Vom Glück mit Büchern zu leben - Leseprobe - Lovenberg
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v
LF
F e l i c itas u n d i h r e F r e u n d e
F e l i c ita s vo n lov e n b e r g
Literaturkritikerin der FAZ
Felicitas von lovenberg
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E s war der schönste Tag ihres Lebens.
Es war der Tag, an dem sie zu den
Büchern kam. Dieser Tag ist nun über
zehn Jahre her, aber Felicitas von
Lovenberg erzählt davon immer noch
mit diesen leuchtenden Augen, wie Menschen es nur tun,
wenn sie von der großen Liebe sprechen. „Der Heraus-
geber der FAZ kam überraschend in mein Büro und frag-
te: ‚Wollen Sie in die Literaturredaktion kommen?‘ Ich
hatte drei Jahre für das Kunstmarkt-Ressort geschrieben –
das Lesen war bis zu diesem Tag mein Allerheiligstes. Ich
dachte, jemand anderes stünde hinter mir, dem Frank
Schirrmacher das Angebot macht. Aber nur ich war im
Wenn ich ein Buch
aufschlage,
ändert sich alles:
eine sprache
entfaltet sich,
eine andere Welt
kommt mir nah,
ich trete aus mir
selBst heraus.
„
„ Raum. Ich konnte es nicht glauben!“ Kurze Zeit später
war Felicitas von Lovenberg Literatur-Redakteurin der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ihre Leidenschaft
ihr Beruf. Seit 2008 ist sie Chefin des Ressorts und hat
damit als erste Frau die Nachfolge des legendären Kriti-
kers Marcel Reich-Ranicki angetreten.
Sie kann wie kaum ein anderer Mensch lustvoll und
unterhaltsam über Literatur erzählen und schreiben,
kämpft für ihre Meinung, ebnet neuen Talenten den Weg,
auch gegen Widerstände. Wenn sie spricht, hat man den
Eindruck, dass literarische Figuren in ihrem Kopf so
selbstverständlich ein- und ausgehen wie vertraute
linke Seite: Die Zauberhöhle der Bücher: Die
Kritikerin hat das Souterrain ihres Zuhauses in
eine Bibliothek verwandelt. Gegenüber der Trep-
pe ein Bücher-Stillleben von Ralph Fleck, ein
Hochzeitsgeschenk ihres Mannes.
oben: Im Eingang ein Leseplatz mit Union-Jack-
Kissen – Erinnerung an die Studienjahre.
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Nachbarn aus dem Haus gleich nebenan. Ihr eigenes Le-
ben und ihre Lesewelten: ein fantasievolles Gesamt-
kunstwerk aus Geschichten. „Deine Billy-Regale mit den
Büchern werden noch einmal über dir zusammenbrechen
und dich unter ihnen begraben“, hatte ihr erster Ehemann
warnend gesagt, als sie jung verheiratet waren. Zwar bra-
chen die Regale nicht zusammen – aber die Ehe. Schuld
daran war ein kleines Buch. „Ich habe in Liebeserklärung
von Michael Lentz erkannt, dass es nicht das Richtige
war.“ Über ihre Erkenntnisse schrieb sie 2005 selber ein
Buch: Verliebe Dich oft, verlobe Dich selten, heirate
nie?. Selbst hielt sie sich nicht an diese Maxime, seit
2006 ist sie wieder glücklich verheiratet. „Ich schrieb das
Buch, als ich nach meiner Scheidung in Geldnöten war
und kam mir vor wie eine Ameise, die einen Felsbrocken
stemmen will“, sagt sie. „Die Liebe ist das älteste Thema
der Menschen, alle Großen haben dazu schon geschrie-
ben! Ich war wahnsinnig, das zu tun.“ Für den viel gelob-
ten Titel erhielt sie den Ernst-Robert-Curtius-Förderpreis
für Essayistik. „Das Buch war kein Misserfolg, aber viel-
leicht nicht der Erfolg, den der Verlag erwartet hat. Es hat
mich sehr demütig gemacht.“
Felicitas von Lovenberg wuchs als Einzelkind im
Münsterland auf. „A girl who lived in the land of books“ –
