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1 Von der Puszta in die Karpaten Kulturlandschaften im Umbruch. Herausforderungen und Ansätze nachhaltiger Raumplanung in Südosteuropa Sommerschule im Rahmen des DAAD Go east Programms 14. - 28. Juli 2013 Abschlußbericht

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    Von der Puszta in die Karpaten

    Kulturlandschaften im Umbruch.

    Herausforderungen und Ansätze

    nachhaltiger Raumplanung in Südosteuropa

    Sommerschule im Rahmen des DAAD Go east Programms

    14. - 28. Juli 2013

    Abschlußbericht

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    INHALTSÜBERSICHT

    Einführung, Veranstalter und Mitwirkende

    Das ausführliche Programm der Veranstaltung

    Schwerpunkte der Sommerschule

    Ausgewählte Literatur

    Weiterführende Links

    Die Teilnehmer der Sommerschule sowie ihre Eindrücke und Erfahrungen

    Abschließende Worte der Veranstalter

    Einige weitere Bilder

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    EINFÜHRUNG

    Das Programm wurde von der Fakultät für Geographie der„Babeș-Bolyai“ Universität, Cluj-Napoca im Rahmen der DAAD Initiative Go east vom 14. bis 28. Juli 2013 durchgeführt

    Inhalt und Zielsetzung der Sommerschule

    Diese länderübergreifende Sommerschule verleiht Einblicke in die Problematik von Raumplanung und Regionalmanagement in Rumänien und Ungarn. Anhand ausgewählter Beispiele werden Themen und Aspekte der nachhaltigen Planung sowohl im ländlichen als auch im städtischen Raum erörtert.

    In ländlichen Regionen werden vorbildhafte Fallbeispiele vorgestellt, wo durch innovative Programme und Projekte versucht wird der drohenden Abwanderung und der Auflösung traditioneller dörflicher Strukturen entgegegenzuwirken. Dabei bemüht man sich auch die bedrohte reiche Biodiversität der traditionellen Kulturlandschaften aufrechtzuerhalten (Naturschutz) und gleichzeitig den vielfältigen Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung gerecht zu werden.

    Die rasante Entwicklung nach 1990 stellt nicht nur für den ländlichen Raum, sondern auch für die Stadtplaner und –architekten eine grosse Herausforderung dar. Wirtschaftliche Umstrukturierung, Verkehrsplanung und Zersiedelung sind einige der grössten Probleme, welche nachhaltige Lösungen erfordern.

    Wichtige Akteure in diesem spannenden Prozess sind, insbesondere im ländlichen Raum, die lokale Bevölkerung und ihre Initiativen. Gespräche mit Projektkoordinatoren, Stadtplanern, Geländeexkursionen, Vorlesungen, Führungen sollen den Teilnehmern die laufenden Entwicklungen und Trends zugänglich machen und zum nachdenken anregen. Die Kombination von aktuellen und kulturhistorischen Ansätzen vermitteltn den Studenten aufschlussreiche Erkenntnisse über ein Zielgebiet, dessen Räume und Regionen in Zentraleuropa meist nur oberflächlich bekannt sind.

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    Programmkoordinatoren:

    Dr. Kinga Xénia HAVADI-NAGY und Univ. Dozent Dr. Wilfried SCHREIBER

    Hiermit möchten wir uns bei folgenden Personen für Ihre Unterstützung und Mitwirkung herzlichst bedanken:

    Dr. Bodnár Réka, Lehrstuhl für Landschaftsschutz und Umweltgeographie, Uni Debrecen

    Dr. Borbála Benckhard, Lehrstuhl für Landschaftsschutz und Umweltgeographie, Uni Debrecen

    Béla Halasi-Kovács, ehemaliger Mitarbeiter des Horotbágy Nationalparks

    Bornemissza János, Bürgermesiter Poroszló

    Danyi Zoltán, Hortobágy National Park, Abteilung für Bildung und Tourismus

    Sándor István, Mitarbeiter Hortobágy Nationalpark

    Marius Cristea, Mitarbeiter der ADR-NV

    Tudor Pănescu, Tiberiu Ciolacu, Benjamin Kohl, Mitarbeiter vom Planwerk Architekturbüro, Cluj-Napoca

    Vincze István, Püspök Pension Sâncraiu (hu. Kalotaszentkirály)

    Furu Árpád , Koordinator des Rimetea Heritage Protection Programms im Rahmen der Transylvania Trust

    Michael Engel, Heritas Stiftung, Sibiu

    Caroline Fernolend, Mihai Eminescu Trust

    Cornel Stanciu und Laura, Mitarbeiter der ADEPT Stiftung

    Michael Schneeberger

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    AUSFÜHRLICHES PROGRAMM DER VERANSTALTUNG

    1. Tag Anreise und Einführungsveranstaltung Am Vormittag des Anreisetages werden die Teilnehmer am Budapester Keleti Bhf. empfangen.

    Von da geht es mit der Bahn weiter nach Poroszló am Theiss-See, der ersten Station der Sommerschule. Nach Zimmerbezug und Mittagessen, findet die Einführungsveranstaltung und eine landeskundliche Vorlesung zur Region statt, gefolgt vom Abendessen.

    2. Tag Naturschutzgebiet Theiss-See, Ökozentrum und Gespräch mit Bürgermeister Der Theiss-See, Ungarns grösster künstlicher See, liegt in der Grossen Ungarischen Tiefebene.

    Zur Regulierung des Theiss-Hochwassers ausgehoben, entwickelte sich der See und seine Umgebung zu einem weitgehend geschützten Lebensraum mit grossem Vogel- und Fischreichtum. Die Region bildet heute ein beliebtes Erholungsgebiet für Naturliebhaber.

    Unter kundiger Führung befahren wir mit dem Boot einige der Seebecken und lernen die vielfältige Flora und Fauna kennen. Schwerpunktmässig geht es auch um Massnahmen, welche die Natur den Besuchern zugänglich machen ohne das Ökosystem zu gefährden.

    Nach dem Mittagessen besuchen wir in Poroszló das 2012 eröffnete Ökozentrum, Präsentationsstelle dieser ökologischen Schutzregion.

    Weiterhin ist ein Gespräch mit dem Bürgermeister von Poroszló geplant, wo raumplanerische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte des Dorfes am Theiss-See angesprochen werden.

