/5: 4. Phase 10. August 1792, vormittags

    1. Die Schweizer machen Ausfälle im Cour Royale sowie bei den Pavillons

    und erobern einige Kanonen. Ein Teil der Geschütze muss allerdings vernagelt

    werden da Munition und Lunten fehlen. Die Höfe und Terrassen werden

    gesäubert und der Place du Carrousel mit Feuerunterstützung aus den Schloss-

    etagen vorübergehend leergefegt.

    «Die von wildem Schrecken erfasste Menge wälzt sich wie ein Gebirgsbach

    nach den Gassen und Uferstrassen hin, flutet zurück und wird bis zum Rathaus

    gewirbelt, viele enden ihre Flucht erst in der Vorstadt St. Antoine. Die vom

    Strom der Flüchtlinge mitgerissene berittene Gendarmerie bringt die

    Verwirrung auf ihren Höhepunkt. Pistolenschüsse gehen auf gut Glück los,

    Menschen werden unter den Pferdehufen niedergetreten. Alles schreit nach

    Verrat und beschuldigt die Schweizer des Mordes ...» (Paul de Vallière, Treue

    und Ehre - Geschichte der Schweizer in fremden Diensten, Lausanne 1940,

    Seite 621).

  • - 28 -

    Die Gewehrmunition wird knapp. Die letzten Patronen aus den Kartouchen-

    taschen Gefallener und Verwundeter werden auf die besten Schützen des

    Regiments verteilt.

    2. Die Generalkompanie steht unter Beschuss und macht sich durch

    Gegenstösse Luft. Ein Bataillon der Nationalgarde wird überrannt.

    «Plötzlich eröffnet ein am Eingang der Reitbahn aufgestelltes Geschütz das

    Feuer auf die zusammengedrängte Kompanie, die sofort ausbricht, die

    Terrassenmauer erklettert, und mit einem gutgezielten Feuer die Kanoniere

    zerstreut. Die Menge flüchtet sich ... in die Sackgasse der Orangerie» (Paul de

    Vallière, Heldentod des Schweizer Garderegiments - Die Verteidigung des

    Tuilerienschlosses am 10. August 1792, Zürich/Leipzig 1937, Seite 103).

    Die Angriffe sind beidseits der Tuilerien nach kaum 20 Minuten abgewiesen.

    Das Garderegiment hat die Situation im Griff aber die zerstreuten Massen

    organisieren sich erneut.

    S. 26/7: 5. Phase 10. August 1792, vormittags

    Der Kampflärm dringt bis zur Nationalversammlung. Unter dem Druck der

    aufgeregten Deputierten erlässt Louis XVI. folgenden Befehl: «Der König

    befiehlt den Schweizern, sich in ihre Kasernen zurückzuziehen. Er befindet

    sich im Schosse der Nationalversammlung». Dieser Befehl wird offensichtlich

    in der Aufregung nicht richtig gelesen, mündlich ungenau übermittelt und

    schliesslich so interpretiert, dass sich die Schweizer sofort zum König in die

    Nationalversammlung in Marsch zu setzen hätten.

    1. Die Offiziere lassen im Vestibüle des Schlosses sammeln. Etwa 200 Mann

    unter Führung von Hauptmann Jost von Dürler schlagen sich verlustreich zur

    Nationalversammlung durch. Im Gefechtslärm werden die Signale zum

    Sammeln nicht überall vernommen und der Befehl zum Abrücken erreicht

    zahlreiche Posten im weitläufigen Schloss nicht oder zu spät.

    2. Die Generalkompanie hat sich bei der Reithalle wieder geordnet und

    vereinigt sich mit dem anrückenden Detachement.

    Das Auftreten der Schweizer bewirkt in der Nationalversammlung, die über die

    Lage kaum informiert ist, Panik. Die Offiziere erkennen den Irrtum. Der König

    erteilt Hauptmann Dürler den schriftlichen Befehl: «Le Roi ordonne aux

    Suisses de dèposer à l'instant leurs armes et de se retirer dans leurs casernes.»

  • - 29 -

    Ein Rückzug in die Kasernen ist aber zu diesem Zeitpunkt absolut unmöglich

    geworden. Die Schweizer werden entwaffnet, gefangengenommen und teils

    auf der Stelle ermordet.

    3. Teile der Generalkompanie verweigern die Entwaffnung, schlagen sich bis

    zur Place Louis XV. durch und werden dort im Kampf massakriert.

    Der unrealistische und falsch übermittelte Befehl des Königs hat für das

    Garderegiment katastrophale Folgen. Vielleicht hätte sich das Regiment mit

    einem geschlossenen Ausbruch noch verlustreich vom Gegner lösen können.

