VALENTIN TOMBERG - DIE GROSSEN ARCANA DES TAROT - Band 4

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4. Band:18. Brief - Der Mond - Das Arcanum des Intellekts19. Brief - Die Sonne - Das Arcanum der Intuition20. Brief - Das Gericht - Das Arcanum der Auferstehung21. Brief - Der Narr - Das Arcanum der Liebe22. Brief - Die Welt - Das Arcanum der FreudeGlossar

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    Achtzehnter Brief

    D ER M ON D

    Das Arcanum des Intel lekts

    Der Intellekt und die Intuition des Glaubens Sonne, Mond und Sterne:schpferisches, widergespiegeltes und offenbartes Licht Das Postulat derWiederholung Das Ganze und der Teil Frhling und Herbst ImAnfang war das Wort Der Instinkt. Der Sephirot-Baum Kopf, Herzund Wille Die Umwandlung des Intellekts in Intuition Der Intellektals Diener des Gewissens Der Hter der Schwelle Das sacrificiumintellectus Rhythmus Der Rosenkranz Das Besserwissen Reduktion und psychologische Projektion Die vier Antinomien Psychologisierer und Spiritualisierer Krebs oder Adler.

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    DERMOND

    Das Arcanum des Intellekts

    Gott verbot Lot und seiner Familiezurckzuschauen.Seine Frau aber schaute zurckund erstarrte zur Salzsule(Gen 19,26).

    Der Ewige schickte die Pest nach Israelwegen der groen Snde, die David beging,als er den Befehl gabzur Zhlung des Volkes Israel(2 Sam 24).

    Unser Intellekt,wie er aus der Hand der Natur kommt,hat das anorganisch Starrezum entscheidenden Gegenstand.Der Intellekt stellt sich deutlichnur das Diskontinuierliche vor.Unser Intellekt stellt sichdeutlich nur die Bewegungslosigkeit vor.... lt sich der Intellekt entschlpfen,

    was jeder Moment einer GeschichteNeuesbirgt.Er anerkennt kein Unvorhersehbares.Er verwirft jede Schpfung.Der Intellekt charakterisiert sichdurch eine natrliche Verstndnislosigkeitfr das Leben.

    Ins Innere des Lebens selberdagegen wrde dieIntuition,ich meine der uninteressierte, der seiner selbst bewut gewordene Instinkt fhren; er, derfhig wre, ber seinen Gegenstand zu reflektieren und ihn ins Unendliche zu erweitern.

    (Henri Bergson)

    Lieber Unbekannter Freund,

    das an Lot und seine Familie gerichtete Verbot zurckzuschauen, DavidsSnde der Zhlung des Volkes Israel und die von Henri Bergson beschriebenencharakteristischen Zge des Intellekts, im Gegensatz zur Intuition, habengemeinsam, da sie sich auf das Problem derUmkehrder Bewegungsrichtungdes Lebens beziehen, auf das Problem der rcklufigen Bewegung. Dieses

    Problem der rcklufigen Bewegung, die der Bewegung des Lebensentgegengesetzt ist, ist, was das Kartenbild des achtzehnten Arcanums desTarot Der Mond spontan nahelegt.

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    Das achtzehnte Arcanum Der Mond ist die Antithese zum siebzehntenArcanum Der Stern. Denn whrend dieses die Ideen, Gefhle undWillensimpulse im Zusammenhang mit der Evolution des Lebens und desBewutseins mit deren nie endender Entwicklung hervorruft, ruft jenes die

    Ideen, Gefhle und Willensimpulse im Zusammenhang mit derUmkehrungderevolutionren Bewegung des Lebens und des Bewutseins hervor, mit ihrerEinwicklung, ihrem Stillstand und ihrer rcklufigen Bewegung. Anstelle desFlusses, der fliet, und der grnenden Strucher auf dem Kartenbild dessiebzehnten Arcanums des Tarot finden wir auf dem Kartenbild des achtzehntenArcanums das stehende Wasser des Sumpfes und zwei starre, steinerneTrme. Anstelle der nackten Frau, die aus zwei Gefen den Wasserlaufausstrmen lt, der sich im Flu fortsetzt, finden wir das Bild deseingehlltesten oder am meisten bekleideten Geschpfes, des Krebses, aufdem Grunde des morastigen Beckens und zwei Hunde (oder einen Hund undeinen Wolf), die nach oben bellen. Und schlielich finden wir anstelle derstrahlenden Konstellation von acht Sternen die Dunkelheit der vlligenVerfinsterung der Sonne durch den Mond.

    Das achtzehnte Arcanum des Tarot ldt uns also durch den ganzenZusammenhang seines Kartenbildes zu einer geistigen bung ein, zu einerMeditation ber das, was die evolutionre Bewegung hemmt und dahin tendiert,ihr die Richtung im umgekehrten Sinne zu geben. Wie das Hauptthema dessiebzehnten Arcanums das Agens des Wachstums ist, so handelt es sichbeim achtzehnten Arcanum um das spezielle Agens des Abnehmens, um dasPrinzip der Verfinsterung. Es geht im Falle des achtzehnten Arcanums wederum die Versuchung von auen, die das Thema des sechsten Arcanums ist,noch um den Teufel und die Dmonen die berauschenden undversklavenden Krfte , die das Thema des fnfzehnten Arcanums bilden,noch um die anmaende Neigung, Trme zu Babel erbauen zu wollen, dieThema des sechzehnten Arcanums ist, sondern um eine Sache, die nun einmal daist, die jeder inkarnierten menschlichen Seele gegeben und auferlegt worden istschon durch die Tatsache ihrer Inkarnation, und die der Zustand desVerkrpertseins notwendig und unabwendbar mit sich bringt. Das Prinzip der

    Verfinsterung oder das Agens des Abnehmens wrde in uns gegenwrtigund ttig sein, selbst wenn der Teufel und alle Dmonen abgedankt httenund wenn alle Menschen die Lektion der Demut gelernt und auf den Wunsch,Trme zu Babel zu bauen, verzichtet htten.

    Das achtzehnte Arcanum des Tarot ist das Arcanum des doppelten Stromes,den Henri Bergson als Intellekt Materie (intelligence matire) oder alsmaterialistische Intellektualitt (intellectualit matrialiste) bezeichnete,im Gegensatz zum doppelten Strom Dauer Geist (dure esprit) oderIntuition Bewutsein (intuition conscience).

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    Denn der Strom Intellektualitt Stofflichkeit (intellectualit matrialit), den Bergson hervorgehoben hat wie kein anderer Denker, ist genaudieses Agens des Abnehmens oder das Prinzip der Verfinsterung, das derZusammenhang des Bildes des achtzehnten Arcanums zum Bewutsein bringt.

    Denn der Mond ist das Prinzip der Reflexion; wie er das Licht der Sonnezurckwirft, so spiegelt der menschliche Intellekt das schpferische Licht desBewutseins wider. Und wie der Krebs sich schwimmend rckwrts bewegt,so bewegt sich auch der menschliche Intellekt rckwrts, d. h. in RichtungWirkung Ursache, wenn er mit dem ihm eigenen Erkenntnisakt beschftigt ist.

    Anders gesagt: Wie es der Wille zur Beherrschung der Natur ist, der denintellektuellen Mechanismus in Bewegung setzt und ihm die Spielregeln frseine Arbeit vorschreibt, ebenso ist der Mond auf dem Kartenbild desachtzehnten Arcanums in der Verfinsterung des Neumonds. Er ist nur gesumtvon den Strahlen des zurckgeworfenen Sonnenlichtes, whrend dieMondoberflche selbst das Bild des menschlichen Antlitzes im Profilreflektiert. Die anderen Einzelheiten des Kartenbildes die farbigen Tropfen,die nach oben fallen, die beiden Trme, die beiden bellenden Hunde, dasstehende Wasser des Sumpfes spezifizieren nur, wie wir im Verlaufe derMeditation ber das zentrale Thema des Arcanums sehen werden, dieAspekte des Stromes Intellektualitt Stofflichkeit, der im Gegensatz stehtzum Strom der schpferischen Evolution oder Dauer Geist.

    Sonne, Mond und Sterne sind nach der Genesis

    Leuchten am Firmament des Himmels, um ber die Erde zu leuchten(Gen 1, 15),

    deren Erschaffung den vierten Tag der Schpfung der Welt bildet. Nunist das menschliche Bewutsein das Feld, auf dem sich drei Arten von Lichtuern: dasschpferischeLicht,das widergespiegelteLichtund das offenbarteLicht. Das erste nimmt teil am Schpfungswerk der Welt, wie es nach demsechsten Tag der Schpfung fortdauert und das wir heute schpferischeEvolution nennen; das zweite erhellt das dunkle Wirkungsfeld desmenschlichen Willens, das wir jetzt Materie nennen; das dritte gibt uns die

    Richtung zu den transzendenten Werten und Wahrheiten, die gewissermaendas letzte Berufungsgericht bilden, das uerste Kriterium von allem, was Wertund Gltigkeit hat, und von allem, was wahr ist in Raum und Zeit. Dankdieser drei Arten von Licht ist der Mensch zugleich mitwirkender Schpfer ander schpferischen Evolution, Herr der Materie, Urheber des Werkes derZivilisation und niederkniender Anbeter Gottes, dazu fhig, seinen eigenenWillen nach dem Willen Gottes zu richten. Das schpferische Bewutsein, derwiderspiegelnde Intellekt und die Offenbarung von oben sind die drei Leuchtendes menschlichen Mikrokosmos seine Sonne, sein Mond und seine Sterne.

    Nun sind die drei Groen Arcana des Tarot Der Stern, Der Mond undDie Sonne die des von oben offenbarten Lichtes, des widerspiegelndenIntellekts und des schpferischen Bewutseins. Wir haben uns im letzten Brief

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    mit dem Sternen-Arcanum beschftigt; wir werden uns im folgenden Brief mitdem Sonnen-Arcanum befassen; in diesem Brief handelt es sich um das Mond-Arcanum, d. h. um das Arcanum des untrennbaren Paares der Erde und ihresTrabanten, des Mondes, oder, fr den Mikrokosmos, um die Stofflichkeit und

    den Intellekt.Das achtzehnte Arcanum des Tarot, man mu es deutlich hervorheben,enthllt die Beziehung zwischen Mond und Erde; es behandelt das PaarMond Erde als solches (ganz wie zum Beispiel Henri Bergson das PaarIntellekt Stofflichkeit als solches behandelt). Denn die Stofflichkeit, d.h. der materielle und mechanische Aspekt der Welt, verhlt sich zumIntellekt, d. h. zur Fhigkeit des Bewutseins, durch Induktion undDeduktion von den Wirkungen zu den Ursachen fortzuschreiten, wie dieErde sich zum Mond verhlt; der Intellekt ist abgestimmt auf die Materie,und letztere ist abgestimmt auf den Intellekt, indem sie sich auf bequemeArt fr die Analyse und die Synthese eignet und sich so dem Intellektanpat, der

    ... durch das unbegrenzte Vermgen der Zerlegung nach beliebigenGesetzen und der Zusammensetzung zu beliebigen Systemen charakterisiertwird.

    Sie bilden ein untrennbares Paar. Stellen Sie sich die Verfassung desIntellekts vor, der eines Milieus entbehrte, das bis ins Unendliche teilbar undauf unbegrenzte Weise wieder zusammensetzbar ist! Er wrde nicht alleinunfhig sein, aus dem Gesamt des Dauernden die besonderen Dingeherauszulsen und sie in Kategorien und Klassen zu ordnen, sondern er wrdeauch unfhig sein, Werkzeuge und Maschinen herzustellen, deren er sichbedient zur Vervollstndigung der Handlungsorgane und Wahrnehmungs-organe, mit denen die Natur das Menschenwesen begabt hat.

    Die Teilbarkeit und die Gestaltbarkeit der ungeordnet gebliebenen (oder derwieder ungeordnet gewordenen) Materie sind ebenso unentbehrlich fr denIntellekt, wie es das Wasser fr den schwimmenden Fisch oder die Luft frden fliegenden Vogel ist. Sie bilden sein Lebenselement.