    3. Tag Hortobágy Nationalpark Nach der vom Wasser geprägten Landschaften des Theiss-Sees, erforschen wir heute die

    trockenen Weiten der Ungarischen Tiefebene. Die traditionelle Weidetierhaltung hat die Steppenlandschaft der Hortobágy weitgehend

    geschaffen und geprägt. Der 1973 gegründete Nationalpark Hortobágy schützt die einmalige Pusztalandschaft, die Brut- und Nahrungsplätze der reichen Vogelwelt, die alten Ungarischen Haustierrassen und die Hirtentraditionen.

    Die Erhaltung, der Schutz und gleichzeitig eine „touristische” Nutzung dieser Region bedeuten eine grosse Herausforderung. Wir lernen die verschiedenen Massnahmen und Programme unter kundiger Führung von Vertretern des Nationalparks kennen und erhalten Einblick in das Management eines der bedeutendsten Naturschutzgebiete von Osteuropa.

    4. Tag Fahrt nach Cluj (ung. Kolozsvár, dt. Klausenburg) in Rumänien und Vorlesung zur Geschichte Siebenbürgens und Rumäniens

    Vor der Zugreise nach Cluj, besuchen wir ein Thermalbad und thematisieren die Möglichkeiten der Inwertsetzung dieser Ressource. Anschließend treten wir per Bahn die Reise nach Cluj (Rumänien), dem nächsten Standort der Sommeruni, an. Auf der Zugreise werden Einblicke in die Geschichte Siebenbürgens und Rumäniens gewährt.

    5. Tag Vorlesung zur Raumordnung und Raumplanung in Rumänien; Treffen mit ADR NV (Entwicklungsamt zuständig für die Region NordWest)

    Am Vormittag findet eine Veranstaltung zur Raumordnung und Raumplanung in Rumänien statt Vertreter der ADR-NV erklären die Funktionsweise, Aufgaben und Tätigkeit dieses regionalen Planungs- und Entwicklungsamtes. A nschließend erkunden wir eine der Wohnsiedlungen und schauen Aspekte der sozialistischen Städtebaus und aktuelle Entwicklungen an.

    6. Tag Stadtplanung; Metropolitanregion Cluj Cluj ist ein wichtiges administratives, kulturelles und wissenschaftliches Zentrum von

    Siebenbürgen. Die rasante Entwicklung nach 1990 (wirtschaftliche Umstrukturierung, Verkehrsplanung, Zersiedelung, usw.) stellt für die Raum- und Stadtplaner dieser rumänischen Stadt eine grosse Herausforderung dar. Ein Gespräch mit Stadtplaner und –architekten soll einige dieser Problematiken erläutern. Anschliessend ist eine Stadtführung durch die Altstadt und ein Vorort vorgesehen, wo verschiedene Aspekte der Stadtplanung und –management veranschaulicht werden.

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    7. Tag Sâncraiu (ung. Kalotaszentkirály); Lokale Initiative für Agrotourismus Sâncraiu liegt am Fusse der Apuseni-Gebirge und ist Teil des ungarisch geprägten Kulturraumes

    Călata (ung. Kalotaszeg). U.a. ein regelmässig veranstaltetes Folklorefestival hat den Bekanntheitsgrad des Dorfes gesteigert; mittlerweile ist der Fremdenverkehr mit einem vielfältigen Angebot zu einem bedeutenden Nebenerwerb der Dorfbevölkerung geworden.

    Nach der Vorstellung der Kultur- und Sprachregion Călata und des Dorfes, treffen wir Herrn Vincze István, den Koordinator des lokalen Dorftourismus. Im Gespräch mit ihm lernen wir die touristische Infrastruktur kennen und das Thema „nachhaltiger Tourismus als Chance für Entwicklung und Zukunft im ländlichen Raum” kennen, womit der drohenden Abwanderung und der Auflösung traditioneller dörflicher Strukturen entgegengewirkt wird.

    Im Anschluss machen wir einen Ausflug in die nähere Umgebung. 8. Tag Rimetea (dt. Eisenburg, ung. Torockó); Ortsbild- und Denkmalpflege; „Transilvania

    Trust“ Am Beispiel von Rimetea, einem historischen ungarischen Dorf in Apuseni-Gebirge,

    untersuchen wir die Rolle des Kulturerbes in der Entwicklung des ländlichen Raumes. Die vorbildhafte, schon über zehnjährige Tätigkeit der Ortsbildpflege hat Rimetea zu einem der schönsten und bekanntesten Dörfer Rumäniens gemacht; bemerkenswert ist die gewandelte Einstellung der Bevölkerung gegenüber ihrer dörflichen Baukunst, die heute als wertvoll angesehen wird und um deren Erhalt man sich gemeinsam bemüht.

    Neben der finanziellen Unterstützung für die Sanierung der Häuser, war die nachhaltige touristische Nutzung der restaurierten Gebäuden als Gasthäuser usw. ein entscheidender Faktor für den Erfolg dieser Bemühungen. Mittlerweile steht das gepflegte Ortsbild unter Denkmalschutz und hat, zusammen mit der reizvollen landschaftlichen Umgebung, den Fremdenverkehr zu einer bedeutenden Einkommensquelle für die lokale Bevölkerung werden lassen.

    Spannend an diesem Projekt ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der beteiligten Partner, der Hausbesitzer, der Fachleute der NGO’s usw. für die Bewahrung der traditionellen Architektur in einer Region, wo wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwälzungen die gewachsenen Dorfstrukturen zerfallen lassen. Der zuständige Programmkoordinator des „Transilvania Trust“ führt und stellt uns das Dorf sowie die Tätigkeit der projektleitenden Stiftung vor.

    9. Tag Rimetea und Umgebung Nach dem am vorigen Tag die kulturelle Besonderheiten der Ortschaft erkundet wurden, machen

    wir heute eine Wanderung in die nahen Berge, auf den Seklerstein (ung. Székelykő), und lernen das landschaftliche touristische Potential des Dorfes und seiner Umgebung kennen.

