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    MuseumEuropaischer KulturenStaatliche Museen zu Berlin

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    Visuelle Medien und ForschungUber den wissenschaftlich-methodischen Umgangmit Fotografie und Film

    Fi.ir das Museum Europdischer Kulturen -Staatliche Museen zu Berlinherausgegeben vonIrene Zrehe und Ulrich Hdgele

    Waxmann 2011Munster / New York / Mtinchen / Berlin

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    GefordertEBibliografische Informationen der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet iiber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    durchMuseumEuropiischer KulturenStaatliche Museen zu Berlin

    undden Verein der Freundedes Museums Europiischer Kulturen

    Visuelle Kultur. Studien und Materialien, Band 5ISBN 97 B -3 -8309 -2srs - 6Waxmann Verlag GmbH, 2011Postfach 8603, 48046 [email protected] Staatliche Museen zu Berlin - StiftungPreu3ischer Kulturbesitz und die Autorenwww.smb.museumUmschlaggestaltung: Christian Averbeck, MiinsterTitelfoto: Emmerich Weisshaar als filmender Ethnograf inZunillGuatemala mit Schulkindern. Archiv Weisshaar, RottenburgSatz: Stoddart Satz- und Layoutservice, MtinsterDruck: Hubert & Co., GottingenGedruckt auf alterungsbestdndigem Papier,sdurefrei gemd8 ISO 9706Printed in GermanyAlle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten.Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung desVerlages in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendungelektronischer Systeme verarbeitet, vervielftltigt oder verbreitet werden.

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    Manuela Fischer und Augusto Oyuela-CaycedoDer zeitlose RahmenFotografien aus der Sierra Nevada de Santa Marta, Kolumbien

    Unabh:ingig von stdndiger territorialer Bedrohung erscheinen die Portrits derK6gaba, die seit den Antdngen des 20. fahrhunderts in der Sierra Nevada de San-ta Marta (SNSM) in Kolumbien aufgenommen wurden, wre Zeugen einer nichtvergehenden Zert. Diese Fotogralien, die sich als Zeitdokumente zu verweigernscheinen, stehen im krassen Gegensatz zu der bis heute von Konflikten geprdg-ten Geschichte. Mit der Landung der ersten spanischen Eroberer an der Karibik-ktiste des heutigen Kolumbien begann die fast ein fahrhundert andauernde spa-nisch-indianische Auseinandersetzung (1501-1600), die das soziale Gefiige dervorspanischen Zeit zerstorte. Die Uberlebenden, in die unzuginglicheren Gebietedes Ki.istengebirges verdringt,' reorganisierten sich Anfang des 17. Iahrhundertsin den vier Ethnien, die bis heute in der SNSM leben.2 Die territorialen Konflik-te rissen seither nicht ab: Im 16. Jahrhundert begannen Wellen katholischer Mis-sionierungsversuche. Das Vordringen kolonisierender Bauern aus dem Landes-inneren erzeugte in den 1950er lahren weiteren territorialen Druck. Der Anbauvon Marihuana seit den l970er Jahren und die Cocaplantagen seit den 1980erfahren an den Grenzen des Indianerreservats hatten Auswirkungen, die weit indas Territorium der Indigenen hineinreichten.3 Mit der Einweihung der Kiisten-stra3e von Santa Marta nach Riohacha im Jahre 1972 wurde die nordliche Ge-birgsflanke der SNSM zuganglicher. Seitdem mehrere Guerillaorganisationen Mit-

