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VIRGINIA HENLEY In den Armen des Normannen

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VIRGINIA HENLEY

In den Armen des Normannen

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Buch

Als Guy de Montgomerys Armee in England einfällt, bleibt auch das be-schauliche Landleben davon nicht verschont. Die liebliche Lillyth of God-stone Hall ist denn auch verzweifelt, als ihr über alles geliebtes Heim, einHerrenhaus auf dem Lande, von den normannischen Invasoren eingenom-men wird. Doch was ihr am meisten zu schaffen macht, ist, dass sie sich vondem martialischen Eroberer magnetisch angezogen fühlt – seine Stärken undsein männlicher Charme machen sie einfach schwach. Auch Guy ist nicht sostark, wie es nach außen wirkt. Er selbst ist hoffnungslos in Liebe gefangenund hat geschworen, die stolze Lady seiner Sehnsüchte vor seinen grob-schlächtigen Mannen zu beschützen. Denn sie gilt als begehrteste Kriegsbeu-te. Falsche Freunde und offene Feinde fordern Guy heraus, doch er wird diebezaubernde Lady niemals ausliefern, die sein Kriegsblut mit einer Leiden-

schaft entzündete, der er machtlos gegenübersteht …

Autorin

Virginia Henley gehört zu den beliebtesten Autorinnen historischer Liebes-romane. Alle ihre Bücher wurden zu Bestsellern. Einer ihrer zahlreichenAuszeichnungen ist der »Lifetime Achievement Award« der Zeitschrift

Romantic Times. Sie lebt mit ihrem Mann in St. Petersburg, Florida.

Von Virginia Henley außerdem lieferbar:

Ein Hauch von Feuer (35155) – Die Waffen des Herzens (35258) – LockendeKüsse (35506) – Kerker der Liebe (35575) – Nacht der Verführung (35726) –

Sinnliche Eroberung (35798) – Gefährliche Begierde (35994)

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Virgina Henley

In den Armendes Normannen

Roman

Deutsch von Elke Iheukumere

BLANVALET

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Umwelthinweis:Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches

sind chlorfrei und umweltschonend.

Blanvalet Taschenbücher erscheinenim Goldmann Verlag, einem Unternehmender Verlagsgruppe Random House GmbH.

1. AuflageDeutsche Erstausgabe Mai 2004

Copyright © der Originalausgabe 1983, 1993 by Virginia HenleyCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2004 by

Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Design Team München

Umschlagillustration: Schlück/Pino Daení Art Inc.Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin

Druck: GGP Media GmbHVerlagsnummer: 36035

Redaktion: Regine KirtschigLW · Herstellung: Heidrun Nawrot

Made in GermanyISBN 978-3-442-36035-8www.blanvalet-verlag.de

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1993 unter dem Titel»Bold Conquest« bei Avon Books,

an Imprint of HarperCollinsPublishers, New York.

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Lillyth hörte die aufgeregten Rufe. »Reiter kommen!« und»Reiter nähern sich!« klang das Echo vom Wachturm herun-ter und wurde überall auf dem Hof wiederholt. Sie hob ihrLeinenwams über die Knöchel und lief aus ihrem Zimmer hi-nunter in die große Halle, ihre Augen leuchteten vor Erwar-tung, weil sie hoffte, ein Besucher würde kommen, der viel-leicht Neuigkeiten mitbrachte. Das würde die trübe Monoto-nie der langen Wochen durchbrechen, in denen sie auf diegroßartigen Ereignisse gewartet hatten, von denen schon seitJahren geredet wurde, die aber nie einzutreffen schienen.»Und die wahrscheinlich auch niemals eintreffen werden«,dachte Lillyth laut nach, als sie zur Tür der großen Halle gingund dann in den strahlenden Sonnenschein des letzten Au-gusttages im Jahre des Herrn 1066 trat.

Der Hof füllte sich mit Menschen, die Neuigkeit hatte sichverbreitet, und Aedward, ein junger Angelsachse von acht-zehn Sommern, ritt in ihre Mitte. Sein Blick ging sofort zuLillyth, und sie lächelten einander an, während er sein müdesPferd einem Leibeigenen aus den Ställen überließ. »Was gibt esfür Nachrichten, Aedward?«, fragte sie atemlos, und ihre Au-gen wurden vor Furcht ganz weit.

»Es gibt keine Eindringlinge, wenn du das befürchtest. Ichhabe jedoch Neuigkeiten, die dich sehr berühren werden«,vertraute er ihr an, und sein Blick verdüsterte sich. »Komm,deine Mutter wird schon ängstlich auf diese Briefe warten, dieich von deinem Vater bringe. Du wirst bald alles erfahren.«

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Lady Alison, Lillyths Mutter, wartete an der Tür auf sie, alssie zusammen die Halle betraten.