    10. Tag Sibiu (dt. Hermannstadt, ung. Nagyszeben) Jahrhundertelang bildete Sibiu das Mittelpunkt im Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen

    und ist bis heute ein bedeutendes kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Transilvaniens. Im Ausland erlangte die Stadt grössere Bekanntheit, als sie im Jahre 2007 - gemeinsam mit der Stadt Luxemburg - zur Kulturhauptstadt Europas ernannt wurde. Für dieses Ereignis unternahm die Stadt größte Anstrengungen insbesondere bei der Sanierung der historischen Altstadt und dem Ausbau der lange vernachlässigten städtischen Infrastruktur. Neben einem Überblick über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen gibt die Stadtbesichtigung auch einen Eindruck davon, welche positiven Impulse die Veranstalung eines internationalen Events – bei entsprechenden Anstrengungen – für die Stadtentwicklung auslösen kann. Gesprächspartner in Sibiu ist die HERITAS Stiftung, der Nachfolger des GTZ-Büros, das an der Neugestaltung der Altstadt beteiligt war/ist.

    11. Tag Viscri (dt. Deutsch-Weisskirch, ung. Szászfehéregyház); Kirchenburg; „Mihai Eminescu Trust“

    Viscri, ein kleines Dorf in der Nähe von Schässburg, zeichnet nicht nur die Kirchenburg und die von sächsischen Höfen geprägte Dorfstruktur aus, sondern auch die zahlreichen lokal initiierten und durchgeführten Projekte, welche eine Verbesserung der Lebensumstände und Verdienstmöglichkeiten

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    für die mehrheitlich aus Roma gebildeten Dorfbevölkerung anstreben. Zusammen mit anderen Orten der Umgebung wurde 1999 das ganze Dorf samt Kirchenburg in die UNESCO-Weltkulturerbeliste aufgenommen. Somit konnte begründet werden, dass der Erhalt unbedingt nötig und nicht nur für das Weltkulturerbe, sondern primär für die Einwohner wichtig ist. Seit 1998 arbeiten die lokalen NGO’s eng mit der renommierten englischen Stiftung „Mihai Eminescu Trust” zusammen, was – neben der Ortsbild- und Architekturpflege – zahlreichen Projekten (Traditionelles Handwerk, Berufsausbildung, Agrotourismus, Ökologie, Soziales...) in über 24 Ortschaften Siebenbürgens zugute kam. Eine Erfolgsgeschichte mit Vorbildcharakter, nicht nur in Rumänien.

    Heute besichtigen wir die Kirchenburg, wo den Teilnehmern Kenntnisse zur Geschichte und Funktionsweise dieser einmaligen Bauwerke sowie dem Leben und Alltag der Siebenbürger Sachsen vermittelt werden. Am Nachmittag lernen wir lokale Vertreter des „Mihai Eminesu Trust” kennen, welche uns in Viscri ausgewählte Projekte vorstellen und zeigen.

    12. Tag ADEPT-Stiftung und Projekte Die ADEPT-Stiftung bemüht sich um die Bewahrung der Biodiversität und traditioneller

    Landwirtschaft in der siebenbürgischen Kulturlandschaft zwischen Sibiu, Sighişoara und Braşov (dt. Kronstadt). Traditionelle Weide- und Agrarwirtschaft tragen bis heute entscheidend zur Erhaltung der grossen Biodiveristät in dieser Region bei. Durch die wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Umstrukturierungen der letzten zwanzig Jahre ist diese Kulturlandschaft aber bedroht. Daher entwarf die ADEPT-Stiftung ein integriertes Programm, welches einerseits dem Naturschutz und andererseits den Einkommensmöglichkeiten der ländlichen Bevölkerung Rechnung trägt. ADEPT sieht sich als Bindegleid zwischen dem rumänischen und europäischen Fachwissen für innovativen Landschaftsschutz und der „Entwicklungshilfe” im ländlichen Raum, eng verbunden mit der lokalen Bevölkerung und ihren Bedürfnissen. Heute verbringen wir den Tag mit der ADEPT Stiftung, lernen ihre Arbeit kennen und besichtigen einige ihrer Projekte in den ehemaligen Sachsendörfern und deren Umgebung.

    13. Tag Fahrt nach Cluj durch Sighişoara (dt. Schässburg, ung. Segesvár) Auf unserer Rückreise nach Cluj besichtigen wir Sighişoara. Im 13. Jh. von deutschen Siedlern

    gegründet, war die Stadt - neben Sibiu und Braşov - ein bedeutendes Zentrum der Siebenbürger Sachsen. Die Stadtburg gilt als der “schönste und vollständigste mittelalterliche Architekturkomplex Rumäniens” und bietet dem Besucher eine einzigartige Gelegenheit die stimmungsvolle Atmosphäre dieser historischen Region kennen zu lernen. 1999 wurde die Altstadt von Sighişoara zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

    14. Tag Cluj: Abschlussveranstaltungen und Abschied 15. Tag Abreise

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    SCHWERPUNKTE DER SOMMERSCHULE

    Während der Veranstaltung haben die Teilnehmer jeweils ein Hauptthema der Sommerschule be- und verarbeitet und im Rahmen des Abschlußkolloqviums ihre Ergebnisse vorgestellt. Die nächsten vier Beiträge beinhalten die zusammenfassende Berichte zu diesen Themen.

    1. Hortobágy Nationalpark samt Theiß-See: Naturschutz, Erholung und Fremdenverkehr 2. Entwicklung des ländlichen Raumes und Pflege des Kulturerbes (Beispiel ungarische Dörfer

    in Siebenbürgen) 3. Herausforderungen und Ansätze der Raumplanung in postsozialistischen Städten (Beispiel

    Cluj und Sibiu) 4. Erhalt des soziokulturellen Erbes und Entwicklungsstrategien im ländlichen

    Südtranssilvanien (ehemaliges Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen)

    Außer der oben erwähnten vier Schwerpunkte und die dazugehörigen Fallbeispiele, haben die Betreuer der Sommerschule weitere Themen erleutet und veranschaulicht um ein umfangreiches Bild von der behandelten Problematik zu gewährleisten.