    Vgl. Gerardo Reichel-Dolmatoff: Contactos y Cambios Culturales en la Sierra Nevada deSanta Marta. In: Revista Colombiana de Antropologia Ig. l, 1953, Heft l, S. 15-122; Hen-ning Bischof: Die spanisch-indianische Auseinandersetzung in der nordlichen Sierra Ne-vada de Santa Marta (1501-1600). Bonner Amerikanistische Studien, Band 1. Bonn 1971sowie Augusto Oyuela-Caycedo: The Rise of Religious Routinization. The Study of Chan-ges from Shaman to Priestly Elite. In: Iohn E. Staller/Elizabeth J. Currie (Hg.), MortuaryPractices and Ritual Associations: Shamanic Elements in Prehistoric Funerary Context inSouth America. (Archaeopress Publishers of British Archaeological Reports) Oxford 2001,s. 1-18.Ftir die Bevolkerungszahlen der indigenen Gruppen der SNSM, vgl. Roberto Pineda:La constituci6n de l99l y la perspectiva del multiculturalismo en Colombia. In: Alteri-dades vol.7,1997,Heft 4, S. 109: Ijka (Uka, Bintukua, Arhuaco) 13.383 Einwohner, K6ga-ba (Kogi, Cogui) 6.677 Einwohner, Sanha (Wiwua, Guamaca, Arzario) 1.857 Einwohnersowie fiir die indigene Gruppe der Kankuamo, 5.900 Einwohner, vgl. William Villa/|uanHoughton: Violencia politica contra los pueblos indigenas en Colombia. (Centro de Co-operaci6n al Indigena) Bogot6 2005.Der Anbau von Cocapflanzen innerhalb der Indianerreservate der SNSM ist Bestandteilindigener Sonderrechte. Sanktionen gegen illegal angelegte Cocaplantagen treffen auchdie Bewohner der Reservate. Zum Beispiel gro3fldchige Verunreinigung des Grundwas-sers durch Entlaubungsmittel (Glyphosat).

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    te der 1980er fahre das Gebirge als strategisches Riickzugsgebiet wdhlten, nahmdie Gewalt weiter zu. Seit Mitte der 1990er Jahre folgten paramilitlrische Trup-pen und damit ein weiterer Faktor von Gewalt fiir die Bewohner dieser Region.Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen sind weitere Faktoren, die sichin den letzten drei3ig Jahren auf das komplexe soziale Gefiige auf verschiedenenEbenen auswirken.aFotografien, die historische Ereignisse nur unzureichend wiedergeben konnen,da die aufgenommenen Motive Verlnderungen nicht reflektieren, miissen ande-re Funktionen haben. In diesem Beitrag soll der Versuch unternommen werden,den Blick des Fotografen in seinen Portrits zu analysieren, aber auch der Dyna-mik nachzugehen, die Fotografien innerhalb eines komplexen sozialen Geftigesentwickeln konnen.Das erste gro8ere zusammenhdngende Konvolut von Fotogra{ien ethnischerGruppen in der SNSM stammt von dem Ethnologen und Kustos am damals Ko-niglichen Museum fiir Volkerkunde in Berlin (heute: Ethnologisches Museum)Konrad Theodor Preu3 (1869-1938). Preul3 unternahm Ende 1914 eine mehrmo-natige ,,Forschungsreise zu den K6gaba", deren Ergebnisse er unter demselben Ti-tel veroffentlichte.5 Auch wenn von dieser Reise nur die Illustrationen in der ge-nannten Publikation und einige unveroffentlichte Fotogra{ren erhalten gebliebensind, ldsst sich bei PreuS ein grundsitzlich geringes Interesse an visuellen Do-kumenten feststellen. Seine religionsethnologische Forschung griindete sich aufder Verbindung von vorspanischen Quellen mit Daten zeitgenossischer indigenerKulturen.6 Die philologische Ausrichtung seiner Forschung einerseits und die be-grenzten technischen Moglichkeiten der Fotografle zu Beginn des 20. Jahrhun-derts andererseits lassen die meisten Portrdts wie Studiofotografien wirken. DieFotografie der Mamas (religiose Spezialisten bei den K6gaba), streng frontal undauf Augenhohe aufgenommen, ist von Respekt geprdgt, was auch an der Indivi-dualisierung der Portrdtierten in der Bildunterschrift zu erkennen ist (Abb. 1a).Dennoch ist nicht zu unterschdtzen, dass sich die Pioniere der Ethnologie, zu de-nen Preu8 zweifellos gehorte, trotz der inzwischen fortgeschrittenen Professio-nalisierung der Disziplin, verpflichtet fiihlten, eine moglichst umfassende Doku-mentation am Ort ihrer Forschung anzulegen und sei es, um Material fiir denkollegialen Austausch bereit stellen zu konnen. Die Seitenaufnahme der Portrd-tierten wirkt anachronistisch (Abb. 1b). Dieses Relikt aus einer Zert, rn der dieAnthropometrie zum festen Bestandteil der ethnologischen Forschung gehorte,

