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CAMPO POND STADT HANAU – FACHBEREICH BAUAUFSICHT, DENKMAL- UND UMWELTSCHUTZ Urwildpferde als Landschaftspfleger

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STADT HANAU – FACHBERE ICH BAUAUFS ICHT, DENKMAL- UND UMWELTSCHUTZ

Urwildpferde als Landschaftspfleger

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IMPRESSUM

Herausgeber:Stadt HanauFachbereich Bauaufsicht, Denkmal- und UmweltschutzHessen-Homburg-Platz 7 · 63452 Hanau

Texte:Dr. Marion Beil, Hanau · Martin Schroth, UNB Stadt Hanau

Redaktion: Dr. Elisabeth Görge · Dieter Zuth

Layout:Jessica Böcher · Celina Reiß · Malin Zuth · Linnéa Winter

Satz, Reinzeichnung und Druckabwicklung:United Power Fields UG · Hanau

Stand:Dezember 2011

Bildnachweis:Dr. Marion Beil: Titelbild, Abb. 14/15/16/17/18/19/25/26/27Martin Schroth: Abb. 6/12/20/21/22/23/24/28Hanauer Geschichtsverein, Martin Hoppe, Jens Arndt: Abb. 2/3/4Dr. Berthold Picard: Abb. 5Stadt Hanau, Fachbereich Grundstücke und Logistik: Abb. 1Stadt Hanau, Medienzentrum: Abb. 7/10Bundesforstamt: Abb. 8Sielmann-Stiftung, Thomas Stephan: Abb. 9/13Wildpferde Tennenlohe: Abb. 11

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INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Gelände – Campo Pond . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Hochwertiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen

Geschichte – Campo Pond . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8Ein ehemaliger Truppenübungsplatz

Ökologie – Campo Pond . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10Ein Militärplatz als Lebensraum für Tiere und PflanzenÖkologische Grundlagen

Die Przewalski-Urwildpferde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Ankunft der Pferde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Historisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Aussehen und Lebensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Das Hanauer Wildpferdeprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Ein Gewinn für die Menschen

Fauna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Typische einheimische Sandbewohner . . . . . . . . . . . . . . . 20Säugetiere und Vögel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Insekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22Amphibien und Reptilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Flora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24Silbergrasflur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24Sandmagerrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25Moose und Flechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Weitere Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26Mitwirkende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

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VORWORT

Seit September 2009 leben Przewalski-Urwildpferdeauf einem ehemaligen Militärübungsplatz in Hanauzwischen den Stadtteilen Großauheim und Wolfgang.

Diese kostbaren, vom Aussterben bedrohten Tierefinden dort eine naturnahe, fast paradiesische Heimatund bereiten sich derzeit auf eine Wiederansiedlungin ihrer zentralasiatischen Heimat vor. Gleichzeitigleisten sie aber auch wertvolle Landschaftspflege-Dienste auf dem Militärgelände, das im Jahre 2008aufgrund seiner seltenen Fauna und Flora zu einem –nach europäischem Naturschutzstandard geschütz-ten – Natura-2000-Gebiet erklärt wurde.

Auf bemerkenswerte Weise schließt sich ein hundert-jähriger Kreis: Schon zu Zeiten Kaiser Wilhelms, derdiesen Militärplatz einrichten ließ, trabten Pferde überdieses Gelände. Allerdings waren das die Militärpferdeder Hanauer Ulanen, einer berittenen Kavallerie-einheit. Hundert Jahre später traben nun wieder Pferde über das Gelände. Glücklicherweise aber nichtmehr für kriegerische Zwecke, sondern für friedlicheNaturschutzziele.

Die Hanauer Wildpferde wurden von der BevölkerungHanaus und darüber hinaus begeistert begrüßt. Siehaben für großes Aufsehen im Fernsehen und in derPresse gesorgt. Führungen zu den Pferden, die vomUmweltzentrum Hanau durchgeführt werden, sindein echter „Renner“ geworden.