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    Naturschutz , Erho lung und Fremdenverkehr : T isza-See und Hor tobágy

    Verfasst von:

    Michael Steinmüller, Hochschule Neubrandenburg, Studiengang Naturschutz und Landnutzungsplanung (Bachelor)

    Katrin Agethen, Universität Göttingen, Studiengang Agrarwissenschaften (Master)

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    Entstehung - geschichtlicher Hintergrund: Nationalpark Hortobágy und Theiß-See

    Entstehung des Nationalparks (Katrin)

    • `67: Memorandum zum Schutz der Puszta-Landschaft • `73: Gründung des Nationalparks (ursprünglich 53500 ha erweitert auf 82000 ha) • `79: Eingliederung der Fischteiche und eines Teils des Theiß-Sees in das RAMSAR-Programm

    • `93: Aufnahme des Valk-Beckens in den Nationalpark • `99: Aufnahme der Puszta in die UNESCO-Liste als Kulturlandschaft

    Entstehung des Theiß-Sees (Katrin)

    • Ende der `60er Jahre: Ausheben der Agrarlandschaft und Abholzen der Bewaldung • `73 -`78: Füllung der Becken mit Wasser aus dem Theiß-Fluss • `78 -`84: zweite Phase der Füllung der Seenlandschaft • `84 - `89: verschiedene landschaftsgestaltende Maßnahmen • 2/3 des Sees stehen unter Schutz

    Bedeutung – Nutzung im Gleichgewicht der Interessen: Erholung – Wirtschaft – Naturschutz

    In Ungarn können fünf Tourismusregionen unterschieden werden. Die Region „Puszta-Theiß-See“ ist eine dieser fünf großen touristischen Regionen Ungarns. Die anderen vier Tourismusregionen bilden sich aus Budapest und Umgebung, Balaton, Pannonia und die Eger-Tokaj Weinregion.

    Nutzung des Nationalparks Hortobágy

    Für den Nationalpark hat der Tourismus eine wichtige Bedeutung. Für ein Jahr werden 200.000 Besucher geschätzt. Hauptsächlich handelt es sich bei ihnen um Ungarn und Tagestouristen. Der Tourismus bildet somit einen wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Region.

    Eine erste wichtige Aufgabe des Nationalparks ist auch der Erhalt der besonderen Kulturlandschaft, d. h. auch der Erhalt alter Nutztierrassen, Erhalt alter traditioneller Weidewirtschaft und der Erhalt des traditionellen Handwerks und Kultur.

    Die zweiter wichtige Aufgabe ist des Nationalparks ist der Naturschutz. Im Nationalpark gibt es eine hohe Artenvielfalt an Flora und Fauna durch extensiv genutzte Weideflächen und durch die mosaikartige Landschaft, d. h. durch die hohe Anzahl an verschiedenen Biotopen. Diese hohe Anzahl an unterschiedlichen Biotopen resultiert hier aus der wirtschaftlichen Nutzungen. Auch werden Naturschutzmaßnahmen

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    aus Geldern der Fischwirtschaft finanziert. Im Nationalpark existiert Europas größter Bestand an Wildpferden und etwa 320 Vogelarten, wovon viele aus Ungarn nur hier brüten (z. B. Zwergscharbe, Löffler und Weißflügelseeschwalbe). Hier nistet auch die größte Kolonie von Löfflern und es ist einer der wichtigsten Rastplätze der weltweit als gefährdet geltenden Zwerggans. Auf ihrem Zug nach Süden machen 95% der Kraniche hier oft für mehrere Monate Rast. Auf diese Besonderheit wird durch das Emblem des Nationalparks hingewiesen. Außerdem befindet sich hier auch der einzige bekannte Landmauserplatz des Moornellenpfeipfers und es überwintern hier jedes Jahr 100-120 Seeadler. Damit gehört der Nationalpark Hortobágy zu den bedeutendsten Vogelhabitaten Europas und hat somit eine große Verantwortung zum Erhalt dieser Vogelwelt und dieses Artenreichtums.

    Als dritte wichtige Aufgabe bzw. Nutzung des Nationalparks gelten wirtschaftliche Aspekte. Das ist zum Einem der Tourismus und zum anderen die Teichwirtschaft. Für den Tourismus sind bereits die erforderlichen Grundlagen geschaffen worden wie z. B. Lehrpfade, Führungen, Infrastruktur, Übernachtungsmöglichkeiten, usw.. Die Teichwirtschaft produziert hier voll viel Fisch für Ungarn und hat damit einen hohen wirtschaftlichen Stellenwert in dieser Region.

    Nutzung des Theiß-Sees

    Ursprünglich war bei der Errichtung des Theiß-Sees, Ungarns größtem künstlichen Sees, weder an den Naturschutz, noch an den Tourismus gedacht. Die Errichtung des Stausees geriet aus reinem wirtschaftlichen Interesse. Später kamen erst die anderen Interessen hinzu. Der See sollte der Gewinnung von Energie durch Wasserkraft sowie der Regulierung des Wasserstandes der Theiß und als Wasserreservoir für Bewässerungszwecke dienen. Dass die wirtschaftliche Nutzung auch immer Gefahren birgt, zeigte sich im Februar 2000. Zu dieser Zeit drohte dem Theiß-See das große Sterben. Damals brach in der rumänischen Stadt Baia Mare das Beckeneiner Goldmine und die giftige Cyanid-Flut durchströmte den Theiß. Für den Theiß-See konnte der Schaden jedoch etwas gemindert werden. Denn da der Theiß-See mit der Theiß nur durch Kanäle verbunden ist, konnte er in den Tagen zwischen dem Unfall und dem Eintreffen der giftigen Woge randvoll mit Wasser gefüllt und anschließend die Schleusen geschlossen werden. Damit hatte man 93% des Staubeckens geschützt.

    Heute wird der See auch als Erholungsgebiet genutzt und gilt als ein attraktives Naherholungsgebiet für Naturliebhaber und Wassersportler. Im angrenzenden Umland entwickelte sich Dorftourismus und damit ergab sich eine neue Einkommensquelle für die lokale Bevölkerung. Er zog nach dem Volllaufen des Beckens hauptsächlich ungarische Touristen an, da er eine günstigere Alternative zum Plattensee bot. Es wurden dann um den See herum Campingplätze, Hotels und Freibäder gebaut.

    Darüber hinaus dient der See heute auch dem Naturschutz, da durch ihn viele neue Lebensräume für Flora und Fauna geschaffen worden. Große Teile des Seegebietes sind Naturschutzgebiete, vorwiegend Vogelreservate, da hier viele

    seltene Arten ideale Brut- und Rastplätze vorfinden.