    Dessen Kompanien stehen jedoch nunmehr auseinandergerissen und ohne

    koordinierende Gesamtführung vollends auf verlorenem Posten.

    4. Die Angreifer dringen ins Schloss ein.

    S. 28/9: 6. Phase 10. August 1792, gegen Mittag/nach mittags

    1. In und um die Tuilerien kämpfen noch etwa 450 Schweizergardisten im

    Verhältnis 1:100 weiter. Offiziere und Unteroffiziere versuchen die Reste der

    Kompanien zu sammeln, um sich zur Nationalversammlung oder in die

    Kasernen durchzuschlagen. Die Gebäudekomplexe stehen unter massivem

    Artilleriebeschuss und brennen.

    Im Schloss entwickelt sich über Stunden ein gnadenloser Nahkampf, eine

    Hetzjagd nach allem was Uniform, Perücke oder Seide trägt, in den

    Treppenhäusern, von Etage zu Etage, von Saal zu Saal, bis unters Dach.

    Insbesondere die verhassten Schweizer sollen mit Stumpf und Stil ausgerottet

    werden.

  • - 30 -

    Mobiliar, ganze Bibliotheken, Gemälde und Kunstgegenstände werden

    geplündert oder in blinder Zerstörungswut vernichtet.

    2. Bei einem verzweifelten Ausbruchversuch durch den Cour de Marsan geht

    eine Kampfgruppe in Kompaniestärke unter.

    3. Eine längst ausgeschossene Abteilung von etwa 200 Mann bricht durch die

    Gärten aus, zuerst in Richtung Nationalversammlung, erreicht schliesslich

    schwer angeschlagen den Place Louis XV., löst sich im Nahkampf auf und

    wird von der tobenden Menge zusammengesäbelt, erschlagen und auf

    gespiesst.

    Kleine Gruppen und einzelne Gardisten versuchen den Ausbruch auf eigene

    Faust, hauen über Dächer und durch Kamine ab. «... Schiessen, Fluchen,

    Todesschreie nicht nur im Garten, in den Höfen, auf den Terrassen, ... sondern

    in den Korridoren und Gemächern des Schlosses, in dem die Rasenden alles

    morden, was sie trafen: verwundete und sterbende Schweizer und Adlige,

    Diener und Lakaien des Königs, sogar ... einen zehnjährigen Küchenjungen,

    den die Scheusale lebendig in einem Kessel sotten. Durch die zertrümmerten

    Fenster wurden Leichname und Lebendige in die Tiefe geschleudert, bald

    folgten ihnen Kommoden, Tische, Spiegel, und die Trümmer der kostbaren

    Möbel wurden zu hohen Haufen aufgetürmt und angezündet ... und trunken

    von Blut und Wein begannen Weiber und Männer um diese Feuer zu tanzen

    …...» (Joseph Spillmann, Tapfer und Treu - Memoiren eines Offiziers der

    Schweizergarde Ludwigs XVI., Freiburg i. B. 1917, Seite 212).

  • - 31 -

    Kasernen und Palais in und um Paris werden gestürmt, die Schweizer

    Wachmannschaften massakriert oder gefangengenommen. Während Tagen und

    Wochen herrscht völlige Anarchie mit wilder Jagd auf alles Schweizerische,

    Aristokratische und Klerikale.

    Abgehackte Körperteile, zerfetzte Uniformen und Ausrüstungsgegenstände

    werden im Triumph herumgetragen. Gefangene werden ermordet oder enden

    unter der Guillotine. Trotzdem gelingt es zahlreichen Gardisten mit Hilfe

    königstreuer Franzosen unterzutauchen. Sie erhalten Unterschlupf, Pflege und

    Zivilkleider, fliehen später in die Schweiz oder lassen sich erneut anwerben, in

    die antirevolutionären Koalitionsarmeen, in Einheiten der royalistischen

    Vendée, in die Massenheere der Republik …

    S. 30: Anhang

    Zeitzeugen

    Unteroffizier J. Bonifaci Good aus Mels versah Anfang August 1792 mit 6

    Mann Wachdienst bei der Staatskasse in Paris. In der Zeit vom 10. August bis

    zum 3. September fasste er seine Eindrücke in einem Brief an die Geschwister

    zusammen. Dieser Brief wurde am 1. August 1916 im Feuilleton der NZZ Nr.

    1219 unter dem Titel «Aus den Aufzeichnungen eines roten Schweizers»

    veröffentlicht. Die folgenden Passagen vermitteln ein eindrückliches

    Stimmungsbild aus der im Chaos versinkenden französischen Hauptstadt.