    F'i.ir eine Ubersicht der aktuellen Akteure in der SNSM vgl. Astrid Ulloa: La construcci-6n del nativo ecol6gico. Complejidades, paradojas y dilemas de la relaci6n entre los movi-mientos indigenas y el ambientalismo en Colombia. (Instituto Colombiano de Antropolo-gia e Historia) Bogot6 2004, S. 53-54.Konrad Theodor Preu{3: Forschungsreise zu den K6gaba der Sierra Nevada de Santa Mar-ta. (Administration des ,,Anthropos") Sankt Gabriel Modling bei Wien 1926.Konrad Theodor Preu8 (Hg.), Lehrbuch der Volkerkunde. (Ferdinand Enke) Stuttgart1937.

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    Abb.1a: Priester Jacinto [Garavito] und Hiiuptling Silvestre, Priester Miguel Nolavita von Mukangalakue und mein DolmetscherTrinidad Noivita (Konrad Theodor PreuB: Forschungsreise zu den Kdgaba der Sierra Nevada de Santa Marta,(Administration des ,,Anthropos") Sankt Gabriel Modling beiWien 1926, Abb. 15 und 17, Vdrldskulturmuseet GOteborg,lnv. Nr.3837).

    Abb lb:Priester Jacinto Garavito, Seitenansicht (Konrad Theodor PreuB:Forschungsreise zu den Kiigaba der Sierra Nevada de Santa Marta,(Administration des ,,Anthropos") Sankt Gabriel Modling beiWien

    1926, Abb. 16; Viirldskulturmuseet Goteborg, lnv.-Nr. 3838).

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    erscheint im Werk Preu3' deplaziert, da es fiir die Abbildungen keine Entspre-chung im Text gibt.'Z Bei der Auswahl der veroffentlichten Fotografien konzen-trierte sich Preuss auf sein eigentliches Forschungsinteresse, die Illustration derVerbindung zwischen Mythos und Ritual, d.h. rituelle Tdnze und die dazugehori-ge Paraphernalia.Die Preul3'schen Fotogra{ien und die des schwedischen Ethnologen Gustaf Wil-helm Bolinder (lBSB-1957), der im selben fahr die SNSM bereiste,s konnten un-terschiedlicher nicht sein. Obwohl beide sich tiber einen lingeren Zeitraum inder Region aufhielten, waren die personlichen Umstdnde ihrer Reisen kaum zuvergleichen. Preu8 hatte zu dieser Reise gedrringt, da er bereits 44 lahre alt warund fi.irchtete, dass er zu einem spdteren Zeitpunkt ,,nicht mehr die notwendigeFrische ftir die zu erwartenden Strapazen haben wtirde"e. Bolinder war zLL dieserZeit fast zwanzig lahre jiinger (26 Jahre alt) und reiste mit seiner Frau Ester, dieihr erstes Kind wihrend dieser Reise bekam.r0 Die gro3ere Unbefangenheit mitder sich das Ehepaar Bolinder bei den Ijka bewegte, ist unbestritten und vermit-telt sich auch in der Fotografie (Abb. 2).'rTrotz des zeitlichen Unterschieds, sind die Aufnahmen Friede Scheckers aus Pots-dam (Lebensdaten unbekannt, geb. vermutlich um 1910), denen des Ethnolo-gen Gustaf Bolinder sehr viel dhnlicher, insbesondere in der Inszenierung vonNdhe. Das Bild der europdischen Frau inmitten ihrer ,,Freunde" ist bei Bolinderund Schecker fast identisch. Friede Schecker lie3 sich inmitten einer Gruppe vonFrauen an der Seite ihrer ,,comadre" Evangelina (der Mutter ihres Patenkindes)