Das Wildpferde-Projekt ist in kürzester Zeit sogarbundesweit bekannt geworden und hat den 2010 geschaffenen Sonderpreis „Naturschutz in der Stadt“im Rahmen des Städte-Wettbewerbes „Entente Floral“ von Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgenerhalten.

Wir freuen uns, dass Hanau in Rahmen des Konver-sionsprozesses nach dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte ein wunderschönes Projekt im Bereichdes Naturschutzes präsentieren kann, das in Hessenbeispiellos ist. So wurden die Wildpferde von einerzunächst belächelten „Schnapsidee“ zu einem neuenGlanzlicht für die Stadt Hanau!

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Für die schnelle Umsetzung danken wir ganz besonders der Bundesanstalt für Immobilienauf-gaben mit ihrer Sparte Bundesforst, ohne die dieUmsetzung von der Idee zur Praxis unmöglich gewesen wäre. Es existiert eine sehr fruchtbareZusammenarbeit zwischen dem Bundesforst undder Unteren Naturschutzbehörde der Stadt Hanau.

Natürlich gebührt großer Dank auch dem TierparkHellabrunn München und dem Tiergarten Nürnbergfür die Bereitstellung und den Transport der Wild-pferde, wie auch dem Frankfurter Zoo für unverzicht-bare veterinärmedizinische Hilfe.

Claus Kaminsky Oberbürgermeister

Dr. Rainer Piesold Stadtrat

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dEIN HOCHWERTIGER LEBENSRAUM FÜR TIERE UND PFLANZEN

Aufgrund seiner einzigartigen und artenreichen Tier-und Pflanzenwelt wurde das Gelände am 16. Januar2008 unter europäischen Naturschutz (Natura 2000)gestellt und als Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH-Gebiet) ausgewiesen. Der Haupt-Schutzzweck ist dieErhaltung offener Grasflächen mit Silbergras (Cory-nephorus) und Rotschwingel-Straußgras (Agrostis),so dass sich sehr selten gewordene Sandlebens-gemeinschaften entwickeln können. Dies ist der FFH-Lebensraumtyp (LRT) 2330 „Dünen mit offenenGrasflächen mit Corynephorus und Agrostis“.

Das gesamte Schutzgebiet umfasst etwa 70 HektarOffenlandbereiche, die mit weiteren ca. 40 ha Waldumgeben sind. Die gesamte Fläche ist durch einenZaun gegen Störungen von außen geschützt. Mit derAusweisung zum Natura-2000-Schutzgebiet wurdeeine große Chance genutzt, ein solch einmalig großesund äußerst wertvolles Naturgebiet für spätere Generationen zu erhalten.

In Hessen gibt es nur noch südlich von Darmstadt imNaturschutzgebiet „Griesheimer Sand“ vergleichbargroße Sandlebensräume. Auch in der Umgebung desbenachbarten bayerischen Alzenau gibt es – leidernur noch kleine Reste ökologisch vergleichbarer Sand-Dünenareale.

Seit September 2009 leben Przewalski-Urwildpferdeauf dem ehemaligen Militärübungsplatz in Hanauzwischen den Stadtteilen Großauheim und Wolf-gang.

Ziel des Vorhabens ist es, die wertvollen Sandrasen-lebensräume durch ein Beweidungskonzept nach-haltig zu sichern.

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GELÄNDE CAMPO POND

7Abb. 1: Lageplan des Natura 2000-Gebietes in Großauheim

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dEIN EHEMALIGER TRUPPENÜBUNGSPLATZ

Der Militärübungsplatz Campo Pond wurde überhundert Jahre militärisch genutzt. Auf Befehl des kaiserlichen Kriegsministeriums wurde im Jahre1908 die Rodung des Areals (damalige Bezeichnung:„Rauschtannen“) durch das Forstamt Wolfgang vorgenommen.

Erste Manöver auf dem neuen Übungsplatz erfolgtendurch die Kavalleriepferde des Hanauer Ulanen-regimentes, durch Infanteristen und durch ein Eisen-bahn-Pionierbataillon.