»Bring Aedward ein Horn mit Bier, meine Liebe«, befahlLady Alison einer jungen Dienerin. Aedward reichte ihr dasPaket mit den Briefen und betrachtete voller Anerkennungihre stattliche Erscheinung. Sie war klein, hatte dunkles Haarund war untersetzt, sie sah nicht so schön wie ihre Tochteraus, doch ihre Haltung war beinahe königlich, und sie strahl-te eine gelassene Autorität aus, ein Blick aus ihren Augen ge-nügte, um ihr Gegenüber erbeben zu lassen, wenn sie verär-gert war. Aedward vermied Lillyths fragenden Blick und be-trachtete die Hände von Lady Alison, die mit vielen schönenRingen geschmückt waren und jetzt das versiegelte Paket öff-neten. Sie überflog schnell die Seiten, während Aedward seinBier trank. Das Trinkhorn war aus dem ausgehöhlten Horn ei-nes Stieres gemacht, hatte die Form eines Halbmondes, und eswar unmöglich, es abzusetzen, ehe es leer war.

»Mein Lord Athelstan beklagt sich darüber, dass diese Wa-che, die er halten muss, nur wieder eine weitere Dummheit vonKönig Harold ist«, erzählte Lady Alison Lillyth. »In all denWochen sind keine Eindringlinge gesehen worden, und ihreVorräte sind beinahe aufgebraucht. Dein Vater sagt, er wirdnur noch eine weitere Woche Wache halten, dann kommt er zurErnte nach Hause. Ich denke, die dringenden Geschäfte hierzu Hause erscheinen ihm wichtiger als die Gerüchte von einerInvasion.« Sie war ein wenig erschüttert, dass Athelstan siedrängte, die Vorbereitungen zu Lillyths Hochzeit mit Aed-wards älterem Bruder Wulfric voranzutreiben, der im Augen-blick mit ihm zusammen auf Patrouille an der Küste war.

Obwohl die Verlobung jetzt bereits zwei Jahre dauerte,schreckte Lillyth vor der Hochzeit mit Wulfric zurück, undihre Mutter wusste, dass sie die Jugend und die freundlicheArt von Aedward vorgezogen hätte. Sie betrachtete das gut

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aussehende Paar, das vor ihr stand. Aedward hatte wunder-schönes, schulterlanges, blondes Haar, einen schmalenSchnurrbart und einen gepflegten goldenen Bart. In Gedan-ken verglich Lady Alison ihn mit Wulfric, mit seinem schütte-ren roten Haar, dem buschigen Bart, seinem breiten Oberkör-per und seinem groben Benehmen. Doch er war kräftig undtapfer, und würde ihrer Tochter ein guter Beschützer sein, erwar auch kein armer Mann, immerhin war er der Lord desnächstes Dorfes, Oxstead.

Sie seufzte und legte die Briefe beiseite. »Deine Mutter wirdes kaum erwarten können, dich zu sehen, Aedward. Ich dan-ke dir zutiefst, dass du zuerst nach Godstone gekommenbist.« Sie stand auf. »Halte ihn nicht zu lange auf, Lillyth – essei denn, du willst mit uns zusammen essen, Aedward, ehe dunach Hause reitest?«, fragte sie.

»Vielen Dank, Lady Alison, aber ich muss meine Mutterwissen lassen, dass die Männer zur Ernte nach Hause kom-men – und auch all die anderen Dinge«, beendete er zögerndden Satz.

Lillyth stand auf und ging mit ihm zur Tür. Sie wollte ihmHunderte von Fragen stellen, doch sie wusste, dass ihre Mut-ter ihr alles zu seiner Zeit erzählen würde.

»Morgen, früh«, flüsterte er. »Ehe die anderen aufgestandensind. Bring deinen Gerfalken mit, dann gehen wir auf dieJagd.«

Lillyth nickte schnell ihre Zustimmung, und er ging.

»Was ist los, Mutter? Es ist etwas, das mit mir zu tun hat, nichtwahr?« Besorgt zog Lillyth die Augenbrauen hoch.

»Nachdem die Ernte eingebracht ist, wünscht dein Vater,dass deine Heirat ohne weitere Verzögerung vollzogen wird.«

»Oh, nein!«, flüsterte Lillyth. »Mutter, muss das wirklichsein?«, flehte sie.

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»Wenn mein Lord Athelstan es so befiehlt, Tochter, danngibt es nichts mehr darüber zu sagen. Ich werde allerdings zu-erst noch einmal die Runensteine befragen und herausfinden,was die Zukunft uns bringt.«

Lillyth folgte ihrer Mutter hinauf in das Sonnenzimmer, ei-nen hellen Raum, in dem wundervolle Stoffe und Wandbehän-ge hergestellt wurden und sah ihrer Mutter zu, wie sie die Ru-nensteine aus einer Truhe holte. Lady Alison legte die eigenar-tig geformten Steine vor sich, dann starrte sie lange Zeitdarauf. »Es gibt hier vieles, das ich nicht verstehe«, meinte sieschließlich. Sie schüttelte den Kopf, um die dunklen Bilder zuvertreiben, doch behielt sie ihre Gedanken für sich. »Eines je-doch ist ganz deutlich. Die Hochzeit wird stattfinden. Es istvorherbestimmt, Lillyth – du weißt, dass die Runensteine nie-mals lügen, es hat also keinen Zweck, dich weiterhin zu wider-setzen.«

Traurigkeit und Unsicherheit füllten die Augen ihrer Toch-ter, deshalb legte sie dem Mädchen tröstend einen Arm um dieSchultern. »Komm schon, als ich aus Frankreich kam und dei-nen Vater geheiratet habe, war ich entsetzt, aber ich habe estrotzdem geschafft. Wulfrics Haus ist beinahe genauso großwie das unsere, und du wirst dort den Ehrenplatz einneh-men.«