    Diese kollegiale Reziprozitdt hat sich im Falle der fotografischen Sammlung KonradTheodor Preul3' als besonders gltrckliche Fiigung erwiesen, da die Originalvergro3erun-gen und die Negative der Fotograhen seiner Forschung in Kolumbien vermutlich bei ei-nem Bombenangriff wihrend des Zweiten Weltkrieges in seiner Berliner Wohnung verlo-ren gegangen sind. Eine Serie von sechzig Fotografien von den Kdgaba, die Preul3 seinemschwedischen Kollegen Erland Nordenskiold verkauft hatte, werden im Vdrldkulturmuse-et in Goteborg aufbewahrt, vgl. Korrespondenz zwischen Konrad Theodor Preull und Er-land Nordenskiold, Ethnologisches Museum Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, StiftungPreufiischer Kulturbesitz, fournal-Nummer 1008/38.Carlos Alberto Uribe Tob6n: Ur-r antrop

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    Abb. 2: ,,Frau Bolinder, ein ljka-Mann mit dem Tochterchen der Frau Bolinder und eine ljka Frau mit Siiugling". (Gustaf Bolinder:Die lndianer der tropischen Schneegebirge. Forschungen im nordlichsten Siidamerika. (Strecker und Schroder) Stuttgart1925, Tafel 32).

    mit dem ,,Patchen" auf dem SchoB fotogra{ieren;'2, ,,Frau Bolinder mit einer IjcaFreundin" entspricht demselben Schema.r3Die linientreue Nationalsozialistin Schecker'* war im Auftrag des AuswdrtigenAmtes von 1935 -1936 an der zu dieser Zeit gro&ten deutschen Schule Kolumbi-ens in Barranquilla als Lehrerin tdtig. Die Reisen, die sie wihrend der Schulferi-en unternahm, fiihrten sie wiederholt in die SNSM. In ihren Reiseerinnerungen,die 1940 unter dem Titel ,,Gliickliche Savannen' erschienen, stellt Schecker Par-allelen, zwischen der indigenen Bevolkerung der SNSM und den Deutschen her:,,Immer wieder drdngte sich mir dort oben der Vergleich mit dem Kampf unse-res neuen Deutschlands auf, der uns voll Wissens um die Wahrheit zu den Quel-len alten Volkstums und alten, aus unserer Landschaft und unserem Blute gewor-denen Glaubensgutes zurtickruft als zu den nattirlichen Quellen unserer Kraft.Dieser Vergleich machte mir die Indios zu etwas Verwandtem, und ich konntemich eines liebevollen Anteilnehmens an ihrem Schicksal und ihrem unermtid-lichen zdhen Widerstand gegen das rassisch Fremde, das auf sie eindringt, nichterwehren."ls

    12 Friede Schecker: Gliickliche Savannen. Kolumbianische Reisen. (Scherl) Berlin 1940, Abb.nach S. 176 unten.13 Bolinder 1925 (Anm. 11), Tafel 37.14 ,,Ich will euch, sowie ich wieder in Barranquillarem Fiihrer schicken." In: Schecker 1940 (Anm.15 Schecker 1940 (Anm. 12), S. 81.

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    bin, ,Mi lucha' (Mein Kampf) von unse-r2), s. t92.

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    Abb.3:,,Vol I Geri ngschiitzungund Argwohn mustert derSohn des Schneegebirgesden Fremden" (FriedeSc hecke r, G I i.rck I i cheSavannen,1940, nachSeite 80, VergroBerung:Ethnologisches Museum,SN4B,Vlll E 5778. Fotografin:Friede Schecker, 1936).

