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Anlaß dieser Betrachtung sind eine Reihe von Studien zur Archäologie des meroitischen Rei- ches, die in den letzten Jahren erschienen sind. Ziel dieser Arbeiten ist es, über die Beschreibung konkreter historischer Abläufe – der Ereignis- geschichte, wie sie sich in der Abfolge von Herr- scherpersönlichkeiten, Kriegen und diplomati- schen Delegationen, konkreten Bau- und Restaurierungsprogrammen etc. spiegelt hinaus solche Parameter wie ökologische Bedin- gungen (Klima, Böden etc.) und sozialökono- mische Verhältnisse (Bevölkerung, Wirtschafts- weise, Machtverhältnisse) in die Charakterisie- rung der meroitischen Kultur einzubeziehen. Dabei werden Fragen der Bevölkerungsstruktur und der Wirtschafts- und Lebensweise im meroitischen Reich gestellt, die besonders für die Interpretation der Großfundplätze in der Kera- ba (Musawwarat es-Sufra, Naqa) von Interesse sind. Im folgenden sollen einige dieser Studien vorgestellt werden, ergänzt um eine Reihe sich ergebender Ableitungen. I. Die frühe Auseinandersetzung mit nubisch- sudanischen 1) Altertümern stand ganz im Zei- chen der Ägyptologie. Neben den Reisenden, die häufig einen Aufenthalt in Ägypten mit dem Besuch des seit 1820 von Ägypten eroberten Sudan verbanden, war es vor allem die König- lich Preußische Expedition von 1842 – 1845 unter Karl Richard Lepsius, die sich neben den ägyptischen auch den nubisch-sudanischen Zeugnissen antiker Kulturen widmete. Erklärtes Ziel Lepsius’ war es, den Zusammenhang der ägyptischen mit der nubisch-sudanischen Kul- tur zu untersuchen, der These antiker Autoren (wie Strabon) folgend, daß die ägyptischen Pha- raonen aus dem Süden eingewandert seien. Die Martin Fitzenreiter Vom „Korridor“ zur „Kreuzung“ – neue Ergebnisse der Archäologie des meroitischen Reiches Khidir A. Ahmed: Meroitic Settlement in the Central Sudan. An Analysis of Sites in the Nile Valley and the Western Butana, BAR 197; Oxford, 1984 Khidir A. Ahmed: Economy and Enviroment in the Empire of Kush 7. Meroitistenkonferenz; Berlin, 1992, Preprint Bradley, Rebecca J.: Nomads in the Archaeological Record, Meroitica 13; Berlin, 1992 Sadr, Karim: The Development of Nomadism in Ancient Northeast Africa; Pennsylvania, 1991 Edwards, David N.: The Archaeology of the Meroitic State. New Perspectives on its social and political organisation, Cambridge Monographs in African Archaeology 38, BAR Int. Series 640; Oxford, 1996 1) Es erweist sich immer wieder als schwierig, den von der Sudanarchäologie untersuchten Raum begrifflich zu fassen. Sudan bzw. sudanisch beschreibt, neben dem modernen Staat Sudan, auch den gesamten Bereich südlich der Sahara und nördlich der innerafrikanischen Regenwälder. Nubien ist eine Landschaft entlang des Nils, die oft auf das heute von Nubiern bewohnte Gebiet beschränkt gesehen wird. Unter nubisch-suda- nischem Raum soll hier die Region im Norden des modernen Staates Sudan verstanden werden, die sowohl durch die geographischen und kulturellen Besonderheiten des mittleren Niltals (Nubiens im wei- teren Sinne) als auch der angrenzenden Savannen (des östlichen Sudan) geprägt ist. Buchbesprechungen 86

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Anlaß dieser Betrachtung sind eine Reihe vonStudien zur Archäologie des meroitischen Rei-ches, die in den letzten Jahren erschienen sind.Ziel dieser Arbeiten ist es, über die Beschreibungkonkreter historischer Abläufe – der Ereignis-geschichte, wie sie sich in der Abfolge von Herr-scherpersönlichkeiten, Kriegen und diplomati-schen Delegationen, konkreten Bau- undRestaurierungsprogrammen etc. spiegelt –hinaus solche Parameter wie ökologische Bedin-gungen (Klima, Böden etc.) und sozialökono-mische Verhältnisse (Bevölkerung, Wirtschafts-weise, Machtverhältnisse) in die Charakterisie-rung der meroitischen Kultur einzubeziehen.Dabei werden Fragen der Bevölkerungsstrukturund der Wirtschafts- und Lebensweise immeroitischen Reich gestellt, die besonders für dieInterpretation der Großfundplätze in der Kera-ba (Musawwarat es-Sufra, Naqa) von Interessesind. Im folgenden sollen einige dieser Studienvorgestellt werden, ergänzt um eine Reihe sichergebender Ableitungen.

I.

Die frühe Auseinandersetzung mit nubisch-sudanischen1) Altertümern stand ganz im Zei-

chen der Ägyptologie. Neben den Reisenden, diehäufig einen Aufenthalt in Ägypten mit demBesuch des seit 1820 von Ägypten erobertenSudan verbanden, war es vor allem die König-lich Preußische Expedition von 1842 – 1845unter Karl Richard Lepsius, die sich neben denägyptischen auch den nubisch-sudanischenZeugnissen antiker Kulturen widmete. ErklärtesZiel Lepsius’ war es, den Zusammenhang derägyptischen mit der nubisch-sudanischen Kul-tur zu untersuchen, der These antiker Autoren(wie Strabon) folgend, daß die ägyptischen Pha-raonen aus dem Süden eingewandert seien. Die

Martin Fitzenreiter

Vom „Korridor“ zur „Kreuzung“ –neue Ergebnisse der Archäologie des

meroitischen Reiches

Khidir A. Ahmed:Meroitic Settlement in the Central Sudan.

An Analysis of Sites in the Nile Valley and the Western Butana, BAR 197; Oxford, 1984

Khidir A. Ahmed:Economy and Enviroment in the Empire of Kush7. Meroitistenkonferenz; Berlin, 1992, Preprint

Bradley, Rebecca J.:Nomads in the Archaeological Record, Meroitica 13; Berlin, 1992

Sadr, Karim:The Development of Nomadism in Ancient Northeast Africa; Pennsylvania, 1991

Edwards, David N.:The Archaeology of the Meroitic State.

New Perspectives on its social and political organisation,Cambridge Monographs in African Archaeology 38, BAR Int. Series 640; Oxford, 1996

1) Es erweist sich immer wieder als schwierig, den von derSudanarchäologie untersuchten Raum begrifflich zufassen. Sudan bzw. sudanisch beschreibt, neben demmodernen Staat Sudan, auch den gesamten Bereichsüdlich der Sahara und nördlich der innerafrikanischenRegenwälder. Nubien ist eine Landschaft entlang desNils, die oft auf das heute von Nubiern bewohnteGebiet beschränkt gesehen wird. Unter nubisch-suda-nischem Raum soll hier die Region im Norden desmodernen Staates Sudan verstanden werden, diesowohl durch die geographischen und kulturellenBesonderheiten des mittleren Niltals (Nubiens im wei-teren Sinne) als auch der angrenzenden Savannen (desöstlichen Sudan) geprägt ist.

