Vereine haften für ihre Zuschauer – und Zuschauer haften den Vereinen

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1 Vereine haften für ihre Zuschauer und Zuschauer haften den Vereinen Fast wöchentlich verhängt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Verbandsstrafen gegen Vereine wegen unsportlichen Verhaltens von Zuschauern. „Nach § 9a der Rechts- und Verfahrensordnung sind Vereine nicht nur für das Verhalten ihrer Spieler und Offiziellen, sondern auch für das ihrer Anhänger und Zuschauer verantwortlich“ erläutert Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker aus der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker. Und die Haftung geht noch weiter: Heim- und Gastverein haften im Stadionbereich für Zwischenfälle jeglicher Art. Haftung ohne eigenes Verschulden Ob die umfassende Haftung der Vereine einer Überprüfung durch staatliche Gerichte standhalten würde, ist umstritten. Der Sportrechtsexperte Dr. Jan Orth übte in einem Beitrag für die Sportrechtszeitschrift „Sport und Recht“ Kritik: Eine verschuldensunabhängige Haftung für das Verhalten Dritter verstoße gegen zivilrechtliche Grundsätze. Denn üblicherweise setzen Schadensersatzansprüche von besonderen Gefährdungstatbeständen abgesehen ein Verschulden voraus. Auch andere Sportjuristen, etwa der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dr. Frank Bahners, hegen Zweifel, ob eine solche Haftung der Vereine verfassungsrechtlich haltbar ist. In einem Beitrag für die Zeitschrift „Causa Sport“ kommt er im Jahr 2009 zu den Ergebnis, dass eine Haftung ohne Verschulden gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstoße.

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„Vereine haften für ihre Zuschauer – und Zuschauer haften den Vereinen“, sagt Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker von der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker, und beschreibt damit die Rechtslage bei Ausschreitungen im Fußball: Nach der Rechts- und Verfahrensordnung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) haften Vereine für das Verhalten ihrer Zuschauer und Anhänger. Der DFB verhängt daher bei Vorkommnissen Vertragsstrafen gegen die Vereine, auch wenn die Verantwortlichen des Vereins kein individuelles Verschulden trifft. Es handelt sich um eine Gefährdungshaftung nach dem im Sportrecht bekannten Grundsatz der „strict liability“. Damit sollen zum einen die Vereine angehalten werden, alle erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Zum anderen soll den Anhängern des jeweiligen Vereins signalisiert werden, dass ihr Verhalten auch für den Verein nicht folgenlos bleibt.

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Vereine haften für ihre Zuschauer – und Zuschauer haften

den Vereinen

Fast wöchentlich verhängt der Deutsche Fußball-Bund (DFB)

Verbandsstrafen gegen Vereine wegen unsportlichen Verhaltens von

Zuschauern. „Nach § 9a der Rechts- und Verfahrensordnung sind Vereine

nicht nur für das Verhalten ihrer Spieler und Offiziellen, sondern auch für das

ihrer Anhänger und Zuschauer verantwortlich“ erläutert Rechtsanwalt Dr.

Marius Breucker aus der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker. Und die

Haftung geht noch weiter: Heim- und Gastverein haften im Stadionbereich für

Zwischenfälle jeglicher Art.

Haftung ohne eigenes Verschulden

Ob die umfassende Haftung der Vereine einer Überprüfung durch staatliche

Gerichte standhalten würde, ist umstritten. Der Sportrechtsexperte Dr. Jan Orth

übte in einem Beitrag für die Sportrechtszeitschrift „Sport und Recht“ Kritik: Eine

verschuldensunabhängige Haftung für das Verhalten Dritter verstoße gegen

zivilrechtliche Grundsätze. Denn üblicherweise setzen Schadensersatzansprüche –

von besonderen Gefährdungstatbeständen abgesehen – ein Verschulden voraus.

Auch andere Sportjuristen, etwa der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dr. Frank Bahners,

hegen Zweifel, ob eine solche Haftung der Vereine verfassungsrechtlich haltbar ist.

In einem Beitrag für die Zeitschrift „Causa Sport“ kommt er im Jahr 2009 zu den

Ergebnis, dass eine Haftung ohne Verschulden gegen verfassungsrechtliche

Grundsätze verstoße.