Auch die damals brandneuen Doppeldecker-Militär-Flugzeuge landeten auf dem Gelände. Nach dem ersten Weltkrieg nutzte die Wehrmacht das Geländeweiter mit schweren Fahrzeugen und Panzern.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Truppen-übungsplatz Campo Pond weiterhin militärisch genutzt.

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Abb.2: Rodung der „Rauschtannen“, 1908

Abb.3: Eskadrons-Exerzieren, 1913

GESCH ICHTE CAMPO POND

Die amerikanischen Streikräfte schufen den nochheute erhaltenen rund 20.000 qm großen Teich(„Pond“), der zu Brückenbauübungen notwendig warund dessen Aushub-Sandmaterial hervorragend fürBauzwecke zu nutzen war.

Die militärische Nutzung wurde im Jahr 2008 mitdem Abzug der Amerikaner endgültig aufgegeben.

Heute ist der sandige Truppenübungsplatz ein wert-volles Biotop für viele, an Sand angepasste Pflanzenund Tiere und wurde als europaweit anerkanntesSchutzgebiet ausgewiesen.

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Abb.4: Aviatik B II, 1915 Abb.5: Aus der Großauheimer Chronik von Bertold Picard –„So alt wie die Bulau“ – US-Panzer, 1971

Abb.6: Der Teich („Pond“) im Natura-2000-Schutzgebiet

ÖKOLOGIE CAMPO POND

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dEIN MILITÄRPLATZ ALS LEBENSRAUM FÜR TIERE UND PFLANZEN

Ökologische Grundlagen

Die große ökologische Bedeutung des Gebietes ergibt sich einerseits aus der Tatsache, dass hier keinePestizide und Dünger angewendet wurden und der Lebensraum somit von landwirtschaftlichen Belastungen freigehalten wurde.

Vor allem aber ist andererseits der sandige Boden die Grundlage für das wertvolle artenreiche Öko-system. Dieser Sand wurde nach der letzten Eiszeit voretwa 10.000 Jahren aus den Sand- und Kiesbänkendes Mains durch starke Sandstürme verfrachtet undlagerte sich als sogenannte Binnendünen und Flug-sanddünen ab. In diesen Sandgebieten herrschen ganzähnliche Lebensbedingungen wie in einer Steppe. Sie sind geprägt durch den Überfluss an Trockenheitund Wärme sowie einem extremen Mangel an Nähr-stoffen.

Viele Bewohner der Sandlebensräume sind an dieseTrockenheit und Nährstoffarmut besonders gut

angepasst. Auf feuchteren und nährstoffreicherenStandorten hätten alle diese Spezialisten dagegenkeine Überlebenschance, da sie dort von konkurrenz-stärkeren Arten verdrängt werden.

Heute sind solche Sandlebensräume jedoch sehr selten geworden, da die meisten Gebiete durchÜberbauung sowie land- und forstwirtschaftlicheNutzung verschwunden sind. Die noch verbliebenenSandgebiete sind vor allem durch den Eintrag von

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Abb.7: Stadt Hanau – Luftbild des ehemaligen Militärübungs-platzes Campo Pond Richtung Süden

ÖKOLOGIE CAMPO POND

Nährstoffen aus der Luft gefährdet, da sich dannauch konkurrenzstärkere Pflanzenarten ansiedelnkönnen, die das Artenspektrum der ursprünglichen,an nährstoffarme Bedingungen angepassten Sand -rasenbewohner verdrängen.

Ohne pflegende Maßnahmen, die einen Entzug derNährstoffe bewirken und eine aufkommende Ver-buschung verhindern (wie z.B. Mähen oder Bewei-dung), würden auch die restlichen spezialisiertenSand-Lebensgemeinschaften verschwinden.

Die hundertjährige militärische Nutzung von CampoPond als Truppenübungsplatz hat dazu geführt, dassder Lebensraum für eine Vielzahl der Sandbewohnererhalten werden konnte, weil die Sandlebensräumewaldfrei gehalten wurden. Teile der Flächen wurdenregelmäßig gemäht, andere Teile durch das Befahrenmit schweren Fahrzeugen und Panzern sandig undoffen gehalten.