    «Ich fange an, ein trauriges Schicksal zu beschreiben, ich weiss aber nicht, ob

    ihr diese Zeilen, welche euer auf den Tod betrübter Bruder euch widmet,

    werdet zu sehen bekommen oder nicht, die Hoffnung ist klein und die Gefahr

    ohnbeschreiblich gross ... Heut am Morgen umb ohngefähr 8 Uhr war ich vor

    der Porten einer Caisse, wo ich alle Tage meine Verrichtung hatte, und ich

    wartete alda bis man aufmachen würde, es kamen undschiedliche Personen und

    sagten ... dass der Pöbel schon vielen die Köpf abgehauen und dass man selbe

    in der Stadt herumtrage. Bald darauf sagte man, dass schon viele Leut auf dem

    Carouzelle versamlet seyen und dass man nur auf die Einwohner der Forburg

    St. Antoine warte, umb mit Gewalt in die Tuilerien zu dringen und das ganze

    Schloss niederzureissen.

  • - 32 -

    Das ganze Regiment der Schweizergarde war alda, ausgenommen 300 Mann,

    welche verwichnen Dienstag auf Evreux in die Normandie seind detachiert

    worden, ich förchtete aber noch nicht, dann ich hoffete, dass die Garde

    Nationale sambt der Schweizer Garde dieses Vorhaben des Pöbels vernichten

    werde ... Bald dar auf kam Zeitung, dass die Schweizer auf den Pöbel Feuer

    gegeben haben, und dass die Schlacht angefangen. Ich könnte dieses noch

    nicht glauben. Bald aber hörte man ein Kanonen-Feuer.

    Gute Freund ermahnten mich und meine 6 Soldaten, uns zu verstecken ... Ich

    gieng in mein Zimmer und nahm meine Soldaten mit, zum Glück hab ich

    Bürgerkleider, welche ich gleich anzoge. Ich sagte denen Soldaten, sie sollen

    im Zimmer bleiben und sich nicht sehen lassen Meine Frauen waren unsere

    Boten, welche uns die Neuestigkeiten in unser Gefängnis brachten, etwelche

    alle Mal schrecklich waren, das erste Mal kam meine Frau weinend und sagte,

    dass man schon Grenadier Katzen und Stücker von Schweizer Röcken in denen

    Strassen herumtrage, ein andere, dass das Königschloss schon in vollem Brand.

    Ich durfte mich nicht sehen lassen, ich hörte immer mit Stücken schiessen, ich

    sahe den dicken Rauch aufsteigen bis in die Wolken, ich hörte ein greuent-

    liches Schreien und Rufen in denen Strassen. ... Nun kombt meine Schattiger

    S. 31: aus der Hall zurück und sagt, dass man die zerstückten Cörper von denen

    Schweyzern in denen Strassen herum schlege, wie auch, dass man ihre aus

    gerissenen Herzen an denen Spitzen der Säbel herumtrage. ... Du allein all

    mächtig gütiger barmherziger Gott kannst uns aus dieser Gefahr noch retten. ...

    Ich wollte gerne das wenige was ich dato mit saurem Schweiss ersparet

    verlassen und mit meinen Händen die Erde umbatzen umb mich und meine

    kleine Familie zu unterhalten, aber ich sehe keine Hoffnung darvon zu

    kommen. Der Massacre in denen Prisonen dauert fort, die abgeschlagenen

    Köpf werden herumgetragen und die Leiber herumgeschleppt in allen Strassen.

    Man hört nichts anderes als ein erschreckliches Heulen und Schreien, General

    schlagen und Sturmläuten » J. Bonifaci Good hielt sich mit seiner Familie

    mehrere Wochen in Paris versteckt, bis ihm die Flucht in die Schweiz gelang.

    Seine Brüder Jakob Felix und Franz Anton dienten ebenfalls im Garde-

    regiment. Jakob Felix gehörte zu dem Detachement, das am 7. August in die

    Normandie entsandt wurde. Auch er überlebte.

  • - 33 -

    Franz Anton Good (1755-1818) diente als Korporal im Regiment, wurde

    bereits 1786 entlassen und machte zu Hause als Politiker und Arzt Karriere.

    Seine Tagebücher wurden auszugsweise publiziert und geben einen

    lebensnahen Einblick in die letzten Jahre des Ancien Régime. Unter anderem

    war er 1783 Augenzeuge eines Heissballonflugs der Gebrüder Montgolfier

    (vergleiche: Jean Geel, Vom Söldner zum Landarzt - Nach Aufzeichnungen

    eines Schweizergardisten in Paris zur Zeit Ludwigs XVI., Bad Ragaz 1969).