    Gemodelt wie er (der Intellekt) durch die Entwicklung des Lebens ist,liegt seine wesentliche Funktion darin, unser Verhalten zu beleuchten, unserWirken auf die Dinge vorzubereiten und die aus einer gegebenen Lagemglicherweise entspringenden gnstigen oder ungnstigen Ereignissevorauszusehen. Instinktiv also lst er aus einer Situation das heraus, wasschon Bekanntem hnelt; er sucht das Gleiche, um seinen Grundsatz:Gleiches erzeugt Gleiches anwenden zu knnen. Dies die Voraussicht derZukunft durch den gesunden Menschenverstand.

    Sein Verfahren nun steigert die Wissenschaft bis zu hchster Exaktheit undPrzision, ohne aber an seinem Wesenscharakter zu rtteln. Wie demgewhnlichen Denken bleibt auch ihr von den Dingen blo der Aspekt:

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    Wiederholung. Ist aber das Ganze einmalig, so hilft sie sich damit, es inElemente oder Ansichten zu zerlegen, die beinahe eine Reproduktion desVergangenen sind. Sie kann nur mit dem operieren, was wiederholbarerscheint ... Ihr entgeht, was von Unreduzierbarem und Unumkehrbarem in der

    Momentenfolge einer Geschichte lebt.Zugleich besteht Anla, darauf hinzuweisen, da der Gesichtspunkt der

    Wiederholungder Dinge, die der Intellekt in erster Linie sucht, der sozusagenangeborenen Neigung des Intellekts entspricht, die Bewegung aufBewegungslosigkeit zurckzufhren und die Zeit in Raum zu verwandeln.Wiederholung ist also nur das unbewegliche Element in der Bewegung oderdas rumlicheElement in der Zeit. Wenn wir zum Beispiel vom Kreislauf derJahreszeiten im Jahreslauf sprechen, verwandeln wir die Bewegung der Zeitim Raum: Wir ersetzen die Bewegung durch die Vorstellung eines Kreisesim

    Raum. Und dieser Kreis bedeutet die Wiederholung der Folge der festenJahreszeiten: Frhling Sommer Herbst Winter Frhling usf.

    Niemand hat das vom Intellekt geltend gemachte Postulat der Wiederholungund folglich der Umwandlung der Zeit in Raum mit mehr Kraft zum Ausdruckgebracht als Salomo, der Ekklesiast, der sagt:

    Was gewesen, dasselbe wird (wieder) sein, und was geschehen, wird(wieder) geschehen: Nichts Neues gibt es unter der Sonne. Sagt man vonetwas: ,Sieh, das ist neu, so war es schon lngst zu den Zeiten, die vor unsgewesen. Kein Gedenken bleibt den Frheren; aber auch den Spteren, diekommen, wird kein Gedenken bleiben bei denen, die noch spter sind (Pred1, 9 ff).

    Es handelt sich hier unverkennbar um ein Postulat,um ein Glaubensdogmades Intellekts, denn der Ausspruch Salomos berschreitet die Grenzen derErfahrung, indem er behauptet, da der Gegenstand, der wie neu auf dem Feldeder unmittelbaren Erfahrung auftaucht, die Wiederholung einer alten, inVergessenheit geratenen Sache sein mu und da nur die Unwissenheit, dieaus dem Vergessen der Vergangenheit herrhrt, die Tatsache als neu

    erscheinen lt; und da es in Zukunft ebenso sein wird: Alles, was fr neuerachtet wird, wird es nur dank dem Vergessen dessen, was gegenwrtiggeschieht. Die Zeit schafft nichts; sie tut nichts als kombinieren und neukombinieren, was seit jeher im Raum gegeben ist. Die Zeit ist wie der Wind,und der Raum ist wie das Meer; der Wind erzeugt die unendlicheWiederholung der Wellen auf der Oberflche des Meeres, aber das Meer bleibtdasselbe; es ndert sich nicht. Es gibt nichts Neues unter der Sonne, und kannes auch nicht geben.

    Das ist das Postulat des Intellekts, das vor dreitausend Jahren behauptet

    wurde und noch heute gltig ist und den Arbeitsmethoden des Intellektszugrunde liegt.

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    Und hier die Gegenbehauptung dazu, formuliert von H. Bergson:

    Das Universum dauert. Je tiefer ins Wesen der Zeit wir eindringen, destotiefer begreifen wir, da Dauer Erfindung, Schpfung von Formen bedeutet,ununterbrochenes Hervortreiben von absolut Neuem.

    Wir werden spter noch auf diese Bergsonsche und hermetische Gegenbehauptung zurckkommen, wenn ihre Notwendigkeit als natrlicheAntwort augenfllig sein wird und wenn sie sich dem Geist sozusagen alsKomplementrfarbe zum Arcanum Der Mond darbieten wird, jenemArcanum, das als geistige bung kein anderes Ziel hat, als den bewutenWunsch hervorzurufen, weiter als der Intellekt zu gehen, und sich zuentschlieen, den Sprung zu wagen, um aus seinem Bereich herauszukommen.

    Kehren wir zurck zu dem Paar Intellekt Materie oder Intellektualitt

    Stofflichkeit. Der Intellekt zielt zunchst darauf ab, zu fabrizieren.Handwerkliche Verfertigung aber wendet sich ausschlielich an die

    anorganische Materie; in dem Sinne nmlich, da sie auch organische Stoffe,wo sie solche verwendet, als tote Dinge behandelt, ohne sich um das Leben,das sie formte, zu kmmern. Und auch von der anorganischen Materie selbstwieder sucht sie einzig das Starre hervor: alles brige entzieht sich ihr, ebenum seines Flusses willen. Zielt also der Intellekt auf handwerklichesVerfertigen, dann lt sich voraussehen, da ihm teilweise entgehen mu, wasdas Reale an Flieendem birgt und ganz und gar, was dem Lebendigen an

    wirklichem Leben eignete. Unser Intellekt, wie er aus der Hand der Naturkommt, hat das anorganisch Starre zum entscheidenden Gegenstand.

    So gilt das Axiom des Intellekts, da das Ganze grer ist als der Teil,ohne Vorbehalt und ganz, soweit es sich um einen festen Krper oder um einbemessenes (d. h. dem festen Krper hnlichgemachtes) Flssiges handelt: dieHlfte eines Steines ist selbstverstndlich kleiner als der ganze Stein, und einhalbes Glas Wasser bedeutet weniger Wasser als ein ganzes Glas. Aber diesesAxiom gilt nicht ohne Vorbehalt, sobald es sich um die Funktionen eineslebenden Organismus handelt. Sie knnen wohl das Bein, das vielfachgrer ist als das Herz, vom menschlichen Krper abnehmen, ohne da darumder Tod eintritt, aber Sie knnen den Krper nicht des Herzens berauben,ohne ihn zu tten. Denn die Funktion des Herzens ist wesentlicher fr dasLeben des ganzen menschlichen Organismus als das Bein, obwohl das Herzviel kleiner ist als dieses. So wre hinsichtlich des lebenden Organismus dasbetreffende Axiom in dem Sinne zu modifizieren, da unter dem Gesichtspunktdes Funktionierens die Teilfunktionen und die Gesamtfunktion gleich seinknnen.

    Man knnte also, was das Funktionieren des lebenden Organismus betrifft,den brgerlichen Logiker mit der Formel verblffen:

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    Das Ganze kann gleich dem Teil sein.

    Das gleiche Axiom, auf den Bereich des Moralischen angewandt, mteeine noch weitergehende Modifikation erfahren. Im Bereich der reinenWerte ndert sich das betreffende Axiom derart, da es sich in sein Gegenteilverkehrt. In der Tat ist das Argument von Kajaphas, das er bei derVersammlung des Sanhedrin zugunsten des Beschlusses gegen Jesusvorbrachte, da es besser sei,

    ... wenn ein Mensch fr das Volk stirbt und nicht das ganze Volkzugrunde geht (Jo 11, 50),

    offensichtlich die Berufung auf das logische Axiom, da das Ganze (dieNation) grerist (und von hherem Wert) als derTeil(ein einziger Mensch).Aber die ganze jdische Nation hatte keinen anderen Grund fr ihr Dasein als

    den Teilihrer selbst den Messias! Mehr noch: Ist das Wort, durch das

    alles geworden (ist), und ohne es ist nichts geworden, was geworden ist(Jo 1, 3),

    und das Fleisch geworden ist, ein Teil oder das Ganze der jdischenNation, der Menschheit und der ganzen Welt?

    Oder nehmen Sie das Gleichnis vom verirrten Schaf, in dem der Meistersagt:

    Wenn jemand hundert Schafe hat, und eines davon verirrt sich, wird erdann nicht die neunundneunzig auf den Bergen lassen und hingehen und dasverirrte suchen? Und glckt es ihm, es zu finden wahrlich, ich sage euch, erfreut sich mehr darber als ber die neunundneunzig, die sich nicht verirrthaben (Mt 18, 12 f).

    Gilt das Axiom, da das Ganze grer ist als der Teil, noch im Bereich dermoralischenWerte?

    Oder nehmen Sie das Gleichnis von dem Schatz, der im Acker verborgen ist,von der kostbaren Perle, und die Lehre vom Pfennig der armen Witwe! Geht

    daraus nicht hervor, da fr die Welt der Werte das betreffende Axiom lautenwrde:

    Der Teil kann grer sein als das Ganze?

    Das sind fr den Intellekt, dessen logische Regeln auf das unorganisierteFeste abgestimmt sind, schockierende Schlufolgerungen, zu denen man aberkommt, wenn man sie auf das Lebendige und Moralische anwendet.

    Die groe Snde Davids, den Befehl zur Zhlung des Volkes Israel gegebenzu haben (2 Sam 24), bestand in der Anwendung der zum menschlichen

    Intellekt gehrigen Methode, das Lebendige und das Moralische dieGemeinschaft Israels auf das unorganisierte Feste zurckzufhren, die MenschenaufDinge.

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    Indem er den Befehl gab, das Volk Israel zu zhlen, beging David imGeistigen die Snde, die menschlichen lebenden und beseelten Wesen zu totenund unbeseelten Dingen reduziert zu haben, d. h. zu Leichnamen. So hat ergegen das Gebot gesndigt: Du sollst nicht tten!

    Und es war in der dunkelsten Zeit des Jahres wenn die Nchte am lngstensind, dazu noch unter dem Zeichen des jungfrulichen Intellekts, verfinstertdurch den irdisch-menschlichen Intellekt , als die Geburt Jesu Christistattfand. Denn sie ereignete sich zur Zeit des Erlasses

    ... des Kaisers Augustus, den ganzen Erdkreis aufzeichnen zu lassen. DieseAufzeichnung war die erste und geschah, als Quirinius Statthalter von Syrienwar (Lk 2, 1 f).

    Das war die Zeit, als die Snde Davids auf der Stufe des rmischen

    Imperiums, des ganzen Erdkreises, wiederholt wurde. Kaiser Augustusordnete also an, alle menschlichen lebenden und beseelten Wesen wieunbeseelte Dinge zu behandeln, einschlielich des Fleisch gewordenen Wortes.Winterzeit im Hinblick auf die Sonne, Zeit der Verfinsterung im Hinblick aufden Mond ...

    Unser Intellekt fhlt sich also nur wohl, er ist nur ganz bei sich selbst,wenn er auf den unorganischen Stoff einwirkt, besonders auf feste Stoffe:

    Worin aber besteht denn die allgemeinste Eigenschaft dieser anorganischenMaterie? Sie ist ausgedehnt, und sie zeigt uns Gegenstnde, die auerhalb

    anderer Gegenstnde liegen, und innerhalb dieser Gegenstnde wieder Teile,die auerhalb anderer Teile sind. Nun ist es uns zweifellos mit Rcksicht aufunsere spteren Verrichtungen ntzlich, jeden Gegenstand als zerlegbar inbeliebig herausgeschnittene Teile anzusehen, deren jeder fr unsereEinbildungskraft noch weiter zerlegbar ist, und so ins Unendliche fort ... Aufjene Mglichkeit, die Materie, wie und soweit es uns genehm ist, zu zerlegen,deuten wir hin, wenn wir von der Kontinuitt der stofflichen Ausdehnungsprechen; wobei sich diese Kontinuitt, wie leicht ersichtlich, auf die uns vonder Materie gelassene Freiheit beschrnkt, die Art von Diskontinuitt zu

    whlen, die wir in der Materie finden: Im Grunde genommen, ist es immerdie jeweils gewhlte Art von Diskontinuitt, die uns als tatschlich realerscheint und die unsere Aufmerksamkeit fesselt; weil sie es ist, nach derunser augenblickliches Handeln sich richtet. So ist Diskontinuitt an sichschon Denken, an sich schon Denkarbeit. Sie wird kraft eines positivengeistigen Aktes vorgestellt; whrend die intellektuelle Vorstellung derKontinuitt eher negativen Wesens ist, da sie im Grunde nur die Weigerungunseres Geistes darstellt, irgendein jeweils gegebenes Zerlegungssystem freinzig mglich zu halten. Der Intellekt stellt sich deutlich nur das

    Diskontinuierliche vor.

