Vollkeramik auf Implantaten – geht das?

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1 Vollkeramik auf Implantaten – geht das? Fachgesellschaften reflektieren interdisziplinär die Ästhetik und Stabilität implantologischer Therapiekonzepte. Das alljährlich stattfindende Keramiksymposium der der Arbeitsgemeinschaft für Ke- ramik in der Zahnheilkunde wird stets von Beiträgen wissenschaftlicher Fachgesell- schaften begleitet und ist in diesem Jahr eingebettet in den Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Zahnmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Orale Implantologie, der Deutschen Gesellschaft für Computergestützte Zahnheilkunde. Unter dem Leitgedanken „Der Natur auf der Spur – gemeinsam zum Praxiserfolg“ verfolgen die Veranstalter den holistischen Ansatz, mit dem „Blick auf das Ganze“ durch interdisziplinäre Therapiekonzepte verschiedene Fachbereiche zusammen zu führen und bisher reduktionistische Sichtweisen aufzulösen. Erfahrene Referenten aus Klinik und Praxis werden unter dem Aspekt des nachhalti- gen Langzeiterfolgs die Zusammenhänge einer Implantatplanung, das klinische Vor- gehen in der Weichgewebsgestaltung, die prothetische Rekonstruktion – teilweise mit Keramikwerkstoffen - unter ästhetischen und biomechanischen Gesichtspunkten vor- stellen. Unter anderem wird Frau Dr. Anja Zembic, Universität Zürich, sowie ZTM Vincent Fehmer, Universität Genf, auf der Jahrestagung am 15.-16. Sept. 2017 in Hamburg mit „Vollkeramik auf Implantaten aus zahnärztlicher und zahntechnischer Sicht“ neue Erkenntnisse vortragen. Der nachstehende Bericht zeichnet den aktuel- len Stand der Implantat-Prothetik nach. Vollkeramische Werkstoffe haben sich seit geraumer Zeit zur ernsthaften Alternative für implantatgetragene Suprakonstruktionen entwickelt. Hierbei nimmt das Abutment einen zentralen Platz als Schnittstelle zwischen dem osseo-integrierten Implantat und der prothetischen Versorgung ein. Als transgingivale Verbindung stützt es das periimplantäre Weichgewebe und ist für die mechanische Stabilität der Suprakon- struktion verantwortlich. Besonders in schwierigen Situationen müssen Anforderun- gen an die Ästhetik sowie an die Stabilität differenziert beantwortet werden, die manchmal nur mit Kompromissen gelöst werden können. Lange Zeit standen für Mesostrukturen lediglich konfektionierte Abutments aus Titan zur Verfügung. Heraus- forderungen ergaben sich hierbei aus der drehrunden Form, die der Zahnanatomie

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Vollkeramik auf Implantaten – geht das? Fachgesellschaften reflektieren interdisziplinär die Ästhetik und Stabilität implantologischer Therapiekonzepte. Das alljährlich stattfindende Keramiksymposium der der Arbeitsgemeinschaft für Ke-ramik in der Zahnheilkunde wird stets von Beiträgen wissenschaftlicher Fachgesell-schaften begleitet und ist in diesem Jahr eingebettet in den Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Zahnmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Orale Implantologie, der Deutschen Gesellschaft für Computergestützte Zahnheilkunde. Unter dem Leitgedanken „Der Natur auf der Spur – gemeinsam zum Praxiserfolg“ verfolgen die Veranstalter den holistischen Ansatz, mit dem „Blick auf das Ganze“ durch interdisziplinäre Therapiekonzepte verschiedene Fachbereiche zusammen zu führen und bisher reduktionistische Sichtweisen aufzulösen. Erfahrene Referenten aus Klinik und Praxis werden unter dem Aspekt des nachhalti-gen Langzeiterfolgs die Zusammenhänge einer Implantatplanung, das klinische Vor-gehen in der Weichgewebsgestaltung, die prothetische Rekonstruktion – teilweise mit Keramikwerkstoffen - unter ästhetischen und biomechanischen Gesichtspunkten vor-stellen. Unter anderem wird Frau Dr. Anja Zembic, Universität Zürich, sowie ZTM Vincent Fehmer, Universität Genf, auf der Jahrestagung am 15.-16. Sept. 2017 in Hamburg mit „Vollkeramik auf Implantaten aus zahnärztlicher und zahntechnischer Sicht“ neue Erkenntnisse vortragen. Der nachstehende Bericht zeichnet den aktuel-len Stand der Implantat-Prothetik nach. Vollkeramische Werkstoffe haben sich seit geraumer Zeit zur ernsthaften Alternative für implantatgetragene Suprakonstruktionen entwickelt. Hierbei nimmt das Abutment einen zentralen Platz als Schnittstelle zwischen dem osseo-integrierten Implantat und der prothetischen Versorgung ein. Als transgingivale Verbindung stützt es das periimplantäre Weichgewebe und ist für die mechanische Stabilität der Suprakon-struktion verantwortlich. Besonders in schwierigen Situationen müssen Anforderun-gen an die Ästhetik sowie an die Stabilität differenziert beantwortet werden, die manchmal nur mit Kompromissen gelöst werden können. Lange Zeit standen für Mesostrukturen lediglich konfektionierte Abutments aus Titan zur Verfügung. Heraus-forderungen ergaben sich hierbei aus der drehrunden Form, die der Zahnanatomie