wie Paul Austers Heldin Alice aus seinem Roman Sunset
Park . „Ich hatte immer ein Tier bei mir, ein Buch und et-
Felicitas von lovenberg
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was zu essen. Saß mit einem Buch im Obstbaum. Und
mein Vater hat mir viel vorgelesen“, erinnert sie sich. „Ich
habe wie entfesselt gelesen, vielleicht weil ich als Einzel-
kind ziemlich in der Isolation lebte, die Nachbarn waren
Landwirte. Ich habe mich in der Grundschule eher wie
eine Exotin gefühlt.“ Lovenberg las – wie viele Schriftstel-
ler und Kritiker – relativ früh Erwachsenenliteratur: mit elf
Jahren Königliche Hoheit, mit zwölf die Buddenbrooks,
bald darauf Krieg und Frieden. Mit 16 ging sie ins Inter-
nat nach Wales, später studierte sie in Bristol und Oxford,
seitdem ist das Englische die Sprache ihres Herzens. „Ich
bin in englischer Literatur sehr zuhause, die Jahre von 16
bis 23 haben mich dort stark geprägt“, sagt sie. „Ich habe
in England meine Education sentimentale erlebt, verste-
he die verborgenen Emotionen und den speziellen Hu-
mor. Das Englische besitzt eine Million Worte, das Deut-
sche daneben nur etwa 700 000, das beeinflusst die
Struktur von Texten.“ Aus ihrer Zeit in Großbritannien
stammt ihre umfassende englische Privatbibliothek. „Ich
habe alles, wirklich alles gelesen, von Shakespeare über
Jane Austen, James Joyce, Nancy Mitford, Sibylle Bed-
ford bis hin zu Childrens’ Books. Tausende Bücher. Mein
Vater sagte immer: ‚Egal was passiert, du sollst nicht
Geld für blöde Klamotten ausgeben und dann denken:
linke Seite: Special Relationship: Goethe
und Queen Elisabeth bewachen den gelben
Reading Chair der Literaturkritikerin. Alle
Bücher sind sorgfältig nach Themen und
Sprachen geordnet, der Platz bis in den
letzten Winkel ausgenutzt.
linkS: Lovenberg liebt die Haptik von ge-
bundenen Büchern, benutzt Kindle und
iPad fast nie. In ihrer Privatbibliothek sind
Ablageflächen eingebaut, bequem zum
Blättern in alten Ausgaben und Nachschla-
gewerken.
Ich kann mir ein Buch nicht kaufen.‘ Für Bücher war im-
mer Geld da.“
So ist ihr die englische Literatur – nicht die ameri-
kanische, da unterscheidet sie sehr genau – bis heute oft
näher als die deutsche. Sie rezensiert viele Übersetzun-
gen ins Deutsche, beschäftigt sich mit der Wirkung von
Nachdichtungen in die andere Sprache. „Die Leser haben
früh gemerkt, dass ich meine Steckenpferde in der engli-
schen Literatur habe. Leider muss ich viele Kritiken an
andere vergeben, die ich selber gerne schreiben würde“,
sagt sie. „Ich habe viel Narrenfreiheit, komme aber nicht
dazu, das wirklich auszuleben, da ich als Ressortleiterin
einen großen Apparat verwalte.“ Die FAZ-Literaturchefin
liest im Schnitt drei Bücher pro Woche, bespricht im Blatt
30 Titel im Jahr. Im Fernsehen moderiert sie die SWR-
Sendung Literatur im Foyer. „Das ist in der Vorbereitung
mit der Redaktion ein Book Club auf höchstem Niveau.
Wir sind zu dritt, lesen vorher die vorzustellenden Bücher
und diskutieren stundenlang. Das ist etwas anderes als in
der Zeitung, wo jeder einsam und allein seine Bücher
liest.“
Trotz der Bücherpakete, die tagtäglich in der Re-
daktion ankommen, kauft Lovenberg sich privat ständig
neue Titel. „Die Sekretärin der Literaturredaktion schüt-
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Wenn jemand ein
Buch schlecht
macht, das ich
lieBe, Werde ich
zur furie. Bücher
Widersprechen
nicht, können
sich nicht
verteidigen.