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aufgefundenen Denkmäler konnte Lepsius aberzum großen Teil einer Kultur – der meroitischen– zuweisen, die sehr viel jünger als die pharao-nische ist und von dieser in mancher Beziehunggeprägt wurde. Auch die folgenden einhundertJahre archäologischer Forschung im Nordsudankonzentrierten sich auf solche Denkmäler, die inbesonderer Weise pharaonisches Kulturgut spie-geln. Noch der Ausgräber der königlichenNekropolen von el Kurru, Nuri und Meroe, derAutor der bis heute gültigen Chronologienubisch-sudanischer Kulturen, George A. Reis-ner ging davon aus, daß selbst die Gründer desnapatanischen Reiches aus dem Norden, wohlaus Libyen eingewanderte Herrscher gewesenseien. Der antike Sudan wurde vor allem als eineArt südliche Randkultur, als ein etwas barbari-sches Anhängsel der pharaonischen Kultur gese-hen.

Zwei Ereignisse beförderten seit den fünfzi-ger Jahren unseres Jahrhunderts einen Wandel inder Betrachtungsweise des antiken Sudan: DieUnabhängigkeit des Landes 1956, in deren Folgeeine nationale Antikenbehörde gegründet wurdeund eine einheimische Generation von Archäo-logen heranwuchs, sowie der Bau des Assuan-Staudammes 1959 – 1969, in dessen FolgeUnternubien von Aswan bis zum Zweiten Kata-rakt überschwemmt wurde. Für das sich her-ausbildende Nationalbewußtsein, zumindestder westlich gebildeten Schichten des Sudan,besaßen die Altertümer des Landes eine beson-dere Bedeutung. Die eigenständigen Leistungender Vergangenheit, weniger ihre Abhängigkeitvon pharaonischen Vorbildern, rückten in denMittelpunkt des Interesses. Die Eröffnung desNationalmuseums in Khartoum 1971 markiertden Höhepunkt dieser Phase, in der die antikenubisch-sudanische Kultur als Produkt einereigenständigen und innovativen Entwicklungerkannt wurde, die sich zwar durchaus der kul-turellen Anregungen des pharaonischen Ägyp-ten (und des christlichen Orients) bediente, dieseaber den lokalen kulturellen Bedürfnissen ent-sprechend umprägte. Großflächige Surveys wiedie Butana-Expedition der Humboldt-Univer-sität unter Fritz Hintze 1958 gaben erstmals einBild der großen Verbreitung der nubisch-suda-nischen Kulturen über die scheinbar pharao-nisch geprägten Zentren hinaus.

Die im Zusammenhang mit den Staudamm-arbeiten unternommenen Rettungsgrabungenließen das nördliche Nubien zur besterforschtenRegion des Landes werden. Es zeigte sich, daßdie nubischen Kulturen auf eine ebensolangeEigenentwicklung zurückblicken können wiedie des pharaonischen Ägypten. Gerade in die-

ser Kontaktzone zwischen der Mittelmeerweltund dem inneren Afrika bewiesen die nubischenKulturen eine erstaunliche Permanenz bestimm-ter kultureller Elemente in der Keramik, demBestattungswesen und der Siedlungsstruktur,unabhängig von äußeren Einflüssen. In seinemepochalen Werk „Nubia. Corridor to Africa“beschreibt William Y. Adams die Kontinuitätder nubischen Kulturen vom Neolithikum bis indie Moderne in umfassender Weise.2) Die nubi-schen Kulturen, deren Charakterisierung durchdie dichte Beleglage in Unternubien geprägt ist,stellen sich als ein eigenständiger Korridor zwi-schen den Mittelmeerkulturen und dem innerenAfrika dar, gebend und nehmend, aber geprägtvon den besonderen Bedingungen des zu beidenSeiten von Wüsten eingeschlossenen nubischenNiltals.

Die Jahre des Staudammbaues hatten beson-ders das nördliche Nubien in den Mittelpunktarchäologischer Unternehmungen treten lassen.Seit den siebziger Jahren wurden jedoch immermehr Fundplätze auch im Süden des nubisch-sudanischen Gebietes, in Obernubien, in derKeraba/Butana und auch der Gezira zwischenBlauem und Weißem Nil systematisch unter-sucht.3) Grabungen in der Region von Kassalaund im angrenzenden Hochland von Äthiopienund Eritrea4) lassen kulturelle Verbindungslini-en zwischen den nubisch-sudanischen Kulturennach Osten, Untersuchungen in Darfur5) even-tuell auch nach Westen erkennen. Das Bild desantiken Sudan als eines quasi zwischen Mittel-meerwelt und innerem Afrika stehenden „Kor-ridors“ erfährt zunehmend eine Differenzie-rung: Wenigstens große Teile des nubisch-suda-nischen Kulturraumes sind Bestandteil eineskulturellen Großraumes, der sich südlich derSahara bis zum äthiopischen Hochlanderstreckt. Der bisher beobachtete „Korridor“erweist sich immer mehr als eine „Kreuzung“,als Mittelpunkt auch einer Ost-West gerichtetenkulturellen Tradition.

Die sich verbreiternde Materialbasis läßt seitdem Ende der achtziger Jahre die Archäologie

2) Adams, W. Y.: Nubia. Corridor to Africa, Prince-ton, 1977/1984

3) Siehe die Auflistung bekannter Fundplätze der mero-itischen Periode in: Edwards, D.N.: Archaeologyand Settlement in Upper Nubia in the 1st Mille-nium A.D., BAR 537, Oxford, 1989.

4) Siehe zusammenfassend: Fattovich, R.: Meroe edAksum. Alcune riflessioni, in: Hommages à JeanLeclant, BdE 106/2, Kairo, 1994, 117-133.

5) Siehe: Ibrahim Musa Mohammed: The Archaeolo-gy of Central Darfur (Sudan) in the 1st Mille-nium A.D., BAR 285, Oxford, 1986.

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des nubisch-sudanischen Raumes, insbesonderedes meroitischen Reiches, eine Reihe von Fragenunter veränderten Gesichtspunkten neu stellen.Dazu zählt das Problem der inneren Struktur desReiches von Meroe und der Beziehungen zwi-schen der nördlichen, gut erforschten ProvinzUnternubien, und der südlichen Region um dieStadt Meroe. Auch die Randzonen dieser mero-itischen Kerngebiete, die im Osten und Westenanschließenden Wüsten und Savannen, sind vonimmer größerem Interesse. Parallel mit der Ver-breiterung der archäologischen Beleglage gehtein Wechsel in den Schwerpunkten der For-schung einher. Eine Reihe von Themen dermeroitischen Archäologie, insbesondere derEreignisgeschichte,6) der materiellen (Hoch)-Kultur7) und der Sprache8) sind in gewissemMaße aufgearbeitet. Neue Schwerpunkte bildenFragen der kulturellen und sozialen Differen-zierung der Bevölkerung des meroitischen Rei-ches und seiner Provinzen, seiner Wirtschafts-weise und der Charakterisierung von Machtver-hältnissen im meroitischen Reich. Auch dasProblem der Entstehung von Staatswesen undihres Verlöschens – bisher vor allem unter demAspekt von konkreten Ereignissen wie Kriegs-zügen, Eroberungen, Herrscherfolgen etc. gese-hen – wird so neu gestellt.

Die im folgenden besprochenen Untersu-chungen sind stark von der anglophonen kul-turanthropologischen Schule der Archäologiebeeinflußt. Sie widmen sich nicht nur dem Stu-dium konkreter materieller Hinterlassenschaf-ten, sondern sind bemüht, diese in die Rekon-struktion eines zeitlich und örtlich definiertenSystems zu integrieren, das als Modell9) kultu-reller Entwicklungsprozesse der Region dient.Diese Systeme, wie das der gemischten Wirt-schaftsweise, der Interaktion von Seßhaften undNomaden und der Herrschaftsform in einemsegmentären Staat (s.u.), können häufig auf derBasis ethnographischer Untersuchungen über-prüft oder in ihrer historischen Bewegung ver-folgt werden.

