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3., aktualisierte Auflage, 2018. 128 S. Broschiert. ISBN 978-3-406-71841-0 Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.chbeck.de/9094 Unverkäufliche Leseprobe © Verlag C.H.Beck oHG, München Ute Gerhard Frauenbewegung und Feminismus Eine Geschichte seit 1789

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3., aktualisierte Auflage, 2018. 128 S. Broschiert. ISBN 978-3-406-71841-0

Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.chbeck.de/9094

Unverkäufliche Leseprobe

© Verlag C.H.Beck oHG, München

Ute Gerhard Frauenbewegung und Feminismus Eine Geschichte seit 1789

Beginnend mit dem Aufbruch der Frauen in der FranzösischenRevolution werden hier die verschiedenen Stationen und Strö-mungen der Frauenbewegung vorgestellt: der Anfang einer or-ganisierten sozialen Bewegung um die 1848er Revolution; dieHöhepunkte ihrer Organisation und öffentlichen Wirkung ander Wende zum 20. Jahrhundert; der Aufstieg von Frauen zugleichberechtigten Staatsbürgerinnen nach dem Ersten Welt-krieg und der Niedergang der Bewegung in der Zeit des Natio-nalsozialismus; der Aufbruch zu einem «neuen» Feminismusnach 1970; und schließlich die Situation der Frauen, des Femi-nismus und die Veränderung der Geschlechterverhältnisse amBeginn des 21. Jahrhunderts.

Ute Gerhard, em. Professorin für Soziologie mit dem Schwer-punkt Geschlechterforschung an der Universität Frankfurt a.M.,war die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen- und Ge-schlechterforschung in der Bundesrepublik.

Ute Gerhard

FRAUENBEWEGUNGUND FEMINISMUS

Eine Geschichte seit 1789

Verlag C.H.Beck

1. Auflage 2009

2. Auflage 2012

3., aktualisierte Auflage. 2018

Originalausgabe© Verlag C.H.Beck oHG, München 2009

Satz: Fotosatz Amann, MemmingenDruck und Bindung: Druckerei C.H.Beck, Nördlingen

Umschlagentwurf: Uwe GöbelPrinted in Germany

isbn 978 3 406 71841 0

www.chbeck.de

Inhalt

Einleitung 6

1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen:Die Französische Revolution 9Geschlechterstreit und Aufklärung 11 – Verteidiger und Pionier-Innen 14 – Auswirkungen und Ende der Revolution 26

2. Die Freiheitsbewegungen um die 1848er Revolution 28Frauen in der neuen politischen Öffentlichkeit 29 – Die Frauen-Zei-tung als Sprachrohr einer ersten Frauenbewegung 34 – Frauenver-eine 37 – Nach dem März 40 – Nachklang, Spuren und Verbindungs-linien 45

3. Die hohe Zeit der Frauenbewegungenund ihrer Organisationen 49Übergänge und Neuanfänge 51 – Trennlinien 55 – Arbeiter- undFrauenbewegung 57 – Einzelne Vorkämpferinnen 60 – Aufschwungund Profilierung 62 – Sternstunde oder verpasste Gelegenheit: DerKongress 1896 67 – Themen und Debatten 69 – Internationales undKrieg 77

4. Zwischen und nach den Weltkriegen. 1919 bis 1949 82Wahlen und Wahlergebnisse 83 – «Wohlfahrtsfeminismus» 86 – In-ternationale Beziehungen und nationale Entwicklung im BDF 90 –Krise und Auflösung des BDF 93 – Unterm Nationalsozialismus 97– Erste Nachkriegszeit 103

5. Die «neue» Frauenbewegung 107Aufbruch zu einer neuen Frauenbewegung 110 – Öffentlichkeit undProjekte 114 – Autonomie oder Institution 116 – Die ostdeutscheFrauenbewegung 118 – 1989 als Zäsur: Ende oder Anfang einerneuen Frauenbewegung 120 – Ausblick 121

Literaturauswahl 126

Einleitung

Die Stichworte ‹Frauenbewegung› und ‹Feminismus› stehen fürein gemeinsames Ziel. In beiden Fällen geht es darum, Frauen inallen Lebensbereichen, in Staat, Gesellschaft und Kultur und vorallem auch in der Privatsphäre, gleiche Rechte und Freiheiten so-wie gleiche Teilhabe an politischer Macht und gesellschaftlichenRessourcen zu verschaffen. Das heißt, im Zentrum der Bestre-bungen liegt nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Einlö-sung demokratischer Prinzipien der Freiheit und Gleichheit allerMenschen und die Anerkennung ihrer gleichen Menschenwürde –Prinzipien, die seit der Französischen Revolution als Kennzeicheneiner rechtsstaatlichen demokratischen Ordnung gelten. Unddoch meinen beide Begriffe nicht unbedingt dasselbe, sie trans-portieren insbesondere im Deutschen unterschiedliche Bedeutun-gen oder politische Ansichten.

