Veröffentlichung schon bei bloßem Verdacht?

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24 | dmz 18/2012 TECHNIK & WISSENSCHAFT Veröffentlichung schon bei bloßem Verdacht? Walther Michl LL.M., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ludwig-Maximilians-Universität München, Lehrstuhl Öffentliches Recht und Europarecht Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, meyer.rechtsanwälte München Medien frohlocken schon; die Süddeut- sche unkte, dass »schwarze Schafe in der Lebensmittelbranche künftig schneller be- kannt« würden. Während Lebensmittel- unternehmen nach der ursprünglichen Konzeption des Art. 10 der Lebensmittel- Basisverordnung (EG) Nr. 178/2002 (kurz: BasisVO) nur dann behördliche Mitteilun- gen über ihre Produkte an die Öffentlich- keit dulden mussten, wenn ein Lebensmit- tel ein Risiko für die Gesundheit mit sich bringen konnte, sehen sie sich seit einiger Zeit zwei weiteren staatlichen Informati- onsregimen ausgesetzt: seit 2005 der Einzelregelung des § 40 LFGB und seit 2007 dem Verbraucherinformati- onsgesetz (kurz: VIG). Beide waren von Anfang an rechtsstaatlich höchst be- denklich und werden mit Wirkung zum 1.Septem- ber 2012 nun sogar weiter verschärft. Unvereinbarkeit des § 40 LFGB mit höherrangi- gem Recht Schon die bis- herige Fassung des § 40 LFGB hält einer Über- prüfung am Maßstab höher- rangigen Rechts nicht stand. Die Regelung ent- hält zwei beson- ders kritische Er- weiterungen gegenüber der unionsrechtli- chen Informationsbefugnis vor Gesund- heitsgefahren: § 40 Abs. 1 S. 2 gibt den Behörden auch für Fallgruppen des bloßen Täuschungsschutzes eine Informationsbe- fugnis, insbesondere bei einem erhebli- chen Ausmaß an Verstößen gegen § 11 LFGB (Nr. 2 lit. b) und bei Verdacht, dass ein zwar nicht gesundheitsschädliches, aber zum Verzehr ungeeignetes Lebens- mittel in nicht unerheblicher Menge oder über einen längeren Zeitraum in den Ver- kehr gelangt ist (Nr. 4). Ab 1. September 2012 statuiert § 40 Abs. 1a LFGB darüber hinaus die dem be- hördlichen Ermessen entzogene Rechts- pflicht, die Öffentlichkeit unabhängig vom Bestehen einer Gesundheitsgefahr unter Nennung von Produkt- und Firmennamen zu informieren, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen be- stimmter Inhaltsstoffe überschritten wur- den oder Verstöße gegen Täuschungs- schutz- oder Hygienevorschriften vorlie- gen, die ein Bußgeld von mindestens 350 EUR erwarten lassen. Wie die Entstehungsgeschichte, der er- kennbare Gesetzeszweck und der Rege- lungszusammenhang der Informations- befugnis aus Art. 10 BasisVO zeigen, hat die Europäische Union mit ihrer strikt auf Gesundheitsgefahren begrenzten Rege- lung jedoch eine Vollharmonisierung ge- schaffen, die eine Erweiterung der be- hördlichen Eingriffsbefugnisse über das unionsrechtlich vorgesehene Maß hinaus ausschließt. Des Weiteren ist § 40 LFGB, soweit er über die Vorgaben des Art. 10 BasisVO hinausgeht, auch unter grundrechtlichen Gesichtspunkten höchst bedenklich: Die Lebensmittelunternehmen genießen einen Schutz aus ihrem Unternehmenspersön- lichkeitsrecht gem. Art. 7 der europäischen Grundrechtecharta bzw. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des deutschen Grund- gesetzes. Dem steht jedoch unterhalb der Schwelle der Gefahr für Leib und Leben von Menschen regelmäßig kein gleichwer- tiges grundrechtlich geschütztes Rechts- gut gegenüber, sodass eine Abwägung im Die rechtswidrige Ausweitung staatlicher Informationsbefugnisse durch LFGB un

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Die rechtswidrige Ausweitung staatlicher Informationsbefugnisse ...