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Rechtsprechung des DFB-Sportgerichts

Bis auf weiteres müssen die Vereine mit § 9a Rechts- und Verfahrensordnung

leben und mit empfindlichen Vertragsstrafen rechnen. So schloss das DFB-

Sportgericht den Verein Dynamo Dresden für die Saison 2013/2014 von allen

DFB-Pokalspielen aus. In seinem Urteil setzte sich das Sportgericht mit der Frage

auseinander, ob der Verein bestraft werden könne, obwohl die

Vereinsverantwortlichen kein Verschulden treffe. Das Sportgericht bejahte dies. Es

gelte der Grundsatz der „strict liability“, also eine verschuldensunabhängige

Verantwortlichkeit der Vereine für das Verhalten ihrer Anhänger. Damit will, so

das DFB-Sportgericht, „der Verbandsgesetzgeber und ihm folgend die

Sportrechtsprechung den Verbandszweck von Gewaltfreiheit und Fairplay im

Fußballsport sichern“. Bereits im Jahr zuvor hatte das DFB-Sportgericht gegen

Dynamo Dresden einen Ausschluss aus dem DFB-Pokal verhängt. Erst in der

Berufungsinstanz war die Sperre in eine Geldstrafe von 100.000,- EUR und ein

Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der zweiten Bundesliga umgewandelt

worden. Das DFB-Bundesgericht habe damals, so das DFB-Sportgericht,

ausdrücklich die Warnung ausgesprochen, dass bei erneuten Vorkommnissen ein

Ausschluss aus dem DFB-Pokal nicht auszuschließen sei. Dynamo Dresden habe

daher, so die Argumentation der Sportrichter, mit einer Verbannung aus dem

Pokalwettbewerb rechnen müssen. Diese Entscheidung kritisierte Rechtsanwalt Dr.

Jan Räker in einem Beitrag für die Zeitschrift „Sport und Recht“ als „zu hart“.

Nach Räker ist „die bislang vom DFB praktizierte Berücksichtigung des

Verschuldensgrades nicht ausreichend“.

Der DFB folgt einem zweistufigen Haftungsmodell: Die Vereine sollen dem

Grunde nach ohne eigenes Verschulden haften. Beim Strafmaß kann dann

berücksichtigt werden, welche Sicherheitsmaßnahmen der jeweilige Verein

getroffen hatte. Weist ein Verein nach, dass er sämtlichen rechtlichen

Anforderungen nachkam und im besten Falle noch zusätzliche Maßnahmen

ergriffen hat, kann dies die Höhe der verhängten Strafe erheblich reduzieren. Genau

dies fordert auch Jan Räker: Die Vereine müssten für ihre Bemühungen um

verstärkte Sicherheitsmaßnahmen belohnt werden. Neben dem strafenden,

abschreckenden Aspekt der Haftung sollte, so Sportrechtsanwalt Marius Breucker,

auch ein „incentivierender und motivierender Impuls“ gesetzt werden: „Wer in die

Sicherheit investiert, wer vielleicht überobligationsmäßige

Sicherheitsvorkehrungen trifft, sollte im Ergebnis besser gestellt werden“, schlägt

Breucker vor. Dass sich die Investition in die Sicherheit lohnt, ist genau das Signal,

das der DFB an die Vereine senden will.

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Sicherheitskonzept für Sportveranstaltungen

Und die Vereine tun etwas: Sie erarbeiten gemeinsam mit Polizei, Feuerwehr und

den städtischen Behörden vor Ort schon jetzt umfassende Sicherheitskonzepte. Vor

Beginn jeder Saison werden „Risikospiele“ definiert und die Abläufe koordiniert.

Die Veranstalter müssen alle rechtlichen Vorgaben, etwa aus den städtischen

Stadionordnungen oder der Versammlungsstättenverordnung einhalten. Darüber

hinaus müssen sie aber auch ihr Vertragsmanagement auf Sicherheitsaspekte

abstellen: So nehmen die Vereine die wesentlichen Verhaltenspflichten – oft

ebenfalls „Stadionordnung“ genannt – in die Verträge mit den Zuschauern auf.

„Vertragstechnisch handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen“,

erläutert Rechtsanwalt Marius Breucker. Geregelt werden etwa das Verbot von

Waffen, Wurfgegenständen oder rechtswidrigen Transparenten oder die

Kontrollbefugnis des Ordnungsdienstes. „Die Vereine müssen darauf achten, alle

Regeln schon beim Ticketverkauf in den Vertrag einzubeziehen, andernfalls sind

sie wirkungslos“, warnt Breucker.