Nach dem Abzug der US-Armee wird das Geländenun durch den Grundstückseigentümer, die Bundes-republik Deutschland (Bundesanstalt für Immo -bilienaufgaben) verwaltet.

Seit dem Abzug konnte sich die Vegetation vomMenschen ungestört entwickeln. Hierdurch sind Suk-zessionsvorgänge in Gang gekommen, die sich vorallem im Aufkommen von Pioniergehölzen und inder Ausbreitung von Ruderalflur-Arten zeigen.

Sandrasen sind typische Pionier-Lebensräume undsomit sind zu deren dauerhaften Erhaltung regel-mäßige Maßnahmen notwendig. Die Fläche ist nichtnur gehölzfrei zu halten, sondern es ist auch durchimmer wiederkehrende Bodenverwundungen für dieBereitstellung von Offenböden zu sorgen.

Rasch stellte sich die dringende Frage, wie das wert-volle Ökosystem auch nach der Militärphase in seinerQualität erhalten oder sogar verbessert werdenkann.

Eine Beweidung der Freiflächen ist die einzig natur-schutzfachlich richtige Pflege- und Erhaltungs-methode. Für die traditionelle Beweidung mit Schaf-herden stehen im Rhein-Main-Ballungsraum jedochleider keine ausreichend großen Schafherden zurVerfügung. So kam es zur Idee, für die dringend not-wendige Beweidung Urwildpferde zu nutzen.

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ÖKOLOGIE CAMPO POND

Deshalb startete die Untere Naturschutzbehörde derStadt Hanau zusammen mit dem Bundesforst (alsSparte der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) imJahr 2009 das Beweidungsprojekt mit Urwildpferden.

Hierfür mussten Koppelzäune gebaut und die fürPferde giftigen Robinien und Eiben entfernt werden.

Die Pferde sorgen seit dem Herbst 2009 als vier-beinige Rasenmäher nun statt der schweren Panzerdafür, dass der einzigartige Lebensraum auf CampoPond auch in Zukunft erhalten bleibt.

Das regelmäßige Wälzen der Pferde und der Huftritttragen neben der Beweidung dazu bei, den Bodenoffen zu halten.

So ist diese „Steppe“ gleichzeitig ein Lebensraum für die vom Aussterben bedrohten Urwildpferde undfür viele weitere seltene einheimische Tier- undPflanzenarten.

Die Auswirkungen der Beweidung auf die empfind-lichen Pflanzengesellschaften werden regelmäßigdurch Fachgutachten begleitet und dokumentiert.

Koppel 2009

Koppel neu 2010

Koppel Erweiterung 2010

Abb. 8: Farbig markierte Flächen:Die Wildpferdekoppeln mit einer Gesamtflächevon ca. 51 ha (Skizze: Bundesforstamt)

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Abb.9: Gesunde Lebensfreude der Pferde äußert sich beim Wälzen

ÖKOLOGIE CAMPO POND

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DIE PRZEWALSK I -URWI LDPFERDE

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DIE PRZEWALSKI-URWILDPFERDE

Ankunft der Pferde

Am 15. September 2009 wurden die ersten fünf Przewalskistuten (Ebola, Barioja, Sibebschka, Sira undAjala) aus den Zoos München und Nürnberg nachHanau transportiert. Am 8. September 2010 – nachdem Bau einer zweiten Koppel – wurde die Herdedurch weitere Stuten (Ginger, Galinka, Abadia, Adinaund Ilonka) verstärkt. Die ehemalige Leitstute Ebolahat die Herde wieder verlassen, um im TierparkHella brunn, München für weitere Fohlen zu sorgen.

Historisches

Die Przewalski-Urwildpferde stammen ursprünglichaus Zentralasien und sind nach dem russischen Forschungsreisenden Przewalski benannt, der dieseWildpferde 1878 in der heutigen nordwestchine-sischen Provinz Sinkiang entdeckte und deren Felleund Schädel mit nach St. Petersburg brachte.