    Napoleon Bonaparte (1769-1821) als General der Revolutionsarmee während der Schlacht bei Arcole (15./17.11.1796), (Ansichtskarte, um 1920). Napoleon war als junger Artillerie-hauptmann passiver Zeitzeuge der Kämpfe um die Tuilerien.

    Ein prominenter Zeitzeuge des Tuileriensturms war Napoleon Bonaparte

    (1769-1821), damals noch junger Artilleriehauptmann, ein Jahr später aber

    bereits erfolgreicher Brigadegeneral der Revolutionsarmee. Im Exil auf St.

    Helena schrieb er über seine Eindrücke und Erlebnisse des 10. August 1792:

    «Das Schloss war von der abscheulichsten Canaille angegriffen. ...

    S. 32: Nach der Einnahme des Palastes ... versuchte ich es, in den Garten zu

    gelangen. Niemals später hat mir irgend eines meiner Schlachtfelder die

    Vorstellung so vieler Leichen erzeugt, als da die Menge der Schweizer zeigte,

    sei es, dass der kleine Raum ihre Zahl hervor hob, sei es, dass es mein erster

    solcher Eindruck war.

  • - 34 -

    Ich sah da Weiber auf den Leichen die ärgsten Schändlichkeiten begehen»

    (Wolfgang Friedrich von Mülinen, Das französische Schweizer Garderegiment

    am 10. August 1792, Luzern 1892, Seite 54 f).

    Napoleon wollte später in seinem kaiserlichen Heer ebensowenig auf

    Schweizertruppen verzichten, wie vorher (ab 1798) das französische

    Direktorium auf die zwar unterbesetzten Helvetischen Halbbrigaden. Am 27.

    9. 1803 schloss er mit der Eidgenossenschaft eine erste Militärkapitulation

    über 4 Linienregimenter ab.

    Verluste

    Die Verluste des Schweizer Garderegiments wurden sehr unterschiedlich und

    teils wesentlich zu hoch angesetzt. Selbst in modernen Publikationen taucht

    noch da und dort die Behauptung auf, das Regiment sei «bis zum letzten

    Mann» aufgerieben worden. Diese Fehlinformation hat einesteils ihren

    Ursprung in ersten Horrormeldungen, die bereits wenige Tage nach dem

    Untergang des Regiments in die Schweiz gelangten. Andernteils passten solche

    Hypothesen in das lange überhöht zelebrierte Geschichtsbild der Schweizer in

    fremden Diensten.

    Fest stehen allein die Namen der 26 gefallenen und ermordeten Offiziere. Sie

    sind am Löwendenkmal in Luzern aufgeführt, ebenso wie diejenigen der 16

    überlebenden Offiziere. Am 9./10. August 1792 waren also insgesamt 42

    Schweizeroffiziere in den Tuilerien, sowie drei französische Truppenärzte, ein

    französischer Regimentsschreiber, ein Zahlmeister, ein Feldprediger, ein

    Mathematiklehrer und zwei Tambourmajors, die alle dem Stab zugeteilt waren

    (Karl Pfyffer, Recit de la Conduite du Regiment des Gardes Suisses ...‚ Luzern

    1819, Seite 25 f.). In Luzern sind ferner 760 (ca.) umgekommene und 350 (ca.)

    überlebende Unteroffiziere und Mannschaften angegeben. Bei beiden Zahlen

    wurde mit Sicherheit weit daneben gegriffen. Paul de Vallière kam in seinem

    Standartwerk sogar auf 850 Mann Verluste an Unteroffizieren und

    Mannschaften (Treue und Ehre - Geschichte der Schweizer in fremden

    Diensten, Lausanne 1940, Seite 637).

  • - 35 -

    S. 33:

    Tambourmajor des Schweizer Garderegiments (Aquarell von L. Rousselot).

    S. 34:

    Der genaue Gefechtsbestand des Regiments vom 10. August steht nicht fest,

    betrug aber nach Berechnungen des eidgenössischen Staatsschreibers August

    von Gonzenbach nur etwa 900 Mann (Der 10. August 1792 - unter besonderer

    Rücksicht auf die Haltung des Schweizer Garderegiments, Bern 1866, Seite

    109 ff). Weiterhin konnte die Eidgenössische Staatskanzlei in einem

    Verzeichnis vom 5. Dezember 1818 noch 345 lebende Tuilerien-Veteranen

    (darunter 11 Schweizer Freiwillige und 4 Franzosen) ermitteln, die Anspruch

    auf die Denkmünze «Treue und Ehre» hatten.

  • - 36 -

    Sappeur des Schweizer Garderegiments (Ansichtskarte, um 1920).

    Unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Medaillenverleihung (26 Jahre

    danach!) bereits verstorbenen Gardisten und der später sogar noch auf 395

    erhöhten Anzahl Beliehener (inbegriffen einzelne Ausländer), sind die

    Angaben auf dem Löwendenkmal sowieso mit Vorsicht zu geniessen.

    Bei den Unteroffizieren und Mannschaften liessen sich nie genaue

    Verlustzahlen eruieren und schon gar keine komplette Namensliste erstellen.

    Auch Karl Pfyffers Etat blieb äusserst unvollständig (Recit de la Conduite du

    Régiment des Gardes Suisses ...‚ Luzern 1819, Seite 28 ff). Denn, nach dem

    Fall der Tuilerien konnte kein Appell mehr gemacht werden und auch die Zahl

    der Heimkehrer lieferte keinen zuverlässigen Anhaltspunkt zur Berechnung der

    Verluste. Es gab Soldaten, die nach gelungener Flucht, aus Passion oder

    gezwungenermassen in Einheiten der Revolutionsarmee übertraten oder sich

    anderswo in fremde Dienste verpflichteten, ohne je wieder aufzutauchen.

    Die wohl fundierteste Berechnung der Verluste stellte wiederum August von

    Gonzenbach an (Der 10. August 1792 - unter besonderer Rücksicht auf die

    Haltung des Schweizer Garderegiments, Bern 1866, Seite 250 ff). Er kam zum

    realistischen Schluss, dass rund 400 Mann umgekommen sind, davon

    vermutlich etwa die Hälfte durch Mord, unmittelbar nach der befohlenen

    Entwaffnung oder in den Gefängnissen. Der Glarner Major Karl Leodegar

    Bachmann endete am 2. oder 3. September sogar unter der Guillotine. Die

    Verluste derjenigen Gardedetachemente, die sich nicht an den Kämpfen um die

    Tuilerien beteiligten, fallen kaum ins Gewicht und müssen im vor liegenden

    Zusammenhang ohnehin unberücksichtigt bleiben.

  • - 37 -

    S. 35: Denkmünze «Treue und Ehre»

    Die Eidgenössische Tagsatzung hatte am 12. Juni 1815 eine silberne Denk-

    münze gestiftet. Sie wurde verliehen an Offiziere, Unteroffiziere und

    Mannschaften der vier ehemals kaiserlich-französischen Schweizerregimenter,

    die nunmehr im Dienste Ludwig XVIII. standen und im März 1815 nach der

    Rückkehr Napoleons von Elba nicht auf dessen Seite übergetreten, sondern

    heimgekehrt waren. Die Medaille wurde nachträglich auch den Hundert-

    schweizern zugestanden.

    Nachdem die Behörden hierzulande über Jahre dem Kaiser der Franzosen mehr

    oder weniger freiwillig gehuldigt hatten, war nach der erneuten Machtüber-

    nahme durch die Bourbonen wieder voll auf das royalistische Pferd

    umgesattelt worden. So lag es eben im Trend, dass man sich wieder des Ancien

    Régime erinnerte und damit auch der in den Tuilerien untergegangenen Garde.

    Eiserne Denkmünze «Treue und Ehre» (Rückseite) für die Überlebenden des Tuileriensturms, gestiftet am 7. August 1817 durch die Eidgenössische Tagsatzung.

    Daher beschloss die Eidgenössische Tagsatzung am 7. August 1817 die noch

    lebenden Angehörigen des ehemaligen Schweizer Garderegiments ebenfalls

    mit einer speziellen eisernen Medaille zu ehren. Es ist anzunehmen, dass bei

    der Stiftung das populäre preussische Eiserne Kreuz der Befreiungskriege Pate

    gestanden hatte. «Dass die Standhaftigkeit, mit welcher das Volk die

    unwiderstehlichen Übel einer eisernen Zeit ertrug, nicht zur Kleinmüthigkeit

    herabsank ...»‚ hatte Friedrich Wilhelm III. am 10. März 1813 die

    Stiftungsurkunde eingeleitet.

  • - 38 -

    S. 36: Worte, die im übertragenen Sinn durchaus auch auf die Haltung der Schweizer

    in den Tuilerien zutrafen (vergleiche: Vincenz Oertle, Das Eiserne Kreuz der

    Befreiungskriege 1813/15, Bischofszell 1987). Obwohl seit dem Tuilerien-

    sturm bereits 25 Jahre vergangen waren und die Veteranen nunmehr

    ungeduldig auf die Verleihung warteten, hatten es die Stifter keineswegs eilig.