II.

Khidir Ahmed (1984) unternimmt den erstenumfassenden Versuch, die Wirtschaftsweise derKernregion des meroitischen Reiches – des zen-tralsudanesischen Niltals und der westlichenButana – genau zu beschreiben. Gegenstand derUntersuchung ist insbesondere das zwischendem eigentlichen Niltal und dem Grasland derButana liegende Gebiet der Keraba. Diese Zoneist für die meroitische Archäologie von beson-derem Interesse, da in ihr eine Vielzahl vonFundplätzen dieser Zeit liegt, von den bedeu-tenden Plätzen Musawwarat es-Sufra und Naqa,über Hafire mit angeschlossenen Kulteinrich-tungen, größere bauliche Strukturen bis hin zukleinen Gräbergruppen und Ensembles vonOberflächenfunden. Diese Plätze werden vomAutor aufgelistet und besprochen. Der Schwer-punkt liegt auf der vergleichsweise gut erforsch-ten östlichen Nilseite, der Autor betont aber aus-drücklich die archäologische Potenz auch deswestlichen Nilufers, auf dem er erstmals vier sitesder Fachwelt vorstellt. Der Katalog erlaubt einenÜberblick über die bemerkenswert weit in dieKeraba hinein verteilten Fundplätze, die einerege menschliche Aktivität in meroitischer Zeitbezeugen.

Neben ausführlichen Studien zu den geolo-gischen und klimatischen Gegebenheiten zumeroitischer Zeit bezieht der Autor Beobach-tungen zur modernen Wirtschaftsweise in derRegion mit ein. Aufgrund der zahlreich hier vor-handenen Hafire war bis dato ein starkes Bevöl-kerungselement nomadisierender Viehzüchterin dieser Region angenommen worden, derenZentren um die Hafire gelegen haben, an die siesich während der Trockenperiode zurückzo-gen.10) Durch die religiöse und auch militärischeKontrolle der Hafire konnte die meroitischeHerrschaft in dieser Region gesichert werden.Dem hält der Autor entgegen, daß die relativgroße Anzahl bedeutender Siedlungs- bzw.Fundplätze einer kontinuierlichen und vor allemquantitativ erheblichen Nahrungsmittelzufuhrbedurfte, die durch nomadisierende Viehzüch-ter nicht zur Verfügung zu stellen war. Dierezente Bevölkerung der Keraba sei ebenfallskeine von nomadisierenden Viehzüchtern, son-dern betreibt recht intensiven Feldbau auf saiso-nal und nach Wasserangebot wechselndenFlächen (shifting cultivation); Viehzucht ist nurein Nebenerwerbszweig, der nicht die Haupt-

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6) Zuletzt zusammenfassend: Török, L: The Birth of anAncient African Kingdom, CRIPEL Supp. 4, Lille,1995; Török, L.: Geschichte Meroes, ANRW, Teil II,Bd. 10.1, Berlin u. New York, 1988, 107-341.

7) Keineswegs überholt: Wenig, St. et al.: Africa inAntiquity, 2 Bd., The Brooklyn Museum, New York,1978.

8) Hintze, F.: Beiträge zur meroitischen Gramma-tik, Meroitica 3, Berlin, 1978

9) Ein Modell versucht über die Beschreibung eines Phä-nomens hinaus dessen Entstehung, Funktionieren undVerlöschen sowie sein Verhältnis zu anderen Phä-nomenen zu rekonstruieren.

10) Ahmed M. Ali Hakem: Meroitic Settlement ofthe Butana (Central Sudan), in: Ucko, P. et al.:Man, Settlement and Urbanism, London, 1972

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nahrungsgrundlage darstellt. Die Bevölkerunglebt an permanenten Wohnplätzen, oft amRande des Niltals, und wechselt nur während derKultivationsperiode die Aufenthaltsplätze. Dasmöglicherweise etwas feuchtere Klima dermeroitischen Zeit macht eine vergleichbareWirtschaftsweise wahrscheinlich, wobei dieökologischen Bedingungen es sogar gestatteten,daß eine höhere Bevölkerungszahl als heute inder Keraba leben konnte, die kulturell eindeutigzum meroitischen Reich zu zählen ist.

Bradley (1992) untersucht räumlich und zeit-lich denselben Gegenstand. Auch ihr Ziel ist es,ein Modell der Lebens- und Wirtschaftsweise inder zentralen meroitischen Provinz zu entwer-fen. Der archäologische Befund wird auch vonihr sorgfältig besprochen: Im eigentlichen Niltalist in meroitischer Zeit eine relativ fortgeschrit-tene Urbanisierung festzustellen, mit einerMetropole in der Residenzstadt Meroe und einerKette von Siedlungen am Nilufer. In Meroereicht die Stratigrafie bis in das 5. Jahrhundertv.u.Z., industrielle Wirtschaftsanlagen (Kera-mik- und Eisenproduktion), Monumentalbau-ten und ausgedehnte Friedhöfe dokumentierendie Existenz einer hochentwickelten und sozialstratifizierten Gesellschaft, die in festen Sied-lungen lebte, Landwirtschaft und Viehzuchtbetrieb, spezialisiertes Handwerk kannte undam Fernhandel teil hatte. In der Keraba sind vorallem entlang der Wadis Fundplätze meroiti-scher Zeit vorhanden, darunter einige größerePlätze und Hafire, dazu auffällig viele Friedhö-fe ohne Anbindung an Siedlungsplätze. In dereigentlichen Butana schließlich ist meroitischesFundgut rar und auf einige Felsbilder und Hafi-re beschränkt.

Dieser signifikante Unterschied in der Art derHinterlassenschaften zwischen dem Niltal undder Keraba läßt Bradley zu dem Schluß kommen,daß zu meroitischer Zeit dort keineswegs land-wirtschaftliche Aktivitäten einer seßhaftenBevölkerung häufig waren, sondern diese sichauf einige günstige Plätze an den Wadisbeschränkten. Der Großteil des Gebietes sei vonnomadisierenden Viehzüchtern besiedelt gewe-sen, für die in dieser Region eine Art Kontakt-zone zur meroitischen Kultur – repräsentiert anden größeren Fundplätzen entlang der Wadisund im Niltal – bestand. Die eigentliche Butanasei das Gebiet vollnomadisierender Viehzüchtergewesen, über das die Meroiten nur nominellOberhoheit besaßen.

Diese Analyse stützt sich auf eine wertvolleethnoarchäologische Studie, die die Autorin beinomadisierenden Kababish in Darfur durch-führte. Ziel dieser Studie war es, solche mate-

riellen Hinterlassenschaften von Nomaden zuanalysieren, die sich von denen einer seßhaftenBevölkerung unterscheiden. Während Seßhaf-tigkeit durch stratifizierte Siedlungsplätze cha-rakterisiert ist, ist für Nomadismus die regel-mäßige, aber durch langzeitige Unterbrechunggekennzeichnete Nutzung bestimmter Aufent-haltsplätze kennzeichnend, wobei es eine Zoneminimaler Mobilität gibt, in der entsprechendePlätze dicht beieinanderliegen, während dieWinter/Regenzeitweiden innerhalb der Zonemaximaler Mobilität weit verteilt sind. Signifi-kante Unterschiede gibt es ebenfalls in der Art,Menge und Verteilung bestimmter Materialienund Artefakte. Wesentlich ist weiterhin, daß ineinem Gebiet mit beträchtlichem Anteil annomadisierender Bevölkerung die Siedlungs-plätze der Seßhaften eine wichtige Rolle als Aus-tausch- und Interaktionsplätze zwischen beidenBevölkerungssegmenten spielen.