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Abb. 10: Die Ankunft der ersten Pferde am 15. September 2009

Abb. 11: Verbreitungskarte der Wildpferde

Verbreitung der Wildpferde während der letzten Eiszeit

Verbreitung der Przewalski-Pferde um 1880

DIE PRZEWALSK I -URWI LDPFERDE

Aussehen und Lebensweise

Im Gegensatz zu allen Hauspferderassen sind Prze-walski-Pferde in der Lage, die harten Bedingungendes zentralasiatischen Steppenklimas ohne mensch-liche Hilfe, d.h. ohne Zufütterung zu bestehen. Sieüberstehen eine Temperaturspanne von Minus 40°Cim Winter und hochsommerliche Temperaturen bisPlus 40°C ohne Unterstand oder Stall!

Die Pferde zeichnen sich durch recht kleine kompakteKörpergestalt (Gewicht ca. 300 kg) aus, haben als typische Wildpferdemerkmale eine weiße „Mehl-schnauze“, einen dunklen Aalstrich als Rückenlinieund eine sogenannte „Schwanzbürste“, d.h. dasobere Ende des Schwanzes ist mit kurzen, fellartigenHaaren bedeckt, die beim jährlichen Fellwechsel mitgewechselt wird. Diese Schwanzbürste kommtals primäres Wildpferdemerkmal tatsächlich nurbeim Przewalski-Pferd vor.

Seit 1970 gelten die Pferde in freier Wildbahn jedochals ausgestorben. Nomadische Viehzüchter mit ihrenHaustierherden drängten die Wildpferde immer weiter in wasserlose Regionen zurück und viele Tiere

wurden zur Gewinnung von Pferdefleisch abge-schossen. Das letzte freilebende Wildpferd wurde1969 in der mongolischen Steppe gesichtet.

Alle derzeit weltweit existenten etwa 2000 Urwild-pferde sind auf eine ursprüngliche Gruppe von nurdreizehn Tieren zurückzuführen, die in verschiedenenTierhaltungen, besonders in Askania Nova in derUkraine, überlebt hatten.

Abb. 12: Merkmale des Urwildpferdes

1. Stehmähne ohne Stirnschopf · 2. Aalstrich · 3. Mehlmaul4. Schweifansatz kurz behaart · 5. Schwalbenbauch6. Zebrastreifung

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DAS HANAUER WI LDPFERDEPROJEKT

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tWILDPFERDE IN HANAU

Das moderne EEP-Zuchtprogramm (Europäisches Erhaltungszuchtprogramm Przewalskipferd) sorgt inverschiedenen europäischen und amerikanischenZoos und anderen Freigehegen auf internationalerEbene für die Erhaltung und Vermehrung dieser Art.

Die Wildpferde werden auf dem Hanauer Geländedurch eine naturnahe Haltung auf ein Leben in freierWildbahn ihrer zentralasiatischen Heimat vorberei-tet. Eine Wiederauswilderung in einem Nationalparkihrer ursprünglichen Heimat in Kasachstan im Rahmen des EEP ist geplant.

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Abb. 13/14: Urwildpferde als Landschaftspfleger, sie verhindern eine Verbuschung der offenen Sandmagerrasen

DAS HANAUER WI LDPFERDEPROJEKT

EIN GEWINN FÜR DIE MENSCHEN

Die Hanauer Wildpferde sind mittlerweile ein Aushängeschild für die Stadt Hanau und wurden von der Bevölkerung begeistert aufgenommen.Führungen zu den Wildpferden können beim Um-weltzentrum der Stadt Hanau gebucht werden.

Am 24. August 2010 wurde das Hanauer Wildpferde-projekt mit einem Sonderpreis „Naturschutz in derStadt“ von Bundesumweltminister Dr. NorbertRöttgen (Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit) ausgezeichnet.