    Es dauerte noch ein volles Jahr, bis mit typisch eidgenössisch

    parlamentarischer Gemächlichkeit die Verleihungsbestimmungen ausdiskutiert

    waren. Sollten alle Angehörigen des Garderegiments beliehen werden, nur

    diejenigen, die an den Kämpfen um die Tuilerien teilgenommen hatten, oder

    müsste die Verleihung sogar auf alle ehemaligen Truppen in französischen

    Diensten, also auch auf die Linienregimenter ausgedehnt werden? Am 20.

    August 1818 fiel dann endlich der Tagsatzungsentscheid:

    «Die Ehren-Denkmünze auf den 10. August 1792 und die begleitende Urkunde

    sollen nur diejenigen Militärs des ehemaligen Schweizer-Garde-Regiments

    erhalten, welche an dem Gefechte dieses Tages in Paris Theil genommen

    haben». Die Medaillen wurden durch die Kantons- und Gemeindebehörden

    ausgeteilt, im Ausland durch Vermittlung militärischer Kommandostellen. Ein

    erstes Verzeichnis der Inhaber, erstellt am 5. Dezember 1818 durch die

    Eidgenössische Kanzlei, umfasste 345 Namen. Inklusive Nachträge wurde die

    Medaille schliesslich 395 mal verliehen, in wenigen Einzelfällen auch an

    Ausländer und hohe Repräsentanten des neuen royalistischen Frankreichs,

    zwei Exemplare sogar in goldener Ausführung. Ludwig XVIII. er hielt zur

    Erinnerung ein eiserne Medaille. (Vergleiche: Gustav Grunau, Zwei

    schweizerische militärische Verdienstmedaillen, Bern 1909, Seite 134 ff)

    Das Löwendenkmal

    «In die graue Sandsteinfelswand des ehemaligen St. Antonibruches ist eine

    unregelmässige Nische eingetieft, in welcher ein aus dem gewachsenen Stein

    gehauener, ungefähr 9 m langer sterbender Löwe ruht. Er liegt auf Waffen und

    schützt mit der rechten Vorderpranke den französischen Lilienschild, der

    Schweizer Schild lehnt in der Nische. Die klassizistische, aber durchaus

    gedrungen kraftvolle Figur mit überlangem, von Naturalisten oft getadeltem

    Schweif, ist das Symbol von Tapferkeit und Treue.»

  • - 39 -

    Das Denkmal trägt im wesentlichen folgende Inschriften:

    HELVETIORUM FIDEI AC VIRTU TI = Der Treue und Tapferkeit der

    Schweizer.

    DIE X AUGUSTI. II ET III SEPTEM BRIS MDCCXCII = Am Tag des 10.

    August, 2. und 3. September 1792

    HAEC SUNT NOMINA EORUM QUI, NE SACRAMENTI FIDEM

    FALLERENT = Dies sind die Namen derer, welche die Treue des Fahneneides

    nicht brachen

    FORTISSIME PUGNANTES CECIDERUNT = Als tapfer Kämpfende sind

    gefallen:

    DUCES XXVI =26 Offiziere ... MILITES CIRCITER DCCLX = ungefähr 760

    Mannschaften.

    SOLERTI AMICORUM CURA CLADI SUPERFUERUNT = Durch

    S. 37: tüchtigen Einsatz und Aufopferung der Freunde haben überlebt

    DUCES XVI = 16 Offiziere ... MILITES CIRCITER CCCL = ungefähr 350

    Mannschaften.

    Löwendenkmal in Luzern, eingeweiht am 10. August 1821 (Ansichtskarte, um 1960). Die Errichtung des Monuments stand unter massiver Kritik der Liberalen, die gegen die eidgenössischen Fremddienste opponierten.

  • - 40 -

    Hauptinitiant des Löwendenkmals war der Luzerner Oberst Karl Pfyffer (1771-

    1840), ehemals Unterleutnant im Schweizer Garderegiment (zur Zeit des

    Tuileriensturmes im Urlaub), Hauptmann in sardinischen und britischen

    Diensten und Nachfahre des legendären «Schweizerkönigs» Ludwig Pfyffer

    von Altishofen. Nach einer Reihe unbefriedigender Denkmalentwürfe

    verschiedener Künstler fiel die Wahl schliesslich auf einen der berühmtesten

    zeitgenössischen Bildhauer, den Dänen Bertel Thorwaldsen, der das Denkmal

    im Modell schuf. Die praktische Ausführung übernahm zu nächst der

    Solothurner Bildhauer Urs Pankraz Eggenschwyler, der sich aber bei einem

    Sturz vom Gerüst derart schwer verletzte, dass er 1821 verstarb. Als

    Nachfolger begann der Konstanzer Lukas Ahorn am 28. März 1820 die Arbeit

    und beendete sie am 7. August 1821. Die Einweihung fand am 10. August

    1821 statt. Ursprünglich im Besitz der Familie Pfyffer, wurde das

    Löwendenkmal samt Parkanlage und Gedächtniskapelle 1882 durch die Stadt

    Luzern erworben.