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    Perspektive – Nachhaltige Nutzung der Ressourcen in der Region: Zielgruppen – Herausforderungen – Maßnahmen Zielgruppen (Katrin)

    • Schulklassen • Vogelliebhaber • Ethnotourimus • Erlebnistourismus • Gesundheitstourismus Angebote:

    • Naturlehrpfade und Umweltbildungsprogramme • Führungen und Bootsfahrten • verschiedenen Museen und Märkte • Wildpferdereservat • Wassersport, Angeln, Jagd • Thermalquellen • Ausstellungsräume und 3D-Kinos • Veranstaltungskalendar Herausforderungen (Katrin)

    • Veränderung der Zielgruppen - Ältere Generation durch die Puszta-Romantik angezogen, neue Generation hat die Region noch nicht entdeckt - Erweiterung Zielgruppe

    • Steigerung der Attraktivität der traditionellen Berufe • Kombination der Interessen von Naturschutz und Wirtschaft • Zusammenarbeit der Gemeinden • Umgang mit finanziellen Ressourcen - Förderung kleiner Projekte - Finanzierung des Nationalparks

    Maßnahmen zur Stärkung der Region

    Im Folgenden werden einige Maßnahmen oder Vorschläge zur Stärkung der Region vorgestellt.

    1. Entwicklungskonzept der Dörfer unter einem Entwicklungskonzept der Region

    Durch ein gemeinsames Entwicklungskonzept können Flächennutzungen in der Umgebung sinnvoller gesteuert werden. Dazu sollten die Gemeinden zusammen arbeiten und die verschiedene Nutzungsinteressen abwägen.

    2. Verstärkung der Kooperation unter der 22 Gemeinden um den Theiß-See und den weiteren 46 Gemeinden im Umland sowie der vier Komitate - z.B. Bildung eines Fremdenverkehrsvereins - Kommunikation, Kooperation, Bekanntmachung der Kulturveranstaltungen

    Durch eine bessere Zusammenarbeit kann eine gute Organisation für den Fremdenverkehr geschaffen werden, beispielsweise durch einen Fremdenverkehrsverein. Dieser könnte die

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    Kooperation und Kommunikation zwischen den Gemeinden deutlich verbesser und auch zur Bekanntmachung von Kulturveranstaltungen dienen.

    3. Stärkung der inneren Wirtschaft (unabhängiger von Wirtschaftskrise o. ä.)

    Durch die Nutzung verschiedener wirtschaftlicher Bereiche kann die innere Wirtschaft gestärkt werden und man ist wirtschaftlich unabhängiger von äußeren Einflüssen, wie beispielsweise der Finanzkrise von der das Gebiet damals stark betroffen war. Ein Beispiel wäre die verstärkte Nutzung von Thermalenergie durch die Gewächshäuser und Wohnungen beheizt werden könnten, die aber auch im Tourismus und in der Landwirtschaft genutzt werden kann.

    4. Stärkung der Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger zur Erhöhung der Akzeptanz

    Beispielsweise in dem die Bürger bei Gründung eines Vereins benachrichtigt werden. Auch die Schaffung einer zentralen Stelle für (private) Übernachtungsmöglichkeiten wäre eine Option.

    Maßnahmen zur Stärkung des Tourismussektors (Katrin)

    • Verbesserung der Ausbildung im Tourismussektor durch Förderung der Institutionen - Sprachen - Umweltbewusstsein - Gemeinschaftssinn

    • Werbung für die Region bei der jungen Generation • Entwicklung eines Markenzeichens • Erweiterung der Angebote für internationale Gäste • Ausbau der Infrastruktur (Straßen, Eisenbahn, Wander/Reit/Radfahrwege) • Bessere Verbindung der zwei touristischen Zentren • Ausweitung der Übernachtungsmöglichkeiten

    Maßnahmen zur Verbesserung des Nationalparks

    1. Einrichtung eines zweiten Infozentrums zur Entdeckung des Nationalparks - Angegliedert am Ökozentrum als zentrale Anlaufstelle

    Das Ökozentrum in Poroszlo könnte als zweite zentrale Anlaufstelle für den Nationalpark fungieren. Die zwei Informationszentren könnten dann in die zwei Themen Puszta (Hortobágy) und Theiß-See (Poroszlo) unterteilt werden. Jedes Informationszentrum sollte auch auf das andere aufmerksam machen.

    2. Ausbau des Ökozentrums

    Das Ökozentrum war unserer Meinung nach noch ausbaufähig. Beispielsweise könnte es durch die Erweiterung einiger Themen (bspw. Zusammenarbeit Wirtschaft/Naturschutz in diesem Gebiet) oder höhere Sprachvielfalt interessanter für (ausländische) Besucher gemacht werden.

    3. “Nationalpark-Tickets”

    Durch das Einführen sogenannter Nationalpark-Tickets könnte das Gebiet interessanter für Besucher gestaltet werden. Diese Tickets sind im Prinzip Kombitickets, bei denen öffentliche Verkehrsmittel und entsprechende Freizeitangebote (bspw. Safari, Vogelbeobachtungstour) genutzt werden können.

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    4. Workshops zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses

    Durch solche umweltbildenden Maßnahmen kann das Verständnis, bspw. dass in diesem Gebiet die Wirtschaft diese naturschutzfachlich hochwertige Kulturlandschaft formte, verbessert werden. Dies könnte zum gegenseitigen Verständnis beitragen und Konflikte vermeiden.