    Der ,,zahe Widerstand gegen das rassisch Fremde" der indigenen Bevolkerungwird an anderer Stelle als eine nattrrliche, selektive Wahrnehmung beschrieben:,,[Eine] Mischung der Rasse geschieht hier oben nie durch den Indio, der einefremdrassige Frau als Weib gar nicht zu sehen scheint."16 Die Fotografien von In-digenen als Reprdsentanten der Natur werden so zu den effizienten Bewahrerndes Eigenen konstruiert und die Portrdts der Ijka damit zu ,,edlen Wilden' stili-siert (Abb.3)." Die Identifikation mit dem unbeugsamen (,,unermiidlich zahenWiderstand" leistenden) Indigenen, wird tiber das Bild hergestellt. Der hier ergln-zende Text fuhrt allerdings einen selektiven Rassismus ein.r8 Schecker, die sich als,,Freundin' und ,,Gevatterin' mit ,,stattlichen' Ijka (Arhuacos) fotografieren lie8,lu3erte sich abtallig uber die K6gaba, die sie in dieses Bild nicht einzuftigen ver-mochte: ,,Kleine komische Gestalten (...) und nicht zu vergleichen mit den stattli-chen, wenn schon auch nicht sehr gro3en Arhuacos, zerlumpt, iibelriechend."'' Inder nationalsozialistisch geprigten Ideologie Scheckers ist somit die ,,Rassenrein-heit" allein nicht ausreichend. Nur in Verbindung mit dem Bewahren von ,,tradi-16 Schecker 1940 (Anm. I2),5.74.17 Ygl. ar-rch Schecker 1940 (Ar-rm. 12), nach Seite 164: ,,Prinz Salvador Domingo, mein Begleiter ins Pelworeich' (Ethnologisches Museum, SMB, VIII E 5791) und ,,Arhuaco |iing-

    ling aus Pauruba, sitzend" (Ethnologisches Museum, SMB, VIII E 5774).1B Vgl. Henrick Stahr: Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus: Darstellungenvon Schwarzen und Indianern in Foto-Text-Artikeln deutscher Wochenillustrierter 1919-1939. (Kovad) Hamburg 2004.19 Schecker 1940 (Anm. l2), S. 176.134 | Manuela Fischer und Augusto 0yuela-Caycedo

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    tionellen Werted' und ,,stattlicher Reprdsentanz ist eine Identifikation rnit dem,,Indio moglich.Die Fotogralien Wouter Bokmas (geboren 1935) aus den I970er bis 1980er lahrenaus der SNSM vermitteln das Bild von Spiritualitit und die Asthetik von Men-schen im ,,Einklang mit der Natur . Beim Fest zur Sommersonnenwende, vonWouter Bokma mehrfach an verschiedenen Orten dokumentiert, kommt noch dieAsthetik der Inszenierung und Choreograhe hinzu. Bokma war von 1968-1974Lehrer ftr Biologie auf der Insel Curaqao, von wo aus er die ersten Reisen in dieSNSM unternahm. Durch den Kapuzinerpater Pio Emilio Cucchiella war Bokmabei den K6gaba eingefiihrt worden. Das vertraute Verhdltnis zum Missionar, seineBereitschaft Hilfslieferungen zur medizinischen Versorgung zu organisieren, er-moglichten ihm die Teilnahme an dem Fest, von dem Fremde (d.h. Nicht-K6gaba,auf Kougian: ialii) normalerweise ausgeschiossen sind-20In der detaillierten Dokumentation des Festablaufes durch den AnthropologenCarlos Alberto Uribe Tobon wird der synchretische Charakter des Festes deut-lich.2r Das in der Strenge der Formen, Farben und Materialen vermeintlich ,,Tra-ditionelle weicht einer Deutung des Festablaufes im Sinne von christlichen fah-resfesten ()ohannisfest) mit karnevalesken Ziigen. Das Fest zur Sonnenwendeinszeniert diese Idee in der Figur des Narren oder Spal3machers, dessen Aufgabees ist, die Welt der Anderen, der Nicht-K6gaba, szenisch darzustellen. Das Fest,als Ausnahmezustand, erfordert die Figur des Narren, der die Verhaltensregelnumkehrt: Er ,,liest u.a. aus Briefen vor, ,,verhaftet Teilnehmer des Festes, ,,beliis-tigt Frauen und ,,fotografiert wrihrend des Festes. Innerhalb der ,,kosmischenArbeitsteilung , wie Uribe es auch genannt hat, 22 gehoren Fotograhen zu den pro-fanen Dingen, deren Herstellung und Gebrauch in der Vorstellung der Kdgaba indie Zustdndigkeit der ,,jiingeren Briider fallen und folglich keine Bedeutung ha-ben diirfen.Die mediale Prdsen z der K6gaba, weit tiber die Grenzen Kolumbiens hinaus,2lscheint zunichst im Widerspruch zur grundsdtzlichen Ablehnung der als profanerachteten Medien der ,,jtingeren Brtider zv stehen. Tatsdchlich werden genaudiese Medien nach dem Prinzip der kosmischen Arbeitsteilung genutzt. Die vonden Kdgaba zur Kommunikation mit den Ahnen vorgesehenen Orte sind iibli-cherweise Felsen, die die versteinerten mythischen Ahnen des vorangegangenenZeitalters verkorpern und das Territorium der Kdgaba markieren. In einem Akt20 Wouter Rokma, personliche Mitteilung. Fotografier-r von Wouter Bokrnas von den Aufent-halten in der SNSM sincl u.a. verolfentlicht in: Pio Ernilio Cr rcchiella: I custodi del saperemitico. Il Popolo Kogi della Colornbia. (L,ditrice Missior-raria ltaliana) Bologna 2004.2l Carlos Albeito Uribe Tob6n: We, the elder Brothers: (lontinr-rity ar-rd Change among the

