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VO Antike III: Griechische Polis und römische Res publica (© Christian Rohr 2005) 1 VO Antike III: Griechische Polis und römische Res publica Pädagogische Akademie der Diözese Linz Wintersemester 2005/06 Dr. Christian ROHR Die ersten Hochkulturen in Europa: Kreta und Mykene Doppeläxte und Delphine – Die minoische Kultur auf Kreta Um 2000 v. Chr. entwickelte sich auf der Insel Kreta die erste Hochkultur auf europäischem Boden. Wichtigstes Merkmal dieser Kultur sind die großen Paläste in Knossos, Phaistos und an anderen Orten. Sie waren zugleich Königssitz und wirtschaftlicher Mittelpunkt eines Stadtstaates (Polis). Darun- ter ist ein Herrschaftsgebiet zu verstehen, in dessen Zentrum sich eine Stadt mit dem Palast befindet und zu der nur noch das Umland gehört. Das Um- land der Stadtstaaten auf Kreta war unterschiedlich groß: Knossos umfasste nicht nur den Norden der Insel Kreta, sondern auch viele Inseln bis hin zum griechischen Festland. Die Paläste bestanden aus einem großen Innenhof, der für kultische und sportliche Darbietungen genützt wurde, und einem Labyrinth aus Zimmern, Gängen und Räumen zur Aufbewahrung der Vorräte. An den Wänden wa- ren die Paläste mit Malereien geschmückt, auf denen vor allem Tiere und sportlich-religiöse Szenen dargestellt sind. Insgesamt macht diese Kultur daher einen unkriegerischen Eindruck. Die Minoer verwendeten die so genannte Linear A-Schrift, die bis heute noch nicht entziffert ist. Auf den Tontäfelchen dürften vor allem wirtschaftli- che Aufzeichnungen enthalten sein. Die Macht der Minoer erstreckte sich in ihrer Blütezeit über den gesamten Meeresbereich südlich von Kreta bis nach Athen. Warum die Kultur um 1400 v. Chr. unterging, ist nicht restlos geklärt. Nach früheren Theorien verursachte ein gewaltiger Vulkanausbruch auf der Insel Santorin eine Springflut, die auch den Palast von Knossos zerstörte; heute ist diese These eindeutig widerlegt. Vermutlich waren Krisen im Inneren der Hauptgrund für den Machtverlust der Minoer; Stämme vom griechischen Festland dürften bei Angriffen ein leichtes Spiel gehabt haben. Kriegerische Stadtstaaten – Die Mykener Um 2000 v. Chr. drangen im Zuge von Wanderungsbewegungen auf dem Balkan die Ionier und Achäer auf das griechische Festland vor. Sie wurden ab etwa 1700 v. Chr. zu den Trägern einer Kultur, die aus Stadtstaaten be- stand. Die wichtigste dieser Städte war Mykene auf der südgriechischen Halbinsel Peloponnes. Im Gegensatz zur minoischen Kultur dürfte die mykenische Kultur viel krie- gerischer gewesen sein, wie bildliche Darstellungen aus dieser Zeit vermu- ten lassen. Um 1400 v. Chr. waren die Mykener und andere Stadtstaaten wohl mitverantwortlich für den Untergang der minoischen Stadtstaaten. Die Mykener verwendeten die so genannte Linear B-Schrift, die erst seit den 1950er-Jahren entziffert ist. Neben den Palästen mit mächtigen Mauern sind auch die Grabmäler der Mykener bemerkenswert, bei denen erstmals Kup- pelbauten anzutreffen sind. Die Gründe für den Untergang der mykenischen Kultur sind nicht ganz klar: Um 1200 v. Chr. drangen im Zuge des so genannten „Seevölkersturms“ nicht näher bekannte Völker aus dem östlichen Mittelmeer ein und waren an der Zerstörung der mykenischen Stadtstaaten beteiligt. Unter diesen „Seevölkern“ dürften sich auch die Etrusker befunden haben, die schließlich im Gebiet der heutigen Toskana nördlich von Rom siedelten und zu den Wegbereitern der römischen Kultur wurden. Sagen aus der mykenischen Zeit Zur mykenischen Kultur existieren viele Sagen, die einen Blick auf die Le- bensumstände und auf die Grundzüge der historischen Entwicklung gewäh- Minoische Kultur benannt nach dem sa- genhaften König Minos, der angeblich den Pa- last von Knossos erbauen ließ. Labyrinth Das Wort könnte vom griechischen Wort für „Doppelaxt“ stammen. Die Doppelaxt war das „Herrschaftszeichen“ der Herren von Knossos und ist im verwinkelten Palast von Knossos häufig zu finden. Ande- re Deutungen leiten das Wort Labyrinth aber von einem Reigentanz ab. Tontäfelchen mit Linear A-Schrift (Nachzeich- nung) „Schatzhaus des Atreus“, ein Kuppelgrab in Mykene (14. Jh. v. Chr.). Die Abbildung gibt den Zustand zur Zeit der Aus- grabungen Heinrich Schliemanns in den 1870er-Jahren wieder.

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VO Antike III: Griechische Polis und römische Res publica Pädagogische Akademie der Diözese Linz Wintersemester 2005/06 Dr. Christian ROHR

Die ersten Hochkulturen in Europa: Kreta und Mykene Doppeläxte und Delphine – Die minoische Kultur auf Kreta Um 2000 v. Chr. entwickelte sich auf der Insel Kreta die erste Hochkultur auf europäischem Boden. Wichtigstes Merkmal dieser Kultur sind die großen Paläste in Knossos, Phaistos und an anderen Orten. Sie waren zugleich Königssitz und wirtschaftlicher Mittelpunkt eines Stadtstaates (Polis). Darun-ter ist ein Herrschaftsgebiet zu verstehen, in dessen Zentrum sich eine Stadt mit dem Palast befindet und zu der nur noch das Umland gehört. Das Um-land der Stadtstaaten auf Kreta war unterschiedlich groß: Knossos umfasste nicht nur den Norden der Insel Kreta, sondern auch viele Inseln bis hin zum griechischen Festland. Die Paläste bestanden aus einem großen Innenhof, der für kultische und sportliche Darbietungen genützt wurde, und einem Labyrinth aus Zimmern, Gängen und Räumen zur Aufbewahrung der Vorräte. An den Wänden wa-ren die Paläste mit Malereien geschmückt, auf denen vor allem Tiere und sportlich-religiöse Szenen dargestellt sind. Insgesamt macht diese Kultur daher einen unkriegerischen Eindruck. Die Minoer verwendeten die so genannte Linear A-Schrift, die bis heute noch nicht entziffert ist. Auf den Tontäfelchen dürften vor allem wirtschaftli-che Aufzeichnungen enthalten sein. Die Macht der Minoer erstreckte sich in ihrer Blütezeit über den gesamten Meeresbereich südlich von Kreta bis nach Athen. Warum die Kultur um 1400 v. Chr. unterging, ist nicht restlos geklärt. Nach früheren Theorien verursachte ein gewaltiger Vulkanausbruch auf der Insel Santorin eine Springflut, die auch den Palast von Knossos zerstörte; heute ist diese These eindeutig widerlegt. Vermutlich waren Krisen im Inneren der Hauptgrund für den Machtverlust der Minoer; Stämme vom griechischen Festland dürften bei Angriffen ein leichtes Spiel gehabt haben. Kriegerische Stadtstaaten – Die Mykener Um 2000 v. Chr. drangen im Zuge von Wanderungsbewegungen auf dem Balkan die Ionier und Achäer auf das griechische Festland vor. Sie wurden ab etwa 1700 v. Chr. zu den Trägern einer Kultur, die aus Stadtstaaten be-stand. Die wichtigste dieser Städte war Mykene auf der südgriechischen Halbinsel Peloponnes. Im Gegensatz zur minoischen Kultur dürfte die mykenische Kultur viel krie-gerischer gewesen sein, wie bildliche Darstellungen aus dieser Zeit vermu-ten lassen. Um 1400 v. Chr. waren die Mykener und andere Stadtstaaten wohl mitverantwortlich für den Untergang der minoischen Stadtstaaten. Die Mykener verwendeten die so genannte Linear B-Schrift, die erst seit den 1950er-Jahren entziffert ist. Neben den Palästen mit mächtigen Mauern sind auch die Grabmäler der Mykener bemerkenswert, bei denen erstmals Kup-pelbauten anzutreffen sind. Die Gründe für den Untergang der mykenischen Kultur sind nicht ganz klar: Um 1200 v. Chr. drangen im Zuge des so genannten „Seevölkersturms“ nicht näher bekannte Völker aus dem östlichen Mittelmeer ein und waren an der Zerstörung der mykenischen Stadtstaaten beteiligt. Unter diesen „Seevölkern“ dürften sich auch die Etrusker befunden haben, die schließlich im Gebiet der heutigen Toskana nördlich von Rom siedelten und zu den Wegbereitern der römischen Kultur wurden. Sagen aus der mykenischen Zeit Zur mykenischen Kultur existieren viele Sagen, die einen Blick auf die Le-bensumstände und auf die Grundzüge der historischen Entwicklung gewäh-

Minoische Kultur benannt nach dem sa-genhaften König Minos, der angeblich den Pa-last von Knossos erbauen ließ. Labyrinth Das Wort könnte vom griechischen Wort für „Doppelaxt“ stammen. Die Doppelaxt war das „Herrschaftszeichen“ der Herren von Knossos und ist im verwinkelten Palast von Knossos häufig zu finden. Ande-re Deutungen leiten das Wort Labyrinth aber von einem Reigentanz ab.

Tontäfelchen mit Linear A-Schrift (Nachzeich-nung)

„Schatzhaus des Atreus“, ein Kuppelgrab in Mykene (14. Jh. v. Chr.). Die Abbildung gibt den Zustand zur Zeit der Aus-grabungen Heinrich Schliemanns in den 1870er-Jahren wieder.

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ren. Sie wurden über viele Generationen von fahrenden Sängern mündlich weitergegeben. Im 8. Jh. v. Chr. erzählte der Dichter Homer in seiner „Ilias“ vom Krieg der Mykener und anderer Griechen gegen die Stadt Troja, die auf der asiatischen Seite der Meerenge zwischen Europa und Asien lag. Dieser Erzählung nach unterlag Troja nach jahrelangem Kampf, weil die Mykener durch eine List in die Stadt gelangten: Die Krieger versteckten sich in einem hölzernen Pferd, das als „Götteropfer“ vor den Toren Trojas stand und von den Trojanern in die Stadt gezogen wurde. In der Nacht schlüpften die My-kener aus dem Pferd und besiegten die Trojaner. In einem zweiten Epos, der „Odyssee“, berichtet Homer von den Irrfahrten des griechischen Helden Odysseus auf seinem Heimweg von Troja nach Ithaka, eine Stadt auf der Insel Korfu im Westen Griechenlands.

Ilias Homer trug die 15675 Verse seines Gedichts, aufgeteilt in 24 Gesän-ge, mündlich auf Adels-höfen vor. Erst später wurde es auch schrift-lich festgehalten. Der Name des feierlichen Gedicht (Epos), leitet sich von Ilion, einer anderen Bezeichnung für die Stadt Troja, her.

Arbeitsfragen zum Text: • Nenne die Hauptmerkmale der minoischen und der mykenischen Kultur! Arbeite dabei Gemein-

samkeiten und Unterschiede heraus! • Was weißt du über den sagenhaften Krieg um Troja aus Spielfilmen, Dokumentationen, Büchern

und dem Internet?