‹Frauenbewegung› bezeichnet wie andere soziale Bewegungenbestimmte Formen gemeinsamen sozialen Handelns, die daraufgerichtet sind, sozialen Wandel herbeizuführen und – im Falleder Frauenbewegung – insbesondere im GeschlechterverhältnisBevormundung, Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheiten zubeseitigen. Frauenbewegungen sind historische Phänomene undsoziale Tatsachen, die sich beschreiben, deuten und unter vielfäl-tigen Aspekten wissenschaftlich analysieren lassen. Die sozial-wissenschaftliche Forschung hat hierfür ein ganzes Repertoirevon Kriterien und Methoden erarbeitet, mit denen sie die ver-schiedenen Formen kollektiven, bürgerschaftlichen Engage-ments zu kategorisieren und einzuordnen versteht.

Der Begriff ‹Feminismus›, obwohl auch er zur Bezeichnungder sozialen Bewegungen von Frauen gebraucht wird, hat nocheine weiter gehende Bedeutung. Wie andere Theorien oderGesellschaftskonzepte, die wie Liberalismus, Konservatismus,Marxismus seit dem 19. Jahrhundert als «Ismen» verhandelt

7Einleitung

werden, verweist die Rede vom Feminismus auf eine politischeTheorie, die nicht nur einzelne Anliegen verfolgt, sondern dieGesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse im Blick hat, alsoeinen grundlegenden Wandel der sozialen und symbolischenOrdnung – auch in den intimsten und vertrautesten Verhältnis-sen der Geschlechter – anstrebt und gleichzeitig Deutungen undArgumente zu ihrer Kritik anbietet. Dieser Anspruch ist nichterst neuerdings der Ideologie verdächtig und deshalb in Verrufgeraten, vielmehr begleiten Abwehr und Missverständnisse dieErörterung von Frauenfragen und Feminismus, seitdem sie be-nannt wurden. Wie ist das zu erklären? Liegt der Grund darin,dass die Emanzipation der Frauen in jedem Fall, mit jeder einzel-nen Forderung nach mehr Gerechtigkeit, die bisherige Ge-schlechterordnung und damit die bestehende Ordnung in Fragestellt, also den Status quo von Gewohnheiten und Privilegien ge-fährdet? Um hierauf eine Antwort geben zu können, lohnt essich, mehr zu wissen und die Geschichte und die gesellschaft-lichen Zusammenhänge genauer zu kennen, in denen um Eman-zipation, Gleichheit und Gerechtigkeit gerungen wurde. Tatsäch-lich genügt es nicht, sich auf Gemeinplätze und Erfahrungen ausdem eigenen Alltag zu berufen, gerade weil jeder und jede sich all-täglich gegenüber bestimmten Erwartungen als Mann oder Fraubewähren müssen. Hier helfen Erklärungsansätze und Theorien,die inzwischen von der Frauen- und Geschlechterforschung inden verschiedenen Disziplinen erarbeitet wurden. Dabei zeigtsich, dass die Einführung der Frage nach dem Geschlechterver-hältnis in unsere Überlegungen und in die Forschung die Per-spektive auf die Geschichte und die Gesellschaft und damit auchden Kanon des Wissens verändert – ohne damit behaupten zuwollen, dass es eine richtige Deutung und Lösung der Problemegäbe. Somit gibt es auch nicht eine feministische Theorie oderden Feminismus, vielmehr unterschiedliche Ansätze und politi-sche Theorien und – wie wir sehen werden – im Laufe der letzten200 Jahre die verschiedensten Richtungen, politische und so-ziale Bewegungen von Frauen, die hier in ihren verschiedenenAusrichtungen und ‹Wellen› vorgestellt und diskutiert werden.

Tatsächlich wurde der Terminus ‹Feminismus› erst in den

8 Einleitung

1880er Jahren von französischen Frauenrechtlerinnen aufge-bracht, und zwar von Hubertine Auclert (1848–1914), einerfranzösischen Suffragette, die in der von ihr zwischen 1881 und1891 herausgegebenen Zeitschrift La Citoyenne (Die Staatsbür-gerin) den Begriff als politische Leitidee gegen den ihrer Meinungnach vorherrschenden ‹Maskulinismus› der Dritten Republik inFrankreich eingeführt hat. 1892 veranstalteten die Französinneneinen großen Kongress, der bereits das Adjektiv «feministisch»im Titel führte, und 1896 berichtete die französische Delegierteauf dem Internationalen Frauenkongress in Berlin vor einemgroßen Publikum darüber, wie bereitwillig die französischePresse dieses Wort «à la mode» aufgegriffen hatte (Int. Kongress1897, 39 f.). Von da breitete sich der Begriff wie ein Lauffeuer inden Frauenbewegungen der westlichen Welt aus und wurde nunteilweise im gleichen Sinn wie das Stichwort ‹Frauenbewegung›benutzt. Im Deutschen aber haftet dem Begriff bis heute derGeruch besonderer Radikalität an. Tatsächlich wurde er an derWende zum 20. Jahrhundert von den Akteurinnen kaum zurSelbstbezeichnung, dagegen abwertend und denunzierend vonden Gegnern der Frauenemanzipation gebraucht und hat erstmit der Frauenbewegung der 1970er Eingang in unsere Alltags-sprache gefunden.

