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Ortsbestimmung:

Materielle Kultur als Gegenstand

ethnologischer Forschung

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Materielle KulturMaterielle Kultur =

Umgang mit Dingen

Museum

19. Jhd.: „Institutionelle Heimat der Ethnologie“

KunstBedeutung

Wahrnehmung

Handlung

Materialität

21. Jhd.: multidisziplinäres intellektuelles Feld

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Museen: Institutionelle Heimat

der Ethnologie im 19.

Jahrhundert

• Professionalisierung von Wissen in

Institutionen

• Entstehung der akademischen Ethnologie in

Museen und Universitäten

• Museum: Sammlung, Erhaltung,

Ausstellung, Studium und Interpretation

materieller Objekte

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Kurio-

sitäten-

kabinett

Frans Francken

d. J.

1581 - 1642

Kunsthist.

Museum Wien

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Ethnographische Objekte

• Kategorie im 19. Jahrhundert erfunden

• Einrichtung eigener Museen

• 1869 Gründung des Berliner Museums für

Völkerkunde

• Direktor: Adolf Bastian, Schiffsarzt, seit

1860 Dozent/Professor für Ethnologie an

Berliner Universität

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Artefakte in der ethnologischen

Theoriebildung des 19.

Jahrhunderts: Evolutionismus• Alle Gesellschaften durchlaufen unabhängig und

parallel denselben Entwicklungsprozeß von Techniken, Institutionen und Glaubensvorstellungen

• Unterschiede zeigen Grade des Entwicklungsstadiums an

• Lewis Henry Morgan (1851): „Wildheit“, „Barbarei“, „Zivilisation“

• Primitive Gesellschaft = primitive Gerätschaften = materielle Kultur

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Artefakte in der ethnologischen

Theoriebildung des 19.

Jahrhunderts: Diffusionismus • Kritik am Evolutionismus: Infragestellung der

evolutionistischen Annahme paralleler Entwicklung

• Völkergedanken = Kulturmuster, aus Interaktion eines Volkes mit Umgebung entstanden

• Kulturentwicklung durch Verbreitung und Entlehnung von Kulturelementen

• Bastian: Unterschiede zwischen Kulturen/Gesellschaften:

„Naturvölker“ / „Kulturvölker“

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Koppelung Museum /

akademische Ethnologie im 19.

Jhd. • Lehrstühle für Ethnologie an Museen gebunden

• Sammlung von Objekten, Dokumentation,

systematische Ordnung

• 1974: Fragebögen zu materieller Kultur in „Notes

and Queries of Anthropology“

• Fragen zu: Körperdeformationen, Wohnformen,

Nahrungsbeschaffung, Waffen, Handwerk, Kunst

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Dominante Auffassung der

Museumsethnologie

Geistige und materielle Kultur sind prinzipiell

voneinander getrennt

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Materialität

• Geistige und materielle Phänomene sind

untrennbar ineinander verwoben

• ‚Dinge‘ und ‚Personen‘ können nicht getrennt

betrachtet werden

• Kultur materialisiert/objektiviert sich in

gegenständlichen Formen

• "Material culture is part and parcel of human

culture in general, and just as the concept of

culture has hundreds of potential definitions and is

never just one entity or 'thing', so has the material

component of culture" (Handbook of Material Culture, 2005: 4)

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Zwei Methoden der Materiellen

Kulturforschung:• Ausgangspunkt:

Dinge

• Ihre Eigenschaften: vorgefunden oder künstlich erzeugt, statisch oder beweglich, selten oder häufig, lokal oder exotisch, traditionell oder modern usw.

• Ausgangspunkt: Person/Subjekt/das Soziale

• Art und Weise, in der Menschen sich in materiellen Medien verwirklichen

• wie Menschen durch materiellen Medien ‚in-der-Welt‘ sind

• Beziehungen zwischen Menschen und Dingen

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Ebenen Materielle

Kultur/Sachkultur

1. Gegenstand des Faches /Ethnologie

2. Umgang des Faches mit Dingen:

Konzeptualisierungen, Theorien,

Definitionen

3. Kulturspezifische Konzeptualisierungen

und Umgangsweisen mit Dingen

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1. Gegenstand der Ethnologie

• „Gegenstand“: mehrdeutig:

Dinge, Abstraktionen

• Texte

• Dinge

• Materielle Kulturforschung: sieht Dinge

und Texte als prinzipiell verschiedene

Medien an

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2. Umgang des Faches mit

Dingen1. Meinhard Schuster (2000):

Dinge in ethnographischen Sammlungen besitzen ein Bündel von Eigenschaften: Authentizität, Originalität, Echtheit, Unmittelbarkeit,

dies gilt aber nur, wenn

die Herkunft gesichert ist

Dinge können angefasst werden, ihre Materialität kann erfasst werden

Dinge sind verlässlichere Quellen als Texte von Ethnologen

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Schuster, 'Zur Frage der Abgrenzung des Gegenstandes der Ethnologie',

Archiv für Völkerkunde 2000: 10

"Das Ding (gewinnt) als ein vor, außer und unabhängig von allem Beschreiben, aller Textproduktion unbezweifelbar Vorhandenes eine einzigartige Position innerhalb unseres Quellenmaterials, (...) die das Ding in die Nähe der Kunstwerke unserer eigenen kulturellen Tradition rückt; dabei spielt es (...) keine Rolle, ob wir das betreffende Ding selbst dem Bereich der bildenden Kunst oder demjenigen des Handwerks bzw. Gebrauchsgerät in unserem Sinne zurechnen. Denn für das (außereuropäische) fremde Ding wie für das eigene (europäische) Gemälde, die eigene Skulptur gilt, dass sie (...) ihre ursprüngliche Form über die Zeit hinweg bewahren, während wir uns verändern..."