Materialien Der mykenische Alltag im Spiegel der Dichtungen Homers Der Dichter Homer lebte im 8. Jh. v. Chr. und ist damit vermutlich der älteste namentlich bekannte Autor der Weltliteratur. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammt er aus den um 1000 v. Chr. gegründeten ionischen Kolonien in Kleinasien, vielleicht aus Smyrna (heute Izmir). Die heutige Forschung geht davon aus, dass es sich bei Homer um einen fahrenden Sänger (Rhapsoden) gehandelt habe, der mündlich überliefertes Sagengut in hexametrischen Gesängen vortrug. Er dürfte dabei von Adelshof zu Adelshof gezogen sein und pro Abend einen Gesang mit einer Phorminx, dem Vorläufer der Leier, vorgetragen haben. Solche Rhapsoden hielten sich im südslawischen Raum bis ins frühe 20. Jh. n. Chr. Vermutlich in der zweiten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr., also zu Lebzeiten des Autors, wurden die beiden Werke Homers auch schriftlich festgehalten. Sie sind in einer archaischen Form des Griechi-schen abgefasst. Die „Ilias“ erzählt in fast 16000 Versen vom Krieg um Troja, wobei sich die menschliche (und bis zu einem gewissen Grad historische) Ebene und die sagenhaft-göttliche Ebene stets vermischen; die Griechen stellten sich ihre Götter anthropomorph, also vom Charakter den Menschen ähnlich, aber unsterblich vor. Ausgangspunkt des Streits zwischen Trojanern und einer Allianz aus Mykenern und anderen Griechen war der Streit zwischen den drei Göttinnen Hera (Gattin des Zeus), Artemis (Weis-heit, Jagd) und Aphrodite (Schönheit, Liebe), wer von ihnen die schönste sei. Der trojanische Königs-sohn Paris entschied sich für Aphrodite und bekam als Dank die schöne Helena versprochen, die allerdings schon mit dem Mykener Menelaos verheiratet war. Paris raubte daher Helena aus Mykene, worauf ein zehn Jahre andauernder Krieg ausbrach, in dem ein Teil der Götter auf griechischer, ein anderer Teil auf trojanischer Seite stand. Die Beschreibung Homers konzentriert sich auf fünfzig Tage des letzten Kriegsjahres, wobei ausführliche Beschreibungen der Helden sowie deren Kämpfe unter-einander im Vordergrund stehen. Frühere Ereignisse fließen zum Teil in Rückblenden ein. Den Höhe-punkt bildet der Kampf des Griechen Achilles gegen den Trojaner Hektor, bei dem Letzterer fällt. Troja wird schließlich durch eine List eingenommen: Die Griechen ziehen scheinbar ab, stellen aber ein hölzernes Pferd, angeblich ein Göttergeschenk, vor die Tore Trojas. Die Trojaner ziehen das Pferd, in dem sich griechische Kämpfer verbergen in die Stadt und werden in der darauf folgenden Nacht nie-dergemetzelt. Die etwas kürzere „Odyssee“ erzählt von den zehn Jahre andauernden Irrfahrten des griechischen Helden Odysseus bei seiner Rückkehr aus Troja. Er wird dabei zahlreichen Gefahren und Verlockun-gen ausgesetzt. Bei seiner Heimkehr nach Ithaka im Westen Griechenlands muss er erst die Freier besiegen, die seiner Gattin Penelope zusetzen. Beide Werke übten eine gewaltige Wirkung auf die Weltliteratur bis heute aus: In der griechischen Tragödie, etwa in den „Troerinnen“ des Euripides (415 v. Chr.), wurden Einzelaspekte wieder aufge-nommen. Der römische Nationaldichter Vergil modellierte seine „Aeneis“ ganz an den beiden Werken (19 v. Chr.), aber auch im Mittelalter und in der Neuzeit war der Trojastoff immer wieder aktuell, bis hin zum „Ulysses“ des James Joyce.

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Der Kampf um Troja war lange Jahrhunderte als sagenhaft abgetan worden, bis schließlich der deut-sche Kaufmann und Hobby-Archäologe Heinrich Schliemann (1822-1890) in den 1870er-Jahren Troja tatsächlich fand. Seine Ausgrabungen in Troja, die von 1870 bis zu seinem Tod andauerten, und in Mykene (1876) waren auf der einen Seite noch von einer gewissen Schatzsuchermentalität geprägt, durch die gerade bei den früheren Ausgrabungen mehr zerstört als freigelegt wurde, doch war Schliemann schließlich mitverantwortlich für die Entwicklung der Analyse von einzelnen Kulturschich-ten. Der Burgberg von Troja (heute Hisarlik) liegt nahe der Dardanellen auf der asiatischen Seite. Die spektakulären Goldfunde aus Mykene, u.a. der so genannte „Schatz des Priamos“ gelangten zum einen Teil in das Nationalmuseum in Athen, zum anderen Teil in das Berliner Museum für Ur- und Frühgeschichte. Dort verschwanden die Prunkstücke der Schliemann’schen Ausgrabungen vorerst spurlos im Zuge der sowjetischen Eroberung Berlins 1945. Im Jahr 1993 wurde bekannt, dass sie seitdem im Moskauer Puschkin-Museum verwahrt werden; 1996 wurden die Exponate erstmals wie-der der Öffentlichkeit präsentiert. Die ausgewählte Passage stammt aus der berühmten Schildbeschreibung aus dem 18. Gesang der „Ilias“: Hephaistos, der Gott des Feuers, schmiedet für Achilles einen wunderbaren Schild, der weitge-hend aus Gold besteht und mit einem Relief geschmückt ist, das zahlreiche Szenen aus dem mykeni-schen Alltag beinhaltet. Es ist davon auszugehen, dass sich darin sowohl die Zeit Homers als auch die Zeit des trojanischen Krieges widerspiegelt. „... da waren Schnitter beim Mähen, scharfe Sicheln in der Hand haltend. Da fielen teils die Büschel ... dicht nacheinander zur Erde, teils banden Garbenbinder sie mit Strohseilen. Drei Garbenbinder standen da, doch hinter ihnen nahmen Knaben die Büschel auf, brachten sie in den Armen getragen und reichten sie unablässig zu. Und der König stand unter ihnen in Schweigen, den Stab in den Händen, ... erfreut im Herzen. Und Herolde richteten abseits unter einer Eiche das Mahl, hatten ein Rind geschlachtet, ein großes, und besorgten es, und die Frauen mengten zum Mahl für die Schnitter viel weiße Gerste. Und auf den Schild setzte Hephaistos einen mit Trauben schwer behangenen Weinberg, einen schönen, aus Gold, und schwarz waren auf ihm die Trauben, und bestanden war er mit Pfählen durch und durch, silbernen. Da zog er beiderseits entlang einen Graben ... und rundherum einen Zaun aus Zinn. Und ein einziger Pfad war darauf: Da schritten die Winzer einher, wenn sie abernteten den Weinberg. Und Mädchen und junge Männer trugen frohgemut in geflochtenen Körben die honigsüße Frucht. Und mitten unter ihnen schlug ein Knabe die helle Leier, lieblich, und sang dazu ... mit zarter Stimme. Die anderen aber stampften im Takt und folgten mit Singen und Jauchzen, mit den Füßen springend.“ (Homer, Ilias, 18. Gesang, Vers 550-571, 8. Jh. v. Chr., leicht gekürzt; zitiert nach der Übertragung von Wolfgang Schadewaldt, Frankfurt am Main 1975, S. 321 f.) Arbeitsaufgabe: • Wie wird das Landleben zur Zeit der Mykener bzw. zur Zeit Homers beschrieben?

Die griechische Kolonisation und ihre Auswirkungen auf den Mittelmeer- und Schwarzmeer-raum

Die „dunklen Jahrhunderte“ Über die Zeit nach dem Untergang der mykenischen Kultur ist nicht viel bekannt. Nur wenige Kunstobjekte haben sich aus der Zeit zwischen 1200 und 800 v. Chr. erhalten – und vor allem gibt es keine schriftlichen Überres-te. Man spricht daher in der Forschung häufig von den „dunklen Jahrhunder-ten“. Freilich fanden in dieser Periode zahlreiche Entwicklungen statt, die für die Entstehung der klassisch-griechischen Kultur von großer Bedeutung waren: Über Vermittlung der Phönizier im östlichen Mittelmeer gelangte eine

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Buchstabenschrift nach Griechenland, aus der sich das griechische Alpha-bet entwickelte. In mehreren Wellen wanderten Völker, etwa die Ionier, Äo-ler, Dorer und Nordwestgriechen, aus dem Balkanraum in Griechenland ein und brachten neue Fertigkeiten und Kunststile mit sich. Ein Teil dieser Zu-wanderer zog aber bald weiter und suchte an der kleinasiatischen Küste in der heutigen Westtürkei neue Siedlungsgebiete. Man spricht dabei von der ersten, älteren Welle der griechischen Kolonisation um 1000 v. Chr. Die Entstehung von Kolonien Griechenland ist ein von Gebirgen durchzogenes, in manchen Regionen eher unfruchtbares Land, sodass die neuen Machtzentren kleinräumig blie-ben. Um 1000 v. Chr. waren daher am griechischen Festland zahlreiche Stadtstaaten (Poleis) und keine überregionalen Reiche entstanden; diese prägten später, in der klassischen Zeit, die Landkarte Griechenlands. Durch die Zuwanderungswellen aus dem Norden wurde der Platz in den Stadtstaa-ten schon bald zu eng, sodass ein Teil der Bevölkerung seine Heimat ver-ließ. Diese Auswanderer gründeten in einer zweiten, jüngeren Kolonisati-onsperiode (ab etwa 750 v. Chr.) im gesamten Mittelmeerraum und an der Küste des Schwarzen Meeres Kolonien. Die Kolonien wurden nach dem Vorbild der Mutterstädte in Griechenland gestaltet. Die politische Organisation, aber auch die Bräuche in den Toch-terkolonien richteten sich nach den Mutterstädten. Mit diesen standen die Kolonien zumeist in regem Kontakt standen, waren ihnen aber nicht unter-worfen. Wichtig wurden vor allem die Städte an der Westküste Kleinasiens (Milet, Pergamon, in späterer Zeit Ephesos), Byzantion (später Konstantinopel, heute Istanbul), die Städte auf Sizilien, in Süditalien und am westlichen Mit-telmeer (z. B. Massalia, heute Marseille in Südfrankreich). Auch als die Rö-mer in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten alle griechischen Kolonien in ihr Reich eingliederten, behielten die Griechenstädte noch lange eine gewisse Selbstverwaltung und ihre griechischen Traditionen.

Die Verbreitung griechischer Kolonien im Mittelmeer- und Schwarzmeer-raum

Amphore (1,62 m hohes Gefäß) im so genannten geometrischen Stil (A-then, Nationalmuseum, 8. Jh. v. Chr.) Unter dem geometrischen Stil versteht man die Art, wie zwischen dem 11. Jh. und etwa 700 v. Chr. Ton-gefäße verziert wurden. Nicht Menschen-, Tier- oder Pflanzendarstellun-gen stehen im Mittelpunkt, sondern verschiedene Formen von Bändern.

„Poseidontempel“ in der griechischen Kolonie Poseidonia (Paestum) in Süditalien (5. Jh. v. Chr.)

Arbeitsfragen zum Text: • Stelle mit Hilfe einer aktuellen Karte fest, in welchen Ländern die griechischen Kolonien heute

liegen! • Welche früheren Kolonien sind heute noch bedeutende Städte?

Materialien Die griechische Kolonie Ephesos Die griechische Kolonie Ephesos (heute Selçuk in der Türkei) wurde um 1000 v. Chr. von Ioniern ge-gründet. Sie entstand an einem alten Kultplatz für eine kleinasiatische Muttergottheit. Dieser Kult ver-schmolz immer mehr mit jenem für die griechische Göttin Artemis, die auf diese Weise nicht nur zur Göttin der Weisheit und der Jagd, sondern auch zu einer Muttergottheit wurde. Man errichtete ihr im 6. Jahrhundert einen gewaltigen Tempel, das Artemision, das 356 v. Chr. durch einen Brand zerstört und

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in den Jahrzehnten danach wieder aufgebaut wurde. Der zweite Tempel, von dem heute nur noch eine Säule erhalten ist, zählte in der Antike zu den sieben Weltwundern. Zudem hatte Ephesos eine überregionale Bedeutung als Handelsstadt, vor allem seitdem die Nachbarstadt und Konkurrentin Milet von den Persern zerstört wurde. Als die Römer im 2. und 1. Jh. v. Chr. die kleinasiatische Küste eroberten, machten sie Ephesos zur Hauptstadt der römischen Provinz Asia. Somit erlebte die Stadt ihre Blüte in den Jahrhunderten vor und nach der Zeitenwende. Sie wuchs damals zu einer der größten Städte der römischen Welt. In Ephesos entwickelte sich auch bald eine christliche Gemeinde, an die der Apostel Paulus einen seiner Briefe richtete, die heute Bestandteil des Neuen Testaments sind. Zudem soll sich in der Nähe des alten Artemis-Tempels das Grabmal des Evangelisten Johannes befinden. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird die griechisch-römische Stadt Ephesos von österreichischen ArchäologInnen ausgegraben und unter größter Vorsicht mit modernsten Methoden rekonstruiert. Besonderes internationales Aufsehen erregte die Rekonstruktion einer Fassade aus dem 2. Jh. n. Chr., die zur Bibliothek des vornehmen Bürgers Celsus gehörte. Zahlreiche Funde blieben nicht in Ephesos selbst, sondern gelangten nach Wien, wo sich in der Hofburg ein eigenes Ephesos-Museum befindet. Arbeitsaufgabe: • Lebendige Archäologie: Versuche weitere Informationen über Ephesos und die österreichischen