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Abb. 15: Przewalski-Urwildpferde auf Campo Pond Auszeichnung: Sonderpreis „Naturschutz in der Stadt“

DAS HANAUER WI LDPFERDEPROJEKT

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Abb. 16/17/18/19: Die Hanauer Herde im Oktober 2010

DAS HANAUER WI LDPFERDEPROJEKT

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FAUNA

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aLEBENSRAUM FÜR WEITERE SELTENE TIERE

Campo Pond bietet neben den Urwildpferden vielenweiteren seltenen Tieren und Pflanzen Lebensraum.Vielleicht können Sie diese bei Ihrem nächsten Besuchauf dem Gelände beobachten.

Typische einheimische Sandbewohner

Das große, weitgehend ungestörte Schutzgebiet bietet durch seine offenen, nährstoffarmen Sand-flächen und die vielen kleinen und großen Wasser-flächen einen idealen Lebensraum für seltene Tiereund Pflanzen.

Die Entwicklung von Fauna und Flora auf CampoPond wird durch Botaniker und Zoologen fachlich begleitet und überprüft. Auf diese Weise konntenschon etliche seltene Tier- und Pflanzenarten beschrieben werden, von denen hier nur einige wenige Charakterarten exemplarisch genannt werden.

Säugetiere und Vögel

Besonders auffällig ist eine außergewöhnlich hoheZahl von Kaninchen auf dem Gelände. Von den Kaninchen ernähren sich mehrere Fuchs-Familien.Auch Rehe fühlen sich im Waldbereich wohl, sie äsenregelmäßig gemeinsam mit den Pferden auf denKoppelflächen. Die schlanken Rehe schlüpfen problem-los durch die Latten des Koppelzaunes.

Etliche Fledermausarten und Siebenschläfer bewoh-nen die höhlenreichen Altholzbestände.

Viele Vögel nutzen die freien, ungestörten Flächenund die angrenzenden baumhöhlenreichen Wald -bestände zum Brüten und zur Nahrungssuche.Bisher wurden auf Campo Pond 96 verschiedene Vogelarten festgestellt, die Kartierungen sind abernoch nicht abgeschlossen (Stand Ende 2011).

Die seltene Heidelerche (Lulula arborea) ist aufCampo Pond mit derzeit drei Brutpaaren vertreten.Sie macht sich schon ab März durch ihre schönenmelodischen Gesänge bemerkbar.

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Als typische Charakterart von warmen Sandgebietenbrütet sie auf trockenen und sonnigen Sandböden.Sie braucht niedrige Vegetation sowie vegetations-freie Flächen für ihre Nahrungssuche. Aber auchBäume und Sträucher als Sitzwarten müssen ineinem Heidelerchen-Lebensraum vorhanden sein.

Der in Hessen seltene und bedrohte Wendehals (Jynx torquilla) kommt auf dem Gelände mit zweiBrutpaaren vor.

Wendehälse nutzen alte Spechthöhlen zum Brütenund füttern ihre Jungen hauptsächlich mit Rasen -ameisen-Puppen, die nur auf kurz geschorenen Rasenvorkommen.

Die Populationen der Rasenameise werden durch die Pferdebeweidung sehr deutlich verstärkt, so dasssich jetzt auch die Wendehälse heimisch fühlen.

Eine Sensation in ornithologischen Fachkreisen istdas Vorkommen eines Wiedehopf-Paares (Upupaepops). Die Vögel bestechen mit ihrer aufstellbarenKopf-Federhaube, die vor allem bei der Balz auf -gefächert wird.

Das Vorkommen der Hopfe auf Campo Pond hängtursächlich mit dem großen Insektenreichtum zu-sammen. Die vielen Mistkäfer, die die Pferdeäpfel derWildpferde entsorgen, sind eine willkommene Nah-rung für die seltenen Vögel, zusätzlich werden auchGrillen und Heuschrecken gerne verzehrt.