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Abb. 1: Virtuelles Planungsmodell für Titan-Abutments. Links: konfektioniert, rechts: individualisiert hergestellt. Quelle: Lauer nicht entspricht, aus der eingeschränkten Ästhetik, besonders bei dünner Gingiva, aus der unzureichenden Positionierbarkeit der Zementfuge, und aus Einschränkun-gen bei der Angulation.

Mit dem Einzug der CAD/CAM-Technik zur Fertigung von individuellen Abutments eröffnete sich die Möglichkeit, speziell für die klinische Situation und Restauration geeignete Mesostrukturen herzustellen (Abb. 1). Damit können heute spezifische Anforderungen an Abutments erfüllt werden, die von der Lokalisation im Kiefer beein-flusst werden: Hohe Stabilität und Dauerfestigkeit, chemische Beständigkeit, sehr gute Biokompatibilität, Möglichkeit der individuellen Formgebung und Achsenausrich-tung. Vor allem im Frontzahnbereich gelten ein individualisierbares Austrittsprofil so-wie eine zahnähnliche Farbe und Transluzenz beim dünnen gingivalen Biotyp als wichtige Faktoren zur Rekonstruktion einer zufriedenstellenden Ästhetik (Abb. 2) [11, 15]. Obwohl Titan immer noch der gängigste Werkstoff für Abutments ist, wird in vie-len Fällen Zirkoniumdioxidkeramik (ZrO2) eingesetzt. Besonders im ästhetisch sen-siblen Bereich werden mit ZrO2-Abutments bessere Ergebnisse erzielt.

Technisch wird der transgingivale Übergang unterschiedlich gelöst und hängt primär von der Implantatform ab. Bei einteiligen Implantaten ist er integrierter Bestandteil und als zylindrischer oder taillierter Bereich gestaltet. Bei zweiteiligen Implantaten werden der Übergang, die Kraftübertragung und die Lagesicherung, Gewebefor-mung, Emergenzprofil und die Ästhetik durch das Abutment bewerkstelligt.

Vollkeramische Abutments, konfektioniert oder individualisiert, sind derzeit in zwei Varianten verfügbar. Die vollkeramische Variante wird mittels Verschraubung im Enossalpfeiler fixiert. Die Variante „Hybrid-Abutment“ mit der individuell gestalteten Mesostruktur als Überwurf aus ZrO2 wird mit einer Titanhülse verklebt (Abb. 3). Die-se TiBase wird enossal verschraubt. Dadurch entsteht eine spannungsfreie Verbin-dung zwischen Implantat, Abutment und Krone. Die gingivaformende Basis endet direkt oberhalb der Implantatschulter und geht mit dem Schraubenschlot in den Fü-gebereich mit ZrO2 über. Der koronale ZrO2-Anteil gewährleistet ein dauerhaft helles

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Durchschimmern bei hoher Stabilität. Hybrid-Abutments können für Einzelkronen, Brücken, keramische Stege und teleskopierende Restaurationen eingesetzt werden [10].