Anhand der von ihr erarbeiteten Charakteri-stika für sites von seßhaften bzw. nomadisieren-den Bevölkerungsteilen nimmt sie eine Zuord-nung der beschriebenen Fundplätze vor undkommt zu dem Schluß, daß nur ein geringer Teilals Plätze einer seßhaften Bevölkerung anzu-sprechen sei. Für diese trifft die Funktion alsInteraktionsplatz zu, andere sites sind Hinter-lassenschaften einer nomadisierenden Bevölke-rung, die nach Bradley einen erheblichen Teil derPopulation in meroitischer Zeit ausmachte. Dasvon ihr entworfene Modell sieht die Butana alsZone der maximalen Mobilität dieses nomadi-sierenden Bevölkerungselements an, währenddie Keraba und auch das Niltal selbst die Zoneder minimalen Mobilität und der Interaktion dernomadisierenden Bevölkerung mit dem seßhaf-ten Teil der Population darstellt.

In seinem Hauptreferat auf der 7. Meroiti-stentagung in Berlin ging Khidir Ahmed (1992)ausführlich auf Bradley (1992) ein, wobei er eini-ge methodische Ansätze kritisierte. So sei esnicht zulässig, die rezente Wirtschaftsweise Dar-furs auf die des antiken Niltals und der Kerabazu übertragen. Die rezente Bevölkerung derKeraba betreibt eine gemischte Wirtschaft ausViehzucht und shifting cultivation, jeweils denkonkreten ökologischen Voraussetzungen jedenJahres angepaßt. Das landwirtschaftliche Poten-tial der Keraba und der Butana ist relativ hochund landwirtschaftliche Produkte stellen denHauptproteinlieferanten der rezenten Bevölke-rung dar. Der Großteil der rezenten Bevölke-rung bewohnt feste Stationen, die nur im Zugesaisonaler Arbeitsverschiebungen gewechseltwerden. Zudem ist ein großer Teil des in derKeraba/Butana gehüteten Viehs Eigentum von

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Niltalbewohnern. Der Vergleich der lokalenrezenten Verhältnisse ist nach Khidir Ahmedzulässig, da die wirtschaftlichen Verhältnissesich auch bei Bevölkerungsverschiebungen alsrecht stabil erwiesen haben. Hinzu kommt, daßsich die Artefakte der von Bradley untersuchtenrezenten Vollnomaden Kordofans und die derrezenten Bewohner der Keraba weitgehendähneln – die Wirtschaftsweise der beiden Seg-mente der sudanesischen Gesellschaft aberdurchaus verschieden ist! Aus der Vernachlässi-gung des Unterschiedes zwischen Viehzüchternmit großem Bewegungsradius einerseits undeiner Bevölkerung, die gemischte Wirtschaft ausshifting cultivation und begrenzter Viehzuchtbetreibt, andererseits, ergeben sich jedoch gra-vierende Unterschiede für die Interpretation derLebensweise der meroitischen Bevölkerung.Von Nomadismus sei im Falle der Keraba jeden-falls nicht auszugehen; daß die antiken Auto-ren11) von Nomaden im meroitischen Reich spre-chen, ist nach Khidir Ahmed eher als ein abschät-ziger Topos für Barbaren überhaupt zu werten.Im Folgenden verweist der Autor auf die Unter-suchung von Khazanov,12) der vier Formen von„pastoral economy“ unterscheidet:1. echte nomadische Viehzucht ohne jede Land-

wirtschaft;2. semi-nomadische Viehzucht, wobei zeitweise

landwirtschaftliche Aktivität an saisonalfesten Plätzen möglich ist;

3. halbseßhafte Viehzucht, bei der die Land-wirtschaft der eigentliche Hauptproteinliefe-rant ist, die Wohnplätze aber regelmäßig ver-legt werden; und

4. Fernweiden- oder Hirten-Viehzucht, bei derdie Herden nur von einem speziellen Segmentder Bevölkerung (den Hirten) begleitet wer-den, der Rest der Bevölkerung aber in relativstabilen Siedlungen lebt.

Für die meroitische Gesellschaft des Niltales undauch der Niltalrandgebiete nimmt KhidirAhmed landwirtschaftliche Nutzung entspre-chend Typ 4 als Hauperwerbszweig an. DieAnzahl großer Siedlungen oder Residenzen(Meroe, Wad Ban Naqa, Naqa, Musawwarat)benötigten für ihre Versorgung eine stabile land-wirtschaftliche Produktion, die in der Kerabawahrscheinlich als shifting cultivation betriebenwurde.

In einem neuen Licht erscheint die methodi-sche Auseinandersetzung zwischen Bradley undKhidir Ahmed durch die Arbeit von Sadr (1991).

Ziel dieser Untersuchung ist es, das Phänomender Entstehung einer nomadisierenden Wirt-schaftsweise im nordöstlichen Afrika archäolo-gisch zu klären. Kerngebiet seiner Untersuchungist die nordöstlich an die Butana anschließendeRegion des Atbai, besonders deren südlicher Teilum Kassala, wo der Autor sich auf die Auswer-tung der Ausgrabungen von R. Fattovich undeigener Surveys im Gash-Gebiet stützen kann.Wie auch Bradley ist er bemüht, Merkmale zudefinieren, anhand derer eine Zuordnung vonFundplätzen an nomadisierende Bevölkerungs-teile möglich ist. Diese sind besonders die Dauerund Sequenz der Besiedlung von Fundplätzen,die Anzahl von Keramiküberresten und die auf-einander bezogene Clusterung von Fundplät-zen. In der Gash-Region kann beobachtet wer-den, daß im Laufe der späten Kassala- und vorallem der Taka-Periode (500 v.u.Z. – 300 u.Z.)große, kontinuierlich besiedelte Plätze derfrüheren Perioden zugunsten in einem bestimm-ten Radius verteilter Stationen aufgegeben wer-den und nur wenige Plätze weiterhin Merkmaleeiner seßhaften Bevölkerung aufweisen.

Dieser Befund wird vom Autor in eine Theo-rie der Entstehung von Nomadismus als Wirt-schaftsweise eingebunden, die auf der These vonKroeber13) aufbaut, daß Nomadismus nur alseine „Halbkultur“, als eine hochspezialisierteWirtschaftsweise an der Peripherie ökonomischstarker, seßhafter Kulturen entstehen kann.Unter der Bedingung, daß diese seßhafte Kultureinen Überschuß an Nahrungs- und anderenVerbrauchsmitteln produziert, kann sich anihrer Peripherie eine Bevölkerungsgruppe erhal-ten, die einen Teil der zu ihrer Subsistenz not-wendigen Produkte von der seßhaften Bevölke-rung im Austausch gegen Produkte zumeist derViehzucht erhält. Auf diese Weise ist die vieh-züchtende Bevölkerung in der Lage, Regionenzu besiedeln, in denen eine Subsitenz ohne Ver-sorgung aus dem Hinterland nicht möglich wäre.Derartige Randgruppen sind in der Regel mobilund nomadisieren innerhalb eines definiertenGebietes. Die Entstehung dieser nomadisieren-den Gruppen ist nach Sadr mit der inneren Stra-tifizierung und dem Aufbau von Machtstruktu-ren in seßhaften Gesellschaften zu korrelieren:In dem Maße, in dem eine Gesellschaft Macht-mittel einsetzen und Grenzen definieren kann,unterbindet sie Nutzung von im eigenen Gebietliegenden Ressourcen durch die Bewohner vonRandgebieten bzw. drängt diese in ökologischweniger günstige Gebiete ab. Dadurch werdendiese Bevölkerungsteile zur teilweisen Aufgabe

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11) Strabon, Geographie, 17.1.212) Khazanov, A. M.: Nomads and the Outside

World, Cambridge, 1984 13) Kroeber, A. L.: Anthropology, New York, 1948

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der Seßhaftigkeit und einer wirtschaftlichen Spe-zialisierung (Pastoralnomadismus) gezwungenund sind auf die oben beschriebene Interaktionmit der seßhaften Bevölkerung angewiesen.