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    Darum zerlegt nicht nur die Wissenschaft die Dinge in chemischeSubstanzen, diese in Molekle, die Molekle in Atome, die Atome inElektronen, Neutronen usw., sondern man zergliedert auch in der sogenanntenokkulten Wissenschaft, die es der offiziellen Wissenschaft gleichtun mchte, z.

    B.das menschliche WesenindreiPrinzipien Geist, Seele und Leib , wenn essich um die Stellung handelt, die der Mensch zwischen Gott und der Natureinnimmt, oder in vierPrinzipien physischer Leib, Lebensleib, Astralleib undIch , wenn es um den praktischen Versuch der Beherrschung seinerInstrumente durch den Handelnden geht, wie es im Raja-Yoga der Fall ist;oder auch in sieben Prinzipien physischer Leib, therleib, Astralleib, niederesIch, Vernunft, Intuition und hheres Ich , wenn es sich um die Evolution desmenschlichen Wesens in der Zeit handelt; oder schlielich in neun Prinzipien drei krperliche, drei seelische und drei geistige , wenn es sich um dieBeziehungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos mit seinen neungeistigen Hierarchien handelt, die ihrerseits die heilige Trinitt der Gottheitwiderspiegeln. Wenn wir noch hinzufgen, da die christliche Theologie denMenschen nur in zwei Prinzipien Leib und Seele , teilt, da die Vedanta unddie Kabbala ihn in fnf Prinzipien basar, nephesch, neshamah, hayah undyehidah in der Kabbala teilen, da es Kabbalisten gibt, die ihn nach den zehnSephiroth in zehn Prinzipien teilen, und da es gewisse Astrologen gibt, dieihn gem den zwlf Tierkreiszeichen in zwlf Prinzipien teilen, wird esoffenbar, da der Mensch sich leicht fr verschiedene Arten der Zergliederungeignet, die von dem Ziel abhngen, das der Intellekt hat, der sie anwendet.Der Mensch eignet sich zu diesem Verfahren aber nur insoweit, als er denManipulationen des Intellekts ausgeliefert ist, der ihn auf die ihm eigene Weisebehandelt, d. h. ihn zerlegt nach einem System, das soweit wie mglich demZweck entspricht, auf den es der Wille abgesehen hat. Denn der Intellekt, selbstwenn er sich mit der okkulten Wissenschaft befat, stellt sich deutlich nur dasDiskontinuierliche vor.

    Darum stellt sich der Intellekt die Bewegungvor, als ob sie diskontinuierlichwre. Er rekonstruiert die Bewegung mit Unbewegtem, das er nebeneinanderstellt, d. h., er lt die Bewegung beliebig oft anhalten und

    erhlt auf diese Weise einen kinematographischen Film, den er daraufhinabrollen lt:

    ... das Starre und Unbewegte ist (es), woran sich der Intellekt seinernatrlichen Anlage nach heftet. Unser Intellekt stellt sich deutlich nur dieBewegungslosigkeit vor.

    Der griechische Philosoph Zenon von Elea, der Verfasser der berhmtenSchlsse vom Pfeil, der fliegt und von Achill und der Schildkrte,leugnete vierundzwanzig Jahrhunderte vor der Filmtechnik sogar die

    Wirklichkeit der Bewegung mit der Begrndung, da der Intellekt sich nurdie Aufeinanderfolge statischer Positionen in der Bewegung vorstellen knne.Wie Salomo vor dreitausend Jahren das Postulat des Intellekts proklamierte,

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    da es nichts Neues unter der Sonne gebe, so stellte Zenon von Elea vorvierundzwanzig Jahrhunderten das andere Postulat des Intellekts auf:

    Es gibt keine kontinuierliche Bewegung, es gibt nur aufeinanderfolgendeRuhepunkte.

    Der Intellekt verbindet sich vor allem mit den Positionender Bewegung undnicht mit dem Fortschritt, durch den sie von einer Position zur anderengelangt, dem Fortschritt, der die eigentliche Bewegung ist.

    Von der Beweglichkeit selber kehrt sich unser Intellekt ab, weil er nichtdas geringste Interesse daran hat, sich mit ihr zu befassen. Ja, wre er zureiner Theorie bestimmt, dann wrde es die Bewegung sein, in die er sicheinnisten mte. Denn die Bewegung ist ohne Zweifel die Realitt selbst, dieBewegungslosigkeit dagegen immer nur scheinbar und relativ. Zu anderen

    Dingen aber ist der Intellekt bestimmt. Es sei denn, da er sich selber Gewaltantue, folgt er der entgegengesetzten Spur: immer ist es das Unbewegte, wovoner als sei es das Grund-Element oder die letzte Wirklichkeit ausgeht.

    Der Intellekt konzentriert sich nur auf die Ernte,d. h. auf das Erzeugnisundnicht auf dieErzeugung,die fr ihn nur das Mittel und eine Reihe von Schrittenist, um zum Erzeugnis zu gelangen. Immer ist es das Ergebnis, auf das erabzielt. Immer ist es der Herbst der Dinge und Ereignisse, den er im Augehat. Er ist zu den Tatsachen hin orientiert, zu den gewordenen Dingen und

    nicht zu dem Vorgang des Werdens und der Schpfung. Der Frhling undSommer der Dinge und Ereignisse entschlpfen ihm entweder, oder siekommen nur unter dem Aspekt des Herbstes in Betracht als Schritte zu seinerVorbereitung. Keimen und Wachstum werden also nur in bezug auf die Erntebetrachtet. Denn Keimen und Wachsen ist Beweglichkeit, ist Werden; Ernte aberist das daraus Gewordene, ist das Erzeugnis.

    Ganz anders als das Prinzip, das dem Intellekt zugrunde liegt das Prinzipdes Herbstes , ist das, das derIntuition des Glaubenszugrunde liegt.

    Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das

    WORT. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch es geworden, undohne es ist nichts geworden, was geworden ist (Jo 1, 1-4),

    sagt das Evangelium nach dem hl. Johannes und verkndet damit dasPrinzip der Intuition des Glaubens das Prinzip des Frhlings. Auf denAnfang,auf den Frhling der Dinge der Welt, weist das Johannesevangelium hin,und es erklrt das Schpferwort, die Beweglichkeit im Innersten des Lebensund des Bewutseinslichtes, zum Ausgangspunkt fr alles, was folgen wird.Das Evangelium nach dem hl. Johannes ldt uns von Anfang an zu einem frunseren Intellekt unerhrten Gewaltakt ein, indem es ihn vom Herbst, wo erzu Hause ist, mitten in den Frhling versetzt, also von der Ernte in die Einsaat,

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    von erschaffenen Dingen zum Schpferwort, vom Belebten zum Leben selbst,vom Beleuchteten zum Lichte.

    Wir werden uns mit derschpferischen Intuition oder dem Mysterium desGlaubens mehr im einzelnen befassen im Brief ber das neunzehnte Groe

    Arcanum des Tarot Die Sonne, das das Arcanum des Frhlings ist. Hierhandelt es sich nur um das klarere Hervorheben des mondhaften undherbstlichen Prinzips des Intellekts mittels des Kontrastes zwischen demPrinzip der schpferischen Intuition, so wie diese im ersten Kapitel desJohannesevangeliums verkndet wird,unddem Prinzip des Intellekts, das dasThema des achtzehnten Arcanums des Tarot darstellt.

    Das Johannesevangelium ruft die Menschenseele dazu auf, ihren Intellektvom Herbst mitten in den Frhling zu versetzen, ihn zu verjngen, indem es ihnin den Bereich des Schpferischen statt in den des Erschaffenen bringt, oder, inastrologischer Terminologie, die Konjunktion von Sonne und Mond zuvollbringen. Das bedeutet,

    da, whrend das Postulat des Intellekts lautet, da es nichts Neuesunter der Sonne gibt, der Intellekt aufgefordert wird, sich an dieSchpferkraft anzupassen, die klar und einfach in der Formel: Im Anfang wardas Wort ausgedrckt ist;

    da, whrend der Intellekt sich nur die Bewegungslosigkeit deutlichvorzustellen vermag, er gehalten ist, sich in den rein schpferischen Akt desWortes zu versenken;

    da, whrend der Intellekt sich nur das Diskontinuierliche deutlichvorzustellen vermag, er sich nun dem Wort gegenbergestellt findet, in demdas Leben ist, das das Licht der Menschen ist;

    da, whrend der Intellekt als Hauptobjekt das unorganisierte Feste hat, erjetzt vor der Aufgabe steht, die ganze Welt als organisatorisches Werk desWortes aufzufassen und Jesus Christus als das kosmische Fleisch gewordeneWort;

    da, whrend schlielich der Intellekt durch eine natrlicheVerstndnislosigkeit fr das Leben gekennzeichnet ist, er jetzt das Wort imInnersten des Lebens, und das Leben im Innersten des Bewutseinslichteszu verstehen hat.

    Und all das soll der Intellekt tun, nicht um zu verstehen,d. h., um dasjenigezu ernten, was ist, sondern um einen Akt des Werdens zu vollziehen um dieGeburt des Neuen, dessen, was nicht ist, zustande zu bringen. Denn:

    Allen aber, die ihn aufnahmen, gab erMacht, Kinder Gottes zu werden,denen, die an seinen Namen glauben, er, der nicht aus dem Blute und nicht ausdem Willen des Fleisches und nicht aus dem Willen des Mannes, sondern ausGott geboren wurde (Jo 1, 12 f).

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    Hier finden Sie den Unterschied zwischen der Natur des Intellekts und derder Intuition des Glaubens, zwischen dem Prinzip des Herbstes und dem desFrhlings. Das erstere ist also das Verstndnis dessen, was ist, das letztere dasder Teilhabe am Werden dessen, was sein wird.

    Als Abraham Ur verlie und sich durch die Wste in ein fremdes Landbegab, um dort dafr zu sorgen, da Jahrhunderte nach ihm ein zuknftigesVolk entstehen werde, handelte er als Mensch des Frhlings oder als Menschdes Glaubens. Salomo dagegen, der alles, was er durch Erfahrung und durchNachdenken whrend seines Lebens gelernt hatte, in seiner als DerEkklesiast bekannten Abhandlung zusammenfate, handelte als Mensch desHerbstes, als Mensch des Intellekts. Abraham war ein Smann, Salomo hatgeerntet.

    Die Hermetik ist die Geschichte der fortgesetzten und anhaltenden Bemhungum die Verbindung der Intuition des Glaubens mit dem Intellekt, um diealchimistische Hochzeit von Sonne und Mond. Ist eine solche Hochzeitberhaupt mglich? Der hl. Thomas von Aquin, Henri Bergson und PierreTeilhard de Chardin und andere sagen ja jeder auf seine Weise. Ich whlediese drei Namen, weil sie fr die Theologie, die Philosophie und dieNaturwissenschaft stehen. Zweifellos ist es ermutigend, da so hervorragendeReprsentanten von Religion, Philosophie und Wissenschaft uns bei unsererAufgabe ihre Mitwirkung gewhren; aber selbst, wenn es nicht so wre:Knnten wir nach etwas anderem streben? Knnten wir die tausendjhrigeArbeit und Bemhung, welche auf die Verbindung, die Vermhlung undschlielich die Vereinigung von Intellekt und Glauben gerichtet ist, aufgeben? Nein. Denn wohl oder bel sind wir diesem Weg fr immer verpflichtet selbst wenn es sich nur um eine Tuschung handeln wrde.