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24 | dmz 18/2012

TECHNIK & WISSENSCHAFT

Veröffentlichung schon bei bloßem Verdacht?Walther Michl LL.M., Wissenschaftlicher Mitarbeiter,

Ludwig-Maximilians-Universität München, Lehrstuhl Öffentliches Recht und Europarecht

Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, meyer.rechtsanwälte München

Medien frohlocken schon; die Süddeut-sche unkte, dass »schwarze Schafe in derLebensmittelbranche künftig schneller be-kannt« würden. Während Lebensmittel-unternehmen nach der ursprünglichenKonzeption des Art. 10 der Lebensmittel-Basisverordnung (EG) Nr. 178/2002 (kurz:BasisVO) nur dann behördliche Mitteilun-gen über ihre Produkte an die Öffentlich-keit dulden mussten, wenn ein Lebensmit-tel ein Risiko für die Gesundheit mit sichbringen konnte, sehen sie sich seit einigerZeit zwei weiteren staatlichen Informati-

onsregimen ausgesetzt: seit 2005 der Einzelregelung des § 40 LFGB und seit

2007 dem Verbraucherinformati-onsgesetz (kurz: VIG).

Beide waren von Anfangan rechtsstaatlich höchst be-denklich und werden mitWirkung zum 1.Septem-ber 2012 nun sogarweiter verschärft.

Unvereinbarkeitdes § 40 LFGBmit höherrangi-gem Recht

Schon die bis-herige Fassungdes § 40 LFGBhält einer Über-prüfung amMaßstab höher-rangigen Rechtsnicht stand. DieRegelung ent-hält zwei beson-ders kritische Er-

weiterungen gegenüber der unionsrechtli-chen Informationsbefugnis vor Gesund-heitsgefahren: § 40 Abs. 1 S. 2 gibt denBehörden auch für Fallgruppen des bloßenTäuschungsschutzes eine Informationsbe-fugnis, insbesondere bei einem erhebli-chen Ausmaß an Verstößen gegen § 11LFGB (Nr. 2 lit. b) und bei Verdacht, dassein zwar nicht gesundheitsschädliches,aber zum Verzehr ungeeignetes Lebens-mittel in nicht unerheblicher Menge oderüber einen längeren Zeitraum in den Ver-kehr gelangt ist (Nr. 4).

Ab 1. September 2012 statuiert § 40Abs. 1a LFGB darüber hinaus die dem be-hördlichen Ermessen entzogene Rechts-pflicht, die Öffentlichkeit unabhängig vomBestehen einer Gesundheitsgefahr unterNennung von Produkt- und Firmennamenzu informieren, wenn der hinreichendeVerdacht besteht, dass Grenzwerte,Höchstgehalte oder Höchstmengen be-stimmter Inhaltsstoffe überschritten wur-den oder Verstöße gegen Täuschungs-schutz- oder Hygienevorschriften vorlie-gen, die ein Bußgeld von mindestens 350EUR erwarten lassen.Wie die Entstehungsgeschichte, der er-

kennbare Gesetzeszweck und der Rege-lungszusammenhang der Informations-befugnis aus Art. 10 BasisVO zeigen, hatdie Europäische Union mit ihrer strikt aufGesundheitsgefahren begrenzten Rege-lung jedoch eine Vollharmonisierung ge-schaffen, die eine Erweiterung der be-hördlichen Eingriffsbefugnisse über dasunionsrechtlich vorgesehene Maß hinausausschließt. Des Weiteren ist § 40 LFGB, soweit er

über die Vorgaben des Art. 10 BasisVOhinausgeht, auch unter grundrechtlichenGesichtspunkten höchst bedenklich: DieLebensmittelunternehmen genießen einenSchutz aus ihrem Unternehmenspersön-lichkeitsrecht gem. Art. 7 der europäischenGrundrechtecharta bzw. Art. 2 Abs. 1i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des deutschen Grund-gesetzes. Dem steht jedoch unterhalb der

Schwelle der Gefahr für Leib und Lebenvon Menschen regelmäßig kein gleichwer-tiges grundrechtlich geschütztes Rechts-gut gegenüber, sodass eine Abwägung im

Die rechtswidrige Ausweitung staatlicher Informationsbefugnisse durch LFGB und VIG

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Rahmen der sowohl unionsrechtlich alsauch grundgesetzlich erforderlichen Ver-hältnismäßigkeitsprüfung regelmäßig zu-gunsten der Unternehmen ausfallen dürf-te. Daher sind im Wege unionsrechts- undverfassungskonformer Auslegung § 40Abs. 1 S. 3 und § 40 Abs. 2 LFGB als Ein-fallstore für das höherrangige Recht her-anzuziehen, die einer staatlichen Informa-tionstätigkeit außerhalb des Bereichs vonGesundheitsgefahren entgegenstehen.Sollte dies im Einzelfall, insbesondere beieiner angedachten Anwendung des § 40Abs. 1a LFGB einmal nicht möglich sein,greift der Anwendungsvorrang des EU-Rechts und sperrt die Heranziehung des § 40 LFGB, soweit er über die Vorgabendes Art. 10 BasisVO hinausgeht.