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Abb.20: Der Wiedehopf auf Campo Pond

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Insekten

Durch die hohe Populationsdichte von Feldgrillen(Gryllus campestris) bietet Campo Pond eine guteGelegenheit ein wunderschönes Grillenkonzert zuerleben. Nur noch an wenigen anderen Plätzen kannman dieses Konzert im Frühsommer so vielstimmighören. Mit etwas Glück lässt sich die Feldgrille, diedurch ihre schwarze Färbung und ihren gedrungenKörperbau sehr gut erkennbar ist, auch außerhalbihrer Erd-Wohnröhre beobachten.

Im Spätsommer beherbergen die Sandböden ganzeHundertschaften der Blauflügeligen Ödlandschrecke(Oedipoda caerulescens).

Erst wenn diese Heuschrecke kurz vor unserem Fußauffliegt, verliert sie ihre perfekte Tarnung.

Nur während des kurzen Schwirrfluges werden dieschönen blauen Hinterflügel sichtbar. Sobald sie danach wieder am Boden gelandet ist, entdeckt mansie nur sehr schwer auf dem sandigen Boden.

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Abb.21: Feldgrillen-Weibchen Abb.22: Pärchen der Blauflügeligen Ödlandschrecke, gut getarnt

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Amphibien und Reptilien

Auf Campo Pond entstanden im westlichen Bereichviele Kleintümpel durch die Bodenverdichtung derschweren Panzer, sie sind wertvoller Lebensraum füramphibisch lebende Tiere.

Die Kreuzkröte (Bufo calamita) ist durch das Ver-schwinden ihrer sandigen Lebensräume mittlerweilestark gefährdet und deshalb auch nach der euro -päischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geschützt.Auf Campo Pond lebt eine der größten Populationenin Hessen. Als typische Pionierart braucht sie offeneSandflächen mit kleinen Tümpeln zur Entwicklung

ihrer Kaulquappen. Kreuzkröten sind an ihrem gelbenRückenstreifen und den grünlichgelben Pupillensowie an ihren typischen Paarungsrufen (vor allemzwischen März und Mai) zu erkennen. Die nächtlichenKreuzkröten-Konzerte lösen im Frühsommer dieabendlichen Grillenkonzerte auf perfekte Weise ab!

Eine weitere streng geschützte Art hat sich auf densonnigen Sandflächen angesiedelt: Die Zauneidechse(Lacerta agilis) benötigt für die Ablage der Eier sandige, besonnte Böden. Hier gräbt das Weibchenkleine Löcher zur Eiablage. Nach etwa zwei Monatenschlüpfen die jungen Eidechsen, die nach demSchlupf vollkommen selbstständig leben.

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Abb.23: Rufendes Kreuzkröten-Männchen Abb.24: Ein prächtiges Zauneidechsen-Männchen

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aANPASSUNGSFÄHIGE PFLANZEN

Nicht nur seltene Tiere sind auf Campo Pond zu beobachten, sondern auch viele an Nährstoffarmutund starke Sonneneinstrahlung angepasste Pflanzen.

Silbergrasflur

Als Pionierart der Sandlebensräume, ist das Silber-gras (Corynephorus canescens) eine der ersten Pflanzenarten, die in offene, vegetationsfreie Sand-flächen einwandert und dafür sorgt, dass sich derSandboden verfestigt. Die langen Wurzeln könnenauch bei stärkerer Trockenheit tieferliegendes Wasser erreichen. Durch den horstigen, igelähnlichenWuchs werden die empfindlichen, innenliegenden Bereiche aus denen das Silbergras neu austreibt, vorzu intensiver Sonneneinstrahlung geschützt.

Die vegetationslosen Zwischenräume zwischen denGrashorsten sind genau der richtige Lebensraum füreine große Zahl von Grillen, Heuschrecken, Käfernund Wildbienen, die im Hochsommer unbeschadetTemperaturen von 60°C überleben können!

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Abb.25: Ein typisches Bild der Sandtrockenrasen stellen die igelähnlichen Horste des Silbergrases dar.

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Sandmagerrasen

Besonders auffallend sind die großen Bestände derSandstrohblume (Heliyhrysum arenaria), einer sehrseltenen Art trocken heißer Lebensräume. Sie schütztsich durch eine dichte Behaarung ihrer Blätter vorder Sonne (durch Reflektion), vor einem Zuviel an Kältebzw. Wärme (durch Isolation) und vor Verdunstung.