Abb. 2: ZrO2-Abutment zur den Frontzahnbereich. Auch bei dünner Gingiva wird der Titan-Enossalpfeiler abgedeckt. Einfallendes Licht wird in die Gingiva transferiert. Quelle: Beuer, Schweiger

Abb. 3: Implantatkrone aus Lithiumdisilikat mit individualisiertem Hybrid-Abutment aus ZrO2, mit TiBase verklebt zur Verschraubung mit dem Enossalpfeiler. Quelle: Zembic

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Implantate rückwärts planen Als Vorbereitung erleichtert das Digitalröntgen die Befundung, die Planung der implantologischen Insertion sowie die nachfolgenden Therapieschritte. Die Kombina-tion aus digital-prothetischer und chirurgisch-implantologischer Planung ermöglicht es, die Daten der digitalisierten Intraoralabformung sowie die virtuell konstruierte, prothetische Suprastruktur mit der Implantatkrone im DVT-Röntgenbild deckungs-gleich zu vereinen [20]. Zur Vorbereitung der OP besteht die Möglichkeit, mittels der kombinierten Digitaldaten eine chirurgische Bohrschablone für die enossale Tiefen-bohrung virtuell zu konstruieren, die neuerdings auch in der Praxis hergestellt werden kann. Basiert die Implantatplanung heute zumeist noch auf der konventionellen In-traoral-Abformung, wird durch den Einsatz der digitalen bzw. lichtoptischen Intraoral-Abformung der Behandlungsablauf standardisiert und verkürzt [27]. Da für die pro-thetischen Aufbauten vielfach vollkeramische Werkstoffe zum Einsatz kommen, die ohnehin einen digitalen Workflow zur CAD/CAM-Bearbeitung benötigen, ist es folge-richtig, die digitale Erfassung auf die Mundhöhle auszudehnen [19, 23]. Die prothetische Konstruktion mittels computergeführter Software macht im Rahmen der Rückwärtsplanung das spätere Ergebnis vorhersagbar (Abb. 4-5). Unabdingbar ist die Abstimmung zwischen den einzelnen Behandlungs- und Herstellungsschritten zwischen Oralchirurg bzw. Zahnarzt und Zahntechniker. Hierbei umfasst die Stan-dardisierung die Vereinheitlichung von Maßen, Typen oder Verfahrensweisen. Dabei liegt neben der Vereinheitlichung von Herstellungsprozessen auch die Effizienzstei-gerung im Zielkorridor [1].

Abb. 4: Virtuelles Modell (Cerec Omnicam) mit Erstvorschlag für verschraubte Implantatkronen. Quelle: Zembic/Fehmer Zahnmedizinisch und zahntechnisch bewegt sich die Implantologie in einem Feld höchster Individualität. Standardisierung und individuelle Betreuung des Patienten widersprechen sich dann nicht, wenn die Individualität besonders die Funktion und

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Abb. 5: Bestimmung der Einschubrichtung für Implantat und Suprastruren. Rechts: Planung der Ausschleifphase für die Krone. Quelle: Zembic/Fehmer

die Ästhetik der Versorgung im Fokus hat. Sobald die Arbeitsschritte digital erfolgen, ist es möglich, Einzelschritte exakt zu kontrollieren und im Bedarfsfall Korrekturen und Anpassungen schon im Vorfeld durchzuführen, bevor Einzelteile hergestellt wer-den [2, 21]. Abutment-Technik nach Wahl Grundsätzlich können zwischen konfektionierten Implantat-Abutments, angussfähi-gen bzw. überpressbaren und CAD/CAM-gefertigten Abutments unterschieden wer-den. Angießbare HSL-Hülsen, auf die der Zahntechniker seine Idealgeometrie auf-wachst und diese im Lost-Wax-Verfahren in Edelmetall bzw. in Presskeramik um-setzt, stellen eine Zwischenlösung dar. Nachfolgend werden die bedeutendsten Abutment-Techniken vorgestellt. 1. CAD/CAM-Monoblock-Abutment aus Titan: CAD/CAM-gefertigte Abutments aus Titan waren bisher der Standard. Der Vorteil dieser CAD/CAM-gefertigten Aufbauten liegt darin, dass sich die Nachbearbeitung lediglich auf ein Glätten der Oberfläche mittels Silikonpolierer beschränkt. 2. CAD/CAM-Abutment aus Zirkoniumdioxid: ZrO2-Abutments, die computergestützt konstruiert und gefertigt werden, lassen sich entweder mit oder ohne Titanklebebasis (TiBase) verarbeiten. Der Werkstoff bietet für das Weichgewebe einen reizlosen Schleimhautkontakt. Da der marginale Rand in den gut zugänglichen intrasulkulären Bereich gelegt werden kann, wird die Über-schussentfernung nach dem Zementieren erleichtert. Einteilige, d.h. monolithische ZrO2-Abutments ohne Zwischenstruktur bieten den Vorteil, dass sich keine Klebe- und Fügematerialien im Sulcus befinden.