»Verzeih mir, Mutter, falls ich dir undankbar erscheine. Wassein soll, wird sein. Du hast es mir viele Male gesagt, und es hatsich immer als richtig herausgestellt.«

Resignation ersetzte ihre Hoffnung, und ihre leichtenSchritte wurden plötzlich schwer, als sie die Einsamkeit ihreseigenen Zimmers aufsuchte. Es war heiß in dem Zimmer, Lil-lyth nahm ihre Kopfbedeckung ab und zog die Leinentunikaaus, die ihr bis zu den Knien ging, dann betastete sie daskunstvoll bestickte Band am Ausschnitt und am Saum der Tu-nika. In ihrem weichen Unterkleid ging sie hinüber zu einer

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großen Truhe und goss kühles Wasser in eine Schüssel, diedarauf stand. Sie gab ein paar Tropfen Rosenwasser hinein, beidessen Destillation sie ihrer Mutter geholfen hatte, dannwusch sie sich Gesicht und Hände.

Ihr rotgoldenes Haar fiel ihr bis zu den Knien, abwesendstrich sie sich die Locken aus dem Gesicht und seufzte.

Wenn nun die Eindringlinge in der nächsten Woche kamenund es eine große Schlacht gab? Was wäre, wenn Wulfric dabeiumkäme? Sie erbebte vor ihren eigenen Gedanken. Es klopfteleise an der Tür, und Edyth, Lillyths junge Zofe, betrat dasZimmer.

»Soll ich Euch mit Eurem Haar helfen, ehe Ihr zum Essengeht, meine Lady?«

»Ja, bitte, Edyth. Wenn wir es vielleicht flechten, dann wirdmir nicht so heiß sein.« Sie griff nach den Bürsten. »Ich bürs-te die eine Seite und du die andere. Edyth«, sprach sie dannzögernd weiter, »du bist doch mit Walter verlobt, einem derRitter meines Vaters – liebst du ihn?«

»Oh, ja, meine Lady. Wenn er zurückkommt, werden wirheiraten.«

»Ängstigt dich der Gedanke an eine Heirat denn nicht,Edyth?«

Das Mädchen kicherte. »Natürlich nicht. Er ist doch nurein Mann, und ich kann ihn nicht länger hinhalten.«

»Hast du ihn denn bis jetzt immer abgewiesen?«»Ich habe mich danach gesehnt, es nicht zu tun, aber wenn

ich ein Baby bekommen würde, ohne verheiratet zu sein, dannwisst Ihr sehr gut, was die Lady, Eure Mutter, mit mir machenwürde.« Sie lachte.

Bei diesem Gedanken errötete Lillyth. »Und wenn du nunfür denjenigen, den du heiraten solltest, keinerlei Zuneigunghättest, Edyth? Könntest du dann auch das Bett mit ihm tei-len?«

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Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Aye, und sobalder mir den Rücken zukehrt, würde ich mir einen gut aussehen-den Geliebten suchen!«

Lillyth lachte zum ersten Mal seit vielen Stunden. »Komm,wir müssen uns beeilen. Ein solches Gerede ist unange-bracht.« Jedoch zwinkerte sie dem Mädchen zu, als es ihr dieTunika reichte. Schnell legte sie einen Gürtel aus Goldfiligranum ihre Taille und zog ein frisches Oberkleid über. Dann gingsie hinunter in die Halle, in der sich nur eine Hand voll Frau-en versammelt hatten. Alle Männer, die kampfbereit waren,waren zusammen mit Lord Athelstan auf Patrouille. Einigejunge männliche Pagen servierten das Essen, und ein paar alteMänner waren zurückgelassen worden. Keiner der Leibeige-nen war mit dem Lord geritten, denn sie waren zum Kampfenicht ausgebildet. Doch sie aßen nicht in der großen Halle,sondern in ihren eigenen Unterkünften, an ihrem eigenenHerd.

Edgar und May lebten schon seit vielen Jahren als Mann undFrau zusammen. Obwohl sie jedes Jahr ein Kind bekommenhatten, hatten nur eine Tochter und ein Sohn überlebt. Edwi-na war in dem Alter, in dem sie bald von einem der jungenLeibeigenen erwählt werden würde, und dann würde sie denLuxus einer eigenen Hütte haben. Der junge Edgarson, dererst zehn Sommer alt war, hatte noch lauter Unfug im Kopf,der von der überschüssigen Energie der Jugend rührte.

Edgar hütete eine riesige Schafherde zusammen mit den an-deren Schäfern, deshalb konnte May ihrer Familie heute einköstliches Eintopfgericht aus Hammelfleisch servieren. Nichtjeden Tag konnten sie sich Fleisch leisten, aber als ein altesMutterschaf gestorben war, hatten die Schäfer schnell dasFleisch unter sich aufgeteilt. Sie brauchten keinen Eid zuschwören, das Geheimnis zu bewahren. Alle wussten, dass die

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Strafe für Diebstahl der Tod war. Die Strafe für Mord war beiweitem nicht so schlimm.