Ausgrabungen in Ephesos zu finden (Bücher, Internet, Reiseführer, Ephesosmuseum in Wien)! Die Gefahren der Seefahrt im Lichte des Mythos: Der Bericht über die Klippen von Skylla und Charyb-dis in der Odyssee des Homer Die Odyssee, eines der beiden großen Epen Homers aus dem 8. Jahrhundert. berichtet von der Heim-fahrt des griechischen Helden Odysseus von Troja nach Ithaka, einer Insel im Nordwesten Griechen-lands. Er wird dabei durch den Zorn der Troja-freundlichen Götter auf eine Irrfahrt durch fast das ge-samte Mittelmeer geschickt. Er muss dabei auch die Straße von Messina, die Meerenge zwischen dem italienischen Festland und Sizilien, passieren, vor deren Gefahren ihn die Zauberin Kirke warnt. „Dorthin drohn zwei Felsen: der eine berühret den Himmel Mit dem spitzigen Gipfel, vom düsterblauen Gewölke Rings umhüllt, das nimmer zerfließt; und nimmer erhellen Heitere Tage den Gipfel, im Sommer oder im Herbste Keiner vermöchte hinauf und keiner hinunter zu steigen, Wenn er auch zwanzig Händ’ und zwanzig Füße bewegte; Denn der Stein ist so glatt, als wär’ er ringsum behauen. In der Mitte des Felsens ist eine benachtete Höhle, Abendwärts, gewandt nach des Erebos’1 Gegend, allwo ihr Euer gebogenes Schiff vorbeilenkt, edler Odysseus. Von dem Boden des Schiffes vermöchte der fertigste Schütze Nicht den gefiederten Pfeil bis an die Höhle zu schnellen. Diese Höhle bewohnt die fürchterlich bellende Skylla, Deren Stimme hell, wie der jungen saugenden Hunde Winseln tönt, sie selbst ein gräuliches Scheusal, dass niemand Ihrer Gestalt sich freuet, wenn auch ein Gott ihr begegnet. Siehe das Ungeheuer hat zwölf abscheuliche Klauen, Und sechs Häls’ unglaublicher Läng’, auf jeglichem Halse Einen grässlichen Kopf, mit dreifachen Reihen gespitzter Dichtgeschlossener Zähne voll schwarzes Todes bewaffnet. Bis an die Mitte steckt ihr Leib in der Höhle des Felsens, Aber die Köpfe bewegt sie hervor aus dem schrecklichen Abgrund, Blickt heißhungrig umher und fischt sich rings um den Felsen Meerhund’ oft und Delphine und oft noch ein größeres Seewild, Aus der unzähligen Schar der brausenden Amphitrite2. Noch kein kühner Pilot, der an Skyllas Felsen vorbeifuhr,

1 Personifikation der Finsternis im griechischen Mythos, dessen Wohnstatt bei Sonnenuntergang ver-mutet wurde 2 Königin des Meeres, Gattin des Meeresgottes Poseidon

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Rühmt sich verschont zu sein; sie schwinget in jeglichem Rachen Einen geraubten Mann aus dem blaugeschnäbelten Schiffe. Doch weit niedriger ist der andere Felsen, Odysseus, Und dem ersten so nahe, dass ihn der Bogen erreichte. Dort ist ein Feigenbaum mit großen belaubten Ästen; Drunter lauert Charybdis, die wasserstrudelnde Göttin. Dreimal gurgelt sie täglich es aus und schlurfet es dreimal Schrecklich hinein. Weh dir, wofern du der Schlurfenden nahest! Selbst Poseidon könnte dich nicht dem Verderben entreißen: Drum steure du dicht an Skyllas Felsen und rudre Schnell mit dem Schiffe davon. Es ist doch besser, Odysseus, Sechs Gefährten im Schiff zu vermissen als alle mit einmal!“ (Homer, Odyssee, 12. Gesang, Vers 73-110 Arbeitsaufgaben: • Welche Gefahren der Seefahrt beschreibt Homer mit der Geschichte um Skylla und Charybdis? • Welcher Stilmittel bedient sich der Autor, um die Darstellung der Gefahren noch zu betonen? • Welche Rückschlüsse können aus diesem Text auf die Phase der griechischen Kolonisation im

Mittelmeerraum gewonnen werden?

Organisationsformen der griechischen Polis Die griechische Polis Die Kleinräumigkeit der griechischen Landschaften brachte es mit sich, dass sich die Machtverhältnisse in den einzelnen Stadtstaaten (Poleis) recht unterschiedlich entwickelten. Fast überall vollzog sich zwischen dem 8. und 4. Jahrhundert ein allmählicher Übergang im Inneren der Polis: Herrschafts-formen, in denen nur einzelne oder eine kleine Gruppe regierte, wurden von Formen, in denen große Teile des Volkes das Recht zur Mitbestimmung hatten, abgelöst. Die griechischen Poleis sahen sich als eigenständige Staaten an; zwischen ihnen kam es sehr häufig zu Rivalitäten, aber auch zu Bündnissen. Es galt das ungeschriebene Gesetz, dass keiner der Stadtstaa-ten eine allzu dominierende Rolle einnehmen dürfe. Athens Weg zur Demokratie Bis zum 7. Jh. v. Chr. regierten in Athen Könige. Diese Herrschaft von ein-zelnen, bei denen die Führungsposition erblich war, wird Monarchie ge-nannt. Darauf folgte eine Adelsherrschaft (Aristokratie), bei der nur reiche adelige Grundbesitzer zur Regierung zugelassen waren. An der Spitze der Aristokratie standen drei Archonten als oberste Regierungsbeamte, die für je ein Jahr bestimmt wurden. Ihnen stand ein Adelsrat als beratendes Organ zur Seite. Einer dieser Archonten war Drakon (um 620 v. Chr.), der sich nach bürgerkriegsähnlichen Tumulten gezwungen sah, das bisher nur mündlich festgehaltene Gesetz schriftlich festzuhalten. Die besondere Strenge dieser Gesetze wurde sprichwörtlich: noch heute spricht man von „drakonischen Maßnahmen“. Der Archon Solon (um 594/593 v. Chr.) leitete Reformen ein, die schließlich den Weg zur ersten wirklichen Demokratie der Weltgeschichte ebneten. Eine wichtige Voraussetzung dafür bildete die Befreiung der Bauern aus ihrer finanziellen und körperlichen Abhängigkeit von den Adeligen; damit wurde das alte System der adeligen Grundherrschaft zerschlagen. Diese Entwicklung verlief nicht ohne Widerstand: Adelige lehnten sich dagegen auf und rissen in Athen die Macht an sich; für über 50 Jahre regierten Ty-rannen (Alleinherrscher) die Stadt. Erst der Archon Kleisthenes (um 508 v. Chr.) konnte die demokratischen Reformen Solons zu Ende führen. Die athenische Demokratie Die Athener Bürger aus Stadt, Land und Küstenregion wurden in insgesamt zehn Phylen (Wahlkreise) eingeteilt, die jeweils 50 Vertreter in den „Rat der

Polis griech. „Stadtstaat“; Plu-ral: Poleis; davon abge-leitet Politik = das, was in der Polis geschieht. Monarchie griech. „Herrschaft ei-nes einzelnen“ Aristokratie griech. „Herrschaft der Besten (Adeligen)“ Demokratie griech. „Herrschaft des Volkes“ Tyrannis griech. „Herrschaft ei-nes Tyrannen (Allein-herrscher, der seine Position nicht durch Erbrecht erlangt hat)“ Areopag Hügel in Sthen, auf dem zur Zeit der Aristokratie

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500“ entsandten. Diese Versammlung (Bulé) hatte das Recht, Gesetze vor-zuschlagen, die dann von der allgemeinen Volksversammlung, der Ekklesia, beschlossen wurden. Die Ekklesia wählte auch die zehn Strategen, die die Führung des Heeres innehatten, sowie die neun Archonten, die im weites-ten Sinn mit den Ministern einer modernen Regierung vergleichbar sind. In der Ekklesia konnte auch über die Absetzung und Verbannung der führen-den Staatsmänner abgestimmt werden: Die Bürger schrieben in diesem Fall den Namen des zu Verbannenden auf eine Tonscherbe; dieser „Misstrau-ensantrag“ wird Scherbengericht (Ostrakismos) genannt. Die hohe Ge-richtsbarkeit oblag schließlich dem Areopag, die geringeren Straftaten wur-den durch ein Volksgericht abgehandelt. Im Laufe des 5. Jh. v. Chr. wurde das demokratische System weiter verfei-nert, besonders unter der Regierung des Perikles (495/490-429). Dieser ließ allen politisch Verantwortlichen Diäten (Taggelder) auszahlen; das sollte möglichst vielen Bürgern ermöglichen, politisch aktiv zu werden. Alle freien männlichen Bürger des Stadtstaates besaßen gleiches politi-sches Mitspracherecht. Die Gleichberechtigung aller freien Staatsbürger gehört bis heute zu den Grundpfeilern einer jeden Demokratie. Noch zu Solons Zeiten waren die Bürger in Klassen eingeteilt, wobei nur Bürger der drei höheren Klassen zu Abgeordneten gewählt werden konnten. Insgesamt waren etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung zur politischen Mitsprache zugelassen, nicht aber die Frauen, Kinder, Sklaven und Metöken. Allein die Sklaven dürften aber etwa ein Drittel der athenischen Bevölkerung ausge-macht haben.

Die athenische Demokratie

der nach ihm benannte Alte Rat tagte. In klassi-scher Zeit (5. Jh. v. Chr.) oblag dem Areo-pag nur mehr die Blut-gerichtsbarkeit, d.h. die Entscheidung über Le-ben und Tod bei schwe-ren Delikten. Metöken Fremde, die für längere Zeit in der Polis ansäs-sig waren, also etwa auch Bürger aus ande-ren Poleis, die als Kauf-leute in Athen lebten.

Arbeitsfragen zum Text: • Fasse die wichtigsten Stationen auf dem Weg von der Monarchie zur Demokratie zusammen!

Über welchen Zeitraum erstreckte sich diese Entwicklung? • Versuche anhand des Schemas zur athenischen Demokratie herauszufinden, in welchen Berei-

chen das gemeine Volk direkte Mitsprache hatte! • Moderne Demokratien sind durch das Modell der Gewaltenteilung gekennzeichnet. Um welche

Gewalten handelt es sich und welche Bereiche der athenischen Demokratie entsprachen diesen?

Materialien Das Vergleichsbeispiel Sparta Die Entwicklungen im dorischen Stadtstaat Sparta auf der südgriechischen Halbinsel Peloponnes verliefen völlig anders als in Athen. Schon während der „dunklen Jahrhunderte“ hatten sich die Spar-taner durch eine konsequente Eroberungspolitik immer mehr ausgedehnt, verzichteten aber im Ge-gensatz zu den meisten anderen Stadtstaaten auf Kolonien. In der klassischen Zeit im 5. Jahrhundert war das spartanische Herrschaftsgebiet auf etwa 8400 km² angewachsen und bildete damit die mit Anstand größte Polis in ganz Griechenland. Mit der Ausdehnung Spartas ging auch eine radikale Mili-tarisierung der Bevölkerung einher.

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Nur ein kleiner Kreis besaß das spartanische Bürgerrecht, da dieses erst mit 30 Jahren und nur den legitimen Kindern spartanischer Vollbürger gewährt wurde. Zudem musste das Kind nach seiner Ge-burt eine Überprüfung der gesundheitlichen Verfassung über sich ergehen lassen, die darüber ent-schied, ob das Kind überhaupt aufgezogen oder ausgesetzt wurde. Schon im Alter von sieben Jahren begann die militärische Erziehung der Knaben abseits der Familie, die erst mit dreißig Jahren abge-schlossen war. Danach durfte ein Spartaner keiner Feldarbeit nachgehen – dafür waren die unfreien Heloten vorgesehen –, um stets für den Militäreinsatz bereit zu stehen. Frauen, Kinder und Heloten (Sklaven, meist aus der vordorischen Bevölkerung) durften wie in Athen nicht in der Politik mitbestimmen, ebenso nicht die so genannten Periöken („Umwohner“). Darunter fielen zum Teil die übrigen dorischen Zuwanderer, die während der „dunklen Jahrhunderte“ auf die Peloponnes gekommen waren, aber auch die Bewohner der schrittweise in den spartanischen Stadt-staat eingegliederten Gemeinden; in den etwa 100 Periökenstädten wohnten schätzungsweise 40000-60000 Periöken. Sie waren zur Heerfolge verpflichtet; sie durften allerdings die öffentlichen Angele-genheiten in ihren Gemeinden autonom regeln und auch Land besitzen. Abgesehen von den großen gesellschaftlichen Unterschieden sind durchaus auch einige Parallelen zwischen dem athenischen und spartanischen System zu erkennen: Die freien Bürger Spartas konn-ten ebenfalls in einer Volksversammlung Gesetze beschließen. Der Rat der Alten, die Gerusia, hatte zwar keine demokratische Legitimierung wie der athenische „Rat der 500“, hatte aber durchaus ähnli-che Kompetenzen. Die fünf Ephoren wiederum sind mit den neun Archonten ebenfalls vergleichbar. Die beiden Könige hatten vor allem die Aufgabe der Heeresführung, eine Aufgabe, die in Athen den von der Volksversammlung gewählten Strategen zukam. Der oft betonte extreme Gegensatz zwischen Athen und Sparta ist daher bei genauerem Hinsehen – zumindest was die Verfassung betrifft – nicht ganz so groß, selbst die Legitimierung der Ämter durch demokratische Wahlen fehlt in Sparta nicht: Die 28 Mitglieder der Gerusia (sie mussten mindestens 60 Jahre alt sein) wurden von der Volksver-sammlung auf Lebenszeit gewählt, ebenso wurden die Ephoren jeweils für ein Jahr gewählt. Über die Verfassung der Spartiaten (Spartaner) wissen wir am meisten aus der Biographie des sa-genhaften Gesetzgebers Lykurgos des Griechisch schreibenden Plutarch (ca. 46-120 n. Chr.). Ob seine Schilderungen im Detail immer zutreffend sind oder nicht vielmehr schon ein „Sparta-Mythos“ überliefert ist, muss dahingestellt bleiben.