Der archäologische Befund wird vom Autorunter diesem Gesichtspunkt so interpretiert, daßdie zunehmende ökonomische Entwicklung undStratifizierung der Gesellschaft im Niltal einer-seits und im äthiopischen Hochland anderer-seits, die zur Bildung der Reiche von Meroe undAxum führte, die Bevölkerung der Zwischenge-biete einem großen ökonomischen und politi-schen Druck aussetzte. Diesem wurde ausgewi-chen, indem man im Übergang zur Taka-Kulturdie festen Siedlungsplätze aufgab und zu einernomadisierenden Lebensweise mit spezialisier-ter Viehzucht überging. Dadurch konnte mandem politischen Druck ausweichen und ent-sprach zugleich den ökonomischen Bedürfnis-sen der neu entstandenen Hochkulturen nachAustausch von Produkten einer intensiviertenViehwirtschaft. Echter Nomadismus war nachSadr im südlichen Atbai erst mit der Entstehungdes meroitischen Reiches ab ca. 750 v.u.Z. mög-lich. Seine Rekonstruktion der Lebens- undWirtschaftsweise im nördlichen Afrika schließtalso evolutionäre Faktoren, besonders der sozia-len und politischen Entwicklung in den ökolo-gisch bevorzugten Regionen im Niltal und imäthiopischen Hochland, mit ein. So zeigt dieKarte der sozialökonomischen Verhältnisse inNordostafrika um die Zeitenwende im nördli-chen Niltal das stratifizierte Staatswesen desgriechisch-römischen Ägypten, im Südengefolgt vom meroitischen Reich, das aus Kern-gebieten mit intensiver Landwirtschaft undseßhafter Bevölkerung in Obernubien und in derzentralen Provinz um Meroe besteht, umgebenvon den Aktionsräumen nomadisierenderBevölkerungen. Im äthiopischen Hochland exi-stiert das (Prä)Axumitische Reich, an dessenPeripherie ebenfalls nomadisierende Gruppenauftreten.

Interessant an diesem Modell sind vor allemzwei Aspekte: Zum einen wird die Entstehungder nomadisierenden Wirtschaftsweise als Pro-dukt einer historischen Entwicklung interpre-tiert, bei der innere Differenzierung und verän-derte Formen der Interaktion mit der Umge-bung eine wichtige Rolle spielen. Zum anderenwird das nomadisierende Segment der Bevölke-rung in engster kultureller Symbiose mit demseßhaften Bevölkerungsteil gesehen. Die Beo-bachtungen von Bradley, die eine deutlicheTrennung von seßhafter und nichtseßhafterBevölkerung mit ausgeprägten Interaktionszen-tren im Niltal und der Keraba erkennt, und die

von Khidir Ahmed, der auf die verschiedenenÜbergangsformen von seßhafter zu nomadisie-render Wirtschaftsweise verweist, werden damitin den Zusammenhang konkreter historischerAbläufe gestellt.

Edwards (1996) unternimmt den Versuch,den Charakter der sozialökonomischen Ver-hältnisse im Reich von Meroe nicht nur, wie Khi-dir Ahmed und Bradley, aus ökonomischer Sichtzu bestimmen, sondern stellt die Frage, wieMachtverhältnisse – also die Kontrolle von öko-nomischen Ressourcen, Territorien und Bevöl-kerung – innerhalb des meroitischen Reichesdurchgesetzt wurden. In der Betrachtung derSubsistenzwirtschaft des meroitischen Reichesschließt er sich weitgehend Khidir Ahmed an;wie dieser geht er von einer auf Feldbau basie-renden Wirtschaftsweise mit nicht unerhebli-chem Anteil an Viehwirtschaft aus. Das Problemdes Nomadismus in den Randgebieten des Nil-tales wird von Edwards nicht ausführlichbetrachtet, vielmehr steht für ihn die Frage derinneren Struktur des meroitischen Reiches alsein Staatswesen, als ein von bestimmten sozialenGruppen kontrolliertes Territorium im Mittel-punkt. In seinen Überlegungen stützt er sich aufdie Theorie des „segmentary state“14) undbezieht darüber hinaus Beobachtungen zu sub-saharanischen Staatswesen des Mittelalters mitein. Die von Edwards zusammengefaßten Datenzur Subsistenzwirtschaft im nubisch-sudani-schen Raum lassen keine Rückschlüsse auf einzentralisiertes, sich durch die Abschöpfung einessubstantiellen landwirtschaftlichen Mehrpro-duktes erhaltendes Staatswesen mit entwickelterBürokratie – wie etwa im kontemporären grie-chisch-römischen Ägypten – zu. Vielmehr las-sen sich Regionen mit differenzierter Präsenzder Staatsmacht unterscheiden: Die relativ starkmit Tempeln und Residenzen der meroitischenHochkultur durchdrungene Zentralprovinz des

14) Southall, A.: The Segmentary State in Africa andAsia, Comparative Studies in Society and History 30,1988, 52-82. Als „segmentary state“ wird ein vorka-pitalistisches Staatswesen bezeichnet, in dem einesoziale Gruppe von einer Kernprovinz aus weitere ter-ritoriale Segmente nominell beherrscht, in denen ihreMachtausübung aber durch lokale Eliten stark ein-geschränkt sein kann. Die nominelle Herrschaft wirddurch ein System von Verpflichtungen verwirklicht,das insbesondere aus Tributgaben und militärischerGefolgschaft besteht. Die Durchsetzung von Machtbesitzt ein starkes „symbolisches“ Moment, d.h. überbestimmte zeremonielle Handlungen und Gegen-stände werden die Beziehungen der Gruppen zuein-ander dargestellt und verwirklicht. Siehe dazu: Bour-dieu, P.: Entwurf einer Theorie der Praxis,Frankfurt a.M., 1979, 335-377.