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3. CAD/CAM-Keramik-Abutment ohne Klebebasis: CAD/CAM-gefertigte Abutments aus Keramik ohne Klebebasis sind wie Titan-Abutments aus einem Monoblock gefertigt. Die Außengeometrie des Abutments wird den Konstruktionsdaten des ZT-Labors bzw. analog dem Wax-up individualisiert aus dem Rohling herausgeschliffen. Nachteilig ist, dass es keine Konushaftung der Abutmentschrauben gibt. Um Zugspannungen zu vermeiden, haben die Schrauben einen planen, winkelrechten Schraubensitz mit direktem Keramikkontakt; sie unter-liegen dem Risiko der Schraubenlockerung. 4. CAD/CAM-Keramik-Abutment mit Klebebasis (Hybrid-Abutment): Hergestellt aus Zirkoniumdioxid oder Lithiumdisilikat, kommen dafür teilvorgefertigte Meso-Blocks mit einem Schraubenkanal zum Einsatz. Das Abutment als Überwurfteil wird mit einer Titanhülse verklebt. Die TiBase weist die gleiche Passung wie ein kon-fektioniertes Titan-Abutment auf. Der konische Schraubensitz verhindert eine Schraubenlockerung. Zuspannungen treten nicht auf. Nachteilig kann sich eine Plaqueaffinität in der Klebefuge zwischen TiBase und Abutment auswirken.

Abb. 6: Individualisiertes ZrO2-Abutment stützt das periimplantäre Weichgewebe. Quelle: Zembic Individualisierte Abutments In den Fällen, in denen ausgeprägte Angulationen vorhanden sind und die Form des konfektionierten Aufbaus stark von der natürlichen Pfeilergeometrie abweicht, ist das individuell gefertigte, vollkeramische Abutment angezeigt (Abb. 6). Speziell gestalte-te Abutments, die bereits die Geometrie eines beschliffenen Prämolaren oder Mola-ren nachbilden, sind für eine anatomisch korrekte Gerüstgestaltung auch aus me-chanischen Gründen vorteilhafter. Durch die individuelle Charakterisierung wird im Wurzel- und Übergangsbereich zur Krone ein natürliche Passung erreicht. Die Geo-metrie des Hybrid-Abutments mit Abschlussrand der Krone auf Gingia-Niveau er-

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leichtert die Eingliederung. Grundsätzlich gilt immer, die einzusetzenden Abutments möglichst nicht mehr im gesinterten Zustand zu beschleifen, um eine eventuelle Werkstoffschädigung auszuschließen [12]. Die Hybrid-Abutment-Krone (Abb. 7), z.B. aus Lithiumdisilikat, vereint das Abutment und die verblendfreie Krone in einem Teil. Die monolithisch ausgeschliffene Implantatkrone wird mit der TiBase verklebt. Dann wird die Krone – in einem Stück – in den Enossalpfeiler eingeschraubt. Der Schraubenkanal wird mit Komposit ver-schlossen. Besonders im Molarenbereich, wo Festigkeit und komfortables klinisches Handling angezeigt sind, bieten Hybrid-Abutment-Kronen die wirtschaftliche Alterna-tive zur klassischen Implantatversorgung. Die Verschlankung der Suprastruktur ver-hindert, dass bei einer eventuellen Rezession des Weichgewebes das Abutment sichtbar wird. Die Individualisierung des Emergenzprofils kann mit einem Wax-up oder mit speziel-ler CAD/CAM-Software unterstützt werden. Als Parameter eines individualisierten Abutments gelten das Weichgewebs-Durchtrittsprofil, die Präparationstiefe, gemes-sen vom Zahnfleischsaum oder von der Implantatschulter, die Ausformung der Abutmentpräparation (Stufe oder Hohlkehle), Retentionsflächen beim Titan-Abutment und die Einschubrichtung der Abutments. Hierbei kann eine Schleimhautunterstüt-zung, deren Ausformung und der größte anatomische Abutment-Umfang berücksich-tigt werden.