Die „Verfassung“ Spartas Arbeitsaufgaben: • Die spartanische Gesellschaft war extrem durch das Heer geprägt. Wie spiegelt sich dieser Um-

stand in der spartanischen Verfassung wider? • Vergleiche die beiden Grafiken zum politischen System in Athen und Sparta: Welche Unterschie-

de und Parallelen kannst du erkennen? Militärische Erziehung im antiken Sparta Der sagenhafte Gesetzgeber Lykurgos, der irgendwann zwischen dem 9. und 6. Jh. v. Chr. gelebt haben soll, war nach der Meinung der antiken Schriftsteller für das spartanische Gesellschaftssystem verantwortlich.

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„Die Knaben der Spartaner aber gab Lykurgos nicht in die Hände von gekauften oder gemieteten Pä-dagogen, noch durfte jeder seinen Sohn halten und aufziehen, wie er wollte, sondern er nahm selbst alle, sobald sie sieben Jahre alt waren, zu sich und teilte sie in ‚Horden’, in denen sie miteinander aufwuchsen, erzogen und gewöhnt wurden, beim Spiel wie bei ernster Beschäftigung immer beisam-men zu sein. Als Führer der ‚Horden’ wählten sie sich denjenigen, der sich durch Klugheit und Kamp-fesmut auszeichnete. Auf ihn blickten sie, hörten auf seine Befehle und unterwarfen sich seinen Stra-fen, sodass die Erziehung wesentlich in der Übung im Gehorsam bestand. Bei ihren Spielen pflegten die Älteren zuzusehen und öfters Streitigkeiten ... unter ihnen zu erregen, um so gründlich zu erpro-ben, wie der Charakter eines jeden Jungen beschaffen war zu wagen und im Kampf nicht auszurei-ßen. Lesen und Schreiben lernten sie nur so viel, wie sie brauchten; die ganze übrige Erziehung war darauf gerichtet, dass sie pünktlich gehorchen, Strapazen ertragen und im Kampfe siegen lernten. (Plutarch, Lykurgos 16, um 100 n. Chr., gekürzt; zitiert nach Walter Arend, Geschichte in Quellen 1: Altertum, München 1965, S. 143 f.) Arbeitsaufgaben: • Beschreibe die Prinzipien, nach denen die Knaben im antiken Sparta erzogen wurden! • Welche Folgen bringt deiner Meinung nach eine solche Erziehung für die Gesellschaft?

Von den Perserkriegen zu Alexander Das Weltreich der Perser Das Weltreich der Perser erstreckte sich um das Jahr 500 v. Chr. von Indien bis zur Meerenge zwischen Europa und Asien und bis nach Ägypten. Ein Großkönig regierte abwechselnd in einer von vier Hauptstädten. Das Groß-reich war straff organisiert: dies wurde vor allem durch ein gut ausgebautes Straßennetz und durch ein funktionierendes System von Statthaltern (Sat-rapen) ermöglicht. Im Zuge der persischen Ausdehnung nach Kleinasien wurden in der zweiten Hälfte des 6. Jh. die griechischen Kolonien an der Westküste Kleinasiens militärisch ins Perserreich eingegliedert. In den Jah-ren 500-494 v. Chr. erhoben sich die kleinasiatischen Griechenstädte unter der Führung der Stadt Milet gegen die Perser, konnten aber gegen die Ü-bermacht nichts ausrichten. Die Perserkriege In der Folgezeit versuchten die Perser ihre Macht auch auf Griechenland auszudehnen: Zunächst drangen die Perser unter König Dareios I. im Jahr 490 v. Chr. in Griechenland ein, doch konnten sich die griechischen Stadt-staaten mit vereinten Kräften in der Schlacht von Marathon bei Athen ver-teidigen. Zehn Jahre später rückten die Truppen des Königs Xerxes (486-465 v. Chr.) wieder bis nach Griechenland vor: Schon seine Schiffbrücke über die Meerenge zwischen Asien und Europa wurde in der gesamten Antike als militärische Wunderleistung angesehen. Erneut schlossen sich die ansonsten zerstrittenen griechischen Stadtstaaten zu einer Koalition zusammen. Nach wechselhaftem Kriegsverlauf gelang es den Athenern, die Perser in einer Seeschlacht zu besiegen und die persischen Landstreitkräfte auf dem Rückzug stark zu dezimieren. In der Folgezeit war das Perserreich zu sehr mit inneren Problemen beschäftigt, sodass weitere Angriffe ausblie-ben. Auch wenn die griechische Kultur im 5. und 4. Jh. ihre bedeutendsten Leis-tungen in Literatur und Wissenschaft und Kunst hervorbrachte, nahm die politische Macht der Stadtstaaten immer mehr ab: Ständige innergriechi-sche Auseinandersetzungen schwächten die griechischen Poleis bis nahe an den Untergang. Dazu kamen einige innenpolitische Skandale, die die Macht von Staaten wie Athen entscheidend verringerten. Im 4. Jh. v. Chr. standen schließlich fast alle Stadtstaaten vor dem wirtschaftlichen und poli-tischen Ruin. Alexanders Großreichsidee Die allgemeine Schwäche nutzte schließlich der König von Makedonien,

Königliche persische Leibgarde (emailliertes Ziegelrelief im Königs-palast von Susa) Das Relief, das sich heute im Pariser Louvre-Museum befindet, zeigt die Leib-wächter in voller Pracht: die Kleidung besteht aus wertvollen Stoffen, die Köcher sind mit Gazellen-fell überzogen. Der Marathonlauf Nach dem überra-schenden Sieg der ver-einigten griechischen Stadtstaaten lief ein Bote die Strecke von Marathon nach Athen und verkündete die Siegesbotschaft. Man nimmt an, dass er dabei eine Strecke von rund 42 km zurücklegte. Zur sportlichen Disziplin wurde der Marathonlauf

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Philipp II. (359-336 v. Chr.), aus, der von Nordgriechenland aus die griechi-schen Stadtstaaten eroberte; er schuf damit erstmals einen Staat, der ganz Griechenland umfasste. Der Sohn Philipps, Alexander (336-323 v. Chr.), führte die Eroberungszüge seines Vaters fort, indem er über 150 Jahre nach den Perserkriegen die Griechenstädte in Kleinasien von den Persern „be-freien“ wollte. Dieser Aspekt bildete aber nur den Vorwand für eine brutale Eroberungspolitik. Binnen weniger Jahre gelang es Alexander, das gesamte Perserreich, Ägypten und die Gebiete bis nach Indien zu erobern. Alexander versuchte auch, die verschiedenartigen Kulturen miteinander zu verschmelzen, indem er beispielsweise seine Soldaten in Massenhochzei-ten mit Perserinnen verheiratete. Er selbst übernahm für sich die Vereh-rungsformen, die auch seinen Vorgängern in den eroberten Ländern zuteil geworden war. In Ägypten wurde er als Gott und Pharao verehrt, in Persien mit Kniefall als Großkönig. Alexanders Lebenswerk blieb unvollendet, weil er noch in jungen Jahren an einer Seuche verstarb. Die Diadochenreiche Nach Alexanders Tod gab es keinen offensichtlichen Thronfolger, sodass die wichtigsten Generäle das Reich unter sich aufteilten. Diese griechischen Feldherrn begründeten in ihren Teilreichen Herrscherdynastien, die zwar Griechisch sprachen, aber in ähnlicher Weise regierten wie die Herrscher in diesen Ländern vor Alexander. Man bezeichnet diese Reiche als Diado-chenreiche (Diadochen = Nachfolger). In Ägypten begründete der Feldherr Ptolemäus die Dynastie der Ptolemäer, die als letzte (30.) Dynastie der Pha-raonen gezählt wird. Aus dieser Dynastie stammte auch Kleopatra (gestor-ben 30 v. Chr.), die Griechin war und gleichzeitig göttlich als Pharaonin ver-ehrt wurde. Parallel zu Ptolemäus begründete der Feldherr Seleukos das nach ihm benannte Seleukidenreich, das sich von Syrien bis nach Persien zog und erst im 1. Jh. v. Chr. von den Römern erobert wurde.

aber erst bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, 1896 in Athen. Alexander: der Große? Die umfassenden Er-oberungszüge brachten Alexander schon zu seiner Zeit den Beinamen „der Große“ ein. Generationen von Historikern der Neuzeit folgten den Geschichts-schreibern der Antike. Kleopatra VII. von Ägypten Im Gegensatz zum weit verbreiteten Klischee dürfte die „wahre“ Kleo-patra eine äußerlich eher unscheinbare, allerdings sehr dynami-sche Frau gewesen sein.

Arbeitsfragen zum Text: • Nenne die wichtigsten Stützen des persischen Weltreichs! • Warum konnten sich die Griechen gegen die Perser behaupten, nicht aber gegen Philipp II. und

Alexander? • Wären die Leistungen Alexanders nach heutigen Wertmaßstäben geeignet, im den Beinamen „der

Große“ zu verleihen? Begründe deine Meinung!

Materialien Die Eroberungszüge Alexanders

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Alexander in der Schlacht gegen den Perserkönig Dareios Das Alexandermosaik stammt vermutlich aus dem 2. Jh. v. Chr. und wurde 1831 in der Casa del Fau-no in Pompeji freigelegt. Es misst 2,71 x 5,12 m und diente als Fußboden. Vielleicht geht es direkt auf ein Gemälde zurück, das Philexomenos von Eretria kurz nach dem Tod Alexanders für den makedoni-schen Diadochen Kassander anfertigte. Das Mosaik befindet sich heute im Nationalmuseum von Nea-pel. Die Schlachtendarstellung zeigt Alexander im Kampf mit dem Perserkönig Dareios III. Mangels ge-nauer Hinweise wird nicht erkenntlich, welche Schlacht abgebildet ist. Von links stürzt sich Alexander auf dem Pferd reitend ins Schlachtgetümmel, während Dareios versucht, seinen Streitwagen zur Flucht umzulenken. Im Gegensatz zu Alexander wirkt er hilflos und entsetzt. Nur zwei Perser, die sich zwischen ihn und Alexander werfen, können ihm das Leben retten. Das Mosaik vermittelt einen sehr lebhaften und wohl auch recht realistischen Eindruck von den Schlachten Alexanders. Die Truppen mit den langen Lanzen entsprechen ganz der militärischen Praxis des 5. und 4. Jh. v. Chr. Alexander zog tatsächlich selbst in zentraler Rolle in die Schlacht. Bis ins 19. Jh. (Franz Joseph in der Schlacht von Solferino 1859) war es zumeist üblich, dass der Herrscher seine Truppen persönlich an vorderster Front anführte.

Probleme beim Heereszug Die Person Alexanders faszinierte schon die griechischen und römischen Historiker der Antike. Zu seinem Leben sind mehrere antike Biografien erhalten, die aber allesamt aus der Zeit nach der Zei-tenwende stammen und daher in einem großen zeitlichen Abstand zu den Ereignissen stehen. Der griechische Historiker und Biograph Arrian (ca. 95-175 n. Chr.) konnte sich aber mit einiger Sicherheit auf die zeitgenössischen Berichte des Ptolemaios und Aristobulos stützen, die wiederum Zugang zu den offiziellen Hoftagebüchern (Ephemeriden) gehabt haben dürften. Er ist somit in seiner Glaubwür-digkeit höher einzuschätzen als die griechischsprachige Biographie des Plutarch (ca. 46-120 n. Chr., Parallelvita Alexander – Caesar) und die lateinischsprachige des Q. Curtius Rufus (2. Jh. n. Chr., „Historia Alexandri Magni“ = „Geschichte Alexanders des Großen“). Letztere Biographie war aber be-sonders im Mittelalter ein Bestseller und prägte dadurch das heroisierende Alexanderbild bis in die Neuzeit. Die folgende Passage berichtet von der Meuterei der Soldaten, zu der es kam, als Alexander plante, weiter nach Indien vorzustoßen. Ganz dem Stil seiner Zeit legt Curtius Rufus Wert auf eine emotionale Erzählweise, die besonders in der ausgewählten Textstelle zum Tragen kommt. Sie zeigt deutlicher als jede andere Passage die Auswirkungen der jahrelangen Strapazen auf die griechisch-makedonischen Soldaten Alexanders.