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meroitischen Reiches befand sich im Niltal umShendi und der östlich angrenzenden Keraba, inder die Hafire ebenfalls als Belege für dieBemühungen der Zentralmacht gesehen werden,regelmäßigen Zugriff auf das Mehrprodukt inder Region zu erhalten. Die nördliche Provinzin der Gegend von Napata bis zum Dritten Kata-rakt bot bedeutend geringere ökonomischePotenzen, war aber ebenfalls durch eine Kettevon königlich-religiösen Zentren (Napata,Kawa, Tabo, Kerma) kontrolliert. Die unbefrie-digende Beleglage erlaubt es nicht, den Grad derstaatlichen Durchdringung der nördlichen Gezi-ra zu bestimmen, in der einige Fundplätze aufdie Präsenz meroitischer Herrschaft verweisen.Von besonderer Bedeutung ist die von Edwardsvorgenommene Reevaluierung der meroitischenFundplätze Unternubiens vom Dritten Kataraktbis Maharaqqa. Unter dem Eindruck der gutenBefundlage in dieser Region – die sich aus denintensiven Grabungen der Staudammkampagneergab – hatte man bisher angenommen, Unter-nubien sei eine ökonomisch blühende Provinzdes meroitischen Reiches gewesen, die auch kul-turell und eventuell politisch eine Sonderrollespielte15). Edwards kommt bei seiner Untersu-chung zu dem Schluß, daß Unternubien in mero-itischer Zeit jedoch sehr viel weniger dicht besie-delt gewesen sei als bisher angenommen (vieleSiedlungen bestanden nacheinander, nichtgleichzeitig, und die Schätzungen von Bevölke-rungszahlen waren viel zu hoch) und auch öko-nomisch keineswegs mit den südlichen Gebietenkonkurrieren konnte. Vielmehr seien die hiergefundenen Belege der meroitischen KulturZeugnisse einer politisch gewollten Besiedlungdieses ökonomisch eher unbedeutenden Gebie-tes, um den Kontakt zur Mittelmeerwelt auf-rechtzuhalten. Mit dieser Auffassung dreht er diegeläufigen Interpretationen des meroitischenStaatswesens geradezu um: Sah man das mero-itische Reich bisher vor allem als aus einer kul-turell und ökonomisch starken Nordprovinz –dem Korridor zwischen Erstem und DrittenKatarakt – und einer stromauf anschließendengleichberechtigten Südprovinz an, so erscheintnun der südliche Teil als der kulturell, ökono-misch und politisch bestimmende Teil des Rei-ches, während Unternubien nur ein aus politi-schen Gründen aufrechterhaltener, ökonomischunbedeutender Fortsatz nach Norden ist.

Indem die schon im subsaharanischen Savan-nengürtel liegende Region des Zentralsudan alsKernprovinz des Reiches erkannt wird, rückt sie

in Beziehung zu anderen Staatswesen, die seitdem frühen Mittelalter südlich der Sahara ent-standen. Diesen sudanischen Reichen war nachEdwards eigen, daß die politisch herrschendeSchicht ihre Macht weniger durch einen zentralund bürokratisch organisierten Ressourcenein-zug sicherte, sondern neben verschiedenen For-men von Besteuerung und Anspruch aufArbeitsleistungen insbesondere regelmäßigemilitärische Raubzüge und die Kontrolle desFernhandels als ihre ökonomische Grundlagenkannte. Das Sultanat der Funj von Sennar unddas der Keira von Darfur stellten zwei solcherReiche auf dem Gebiet des heutigen Sudan dar.Auch für das Reich von Meroe möchte Edwardsähnliche Formen der Machtausübung anneh-men. Das große Gewicht, das die Demonstrati-on militärischer Stärke für die Aufrechterhal-tung staatlicher Macht im Reich von Meroehatte, ist offensichtlich. Diese Beobachtungkorreliert mit dem Entwurf des Reiches vonMeroe als einem segmentären Staat, dessenKerngebiet relativ dicht von Zeugnissen könig-licher Präsenz durchdrungen ist, in dessenRandgebieten aber die königliche Macht nurfallweise, im Zuge militärischer Unternehmun-gen, durchgesetzt werden konnte. Wenigerbefriedigend ist der Versuch Edwards’, die fürdie ökonomische Situation mittelalterlichersudanischer Reiche typische Kontrolle desFernhandels und die in Gräbern der sozialenElite Meroes gefundenen importierten Luxus-gegenstände direkt in einem Modell einer „Pre-stigegüterwirtschaft“ im Reich von Meroe zuverbinden. Zweifellos besaßen importierteGüter und auch andere Formen importierterkultureller Ausdrucksweise große Bedeutungbei der rituellen Durchsetzung und Darstel-lung königlicher Macht.16) Der Import vonPrestigegütern und deren Konsumption imRahmen ritueller Machtdefinition ist jedochnicht mit einer militärischen und administrati-ven Kontrolle von Fernhandel zu vergleichenoder sogar gleichzusetzen. Fernhandel betrafwenigstens in den sudanischen Reichen desMittelalters tatsächliche Handelsgüter (Elfen-bein, Sklaven, Gold, Produkte exotischerPflanzen und Tiere), die erworben, transpor-tiert und mit ökonomischem Gewinn ver-äußert wurden, und auch in meroitischer Zeitgibt es dafür zwar nur wenige, aber dennoch

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15) Trigger, B.: History and Settlement in LowerNubia, New Haven, 1965

16) Siehe z.B. den gewaltigen materiellen und symboli-schen Aufwand im Rahmen königlicher Bestattun-gen; Lenoble, P.: The Division of the MeroiticEmpire..., in: Eighth International Conference forMeroitic Studies, pre-prints, London, 1996, 68-103.

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Belege.17) Die politisch gewollte Aufrechterhal-tung des Korridores zum Mittelmeer kann zwei,jedoch eng verbundene Gründe gehabt haben:erstens, den „kulturellen Transfer“ zwischenmeroitischem Reich und Mittelmeerwelt auf-rechtzuerhalten – also den Import von Presti-gegütern und Prestigeideologie zu ermöglichen;zweitens, durch begrenzten Fernhandel (Exportvon Luxusgütern) die ökonomischen Mittel fürdiesen Import zu erwerben.

III.

Beim Versuch, den hier erreichten Stand derErforschung der meroitischen Kultur zusam-menfassen, ergeben sich drei interessante Impli-kationen. Diese umfassen 1.) die Konstanz regio-naler Schwerpunkte in der ökonomischen undkulturellen Entwicklung des nubisch-sudani-schen Raumes, 2.) die unerwartet große Bedeu-tung politischer Prozesse für Veränderung vonLebensweise und Formen der ökonomischenReproduktion sowie 3.) die Eigendynamik kul-tureller Phänomene wie Übernahme von Ideo-logie oder Güteraustausch.

1.) Bestimmte, ökonomisch und kulturell zudefinierende Provinzen im nubisch-sudanischenNiltal besitzen eine große historische Konstanz.Edwards (1996) hat die wichtigsten dieser Zen-tren als Segmente des meroitischen Reichsgebie-tes beschrieben.18) Analog zur Untersuchung derökonomischen Subsistenzmuster für die zentra-le Provinz um Meroe nach Khidir Ahmed (1984)kann man ähnliche Muster, zugeschnitten auf diebesondere ökologische Situation, für jedes die-ser Segmente annehmen. Ökologische und poli-tische Veränderungen können diese Musterbeeinflussen; so ist, wie Edwards (1996) zeigenkann, das mit nur sehr begrenzten Ressourcenausgestattete Unternubien zeitweise – wohl auchdurch ökologische Bedingungen wie tiefe Nil-

stände bedingt19) – kaum bewohnt, wird aber auspolitischen Gründen in der meroitischen Peri-ode erneut besiedelt. Derartige historische Pro-zesse vollziehen sich jedoch stets auf der Grund-lage und im Rahmen der ökologischen Gege-benheiten jeder der Provinzen.