    Ich sage: Selbst wenn es sich nur um eine Tuschung handeln wrde,weil diese Verbindung, diese Vermhlung, diese Vereinigung eineununterbrochene und tausendjhrig durchgehaltene Bemhung inspiriert habenund noch inspirieren, obwohl diese Mhe soweit mir bekannt niemals vonvollem Erfolg gekrnt worden ist. Der Intellekt und die Intuition des Glaubenskommen sich zwar manchmal ganz nahe, sie arbeiten manchmal sogar

    zusammen wie Verbndete; sie ergnzen sich unter Umstnden derart, dasie zu der hchsten Hoffnung Anla geben, aber ihre wirkliche Verschmelzung,ihre vllige und dauerhafte alchimistische Vermhlung hat sich noch nichtvollzogen.

    In den Kpfen und Herzen bestimmter an diesem groen Werk Beteiligterhandeln zwar Intellekt und Glaubensintuition schon als verlobtes, aber nochnicht als verheiratetes Paar.

    Noch ist es nicht gelungen, die Legierung dieser beiden Metalleherzustellen. Es handelt sich immer noch um versilbertes Gold oder vergoldetes

    Silber.

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    Beim hl. Thomas von Aquin zum Beispiel ist es versilbertes Gold; bei denmeisten Okkultisten ist es vergoldetes Silber. Origenes, Dionysius Areopagita,Jakob Bhme, Claude de Saint-Martin, Vladimir Solowjew, Nicolai Berdjajewzum Beispiel lassen in ihren Werken einen groen Fortschritt erkennen in der

    substantiellen Annherung von Verstand und Intuition des Glaubens. Dasselbemu man von Henri Bergson und Pierre Teilhard de Chardin sagen.Henri Bergsons Bemhen um die Verschmelzung von Intellekt und Intuition

    fhrt ihn zu folgendem Ergebnis:Nachdem er festgestellt hat, da der Intellekt sich charakterisiert durch

    eine natrliche Verstndnislosigkeit fr das Leben, rckt er die Natur desInstinktes ins Tageslicht. Er sagt:

    Nach der Form des Lebens selber dagegen ist der Instinkt gemodelt.Whrend der Intellekt alle Dinge mechanistisch behandelt, verfhrt der

    Instinkt, wenn man so sagen kann, organisch. Erwachte das in ihmschlummernde Bewutsein, verinnerlichte er sich zu Bewutsein, statt sich zuHandlung zu veruern, knnten wir ihn befragen und, vermchte er zuantworten, er wrde uns die tiefsten Geheimnisse des Lebens mitteilen.

    Verstand und Instinkt (sind) zwei divergierende Entwicklungen eines unddesselben Prinzips ... , das im einen Falle sich selbst immanent bleibt, imanderen sich aus sich selbst heraussetzt und in Bentzung der toten Materieaufgeht.

    Hchst bedeutsam ist die Tatsache des Schwankens der wissenschaftlichen Instinkttheorien zwischen der Deutung als Verstand undder als bloe Verstndlichkeit, zwischen der Gleichstellung des Instinkts mitherabgesunkenem Intellekt, meine ich, und seiner Rckfhrung auf reinenMechanismus. Jedes dieser beiden Erklrungssysteme feiert seine Triumphe inder Kritik des anderen: das erste bei dem Nachweis, da der Instinkt keinbloer Reflex sein knne, das zweite bei der Behauptung, da hier etwasanderes als Intellekt, selbst als in Unbewutheit gesunkener Intellekt vorliege.

    ... Die konkrete, die nicht mehr wissenschaftliche, sondern metaphysische

    Erklrung (oder hermetische, fgen wir hinzu Anm. d. Verf.) mu auf vlliganderen Wegen gesucht werden, nicht mehr auf denen des Intellekts, sondernauf denen der Sympathie. Instinkt ist Sympathie. Vermchte diese Sympathieihren Gegenstand zu erweitern, vermchte sie ber sich selbst zu reflektieren,sie wrde uns den Schlssel des Lebensgeschehens reichen ganz so wie derentwickelte und in Form gebrachte Intellekt uns in die Materie hineinfhrt.Denn, und nicht oft genug kann es gesagt werden, Intellekt und Instinkt sind inentgegengesetztem Sinne gerichtet, jener auf die tote Materie, dieser auf dasLeben. Mit Hilfe seines Werkes, der Wissenschaft, enthllt uns jener immer

    restloser das Geheimnis der physikalischen Vorgnge; vom Leben aber gibt er,und behauptet er auch nur, eine bersetzung in Begriffe des Leblosen zu geben.

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    Er schreitet den Gegenstand ringsum ab, indem er von auen her so viele seinerAnsichten als nur irgend mglich aufnimmt; er zieht ihn zu sich herber, statt beiihm einzukehren. Ins Innere des Lebens selber dagegen wrde die Intuition, ichmeine der uninteressierte, der seiner selbst bewut gewordene Instinkt fhren;

    er, der fhig wre, ber seinen Gegenstand zu reflektieren und ihn insUnendliche zu erweitern.

    Das also ist die praktische Aufgabe des Bemhens. Sie verfolgt das Ziel,den Instinkt uninteressiert zu machen, d. h., sie verfolgt das wahre Ziel jeglicherAskese sie weist uns auf den Teil des Weges zur mystischen Vereinigung, dendie Tradition via purgativa Weg der Luterung des Geistesschlers oderauch Fegefeuer (purgatorium) nennt, wenn es sich um den Weg desmenschlichen Schicksals handelt; sie richtet sich ferner auf das seiner selbstBewutwerden des Instinktes, d. h. das, was die Tradition via illuminativa Weg

    derErleuchtungdes Geistesschlers oder auch Himmel (caelum) nennt, wennes sich um den Weg des menschlichen Schicksals handelt; und schlielichzielt sie darauf, da der Instinkt ,fhig wird, ber seinen Gegenstand zureflektieren und ihn ins Unendliche zu erweitern, indem er vllig mit ihm einswird durch die Sympathie, was die Tradition via unitiva Weg derVereinigung, nennt, dessen Frchte die Gnosis (wo der Instinkt fhig ist, berseinen Gegenstand zu reflektieren) und die Mystik (wo der Instinkt fhigist, ihn ins Unendliche zu erweitern) der Kontemplation sind, oder auch wenn es sich um den Weg des menschlichen Schicksals handelt die visio

    beatifica, der sich die menschlichen Seelen im Himmel nach dem Fegefeuerund nach ihrer himmlischen Schule erfreuen, in der sie lernen, durch dasGttliche Licht nicht mehr geblendet zu sein, sondern durch es zu sehen.

    So lautet die Aufgabe. Wo aber ist der Weg zu ihrer Lsung? Wie ist sie zubewltigen? Es handelt sich um den Versuch des Herausgehens des Intellektsaus seinem eigenen Bereich. Bergson sagt darber folgendes:

    Umsonst, so wird man uns sagen, erkhnt ihr euch, weiter zu gehen als derIntellekt: denn wie solches erreichen, wenn nicht mit Hilfe dieses Intellekts selber?Was von Klarheit in eurem Bewutsein lebt, ist Intellekt. Ihr steckt in eurem

    Denken, ihr knnt nicht aus ihm heraus. Sagt meinetwegen, da der Intellekt fhigzu Fortschritten sei, sagt, da er in einer immer greren Menge von Dingenimmer klarer und klarer sehen werde, aber redet nicht davon, ihn entstehen zulassen. Denn wieder und wieder nur der Intellekt ist es, kraft dessen ihr seineGenesis schafft.

    Dieser Einwand stellt sich dem Geist ganz von selbst dar. Nur da sich mitsolchen berlegungen genausogut die Unmglichkeit jeder neuerworbenenGewohnheit berhaupt dartun liee. Das Wesen des Intellekts ist es, uns in denKreis des Gegebenen einzusperren.Die Tat aber durchbricht diesen Kreis.Wer nie

    einen Menschen schwimmen gesehen, wrde vielleicht erklren, Schwimmen seieine Unmglichkeit; indem nmlich zum Schwimmenlernen bereits gehre, sichber Wasser zu halten, d. h. also schwimmen zu knnen.

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    Und in der Tat, das Denken wrde mich ewig an die Erde festschmieden.Werfe ich mich dagegen einfach und furchtlos ins Wasser, so werde ich michzuerst, so gut es geht, ber Wasser halten, indem ich mich seiner erwehre, werdemich nach und nach an das neue Medium gewhnen, werde, mit einem Wort,

    schwimmen lernen. So auch hat es in der Theorie etwas Absurdes, anders denndurch Intellekt erkennen zu wollen. Nimmt man jedoch das Wagnis khn aufsich, dann wird vielleicht das Handeln den Knoten durchschlagen, den dasDenken geknpft hat und niemals aufknpfen wird.

    berdies wird das Wagnis um so geringer erscheinen, je entschiedener mansich auf den Standpunkt stellt, den wir vertreten. Denn wir haben gezeigt, dasich der Intellekt von einer umfassenderen Realitt zwar abgelst habe, daaber ein schroffer Bruch zwischen beiden niemals stattgefunden hat: rings um dasbegriffliche Denken beharrt ein verschwimmender, an diesen Ursprunggemahnender Saum. Ja, mehr noch wir verglichen den Intellekt mit einemfesten Kern, der sich auf dem Weg der Verdichtung gebildet htte. Dieser Kernaber ist von dem Fluidum, das ihn umhllt, noch nicht absolut unterschieden.Nur deshalb kann er darein zurckgesaugt werden, weil er aus derselbenSubstanz besteht. Wer sich ins Wasser wirft, ohne je anderes als den Widerstanddes festen Bodens gekannt zu haben, wrde sofort ertrinken, wenn er nichtgegen die Flssigkeit des neuen Mediums ankmpfte; an das mu er sichklammern, was ihm das Wasser noch sozusagen an Festigkeit bietet, und unterdieser Bedingung allein wird er sich schlielich an das Flssige in seinerUnfestigkeit anpassen. So auch unser Denken, wenn es entschlossen ist, denSprung zu wagen.

    Wagen aber mu es ihn; mu, heit das, sein Medium verlassen. Nie wird dieber ihre Vermgen reflektierende Vernunft zu deren Erweiterung gelangen,wenngleich diese Erweiterung, einmal vollbracht, keineswegs unvernnftigerscheint. Und ob man tausend und abertausend Variationen am Thema des Gehensvornhme, nie wird man dadurch eine Methode des Schwimmens erzielen. Aberman steige ins Wasser; und kann man erst schwimmen, so wird man begreifen,da der Mechanismus des Schwimmens dem des Gehens verwandt ist. Ihn setzter fort; doch htte das Gehen niemals zum Schwimmen fhren knnen.

    So auch mag man noch so klug ber den Mechanismus des Intellektsspekulieren; mit dieser Methode wird man ihn niemals berholen.Komplizierteres wird man erhalten, nicht aber Hheres oder auch nurAndersartiges. Vielmehr, es mu eine Gewalttat geschehen und der Intellekt durcheinen Akt des Willens aus seinem eigenen Reiche vertrieben werden.

    Das ist also das Wesentliche des Bergsonschen Yoga, d. h. der praktischenMethode, den Intellekt mit dem Instinkt (das Prinzip der Sympathie) zuvereinigen, damit der Instinkt seinen Gegenstand erweitern und ber sich selbstreflektieren kann, mit anderen Worten, damit sich die Intuitionentwickelt.