Edgarson gab seiner Schwester Edwina eine Birne, die eraus dem Obstgarten mitgenommen hatte, ihm lief der Saft sei-ner eigenen Birne schon über das Kinn.

Edgar versetzte seinem Sohn zornig einen Schlag, der ihnquer durch die Hütte fliegen ließ. »Du sollst niemals stehlen!Wie oft muss ich dir das noch sagen?«

Edgarson erhob sich wieder und griente. Edgar wandte sichzu May. »Du bist viel zu sanft mit dem Jungen. Du schlägstihn nicht oft genug.«

May rang die Hände über den Wagemut ihres Sohnes. »Ichhabe solch große Hoffnung in dich gesetzt. Ich wollte, dass duStalljunge wirst und lernst, dich um die Pferde zu kümmern,aber den ganzen Tag Holz in dem vom Teufel befallenen Waldzu sammeln, hat dir jede Angst vor Mensch und Tier genom-men!«, rief sie. Vorsichtig berührte sie das kleine Säckchen mitSalz, das sie zum Schutz gegen böse Geister an ihrer Hüftetrug.

Edgar lief nervös auf und ab. Er sollte heute Nacht Wachehalten, um die Schafe vor den räuberischen Wölfen zu schüt-zen. Er tastete nach dem Wolfszahn, den er um den Hals trug.Er fürchtete sich nicht vor den Wölfen, sondern vor der Nacht,vor der Dunkelheit. Draußen waren seine Nächte manchmalvoller Schrecken. Menschen fressende Monster lebten im Waldund auf den windumtosten Höhen. Alle Bauern trugen Amu-lette, um sich vor allerlei Wesen zu schützen, angefangen vonElfen bis hin zu schwärmenden Bienen. May und Edwinafürchteten sich nicht vor Bienen. Sie kümmerten sich um denObstgarten, wo hundert Bienenkörbe standen, und sammel-ten den Honig, die einzige Möglichkeit, etwas zu versüßen.Daraus wurde auch Met gemacht, ein köstlicher süßer Wein,wenn er fermentiert war. Die einzige Gefahr, die ihr Beruf mit

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sich brachte, war ab und zu ein Bär, ein »Bienenwolf«, wie ergenannt wurde, der versuchte, den Honig zu stehlen. Sie wa-ren beide unempfindlich gegen Bienenstiche.

Edgarson hob das Tuch vor der Tür der Fachwerkhütte undverschwand nach draußen. May bekreuzigte sich, dann mach-te sie auch noch ein heidnisches Zeichen. »Er fürchtet sichnicht einmal vor der Dunkelheit«, beklagte sie sich.

Plötzlich kam der Junge zurück in die Hütte gelaufen.»Schnell, kommt und seht. Es ist Feuer am Himmel!«

Zum zweiten Mal an diesem Tag ertönte draußen ein Schrei,und alle liefen hinaus, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen,wie ein riesiger Komet hell über den Himmel raste. Die Män-ner bekreuzigten sich ängstlich. Das Stimmengewirr wargroß, weil jeder Vermutungen anstellte, was das wohl zu be-deuten hatte, doch Lady Alison blickte zum Himmel undwusste, dass es ein Omen war.

Lillyth lief schnell an den Ställen entlang, sie hob ihren Ger-falken von seiner Stange und nahm die Wurfriemen von derWand. Durch die hohen Öffnungen in der Wand strahlte helldie Sonne, obwohl es noch früh war, später am Tag würde esganz sicher heiß werden. Im Stall fand sie Aedward, der bereitsihre Stute Zephyr sattelte. Sie ritten an den Obstgärten vorbeizu der Wiese, ein besorgter Stalljunge sah ihnen nach. Erwusste, dass er Lady Lillyth nicht allein mit dem jungen Lordausreiten lassen durfte, aber was für eine Macht hatte einLeibeigener schon über diejenigen, die im Rang über ihmstanden.

Aedward nahm seinem Falken die Haube ab, und er stieghoch, um eine Waldtaube zu verfolgen. Lillyth hob den Armhoch, und ihr kleiner Falke flog auf eine sehr hohe Buche.

»Versuch sie anzulocken«, rief Aedward ihr zu, aber der Vo-

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gel flog hinüber, zu einem noch weiter entfernten Baum. »Sieist noch nicht gut ausgebildet.« Er runzelte die Stirn. Sein ei-gener Falke kehrte gehorsam auf sein Handgelenk zurück,und er verstaute die Waldtaube in seiner Satteltasche.

Lillyth sah, wie ihr kleiner Vogel hinaufflog, dem Sonnen-schein entgegen. »Es macht nichts, lass sie nur fliegen«, rief sieAedward zu. »Wenn sie frei sein möchte, dann möchte ich sienicht aufhalten. Ich wünschte bei Gott, ich könnte ihr fol-gen.«

Er lenkte sein Pferd neben das ihre. »Lillyth, mir gefällt dasauch nicht. Wulfric und dein Vater sind unzertrennlich gewor-den. Sie teilen sich sogar das gleiche Zelt, zweifellos, damit siePläne deinetwegen machen können.«

Lillyth stieg von ihrem Pferd, und er folgte ihr, seinen Fal-ken befestigte er am Sattel, sein Pferd band er nicht an, damites im hohen Gras weiden konnte. Obwohl Lillyth wusste,dass sie Aedward ihr Haar nicht zeigen durfte, zog sie dochihre Haube aus und lehnte sich dann gegen einen Baum.