Doch gleichgültig, wie der Gegenstand der Beunruhigung unddie Gleichberechtigungsforderungen der Frauen im öffentlichenDiskurs bezeichnet wurden, als «Frauenemanzipation» – so ins-besondere um die 1848er Revolution –, als «Frauenfrage» in Pa-rallele und Anknüpfung an die «soziale Frage» in der zweitenHälfte des 19. Jahrhunderts oder als Frauenbewegung bzw. Fe-minismus: Es ging in dieser Geschichte seit 1789 immer um dengleichen Widerspruch, um das Versprechen oder auch nur dieDenkmöglichkeit der Freiheit und Gleichheit der Frauen undzugleich um ihre Nichteinlösung oder die nur partielle, nichthinreichende Verwirklichung von Frauenrechten. Dieser Wider-spruch zwischen Befreiung und Beschränkung, zwischen derRede von der Emanzipation und tatsächlicher Unterordnung derFrau unter männliche Dominanz, eheliche Pflichten und Gewalt,begleitet die Frauen- und Geschlechtergeschichte der Neuzeit

91. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen

seit der Französischen Revolution. Er kennzeichnet zugleich dieAmbivalenz bzw. den Webfehler der sich als ‹modern› bezeich-nenden Gesellschaften. Mit dem immer subtiler begründetenAusschluss der Frauen aus dem Kreis gleicher Staatsbürgerwurde die Eigenschaft Geschlecht jenseits der Klassentrennungzu einer politischen Kategorie und konstitutiv für die sog. liberaleOrdnung der bürgerlichen Gesellschaft. Aus diesem Grund aberscheint es angemessen, die ‹modernen› Erzählungen über die Ge-schlechterfrage im 19. und 20. Jahrhundert – über die verschiede-nen Phasen, Etiketten und «langen Wellen» der Frauenbewegunghinweg – als eine Epoche zu verstehen, die möglicherweise nochnicht abgeschlossen ist, um zu fragen, wo wir heute, am Beginndes 21. Jahrhunderts, stehen. Sowohl die Frauenbewegungen alssoziale Bewegungen als auch die politischen Theorien des Femi-nismus sind in historische und politische Kontexte eingebundenbzw. gestalten diese auch mit. Daher folgt die Gliederung desStoffes weitgehend politischen Wendepunkten. Doch trotz allerFortschritte und Errungenschaften zeigt schließlich auch die Ana-lyse der Gegenwart, dass der Feminismus als demokratisches Pro-jekt noch immer nicht erledigt ist.

1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen:Die Französische Revolution

Die Ereignisse um das Jahr 1789, vor allem die Reaktionen unddie Erschütterung, die diese Ereignisse in Europa und in der Al-ten und Neuen Welt auslösten, kennzeichnen die FranzösischeRevolution als Zeitenwende. Sie stellte, anders als die amerika-nische Unabhängigkeitserklärung mit der Erklärung der Men-schenrechte von 1776, in der es vorrangig um die Unabhängig-keit vom englischen König, d. h. um Volkssouveränität und dieGründung der Vereinigten Staaten ging, die Grundfesten der ge-samten bisherigen Weltordnung in Frage. Sie beseitigte in nurwenigen Schritten und Verfassungsakten den Feudalismus, seine

10 1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen

ständische Gesellschaftsstruktur und den Absolutismus des An-cien Régime. Auch die Ordnung der Familie und die Beziehun-gen zwischen den Geschlechtern wurden vom Strudel des Um-sturzes und der Befreiung erfasst. Damit aber, so empfanden esdie Zeitgenossen, wurde eine ganze Zivilisation bis in ihre häus-lichen Fundamente erschüttert.

Die grundlegende Infragestellung der traditionellen Ge-schlechterbeziehungen und die veränderte, ungewohnte Rolleder Frauen waren nicht nur eine Folge revolutionärer Umwäl-zungen – im Sinne von betroffen sein oder mitgerissen werden.Vielmehr bestand das Neue gerade darin, dass der «allgemeine»Wille, die Welt von Grund auf zu erneuern, eine neue Form derÖffentlichkeit schuf, d. h. einen politischen Raum, in dem Män-ner und Frauen der verschiedenen Schichten des Volkes agieren,ihre Stimme erheben und intervenieren konnten. Darunter wa-ren nun auch Frauen nicht nur aus den untersten Schichten desVolkes, nicht nur die «Marktfrauen und Fischweiber», sondernauch Frauen bürgerlicher Herkunft und Aristokratinnen. Wennauch schon die Hungerunruhen und Agrarrevolten unter demAncien Régime ein typisch weibliches Aktionsfeld waren, soging es bei dem Marsch der Pariserinnen am 5. und 6. Oktober1789 von Paris nach Versailles um mehr als den Kampf ums all-tägliche Brot. Ziel der ersten Massendemonstration von etwa8000 bis 10000 Frauen, die schließlich auch von 20000 Män-nern der Nationalgarde, der neuen Bürgermiliz, eskortiert wur-den, war es vielmehr, die königliche Familie und die in Versaillestagende Nationalversammlung in die Hauptstadt und damit insZentrum der Revolution und des Volkswillens zurückzuholen,nicht zuletzt um den König zu kontrollieren und zu zwingen, dieAbschaffung der Feudalität und die am 26. August 1789 ver-kündete Erklärung der allgemeinen Menschenrechte zu unter-schreiben.