Diese topographische, wirtschaftliche undteilweise wohl auch ethnisch-politische Regio-nalisierung des nubisch-sudanischen Niltals läßtsich auch in anderen historischen Periodenbeobachten. Zwei Kernprovinzen im mittlerenNiltal, Obernubien, das mindestens in zweiUnterprovinzen um das Gebiet von Napata undum das Kerma-Bassin zerfällt, und das Gebietder Shendi Reach um Meroe, bildeten die Basisdes meroitischen Reiches. Die „weichen“ Rand-gebiete bilden Unternubien im Norden, dieGezira im Süden und die Savannengebiete derButana und wahrscheinlich der Bayuda imOsten und Westen. Über diese Gebiete wieder-um treten die nubisch-sudanischen Kulturen inKontakt mit anderen Bereichen Afrikas. DieRolle des unternubischen Korridors nach Ägyp-ten ist verhältnismäßig gut erforscht; je nachpolitischer Lage wechselten sich ägyptische undobernubisch-zentralsudanesische Reiche in derHerrschaft über diese Randzone ab. Die Bedeu-tung der Kontaktzonen Butana und Atbai für dieBeziehungen zum äthiopischen Hochlandzeichnet sich immer mehr ab. Wenigstens für dieZeit des Sultanats von Sennar sind die Bezie-hungen zum westlich gelegenen Kordofan undDarfur einigermaßen bekannt. Noch immerkaum erforscht bleibt der Korridor nach Süden,der Flußlauf des Weißen Nil.

Die von Bradley (1992) und Sadr (1991) ent-wickelten ökonomischen Muster der Interakti-on zwischen seßhaften und nichtseßhaftenBevölkerungssegmenten stützen die vonEdwards (1996) vertretene These des seg-mentären Aufbaus des meroitischen Reiches.Basis des Reiches waren Provinzen mit seßhaf-ter Bevölkerung, aber auch Gebiete mithalbseßhafter Lebensweise konnten in die Herr-schaft miteinbezogen werden. Je weiter man sichjedoch vom Zentrum entfernt, desto geringerwerden die Zeugnisse andauernder meroitischerPräsenz.

2.) Diese territorial und durch bestimmteökologische Potenzen definierten Regionen bil-den den stabilen Hintergrund, ein longue duréekonstanter Parameter, vor dem sich Kulturge-schichte und Ereignisgeschichte vollziehen. Fürdie Betrachtung dieser Prozesse sind jene For-

17) Im Residenzbau von Wad Ban Naqa wurden in denMagazinräumen Reste von Elfenbein und Ebenholzgefunden: Vercoutter, J.: Un palais des „Candaces“contemporain d’Auguste, Syria XXXIX, 1962,280, Pl. XX. Auch Edwards (1996) sieht die Maga-zinräume der Residenzen in einem Zusammenhangmit dem Fernhandel.

18) Siehe hierzu auch die Vorschläge Töröks, für dasmeroitische Reich eine Herrschaftsform des „ambu-latory kingship“ anzunehmen, also eines von Zen-trum zu Zentrum ziehenden Königs, der durch reli-giöse Handlungen und seine Krönung in jedem die-ser Zentren seinen Herrschaftsanspruch durchsetzt;Törok. L.: Ambulatory Kingship and SettlementHistory, in: Meroe. Six Studies on the Cultural Iden-tity of an ancient African State, Studia AegyptiacaXVI, Budapest, 1995, 71-90.

19) Butzer, Early Hydraulic Civilization in Egypt,Chicago, 1976, 30

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schungen besonders interessant, die bestimmteInteraktionsmuster und Wirtschaftsformen alsAnpassungsstrategien beschreiben. WährendBradley (1992) den Nomadismus noch als einrelativ statisches System sieht, das quasi schonimmer in einer bestimmten Weise im untersuch-ten Gebiet üblich war, verweisen Khidir Ahmed(1992) und Sadr (1991) auf das Potential dieserWirtschaftsweise, sich bestimmten ökologi-schen, aber auch politischen Situationen anzu-passen. Insbesondere der Entwurf von Sadr, derden Übergang zu Formen der nomadisierendenLebens- und Wirtschaftsweise in Zusammen-hang mit der politischen Entwicklung sieht, birgtgroße Potenzen für die Analyse der Dialektikvon ökologisch-ökonomischen Rahmenbedin-gungen und der konkreten historischen Ent-wicklung. Sieht man Sadr folgend nomadisie-rende Lebensweise als Anpassung an ökologi-sche und vor allem politische Zwänge an, erhältdie Evolution sozialer Systeme im nubisch-suda-nischen Bereich eine neue Dimension: die derfallweisen Einflußnahme politischer Entwick-lungen auf die Lebensweise großer Bevölke-rungssegmente. Das „Politische“ als der kon-krete Ausdruck sozialer Entwicklung und Stra-tifikation, die Durchsetzung von Macht und dieBildung von Staatswesen,20) etabliert sich als einwesentlicher Faktor im Prozeß der Herausbil-dung bestimmter Formen von Lebensweise undökonomischer Subsistenz. Damit erhält dieschon seit längerem im Zentrum breiter For-schung stehende Ereignisgeschichte erneutgroße Bedeutung bei der Interpretation der kul-turellen und sozialen Entwicklung der Region.

Ähnliche Ergebnisse bringen die Untersu-chungen von Edwards (1996) zu Unternubien:auch hier ist es weniger eine stetige und unab-dingbare Evolution, die zur Neubesiedlung umdie Zeitenwende führt, als vielmehr ein bestimm-tes politisches Interesse. Auch das Baupro-gramm der Hafire der Keraba/Butana in mero-itischer Zeit kann nach Edwards als eine solchepolitische Entscheidung gewertet werden;durchgeführt, um die Macht des segmentärenStaatswesens in einer Randzone zu stabilisieren.Diese Unternehmungen erhöhten einerseits dieökonomische Potenz der Region, andererseitswerden sie die Fähigkeit der meroitischen Herr-scher befördert haben, Zwang zur Durchsetzungihrer Machtansprüche anzuwenden. Inwieweitdie Lebensweise der Bevölkerung dieser Regiontatsächlich verändert wurde, muß im Momentoffen bleiben; schon Khidir Ahmed (1992) ver-

wies auf die große Ähnlichkeit der Artefaktesowohl von seßhaften wie von nichtseßhaftenPopulationen, d.h. die Lebensweise kann relativkurzfristig neuen Bedingungen angepaßt wor-den sein.

3.) Aus dieser Beobachtung abgeleitet, ergibtsich ein weiterer wesentlicher Punkt für dieBetrachtung konkreter historischer Prozesse:die Eigendynamik, die kulturelle Phänomeneentwickeln können und durch die sie auf dieGesamtbewegung einer Gesellschaft zurückwir-ken und deren Erscheinungsbild prägen. DerFernhandel21) ist ein solches Phänomen, das anbestimmte historische Prozesse gebunden ist –es muß z.B. Abnehmer der Luxusgüter geben –,aber zugleich eigene Entwicklungen, oft nach-haltiger Art, in Gang setzt. Für die meroitischeZeit ist dieses Phänomen noch zu wenig unter-sucht, spätestens in christlicher Zeit22) und nocheinmal potenziert in islamischer Zeit spielt dernubisch-sudanesische Raum beim Zwi-schenhandel mit Luxusgütern eine Rolle. DieTeilhabe an diesem Handel verschaffte einembestimmten Segment der Bevölkerung denZugang zu ökonomischem und symbolischemKapital, das sie bei der Umsetzung von Macht-verhältnissen einsetzen konnte.23) Die Beson-derheit dieses Kapitals ist es, daß seine Erzeu-gung nicht (nur) an die Entwicklung in dereigentlichen Region gebunden ist, sondern vor

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20) Siehe hierzu: Balandier, G.: Anthropologie poli-tique, Paris, 1967.