Abb. 7: Hybrid-Abutment-Krone mit TiBase spannungsfrei verklebt, mit Verschrau-bung als Verbindungsteil zum Enossalpfeiler. Quelle: Fehmer Beim Laboreinsatz hat sich als effizient erwiesen, Konfektionszähne aufzuschleifen. Um die optimale Position der Zähne auf dem Implantatmodell zu erreichen, können die Zähne auf eingekürzten Abformpfosten aufgewachst werden. Damit lässt sich das

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Wax-up reproduzierbar aufsetzen und abnehmen. Das passende Abutment kann nach Maßgabe im Webordner des industriellen Herstellers bestellt werden. Einen neuen Ansatz bietet die Dentalindustrie. Das zahntechnische Implantatmodell kann gescannt, die Suprastrukturen konstruiert und der Datensatz an ein Fertigungs-zentrum gesandt werden. Vor der industriellen Herstellung der Abutments und Implantatkronen werden in der Freigabephase Kontrollausdrucke per E-Mail mit dem Auftraggeber ausgetauscht; erst dann erfolgt das Ausfräsen aus Titan oder Keramik. Verschraubte Suprastrukturen Im Sulkus verbleibende Zementreste können iatrogene Entzündungen im periimplan-tären Gewebe auslösen. Zur Vermeidung dieses Risikos darf die Abutmentschulter nur leicht subgingival gelegt werden – alternativ können implantatgetragene Einzel-kronen verschraubt werden. Dafür muss der Schraubenkanal okklusal offen liegen. Limitiert wird auch die Verschraubung durch die Implantatachse, wenn der Schrau-benkanal labial im Frontzahnbereich platziert werden muss. Bei einer verschraubten Implantat-Einzelkrone repräsentiert das Abutment das Ge-rüst der Krone. Es muss so konstruiert werden, dass es als Gerüst die Verblendke-ramik unterstützt. Hier ist die Individualisierung des Sekundärteils von Vorteil, um das Gerüst der zukünftigen Krone anzupassen. Damit Keramik-Abplatzungen verhindert werden, wird eine Verblendkeramik-Schichtstärke von maximal 1,5 mm empfohlen. Die verschraubte Suprastruktur erleichtert den Austausch im Reparaturfall [9]. Freiend-Versorgung mit Implantat Zur Vermeidung von herausnehmbarem Zahnersatz können distale Freiendsituatio-nen mit vollkeramischen Restaurationen auf Implantaten versorgt werden. Im Ver-gleich zum herausnehmbaren (Modellgussprothese) oder kombiniert festsitzend-herausnehmbaren Zahnersatz (doppelkronenverankert) bieten implantatgetragene Versorgungen bei richtiger Indikationstellung günstigere Überlebensraten, einen er-höhten Kaukomfort und eine gesteigerte Lebensqualität für den Patienten. Geeignete Indikation sind: Lückenschluss im reduzierten Gebiss (OK, UK), distale Versorgung von unilateral oder bilaterial verkürzten Zahnreihen (Kennedy-Klasse II), und die Substitution von nicht erhaltungswürdigen Zähnen. Damit kann eine dauer-hafte, okklusale Abstützung erzielt, der Alveolarkamm erhalten, die Restbezahnung entlastet, und dorsale Teilprothesen abgestützt werden. Materialauswahl für die Prothetik Die Aufbauten zweiteiliger Implantate können heute statt aus Metall aus Lithium-disilikat oder aus Zirkoniumdioxid ausgeführt werden [12]. Vor allem im ästhetisch sensiblen Weichgewebsdurchtritt bieten vollkeramische Abutments große Vorteile. So wird eine gräuliche Verfärbung der Gingiva durch metallisches Durchschimmern vermieden. Ferner erreichen vollkeramische Kronen erst nach Verwendung von Ke-ramik-Abutments ihre volle ästhetische Qualität, da kein dunkler Metallpfosten den Lichtdurchtritt verhindert. Die geringere, mikrobielle Belagsbesiedlung auf Keramik-Abutments bedeutet eine hohe Biokompatibilität und löst weniger Entzündungen aus.