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„Darauf sprach Koinos3: ... Wenn du also auf deinem Willen bestehst, so werden wir selbst ohne Waf-fen ... und bis aufs Blut erschöpft, wie es dir immer gefällt, folgen oder vorangehen. Willst du jedoch die Stimme deiner Soldaten hören, die kein Trug ersonnen, sondern die äußerste Not ihnen ausge-presst hat, so leihe, bitten wir, denen ein geneigtes Ohr, die mit der größten Standhaftigkeit deinem Befehl und deiner Führung gefolgt sind, und wohin du ferner gehst, folgen werden. Du hast, o König, durch die Größe deiner Taten nicht nur die Feinde, sondern auch deine Soldaten besiegt. Was immer in der Macht von Menschen stand, haben wir vollführt. Meere und Länder haben wir durchzogen, so-dass uns alles besser bekannt ist als den eigenen Bewohnern. Fast am äußersten Ende der Welt stehen wir jetzt. Du willst weiter in einen anderen Weltteil vordringen und suchst ein Indien, das selbst den Indern unbekannt ist. ... Denn deine Tatkraft wird immer noch wachsen, mit unserer Kraft ist es bereits am Ende. Siehe diese bis aufs Blut erschöpften Leiber, durch so viele Wunden verstümmelt, von so vielen Narben angefressen. Die Waffen sind bereits stumpf, die Rüstungen morsch. Persische Kleider legen wir an, weil sich keine aus der Heimat herbeischaffen lassen. ...“ (Q. Curtius Rufus, Historia Alexandri Magni 9,3,5-10; 2. Jh. n. Chr., gekürzt; zitiert nach der Überset-zung von Gabriele John, Essen/Stuttgart 1987, S. 290 f.) Arbeitsaufgaben: • Welches Bild vermitteln Karte, Mosaik und Text über Alexander? Begründe deine Meinung! • Stelle anhand der Karte und einer aktuellen politischen Karte fest, in welche heutigen Länder Ale-

xander mit seinem Heer kam! • Mit welchen Problemen hatten Alexander und seine Truppen zu kämpfen? Vergleiche den Bericht

mit der Route des Kriegszugs auf der Karte!

Grundzüge der römischen Republik Die Anfänge Roms Die Anfänge Roms und Italiens liegen im Dunkeln. In mehreren Wellen wanderten Völker ein: von Norden die Italiker und Menschen mit keltischer Kultur, vom Süden die Griechen, die an der Küste ihre Kolonien gründeten, und aus Kleinasien die Etrusker, die in der heutigen Toskana siedelten. Die Griechen und Etrusker entwickelten schon bald Kulturen, die über eine Schrift verfügten. Beide Völker verstanden es, kunstvolle Nutzbauten wie beispielweise Gräber, Kanäle und Wasserleitungen zu errichten; ihr techni-sches Wissen wurde später von den Römern übernommen. Auf dem Gebiet der Stadt Rom entwickelte sich nur langsam ein kleines Königreich unter dem Einfluss der Etrusker. Diese Königszeit dauerte an-geblich von der sagenhaften Gründung der Stadt Rom im Jahr 753 v. Chr. bis zur Vertreibung des letzten Königs im Jahr 510 v. Chr. In der römischen Geschichtsschreibung aus den beiden Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt wurde die Königszeit als in höchstem Maß verwerf-lich angesehen. „König“ werden zu wollen war politisch in keiner Weise duldbar. Als Gaius Iulius Caesar fast 500 Jahre nach dem Ende der Königs-zeit den Königstitel anstrebte, bedeutete dies für ihn das Todesurteil. Die politischen Ämter Zwei Prinzipien prägten alle regulären Ämter in der römischen Republik: Jedes Amt wurde gemäß der Annuität den Amtsträgern nur für ein Jahr übertragen; das Prinzip der Kollegialität besagte, dass jedes Amt mit min-destens zwei gleichrangigen Personen besetzt wurde, die sich gegenseitig kontrollieren und sogar blockieren konnten. An der Spitze der römischen Republik standen zwei Konsuln, die vor allem den Oberbefehl über das Heer innehatten. Die nächstniedrigere Beam-tenstufe waren die Prätoren, die für die Gerichte zuständig und somit die obersten Richter waren. Ursprünglich gab es nur zwei Prätoren, später je-doch bis zu zehn. Weiters folgten die Ädilen, die für Polizei und Marktauf-sicht zuständig waren, sowie die Quästoren, denen die Finanzverwaltung oblag. Ein politisch aktiver Römer bekleidete während seiner Karriere zu-

Römische Wölfin mit Romulus und Remus (Rom, Kapitolinische Museen, 6. Jh. v. Chr.) Der Sage nach standen die Zwillingsbrüder am Beginn der Stadt Roms: Sie wurden angeblich von einer Wölfin aufgezogen – damit könnte in der Reali-tät eine Prostituierte ge-meint sein: das lateinische Wort lupa bedeutet beides. Republik Das lateinische Fremd-wort Republik (res publica) bedeutet „Sa-che des Volkes“. In einer Republik wird das Staatsoberhaupt nicht aufgrund seiner Ab-stammung bestimmt, sondern kommt über

3 Sprecher der meuternden Soldaten.

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nächst das Quästorenamt und konnte dann jeweils bei einem bestimmten Mindestalter auf die nächsthöhere Stufe aufsteigen. Zusätzlich wurde in unregelmäßigen Abständen ein Zensor bestimmt, der die Aufgabe hatte, die Höhe der zu entrichtenden Steuern neu festzusetzen und bei politischen Skandalen als „moralische Autorität“ durchzugreifen. Das Amt des Zensors war nur auf die Dauer der nötigen Arbeiten be-schränkt und wurde von einer einzigen Person ausgeführt. Weiters war in äußersten Krisenzeiten die Wahl eines Diktators auf höchstens sechs Mo-nate möglich, der den alleinigen Befehl über das Heer ausübte, etwa wenn beide Konsuln im Krieg gefallen waren und weiterhin Gefahr drohte. Das Amt eines Diktators war ein reines Krisenamt und hatte damals noch keiner-lei negative Bedeutung. Der Senat Neben den römischen Beamten bestimmte der Senat als Beratungsorgan die Politik. Im Senat befanden sich alle, die jemals das Amt eines Quästors, Ädils, Prätors oder Konsuls innegehabt hatten; er wurde also nicht gewählt. Im Gegensatz zu einem modernen Parlament beschloss der Senat keine Gesetze, sondern regte sie nur an. Das Gesetz wurde schließlich von einem der beiden Konsuln erlassen. Es gab zwei Richtungen im Senat, die aber nicht mit politischen Parteien vergleichbar sind, sondern eher mit Weltan-schauungen: Die Optimaten traten für eine konservative Politik ein, die auf die alten Rechte der Oberschicht – ihre eigenen Rechte – bedacht war: die Mittel- und Unterschichten sollten weiterhin von politischer Betätigung weit-gehend ausgeschlossen bleiben. Die Popularen hingegen versuchten, auch die sozialen Probleme der Unterschichten zu lösen; sie strebten beispiels-weise nach Reformen in der Landwirtschaft, um die Not der verarmten Kleinbauern zu lindern. Die Entwicklung der republikanische Verfassung Die Entwicklung zur voll ausgebildeten republikanischen Verfassung vollzog sich in mehreren Stufen über einen Zeitraum von über 200 Jahren: Zu-nächst besaß nur eine kleine adelige Oberschicht politisches Mitsprache-recht, im Laufe der Zeit alle freien männlichen Bürger von Rom. Sklaven, Frauen, aber auch die Bewohner von neu eroberten Gebieten besaßen keinerlei politischen Rechte. In den so genannten Ständekämpfen am Beginn der Republikszeit (494-287 v. Chr.) versuchten die Plebejer, d. h. die Mittel- und Unterschichten, politi-sches Mitspracherecht in Rom zu erlangen, da alle Ämter in den Händen einer alteingesessenen Adelsschicht (Patrizier) lagen. Dieser Konflikt be-gann mit dem Auszug der Plebejer, vor allem der Handwerker, aus Rom. Sie zeigten damit, dass sie für Rom unverzichtbar waren. Im Laufe der Ständekämpfe erreichten die Plebejer: • die Aufzeichnung des damals geltenden Rechts (Zwölftafelgesetz,

451/450 v. Chr.) • die Aufhebung des Eheverbots zwischen Patriziern und Plebejern (445

v. Chr.) • die Einführung des Volkstribunats, d. h. eines Anwalts aus den Reihen

der Plebejer. Der Volkstribun konnte jedes Gesetz, das auch Plebejer betraf, mit seinem Veto beeinspruchen.

• den Zugang der Plebejer zu allen politischen Ämtern. Einer der beiden Konsuln musste ein Plebejer sein.

Durch die neuen politischen Möglichkeiten der Plebejer glichen sich die sozialen Unterschiede zwischen altem Adel und aufstrebender Mittelschicht immer mehr aus. Allein einige Priesterämter standen weiterhin nur den Pat-riziern offen. Soziale Konflikte Der Unterschied zwischen reich und arm wurde in Rom immer größer: Auf der einen Seite standen die Patrizier und aufstrebenden Plebejer, die poli-tisch tätig waren oder auf großen Grundbesitz zurückgreifen konnten. Auf

demokratische Wahlen oder mit Gewalt an die Macht.

Ein Zensor bei der Ar-beit (Römisches Relief, 1. Jh. v. Chr., Detail) Die wichtigste Aufgabe des Zensors bestand darin, alle fünf Jahre das Volk von Rom zu zählen und in Steuer-klassen einzuteilen und diese Ergebnisse auf Tafeln schriftlich festzu-halten. Wahlen durch die Volksversammlung Alle regulären römi-schen Beamten (Quästoren, Ädilen, Prätoren, Konsuln) wur-den von der Volksver-sammlung gewählt. Darin waren alle freien römischen Bürger, die am Wahltag auf dem Forum, dem politischen Zentrum Roms, zu-sammenkamen, zur Stimmabgabe berech-tigt. Die Bewerber um ein politisches Amt in-vestierten daher Un-summen in Wahlwer-bung (Gratisverkösti-gung, Zirkusspiele) und verschuldeten sich da-bei im Normalfall. Die hohe Verschuldung konnte erst beglichen werden, wenn man das Amt erreicht hatte und sich dabei bereicherte, was bis zu einem ge-wissen Grad auch er-laubt war. Der Volkstribun wurde allein von der nichtade-

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der anderen Seite nahm die Größe der Unterschichten, des Proletariats, immer mehr zu, weil auch zahlreiche verarmte Bauern vom Land in die Stadt zogen. Während der vielen Kriege in Italien war das Land verwüstet worden; die Bauern hatten zudem während ihres Militärdienstes ihre Felder unbestellt lassen müssen. Das frei gewordene Ackerland gelangte zumeist in die Hände der Großgrundbesitzer, die ihre landwirtschaftlichen Betriebe (Latifundien) von einer Vielzahl von Sklaven bewirtschaften ließen. Auch in der Stadt konnten die Zuzügler vom Land kaum Arbeit finden, weil der Groß-teil der Arbeiten auch dort von Sklaven verrichtet wurde. Ein Grund für die verstärkten sozialen Probleme, die im 2. und 1. Jh. v. Chr. ihren Höhepunkt erreichten, lag in der Überschwemmung des römischen Arbeitsmarktes mit Sklaven. Diese waren zumeist Kriegsgefangene aus neu eroberten Provinzen und übten die unterschiedlichsten Tätigkeiten aus, von Landarbeiter über Koch bis hin zum Hauslehrer. Sklaven waren völlig recht-los und konnten als „Sache“ am Sklavenmarkt eingekauft werden. Ihre Be-handlung hing freilich sehr von ihrem Einsatzgebiet ab: zahlreiche Sklaven wurden etwa im Testament ihres Herren freigelassen. In den Jahren 73-71 v. Chr. kam es unter der Führung des Sklaven Spartacus zu einem großen Sklavenaufstand, der für mehrere Jahre ganz Italien erschütterte. Er wurde aber schließlich niedergeschlagen. Die römischen Unterschichten blieben durch die Zunahme der Sklavenwirt-schaft in Rom in großer Zahl beschäftigungslos. Als Klienten wurden sie von einem Gönner (Patron) versorgt, der ihnen täglich ihre Essensration zu-kommen ließ. Die römischen Politiker versuchten, die explosive soziale La-ge zu beruhigen, indem sie für „Brot und Spiele“ sorgten. Jedem Bürger von Rom wurde seine Brotration garantiert und durch Zirkus- und Gladiatoren-spiele Abwechslung geboten. Reformversuche, wie die der Volkstribunen Tiberius und Gaius Gracchus (133 bzw. 123 v. Chr.), die auf eine Neuvertei-lung des Ackerbodens in Italien hinzielten, scheiterten am Widerstand der Oberschicht.

ligen Bevölkerung ge-wählt, der Zensor und der Diktator wurden vom Senat bestimmt.

Arbeitsfragen zum Text: • Denke an die wichtigsten Ämter der römischen Verfassung und ihre Tätigkeitsbereiche: Wer ist

heute in Österreich für diese Bereiche zuständig?! • Skizziere die Ursachen und Folgen der sozialen Probleme Roms während der Republikszeit! • Welche Bereiche der republikanischen Verfassung Roms tragen Züge einer Demokratie, welche

nicht? Begründe deine Meinung!