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    Die Arbeit, die Bergson im Auge hat, wird von der Kabbala als Kawwana) ) bezeichnet und ihr Ergebnis, das Bergson Intuition nennt, heit inder Kabbala Daath ). Kawwana ist tiefe Meditation, d. h. der Versuch des)Intellekts, sich in die Tiefen der Finsternis zu versenken, die ihn umgibt. Kawwana

    unterscheidet sich wesentlich von der cartesianischen Meditation, wo es sichbesonders um die Konzentration handelt, in der der Intellekt Klarheit in sichselbst findet, und auch von der Kantschen Meditation, wo der Intellekt danachstrebt, sich ber sich selbst zu erheben, indem er sich zum Gegenstand derBeobachtung, der Analyse und der Kritik macht. Die tiefe Meditation oderKawwana ist nicht nur die innere Sammlung des Verstandeslichtes mit dem Zielder Intensivierung seiner Klarheit, und auch nicht der bloe Versuch des Intellektszur Erkenntnis seiner selbst zu gelangen. Die tiefe Meditation ist dieAnstrengung des Intellekts, die finsteren Tiefen zu ergrnden, die ihn umgebenund zu denen er mittels der

    Sympathie Zugang findet, anstatt seine eigenen

    logischen, analytischen und kritischen Fhigkeiten anzuwenden. Es handelt sichhier also, in den Ausdrcken der Kabbala, um die Vermhlung des Prinzips desIntellekts der Sephira Binah () und des Prinzips der Weisheit der SephiraChokmah () in der Mittelsule des Sephiroth-Baumes:

    Daath ist also der Bewutseinszustand, wo Intellekt und Weisheit, daserworbene und das erwerbbare Wissen einerseits und das latente undaktualisierbare Wissen andererseits, eins werden. Das ist derselbeBewutseinszustand, den die Kirche durch Gnade erleuchteter Verstand(intellectus gratia illuminatus) nennt, wobei die Gnade das Prinzip ist, das daslatente Wissen des Ebenbildes und Gleichnisses Gottes in uns aktualisiert, undder Verstand der Bergsonsche Intellekt ist, der sich damit vereinigt und dabeiDinge lernt, die er von sich aus niemals gelernt haben wrde. Er wird alsoerleuchtet.

    Was nun den Sephiroth-Baum der Kabbala betrifft, so mu man daraufhinweisen, da Daath sich darin nicht als Sephira oder Bestandteil des Systems(oder des Baumes) der Sephiroth findet. Daath ist nmlich etwas zuSchaffendes, etwas dem Sephiroth-Baum Hinzuzufgendes, whrend es vier

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    Sephiroth gibt, die sich in der mittleren Sule befinden, nmlich Kether ()oder die Krone, Tiphereth ( ) oder die Schnheit, Yesod ( ) oder dasFundament und Malkuth () oder das Reich. Das bedeutet, da dieSynthese der Sule der Weisheit, die die Sephiroth Gedulah () oder Gre

    und Netzach () oder Sieg enthlt, und der Sule des Verstandes, die dieSephiroth Geburah (

    ) oder Macht und Hod (

    ) oder Ruhm enthlt, imSephiroth-Baum nur fr die Welt der Schpfung (olam ha beriah) und die Weltder Gestaltung (olam ha jetzirah) vorgesehen ist, whrend in der Welt derEmanation (olam ha aziluth) die Synthese den Ausgangspunktder Emanation,der Schpfung und der Gestaltung der Welt bildet, und die Welt der Handlung(olam ha asiah) selbst die Synthese der beiden ganzen Sulen ist.

    Wie aus dem Schema des Sephiroth-Baumes deutlich wird, geht entweder dieSynthese der Prinzipien der Weisheit und des Verstandes der Teilung dieserPrinzipien voran (Kether), oder sie vollzieht sich in der Welt der Handlung(Malkuth), oder aber sie wirkt sich in der knstlerischen Schpferkraft(Tiphereth Schnheit) oder in der geschlechtlichen Liebe (Yesod) aus, aber sieist darin nicht fr den Akt der Erkenntnis, fr den Bereich der Gnosis,vorgesehen.

    Nun ist es aber genau der Akt der Erkenntnis, worum es bei Daath geht.Daath ist das eigentliche Ziel der geistigen Schule der Kabbala, ebenso wie esdas Ziel der Hermetik im allgemeinen ist und auch Henri Bergsons Versuch derVerwirklichung der Intuition zugrunde liegt, d. h. der Vereinigung von selbstlosgewordenem Instinkt und selbstlos gewordenem Intellekt. Die Kabbalisten, dieHermetiker und Bergson verfolgen also das gleiche Ziel der Vereinigung vonVerstand und Weisheit (oder spontanem Wissen), und zwar einer anderenVereinigung als in der knstlerischen oder sthetischen Kreativitt und in der

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    Liebe der Geschlechter. Sie sind darauf bedacht, eine dritte Art derVereinigung von Verstand und Weisheit zu vollziehen die gnostischeVereinigung oderDa athoder Intuition.

    Wir haben weiter oben von der tausendjhrigen Aufgabe der Hermetik

    gesprochen, dieser von Jahrhundert zu Jahrhundert fortgesetzten Arbeit undBemhung, die auf die vllige Verschmelzung oder Vermhlung derPrinzipien des Verstandes und der Weisheit abzielt, der Fhigkeiten des durchArgumentation erworbenen Wissens und des spontan sich offenbarendenWissens. Wir haben auch auf einige konkrete Tatsachen und auf Namen vonPersnlichkeiten hingewiesen, die uns zu der Hoffnung berechtigen, da diesesWerk einmal verwirklicht werden wird. Soweit ist es indessen noch nicht, dennes handelt sich dabei um nichts Geringeres als die Verwirklichung des drittenGroen Arcanumsder hermetischen Tradition.

    Die hermetische Tradition lehrt nmlich das Vorhandensein von drei GroenArcana, deren drittesDa athoder die Vermhlung von Verstand und Weisheitist. Im folgenden sehen Sie, welche Stellung die Groen Arcana in dermndlichen berlieferungder Hermetik einnehmen, wobei wir vom Sephiroth-Baum Gebrauch machen. Der Sephiroth-Baum besteht bekanntlich nicht nuraus den Sephiroth, die sich in den vier Welten befinden (den Welten derEmanation, der Schpfung, der Gestaltung und der Handlung), sondern zudemaus Verbindungslinien zwischen den Sephiroth, den Kanlen.

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    Es gibt also 22 Kanle, die die zehn Sephiroth im Sephiroth-Baumverbinden. Auer den zehn Sephiroth selbst mit man den dreiKreuzungspunkten der horizontalen Kanle mit den vertikalen Kanlen derMittelsule eine besondere Bedeutung bei. Diese drei Kreuzungen, die im

    untenstehenden Schema je durch ein Andreaskreuz markiert sind, bedeuten diemetaphysischen und psychologischen Orte, wo die drei Aufgaben, die man alsGroe Arcana bezeichnet, zu vollbringen sind.

    Das erste Groe Arcanum, das Groes Magisches Arcanum genanntwird, liegt an dem Kreuzungspunkt des horizontalen Kanals, der die Sephiroth

    Netzach (Sieg) und Hod (Ruhm) verbindet, und des vertikalen Kanals, der dieSephiroth Tiphereth (Schnheit) und Yesod (Fundament) verbindet. Es gehrtzur Welt der Gestaltung.

    Das zweite Groe Arcanum, dasjenige der moralischen Genialitt, liegt amKreuzungspunkt des horizontalen Kanals, der die Sephiroth Gedulah (Gre)und Geburah (Macht) verbindet, und des vertikalen Kanals von Kether (Krone)und Tiphereth (Schnheit). Es gehrt zur Welt der Schpfung.

    Das dritte Groe Arcanum, dasjenige der Genialitt im Bereich derErkenntnis, das gnostische Arcanum, liegt am Kreuzungspunkt des horizontalen

    Kanals, der die Sephiroth Chokmah (Weisheit) und Binah (Verstand)verbindet, und des vertikalen Kanals von Kether (Krone) und Tiphereth(Schnheit). Den Bewutseinszustand, den die Kabbalisten Daath nennen,bezeichnen die hinduistischen Yogis als Samadhi, und wir nennen ihn hier, mitHenri Bergson, Intuition. Er gehrt wesentlich zu der Welt der Emanation, d.h. zu der Sphre der gttlichen Atmung, der Sphre des Heiligen Geistes.

    Das Groe Magische Arcanum ist also der Mittelpunkt des vom StromeSchnheit Liebe und dem Strom inspirierte Erhebung Gewiheit desWissens gebildeten Kreuzes. Es handelt sich dabei also um die Aufgabe, dieVermhlung des schpferischen Feuers der Vorstellungskraft mit der

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    durchsichtigen Klarheit der Wasser des Denkens in dem Strom zu vollziehen,der von der Schnheit ausgeht und in die Liebe mndet.

    Das Groe Arcanum des moralischen Lebens ist der Mittelpunkt des Kreuzes,das durch die Zweiheit Gromut Gerechtigkeit im Strome gttliche

    Ausstrahlung Schnheit gebildet wird. Es handelt sich hier um die Vermhlungder Nchstenliebe, die allen und alles verzeiht, mit dem Urteil der strengenGerechtigkeit in dem Strom, der von der Essenz Gottes ausfliet und zurVerwirklichung der Schnheit gelangt.

    Das Groe Arcanum der Erkenntnis ist der Mittelpunkt des Kreuzes, das durchdie Zweiheit Weisheit Verstand in den Strom gttliche Ausstrahlung Schnheit gebildet wird. Es handelt sich dort um die Vermhlung derOffenbarung von oben mit dem argumentierenden, sich auf Erfahrungsttzenden Verstand.

    Die drei Groen Arcana der Tradition sind also drei durch die vertikaleMittelsule und die drei horizontalen Kanle des Sephiroth-Baumes gebildeteKreuze. Darum ist das dreifache Kreuz das traditionelle Symbol dervollstndigen Einweihung, und darum auch hat man dem Begrnder derHermetik, dem Verfasser der Tabula Smaragdina, den Titel Trismegistos der dreifach Groe zugeschrieben.

    Man hat viel ber die gnostischen, moralischen und magischen GroenArcana geschrieben, und man wird in der Zukunft zweifellos noch mehr darberschreiben, da ihre Themen zugleich zentral und unerschpflich sind. Hierhandelt es sich speziell um die Betrachtung des Groen Arcanums derVermhlung von Verstand und Weisheit in seinem Zusammenhang mit denbeiden anderen Groen Arcana der Tradition. Denn die drei Groen Arcana sindeigentlich nur drei Aspekte auf drei Ebenen eines einzigen Groen Arcanums: demder Vermhlung der Gegenstze im Kopf, im Herzen und im Willen. Mitanderen Worten: Es handelt sich hier um drei Aspekte des einen einzigenGroen Arcanums des Kreuzes,denn immer ist es das Kreuz, das die Vermhlungder Gegenstze verwirklicht, darunter auch die der formalen Erkenntnis des

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    Verstandes mit dem inhaltlich-materiellen Wissen aufgrund der Offenbarung vonoben.

    Die Intuition,von der Henri Bergson spricht, ist das Ergebnis der allmhlichenTransmutation des Intellekts, der sein Licht dem Geflster des schwarzenAbgrundes der Instinkt-Weisheit zur Verfgung gestellt hat. Das Gelbde desGehorsams, abgelegt vom Intellekt gegenber dem Element, das ihntranszendiert, bewirkt die allmhliche Umwandlung des Intellekts vom Organder formalen Erkenntnis, d. h. der Erkenntnis der Beziehungen zwischen denDingen und Wesen, zum Organ der materialen Erkenntnis, d. h. der ErkenntnisderDinge und der Wesenan sich.

    Und dasGelbde derArmut,abgelegt vom Intellekt gegenber dem Element,das ihn transzendiert, macht ihn fhig, dieses Element wahrzunehmen und darausdie intime Unterweisung zu empfangen, hinsichtlich deren der Intellekt taub undblind wre, wenn er sich nicht seines eigenen Reichtums entuern wrde, d. h.,wenn er sich nicht selbst auf das Schweigen zu besinnen wte, um zulauschen.

    Und schlielich das Gelbde der Keuschheit, abgelegt vom Intellektgegenber dem Element, das ihn transzendiert, wandelt ihn allmhlich um voneiner nach der Quantitt von Erkenntnissen begierigen Wesenheit in eine, die nurdas Tiefe und Wesentliche, d. h. die Qualitt sucht.