„
„ oben: Das Thema Buch ist in vielen Räu-
men präsent: hier eine Holzskulptur des
Künstlers Ivon Illmer; das Bild an der
Wand ist eine Arbeit von Jochen Pankrath.
rechtS: Handschmeichler, nach und nach
gesammelt: Bücher aus verschiedenen
Holzarten, auch von Ivon Illmer, daneben
ein Stein zur Erinnerung an ihre Hochzeit.
rechte Seite: Eine Feuerstelle mit Büchern –
die Mitte des Hauses. Über dem Kamin
eine Gouache von Emil Schumacher.
Felicitas von lovenberg
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telt immer den Kopf über mich, wie man sich denn noch
freiwillig Bücher anschaffen kann! Und mein Mann fällt
immer über all die Stapel, die bei uns den Weg versper-
ren.“ Sie findet es unseriös, wenn Journalisten sich jegli-
chen Titel von den Verlagen erbitten. „Natürlich bekom-
men wir Vorab- und Leseexemplare, aber alles andere hat
man zu bezahlen, das hat der Autor verdient.“
Lovenberg wählt ihre Lektüre nicht nach Namen
aus. „Ich lese die Crème de la Crème, bin aber kein
Label-Leser. Natürlich erwarten die Leser, dass ich meine
Meinung zum neuen Martin Walser oder Jonathan
Franzen habe. Seitdem ich die Redaktion leite, lese ich
viel mehr deutsche Literatur, ich muss mich ja zu den
wichtigen Diskussionen äußern“, erklärt sie. „Gegenüber
deutscher Literatur hatte ich über Jahre hinweg gewisse
Manschetten und habe immer noch gewisse Lücken. Ich
bin oft verzweifelt, weil ich noch viel mehr lesen müsste
und bin mir meiner eigenen Defizite nur zu sehr bewusst.
Manchmal liege ich nachts wach und denke: War der
Artikel über dieses Buch gut genug?“ Sie liest in der
Redaktion und auch zuhause grundsätzlich am Tisch und
hält es damit wie Marcel Reich-Ranicki. „Er sagte immer,
dass man sich zum Lesen in Anzug und Krawatte an den
Tisch setzen muss. Ich lese auch am Tisch, aufrecht.
Großartige Literatur kann man nicht im Bett im Pyjama
lesen. Auch nicht mit ungeputzten Zähnen.“
Was macht richtig gute Literatur in der überwälti-
genden Flut der Neuerscheinungen aus? „Wahre Litera-
tur ist Kunst. Sie steht über den herkömmlichen Dingen,
in ihr ist der göttliche Funke. Das einzelne Werk ist grö-
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ßer als der, der es geschrieben hat. Das ist nicht planbar“,
sagt sie ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. „Ich bin
fest davon überzeugt, dass Literatur immer das Gute im
Menschen weckt, dass sie uns demütiger, offenherziger
und dankbarer macht. Sie hat einen reinigenden, erhe-
benden Effekt. Man kann in ihr Schönheit fühlen um ihrer
selbst willen.“ Lovenberg gibt zu, dass sie ihr Urteil über
Bücher mit der Zeit ändert: „Man irrt oft! Manchmal fand
ich ein Buch großartig und habe nach einem Jahr festge-
stellt, dass ich mich kaum noch daran erinnern konnte.