    Kaggaba of the Sierra Nevada de Santa Marta, Colombia. (UMI Dissertation Services)Ann Arbor 1990.22 Uribe Tobon 1990 (Anm. 21).23 Alan Ereira: The elder brothers warning, siehe: http://www.taironatrust.org/ (letzter Zu-griff: 03.01.2011).Der zeitlose Rahmen I t:s

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    Abb.4. Tanz des Kondors, Fest zum Sommersolstiz in San Franzisco, Sierra Nevada de Santa Marta, Kolumbien (EthnologischesMuseum, SMB, Vlll AmA 989. Fotograf: Wouter Bokma, Juni 1980).

    der Entgrenzllng, der sich auf die Ethnogenese24 beruft, werden Orte auch aul3er-halb des Territoriums der Kdgaba, zum Beispiel sakrale Stdtten der vorspanischenMuisca in der Ndhe der Hauptstadt Bogot6 oder der Sitz transnationaler Orga-nisationen, zu Orten legitimierter Kommunikation. Diese Entgrenzung des heu-te von den Klgaba bewohnten Territoriums ist auf der Grundlage der Ethnogene-se deshalb vorstellbar, da es in der mythischen Vergangenheit eine Einheit bildete.Das Allumfassende des vorhergehenden Zeitalters endete mit dem Erscheinen derSonne, dre Zett und Raum markiert. In diesem neuen Zertaller galt es nun fur die,,d,lteren Briider", die Welt mit den ,,jiingeren' Brtidern zu teilen.Die ,,E,rkldrung zum Schutz der,,Mutter Erde" der ,,Koguis, Kankuamos, Wiwas,Arhuacos der Sierra Nevada de Santa Marta an die Menschheit"2s ist als universa-le Forden-rng formuliert, allerdings werden fiir den Raubbau an der Natur alleindie ,,jiingeren Briider" verantwortlich gemacht. Die Mamas sehen sich als ernzi-ge moralische Autoritdt26, die in der Lage ist, den Schutz der Natur zu gewdhrleis-24 Preuss 1926 (Anm.5), S. 133-153; Gerardo Reichel-Dolmatoff: Los Kogi, Bd. II. (Procul-