    Der gnostische Aspekt des Groen Arcanums der coniunctio oppositorum,der Vermhlung der Gegenstze, ist also die Umwandlung des Intellekts, der sichmit demWieder Dinge beschftigt, in das intuitive Organ, das sich mit demWasder Dinge befat; und zugleich ist er die Umsetzung der Offenbarung derWeisheit von jenseits der Schwelle des Intellekts die vom Standpunkt desIntellekts aus so spontan und auf so dogmatische Weise vor sich geht, da siedem Intellekt die vllige Dunkelheit des Unbewuten zu sein scheint inverstndliche Sprache und in Mitteilungen, fr die der Intellekt aufnahmefhigist. Mit anderen Worten: Statt den Intellekt weiterhin zu schockieren, verbindetdas Unbewute sich ihm, durchdringt ihn und wird dabei leuchtend. Aber dies

    alles findet nur nach einer mehr oder weniger langen schmerzlichen Erfahrung derKreuzigung des Bewutseins an dem Kreuze statt, das durch zweiGegensatzpaare gebildet wird: Subjektivitt Objektivitt und Intellekt unbewute Weisheit.

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    Die vier Elemente dieses Kreuzes entsprechen den drei ersten Sephiroth(Kether, Chokmah, Binah) und der Mittelsule zwischen absoluterSubjektivitt (Kether) und absoluter Objektivitt (Malkuth).

    Das ist das Kreuz, wo sich die allmhliche Annherung, die Verbindung undschlielich die Vereinigung von Intellekt und unbewuter Weisheit vollzieht.Zu Beginn dieses Prozesses haben der Intellekt und die unbewute Weisheitnoch so wenig gemeinsam, da die gegenseitige Verstndigung fast ganz aufTrume beschrnkt ist, d. h. auf den Bewutseinszustand, bei dem der

    Intellekt, obwohl zugegen, hchstens passiv ist. Spter erstreckt sich dieseKommunikation auch auf den Wachzustand. Die Sprache der Verstndigungwird dann die der Symbole, einschlielich derer des Tarot. Endlich gelangenIntellekt und nicht mehr unbewute Weisheit zu einem solchen Grad vongegenseitiger Verstndigung, da sie sich unmittelbar verstehen, ohneVermittlung von Trumen und Symbolen. Dann ist ihre Vereinigung vollendet,d. h. der Zustand des Bewutseins erreicht, den Bergson als Intuition bezeichnetund den die Kabbalisten Daath nennen.

    Die unmittelbare Kommunikation zwischen Intellekt und Weisheit ist

    eigentlich nichts anderes als die Entwicklung des Gewissens,

    das sich vomBereich des Handelns auf den Bereich der Erkenntnis erstreckt und dort soweiterwacht, da es das Licht des Intellekts wird.

    Das Gewissen hat namentlich zwei Aspekte den negativen Aspekt (derwohlbekannt und von dem im Alltag hufig die Rede ist), der sich alsMibilligung einer Handlung uert, als Warnung vor ihrer Ausfhrung oder alsGewissensbi nachher; und den positiven Aspekt (der im alltglichen Leben fastunbekannt ist), der sich als Antrieb zu einer Handlung uert, als Empfehlungihrer Ausfhrung vorher und als ungetrbte Freude nachher. Vor allem dieserpositive Aspekt des Gewissens wird zum erleuchtenden und offenbarendenPrinzip des Intellekts, der sich mit der unbewuten Weisheit (die nichts anderesals das Prinzip des Gewissens ist) verbunden hat.

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    Die Intuition ist daher letzten Endes nichts anderes als die Vermhlung desIntellekts, der auf seine absolute Autonomie verzichtet hat, mit dem Gewissen,das soweit erwacht ist, da es zur Quelle von konkreten und genauenOffenbarungen fr den Intellekt wird. Man knnte auch einfach sagen, die

    Intuition ist der ganz gewissenhaft gewordene Intellekt und zugleich das frden Intellekt ganz verstndliche Gewissen.Das Gewissen bietet also dem Intellekt eine Welt der inneren Erfahrung, die

    ebenso weit ist, wie die empirische Welt der ueren Erfahrung. DerIntellekt kann also in zwei Richtungen gleichzeitig wachsen und sichentwickeln in Richtung der ueren empirischen Welt durch die Sinne und derinneren empirischen Welt durch das Gewissen. Das Gewissen ist das einzigrechtmige und heilsame Tor zu der Welt, die mindestens ebenso ausgedehntund noch viel tiefgrndiger ist als die Welt, die wir mit den Sinnenwahrnehmen. Und es ist der Entschlu des Intellekts, die Dienerin desGewissens zu werden (ancilla conscientiae) ganz wie im Mittelalter diePhilosophie sich als Dienerin der Theologie betrachtete (ancilla theologiae), der die Tr ffnet.

    Die wesentliche Rolle des Gewissens beim bergang aus der Welt derOberflche in die Welt der Tiefe war in der Tradition bekannt. Mandramatisierte sie, indem man vom Hter der Schwelle und derBegegnung mit ihm sprach. Man wies dieser Begegnung die entscheidendeRolle zu beim berschreiten der Schwelle, die die Welt der Oberflchevon der Welt der Tiefe trennt. Denn von dieser Begegnung hngt dieZulassung oder die Zurckweisung des Aspiranten ab. Wer nicht die Wahrheitber sich selbst ertragen konnte, die ihm vom Hter der Schwelle bei dieserBegegnung enthllt wurde, wich zurck, d. h., er beschlo, sich mit der Weltder Oberflche zu begngen der Welt der ueren Erfahrung und derKonstruktionen des schlufolgernden Intellekts, whrend derjenige, der den Muthatte zur ntigen Demut, um die Enthllung der Wahrheit ber sich selbst zuertragen, die Schwelle berschritt und damit zugelassen war zur Schule desesoterischen Lebens, d. h. zur Welt der Tiefe. Der Hter der Schwelleerscheint in der berlieferung (einschlielich der jngsten Beitrge zur

    Tradition) entweder als eine Art Doppelgnger, der die ganze Vergangenheit derbetreffenden Person verkrpert, oder aber als eine hierarchische Wesenheit ausder Ordnung der Erzengel, die das Gewissen belehrt, etwa was aber nur einesder Mittel ist durch die Vorfhrung des Doppelgngers des in die Welt derTiefe strebenden Menschen. Diese letztere Auffassung vom Hter derSchwelle und der Art der Begegnung mit ihm ist vollstndiger und zudemrichtiger. Der Hter der Schwelle ist kein moralisches Schreckgespenst, umden spirituellen Brger zu verblffen, sondern eher unser lterer Bruder undDiener Gottes, der mit unendlicher Gte und bermenschlicher Weisheit,

    obgleich mit vollkommener Wahrhaftigkeit, hilft, von der Oberflche zur Tiefezu gelangen.

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    So ist wenigstens das Zeugnis der Erfahrung von fnf Menschen unseresJahrhunderts, die mir bekannt sind.

    Der Hter der Schwelle der Tradition ist der Groe Richter, dem dieBewahrung des Gleichgewichtes zwischen dem, was oben ist, und dem, was

    unten ist, obliegt. Die traditionelle Ikonographie der Kirche stellt ihn mit demSchwertund derWaagedar. Das Schwert versinnbildlicht seine belebende undheilende Ttigkeit, die derSeele,die nach Tiefe hungert und drstet, Mut zurDemut gibt; und die Waage bedeutet die Vorlage der genauen Rechnung, dieman bezahlen mu, ehe man das Recht erhlt weiterzugehen.

    Philipp von Lyonbesa, soweit mir bekannt ist, die tiefste und umfassendsteEinsicht in die praktische Wirkungsweise dieser Waage. Er wurde nicht mdezu wiederholen.

    Bezahlteure Schulden, bezahltdie Schulden eurer Nchsten! Denn jedermu seine Schuld bezahlen; und es ist gleichgltig, ob sie in dieser Welt oderin der anderen bezahlt wird, wenn sie nur beglichen wird.

    Darum verlangte er oft, bevor er einen Kranken heilte, von dem Krankenund den Menschen in dessen Umgebung den Preis fr die Heilung zubezahlen, den er als eine bestimmte Zeit des Verzichtes auf ble Nachredefestsetzte;und diese Zeit bema sich nach Stunden oder Wochen, je nachdem.

    Eine andere Art, Schulden zu bezahlen, eigene oder fremde, besteht darin,Geld zu geben, sei es fr die Armen, sei es fr eine gute Sache. UnsereVorfahren hatten ein richtiges Gespr, wenn sie ihr Vermgen den Armen, derKirche oder Krankenhusern vermachten, oder wenn sie ihre Gebetsnovenenum Vergebung oder um Heilung mit Geldspenden fr die Armen oder fr einenguten Zweck verbanden. Sie wuten instinktiv, da man die Schulden bezahlenmu und da es besser ist, sie hier unten zu bezahlen als nach dem Tode. Siehatten noch das Gefhl von der Wirklichkeit der Waage des Hters derSchwelle.

    Der Hter der Schwelle der berlieferung ist also der Verwalter derGerechtigkeit des Gewissens und gleichzeitig der Meister der Schule des

    Gewissens. Seine Waage bedeutet den negativen Aspekt des Gewissens, seinSchwert bedeutet den positiven Aspekt, d. h. den offenbarenden und heilendenAspekt des Gewissens. Man kann die Begegnung mit dem Hter derSchwelle nicht umgehen, wenn man die Schwelle berschreiten will, die dieWelt der Oberflche von der Welt der Tiefe trennt. Man mu durch dieTr des Gewissenseintreten. Die Intuition, die die Welt der Tiefe enthllt, istnichts anderes als der dem Gewissen so vollstndig untergeordnete Intellekt,da er eins mit ihm wird.

    Es gibt also berhaupt keine esoterische oder okkulte Technik, die uns vonder Welt der Oberflche in die Welt der Tiefe fhren oder uns auch nurdabei helfen knnte auer der rein moralischen Tat des sacrificium

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    intellectus des Opfers, das der Intellekt dem Gewissen bringt. Erst wenn derIntellekt ein fr allemal den Vorrang der moralischen Logik vor der formalenLogik anerkannt hat, kann er den bergang vom Zustand des Schlufolgernszu dem der Intuition finden. Keinerlei bung der Konzentration, der

    Aufmerksamkeit oder der Unterdrckung der mentalen Regungen wird Ihnenallein helfen, die Intuition zu erreichen. Keine Atembung und keine einzigementale Technik kann Ihnen dabei nutzen. Denn um ein Ziel, das ber denKrper und den Intellekt hinausgeht, zu erreichen, bedarf es auch der Mittel, dieber den Krper und den Intellekt hinausgehen. Was geistig ist, lt sich nurmit geistigen Mitteln vollbringen. Und diese Mittel enthalten keinerleiTechnik auer der rein moralischen Tat und Anstrengung.

    Seltsame Sache! Der christliche Westen, der in so starkem Mae die Technikund Technologie auf materieller Ebene entwickelt hat, besitzt kaum eineseelisch-geistige Technik und Technologie, whrend der buddhistische undpantheistische Osten, der die materielle Technik fast gnzlich vernachlssigt hat,ein Gebude von weit fortgeschrittener seelisch-geistiger Technik undTechnologie entwickelt hat.

    Es hat den Anschein, als ob das technologische Genie des Intellekts sichdort dem Bereich des inneren Lebens zugewandt und sich vielleicht gardarinnen erschpft hat, whrend das gleiche Genie des Intellekts im Westenseine Kreativitt im Bereich des ueren Lebens verbraucht hat.

    Die Folge davon ist, da das geistige Leben des Westens seine Mystik,seine Gnosis und seine Magie sich vor allem unter dem Zeichen des Prinzipsder Gnadeentwickelt, und da die Mystik, Gnosis und Magie des Ostens sich vorallem unter dem Zeichen des Prinzips der Technologie entfalten, d. h. desempirischen wissenschaftlichen Prinzips, das in der Beobachtung undVerwertung der Verkettung von Ursachen und Wirkungen bei den Bemhungenund ihren Ergebnissen besteht. So empfiehlt z. B. das klassische Werk berYoga, das Yogasutra von Patanjali, die Verehrung eines persnlichen Gottes alsntzlich fr die Konzentration,whrend sie spter aufzugeben ist, wenn sie ihrenNutzen verloren hat, d. h., sobald der Yogi die Fhigkeit erworben hat, sich aufdas Ungeformte und Unpersnliche zu konzentrieren.