Mit dem Marsch der Pariserinnen am 5. Oktober 1789 nachVersailles – einer Intervention, die die Beschlüsse der National-versammlung umsetzen, realisieren sollte – haben die Frauendas Recht auf Teilnahme am öffentlichen Leben nicht nur gefor-dert, sondern bereits ausgeübt (Petersen 1987, 13). Dieser «Tag

11Geschlechterstreit und Aufklärung

der Weiber» sollte in die Geschichte eingehen und hat doch zu-gleich das Bild der Frauen in der Französischen Revolution eherverdunkelt und verzerrt (nachzulesen insbesondere bei Michelet1913, zuerst 1854). Das Klischee der «Weiber, die zu Hyänen»wurden (Schiller), d. h. vulgär und zügellos, mit Spitzhackenund Gewehren ausgerüstet, ja in Männerkleidern der Revolu-tion zum Durchbruch verhalfen, machte von da an die Rundeund grub sich zur Denunziation jeglicher weiblicher Mitwir-kung in der Politik in das historische Gedächtnis ein. Dabei war,solange es keine Beteiligungsrechte gab, die Regel- und Form-verletzung die einzige Möglichkeit, sich Gehör und Aufmerk-samkeit zu verschaffen. Das gilt schon im Hinblick auf die füh-rende Rolle der Frauen bei den Brot- und Hungerrevolten desAncien Régime, erst recht seit 1789 bei allen Versuchen, sich inder neuen politischen Öffentlichkeit, in den Clubs und neuenVerfassungsorganen zu Wort zu melden, blieben sie doch in derNationalversammlung sowie der Constituante und dem Kon-vent bis zuletzt auf die Zuschauertribüne verbannt.

Geschlechterstreit und Aufklärung

Das Aufbegehren und die Kritik an der Geschlechterordnungwaren keine Erfindung der Französischen Revolution. Vielmehrhatte es schon vorher seit der Frührenaissance, also über min-destens vier Jahrhunderte, einen sog. Geschlechterstreit («que-relle des sexes» bzw. «querelle des femmes») gegeben. Dies warein männlicher Diskurs, an dem sich auch gelehrte Frauen betei-ligten. Insbesondere Christine de Pizan (1365–1429) gilt als eineder Ersten, die sich in diesen Streit der Frauen und um Frauenmit einem umfangreichen Werk, u. a. ihrem Buch Die Stadt derFrauen von 1404/05, prominent eingeschaltet hatte. Mit diesemLese- und Trostbuch für Frauen entfachte sie den ersten großenLiteraturstreit in Frankreich um den berühmten Rosenromanvon Jean de Meun (um 1280), dessen misogynes Frauenbild dieganze Frauenverachtung seiner Zeit und der kulturellen Über-lieferung zusammenfasst. Indem Pizan eine Umdeutung derantiken und mittelalterlichen Quellen vornahm und auf große

12 1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen

Frauenfiguren in der Geschichte, in Bibel und Mythologie ver-wies, gelang es ihr, die Frauen im Rekurs auf die Tugenden derVernunft, der Rechtschaffenheit und der Gerechtigkeit zu Selbst-bewusstsein und Widerstand, allegorisch zum Bau einer Stadtder Frauen als «Festung gegen die Schar der boshaften Belagererund Verleumder des weiblichen Geschlechts» zu ermutigen (Pizan[1405] 1986, 23).

Im 18. Jahrhundert der Aufklärung wurde die Kontroverseangesichts eines auf die Vernunft des Menschen gegründetenMenschenbildes unumgänglich und unerbittlicher. «Der Ver-stand hat kein Geschlecht», lautete die Schlussfolgerung, die derAufklärer François Poullain de la Barre in seiner Schrift Über dieGleichheit beider Geschlechter (1763) zog, ganz im Sinne derPhilosophie René Descartes’, dessen rationalistische Trennungvon Körper und Verstand/Geist zugleich auf der Annahme be-ruhte, dass die Vernunft als besondere Begabung den Menschenvor allen anderen Lebewesen auszeichne. Das bedeutete, dassauch die Besonderheit des weiblichen Körpers die Verstandes-tätigkeit der Frau nicht beeinflussen könne. Doch dieser Einsichtwurde sogleich und immer wieder von den verschiedensten Sei-ten heftig widersprochen. Mit der Entwicklung der empirischenWissenschaften, insbesondere den medizinischen Erkenntnissenüber die besondere Physiologie der Frau und der Entdeckung,dass Wissen und Denken sehr wohl von Sinneswahrnehmungen,Gefühlen und Erfahrungen beeinflusst werden, wurde dieserationale Begründung der Gleichheit der Geschlechter als Ver-nunftwesen nicht mehr akzeptiert (Honegger 1991). Die nach-haltigste Wirkung hatten die politischen Theorien und pädago-gischen Schriften von Jean-Jacques Rousseau. In seinem fastgleichzeitig mit de la Barres Werk veröffentlichten Erziehungs-roman Emile oder Über die Erziehung (1762) philosophiert erim 5. Buch «Über Sophie oder die Frau» ausführlich über die ge-schlechtsbedingten Unterschiede zwischen Mann und Frau undkommt zu dem Schluss, dass die Anatomie der Frau, im Jargonder Zeit die «Natur der Frau», auch ihre Stellung in der Gesell-schaft und im Recht bestimme. Wie bei anderen Aufklärungs-philosophen, z. B. Fichte, wird diese Analogie zwischen Körper