Er hob eine Strähne ihres Haares hoch und presste sie an dieLippen. »Oh, Lillyth, ich denke Tag und Nacht nur an dich.«

Sie wandte sich zu ihm, Tränen traten in ihre strahlend grü-nen Augen, und er nahm sie in seine Arme und küsste sie aufden Mund. Sie erwiderte seinen Kuss, seine Arme schlossensich um sie, und sein Kuss wurde fordernder. Sie war schonzuvor von Aedward geküsst worden, aber noch niemals so.Auch Wulfric hatte sie bei Festen schon geküsst, aber es warihr immer gelungen, seine Annäherungsversuche abzuweisen.

»Oh, Aedward, könnte ich doch nur dich heiraten, dannwürde ich mich nicht so sehr fürchten.«

»Mein Schatz, wie kann ich es nur ertragen? Euch beide je-den Tag zusammen zu sehen, wird mir das Herz zerreißen.«Seine Hand ging zu ihrer Brust. »Lillyth, schlaf mit mir, schlafjetzt mit mir, bitte!«

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Sie war tief erschrocken und entzog sich ihm sofort. Hochgestellte angelsächsische Mädchen wurden keusch erzogen,und ihre Ehre wurde gut bewacht. »Das kann ich nicht. Aed-ward, du darfst so etwas nicht von mir fordern.«

»Aber wenn wir einander doch lieben – Lillyth, lass michder Erste sein«, bat er.

»Aedward, nein, ich kann dir das nicht geben, was einem an-deren versprochen ist.« Sie lief zu den Pferden hinüber, stiegschnell auf ihr Pferd und ritt nach Hause, als wäre der Teufelpersönlich hinter ihr her.

Lady Alison entgingen Lillyths gerötete Wangen nicht. »Ichfrage mich, was für einen Unfug die beiden jetzt schon wiederausgeheckt haben«, überlegte sie und wandte sich dann an Lil-lyth. »Das Beste, um die Gedanken zu beschäftigen, ist Ar-beit, und glaube mir, in den nächsten beiden Wochen wird esHunderte von Dingen zu erledigen geben. Während du durchdie Gegend geritten bist, habe ich den Webern gesagt, sie sol-len die beiden Wandbehänge fertig machen, die in den Rah-men im Sonnenzimmer hängen. Du kannst sie in dein neuesHaus mitnehmen, wenn du Wulfric geheiratet hast. SeineMutter beneidet mich schon seit Jahren um meine Wandbe-hänge, ich kann dir sagen, sie hat nichts, was so fein ist. Kommmit nach oben, und sieh sie dir an.« Lillyth und Lady Alisongingen hinauf ins Sonnenzimmer, wo etwa ein Dutzend Frau-en sie begrüßten, die alle plauderten und lachten.

»Ladys, Lady Lillyth und Lord Wulfric werden heiraten,sobald die Ernte eingebracht ist, diese Wandbehänge müssenunbedingt fertig werden, damit sie sie mit nach Oxstead neh-men kann. Lillyth, ich möchte, dass du zwei oder drei derMädchen aussuchst, die dir bei deiner neuen Garderobe helfenkönnen. Ich weiß, dass du viele hübsche Tuniken und Wamsebesitzt, aber wenn du sie alle durchsiehst und einige davon den

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Ladys gibst, dann bekommst du neue. Neue Kleidung ist füreine Frau immer eine Freude. Lass dir von Rose die Bordürenmit Perlen besticken. Sie macht das so gut wie keine andere,und Edyth hat magische Finger, wenn sie mit goldenen undsilbernen Fäden stickt.« Als Lady Alison wieder ging, warenalle beschäftigt, auch Lillyth, die Unterhaltung drehte sich umHochzeiten.

Lady Alison rief zwei ältere Bedienstete herbei und bat sie,mit in die Vorratskammer zu kommen. Ein so großes Lehngutzu leiten, machte viel Arbeit. Sie war für alle Einwohner desOrtes verantwortlich. Ich muss mich hier um das wirklicheLeben kümmern, während die Männer unterwegs sind unddumme Kriegsspiele spielen, überlegte sie. Es bleibt immerden Frauen überlassen, die praktische Seite des Lebens zu be-wältigen, dachte sie wehmütig.

»Mein Lord wird in vier oder fünf Tagen nach Hause zu-rückkehren. Sagt dem Schweinehirten, dem Ochsenhirten,dem Kuhhirten, dem Schäfer und dem Ziegenhirten, dass wirvon jedem einige Tiere brauchen, die geschlachtet werdenmüssen. Sagt den Männern im Schuppen und den Stalljungen,dass alles gesäubert werden soll, ehe die Männer zurückkeh-ren. Wir werden nach dieser Ernte ein besonders schönes Festhaben, weil meine Tochter heiraten wird. Und wenn ihr aufeurem Weg an der Speisekammer vorbeikommt, sagt einemder Käsemacher, dass er bitte zu mir kommen soll.«

Sie würde die Frauen in den Obstgarten schicken müssen,um Obst zu pflücken, dann würde sie das Einkochen und dasEinlegen überwachen müssen. Wann würde sie dann noch Zeitfinden, Kräuter zu sammeln und ihre Arzneien und Sirups zumischen, ihre Absude, Salben und Latwerge? Sie musste sichum die Gesundheit jedes einzelnen Huhns und Kindes auf ih-ren Ländereien kümmern, und sie wusste, dass es eine Zeit ge-ben würde, wo ihre Heilkräfte dringend gebraucht wurden.