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    Ungar ische Dör fer in S iebenbürgen. Dor fen tw ick lung durch Tour ismus und Pf lege des Ku l turerbes in Sâncra iu (Ka lo taszentk i rá ly ) und R imetea (Torockó)

    (Sâncraiu und Rimetea, Aufnahmen von Michael Schneeberger, 2012 und 2013)

    Verfasst von: Cornelia Cordes: Universität Vechta, Master Geographien ländlicher Räume Julia Manthe: Hochschule Neubrandenburg, Naturschutz & Landnutzungsplanung Hanna Wagener: Universität Trier, Angewandte Geographie – Räumliche Planung und Entwicklung

    Einleitung

    Nach unseren ersten Tagen, die wir in Ungarn am und um den Theiss-See und den Hortobagy Nationalpark und Cluj verbracht haben, ging es weiter Richtung Kolotaszeg. Der Nordwesten Rumäniens gehörte lange zu Ungarn und so bildet diese Volksgruppe hier eine bedeutende Minderheit. Besonders die Region Kalotaszeg ist bis heute stark durch die ungarische Bevölkerung geprägt. Von den 42 Dörfern in der Region sind 37 Dörfer ungarischen Ursprungs (vgl. www.davincze.ro). Die Bevölkerung in diesen Dörfern ist auch heute noch sehr homogen und es leben mehrheitlich Ungarn dort. In dem von uns besuchten Sâncraiu z.B. macht die ungarische Bevölkerung 90% aus (vgl. www.davincze.ro). Die meisten Dörfer entstanden oft entlang der Haupttäler als Straßen- und Haufendörfer. Das Zentrum des Kalotaszeg heißt Huedin. Der Ort

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    besaß schon früh Marktrecht und konnte sich so zu dem regionalen Zentrum entwickeln. In diesem ungarischen Siedlungsgebiet werden bis heute vielfach lebendige Volkstraditionen, wie beispielsweise Trachten, Volkstänze und bemalte Möbel weitergeführt. Dieses bringt unter anderem ein nicht zu verachtendes touristisches Potenzial mit sich. Die Landschaft im und am Fuße des Apuseni-Gebirges ist außerdem geprägt von Hügeln, Flüssen und Tälern und bietet somit auch reizvolle Potentiale für den Tourismus

    1. Die ungarischen Dörfer in Siebenbürgen

    1.1. Sâncraiu

    Sâncraiu oder auf ungarisch Kalotaszentkirály ist laut der Webseite von „Davincze Tours“ eines der schönsten Dörfer in der Region Kalotaszeg. Das Dorf hat ca. 1200 Einwohner und liegt am Ufer des Flusse Calata und ungefähr 6 Km von Huedin entfernt am Rande des Apuseni Gebirges. Der Ort wurde urkundlich zum ersten Mal im 13ten Jahrhundert erwähnt (vgl. www.davinczetours.ro).

    1.1.1. Tourismus in Sâncraiu

    In den letzten zwanzig Jahren wurde das Dorf vor allem durch sein alljährlich stattfindendes internationales Volkstanzfestival und Tanzcamp berühmt. Im Jahr 1991 war es auf Initiative des Operndirektors der ungarischen Oper von Cluj der über einen Kontakt im Dorf verfügte, zum ersten Mal ausgerichtet worden. Es ist nunmehr mittlerweile zu einem festen Bestandteil des touristischen Angebots des Dorfes geworden. Während dieses Festivals versammeln sich jedes Jahr Hunderte von Jugendlichen aus aller Welt und erlernen die traditionellen Volkstänze aus der Kalotaszeg Region.

    Wirtschaftlich spielt der Tourismus im Dorf weiterhin jedoch nur eine Nebenrolle, d.h. er wird im Nebenerwerb betrieben. Haupteinnahmequellen für viele der Einwohner sind auch heute noch das traditionelle Handwerk und Landwirtschaft. So arbeiten viele der Bewohner als Handwerker also als Zimmermänner, Schmiede, Kürschner oder Mauerer. Wie in den meisten Dörfern in Nordrumänien spielt auch Subsistenzlandwirtschaft noch immer eine große Rolle und so konnten wir zum Beispiel des Abends auch den Abtrieb der Kuh- und Wasserbüffelherde beobachten.

    Betrachtet man die Entwicklung der Übernachtungen und Gästezahlen der letzten 10 Jahre, so fällt auf, dass die Finanzkrise von 2007/2008 einen großen Einfluss auf die Besucherzahlen hatte. Kamen im Jahr 2007 noch ca. 15.000 Übernachtungen zustande, so sank diese Zahl bis 2010 auf etwa 10.000 ab. Der Betreiber der Davincze Tours gab an, dass sich die Übernachtungszahlen jedoch in den letzten Jahren erholt hätten und in den nächsten Jahren erneut die im Jahr 2007 erreichte Höchstübernachtungszahl angestrebt wird.

    1.1.2. Touristische Infrastruktur und Zusammenarbeit der Akteure

    Interessant war zu erfahren, dass fast alle touristischen Aktivitäten über die Agentur Davincze Tours zum einen entwickelt und abgewickelt werden. Buchungen, Anfragen aber auch administrative Aufgaben laufen zentral bei der Agentur an und werden dann im Falle einer Auslastung der eigenen Kapazitäten an die im Ort ansässigen familiengeführten Gästehäuser weitergegeben. Die Bettenauslastung liegt, laut Angaben des Geschäftsführers von Davincze Tours, hauseigen bei ca. 90% wohingegen die Auslastung in den anderen Gästehäusern akkumuliert bei ca. 30% liegt.

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    Auch die Zusammenarbeit der touristischen Akteure, also der familiengeführten Gästehäuser, wird über die Agentur Davincze Tours koordiniert. Auf Planungs-, und Evaluationstreffen werden die kommenden Strategien, Preise und Pläne erarbeitet und die vergangene Saison ausgewertet.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die touristische Entwicklung in Sâncraiu sehr an einzelnen Personen und den Zufall gebunden war und ist. Begonnen hat sie mit der persönlichen Verbindung eines Einwohners an den Leiter der ungarischen Oper und ausgebaut wurde der Tourismus durch den Geschäftsführer der Davincze Tours und seiner Familie. Ohne diese Einzelpersonen und deren Einsatz wäre hätte der Tourismus, so wie er derzeit in Sâncraiu praktiziert wird nicht entstanden.

    1.2. Rimetea

    Rimetea – oder ungarisch Torockó – ist ein kleiner Ort am Fuße des Apuseni-Gebirges im Herzen Transsilvaniens.

    Wer dem ungarischen Dorf und seinen herzlichen Bewohnern einen Besuch abstattet, wird wohl zuerst vom gigantisch anmutenden Seckler-Felsen und der einzigartigen Natur in den Bann gezogen. Es wundert also kaum, dass Wandertouren, Kutschfahrten oder Paragliding-Flüge ganz oben auf dem Programm eines Touristen stehen. Der Tourismus ist mit der Aufnahme des Ortes in einen Reiseführer, in den letzten Jahren zur Haupteinnahmequelle der circa 1.000 Bewohner geworden. Waren es vorher zum großen Teil Einheimische, die die Landschaft rund um den Seckler-Felsen, zu schätzen wussten, nehmen die 70 neu eingerichteten Gästehäuser nun auch vermehrt Ungarn, Polen, Tschechen und Slowaken auf. Nicht zuletzt spielt für den Tourismus auch die günstige Lage und die gute Erreichbarkeit der Orte Aiud, Alba Iulia und Cluj-Napoca eine Rolle – doch auch der Ort selbst besticht durch seine Geschichte und den traditionellen Charme.