Materialien Das Leben der Unterschichten im antiken Rom Aus dem Zwölftafelgesetz Die Lex duodecim tabularum (Zwölftafelgesetz) war das erste echte Zugeständnis der Patrizier an die Plebejer. Zuständig für die Rechtsprechung waren zur Zeit seiner Entstehung (um 451/450 v. Chr.) rein die Patrizier, weil damals nur sie das Amt eines Prätors bekleiden konnten. Durch die Aufzeich-nung und öffentliche Kundmachung der Gesetze wurde zumindest so weit Rechtssicherheit garantiert, dass Willkür ausgeschlossen wurde. Die ausgewählte Textpassage zur Behandlung von Schuldnern zeigt – bei aller Strenge der Bestimmungen – dass nun Mindeststandards eingehalten werden muss-ten, was die Fristen für die Begleichung der Schulden und die Behandlung der gefangenen Schuldner betraf. Selbst eine gütliche Einigung ist möglich. Das Zwölftafelgesetz war, wie der Name schon sagt, in zwölf Bronzetafeln eingeritzt, die auf dem Forum Romanum öffentlich aufgestellt wurden. Beim An-griff der Gallier auf Rom im Jahr 387 v. Chr. wurden sie weitgehend zerstört, sodass heute nur noch einige Fragmente erhalten sind. Zudem dürfte es schon in früherer Zeit Aufzeichnungen darüber ge-geben haben, auf die sich spätere Autoren wie der Historiker Livius in augustäischer Zeit stützen konnten. Die Bronzetafeln sind heute noch in Bruchstücken und durch Zitate bei späteren Autoren erhalten und gelten als eines der frühesten Sprachdenkmäler für die lateinische Sprache.

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„1. NACH DEM RECHT DER [gerichtlich] ANERKANNTEN GELDSCHULD UND BEI RECHTSKRÄFTIG ENTSCHIEDE-NEN SACHEN SOLLEN 30 TAGE [Erfüllungsfrist] ZU RECHT BESTEHEN. 2. DANACH SOLL DIE ERGREIFUNG [des Schuldners] STATTHAFT SEIN, ER [= der Gläubiger] SOLL IHN VOR GERICHT FÜHREN. 3. ERFÜLLT ER SEINE URTEILSVERPFLICHTUNG NICHT ODER ÜBERNIMMT NIEMAND FÜR IHN VOR GERICHT BÜRGSCHAFT, SOLL IHN DER GLÄUBIGER MIT SICH FÜHREN, FESSELN, ENTWEDER MIT EINEM SACK ODER MIT FUßFESSELN IM GEWICHT VON 15 PFUND, NICHT MIT STÄRKEREN, WENN ER ABER WILL, MIT LEICHTEREN. 4. WENN [der Schuldner] WILL, SOLL ER SICH SELBST VERPFLEGEN. GESCHIEHT DAS NICHT, SOLL IHN [der Gläubiger], DER IHN GEFESSELT HAT, TÄGLICH MIT EINEM PFUND SPELTBREI

4 VERSORGEN. WENN ER WILL, SOLL ER MEHR GEBEN. 5. Es bestand jedoch das Recht, in der Zwischenzeit die Sache gütlich beizulegen. Kam es aber nicht dazu, wurden [die Schuldner] 60 Tage in Haft gehalten. Innerhalb dieser Tage wurden sie an drei auf-einander folgenden Markttagen zum Prätor ... gebracht und es wurde ausgerufen, zu welcher Geld-schuldhöhe sie verurteilt waren. Am dritten Tag wurden die Schuldner entweder getötet oder ... ins Ausland verkauft.“ (Zwölftafelgesetz, Tafel 3, um 451/450 v. Chr., leicht gekürzt; Punkt 5 ist nur indirekt durch Livius, Libri ab urbe condita 8, 28, 8 überliefert; zitiert nach Walter Arend, Geschichte in Quellen 1: Altertum, Mün-chen 1965, S. 395) Arbeitsaufgaben: • Fasse zusammen, wie nach dem Zwölftafelgesetz mit einem Schuldner verfahren wurde! • Welche Bestimmungen wurden vermutlich von den Plebejern als Erleichterung bzw. Zugeständnis

empfunden? Großgrundbesitzer und Kleinbauern Die freien Kleinbauern Mittelitaliens litten in doppelter Hinsicht unter den ständigen Kriegen, die Rom gegen seine Nachbarn führte: zum einen mussten sie Kriegsdienst leisten, sodass ihr Land während dieser Zeit unbebaut bleib, zum anderen wurde ihr Land oft durch die Kampfhandlungen in Mitleiden-schaft gezogen. Der griechischsprachige Historiker Appianos aus Alexandria schrieb im 2. Jh. n. Chr. unter Kaiser Mark Aurel eine „Römische Geschichte“, die von den Anfängen bis zu seiner Zeit reichte. Im Gegensatz zu den Schriftstellern früherer Jahrhunderte konnte er die Zeit der Bürgerkriege und sozialen Unruhen der letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderte aus einer sicheren Distanz kommen-tieren. Sein Werk ist daher weniger Geschichtsdokumentation denn nachträglich analysierende Ge-schichtsinterpretation. Seine Darstellungen zu den zahlreichen römischen Bürgerkriegen und sozialen Veränderungen in der späten Republikszeit sind daher von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Appian beschreibt sehr klar, wie neu erobertes Land, aber auch verlassene Landstriche innerhalb des römischen Herrschaftsgebietes nicht, wie intendiert, an die Kleinbauern fielen, sondern an Groß-grundbesitzer, die auf ihren landwirtschaftlichen Großbetrieben (Latifundien) zum Großteil Sklaven einsetzten und damit die Arbeitskraft der Kleinbauern überflüssig machten. Die freien Kleinbauern hatten der Mehrfachbelastung – landwirtschaftliche Tätigkeit, Abgaben, Verwüstungen durch Kriege, eigener Kriegsdienst – oft nicht mehr standhalten können; es handelt sich daher um eine ähnliche Ausgangsposition wie im früheren Mittelalter im Rahmen des sich ausbildenden Feudalsystems. Aller-dings zogen die römischen Bauern zumeist in die Stadt (Rom), um dort einen neuen Anfang zu versu-chen, während im Feudalsystem diese Möglichkeit nicht offen stand und sich die Bauern in eine stär-kere Abhängigkeit (Hörigkeit) zum Grundherrn begeben musste. Interessant ist auch der Hinweis, dass unter den Sklaven angeblich deutlich mehr Kinder geboren wurden als unter den freien Römern. Immer wieder taucht in der römischen Geschichtsschreibung das Problem auf, dass sich die Römer Sorgen um die niedrige Geburtenrate unter den freien Römern macht. Kaiser Augustus erließ zu diesem Zweck eigene Ehegesetze, die Ledigen oder jungen Witwen bzw. Witwern eine Schlechterstellung brachte, wenn sie sich nicht (wieder) verheirateten. Die sozialen Veränderungen auf dem Land dürften in Rom durchaus mit Sorgen beobachtet worden sein, doch sah man sich nicht in der Lage – oder man war nicht wirklich willens –, daran etwas zu ändern, da man den Großgrundbesitzern das Land nicht einfach wegnehmen könne. Hier lassen sich durchaus Parallelen zu den sozialen Verhältnissen im heutigen Lateinamerika ziehen.

4 Brei aus Getreide, das Hauptgericht der ärmeren Bevölkerung im antiken Rom.

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VO Antike III: Griechische Polis und römische Res publica (© Christian Rohr 2005)

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„[Nach den Eroberungen ...] rissen die Reichen den größten Teil dieses nicht verteilten Bodens an sich und kamen mit der Zeit zu der festen Überzeugung, niemand werde ihnen das wieder wegneh-men. Und von dem angrenzenden Land und sonstigem Kleinbesitz der Armen kauften sie das eine auf, indem sie ihnen gut zuredeten, die andere nahmen sie mit Gewalt fort; so bebauten sie bald gro-ße Landgebiete an Stelle einzelner Plätze, die sie mit gekauften Landarbeitern und Hirten [beides Sklaven] bewirtschafteten, um zu vermeiden, dass freie Bauern von der Landarbeit für den Kriegs-dienst abgezogen würden. Dazu brachten ihnen jene auch noch reichen Gewinn ein durch den Kin-derreichtum, da sie sich dank ihrer Befreiung vom Kriegsdienste stark vermehrten. Infolgedessen wur-den die Mächtigen immer noch reicher und die Klasse der Sklaven nahm auf dem Land überhand, während die Italiker5 an Zahl und Stärke abnahmen, da sie durch Armut, Steuern und Kriegsdienst aufgerieben wurden. Auch wenn sie einmal hiervor Ruhe hatten, waren sie doch zu Müßiggang ge-zwungen, da das Land im Besitz der Reichen war und diese Sklaven statt freier Landarbeiter beschäf-tigten. Das römische Volk war zwar darüber verbittert, da ... seine Herrschaft durch eine solche Menge von Sklaven gefährdet wurde; doch sahen sie kein Mittel dem abzuhelfen – es wäre auch nicht leicht ge-wesen. Dazu erschien es überhaupt ungerecht, so vielen Menschen nach so langer Zeit einen so ge-waltigen Landbesitz einschließlich ihrer eigenen Anpflanzungen wieder abzunehmen; höchstens, dass einmal auf Antrag der Volkstribunen beschlossen wurde, es solle niemand mehr als 500 Joch [= 125 ha] dieses Landes haben und niemand mehr als 100 Stück Großvieh und 500 Stück Kleinvieh darauf halten.“ (Appian, De bellis civilibus 1, 7; 2. Jh. n. Chr.; zitiert nach Walter Arend, Geschichte in Quellen 1: Al-tertum, München 1965, S. 469 f., leicht gekürzt) Arbeitsaufgaben: • Welche Gründe führt der Historiker Appian für die sozialen Veränderungen auf dem Land an? • Hatte das römische Volk nach Meinung des Autors Verständnis für diese Entwicklungen am

Land? • Hol Informationen über Konflikte zwischen Großgrundbesitzer und Kleinbauern in heutiger Zeit,

etwa in Lateinamerika, ein! Welche Parallelen kannst du erkennen? Wie wurden bzw. werden dort diese Probleme „gelöst“?

Rom – Vom Stadtstaat zum Weltreich Die Eroberung Mittel- und Süditaliens Die Ursprünge Roms reichen vermutlich ins 8. Jh. v. Chr. zurück; die erste Siedlung war aber wohl nicht mehr als ein Dorf, auf dem Herrschaftsgebiet etruskischern Könige. Nach dem Ende der Königsherrschaft blieb Rom weiterhin unbedeutend und dehnte sich erst langsam aus: Schrittweise wur-den Teile des Etruskerreiches erobert, weiters die Gebiete anderer italischer Völker in Mittelitalien, beispielsweise das der Samniten (3. Jh. v. Chr.). Wie verwundbar das kleine römische Reich aber weiterhin war, zeigt der Um-stand, dass um das Jahr 387 v. Chr. keltische Gallier bis nach Rom vor-drangen und die Stadt belagerten. Durch die Ausdehnung nach Süden ka-men die Römer auch mit den griechischen Kolonien in Süditalien in Berüh-rung; dabei kam es mehr zu kriegerischen Auseinandersetzungen als zu kulturellen Kontakten. Nach jahrelangen wechselhaften Kämpfen setzten sich die Römer schließlich durch und konnten die Griechenstädte erobern. Die Kriege gegen Karthago Durch die Ausdehnung auf Mittel- und Süditalien kamen die Römer auch mit der wichtigsten Seemacht im Mittelmeerraum, den Karthagern, in Kontakt. Die ursprünglich phönizische Kolonie in der Nähe der heutigen Stadt Tunis (Tunesien) hatte im Laufe der Jahrhunderte die Oberherrschaft über weite Teile der nordafrikanischen Mittelmeerküste, über Sizilien, Sardinien, Korsi-ka und sogar Teile des heutigen Spanien erworben. In insgesamt drei Krie-gen, den so genannten Punischen Kriegen (264-241, 218-201, 149-146 v. Chr.), eroberten die Römer zunächst die karthagisch beherrschten Inseln

Etrusker ein ursprünglich aus Kleinasien stammendes Volk, das sich in der heutigen Toskana nie-derließ und zahlreiche Stadtstaaten gründete. Es war kulturell dem frühen Rom weit über-legen (Buchstaben-schrift, Wasserbauten).