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Chrtistian F. Feest (2003: 240)

"Die Ethnologie befasst sich (...) nicht allein mit den

Vorstellungswelten und Handlungen der Menschen als

sozialen Wesen, sondern auch mit den Dingen, mit denen

sie in ihren Lebensraum eingreifen, um ihn nach ihren

Bedürfnissen entsprechend zu nutzen und zu verändern.

Die Gesamtheit dieser Gegenstände, ihre Herstellung,

ihren Gebrauch, das damit verbundene Wissen und im

weiteren Sinn auch die den Dingen zugeschriebenen Werte

und Bedeutungen bezeichnet man als materielle Kulturoder Sachkultur"

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Ulla Johansen 1992: 6

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Unterscheidung Begrifflichkeiten mat. Kultur,

die von ‚Ding‘ ausgehen (Feest)

• Artefakte: künstlich gemachte Sachen, von Menschen erzeugte Gegenstände

• Naturfakte: existieren ohne Zutun von Menschen, werden jedoch zu bestimmten Zwecken von ihnen genutzt

• Unterschied: "ein zugeschlagener steinerner Faustkeil ist ein Artefakt, ein Geröllstein, den man zum Aufschlagen einer Nuss benutzt, ist ein Naturfakt"

• Exofakte: Artefakte, die nicht innerhalb der Gesellschaft, in der sie verwendet werden, hergestellt wurden

• Endofakte: Gegenstände, die in Gesellschaft hergestellt und verwendet werden

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Daniel Miller, Artefacts and the

meaning of things, 1994: 398

"The concept of the artefact is best defined in the broadest terms.

There is little point in attempting to distinguish systematically

between a natural world and an artefactual one, except when we

are concerned with the ways in which terms such as 'natural' may

have particular consequences or entailments, as when a

commodity in the shops is labelled 'natural' simply because a

single ingeredient, such as a chemical dye, has been deleted (…)

It is not only in industrial societies that virtually all objects

encountered are artefactual."

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Hans-Peter Hahn, Materielle Kultur,

2005: 20

"Materielle Kultur (...) umfasst Sachen und Dinge...

So sind zum Beispiel Bäume ein wichtiges Thema

von Studien zur materiellen Kultur, auch wenn es

sich dabei um 'natürliche Dinge' handelt. Die Frage,

ob eine Sache von Menschen gestaltet wurde,

erweist sich als nachgeordnet gegenüber den Fragen

nach der Wahrnehmung von Gegenständen, dem

Umgang damit und deren Bedeutung. Alle diese

Aspekte sind relationale, nicht nur im Objekt selbst

begründete Aspekte"

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Materialität:

� • Dinge als materiell existierend, die unabhängig von menschlichen

Handlungen in der Welt wichtig sind (z.B. ein Stein, ein Berg, ein

Baum)

� • Dinge als von Menschen erschaffen, Artefakte

� • Material oder Substanzen, aus denen die Dinge bestehen, ihre

Ursprünge, Verbindungen und Kombinationen

� • Die Art und Weise, in der Dinge mit Ideen und Intentionen von

Personen in Beziehung stehen

� • Die Beziehung zwischen Dingen (materieller Kultur) mit Kulturen

und Gesellschaften: Dinge als integraler Bestandteil menschlichen

Zusammenlebens

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Materialität

� • Die Beziehung von Dingen zu Wertsystemen, Kosmologien,

Glaubensvorstellungen und Emotionen, im weitesten Sinne zu

persönlichen und sozialen Identitäten

� • Die Beziehung von Dingen zu Geschichte, Tradition, individuellen

und kollektiven Erinnerungen, sozialen Veränderungen sowie zu

Konzepten von Raum, Ort und Lokalität

• Die Beziehungen von Dingen zum menschlichen Körper: der Körper

selbst als kulturelles und sinnliches Ding, das sich bewegt, auf

verschiedenste Weise darstellt und die Art und Weise, in der Dinge

körperliche Fähigkeiten produzieren, einschränken, erweitern oder

begrenzen

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Zitierte Literatur

(2000). Archiv für Völkerkunde 51

Bastian, Adolf (1868). Das Beständige in den Menschenrassen und die Spielweite ihrer Veränderlichkeit. Prolegomena zu einer Ethnologie der Culturvölker. Berlin: Reimer

Feest, Christian F. (2003). 'Materielle Kultur.' In: Fischer Hans; Beer, Bettina (eds.) Ethnologie. Einführung und Überblick. pp. 239-254. Berlin: Reimer

Hahn, Hans-Peter (2005). Materielle Kultur. Eine Einführung. Berlin: Reimer

Johansen, Ulla (1992). 'Materielle oder materialisierte Kultur?' Zeitschrift für Ethnologie 117:1-15

Lurie, N. (1981). 'Museumland Revisited.' Human Organization 40: 180-87

Miller, Daniel (1994). 'Artefacts and the meaning of things.' In: Companian Encyclopedia of Anthropology, pp. 396-419

Morgan, Lewis H. (1877). Ancient Society: Researches in the Lines of Human Progress from Savagery through Brabarism to Civilisation. New York Holt

Schuster, Meinhard (2000). 'Zur Frage der Abgrenzung des Gegenstandes der Ethnologie,' Archiv für Völkerkunde 51: 9-15

Stocking, G. (1985). Objects and Others: Essays on Museums and Material Culture. Wisconsin:

University of Wisconsin Press

Sturtevant, W. (1969). 'Does Anthropology need museums ?' Proceedings of the Biological Society Washington 82: 619-50

Tilley, C.; Keane, W.; Kuechler, S; et al (eds.) (2005). Handbook of Material Culture. SAGE

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Schlag-

worte