    Yoga ist die Unterdrckung der (ungewollten) Eigenregungen derDenksubstanz,

    sagt das Yogasutra, d. h., da nach dem Gesetz der Kausalitt, derVerkettung von Ursachen und Wirkungen, die Unterdrckung der mentalenRegungen die Ursache ist, deren Wirkung Yoga oder die Einswerdung mit demabsoluten Wesen darstellt.

    Auch der hl. Johannes vom Kreuz, der mehrfach in die Vereinigung mitdem Absoluten Wesen versunken oder von ihr hingerissen war, spricht in

    seinen Schriften vom Zustand des vlligen Schweigens des Verstandes, derVorstellungskraft und des persnlichen Willens vom Zustand also, in dem dieEigenregungen der Denksubstanz unterdrckt sind, aber er wird nicht mde zu

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    wiederholen, da die Gegenwart Gottes, von der die Seele ergriffen ist, diesesSchweigen, dieses Aufheben der mentalen Regungen bewirkt, und nicht dermenschliche Wille. Der Zustand des vlligen Schweigens des Verstandes undebenfalls der Vorstellungskraft und des Willens stellt sich in der Seele ein,

    wenn sie von der Liebe zu Gott entflammt ist. Es gibt dabei keinerlei seelisch-geistige Technologie; es ist die gegenseitige Liebe zwischen der Seele undGott, die alles bewirkt.

    Das ist der Unterschied zwischen der Wissenschaft von der seelisch- geistigenTechnik oder Raja-Yoga und dem glckseligen geistigen Zustand der Liebe inder Nacht der Sinne und des Geistes eines hl. Johannes vom Kreuz. DerAusdruck glckseliger Zustand, der diesen Unterschied przisieren soll, istvom hl. Johannes vom Kreuz selbst gebraucht worden. Er sagt in seinenCanciones del alma en la noche oscura (Gesnge der Seele in der dunklenNacht).

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    En una noche oscuraCon ansias en amoras inflamada,Ohdichosa ventura!Sali sin ser notada.

    Estando ya mi casa sosegada.

    In einer dunklen NachtVoll Bangen in entflammter Liebe,Oh, glckseliges Geschick!Ging ich hinaus, ohne bemerkt zu werden,Als mein Haus schon in Frieden lag.

    Als mein Haus schon in Frieden lag ... Die Seele fgt hinzu, da sieherausgetreten ist, als ihr Haus schon in Frieden lag; sie bezeichnet so den

    empfindungsfhigen Teil, in dem alle ihre Regungen eingeschlafen und ruhigwaren ..., sagt der hl. Johannes vom Kreuz in seiner Erklrung zu dieserStrophe.

    Es war ein glckseliger Zustand fr sie, da Gott sie in diese Nachthineinstellte, von woihr ein so groes Gutgekommen ist,und wohin sie niemalsvon sich aus htte vordringen knnen. Es gibt brigens niemanden, der fhigwre, nur durch seine eigenen Krfte sich von all seinen Regungenfreizumachen, um zu Gott zu gehen,

    fgt er in der Erklrung hinzu und bezeichnet so den genauen Unterschiedzwischen dem christlichen Weg der Luterung, Erleuchtung und derVereinigung, wobei es nichts Technisches gibt, und dem des Yoga, der dieStufenleiter von den Techniken der physischen Vorbereitung oder Hatha-Yogabis zu den seelisch-psycho-mentalen Techniken des Raja-Yoga umfat. Es gibtnichts Technisches in der christlichen Mystik, Gnosis und Magie alles ist dortKunst und Gnade.

    Und wie verhlt es sich mit dem Hersagen des Rosenkranzes bei denKatholiken und dem palamitischen Hesychasmus dem ununterbrochenen, bei

    Tag und bei Nacht im Rhythmus des Herzschlages wiederholten Gebet:Kyrie,Jesu Christe eleison , wie er bei den Orthodoxen gebt wird? Oder damit, dadie irischen Einsiedler tglich alle Psalmen des Psalters auswendig hersagten?Handelt es sich auch da nicht um Technik?

    DasPrinzip des Rhythmusunddas der Technik(oder der maximalen Wirkungbei minimalem Aufwand) unterscheiden sich wie Biologie und Mechanik, wie einlebender Organismus und eine Maschine. Die Wiederholung der Zeitalter undder Generationen, der Feste der religisen Kultur, der Atmung, des Herzschlags,des Rosenkranzgebetes und des Hesychasmus ebenso wie das tgliche Hersagen

    der Psalmen sind uerungsformen und Anwendungen des Prinzips desRhythmus, whrend zum Beispiel das sich im Winde drehende Gebetsrad derTibetaner eine Anwendung des mechanischen Prinzips ist, d. h. des der Technik

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    zugrunde liegenden Prinzips minimalen Aufwands bei maximaler Wirkung.Der Rhythmus im Gebet lt dieses aus dem psychologischen Bereich in dendes Lebens bergehen, aus dem Bereich persnlicher Bestrebungen undStimmungen in den der universalen und grundlegenden Impulse des Lebens selbst.

    Es handelt sich dabei, in okkultistischer Terminologie ausgedrckt, darum, dasGebet aus dem Astral- oder Seelenleib in den ther- oder Lebensleibhineinzutragen,d. h., das Gebet dieSprache des Lebensbenutzen zu lassen stattder der persnlichen Gefhle und Wnsche. Und wie das Leben ein Flu ist, derununterbrochen strmt, so fliet das Gebet, zum Beispiel der Rosenkranz, ohneUnterbrechung und ohne Ermdung, weil Lebendes gleichzeitig belebend istund weil das ruhige und rhythmische Gebet, das Lebens-Gebet, nicht ermdetund keine Krfte nimmt, sondern dem Betenden Krfte gibt.Darum spricht deranonyme Verfasser der Aufrichtigen Erzhlungen eines russischen Pilgers, derdie Erfahrungen mit seiner Hingabe an das immerwhrende Herzensgebetberichtet, von der Flle ungetrbter Freude, die ihn Tag und Nacht erfllte undihn schon auf Erden den Vorgeschmack himmlischer Seligkeit gab. Ebenso ist esmit der Praxis des dreifachen Rosenkranzgebetes. Die hundertfnfzig AveMaria und die fnfzehn Vaterunser fhren Sie in den universalen Strom desgeistigen Lebens, der sich als universales Gebet erweist, hinein, d. h. in dasElement freudevoller Heiterkeit. Der Pilger weist in der dritten seinerErzhlungen darauf hin, wie vor seiner Erfahrung mit dem ununterbrochenenHerzensgebet, und sogar bevor er von seiner Existenz wute, bei ihm und seinerFrau

    doch die Lust zum Beten da (war), und ein langes, ueres undunverstandenes Beten schien uns nicht schwierig zu sein, vielmehr verrichtetenwir es mit Freuden. Der Lehrer mag wohl recht gehabt haben, der mir einmalsagte, es gbe ein geheimes Gebet im Menschen selber, von dem er gar keineAhnung habe; unbewut wrde es von der Seele verrichtet, und es regte einenjeden zum Flehen an, so gut er es gerade knnte.

    Vielleicht ist es dies geheime Gebet im Unbewuten der Seele, worauf derhl. Paulus im Brief an die Galater hinweist:

    Weil ihr nun aber tatschlich Shne seid hat Gott den Geist seines Sohnesin unsere Herzen gesandt, der rufen lt:Abba,Vater! (Gal 4, 6).

    Nun ist es der Rhythmus, der das bewute Gebet mit diesem unbewutenGebet vereint, und infolge ihrer Vereinigung wird die Gebetsbemhung zumLebens-Gebet, wird das Seelen-Gebet zum geistigen Gebet. Und derRosenkranz, der orthodoxe Hesychasmus, die Litaneien, die wiederholtenPsalmen usw. rufen die Umbildung der Gebetsbemhung in das Lebens-Gebethervor. Weit davon entfernt, Mittel zur Mechanisierung des Gebetes zu sein,

    vergeistigen sie es.

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    Nehmen Sie, lieber Unbekannter Freund, keinen Ansto an der Tatsache, daSie sich in einerhermetischenMeditation ber das achtzehnte Arcanum des Tarotdem Rosenkranz gegenbergestellt sehen in jenem Arcanum, das lehrt, wie manber den verfinsterten mondenhaften Intellekt hinauskommen kann.Die Esoterik

    ist nicht die Gesamtheit der auergewhnlichen und unbekannten Dinge, sondernvor allem die ungewohnte und wenig bekannte Art, die gewohnten undbekannten Dinge zu sehen, ihre Tiefe zu sehen. Und der Rosenkranz, wieexoterisch und zum berdru bekannt er sein mag, enthllt tiefe Wahrheitendes geistigen Lebens, einschlielich der der Vereinigung des seelischen Gebets mitdem geistigen Gebet. Er ist im brigen eng verbunden mit dem Thema desachtzehnten Arcanums des Tarot, des Arcanums des bergangs von dem durchirdische Technisierung verfinsterten Intellekt zu dem von der geistigen Sonneerleuchteten, d. h. zur Intuition.Anders ausgedrckt: Der Sprung, zu dem HenriBergson unseren Intellekt auffordert, wird mglich, indem man dasRosenkranzgebet spricht.

    Ratschlag eines Kapuziners? Mag sein. Aber warum knnte der Kapuzinernicht recht haben, wenigstens manchmal?

    Wie dem auch sei, ich erklre mit Nachdruck, da die praktische Hermetikvor allem der Wunsch und die Fhigkeit ist, von jedem und allem zu lernen,und da das Besserwissen ihr Sarg ist.

    Das Besserwissen jener Bewutseinszustand, der sich einstellt, wenn mandie gesamten in der Vergangenheit nach festen Spielregeln gemachtenAnstrengungen und ihre Ergebnisse an sich hat vorberziehen lassen taucht denIntellekt in ein Bassin stehenden Wassers mit einer genauen geometrischenEinfassung, die ihn umschliet und ihn veranlat, vor jeglichem Neuen, das eineschpferische Anstrengung verlangt, wie ein Krebs zurckzuweichen.

    Er weicht in sein Element stehenden Wassers vor der Antinomie des geistigenPsychismus zurck dem leichtglubigen Gehorsam und der kritischen Emprung und vor der intellektuellen Antinomie von These und Antithese, die sich vor ihmwie zwei steinerne Trme, unerschtterlich und unbeweglich, gegenberstehen.Und oberhalb dieser Antinomien, dort wo sich das Dritte,die Synthese, findensollte, sieht er nur das menschliche Antlitz, nur die Projektion des menschlichen

    Willens, der nach einem intellektuellen Arrangement verlangt, um sich derbeunruhigenden Widersprche zu entledigen. Aber obwohl er zurckweicht,obwohl er sich weigert, sich zum Sprung zu entschlieen, zum Flug ber denHund der Unterwerfung unter die Autoritt und den Wolf der Kritik anjeglicher Autoritt, ber den intellektuellen Turm zu Babel der Thesen und denihrer Antithesen, bleibt der Intellekt doch unruhig. Unmerkliche Tropfen, die vonden Strahlen jener Synthese ausgehen, die durch die Projektion des Schattensdes willkrlichen menschlichen Willens verfinstert ist, fallen in seinUnterbewutsein und beunruhigen ihn stndig. Denn obgleich der Mond der

    von der Sonne erleuchtete Intellekt verfinstert ist, beeinflut er den Intellektdoch stndig durch eine Art Regen, dessen Tropfen in das Unterbewute fallenund dort Bewegung und ein verwirrendes, beunruhigendes Gerusch erzeugen.