13Geschlechterstreit und Aufklärung

und sozialer Ordnung aus der ungleichen Stellung im Sexualaktabgeleitet und zugleich mit Verweis auf das notwendige Scham-gefühl der Frau moralisch begründet, warum es prinzipiell keineGleichberechtigung der Frau geben könne: «Das eine muss aktivund stark, das andere passiv und schwach sein… Die wirkungs-vollste Art, diese Kraft zu erwecken, ist, sie durch Widerstandnotwendig werden zu lassen… Aus dieser Verschiedenheit derGeschlechter… im Hinblick auf das Geschlechtliche… folgt,dass die Frau eigens dazu geschaffen ist, dem Mann zu gefallen»(Rousseau 1963, zuerst 1762, 721–726). Rousseau bewegte sichmit dieser Auffassung über die besondere und andere Rolle derFrau im dominanten Denkmuster der abendländischen Philoso-phie, die seit der Antike, insbesondere in der christlichen Deu-tung über Thomas von Aquin aus der Gegenüberstellung vonmännlich – weiblich, aktiv – passiv die Minderwertigkeit, Unvoll-kommenheit bzw. notwendige Unterwerfung der Frau unter dieHerrschaft des Mannes zu legitimieren versuchte. Nicht zuletztdie ältere, gleichwohl zweite Schöpfungsgeschichte aus Genesis 2und 3, in der Eva aus der Rippe Adams geformt wird und die mitdem von Eva initiierten Sündenfall endet, hatte der patriarchalenWeltordnung in der Kultur des Abendlandes, in den Mythen, Bil-dern und vor allem in der Kunstproduktion nicht nur Populari-tät, sondern den Charakter eines göttlichen Gebots verliehen.

Doch indem die Französische Revolution bereits in den erstenGesetzgebungsakten die Privilegien des Klerus beseitigte, dieKlöster auflöste und die Kirchengüter enteignete und durch einestrikte Trennung von Staat und Kirche nicht nur der Meinungs-freiheit, sondern auch der Glaubensfreiheit zum Sieg verhalf,räumte sie auch mit einer religiös gestifteten Weltordnung auf.Nicht zuletzt die politischen Schriften von Rousseau, z. B. seineAbhandlung Über den Gesellschaftsvertrag (1758), sowieCharles-Louis Montesquieus Vom Geist der Gesetze (1748)hatten den Weg zu einer auf der Basis von Recht und Gesetz undder Souveränität des Volkes gegründeten Gesellschaftsordnungvorgezeichnet – allerdings ohne die Frauen auch nur gedanklichin die Lehren vom Gesellschaftsvertrag als Partner einzubezie-hen. Mit dem Zusammenbruch der alten Gewalten und der Er-

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hebung des Volkes aber waren aus den politischen PrinzipienRechtsbegriffe geworden, aus denen nun konkrete Forderungenund ein politisches Programm sozialer Gerechtigkeit abgeleitetwerden konnten, auch im Blick auf und unter der Mitwirkungvon Frauen (Gerhard 1990b).

Verteidiger und PionierInnen

Einer der ersten prominenten Fürsprecher, der in dieser Zeit desUmbruchs bei der Umsetzung der Idee von Freiheit und Gleich-heit der Menschen für die Bürgerrechte auch der Frauen eintrat,war der Marquis Marie Jean Antoine de Condorcet (1743–1794), Mathematiker und Philosoph, ein Liberaler, der 1791Abgeordneter der Nationalversammlung war und neben derPlanung eines klassenübergreifenden staatlichen Bildungssys-tems am Entwurf einer republikanischen Verfassung mitarbei-tete, bevor er 1793 von den radikalen Jakobinern angeklagt undverfolgt wurde. Vor der Revolution hatte der zusammen mitseiner Frau, Sophie de Grouchy, geführte Salon als «Wiege derRepublik» ein Zentrum der französischen Aufklärung gebildet.Er war für die Sklavenbefreiung in den französischen Kolonienin Nordafrika eingetreten und hatte schon 1787 die Wählbar-keit auch der besitzenden Frauen in die ständischen Vertretungs-organe gefordert. 1790 erschien sein berühmtes Plädoyer für dieZulassung der Frauen zum Bürgerrecht. Er betrachtete es als«Akt der Tyrannei», in Anbetracht der auf das Naturrecht ge-gründeten Gleichheit der Menschen, die «Hälfte des Menschen-geschlechts» – eine von ihm geprägte Formulierung – von denBürger- und Menschenrechten auszuschließen: «Entweder hatkein Glied des Menschengeschlechts wirkliche Rechte, oder siehaben alle die gleichen, und derjenige, der gegen das Recht einesanderen stimmt, mag er auch einer anderen Religion, einer ande-ren Hautfarbe oder dem anderen Geschlecht angehören, hat da-mit seine Rechte verwirkt.» (Condorcet 1979, 55–65) Damithatte er – ohne den Klassenunterschied zu benennen – die auchheute noch aktuellen Hauptachsen sozialer Ungleichheit benannt.