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Als Werkstoffe für Implantatkronen haben sich bewährt: Lithiumdisilikat, zirkonver-stärktes Lithiumsilikat, monolithisches Zirkoniumdioxid. Für implantatgetragene Brü-cken eignen sich Zirkoniumdioxid, Lithiumdisilikat (3gliedrig, anterior bis zum Prämo-lar). Falls Gerüste verblendet werden, ist eine anatoforme Höckerunterstützung der Verblendung erforderlich; Verblendschichtdicke maximal 1,5 mm. Eine Nachbearbei-tung der Gerüste darf nur unter Wasserkühlung mit der Laborturbine und Feinkorndi-amant erfolgen. Neue, polymerdotierte Werkstoffe wie Hybridkeramik sowie Resin-based Nano-Compounds scheinen aufgrund von E-Modul und Resilienzfähigkeit für implantatgetragene Kronen geeignet zu sein, weil der Kaudruck absorbiert und mög-licherweise die enossale Osseointegration nicht belastet wird [14]. Klinische Bewährung Die Prüfung des klinischen Überlebens von vollkeramischen Abutments reicht bis zu 12 Jahren zurück [16, 28]. Bei den mittelfristigen Überlebensraten wurde kein Unter-schied zwischen Abutments aus Metall oder Keramik gefunden [22]. Übersichtsarbei-ten zeigten für Abutments aus Zirkoniumdioxid und Titan Erfolgsraten nach fünf Jah-ren von 97 Prozent. Längerfristig sanken die Erfolgsraten auf 94-81 Prozent, abhän-gig vom marginalen Knochenverlust. Eine weitere Rolle für den klinischen Erfolg von Abutments aus Zirkoniumdioxid scheint die Art des verwendeten Implantatsystems zu sein. Besonders die Verbindung zwischen Implantat und Abutment nimmt Einfluss auf die Frakturrate. Auch eine zu geringe Dimensionierung und Wandstärke; eine forcierte Abkühlphase im Sinterprozess sowie eine extensive Nachbearbeitung des Gerüsts durch Beschleifen erhöht das Risiko [17]. Studien mit Hybrid-Abutments, d.h. Zirkoniumdioxid mit TiBase verklebt, zeigen eine höhere Frakturfestigkeit gegenüber einteiligen Abutments [6] und sind somit für den hochbelasteten Molarenbereich ge-eignet. Für Heilungskappen aus ZrO2 konnte gegenüber Titan eine geringere Bakte-rienadhäsion nachgewiesen werden. Implantatgetragene Einzelkronen aus Zirkoniumdioxid (ZrO2) waren nach 10 Jahren noch komplikationsfrei [4, 5]. Es zeigten sich keine Unterschiede zwischen metalli-schen und keramischen S]uprastrukturen. Systematische Übersichtsarbeiten vermit-teln jedoch kontroverse Ergebnisse zulasten vollkeramischer Suprastrukturen [11]. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass hier ältere Studien mit Komplikationen bei Zirkoniumdioxid-Kronen eingeflossen sind, die hohe Verblendfrakturraten (Chippings) aufwiesen. Während Gerüstfrakturen selten aufgetreten sind, zählt das Chipping von verblendeten ZrO2-Kronen nach wie vor zu den häufigsten Komplikationen [7]. Neue-re klinische Daten zeigen, dass mittelfristig auch bei vollkeramischen Systemen mit einer Überlebensrate von mehr als 90 Prozent zu rechnen ist [25]. Inzwischen gelangt oftmals monolithisches ZrO2 für implantatgetragene Kronen zum Einsatz, besonders im Seitenzahngebiet. Damit wird das Chipping-Risiko umgangen. Der semi-opake Werkstoff kann zahnfarbig bemalt, mit Tauchlösung koloriert, aus farbgeschichteten Blocks gefräst oder partiell bzw. labial dünn verblendet werden, wobei die Funktionsflächen unverblendet bleiben. Dafür liegen klinisch günstige Prognosen vor [3]. Aufgrund der besseren Ästhetik und der ausreichend mechani-schen Eigenschaften sollte für Implantatkronen im Frontzahngebiet Lithiumdisilikatkeramik vorgezogen werden [18].