    tr-rrer) Bogot6 1985, S. 17-26.http://yiwara.gathacol.net/2008/ 02l28lkoguis-kankuamos-wiwas-arhuacos-de-la-sierra-nevada-de-santamarta-colornbia-hacen-declaracion-a la-humanidad (letzter ZugrilT:02.01.2011).Lorraine Daston/Fernando Vidal: Introduction. In: Lorraine Daston/Fernar-rdo Vidal(Hg.), The moral authority of nature. (The University of Cl-ricago Press) Chicago/London2004, S. 1-23; Jarnes C. Scott: The Moral Economy of the Peasant: Rebellion and Subsis-tence in Sor-rtheast Asia. (Yale University Press) New Haven 1976.

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    ten. Der Widerstand der K6gaba besteht darin, die ethischen Werte ,,der Ande-red' in Bezug auf die Natur zu teilen. Die Okonomie dieser moralischen Autoritdtin Bezug auf die Natur ist das Produkt einer fundamentalistischen religiosen Eth-nogenese, auf der die Identitdt, Subsistenz und die politische Struktur der Kdgabaaufbaut. Die Haltung, die die K6gaba als ,,dltere Bri.ider" heute dazu einnehmen,ist die indigene Reprdsentation der Prisentation indigenen Wissens durch du8ereAgenten, wie z.B. Umweltaktivisten, ein Phdnomen, das fiir andere Regionen derWelt bereits aufgezeigt wurde.27Die kolumbianische Verfassung von IggI,ldsst erstmals die Rechte von ethnischdefinierten Gruppen neben individuellen Rechten 2u.28 Auf dieser Grundlagewurden unter anderem ca. 27 Prozent des kolumbianischen Territoriums auf 3,4Prozent der Bevolkerung ubertragen.2e Tatsdchlich werden Landrecht, Umwelt-schutz und andere offentliche Belange weiterhin von nationalen wie internationa-len Interessen gesteuert.3o Die Landschaft innerhalb des indigenen Territoriums,ist alles andere als durch okologisches Gleichgewicht, Biodiversitit und einen be-wussten Umgang mit der Natur geprrigt (vgl. auch Abb. 5). Das Konstrukt des,,spirituellen Indigenen' gehorcht nun marktwirtschaftlichen Regeln und muss alsvermarktbares Produkt einem Abgleich mit der Realitdt nicht zwangsldufig stand-halten.3rVor der Einftihrung der Verfassung von 1991 war die Integration der ,,zwei Ko-lumbieri' (,,las dos Colombias") ein zentrales Thema, das offentlich verhandeltwurde. Gemeint waren damit die Bewohner von Tiefland und Anden, aber auch

    |. Peter Brosius: Endangered Forest, Endangered People: H,nvironmentalist Represen-tations of Indigenous Knowledge. In: Human Ecology Band 25, 1997,Heft l, S.47-69:Emma Crevone: Los desafios de la etnicidad: las luchas de movimientos indigenas en lamodernidad. In: |ournal of Latin American Anthropology Band 4, 1998, Heft I, 5.46-73sowie Arturo Escobar: Whose knowledge, Whose nature? Biodiversity, Conservation, andthe Political Ecology of Social Movements. In: journal of Political Ecology Band 5, 1998,s. s3-82.Donna Lee Van Cott: The friendly liquidation of the past: The politics of diversity in LatinAmerica. (University of Pittsburgh Press) Pittsburgh 2000; Roque Rolddn Ortega: PueblosIndigenas y Leyes en Colombia (Tercer Mundo Editores) Bogotd 2000.Die indigene Bevolkerung belduft sich nach dem Zensus von 2005 auf 1.392.623 Einwoh-ner, dies entspricht 3.36 Prozent der kolumbianischen Gesamtbevolkerung.; von ihnen le-ben956.679 in Reservaten mit einer Ausdehnung von 32.77L000 Hektar, was 27.3 Pro-zent des nationalen Territoriums entspricht (http://www.mincultura.gov.co/index.php?idcategoria=26027;lelzter Zugriff:27.03.2011); Alberto Chirif/Pedro Garcia Hierro: Mar-cando territorio; procesos y limitaciones de territorios indigenas en la Amazonia. (IW-GIA) Kopenhagen 2007, S. 67.United Nations Development Program: http://content.undp.org/go/newsrooml2006lseptember/indgenas- de-1a-sierra-nevada-a-washington-para-transmitir-mensaje-sobre-conservacin - del- ecosistema-y- convocar- apoyo - internacional. es;jsessionid=axbWzt. . .?categorylD =41217 5 &lang-es.Online-Feature von National Geographic: Die Bewohner der SNSM als ,,Keeper of theWorld" http://ngm.nationalgeographic.com/ngm/04l0lfeature3lindex.html (letzter Zu-griff: 16.01.201 1). http://wwwnature.org/wherewework/southamerica/colombia/work/art30144.html.