    Im 14. Jahrhundert verzeichnete Rimetea einen enormen Bevölkerungsanstieg. Grund dafür, war die Erschließung der Eisenerzvorkommen und die damit verbundene Verarbeitung des Metalls. In dieser Zeit siedelten sich viele Deutsche, Luxemburger und Ungarn in diesem Gebiet an. Dies hatte wiederum zur Folge, dass das bis dahin heterogen gewachsene Dorf schlagartig um neue Straßen und Siedlungen im Stil eines Angerdorfes erweitert wurde. Im weiteren Verlauf der Geschichte stand Rîmetea kurz davor, das Stadtrecht zu erhalten. Zu dieser Zeit war Rîmetea bereits florierendes Zentrum: es gab ein Entwässerungssystem, Straßen wurden beleuchtet und Menschen aus der gesamten Region fuhren zum Einkaufen in diesen Ort. Mit dem Niedergang des Eisenerzabbaus im 19. Jahrhundert, blieb dem Ort der Aufstieg zur Stadt jedoch verwehrt.

    Im Nachhinein betrachtet, ist dies wohl die Rettung der Landschaft und der traditionell gebauten Häuser, die zwar zum großen Teil im Jahr 1870 abgebrannt, danach jedoch wiederhergestellt wurden, gewesen. Mit dem Ausbau der Industrie und dem Erhalt des Stadtrechts, wäre Rîmetea heute wohl von zahlreichen Wohnblocks und Industriebrachen gekennzeichnet, so wie wir sie in vielen anderen Teilen Rumäniens vorfinden.

    Doch zurück zur Architektur des Dorfes: Das älteste, noch erhaltene Haus wurde 1668 errichtet und wurde beziehungsweise wird durch den Transylvania Trust saniert und instandgehalten. Nachdem sich die Bevölkerung im 17. Jahrhundert aus den Zwängen der Grundherren befreit hatte, drückte sie das auch in der Architektur aus. So wurden beispielsweise zum Protest die Fensterrahmen rot lackiert und die Bauweise in den folgenden Jahren umgestellt. Markant und charakteristisch für diese Architektur ist eine Häuserzeile, die sich im Dorfkern befindet. Die typisch weißen Fassaden

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    sind im Stil der Siebenbürger Sachsen gestaltet. Zum einen zeigte sich auf diese Art und Weise symbolhaft ein neuer Lebensabschnitt, zum anderen konnten die Einwohner des Dorfes in Form der Neugestaltung ihrer Häuser ihre eigene neugewonnene Identität ausdrücken.

    Nicht nur in der Architektur, auch in den Trachten, die von Region zu Region detaillierte Unterschiede aufweisen, zeigt sich die kulturelle Identität. Das kleine private Museum von Tante Ida bewahrt nicht nur diesen Teil der ungarischen Kultur in Rumänien, es lässt auch seine Besucher in eine Welt von vor 200 Jahren eintauchen. Als Schuhmacher nutzte der Vater von Tante Ida diese Räumlichkeiten als Aufbewahrung- und Fertigungsort von Schuhen, die sowohl am linken, als auch am rechten Fuß getragen werden konnten – eine weitere, nicht mehr allzu oft anzutreffende Rarität. Heute sind in diesen Räumen traditionell bemalte Möbel, handgestickte Vorhänge und Decken und eben Hochzeitstrachten zu erleben.

    Jedoch gibt es durchaus Aspekte, die kritisch zu betrachten sind.

    Zum einen ist dies die Kommunikation und Kooperation zwischen den ortsansässigen Akteuren. Es gibt keine beziehungsweise nur eine geringe Zusammenarbeit, indem ein Gastwirt bei einer Überbuchung die Gäste auf andere Gästehauser verteilt, doch ein Dachverband oder eine lokale Organisation, die für die Besucherlenkung und –information verantwortlich ist, fehlt. Teilweise ergibt sich einen Konkurrenzkampf zwischen aus dem Ort stammenden Gastwirten und Akteuren, die von außerhalb kommen, in Rîmetea aber eine Pension betreiben.

    Zum anderen besteht im Gegenteil zum Ort Sâncraiu, keine heterogen ausgeprägte Wirtschaft. Rîmetea ist mit seinem verhältnismäßig hohen Anteil an Gästehäusern stark auf den Tourismus ausgerichtet und hat wirtschaftlich gesehen kein zweites Standbein. Mit einem Wegbrechen des Tourismus, würde also auch die Haupteinnahme von Rîmetea wegbrechen.

    1.3. Gegenüberstellung beider Dörfer: Analyse des Chancen und Herausforderungen des Tourismus für Sâncraiu und Rîmetea

    Die folgende Analyse zeigt die Chancen und Herausforderungen beider Orte auf.

    Chancen

    Sâncraiu Rîmetea

    � Naturräumliche Ausstattung: Angeltourismus, Fahrradtourismus

    � Alljährliches Tanzfestival � Nähe zu Cluj � Sehr gute Zusammenarbeit der Akteure � Ein Wortführer/Fakelfigur der die Fäden

    in der Hand hält � Sanfter Tourismus � Internationaler Tourismus

    � Internationaler Tourismus � Nähe zu Cluj � Naturräumliche Ausstattung � Abenteuertourismus � Kulturtourismus � Naturtourismus � Tagestouristen � Transylvania Trust als Mediator?

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    2. Zusammenfassung und Fazit

    In Siebenbürgen gibt es verschiedene ungarische Dörfer. Anhand von den zwei Beispielen Sâncraiu und Rîmetea wird deutlich, dass jedes Dorf auf seine eigene, individuelle Art seine Potenziale nutzt. Sâncraiu in diesem Fall durch den Tanz, Folklore und das Handwerk und Rîmetea vor allem durch die Lage und die traditionelle Architektur. Dennoch unterscheiden sich die beiden Dörfer.