Aus dem großen Kreis berühmter und berüchtigter «Frauender Revolution», die in einem der führenden Clubs, der Vereini-

15Verteidiger und PionierInnen

gung der Freunde der Wahrheit (Société des amis de la vérité),eine Frauensektion begründeten und die verschiedenen revolutio-nären Frauenclubs zu vereinen suchten, ragt Etta Palm d’Aelders(1743–1799) hervor, eine gebildete Frau und schillernde Personholländischer Herkunft, die sich nach einem bewegten Leben1774 in Paris niedergelassen hatte und hier mit einem eigenenSalon in den verschiedenen Zirkeln von Liberalen und europäi-schen Diplomaten verkehrte. Sie gilt als die erste Frau, die öf-fentlich zugunsten von Frauen das Wort ergriff. Sie veröffent-lichte Zeitungsartikel und Pamphlete und provozierte mit ihrenReden vor den «Freunden der Wahrheit» zwischen 1790 und1791 hitzige Debatten über Frauenrechte. «Wir sind Eure Ge-fährten, nicht Eure Sklaven», war ihr Motto. An der Spitze einerFrauendelegation erschien sie in der Nationalversammlung undforderte in einer Petition die Abschaffung des Erstgeburtsrechts,gleiche Scheidungsfreiheit für Frauen und Männer, den Schutzgeschlagener Frauen und politische Gleichberechtigung, ja selbstden gleichen Zugang zu allen militärischen Diensten und Posten.Als Präsidentin der Société patriotique et de bienfaisance desAmies de la Vérité entwickelte sie darüber hinaus Vorschläge fürein nationales Wohlfahrtssystem, das sich insbesondere der Er-ziehung und Fürsorge für arme Frauen und deren Kinder anneh-men sollte. In diplomatischer Mission nach Holland zurück-gekehrt, wurde Etta Palm dort nach Ausrufung der Republik1795 der Spionage verdächtigt und verhaftet. Sie starb kurznach ihrer Freilassung 1799 in Den Haag.

Eine der extravagantesten und bis heute in ihrer Bedeutungverkannten Frauen der Französischen Revolution war Olympede Gouges, geb. Marie Gouze (1748–1793). Unmittelbar nach-dem die Nationalversammlung im September 1791 die erste re-publikanische Verfassung Frankreichs verabschiedet hatte, derdie allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von1789 als Grundrechte vorangestellt waren, veröffentlichte sieihre Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (Déclarationdes droits de la femme et de la citoyenne). Mit der Verabschie-dung dieser Verfassung, in der entgegen den Gleichheitsverspre-chen der Menschenrechte sowohl die Monarchie als konstitutio-

16 1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen

nelle als auch das Zensuswahlrecht, d. h. ein Männerwahlrechtnach Besitzklassen, beibehalten wurde, war klar geworden, dassnicht nur die Privilegien der Besitzenden, des Bürgertums, son-dern auch die des männlichen Geschlechts neu befestigt wurden.Tatsächlich waren paradoxerweise mit der Abschaffung derAdelsprivilegien auch die im Ancien Régime einzigen Wahl- undVertretungsrechte von Frauen der höheren Stände aufgehobenworden. In einer scharfzüngigen Polemik kennzeichnete Olympede Gouges daher in ihrer Vorrede zur Frauenrechtserklärung dasKernproblem: «Der Mann allein» maßt sich an, «von der Revo-lution zu profitieren… Extravagant, blind, von den Wissenschaf-ten aufgeblasen und degeneriert, will er in diesem Jahrhundertder Aufklärung und des Scharfsinns, doch in krasser Unwissen-heit, despotisch über ein Geschlecht befehlen, das alle intellektu-ellen Fähigkeiten besitzt.» (zit. n. Gerhard 1990b, 263 f.)

Die Erklärung der Olympe de Gouges war Teil einer längerenBroschüre unter dem Titel Die Rechte der Frau. Nach einem Briefan die Königin, die sie um Mithilfe bat, «dem Aufschwung derRechte der Frau Gewicht zu verleihen», sowie der bereits er-wähnten Vorrede, die mit der Frage eröffnet wird: «Mann, bistDu fähig, gerecht zu sein?», folgt die «Erklärung der Rechte derFrau und Bürgerin». Dem schließt sich der Entwurf eines Gesell-schaftsvertrages an, der sich als Vertrag «zwischen Mann undFrau» wie ein zivilrechtlicher Partner- und Ehevertrag liest, densie jedoch als Staatsvertrag und notwendigen Bestandteil der Ver-fassung verstanden wissen wollte. Damit hat sie hellsichtig diesystematische Bruchstelle der bürgerlich-liberalen Rechtsordnun-gen der Neuzeit zwischen privatem und öffentlichem Recht auf-gezeigt, die mit einer Platzanweisung an die Frauen korrespon-diert: Der Einschluss in die Privatsphäre mit Hilfe des Ehe- undFamilienrechts, in der der Ehemann alle Gewalt und Entschei-dungsbefugnis hatte, legitimierte gleichzeitig den Ausschluss derFrauen aus der politischen Öffentlichkeit. Bis zu den Rechtsrefor-men der 1960er und 70er Jahre bildete diese Geschlechterord-nung die Grundlage aller rechtsstaatlichen Verfassungen derwestlichen Welt, gleichgültig, ob sie sich auf ihre republikanische,liberale oder sozialdemokratische Tradition stützten.