Rechtswidrige Regelungen im VIG

Dasselbe gilt, soweit die Behörden auchnach § 6 Abs. 1 S. 3 VIG neuer Fassungvon Amts wegen Informationen verbrei-ten dürfen, die das nach Art. 10 BasisVOzulässige Maß überschreiten. Die eigentliche Besonderheit des VIG

ist jedoch, dass es in seinem § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 n.F. dem Einzelnen einen An-spruch auf Auskunft über fast alle (d.h. allenicht in § 3 VIG n.F. ausdrücklich ausge-

nommenen) Informationen, die einer Be-hörde im Zusammenhang mit der Verfol-gung mutmaßlicher Abweichungen vonAnforderungen des Lebensmittelrechtsüber ein Unternehmen vorliegen, ver-schafft. Unter dem alten VIG gab es noch einen

Streit darüber, wann man von einem Ver-stoß gegen das Lebensmittelrechtsprechen konnte, bezüglich dessendie Öffentlichkeit ein Auskunfts-recht hat. So konnte mit guten Ar-gumenten die Meinung vertretenwerden, hierfür sei die Ahndungin einem Ordnungswidrigkei-ten- oder Strafverfahren erfor-derlich. Dann hätte die zitierteAusnahmevorschrift automa-tisch immer gegriffen. Eine weitere einschränkende

Ansicht forderte jedenfalls denErlass eines Verwaltungsaktsmit entsprechenden Beanstan-dungen. Nach der neuen ab 1.September 2012 geltenden Fas-

sung des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VIG muss diezuständige Behörde eine nicht zulässigeAbweichung von Anforderungen des Le-bensmittelrechts lediglich im naturwissen-schaftlich-analytischen Sinne festgestellthaben, ausdrücklich ohne dass ein vor-werfbares Verhalten vorliegen müsste(Bundestagsdrucksache 17/7374, S. 15).In Zusammenschau mit § 3 S. 1 lit. b Hs. 2VIG n.F. bedeutet dies, dass jeder vor demförmlichen Abschluss der behördlichenWillensbildung über mögliche Maßnah-men Informationen aus den Akten samtHinweis auf das Verfahren erhalten undverbreiten kann. Unabhängig vom tatsächlichen Aus-

gang des Verfahrens führt die öffentlicheDiskussion darüber oft bereits zu einer ir-reparablen Rufschädigung. Umso unver-

ständlicher ist es, dass es nicht einmal ei-nen gesetzlichen Ansatzpunkt für die Vor-nahme einer Güter- und Interessenabwä-gung gibt, obwohl das Unternehmensper-sönlichkeitsrecht das bloße Informations-interesse Dritter klar überwiegt.Darüber hinaus sind Informationen im

Zusammenhang mit Abweichungen vonlebensmittelrechtlichen Vorschriften nach§ 3 S. 5 VIG n.F. von der Ausnahmeklauseldes § 3 S. 1 Nr. 2 lit. c VIG n.F. ausgenom-men, denen zufolge kein Anspruch aufAuskunft über Betriebs- oder Geschäfts-geheimnisse sowie ihnen gleich zu achten-de wettbewerbsrelevante Informationenbesteht. Dies bedeutet, dass bei Anfragenim Bereich des LFGB-Vollzugs Betriebs-oder Geschäftsgeheimnisse gesetzlich kei-nen Schutz genießen, obwohl diesen inder Rechtsprechung sowohl des Bundes-verfassungs- als auch des Bundesverwal-tungsgerichts einen hohen Stellenwert un-ter dem Mantel des Art. 12 GG zukommt.Flankiert wird diese Reihe bedenklicherRegelungen von § 6 VIG n.F., der die Be-hörde in Abs. 3 S. 1 außerhalb des Bereichspersonenbezogener Daten von der Pflichtentbindet, die Richtigkeit der herausge-gebenen Information zu prüfen, und da-mit eine Haftungsfreistellung für etwaigeAmtshaftungsfälle bewirkt.

Ausblick

Während die Regelung des § 40 LFGBderzeit Gegenstand eines Verfahrens vordem Europäischen Gerichtshof ist (Vorlagedes LG München I, Beschluss 5.12.2011 – 15O 9353/09) und wohl im Ergebnis fallenwird, harrt das VIG noch der höchstrichterli-chen Überprüfung. Hier wird sich eines Tages das Bundesver-

fassungsgericht einmal mehr als Reparatur-betrieb des Gesetzgebers betätigen müssen.

Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer,mey-er.rechtsanwälte, München, Schwer-punkte seiner Tätigkeit sind das Le-bensmittel- und Bedarfsgegenstände-recht mit all seinen Facetten wie Pro-duktentwicklung, Kennzeichnung undHealth Claims, Risk Assessment undKrisenmanagement sowie Lobbyarbeitauf nationaler und europäischer Ebene.Honorarprofessur an der TU München.