Das Gedächtnis ist ein Qualitätskriterium!“
Sie sieht viele Bücher, die im herkömmlichen Sinne
nicht als bedeutend oder groß gelten, als wichtig an. „In
Büchern wie Schoßgebete von Charlotte Roche wird der
Perfektionswahn und die Rolle der Psychotherapie ver-
handelt, das ist einfach spannend für die Zeit, in der wir
leben. Deshalb habe ich diesem Buch Raum im Feuille-
ton gegeben. Es ist entscheidend, wenn ein Buch Ge-
dankenkaskaden auslöst. Das Thema Alzheimer, mit dem
unsere Gesellschaft sich gerade so intensiv beschäftigt,
habe ich in Arno Geigers Der alte König in seinem Exil,
in Martin Suters Small World und in Jonathan Franzens
Die Korrekturen so nah erlebt, als beträfe es den Vater
eines Freundes.“ Die herablassende Haltung mancher
Intellektueller gegen kommerziell erfolgreiche Titel kann
sie nicht nachvollziehen. „Nur weil ein Buch erfolgreich
ist, ist es nicht schlecht. Bücher, die sehr erfolgreich sind,
sind oft sehr gut in dem, was sie sein wollen. Sie sind
nicht aus Zufall so erfolgreich. Und es gibt viele richtig
schlechte Bücher!“
Bücher nehmen fast Lovenbergs gesamte Zeit in
Anspruch und auch in Freundschaften spielen sie eine
wichtige Rolle: „Früher wurde ich viel auf Cocktails einge-
laden, aber oft habe ich mich gelangweilt und wollte nach
Hause zu den Büchern. Wenn ich mich nicht gut unter-
halte, ist es immer so. Ich werde dann ungnädig in Ge-
sellschaft, denn ich will lesen. Und ich freue mich auf das
Alter, denn ich weiß: wenn ich eines Tages den Job nicht
mehr mache, dann warten all die Bücher auf mich.“
linkS: Der zierliche Tannenbaumsekretär
stammt aus Lovenbergs Elternhaus. Darü-
ber ein dekoratives Penguin-Cover. Auf
dem Sekretär eine Sammlung von Aus-
gaben der legendären englischen Mitford
Sisters.
Felicitas von lovenberg
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—Mein schönster erster satz: Ich achte gar nicht so sehr auf erste
Sätze. Ich achte nur darauf, wenn sie
so gut sind wie diese: „Alle glücklichen
Familien sind einander ähnlich, jede un-
glückliche Familie ist unglücklich auf
ihre Weise.“ Aus Anna Karenina von
Leo Tolstoi. Und: „It is a truth universally
acknowledged, that a single man in
possession of a good fortune must be in
want of a wife.“ Aus Stolz und Vorurteil
von Jane Austen.
—Mein schönster letzter satz:„Nun lebten sie vergnügt, und es ging
ihnen wohl bis an ihr Ende.“ Aus Die
Goldkinder der Brüder Grimm.
—ein buch, das Mein leben verändert hat: Liebeserklärung von
Michael Lentz, dem Bachmann-Preis-
träger 2003. Es war sein erster Roman,
ich habe ihn gelesen und mir war klar,
meine Ehe ist zu Ende. Dieses Buch hat
mich auf mich selbst zurückgeworfen.
Ich dachte mir: Wen belügst du eigent-
lich? Dich selbst! Hinter diese Erkennt-
nis konnte ich nicht mehr zurück.
—ein buch, das Mich einMal gerettet hat: Die Gedichte der Emily
Dickinson helfen mir bei jeglichem Kum-
mer, Schmerz oder jeder Verzweiflung.
—ein buch Für stunden der Melancholie: Da braucht man sofort
etwas. Man kann sich nicht erst durch
100 Seiten arbeiten. Ich lese dann Ge-
dichte von Wislawa Szymborska und
Heinrich Heine.
—ein KlassiKer, der Mich zu tode langweilt: Sterbenslangweilig
wäre nur ein Leben ohne Bücher. Aber
bei Einschlafproblemen helfen Adalbert
Stifters Bunte Steine meiner Erfahrung
nach ziemlich zuverlässig.
—dieses buch hätte ich gerne geschrieben: Harry Potter natürlich –
der Beweis, dass man es mit Fantasie
und einer guten Geschichte weiterbrin-
gen kann als die englische Königin.
—auF MeineM nachttisch liegt:Howards End is on the Landing von
Susan Hill. Dieses Buch macht mich
so glücklich. Eine Frau flieht vor einer
Nachricht von David Grossmann. Eine
Geschichte von Liebe und Finsternis
von Amos Oz.
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