17Verteidiger und PionierInnen

Wegweisend für den neuzeitlichen Feminismus wurde Olympede Gouges’ Schrift Die Rechte der Frau vor allem aber durch dieManifestation der Frauenrechte als Menschenrechte. Mit derausdrücklichen Einbeziehung der Frauen in den Geltungsan-spruch der Menschenrechte stellte sie sich auf den Boden einerallgemeinen Rechtsordnung für Männer und Frauen und nahmdie Freiheits- und Gleichheitsversprechen beim Wort. Das zeigtsich darin, dass sie in ihrem Text ebenfalls in 17 Artikeln demWortlaut der allgemeinen Erklärung der Menschen- und Bürger-rechte von 1789 folgt, jedoch mit anscheinend geringfügigen,aber im Blick auf Frauen wesentlichen Umformulierungen, Er-gänzungen und Korrekturen. Sie benennt die entscheidendenForderungen nach Anerkennung der Frauen als Gleichberech-tigte und gleichermaßen Verpflichtete in Staat und Gesellschaft(lehnt deshalb Sonderrechte oder sog. Rechtswohltaten fürFrauen Art. 7 und 9 ab) und begründet die Notwendigkeit ihrerTeilhabe am politischen Prozess der Selbstbestimmung undSelbst-Gesetzgebung, z. B. mit dem Zusatz in Artikel 16: «DieVerfassung ist null und nichtig, wenn die Mehrheit der Indivi-duen, die die Nation darstellen, an ihrem Zustandekommen nichtmitgewirkt hat.» Beharrlich buchstabiert sie die «natürlichen undunveräußerlichen Rechte von Frau und Mann» aus, wo im sog.allgemeinen Text von «Menschenrechten», französisch «droitsde l’homme», die Rede ist (Art. 2). Gerade auch in den sperrigen,anscheinend für eine Verfassung unpassenden Einzelheiten be-nennt sie spezifische Unrechtserfahrungen der Frauen. So plädiertsie z. B. in Artikel 11 zur Gedanken- und Meinungsfreiheit für dasRecht der Frau, den Vater ihrer nicht ehelichen Kinder benennenund gerichtlich belangen zu können, und weist damit auf eine ele-mentare Not der von Männern betrogenen und verlassenenFrauen hin. In dem Entwurf eines Gesellschaftsvertrags bietet sie«ein unübertreffliches Mittel» an, Elend, Unbildung und Abhän-gigkeit der Frauen zu beheben. Unverzichtbar sei die Teilhabe derFrauen an gemeinsamem Vermögen, soll heißen, die Eigentums-rechte der Frauen und die gemeinsame Sorge und Verantwortlich-keit der Väter an ihren auch außerhalb einer Ehe geborenen Kin-dern (vgl. Burmeister 1999, 168 f., Gerhard 1990, 49 f.).

18 1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen

Als de Gouges dieses für die Verfassungsgeschichte einmaligeRechtsdokument veröffentlichte, war sie bereits eine bekannteLiteratin, die schon vor 1789 in der Pariser Gesellschaft, beiHofe und in oppositionellen Kreisen als «femme galante» vonstrahlender Schönheit Aufsehen erregt und sich durch zahlreicheTheaterstücke, Romane und politische sowie sozialkritischeStreitschriften einen Namen gemacht hatte. Ihr gesamtes Werk,mehr als 130 Titel, die sie zwischen 1788 und 1793 wiederholt inmehreren Bänden herausgab, waren politische Interventionenund vom Stil der Zeit geprägte Tendenzliteratur. Gleich in ihremersten Theaterstück aus dem Jahr 1784, dem Drama Zamore etMirza, war sie entschieden für die Aufhebung der Sklaverei inden nordafrikanischen Kolonien Frankreichs eingetreten undhatte von da an hart um die Aufführung ihrer Stücke in derComédie Française kämpfen müssen. Sie mischte sich vehementund kühn von der Zuschauertribüne in die Debatten der Natio-nalversammlung ein, inszenierte Umzüge und Straßenfeste, be-suchte die Versammlungen der Jakobiner und trat in den ver-schiedenen Frauenclubs auf, ohne diese selbst zu organisieren.Sie kämpfte leidenschaftlich für die neuen Ideen und für eineneue Gesellschaft, die ihrer Meinung nach auf der Grundlage desNaturrechts und neuer Standards für Gerechtigkeit nur mit Hilfedes Rechts, nicht mit Gewalt oder Blutvergießen zu begründenwar. Daher lehnte sie auch nach der Verabschiedung einer Ver-fassung der konstitutionellen Monarchie die Verurteilung Lud-wigs XVI. zum Tode als Rechtsbruch ab, bot sich im Prozesssogar als seine Verteidigerin an – nicht um sein Königtum zu ver-teidigen, doch um ihn nicht zum Märtyrer werden zu lassen.Denn sie war der Meinung, «nur wenn er seinen Fall überlebt, ister wirklich tot» (Duhet 1971, 85). Damit aber hatte sie sich alsRoyalistin diskreditiert. Und als sie sich auch noch an der Seiteder Girondisten für eine föderalistische Verfassung Frankreichseinsetzte und wiederholt gegen den Terror der Jakobiner agi-tierte, schließlich Robespierre und Marat der Brutalität und Dik-tatur bezichtigte, wurde ihr vor dem Revolutionstribunal derProzess gemacht. Sie wurde auf dem Höhepunkt der Schreckens-herrschaft am 3.11.1793 mit der Guillotine hingerichtet.