    S. 38:

    Grabtafel des Tuilerienveteranen Paul Josef Joos aus Untervaz GR, auf dem Fried hof Langenthal (Foto: Hans Zaugg, Langenthal).

    S. 39: «Das vor und während der Entstehung von vielen als reaktionär oder

    unpassend angefeindete Denkmal erlangte bald europäische Berühmtheit» und

    zahlt sich heute als eines der Markenzeichen des Touristikzentrums Luzern

    aus. (Vergleiche: Adolf Reinle, Die Kunstdenkmäler des Kantons Luzern,

    Basel 1953, Band II, Die Stadt Luzern 1. Teil, Seite 117ff)

  • - 41 -

    Grabstätten

    Die rund 400 gefallenen und ermordeten Schweizer sind in Paris anonym

    verscharrt worden. Während der Restaurationszeit errichtete man für Louis

    XVI. und Marie Antoinette auf jenem Massengrab eine Gedächtniskapelle, wo

    sie nach der Hinrichtung zunächst bestattet worden waren. Gebeine von

    Revolutionsopfern wurden nach Errichtung der Gedenkstätte vielerorts

    exhumiert und auf dem angegliederten Friedhof in Grabnischen

    zusammengelegt. Es ist anzunehmen, dass dort auch zahlreiche

    Schweizergardisten die letzte Ruhestätte fanden. Die Überreste des

    Königspaares liegen seit 1815 in St. Denis. Die kaum bekannte Chapelle Louis

    XVI. (auch Chapelle expiatoire genannt) mit den Massengräbern liegt mitten in

    einem alten Wohnquartier, unweit des Schnittpunkts von Boulevard

    Haussmann und Rue de Rome. (Vergleiche: Franz Zelger, Die Begräbnisstätte

    der Schweizergardisten in Paris - Ein Gedenkblatt an den Ruhmes- und

    Trauertag vom 10. August 1792, Luzern 1926.

    Erhaltengeblieben ist das Grab von Paul Josef Joos, ehemals Trommelknabe

    im Schweizer Garderegiment. Die Grabstätte befindet sich vor der Nordfassade

    der reformierten Kirche auf dem Geissberg in Langenthal und trägt folgende

    Inschrift: «Hier ruht in Gott - Paul Josef Joos - geb. im Jahr 1780 - Am 10.

    August 1793 (!) als Tambour beim Schweizerregiment in den Tuilerien in Paris

    - gestorben am 2. Febr. 1865 im 85. Altersjahr».

    Joos (genaues Geburtsdatum 16. Juni 1780) stammte von Untervaz GR und

    war Inhaber der Ehrendenkmünze «Treue und Ehre». Er ist im Verzeichnis der

    Medailleninhaber vom 5. Dezember 1818 unter Nummer 248 aufgeführt

    (vergleiche: Gustav Grunau, Zwei schweizerische militärische Verdienst-

    medaillen, Bern 1909, Seite 181). Böse Zungen behaupten, Joos habe den

    Tuileriensturm deshalb überlebt, weil er aufgrund der Grabtafelinschrift ein

    Jahr zu spät in Paris war.

    S. 40: Chronologie der Französischen Revolution 1. Mai 1789 Einberufung der drei Generalstände (Adel, Klerus und Städtevertretung)

    17. Juni 1789 Der Dritte Stand konstituiert sich zur Nationalversammlung

  • - 42 -

    14. Juli 1789 Volksaufstand in Paris - Erstürmung der Bastille

    6. Oktober 1789 Der König erhält Zwangsaufenthalt in den Tuilerien

    21. Juni 1791 Ein Fluchtversuch der königlichen Familie scheitert in Varennes (Argonnen)

    3. September 1791 Inkraftsetzung der Verfassung - Frankreich wird konstitutionelle Monarchie

    10. August 1792 Tuileriensturm - die königliche Familie wird inhaftiert

    21. September 1792 Abschaffung der Monarchie und Proklamation der Republik

    21. Januar 1793 Louis XVI. wird hingerichtet

    16. Oktober 1793 Marie Antoinette, Königin von Frankreich, wird hingerichtet

    Nach jahrelangen Richtungskämpfen zwischen Gemässigten und Radikalen, der Ermordung zahlreicher politischer Gegner oder deren Hinrichtung durch Revolutionstribunale, royalistischen Aufständen und dem Ersten Koalitionskrieg, stürzte Napoleon Bonaparte am 9. November 1799 das Direktorium, beendete damit die zehnjährige revolutionäre Epoche und übernahm als Erster Konsul die Macht.