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Wenn die Männer zurückkehrten, würden sie auf die Jagd ge-hen, nach Wild und Vögeln, Wildschweinen und Rehen, undihr Mann würde das Brauen überwachen und die Vorratshal-tung von Wein und Bier.

In der Zwischenzeit war Lillyth damit beschäftigt, Stoffe undFarben auszuwählen. »Ich denke, ich werde besser Samt für allmeine Tuniken und Wappenröcke wählen. Die Zimmer inOxstead sind zugig, und der Winter ist lang.«

»Ich würde schwarzen Samt vorschlagen, meine Lady. Derwürde Euer goldenes Haar herrlich zur Geltung bringen.«

»Aber Rose, meine Kopfbedeckung verbirgt mein Haarvollkommen«, widersprach Lillyth.

»Nicht im Schlafzimmer, meine Lady. Lord Wulfric wird essehen, und Ihr könnt schwarzen Samt über Weiß tragen, oderüberlegt nur, wie herrlich er auf Rot aussehen würde!«

Lillyth dachte darüber nach. »Schwarz zu tragen, werde ichmeiner Mutter überlassen, es erinnert mich viel zu sehr anTrauerkleidung. Vielleicht werde ich purpurfarbenen Samtnehmen über einem Unterkleid aus blasser Lavendelfarbe?«

»Ah, ja, und Ihr müsst Grün nehmen, es passt wundervollzu Euren Augen und betont den roten Schimmer in EuremHaar besser.«

»Oh, und könnten wir dazu weit fließende Ärmel nähen,im neuesten Stil?«, fragte Lillyth und freute sich über ihreneue Kleidung. Als Lady Alison zurückkam, waren die Frau-en noch immer damit beschäftigt zu überlegen, ob ihre Lieb-lingsfarbe nun blau, pfirsichfarben oder gelb war.

Die Ladys, die im Herrenhaus lebten, waren die Frauen undTöchter der Ritter von Lord Athelstan. Lady Adela war er-leichtert, dass ihr Ehemann im Augenblick auf Patrouille war.Sie besaß eine zarte Gesundheit und zog es vor, Kleidung zu

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nähen, anstatt einem Mann zu Gefallen zu sein, ganz beson-ders einem Mann, der so anspruchsvoll wie ihr Ehemann war.Lady Emma dagegen vermisste ihren Ritter sehr und zähltedie Tage bis zu seiner Rückkehr. Sie fühlte sich nicht vollkom-men und ungeschützt ohne einen Mann in ihrer Nähe. Siesorgte sich um die Sicherheit ihres Mannes und schob die Ge-danken an eine Invasion und einen Krieg weit von sich. Wie-der einmal befürchtete sie, dass sie schwanger war und ent-schied sich zu einem Besuch in der Hütte von Morag. Moragwar ein altes Weib, das allein lebte und die Lehren der »alten«Religion praktizierte. Sie war die Tochter eines Hexers, undman raunte sich zu, dass sie selbst auch eine Hexe war. Sie han-delte mit Horoskopen, Zaubersprüchen, Traumdeutungenund Tränken. Als Gegenleistung dazu gaben ihr die Leute ausdem Dorf ein Eichhörnchen oder ein Kaninchen, dass sie ge-wildert hatten.

»Lady Alison, kann ich mich zurückziehen? Ich fühle michnicht wohl«, bat Lady Emma.

»Natürlich, Emma«, stimmte ihr Lady Alison sofort zu.Alison wünschte, dass sich Emma ihr anvertrauen würde. Siewusste alles, was es über Kräutermedizin zu wissen gab, abernein, die Frau besuchte lieber das alte Weib und holte sich vonihr ein schlimmes Gebräu, das grausame Krämpfe in ihremMagen hervorrief. Nun gut, ich kann nicht allein die ganzeWelt verbessern, schalt sie sich selbst.

Emma lief durch das Dorf zu der wohl bekannten Hütte,die ein Stück entfernt von den anderen Hütten stand. Sie woll-te in der großen Halle zurück sein, ehe die Dämmerung an-brach. Ein Mann stand vor der Hütte.

»Ist Morag beschäftigt?«, fragte Emma den Bauern.»Geht nur rein, meine Lady. Es ist nur mein Junge drin. Er

stottert schrecklich. Wir sind hierher gekommen, um nachHeilung zu suchen.«

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Emma schob das Tuch beiseite, das im Türrahmen hing undbetrat schnell die Hütte. Morag gab der Bäuerin gerade sorg-fältige Hinweise. »Koch dies in Regenwasser auf. Und sorgdafür, dass er es aus einer Glocke trinkt.«

Die Frau sah sie verständnislos an. »Woher soll ich denneine Glocke bekommen, Morag?«

»Hirnlos!«, schimpfte Morag. »Dein Mann ist doch Kuh-hirte. Nimm eine Kuhglocke.«

Die Frau reichte ihr zwei kleine Weizenkuchen als Bezah-lung und eilte dann davon.