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Während sowohl verschraubte als auch zementierte vollkeramische Versorgungen auf Implantaten gute Prognosen aufweisen [26], werden vielfach, wo klinisch mög-lich, verschraubte Lösungen bevorzugt [24]. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass Zementrückstände periimplatäre Entzündungen auslösen können. Mit eingefärbten vollkeramischen Abutments bietet sich die Möglichkeit, die Zementfuge bewusst epimukosal oder supramukosal zu legen, um die Versäuberung zu erleichtern und das Verdrängen von Zementrückständen in subgingivale Bereiche zu unterbinden. Unabhängig von der Lagerung auf Zähnen oder Implantaten weisen Brückenkon-struktionen höhere Komplikationsraten auf (Abb. 8) [8]. Mit zunehmender Spannwei-te steigt das Frakturrisiko für die Vollkeramik; das betrifft besonders das Chipping [26]. Gerüstfrakturen bei Implantatbrücken aus Zirkoniumdioxid wurden selten beo-bachtet [3]. Dies wird auf das Fehlen des parodontalen Ligaments und die starre Verbindung der Brückenglieder zurückgeführt. Im Gegensatz zu dreigliedrigen Implantatbrücken scheinen weitspannige Rekonstruktionen aus ZrO2 eine höhere Chipping-Anfälligkeit zu haben.

Abb. 8: 4gliedrige Implantatbrücke aus monolithischem ZrO2, farblich individualisiert. Die enossale Verschraubung erfolgt durch Schraubenkanäle, die nach Eingliederung mit Komposit verschlossen werden. Quelle: Fehmer Auf einen Blick Auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse können vollkeramische Werkstoffe für implantatgetragene Suprastrukturen in den meisten Fällen empfohlen werden. Abutments aus Vollkeramik haben bei korrekter okklusaler Funktion kein höheres Komplikationsrisiko als Titan-Abutments. Die Individualisierung des Abutments ist zu bevorzugen. Zur Erfüllung ästhetischer Anforderungen im Frontzahnbereich ist die Vollkeramik unabdingbar. Im Seitenzahngebiet haben sich Hybrid-Abutments mit

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verklebter TiBase bewährt. Vollkeramische, implantatgetragene Einzelkronen haben klinisch eine sehr gute Prognose. Weitspannige Implantatbrücken haben eine höhere Komplikationsrate, unter anderem durch das Chipping-Risiko. Unverblendete Funkti-onsflächen sind deshalb zu bevorzugen. Verschraubte als auch zementierte Implantataufbauten weisen gleichermaßen gute Prognosen auf. Manfred Kern - Arbeitsgemeinschaft für Keramik in der Zahnheilkunde e.V. Schriftführung [email protected] www.ag-keramik.de Literatur: 1 Ackermann KL, Kirsch A, Nagel R, Neuendorff G: Mit Backward Planning zielsi-cher therapieren. Teamwork Teil 1, 2008; 4: 466-484

2 Beuer F, Schweiger J, Edelhoff D: Digital dentistry - an overview of recent developments for CAD/CAM generated restorations. Br Dent J 2008; 204(9): 505–511 3 Bömicke W, Rammelsberg P, Stöber T, Schmitter M: Short-term prospective clini-cal evaluation of monolithic and partly veneered zirconia single crowns. J Esthet Restor Dent 2016; 29(1): 22-30 4 Ekfeldt A, Fürst B, Carlsson GE: Zirconia abutments for single-tooth implant rest-orations: a 10- to 11-year follow-up study. Clin Oral Implants Res 2016; 24, Epub ahead of print

5 Fenner N, Hämmerle CHF, Sailer I, Jung RE: Long-term clinical, technical, and esthetic outcomes of all-ceramic vs titanium abutments on implant supporting single-tooth reconstructions after at least 5 years. Clin Oral Implants Res 2016; 27: 716-723

6 Gehrke P, Johannson D, Fischer C, Stawarczyk B, Beuer F: In-vitro fatigue and fracture resistance of one- and two-piece CAD/CAM zirconia implant abutments. Int J Oral Maxillofac Implants 2015; 30: 546-554

7 Güncü MB, Cakan U, Aktas G, Güncü GN, Canay S: Comparison of implant vs tooth-supported zirconia-based single crowns in a split-mouth design: a 4-year clini-cal follow-up study. Clin Oral Investig 2016; 20(9): 2467-2473

8 Hahnel S: Vollkeramische implantat-getragene Versorgungen – State of the Art? Wissen Kompakt Springer 2017; Band 11(2): 55-61

9 Harder S, Wiltfang J, Kern M: Prothetische Versorgung distaler Freiendsituationen mit dentalen Implantaten zur Vermeidung von herausnehmbarem Zahnersatz. Quint-essenz 2009; 60: 1305-1318