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    Abb 5:Mama Domingo Salavata, Tal des Rio Hukumeiii, SierraNevada de Santa [i arta, Kolumbien (Fotograf: Augusto0yuela-Caycedo, Januar 1985).

    die politische Macht des Nationalstaates gegeniiber der E,influBnahme durch indi-gene politische Organisationen. Die ersten Reprdsentanten indigener politischerOrganisationen mit medialer Prisenz waren in den l970er lahren die Nasa-Paezund Guambiano aus dem Departement Cauca im Stiden des Landes.32 Mit derVerfassung von 1991 und den darin verankerten indigenen Sonderrechten wur-de die mediale Inszenierung einer politischen Beziehung zwischen Reprdsentan-ten des Nationalstaates und Fiihrern indigener Organisation obsolet. Das Bild des,,politischen Indigened' wurde nun vom Bild des ,,spirituellen Indigenen' abge-lost. Der Besuch des designierten kolumbianischen Staatsprdsidenten luan Manu-el Santos bet Mama.s in der SNSM wenige Stunden vor seiner offiziellen Amtsein-ftihrung am 7. August 201033 wird so zu einem Akt der Herrschaftslegitimierung

    Der ,,Consejo Regional Indigena del Cauca" (CRIC), wurde 1971 gegrtindet und ist die dl-teste indigene politische Organisation Kolumbiens. Zum Thema der Entstehung indigenerOrganisationen in Kolumbien insbesondere der Nasa, Chami und Guambianos vgl. LuisGuillermo Vasco: Entre selva y pdramo, viviedo y pensando la h-rcha india. (ICANH) Bo-got6 2002.http://www.flickr.com/photos/santospresidentel486g4L)5980/in/photostream/; http://theaccidentalmonk.com/20 1 0/unprecedented-presidential-oath/.

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    durch E,ntgrenzung.3a Das Bild des kolumbianischen Prdsidenten, barfu3 und inwei8er Kleidung, reproduziert in diesem zeitlosen Rahmen das Bild der morali-schen Autoritdt. Die Ikone des ,,K6gaba als moralische Autoritdt der Natur" warschlie3lich iiber einen langen Zeitraum konstruiert worden. Alle politischen Ak-teure des nun ,,griineri' Zeitalters nutzen diesen zeitlosen Rahmen um ihren je-weiligen Anspruch in einer moralischen Okonomie mit diesen als Ware zirkulie-renden Bildern zu legitimieren.

    34 Gilles Deleuze/F6lix Guattari: Mille Plateaux. Capitalisme et Schizophrdnie 2. (Les Edi-tions de Minuit) Paris 1980, S. 503-505; Nicolas Thoburn: Patterns of Production. Cultu-ral Studies after Hegemony. In: Theory, Culture and Society Band24,2007,}{eft 3, S.90,Anm. 7. ,,Assemblages are tetravalent, comprised of content (states of things, bodies) andexpression (regimes of signs, utterances) in reciprocal presuppositions, and degrees of ter-ritoriality and deterritorialization'.

    Der zeitlose Rahmen | 139