Morags kluge Augen ruhten auf Emma. »Dein Monatsflussist wieder zu spät.«

Es war eher eine Bemerkung als eine Frage. Emma nickte,sie war erstaunt über Morags Fähigkeit, zu weissagen. Moragnahm einen Schilfsack von der Wand und holte eine Wurzeldaraus hervor.

»Zerstoß diese Wurzel, dann koch sie in Met.«»Oh, Morag, danke. Du bist so weise.« Emma gab ihr ein

Ei, das sie vom Frühstück aufgehoben hatte.Weiser als du, dachte Morag. Es ist nur die Wurzel eines

ganz gewöhnlichen Farns. Du könntest sie selbst sammelnund müsstest nicht jeden Monat hierher kommen.

Emma zögerte. »Ich habe gehört, dass du dich auch mitHoroskopen auskennst, Morag.«

Das alte Weib nickte.»Es geht um meinen Mann. Ich habe große Angst um ihn.«»In welchem Monat wurde er geboren?«»Im November.«»Ha! Unter dem Sternzeichen des Skorpions«, erklärte Mo-

rag geheimnisvoll. »Komm morgen wieder«, schickte sieEmma weg. In ihrer Weisheit wusste sie, dass ein weiterer Be-such auch eine weitere Bezahlung bedeutete. Sie hob dieHand. Ihre zahme Elster, Greediguts, flog zu ihr und nahm

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sich ein Stück des Weizenkuchens. »Dumme Emma«, lachteMorag. »Wenn du morgen kommst, werde ich dir erzählen,dass jeder Mann, der unter diesem Sternzeichen geboren wird,ein einsamer Mann ist. Er ist äußerst selbstsüchtig, wird sichimmer über dich stellen, und wenn du aufhörst, nützlich fürihn zu sein, wird er dich beiseite schieben.«

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Harolds Armee hatte Winchester, Southampton und die gan-ze Südküste beschützt. Seine Schiffe hatten vor der Isle ofWight den ganzen Sommer über auf die Normannen gewartet,als die überraschende Nachricht kam, dass die Norweger, an-geführt von Hardrada, in Humber eingefallen waren. Haroldversammelte seine Armee und marschierte sofort nach Nor-den. Er hatte eine kleine Streitmacht von Rittern zurückgelas-sen, die ihm militärischen Dienst schuldeten, die aber nicht zuseiner regulären Armee gehörten. Diese Streitmacht sollteWache halten und jede Armee davon abhalten, an der Küste zulanden.

Athelstan und Wulfric und ihre Ritter gehörten zu dieserStreitmacht, aber am siebten Tag im September waren alle ihreVorräte aufgebraucht. Nicht einmal Futter für die Pferde gabes noch, und sie hatten vor, am folgenden Morgen nach Hausezurückzukehren.

William der Normanne kam offensichtlich nicht. Es war nurein falscher Alarm gewesen, und die Ernte zu Hause war vieldringender. Die Männer, die sich nach ihrer langen Wache lang-weilten, hatten es sich angewöhnt, jeden Abend zu spielen, undes gab auch immer genügend Frauen, die der Armee folgten.

Wulfric schlug Athelstan freundschaftlich auf den Rücken.

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»Ich habe heute Abend zwei dralle Frauenzimmer für uns, un-sere Freiheit wird schon sehr bald zu Ende sein, nicht wahr?«

Der ältere Mann sah ihn überrascht an. »Wie hast du dasnur ohne Geld geschafft, Wulfric?«

»Das war ganz einfach! Ich habe ihnen einen Platz bei unszu Hause angeboten. Schutz und ein Platz zum Leben ist indiesen Zeiten sehr verlockend. Morgen, ehe sie aufwachen undfeststellen, dass die Vögel ausgeflogen sind, sind wir schonweg.« Er lachte.

Athelstan runzelte die Stirn. »Ich mag es nicht, mein Wortzu geben und es dann nicht zu halten. Was würde es schonschaden, zwei weitere Leibeigene zu haben?«

»Vielleicht würde unseren Ladys der Gedanke nicht gefal-len«, erklärte ihm Wulfric.

»Alison würde sie auf den ersten Blick durchschauen. Ichdenke, diesmal hast du Recht.« Auch Athelstan lachte.

Am Samstagmittag kamen die beiden Kompanien der Ritterin Godstone an, und es gab ein großes Durcheinander, als allewieder vereint waren. Wulfric erklärte seinen Männern, dasser die Nacht in Godstone bleiben und erst am nächsten Mor-gen nach Hause nach Oxstead reiten würde. Die Pferde wur-den in die Ställe geführt, und alle Rüstungen und Waffen wur-den in die Waffenkammer hinter dem großen Schlafsaal ge-bracht, wo die Knappen sie säuberten. Die Kettenhemdenund Helme wurden an die Wand gehängt, zusammen mit denStreitäxten, Kriegsbeilen, Schwertern, Schilden und den miteisernen Stacheln versehenen Kugeln, die auch Morgensternegenannt wurden. Die Männer waren verschwitzt, schmutzigund sattelmüde, sie alle gingen hinunter zum Fluss, um zu ba-den. Lord Athelstan und Wulfric besuchten das Badehaus, indem große Bottiche mit heißem Wasser gefüllt wurden unddie Mägde aus dem Haus ihnen beim Baden halfen.