Etruskische Inschrift aus Montepulciano Die Inschrift ist von rechts nach links zu lesen. Die Buchstaben wurden von den Phöniziern übernom-

5 Freie Bauern aus römischen und verwandten Bevölkerungsgruppen in Mittelitalien.

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Sizilien, Sardinien und Korsika, dann die karthagischen Gebiete in Spanien und schließlich den Kernbereich des Karthagerreiches im heutigen Tune-sien. Rom war somit im 3. und 2. Jh. v. Chr. zur größten Macht im Mittel-meerraum aufgestiegen. Allerdings hatte es vor allem im 2. Punischen Krieg danach ausgesehen, dass sich der karthagische Feldherr Hannibal gegen die Römer entscheidend durchsetzen könnte. Ausdehnung in alle Richtungen Weiters dehnte sich das Römerreich im 2. und 1. Jh. v. Chr. auch nach Griechenland, Kleinasien sowie über weite Teile Spaniens aus. Julius Cae-sar eroberte 58-51 v. Chr. als Statthalter von Gallien – bis dahin verstand man darunter nur Norditalien – auch sämtliche Gebiete westlich des Rheins, also das heutige Frankreich und Belgien. Sein Adoptivsohn Oktavian (der spätere Kaiser Augustus) stieß schließlich auch in die Alpen und bis zur Donau vor; damit wurden auch die Gebiete im heutigen Österreich zu Teilen des Römerreichs. Schließlich wurden im 1. Jh. n. Chr. noch die Provinzen Germanien (entlang des Rheins), Britannien (das südliche England) und Dakien (das heutige Rumänien) erobert. Die größte Ausdehnung erreichte das Römerreich unter Kaiser Trajan (98-117 n. Chr.). Die neu eroberten Gebiete außerhalb Italiens wurden als Provinzen organi-siert, die von römischen Statthaltern verwaltet und zumeist auch ausgebeu-tet wurden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, zumeist die Oberschicht, erhielt nach einer gewissen Zeit das römische Bürgerrecht. Die Reform des Heerwesens Im Jahr 104 v. Chr. führte der römische Konsul und Feldherr Gaius Marius eine Heeresreform durch. An die Stelle eines Milizheeres, bei dem prinzipiell alle römischen Bürger wehrpflichtig waren, trat ein Berufsheer. Für viele Bürger aus den Unterschichten war der Militärdienst die einzige Möglichkeit, sozial aufzusteigen. Wenn man sich für zwanzig Jahre verpflichtete, hatte man gesicherten Unterhalt und wurde nach der Pensionierung als Veteran mit einem Grundstück in einer der römischen Provinzen versorgt. Wie bisher im römischen Alltag die Klienten von der Gunst ihres Patrons abhängig wa-ren, so sorgte jetzt der Feldherr für seine Soldaten; häufig entstanden dabei „Privatarmeen“, die die Heerführer im Falle von Bürgerkriegen gegen ihre politischen Gegner einsetzten. Von der Krise der Republik zum Prinzipat Julius Caesar wollte nach der Besiegung aller seiner Widersacher seine Alleinherrschaft auch durch neue Sondervollmachten absichern, doch wurde er bei diesem Versuch von republikanischen Kräften ermordet (44 v. Chr.). Im 13-jährigen Bürgerkrieg um die Nachfolge Caesars setze sich letztend-lich dessen Adoptivsohn Oktavian durch. Im Jahr 27 v. Chr. gelang es Okta-vian, seine herausragende Machtstellung auch gesetzlich abzusichern. An-ders als Caesar ließ er die republikanischen Ämter und den Senat formal weiterhin bestehen. Er selbst nahm den Namen Augustus (= der Erhabene) an und ließ sich die Ämter, die er zur Durchsetzung aller politischen und militärischen Ziele benötigte, auf Lebenszeit vom Senat verleihen. In der Praxis waren somit alle politisch Tätigen vom Wohlwollen des Augustus abhängig.

men und bilden die Basis für unser lateinisches Alphabet. punisch = karthagisch

Kaiser Mark Aurel im Triumphzug (Relief, 2. Jh. n. Chr, Rom, Kapito-linische Museen) Nach einem erfolgreichen Krieg zogen die römischen Feldherrn bzw. in späterer Zeit die Kaiser im Tri-umphwagen über das Forum Romanum zum Kapitol, um dort dem höchsten Gott, Jupiter, ein Opfer darzubringen. Die Anführer der Besiegten wurden beim Triumphzug mitgeführt und anschlie-ßend meist getötet. Augustus Aus dem Ehrentitel entwickelt sich die offi-zielle Bezeichnung für den Kaiser. Der Kaiser sah sich offiziell als „princeps inter pares“ („Erster unter Gleich-rangigen“), daher die Bezeichnung „Prinzeps“ für den Kaiser bzw. „Prinzipat“ für die Zeit des gemäßigten Kaiser-tums.

Arbeitsfragen zum Text: • Welche sozialen Auswirkungen hatte die Heeresreform des Gaius Marius? • Was kannst du über das „republikanische Prinzip“, das dem modernen Österreich zugrunde liegt,

herausfinden? Recherchiere! • Was versteht man unter dem Prinzipat?

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Materialien Die Ausdehnung des Römerreichs

Die Ausdehnung des Römerreichs 1. Phase: Die Ausdehnung in Mittelitalien Bis zum Ende der sagenhaften Königszeit (510 v. Chr.) stand Rom unter etruskischem Einfluss. Die Siedlung selbst lag im Grenzbereich zwischen dem Gebiet der Latiner (an der mittelitalischen Mittel-meerküste) und dem der Sabiner (im hügeligen Hinterland Roms). Auch die Bezeichnung der sieben zentralen Hügel Roms deutet auf diese Grenzlage hin: Die latinisch besiedelten Hügel im Zentrum (Kapitol, Palatin, Aventin, Caelius) wurden als montes (Berge) bezeichnet (aus der Sicht der im Flach-land lebenden Latiner), während die höheren Hügel im Osten (Esquilin, Viminal, Quirinal) als colles (Hügel) angesehen wurden (aus der Sicht der höhere Hügel gewohnten Sabiner). In der Folgezeit sicherten militärische Aktionen gegen Latinerstädte (498-493 v. Chr.) sowie gegen die nördlich von Rom gelegene Stadt Veji (406-396 v. Chr.) die Herrschaft über den Großraum Rom ab. Der weiteren Ausdehnung auf etruskisches Gebiet nach Norden (Eroberung von Clusium-Chiusi, 390 v. Chr.) folgte die Beinahe-Einnahme Roms durch gallische Verbände im Jahr 387/386 v. Chr.), so-dass die Gebiete nördlich von Rom vorerst wieder verloren gehen. Erst die drei Kriege gegen die im südlichen Mittelitalien angesiedelten Samniten (343-341 v. Chr., 326-304 v. Chr., 298-290 v. Chr.) und Kämpfe mit den Kelten im Norden (285-282 v. Chr.) sichern Roms Vormachtstellung in Mittelitalien endgültig. 2. Phase: Der Kampf gegen die griechischen Kolonien in Süditalien und gegen Karthago Mit dem zehnjährigen Krieg gegen die griechische Kolonie Tarent (282-272 v. Chr.) beginnt eine Rei-he von Auseinandersetzungen mit den Griechenstädten in Süditalien, wobei in der Realität Rom in Differenzen innerhalb der griechischen Kolonien eingriff. Tarent selbst wurde von König Pyrrhus von Epirus (im heutigen Albanien und Nordwestgriechenland) unterstützt, der zwar einige Siege erringen konnte (z. B. 279 v. Chr. bei Ausculum), die aber aufgrund ihrer hohen Verluste sprichwörtlich wurden („Pyrrhus-Sieg“). Mit dem Sieg über Tarent kam Rom entgültig in Konflikt mit Karthago, das um seine Vorherrschaft im Mittelmeerraum zitterte. Zwischen Rom und Karthago hatte es mehrfach Verträge gegeben (um 510 v. Chr. und 348 v. Chr.), in denen Rom die Meereshoheit Kathagos im westlichen Mittelmeerraum akzep-tiert hatte. Den Ausgangspunkt für den 1. Punischen Krieg (264-241 v. Chr.) bildeten Auseinanderset-zungen zwischen den griechischen Kolonien Messana-Messina und Syracus, wobei Rom für Messana und Karthago für Syracus Partei ergriffen. Nach dem römischen Sieg zogen sich die Karthager aus Sardinien und Sizilien zurück; letztere Insel wurde zur ersten Provinz Roms. Dem 2. Punischen Krieg

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(218-201 v. Chr.) gingen Eroberungen der Karthager in Spanien voraus, die erneut den Streit um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer aktuell machten. Der punische Feldherr Hannibal nahm durch seinen Präventivschlag und seinen spektakulären Zug über die Alpen zunächst das Heft in die Hand und brachte die römischen Armeen durch zahlreiche vernichtende Niederlagen an den Rand des Un-tergangs. Warum er nie Rom selbst angriff, bleibt bis heute ungeklärt. Erst der römische Gegenschlag in Afrika brachte die Wende des Krieges zugunsten der Römer. Karthago musste seine Besitzungen an der spanischen Mittelmeerküste an Rom abtreten und zudem auf den Großteil seiner Mittelmeer-flotte verzichten. Durch den 3. Punischen Krieg (149-146 v. Chr.) verschwand Karthago schließlich endgültig von der Landkarte; Rom gründete an seiner Stelle die Provinz Africa. Auch im Norden strebten die Römer in dieser Zeit nach Gebietserweiterungen: In der Poebene wur-den die Kelten weitgehend zurückgedrängt; die Gründung der römischen Kolonien Placentia-Piacenza, Cremona und Mutina-Modena sowie die Eroberung von Mediolanum-Mailand (222 v. Chr.) legten den Grundstein für die spätere Provinz Gallia Cisalpina. In einem weiteren Krieg gegen die Kelten (200-190 v. Chr.) dehnten die Römer ihre Macht weiter aus. 3. Phase: Die Ausdehnung nach Griechenland und nach Kleinasien Schon während des 2. Punischen Krieges hatte Rom einen Krieg gegen das Diadochenreich in Make-donien begonnen, da dessen König Philipp V. ein Bündnis mit Hannibal eingegangen war (215 v. Chr.). Kurz nach dem Ende des 2. Punischen Krieges griff Rom in innergriechische Streitigkeiten auf der Seite Pergamons und Athens gegen Makedonien ein und begann den so genannten 2. Makedoni-schen Krieg, der die Vorherrschaft Makedoniens über Griechenland beendete und die Poleis in Grie-chenland wieder zu freien Städten (von Roms Gnaden) machte. Rom ging in der Folge einen weiteren Krieg gegen den mit Philipp V. verbündeten Diadochen Antiochos III. von Syrien ein (192-188 v. Chr.), der Rom schließlich die Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer sicherte. In weiteren Kriegen gegen die Makedonen (171-168 v. Chr. und 148 v. Chr.) wurden diese endgültig besiegt; Makedonien wird zur römischen Provinz. Zudem machte sich für Rom die jahrzehntelange Unterstützung Pergamons gegen Makedonen und Syrer bezahlt: Als der letzte König von Pergamon, Attalos III., im Jahr 133 v. Chr. starb, vererbte er sein Reich an die Römer und legte damit den Grundstein für die römische Provinz Asia. 4. Phase: Die Eroberungskriege des Pompeius und Caesar Die Reorganisation des Heerwesens unter Marius brachte mit sich, dass die Zahl der Legionen zwar deutlich anwuchs, die Soldaten aber immer mehr zu „Klienten“ der Feldherrn wurden und somit de facto „Privatarmeen“ entstanden. Diese führten ständig Krieg, da nur durch Eroberungen eine „Bezah-lung“ der Soldaten möglich war. Zum anderen hatten die so genannten Bundesgenossenkriege (91-89 v. Chr.) mit sich gebracht, dass alle Bundesgenossen das römische Bürgerrecht erhielten und damit fähig waren, als ordentliche Legionäre in die römische Armee einzutreten. Der kleinasiatische Raum war schon durch den ersten Krieg mit König Mithridates VI. von Pontus (an der Nordküste der Türkei sowie auf der Halbinsel Krim im Norden des Schwarzen Meeres) wieder in den Blickpunkt geraten (88-84 v. Chr.). Pompeius führte durch die endgültige Besiegung des Mithrida-tes (64 v. Chr.) und seine weiteren Eroberungen in Kleinasien die Neuordnung der Machtverhältnisse in Kleinasien herbei. Pontus, Cilicia und Syria wurden zu Provinzen, die übrigen Gebiete zu Klientel-staaten. Caesar wiederum entzog sich durch seine militärischen Aktionen in Gallien – er griff in innergallische Konflikte ein – der explosiven Lage in Rom. In den Jahren 58-52/51 v. Chr eroberte er alle Gebiete westlich des Rheins und stieß sogar für kurze Zeit bis nach Britannien vor. Nach seinem Sieg im Bür-gerkrieg gegen Pompeius (48 v. Chr.) sicherte er die Eroberungen seines Widersachers im Osten nochmals militärisch ab. Nach dem raschen Sieg in der Schlacht von Zela gegen König Pharnaces von Pontus (47 v. Chr.) soll er seinen berühmten Ausspruch „Veni, vidi, vici“ („Ich kam, sah und sieg-te“) getätigt haben. Durch die Ermordung Caesars und die darauf folgenden Bürgerkriege geriet die Ausdehnung Roms für einige Jahrzehnte ins Stocken. 5. Phase: Die Abrundung des Reiches unter Kaiser Augustus Mit der Entscheidung gegen seinen Widersacher Mark Anton hatte Oktavian (der spätere Kaiser Au-gustus) auch das reiche Ägypten in seine Hand gebracht und die griechischen Ptolemäer als letzte Pharaonendynastie abgelöst. Nach der Konsolidierung im Inneren stießen die beiden Stiefsöhne des Augustus, Tiberius und Drusus, in den Alpenraum vor und eroberten zunächst das Gebiet bis zur Do-nau (15 v. Chr.) und bald darauf auch Pannonien (13-9 v. Chr.). Auch die bisher noch nicht eroberten Teile Spaniens wurden unter Augustus ins Reich eingegliedert. Die Feldzüge gegen germanische Verbände östlich des Rheins endeten hingegen mit einer vernichtenden Niederlage der römischen Truppen in der Schlacht im Teutoburger Wald (9 n. Chr.); danach wurden die Pläne, die Reichsgrenze bis zur Elbe vorzuschieben, eingestellt.