19Verteidiger und PionierInnen

War es Ironie oder Zufall der Geschichte, dass just einen Tagvor ihrem Tod ein Dekret erlassen wurde, wonach nur die vomVater anerkannten «natürlichen» Kinder erbberechtigt waren,um damit zugleich die Regel zu erfinden, dass die «Nachfor-schung, wer der Vater eines Kindes sei, untersagt ist»? Diesegesetzliche Bestimmung, die dem Gewohnheitsrecht und dem«geschriebenen Recht» des Ancien Régime unbekannt war, wurdeunverändert auch 1804 in den unter der Herrschaft Napoleonsverabschiedeten Code civil (Art. 340) übernommen und hat dortals Ausdruck beispielloser Härte gegenüber nicht ehelichenMüttern und ihren Kindern in Frankreich bis 1938 seine Gültig-keit bewahrt. Die von patriarchalen Interessen geleitete Maß-nahme war die Antwort der Revolutionsregierung auf die von deGouges in ihrer Erklärung geforderte spezifische Meinungsfrei-heit, um Väter zur Verantwortung zu ziehen, und bereits Teileiner Reaktion, die die «wilden Exzesse» errungener Freiheitengerade auch in den privaten Beziehungen eindämmen wollte.Nach der Einführung der Volljährigkeit und Ehemündigkeit fürMänner und Frauen mit 21 Jahren im Jahr 1792 sowie gleicherErbrechte auch für die nicht in einer Ehe geborenen «natürlichen»Kinder im Juni 1793 waren die revolutionären Gesetzgeber nunplötzlich besorgt um «die Gefahr der Erpressungen, Misshellig-keiten und Skandale», die durch diese Akte der Gleichstellungauch in die «ehrbarsten Familien» getragen wurde. Der Gleich-heitsanspruch der Frauen wurde erneut dem Schutz der Familie,genauer, den Interessen der Männer in der Familie geopfert. Gal-ten die Befreiung der Ehe aus kirchlicher Jurisdiktion, die Zivil-ehe und die Scheidungsfreiheit für beide Partner mit gleichenRechten anfangs als einige der wesentlichen Errungenschaftender Revolution, als Befreiung aus persönlicher Sklaverei, so ge-wannen spätestens ab 1793 sehr schnell wieder die Stimmen dieOberhand, die den Sittenverfall und das gesellschaftliche Chaosdiesen Freiheiten, insbesondere der Frauen, anlasteten. Frauen-rechte zu fordern wurde ungehörig, waren es doch gerade dieradikalsten Revolutionäre unter den Männern, die Jakobiner,die de Gouges bereits 1792 wieder in ihre Schranken wiesen: «Esist das erste Mal, zumindest in Frankreich, dass man Frauen so

20 1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen

zu Männern und vor allem zu Gesetzgebern hat sprechen hören:«Öffnen Sie uns die Ehrenschranke.» [Gemeint war der Zutrittzum Parlament.]… Die Ehre der Frauen besteht darin, in allerStille die Tugenden ihres Geschlechts zu kultivieren, und zwarunter dem Schleier der Bescheidenheit und im Schatten ihresHeimes. Auch kommt es den Frauen nicht zu, den Männern denWeg zu weisen…» (zit. n. Blanc 1989, 127 f.)

Obwohl dieser ersten feministischen Proklamation für die glei-chen Rechte der Frau ein prominenter Platz in der politischenIdeengeschichte und Rechtsgeschichte gebührt, ist Olympe deGouges doch schnell wieder vergessen oder von den Geschichts-schreibern für verrückt erklärt worden (z. B. von J. Michelet). Inder französischen Geschichte des Feminismus aber lebte sie fort,gehört sie zu den großen Leitsternen der Französinnen in der1848er Revolution und der Feministinnen der Dritten Französi-schen Republik ab 1870. Ihre bis heute unstrittige Bedeutungliegt darin, dass sie die Rechtsgleichheit der Frauen als Men-schenrecht am Beginn der bürgerlichen Gesellschaft konsequentzu Ende dachte und unbeirrt und ohne Rücksicht auf das eigneWohlergehen radikal einforderte. Ihre Vision von Geschlechter-gerechtigkeit und Demokratie ist bis heute uneingelöst, ebensowie ihre gelegentlich kritischen Zweifel an ihren Geschlechtsge-nossinnen heute noch aktuell sind: «Frauen, wäre es nicht an derZeit, dass auch unter uns eine Revolution stattfände? Oder sol-len die Frauen auf ewig voneinander isoliert bleiben; und nurdann eine Einheit mit der Gesellschaft bilden, wenn es darumgeht, ihr eigenes Geschlecht zu verleugnen oder beim anderenMitleid zu erregen?» (zit. n. Blanc 1989, 194)

Die andere Vordenkerin feministischer Ideen und Politik ausder Zeit der Französischen Revolution, die insbesondere aufFrauen im englischsprachigen Raum einen nachhaltigen Ein-fluss ausgeübt hat, war Mary Wollstonecraft (1759–1797). IhreSchrift Ein Plädoyer für die Rechte der Frau (A Vindication ofthe Rights of Woman) erschien 1792 zunächst in London. Nochin demselben Jahr folgten eine französische Übersetzung undeine zweite englische Auflage. 1793/94 erschien bereits einedeutsche Übersetzung unter dem Titel Rettung der Rechte des

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