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Während Lady Alison ihrem Ehemann Athelstan den Rü-cken einseifte, meinte Wulfric: »Meine Braut hat mich nichtbegrüßt, und sie hilft mir auch nicht bei meinem Bad. Ichwünsche mir ihre Gesellschaft, meine Lady. Warum verstecktsie sich vor mir?«

»Lillyth bekommt gerade ein neues Gewand gemacht. Siewird heute Abend zusammen mit uns essen, Wulfric, keineAngst. Sie möchte für Euch besonders schön aussehen, Ihrwisst doch, wie die jungen Mädchen heutzutage sind.«

Er brummte unzufrieden und schwor sich insgeheim, dafürzu sorgen, dass er später am Abend mit ihr allein sein konnte.

Sobald das Fleisch gar war, begann das Fest. Das Feuer der An-gelsachsen wurde in einer Grube mitten in der großen Halleangezündet, darum herum wurden die Tische aufgestellt. Andiesem Abend wurden zusätzliche Tische aufgebaut, um Platzfür die Ritter aus Oxstead zu schaffen, das Bier floss üppig,weil die Männer sich in den letzten Wochen mit kleinen Ratio-nen hatten zufrieden geben müssen. Das trübe Wetter zusam-men mit der Hitze des Feuers, das schon den ganzen Nachmit-tag über gebrannt hatte, machte es erstickend heiß in der Hal-le. Doch das schien die festliche Stimmung der Leute nicht zuschmälern.

Lillyth wählte ein blassblaues seidenes Wams und eine dazupassende Tunika, sie wartete absichtlich auf ihre Mutter undihren Vater, um mit ihnen zusammen hinunter in die Halle zugehen.

Wulfric löste sich schnell aus der Gruppe seiner Männerund kam zum Fuß der Treppe, um sie mit einem herzhaftenKuss zu begrüßen.

Sein Bart kratzt, dachte Lillyth und schämte sich sofortdafür, dass Aedwards Bart sie nicht gestört hatte. Sie sah in

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Wulfrics Augen und versuchte, ehrlich zu sein. »Willkommen,mein Lord. Es ist gut zu wissen, dass Ihr für ein weiteres Jahrvor Euren Feinden in Sicherheit seid.«

Sie sah seinen gierigen Blick, der ihr das seidene Gewandvom Leib zu reißen schien und schrak vor der heißen, nacktenLust zurück, die sie darin las. Statt sich jedoch vor ihm zu-rückzuziehen, senkte sie den Blick ihrer Augen mit den golde-nen Wimpern und reichte ihm die Hand, damit er sie zu ihremPlatz am Haupttisch führen konnte. Sie bekam den Platz zwi-schen ihrem Vater und Wulfric, der sie nicht aus den Augenließ.

Dieses verdammte Luder, dachte er, so kühl und so abwei-send, es gelingt ihr immer wieder, mir das Gefühl zu geben, ichsei ein tollpatschiger Trampel. Warte nur, warte, schwor er sichinsgeheim und leckte sich über die Lippen.

Der Lärm in dem Raum war ohrenbetäubend. Es gab soviele attraktive junge Frauenzimmer, die das Essen servierten,und einige von Athelstans verheirateten Rittern hatten ihreEhefrauen bei sich, doch die Augen der meisten Männer ruh-ten auf Lillyth. Einer von Wulfrics Männern wandte sich anseine Begleiter. »Eine Nacht zwischen ihren Schenkeln, das istalles, was ich will, nur eine einzige Nacht.«

Seine Gefährten brachen in schallendes Gelächter aus undzwinkerten einander zu. Einer von ihnen sagte: »Du meinstwohl eine Minute, nicht wahr? Eine Minute mit einem so rei-zenden Ding würde genügen, und du würdest deinen Pfeil ab-schießen, und dein Seil würde für den Rest der Nacht ganzschlaff zwischen deinen Beinen hängen!« Er brüllte vor La-chen über seinen eigenen Witz, und die anderen stimmten mitein und machten grobe und zotige Bemerkungen.

Lillyth war so nervös, dass sie das Erste aussprach, was ihrin den Sinn kam, weil sie das Thema vermeiden wollte, dasdoch irgendwann angesprochen werden musste.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Virginia Henley

In den Armen des NormannenRoman

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 384 Seiten, 12,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-442-36035-2

Blanvalet

Erscheinungstermin: Mai 2004

Als Guy de Montgomerys Armee in England einfällt, nehmen die Krieger auch das Anwesen derlieblichen Lady Lillyth, Godstone Hall, in Besitz. Die stolze Engländerin ist über die Invasorenempört. Doch als sie dem Eroberer Guy de Montgomery begegnet, ist sie wie vom Donnergerührt. Seine Stärke und sein männlicher Charme erwecken ihre Leidenschaft. Und auch Guykann sich dem Zauber der schönen Lillyth nicht entziehen. Doch auch andere Männer in seinemGefolge begehren die Lady – und Guy hat alle Hände voll zu tun, sie zu beschützen ...