    Bibliographie

    Bodin, G Les Suisses au Service de France de Louis XI à la Legion Etrangère

    Paris 1988

    Bory, Jean René, Die Schweizer in fremden Diensten und ihr Museum, Nyon

    1965

    D'Orliac, Jehanne, Suisses et Grisons - Soldats de France, Tours 1936

    Editions Terana, Le Regiment des Gardes Suisses en 1786 d'apres. N.

    Hoffmann, Paris 1990

    Fieffé, Eugène, Geschichte der Fremdtruppen im Dienste Frankreichs, von

    ihrer Entstehung bis auf unsere Tage, sowie aller jener Regimenter, welche in

    den eroberten Ländern unter der ersten Republik und dem Kaiserreiche

    ausgehoben wurden, München 1856

    Geel, Jean, Vom Söldner zum Landarzt - Nach Aufzeichnungen eines

    Schweizergardisten in Paris zur Zeit Ludwig XVI., Bad Ragaz 1969

  • - 43 -

    Gonzenbach, August von, Der 10. August 1792 mit besonderer Rücksicht auf

    die Haltung des Schweizer Garderegiments, Bern 1866

    Grunau, Gustav, Zwei schweizerische militärische Verdienstmedaillen,

    Bern 1909

    Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz, Neuenburg 1912 bis 1934

    S. 41: J. R., Aus den Aufzeichnungen eines «roten Schweizers», in: Neue Zürcher

    Zeitung, Nr. 1219 vom 1. August 1916

    Latour, Hans Franz, Der Untergang der Schweizergarde in Paris am 10.

    August 1792, in: Geschichte - Historisches Magazin, Nr. 14/15 1977

    Maag, A., Der Schweizer Soldat in der Kriegsgeschichte, Bern 1931

    May, M. de Romainmotier, Histoire militaire de la Suisse et celle des Suisses

    dans les différens services de l'Europe, Lausanne 1788

    Mülinen, Wolfgang Friedrich von, Das französische Schweizer Garderegiment

    am 10. August 1792, Luzern 1892

    Morell, Carl, Die Schweizerregimenter in Frankreich 1789-1792. Episoden

    aus der Revolutionsgeschichte Frankreichs und der Schweiz, St. Gallen 1853

    Pfyffer, Karl von Altishofen, Recit de la Conduite du Régiment des Gardes

    Suisses à la Journée du 10. Août 1792, Luzern 1819

    Reinle, Adolf, Die Kunstdenkmäler des Kantons Luzern, Basel 1953

    Schwarz, Ferdinand, Die Schweizerregimenter in französischen Diensten und

    das Schweizer Garderegiment am 10. August 1792, Basel 1882

    Société Historique de Rueil-Malmaison, Les Gardes Suisses et leur Familles

    aux XVIIe et XVIIIe Siècle en Région Parisienne, Rueil-Malmaison 1988.

    Spillmann, Joseph, Tapfer und Treu - Memoiren eines Offiziers der

    Schweizergarde Ludwigs XVI., Freiburg im Breisgau 1917

    Tessin, Georg, Die Regimenter der europäischen Staaten im Ancien Regime

    des XVI. bis XVIII. Jahrhunderts, Osnabrück 1986

    Vallière Paul de, Le Régiment des Gardes Suisses de France, Lausanne/Paris

    1912

    Vallière Paul de, Treue und Ehre - Geschichte der Schweizer in fremden

    Diensten, Lausanne 1940

  • - 44 -

    Vallière Paul de, Treue und Ehre - Geschichte der Schweizer in fremden

    Diensten, Neuenburg 1912

    Vallière Paul de, Heldentod des Schweizer Garderegiments - Die Verteidigung

    des Tuilerienschlosses am 10. August 1792, Zürich/Leipzig 1937

    Zelger, Franz, Die Begräbnisstätte der Schweizergardisten in Paris - Ein

    Gedenkblatt an den Ruhmes- und Trauer tag vom 10. August 1792,

    Luzern 1926.

    S. 42:

    Was die Untervazer von damals betrifft siehe auch: Anno Domini 1991 und 1992, sowie diverse Texte zur Dorfgeschichte unter 1792.

    Wir danken dem Verfasser bestens für die freundliche Wiedergabebewilligung.

    Internet-Bearbeitung: K. J. Version 02/2018