10 Hopp M, Moss C: Hybrid-Abutments – Möglichkeiten der Herstellung. Zahn Prax 2011; 14(4): 200-207

11 Jung RE, Zembic A, Pjetursson BE, Zwahlen M, Thoma DS: Systematic review of the survival rate and the incidence of biological, technical, and esthetic complications of single crowns on implants reported in longitudinal studies with a mean follow-up of 5 years. Clin Oral Implants Res 2012; 23 Suppl 6: 2-21

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12 Kern M, Beuer F, Frankenberger R, Kohal RJ, Kunzelmann KH, Mehl A, Pos-piech P, Reiss B: Vollkeramik auf einen Blick, 2015 AG Keramik; Implantat-Abutments: p 85-97, ISBN 978-3-9817012-0-3. – All-ceramics at a glance, 3. English Edition 2017, ISBN 978-3-9817012-3-4

13 Larsson C, Vult von Steyern P: Five-year follow-up of implant-supported Y-TZP and ZTA fixed dental prostheses. A randomized, prospective clinical trial comparing two different material systems. Int J Prosthodont 2010; 23: 555-561

14 Magne P, Silva M, Oderich E, Boff LL, Enciso R: Damping behavior of implant-supported restorations. Clin Oral Implants Res 2013; 24(2): 143-148

15 Müller HP, Eger T: Masticatory mucosa and periodontal phenotype: a review. Int J Periodontics Restorative Dent 2002; 22: 172-183

16 Passos SP, Linke B, Larjava H, French D: Performance of zirconia abutments for implant-supported single-tooth crowns in esthetic areas – a retrospective study up to 12-year follow-up. Clin Oral Implants Res 2016; 27(1): 47-54

17 Rinke S: Anterior all-ceramic superstructures – chance or risk? Quintessence Int 2015; 46: 289-302

18 Rinke S, Lattke A, Eickholz P, Kramer K, Ziebolz D: Practice-based clinical eva-luation of zirconia abutments for anterior single-tooth restorations. Quintessence Int 2015; 46(1): 19-29

19 Rudolph H, Salmen H, Moldan M, Kuhn K, Sichwardt V, Wörtmann B, Luthardt RG: Accuracy of intraoral and extraoral digital data acquisition for dental restorations. J Appl Oral Sci 2016; 24(1): 85-94

20 Rugani P, Kirnbauer B, Arnetzl GV, Jaske N: Cone beam computerized tomography – basic for digital planning in oral surgery and implantology. Int J Comput Dent 2009; 12(2): 131-145

21 Sailer I, Benic GI, Fehmer V, Hämmerle CHF, Mühlemann S: Randomized con-trolled within-subject evaluation of digital and conventional workflows for the fabrica-tion of lithium disilicate single crowns. Part II: CAD/CAM vs conventional laboratory procedures. J Prosthet Dent 2017; 118(1): 43-48

22 Sailer I, Philipp A, Zembic A, Pjetursson P, Hämmerle CHF, Zwahlen M: A systematic review of the performance of ceramic and metal implant abutments supporting fixed implant reconstructions. Clin Oral Implants Res 2009: 20 Suppl 4: 4-31

23 Seelbach P, Wöstmann B: Abformung konventionell oder digital. Quintessenz 2012; 63(12): 1567-1575

24 Wang JH, Judge R, Bailey D: Five-year retrospective assay of implant treatments and complications in private practice. Restorative treatment profiles of single and short-span implant-supported fixed prostheses. Int J Prosthodont 2016; 29: 372-380

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26 Wittneben JG, Millen C, Brägger U: Clinical performance of screw vs cement-retained fixed implant-supported reconstructions – a systematic review. Int J Oral Maxillofac Implants 2014; 39 Suppl: 84-98

27 Wöstmann B: Der Weg in die Zukunft. Die Zahnarzt-Woche 2012; 10

28 Zembic A, Kim S, Zwahlen M, Kelly JR: Systematic review of the survival rate and incidence of biologic, technical, and esthetic complications of single implant abutments supporting fixed prostheses. Int J Oral Maxillofac Implants 2014; 29 Suppl: 99-116

___________________________________________________________ Redaktion: Manfred Kern, Wiesbaden Schriftführung AG Keramik Tel. (0611) 401 278, Fax 716 7618 E-Mail: [email protected]