Moose und Flechten (Kryptogamen)

Zwischen den auffälligen Pflanzen auf Campo Pondfindet sich eine Vielzahl unscheinbarer, aber seltenerMoose und Flechten, die besonders gut an das Lebenim Sand angepasst sind, da sie in trockenen Periodenunbeschadet völlig austrocknen können, um beimnächsten Regen zu ergrünen und ihren Stoffwechselwieder hochzufahren.

Sogar das Frankfurter Senckenberg-Museum beschäftigt sich im Rahmen eines internationalen Forschungsprogramms mit diesen Überlebens -künstlern auf Campo Pond.

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Abb.26: Blüten der Sand-Strohblume

Abb.27: Moose und Flechten

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nWEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN

Steckbriefe der einzelnen Hanauer Wildpferde sowieInformationen und Fachgutachten zum Wildpferde-projekt und zur Vegetation finden Sie auf der Internet-seite der Stadt Hanau:www.hanau.de/lih/natur/arten/013776/index.html

Informationen zum Beweidungsprojekt mit Przewalski-Hengsten in Tennenlohe bei Erlangen:www.wildpferde-tennenlohe.de

Internetseite zum Erprobungs- und Entwicklungs -vorhaben „Ried und Sand“: www.riedundsand.de

Führungen zu den Wildpferden in Hanau:Umweltzentrum HanauPhilipp-August-Schleissner-Weg 2 63452 HanauTelefon: 06181-3049-148Telefax: 06181-3049-152E-Mail: [email protected]

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Abb.28 : Hundsflechte (Peltigera rufescens). Flechten sind besonders gut an das Leben auf trockenen Standorten angepasst.

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DANKSAGUNG

Ein herzliches Dankeschön für die gute Zusammen-arbeit bei Vorbereitung, Aufbau und Betrieb desWildpferdeprojektes geht an den Grundstückseigen-tümer und Hauptkostenträger, den Bundesforst -betrieb Schwarzenborn (Bundesanstalt für Immo -bilienaufgaben), Forstrevier Südhessen (Herrn C.Göbel und Herrn H. Fuhrländer).

Der Tierpark Hellabrunn München (Herr Prof. Dr.Wiesner, sein Nachfolger Herr Dr. A. Knieriem undFrau Dr. C. Gohl) und der Tiergarten Nürnberg(Herr Dr. H. Mägdefrau und Frau Dr. K. Baumgartner)machten den schnellen Transport der kostbaren Urwildpferde nach Hanau möglich.

Der Zoo Frankfurt sorgt für veterinärmedizinischeBetreuung der Pferde (Herr Prof. Dr. M. Niekisch, Frau Dr. N. Schauerte und Frau Dr. C. Geiger).

Den Kolleginnen vom Przewalski-Hengst-Projekt inTennenlohe (Frau V. Fröhlich und Frau W. Bromisch)danken wir für wertvolle fachliche Ratschläge undBereitstellung von Bildmaterial.

Auch die Sielmann-Stiftung stellte dankenswerterWeise Bildmaterial zur Verfügung.

Das Umweltzentrum Hanau organisiert mit speziellgeschulten Landschaftsführerinnen das umwelt-pädagogische Programm und die Führungen zu denWildpferden.

Frau Dr. M. Beil sorgt durch ihre täglichen Kontrollenim Gelände permanent für das Wohlergehen derWildpferde.

Herr Martin Hoppe und Herr Jens Arndt vom HanauerGeschichtsverein und Herr Dr. Berthold Picard stellten wertvolle historische Bilder zur Verfügung.

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Fachbereich Bauaufsicht, Denkmal- und UmweltschutzHessen-Homburg-Platz 7 · 63452 HanauTelefon: 06181-295-785 · Telefax: 06181-295-613E-Mail: [email protected]

www.umwelt-hanau.de