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    Ja, das Besserwissen stellt, wenn es sich einmal des Intellekts bemchtigthat, diesen mitten auf den Schauplatz des Kartenbildes des achtzehntenArcanums des Tarot Der Mond. Die Zusammensetzung des Bildes derverdunkelte Mond oben, zwei Trme und zwei Vertreter der Hundeart in der

    Mitte und das Becken mit dem Krebs unten besagt: Wenn du den beidenAntinomien, den seelischen und den intellektuellen, gegenbergestellt bist, hastdu keine andere Wahl als entwedervorwrtszugehen,d. h., dich zu erheben, oderzurckzuweichen,d. h., tief in dem stagnierenden Element zu versinken. Whle!

    Da diese Wahl von hchster Wichtigkeit ist, sollte man einen mglichstklaren berblick ber ihre Umstnde haben. Die der Situation zugrunde liegende,quasi geometrische Figur sieht so aus:

    Und die geometrische Figur:

    Diese Figur, ein Quadrat mit zwei einander gegenberstehenden Dreiecken,ist magisch. Sie ist vor allem die klassische Figur der Behexung, d. h. dermagischen Operation oder des magischen Mechanismus, die den bewuten

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    Willen unbeweglich macht, und zwar mittels zweier Antinomien in derHorizontalen (das Quadrat) und einer Antinomie in der Vertikalen (die beidenSpitzen der einander gegenberstehenden Dreiecke).

    Selbstredend handelt es sich hier nicht um Giftmischer-Magie, die sich der

    Aqua Toffana, vergifteter Blumenstrue, Nessushemden und anderer,unbekannter und seltsamer Ttungsinstrumente bedient, von denen EliphasLvi im Zusammenhang mit dem achtzehnten Arcanum des Tarot spricht. Nein,es handelt sich hierbei um eine viel ernstere und viel tiefere Sache, und zwarum dasArcanum des Intellekts mit dem verfinsterten Bewutsein.

    Es ist das Arcanum des magischen Mechanismus, der unter der Oberflche desIntellekts am Werk ist, in dem Zustand, wo er sich einfallen lt, die Bewegungdurch das Bewegungslose zu erklren, das Leben durch das Leblose, dasBewutsein durch das Unbewute, das Moralische durch das Amoralische. Inder Tat: Wie konnte es geschehen, da viele intelligente Reprsentanten derMenschheit sogar fhrende Persnlichkeiten dazu gekommen sind, im Gehirnnicht das Werkzeug, sondern den Schpfer des Bewutseins zu sehen, in derChemie nicht das Werkzeug, sondern den Erzeuger des Lebens, imWirtschaftlichen nicht das Werkzeug, sondern den Urheber der Kultur? Wiekonnte es dazu kommen, da der menschliche Intellekt bei vielen seinerVertreter dahin gelangt ist, den Menschen ohne Seele zu sehen und die Weltohne Gott? Welche geheime und verborgene Kraft ist am Werk, die denmenschlichen Intellekt dazu treibt und zwingt, sich zunchst zu sagen, da diewesentlichen Probleme unlsbar sind, weil die Dinge, welche die Sinne und denVerstand transzendieren, unerkennbar sind, um nachher sogar ihre Existenz zuleugnen? Mit anderen Worten: Wie konnte es dazu kommen, da dermenschliche Intellekt sich im Zustand der metaphysischen Verfinsterungbefindet?

    Die Magie der Behexung, das achtzehnte Arcanum des Tarot, kann uns aufdiese Fragen Antwort geben. Antwort bedeutet in diesem Fall wie in derHermetik berhaupt sehen lassen oder die Augen ffnen. Denn jedesArcanum ist, insofern es Arcanum ist, nicht eine Lehre, sondern das Ereignisdes ffnens der Augen, des Aufblhens eines inneren Sinnesorgans, das

    erlaubt, die Dinge auf eine neue Art zu sehen. Und das ist auch genau das,worum es sich im Rahmen der Probleme des achtzehnten Arcanums des Tarothandelt.

    Der menschliche Intellekt hat die Wirkung dessen erlitten, was nicht mehrund nicht weniger ist als eine magische Behexung. Sein bewegender, bewuterWille ist im Viereck der Antinomien Autoritt Autonomie und Bejahung Verneinung unbeweglich geworden. Um da herauszukommen, ist es erforderlich,entweder zurckzuweichen in den Bereich des Unter-Intelligenten odervorzudringen in die Region des ber-Intelligenten. Zurckzuweichen nach Art

    des Krebses in seinem Bassin; vorzudringen im Sichbertreffen, imSicherheben ber sich selbst mittels des Sprunges oder des Fluges und nicht

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    durch das Bauen von Trmen zu Babel noch durch das klgliche Gebell oderdas wtende Geheul in der Art eines Hundes oder eines Wolfes.

    Nun haben viele Reprsentanten der menschlichen Intelligenz dasZurckweichen gewhlt. Andere beklagen elegisch die romantische

    Vergangenheit, in der der Verstand in das Licht von oben getaucht war; undwieder andere donnern und wettern gegen die Snden und Irrtmer dertragischen Vergangenheit mit ihrem Dogmatismus und ihren autoritrenStrukturen. Und schlielich gibt es Menschen, die, unbekmmert um das, wasim intellektuellen Milieu um sie herum vorgeht, fortfahren, Trme vonbejahenden und verneinenden intellektuellen Systemen in der Art des Turmes zuBabel zu bauen. Und whrend die einen rckwrtsgehen in das Unter-Intelligente,d. h. sich der Methode hingegeben, im Primitiven die Ursache fr dasFortgeschrittene und Entwickelte zu sehen, in der rohen Materie die Ursachedes Bewutseins, im Irrationalen die Ursache des Rationalen und imAmoralischen die Ursache des Moralischen, whrend andere sich elegischverbreiten ber das goldene Jahrhundert der Vergangenheit oder zornig gegenderen Unvollkommenheiten donnern und wettern; und whrend wieder andereintellektuelle Trme zu Babel bauen, die auf bejahenden und verneinendenThesen beruhen und zwischen denen man im dunklen Inneren des Schdelsgewhlt hat verfinstert sich das offenbarende und leitende Bewutsein.

    Es beginnt damit, da man darin nichts anderes sieht und darunter nichtsanderes vermutet als die Projektion primrer und elementarer Triebkrfte dermenschlichen Natur: der Lust (Freud), des Willens zur Macht (Nietzsche,Adler), des materiellen wirtschaftlichen Interesses (Marx). Die Projektion desirdischen Elementes der menschlichen Natur auf das nchtliche Licht dasmoralische Gewissen lt dieses sich verfinstern. Man sieht darin nicht mehrviel und erwartet davon auch nicht mehr viel.

    Der verfinsterte Mond mit dem menschlichen Antlitz anstelle deswidergespiegelten Sonnenlichtes ... die drre Ebene mit zwei Trmen und miteinem bellenden Hund und einem nach oben heulenden Wolf ... das Bassinmit stehendem Wasser, geometrisch eingefat und den Krebs beherbergend beschwrt dieses ganze Bild nicht zunchst beunruhigende Gefhle und dann

    entsprechende Gedanken herauf, die sich auf eine magische Behexung vonungeheurem Ausma bezieht, deren Opfer der menschliche Intellekt ist?

    Ja, wahrhaftig: seit Kant der die Grenzen des Verstandes aufzeigte, d. h.die Tatsache seiner Einkerkerung nachwies, und der an die denkendeMenschheit die ernste Warnung richtete, die man in der Sprache desKartenbildes des achtzehnten Arcanums des Tarot wie folgt formulieren kann:

    Das nchtliche Licht hat sich verfinstert! Sie finden dort das Antlitz desMenschenanstatt des reinen Lichtes der objektiven kosmischen Wahrheit! Mankommt aus dem Gefngnis dieser Verfinsterung nur heraus, wenn man sichdem moralischen Gewissen des transzendenten Selbst zuwendet!

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    gewann die Tatsache der Behexung des Intellekts bis heute mehr und mehr anGewicht und Gewiheit. Wir haben in diesem Brief ausfhrlich Henri Bergsonzitiert, weil er dies auf sehr einleuchtende und sehr gut begrndete Weisedarlegt. Henri Bergson ist aber nicht der einzige, der die subjektive Einkerkerung

    des Intellekts feststellt und dazu aufruft, ihr zu entrinnen. Welches auch immerdie Unterschiedlichkeit ihrer Auffassungen in anderer Hinsicht sein mgen,Schopenhauer, Deussen, Vladimir Solowjew, Berdjajew um nur diebekanntesten Namen zu nennen stimmen im Hinblick auf das Thema desachtzehnten Arcanums des Tarot berein. Hegel entwickelte sogar eine neuemetaphysische Logik die Dialektik von These, Antithese und Synthese, die imGrunde nichts anderes ist als die erneute Besttigung des verstandesmigenAspektes der hermetischen Methode der Neutralisierung der Zweiheit, eineMethode, die man in den alchimistischen Abhandlungen, bei Jakob Bhme, beiSaint-Martin, bei Fabre dOlivet u. a. findet , damit sich der Geist aus seinemGefngnis befreie und sich zur objektiven Erkenntnis mittels der intellektuellenIntuition erhebe. In unserer Zeit behauptete Pierre Teilhard de Chardin eineobjektive Dialektik der Evolution, die nicht ausschlielich verstandesmig ist,sondern vielmehr eine Anschauungsweise der chemischen, biologischen,seelischen, intellektuellen, moralischen und spirituellen Prozesse in ihrerEvolution, die gem derobjektiven Dialektik fortschreitet d. h. berall unddurch alle Mittel der Erfahrung feststellbar ist durch Divergenz, Konvergenzund Emergenz; darin zeigt sich nicht nur ein Aspekt der Hermetik, sondern dieHermetik als solche, die die Mystik, die Gnosis und die Magie, sowie jeglicheErfahrung der physischen Welt als Einheit umfat. Die Tatsacheder Behexungdes menschlichen Intellekts ist also nicht nur anerkannt, sondern man verwendetauch viel Mhe darauf, ihn daraus zu befreien.

    Es bleibt noch die Frage nach der Technik dieser Behexung, als derenOpfer sich der Intellekt erwiesen hat. Diese Technik lt sich in einemeinzigen Wort zusammenfassen: Zweifel. Der Zweifel (dubium, le doute, so-mnenie usw.) ist der Zustand, in dem das Bewutsein sich befindet, wenn es miteiner Antinomie, d. h. mit zwei Thesen, konfrontiert wird, die ihm beide gleichberechtigt erscheinen, die sich aber widersprechen. Immanuel Kant zum Beispiel

    formulierte vier grundlegende Antinomien:

    1. Thesis: Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist dem Raum nachauch in Grenzen eingeschlossen.

    Antithesis: Die Welt hat keinen Anfang und keine Grenzen im Raume,sondern ist sowohl in Ansehung der Zeit als des Raumes unendlich.

    2. Thesis: Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht auseinfachen Teilen, und es existiert berall nichts als das Einfache, oder das, wasaus diesem zusammengesetzt ist.

    Antithesis: Kein zusammengesetztes Ding in der Welt besteht aus einfachenTeilen, und es existiert berall nichts Einfaches in derselben.

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    3. Thesis: Die Kausalitt nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, auswelcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden knnen. Es istnoch eine Kausalitt durch Freiheit zur Erklrung derselben anzunehmennotwendig.

    Antithesis: Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglichnach Gesetzen der Natur.

    4. Thesis: Zu der Welt gehrt etwas, das entweder als ihr Teil, oder ihreUrsache ein schlechthin notwendiges Wesen ist.

    Antithesis: Es existiert berall kein schlechthin notwendiges Wesen, wederin der Welt, noch auer der Welt, als ihre Ursache.

    Mit anderen Worten: Die Antinomien von der Schpfung und von derEwigkeit der Welt, von der Einfachheit und der unendlichen Komplexitt der

    Materie, von Freiheit und Determinismus, von Theismus und Atheismusknnen, nach Kant, den Verstand, der sich ihnen gegenbergestellt sieht, inOhnmacht fhren und lhmen. Abgesehen von der Frage, ob die AntinomienKants die einzigen oder die wesentlichsten sind, gengen sie doch, um dieentmutigende, daher lhmende Auswirkung der echten oder vermeintlichen Antinomien auf den Verstand aufzuzeigen.

    Nun, die Technik der Behexung des Intellekts in der Geschichte desMenschengeschlechtes besteht vor