21) Fernhandel im subsaharanischen Afrika ist ein beson-deres kulturelles Phänomen, mit dem sich Edwards(1996) auseinandersetzt. Charakteristisch ist, daß die-ser Handel von bestimmten sozialen Gruppen mono-polisiert wird und in das System der ökonomischenReproduktion der Bevölkerung nicht eingebunden ist,etwa im Gegensatz zum Binnenhandel. So wirdbeschrieben, daß bestimmte Regionen von Darfurzwar von Fernhandelswegen passiert wurden, dieseraber für die dort lebende Bevölkerung bedeutungsloswar: Soeffing, H.: Veränderungen in der Sied-lungsweise der For im Jebel Marra, Bremen,1979, 51. Nur für die Oberschicht, die diesen Handelkontrolliert, bringt er Gewinn aus ökonomischer undsymbolisch-zeremonieller Sicht. Der tatsächlicheUmfang dieses Handels ist nach modernen Kriterienoft eher gering, muß aber vor allem unter dem Aspektdes luxuriös-symbolischen Wertes der verhandeltenGüter (Sklaven, Gold, Elfenbein, exotische Tiere undProdukte) gesehen werden.

22) Siehe z.B. die Bestimmungen des baqt zur Lieferungvon Sklaven, MittSAG 6, 39.

23) Allerdings zeigt das Aufblühen von Handelsstädtenim Sultanat von Sennar und die Herausbildung einerprivaten Händlerschicht (O’Fahey, R. S. u. J. L.Spaulding: Kingdoms of the Sudan, London, 1974,78-82), daß man das Modell des ausschließlich vonHerrschergruppen monopolisierten Handels im sub-saharanischen Afrika nicht überstrapazieren sollte.

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allem an die in der Zielregion – Verlust derAbnehmer oder Verlegung von Handelswegenführen zum Zusammenbruch solcher auf exter-nen Kapitalzufluß gebauter Herrschaftsformen.

Ein ähnliches Phänomen ist die Übernahmevon Kulturelementen einer Nachbarkultur, imFalle Meroes vor allem aus dem pharaonischenÄgypten. Formen der kulturellen Repräsentati-on (Zeremoniell, Theologie, Ornat, Baukunst,Schrift etc.) Ägyptens und des antiken Mittel-meerraumes spielen in der symbolischen Ver-wirklichung der meroitischen Herrschaftsformeine eminente Rolle. Die Bedeutung, die derErwerb von Prestigegütern aus dem Mittel-meerraum für die meroitische Oberschicht hatte,beschreibt Edwards (1996). Ebenso kannEdwards nachweisen, daß dieser kulturelleTransfer an jene Segmente der meroitischenBevölkerung gebunden ist, die zur sozialen Elitegehören; parallel zu dieser Gruppe existiert einevon ägyptischen Vorbildern weitgehend unbe-einflußte Kulturstrate innerhalb der meistenZentren des Reiches.24) Der Erwerb von symbo-lischem Kapital, das praktisch nicht von der eige-nen Ökonomie erzeugt werden mußte,25) hattebei der Umsetzung der Machtbeziehungenoffensichtlich höchste Bedeutung. Es hieße aberdie Potenzen der meroitischen Kultur zu unter-schätzen, würde man nicht deren Fähigkeit zurUmsetzung dieser Vorbilder wie auch der Schaf-fung eigener Elemente von Hochkultur bei derBetrachtung der symbolischen Umsetzung vonMacht beachten.26) Gerade hier zeigt sich dieintensive Wechselwirkung von Übernahmefremder Kulturelemente und der Stimulation,

die diese Übernahme auf die Produktion eigen-ständiger Kulturelemente ausüben kann. Ande-rerseits können langandauernde und enge Inter-aktionen zu Akkulturation führen, d.h., daß vonder einheimischen Bevölkerung auffällig vieleElemente einer fremden Kultur übernommenund als Ausdrucksformen der eigenen Lebens-weise akzeptiert werden. Belege dafür bietetUnternubien zur Zeit der ägyptischen Besetzungim Neuen Reich, als eigenständige Traditionenauffällig in den Hintergrund treten, oder auchdie Christianisierung bzw. Islamisierung desnubisch-sudanischen Raumes.

Auch diese Prozesse sind stets an konkretehistorische Ereignisse gebunden. Die Wege desFernhandels nach Ägypten sind von der Ent-wicklung des Pharaonenreiches beeinflußt undschon relativ früh erkennbar, zur Küste desRoten Meeres und nach Westafrika kennen wirdie Bedeutung des Fernhandels erst aus dem spä-ten Mittelalter. Kultureller Ausstausch undKolonialisierung in Unternubien sind von derpharaonischen Ereignisgeschichte geprägt,ebenso wie der kulturelle Charakter des Reichesvon Meroe entscheidend von der EroberungÄgyptens zur Zeit der 25. Dynastie geformtwurde. Die Christianisierung und Islamisierungdes Sudan sind mit politischen Prozessen in Nor-dostafrika und dem Vorderen Orient insgesamteng verflochten.

Zusammenfassend kann man feststellen, daßdie Kulturen und Staatswesen im mittleren Nil-tal in ihrer Bewegungsform (d.h. dem Prozeßihres Entstehens, Blühens und auch Verlö-schens) zwei Faktoren unterliegen: – einem stabilisierenden Faktor: der Permanenz

bestimmter territorialer, ökologischer unddamit ökonomischer Parameter. Diese bildeneine sich nur langsam durch ökologische Ver-änderungen (z.B. Klimaveränderungen, Nil-stände) und im Zuge der Entwicklung wichti-ger Produktivkräfte (z.B. Einführung neuerBewässerungstechniken oder Getreidearten)verändernde Basis.

– und den sehr viel variableren soziokulturellenProzessen: dem Grad der Differenzierungeiner Gesellschaft nach innen – also welcheWirtschafts- und Austauschverhältnisse beste-hen, welche Machtbeziehungen es zwischenverschiedenen sozialen Gruppen gibt – und derArt ihrer Interaktion mit umgebenden Kultu-ren nach außen. •

24) Das führte in meroitischer Zeit zu einer kulturellenDifferenzierung der Bevölkerung selbst in nicht sehrzentralen Plätzen. Auf dem Friedhof von Gabatinördlich von Meroe war der Großteil der Toten in tra-ditioneller Hockerlage, Nord-Süd orientiert bestattet,einige Elitegräber besaßen einen Pyramidenoberbau,die Toten waren in ägyptischer Weise Ost-West ori-entiert in Strecklage bestattet worden; Edwards, D.:The SARS excavations at Gabati, CentralSudan, in: SARS Newsletter No 8, London, 1995, 13f.

25) So besonders in der Frühzeit des Reiches von Kuschder massive Kulturimport von Schrift, Theologie,Handwerkern etc. aus Ägypten, der in gewisser Weiseauch später gepflegt wurde. Die Erzeugung von sym-bolischem Kapital, besonders in Form von Presti-gegütern, setzt eine ökonomische Differenzierung derGesellschaft voraus, die gelegentlich gar nicht gege-ben ist und Eliten einer Gesellschaft dazu zwingt, dieentsprechenden Güter und ideellen Leistungen (Ideo-logie) zu importieren.

26) Z.B. die Schaffung eigener Palasttypen oder von zere-moniellen Anlagen wie die in Musawwarat es-Sufra;Entwicklung einer eigenen Schrift.

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