Regressanspruch des Vereins Mit der Verhängung einer Vertragsstrafe gegen den Verein ist der Fall aber noch nicht zu

Ende: Die Vereine können die verantwortlichen Zuschauer ihrerseits auf Regress in Anspruch

nehmen. Im Ergebnis muss dann der jeweilige Störer dem Verein die Vertragsstrafe bezahlen,

die der Verein zuvor an den DFB entrichtet hat. So jedenfalls das Oberlandesgericht Rostock

in seinem Urteil vom 28. April 2006 (Az. 3 U 106/05). Der DFB hatte gegen Hansa

Rostock Vertragsstrafen verhängt, weil im Bundesligaspiel am 25. Oktober 2003 drei

Zuschauer auf den Platz gelaufen waren. Die „Flitzer“ wurden verurteilt, die Vertragsstrafe in

vollem Umfang gegenüber Hansa Rostock zu erstatten. Der Verurteilung stand nicht

entgegen, dass der DFB die Vertragsstrafen unmittelbar nicht wegen des Zuschauerverhaltens

als solchem, sondern wegen der unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen verhängte. Denn,

so das Oberlandesgericht Rostock in seiner Begründung, ohne einen entsprechenden Vorfall

wäre es nicht zu einer Vertragsstrafe gekommen. Auch der Umstand, dass die Zuschauer nicht

unmittelbar einen Vermögensschaden auslösten, sondern dieser erst durch die vom DFB

verhängte Vertragsstrafe eintrat, stand einer Haftung nicht entgegen: „Dem Gericht genügte

es, dass die Zuschauer den Schaden mittelbar verursachten, da ihnen bekannt war, dass ihr

Verhalten eine Vertragsstrafe des DFB auslösen werde“, erklärt Anwalt Marius Breucker.

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Kein „Mitverschulden“ des Vereins

Die Zahlungspflicht der Störer wurde auch nicht dadurch gemindert, dass Hansa

Rostock aufgrund vorangegangener Vorfälle mehr bezahlen musste als ein

„unbelasteter“ Verein. Denn der Schädiger muss immer den konkret entstandenen

Schaden ersetzen, auch wenn eine ungünstige Disposition des Geschädigten zu

einem höheren Schaden führt. Auch auf ein Mitverschulden des Vereins wegen

etwaiger fehlender Sicherheitsvorkehrungen konnten sich die „Flitzer“ nicht

berufen. Das Gericht konnte kein Verschulden des Vereins erkennen. Und selbst

wenn der Verein fahrlässig gehandelt hätte, würde dies „hinter dem vorsätzlichen

Handeln der `Flitzer` zurücktreten“, erklärt Anwalt Marius Breucker. Er erwirkte

im Jahr 2009 ein Urteil des Landgerichts Stuttgart gegen den „Becherwerfer“, der

durch den Wurf eines Hartplastikbechers auf den Linienrichter den Abbruch des

DFB-Pokalspiels der Stuttgarter Kickers gegen Hertha BSC Berlin am 25. Oktober

2006 verursacht hatte. Das Landgericht verurteilte den „Becherwerfer“, den

Stuttgarter Kickers die vom DFB verhängte Vertragsstrafe samt Verfahrenskosten

zu erstatten. Zudem musste er die entgangenen Einnahmen wegen eines Spiels

unter Ausschluss der Öffentlichkeit ersetzen. Auch im Stuttgarter Verfahren folgte

das Gericht – wie zuvor in Rostock – der Argumentation, dass der Störer dem

Verein alle Schäden aus der Verletzung des Zuschauervertrages ersetzen muss.

Dieser „Durchgriff“ der Vereine auf den individuellen Störer ist vom DFB

durchaus gewollt: Wenn letztlich der individuell Verantwortliche herangezogen

wird, kann da abschreckend wirken. Nach geltender Rechtslage stehen damit

sowohl die Vereine – gegenüber dem DFB – als auch die Störer – gegenüber den

Vereinen – in der Verantwortung: „Vereine haften für ihre Zuschauer – und die

Zuschauer haften den Vereinen“, resümiert Anwalt Marius Breucker.