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6. Phase: Eroberungen an der Peripherie von Claudius bis Trajan Erst Kaiser Claudius begann wieder mit einer aktiven Eroberungspolitik: Im Jahr 43 n. Chr. wurde der Süden Britanniens zur Provinz, ein Jahr später Thrakien im heutigen Bulgarien. Unter den Flaviern richteten sich die Aktivitäten zum einen nach Germanien, wo die Grenze durch die Eroberung des Zwickels zwischen Rhein und Donau (das heutige Bundesland Baden-Württemberg) abgerundet wur-de; zum anderen schlug der spätere Kaiser Titus im Jahr 70/73 n. Chr. den großen Aufstand der Ju-den durch die Eroberung von Jerusalem nieder. Der letzte Kaiser, der das Imperium Romanum weiter ausdehnte, war Kaiser Trajan (98-117 n. Chr.): Er unterwarf die Daker im heutigen Rumänien und schob daher das Reich erstmals über die Donau nach Norden vor. Im Osten gewann er durch seinen Krieg gegen die Parther kurzfristig die Gebiete bis Mesopotamien hinzu; letztere wurden unter seinem Nachfolger Hadrian wieder aufgegeben. Die Konsolidierung des Reiches hatte nun eindeutig Priorität. Arbeitsaufgaben: • Fasse zusammen, welche Gebiete schon früh (bis 2. Jh. v. Chr.) Teil des Römerreichs wurden!

Suche vor allem die Gebiete heraus, die durch die Kriege gegen die Karthager und gegen die Griechen erobert wurden!

• Welche Gebiete kamen unter Caesar zum Römerreich, welche unter Augustus? • Beschreibe, über welche heutigen Staaten sich das Römerreich zur Zeit seiner größten Ausdeh-

nung unter Kaiser Trajan (98-117 n. Chr.) erstreckte! Leben in der Weltstadt Rom – Das erste Lastwagenfahrverbot der Weltgeschichte In seinen letzten Lebensjahren, d.h. nach dem Erringen der Alleinherrschaft, standen bei Caesars Innenpolitik weit reichende Reformen im Mittelpunkt: neben der Einführung des Julianischen Kalen-ders wurde auch das Münzwesen grundlegend reformiert. Für die Stadt Rom und alle anderen größe-ren Provinzstädte erließ er das so genannte Julische Municipalgesetz, in dem Probleme wie die Ge-treideversorgung, der Verkehr und die Müllabfuhr geregelt wurden. Im Laufe der Jahrhunderte wuchs nicht nur das Römerreich stark an, sondern auch die Bevölkerung der Stadt Rom selbst. In der frühen Kaiserzeit lebten etwa zwei Millionen Menschen in der Stadt. Dies brachte schon damals große organisatorische Probleme. Ganz offensichtlich gab es in Rom schon damals ein massives Verkehrsproblem, sodass Lastwagen während des Tages aus der Stadt ver-bannt wurden und nur in der Nacht liefern durften. Daraus wird auch deutlich, dass es dabei um eine Verkehrsberuhigung während des Tages ging, nicht aber um „moderne“ Anliegen wie den Lärmschutz für die Bürger während der Nacht. „Auf den Straßen, die bestehen oder bestehen werden in der Stadt Rom innerhalb der Bezirke, die zusammenhängend überbaut sind, soll es niemandem erlaubt sein, vom 1. Januar des nächsten Jah-res ab während der Tageszeit, von Sonnenaufgang bis zur zehnten Tagesstunde, einen Lastwagen zu fahren oder zu führen. Eine Ausnahme besteht, wenn es erforderlich ist, etwas zum Bau der Tempel der unsterblichen Götter oder zur Ausführung von öffentlichen Arbeiten heranzufahren und zu trans-portieren, oder wenn aus der Stadt oder von einem öffentlichen Gebäude, das vom Staat zum Ab-bruch vergeben worden ist, etwas im öffentlichen Interesse wegzuschaffen ist, und wenn es bestimm-ten Personen aus bestimmten Gründen nach diesem Gesetze erlaubt sein wird, Lastwagen zu fahren oder zu führen. ... Was die Lastwagen betrifft, die bei Nacht in die Stadt gefahren werden: Dass diese Lastwagen leer oder der Unratfuhr wegen nach Sonnenaufgang während zehn Stunden des Tages mit Ochsen oder Maultieren bespannt in der Stadt Rom und eine Meile von der Stadt entfernt sein dürfen, wird durch dieses Gesetz nicht verboten.“ (Julisches Municipalgesetz, um 45/44 v. Chr., inschriftlich überliefert in Heraklea, CIL I2 593, Z. 56 ff., Auszug; zitiert nach Walter Arend, Geschichte in Quellen 1: Altertum, München 1965, S. 539 f.) Arbeitsaufgaben: • Fasse die Bestimmungen des Fahrverbots für Lastwagen zusammen! • Recherchiere, welche Bestimmungen in Bezug auf LKW-Fahrverbote heute in Österreich gelten!

Vergleiche die Ergebnisse mit den Bestimmungen im Julischen Municipalgesetz!

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Kultur und Wirtschaft im Römerreich Wenige kulturelle Eigenleistungen der Römer Der Hauptgrund für den Aufstieg der Römer war deren Fähigkeit, sich von anderen Kulturen das herauszuholen, was für sie selbst nützlich war. Die römische Literatur, Philosophie und Baukunst sind weitgehend an die Grie-chen angelehnt. Von den Etruskern übernahmen die Römer das Alphabet, von denselben bzw. den Karthagern die Fertigkeit, funktionstüchtige Was-serleitungen, Kanäle, und Fußbodenheizungen zu bauen. Die Eigenleistungen der Römer liegen auf rein praktischem Gebiet: Schon in der frühen Republikszeit galten bäuerliche Tüchtigkeit, Rechtskundigkeit und militärisches Können zu den erstrebenswerten Tugenden. Die Römer brachten ein ausgeklügeltes Rechtssystem und gute Juristen hervor. Großer Wert wurde bei den Römern auf das Militär gelegt. Romanisierung Bei der Verwaltung der römischen Provinzen gehörte es zu den wichtigsten Aufgaben, die Vorzüge der römischen Kultur auch den unterworfenen Völ-kern zugänglich zu machen. In allen Provinzen des Römerreiches wurden daher kleinere und größere Städte angelegt, die durch ein gutes Straßen-netz verbunden waren. In jeder größeren Stadt befand sich ein öffentliches Bad (Thermen), häufig auch ein Amphitheater. Die Häuser in den Städten waren oft mit Fußbodenheizungen ausgestattet. Durch intensiven Handel gelangten Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände in alle Teile des Rö-merreichs. Diese Annehmlichkeiten beschleunigten die Romanisierung, d. h. die Über-nahme der römischen Kultur und der lateinischen Sprache in den Provinzen. Noch heute werden in vielen Teilen des Römerreiches Sprachen gespro-chen, die sich vom Lateinischen ableiten: romanische Sprachen finden sich nicht nur in West- und Südeuropa, sondern auch in Rumänien.

Römisches Fußbodenmosaik aus Loig bei Salzburg Das in einer Villa (Landhaus) gefundene Mosaik stammt aus dem 3. Jh. n. Chr. und zeigt im Zentrum den griechischen Helden Theseus, der in das Labyrinth des Palas-

Der Pont-du-Gard, ein römischer Aquädukt in Südfrankreich Die 50 km lange Wasser-leitung diente zur Versor-gung der Stadt Nemausus (Nîmes). Von der Quelle bis zur Stadt weist sie ein Gefälle von nur 34 cm pro km auf und war damit bautechnisch eine Meister-leistung. Der Aquädukt ist fast 50 m hoch und 275 m lang.

Bild: Römischer Han-delswagen (Relief aus Augsburg) Der von zwei Ochsen gezogene Wagen trans-portierte Wein in einem großen Fass. Die Spur-breite jedes Wagens war genau genormt, damit er in die Spurrillen der römi-schen Straßen passte.

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tes von Knossos eindrang, um das dort eingesperrte Ungeheuer Minotauros zu tö-ten. Das Beispiel macht deutlich, wie sehr die griechische Sagenwelt auch von den Römern übernommen wurde. Arbeitsfrage zum Text: • Welche Errungenschaften der römischen Kultur wurden auch den Provinzen zuteil?

Materialien Wirtschaftsraum Römerreich Im gesamten Römerreich gab es ein gut ausgebautes Straßennetz und keine Zollschranken, sodass mit den im Reich vorhandenen Gütern vor allem im 1. und 2. Jh. n. Chr. ein uneingeschränkter Handel betrieben wurde.

Die Wirtschaft des Römerreichs Arbeitsaufgaben: • Aus welchen Gebieten des Römerreichs stammten die wichtigen Konsumgüter (Getreide, Wein,

Fleisch, Keramik und Eisen)? • Welche Güter wurden im Bereich des heutigen Österreich produziert? Die Romanisierung der Bevölkerung in Britannien Der römische Historiker Tacitus P. Cornelius Tacitus wurde um 55 n. Chr. geboren und stieg zunächst unter den Flaviern bis in die höchsten Ämter auf (Konsulat 97 n. Chr.). Nach dem Sturz Domitians begann er mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit, an deren Anfang die beiden kleineren Werke „De origine et situ Germanorum“ (kurz „Germania“) bzw. „De vita et moribus Iulii Agricolae“, beide aus dem Jahr 98 n. Chr. stammen. Erst danach folgen seine beiden großen, aber nur unvollständigen Ge-schichtswerke „Annales“ (zur Geschichte der Jahre 14-68 n. Chr.) und „Historiae“ (Zeitgeschichte). Tacitus betonte zwar stets sein Streben nach Objektivität – „sine ira et studio“ („ohne Hass und Partei-nahme“) –, war aber in seinen Darstellungen sehr wohl wertend. Die Werke des Tacitus zeichnen sich allgemein durch eine scharfe Beobachtungsgabe und eine durchaus Rom-kritische Haltung aus.

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Die kritische Haltung wird auch in der zitierten Passage aus der Lebensbeschreibung seines Onkels Iulius Agricola als Statthalter von Britannien deutlich. Die Romanisierung habe demnach vor allem das Ziel gehabt, die unterworfenen Provinzen zu befrieden, ja in Knechtschaft zu bringen. „Um die verstreuten, rohen und darum leicht zum Kriege geneigten Menschen durch Annehmlichkei-ten an Ruhe und Muße zu gewöhnen, ermunterte Agricola sie persönlich und unterstützte sie öffent-lich, Tempel, Märkte und Häuser zu errichten, wobei er die Raschen lobte und die Trägen tadelte; so waren Wetteifer und die Ehre an die Stelle des Zwangs getreten. Dann ließ er die Söhne der Fürsten in den freien Künsten6 ausbilden und stellte die Begabung der Britannier über den Lerneifer der Gal-lier, sodass die, die eben noch die römische Sprache abwiesen, jetzt Beredsamkeit begehrten. In der Folge kam sogar im äußeren Auftreten römisches Wesen zu Ehren und die Toga7 wurde häufig. Und allmählich ließ man sich auf Dinge ein, die zur Entartung verführen: Säulenhallen, Bäder und erlesene Festgelage. Und das hieß bei den Unerfahrenen Kultur, während es ein Teil der Knechtschaft war.“ (Tacitus, De vita et moribus Iulii Agricolae 21, 98 n. Chr.; zitiert nach Walter Arend, Geschichte in Quellen 1: Altertum, München 1965, S. 642). Arbeitsaufgaben: • Welche Annehmlichkeiten und Vorteile bringt nach Meinung des Tacitus die Romanisierung den

neu unterworfenen Völkern? • Welches Ziel verfolgten die römischen Eroberer nach Meinung des Tacitus mit der Romanisie-

rung? • „ … allmählich ließ man sich auf Dinge ein, die zur Entartung verführen“: Was könnte Tacitus mit

dieser Aussage gemeint haben? Was bedeutet der Begriff „Entartung“? Alle Karten und Grafiken entnommen aus Christian Rohr, geschichte.aktuell 1 für die AHS, 9./10. Schulstufe, Linz 2005.

6 Die sieben Freien Künste (septem artes liberales) umfassten auf der einen Seite die Grammatik, die Rhetorik (Redekunst) und Dialektik (das philosophische Argumentieren), auf der anderen Seite die Naturwissenschaften Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik (!). 7 Traditionelles Gewand der freien römischen Männer, bestehend aus einem ca. 6 m langen und 2 m breiten Tuch, das kunstvoll nach festgesetzten Regeln um den Körper geschlungen wurde. Die Britannier trugen ansons-ten Beinkleider (Hosen).