    Beide Dörfer, sowohl Sâncraiu als auch Rîmetea nutzen den Tourismus als Einnahmequelle. Während für Rîmetea der Tourismus eine Haupteinnahmequelle darstellt, ist es für Sâncraiu ein Nebenerwerb. Haupteinnahmequelle ist hier immer noch das Handwerk. Beide Dörfer genießen in verschiedenen touristischen Kreisen eine relativ große Bekanntheit und Beliebtheit und bei beiden –Dörfern spielten persönliche Beziehungen eine Rolle. In Sâncraiu geschah dies als Initialzündung für den daraus entstandenen Tourismus. Hervorzuheben ist die gute Zusammenarbeit der touristischen Anbieter im Dorf. Der Ort Rîmetea hatte schon vor der Eintragung in den polnischen Reiseführer seine touristischen Potentiale aktiviert, wurde jedoch erst durch die Außenwerbung auch international bekannter. Das Dorf verzeichnet mehr Touristen als Sâncraiu und hat durch seine vorteilhafte Lage am Seklerstein ein hervorragendes landschaftliches Potential, was auch genutzt wird. Nichtsdestotrotz fehlt es in Rîmetea an der Zusammenarbeit der Bevölkerung und uns wurde von „rivalisierenden Familienclans“ berichtet. Solch gewachsene Strukturen in der Dorfgemeinschaft aufzubrechen, die bisher verhindern z.B. ein funktionierendes Tourismusinformationszentrum oder eine öffentliche Toilette einzurichten, ist ein langwieriger Prozess und bedarf einer guten Moderation. Leider ist dies in naher Zukunft noch nicht abzusehen, es wurde uns im Gespräch aber gesagt, dass es langsam einen Generationenwechsel und somit hoffentlich auch einen „Einstellungswechsel“ geben wird.

    Herausforderungen

    Sâncraiu Rîmetea

    � Schlechte Anbindung an ÖPNV � Nur eine zentrale Führungsfigur � Fehlende Gastronomie � Fehlende Infrastruktur (Post, Markt, etc.)

    � EU-Beitritt und damit verbundene Förderprogramme, die nicht auf die Region und ihre Bedürfnisse abgestimmt sind

    � Tourismus als Hauptwirtschaftsstandbein

    � Mangelhafte bis fehlende Zusammenarbeit zwischen lokalen und auswärtigen Akteuren

    � Bisher keine zentrale Informationsstelle und öffentliche Toilette für Touristen

    � Verfeindete „Dorfclans“ mit alten sozialen Strukturen

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    Siebenbürg ische Städte . Ansätze und Heraus forderungen der S tadtp lanung am Be isp ie l von Clu j und Sib iu

    Verfasst von: Franziska Bernstein, Universität Kassel, Bachelor Landschaftsplanung Jana Hallenberger, Universität Kiel, Master Stadt- und Regionalentwicklung Benjamin Prager, Universität Leipzig, Bachelor Geographie Die Städte Siebenbürgens stellen die wirtschaftlichen Zentren Westrumäniens dar. In einer von Agrarwirtschaft geprägten Landschaft, bilden sie kleine Inseln industrieller sowie tertiärer Wirtschaft. Stark geprägt von den Überformungen des Sozialismus bis 1989 tragen sie heute die Last zwischen kulturellem Erbe, langfristiger Stadtsanierung und Überwindung des demographischen Wandels, welcher die Städte zum Teil schrumpfen lässt. Sie sind die Zufluchtsorte der Landflucht innerhalb Rumäniens und sind selbst als Bildungsstandorte Ausgangsort der Wohlstandsflucht in Richtung Westeuropa. Im zweiten thematischen Block der Sommeruni „Von der Puszta in die Karpaten“ geht es deshalb um aktuelle Stadtentwicklungstendenzen in Siebenbürgen anhand der Beispiele Cluj und Sibiu. Dabei werden aktuelle Entwicklungen beschrieben und bestehende Probleme aufgezeigt.

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    Abbildung 1: eigene Aufnahme, B.Prager

    Cluj – Zwischen dem Traum von Europäischer Kulturhauptstadt und der Realität von Postsozialismus & Suburbanisierung

    Die Stadt Cluj-Napoca liegt im Zentrum Siebenbürgens, im Westen Rumäniens. Durch die Lage im Tal des kleinen Somesch bedingt sich die langgezogene Struktur der Stadt. Sie basiert auf einer römischen Siedlung und erhielt Anfang des 14. Jahrhunderts Stadtrecht. Cluj hat heute ca. 309.000 Einwohner und gilt als Studentenstadt. Es gibt ca. 100.000 Studenten, welche in die offizielle Bevölkerungsstatistik nicht hineingerechnet werden.

    • Innenstadt

    Die mittelalterliche Stadt, ist an Resten der im 15. Jahrhundert errichteten Stadtmauer, noch zu erkennen. Die Bausubstanz in der Altstadt ist stark heterogen und weist verschiedene Entstehungszeitalter auf. Durch bausubstanzielle Vernachlässigung, besonders im Sozialismus, ist die Baustruktur zu großen Teilen stark sanierungsbedürftig. Die Kernstadt ist geprägt von zahlreichen Kirchen, welche auch in einem guten Zustand sind bzw. sich noch im Bau befinden. Ebenfalls auffällig sind diverse Stromkabel, welche nicht selten den Blick auf Landmarken und Sehenswürdigkeiten verstellen. Des Weiteren fehlt ein klares Verkehrskonzept, so dass mehrspurige Einbahnstraßen vorzufinden sind, um der steigenden Individualmobilisierung gerecht zu werden. Ein schier endloses Angebot an Parkplätzen schränkt Räume für Fußgänger und Radfahrer ein, so dass teilweise von rudimentären Verhältnissen aus Sicht dieser Verkehrsteilnehmer zu reden ist. Verkehrsregelungen wirken ähnlich wie die Bausubstanz chaotisch und unstrukturiert. Dieses Bild wird in der Innenstadt nur teilweise von öffentlichen, verkehrsberuhigten Zonen unterbrochen. Gründe für diese Entwicklungen sind zum einen in der Ablehnung von Investoren in den 1990er Jahren zu finden, als der nationalistische Bürgermeister Cluj gegenüber einer wirtschaftlichen Öffnung abschottete. Zum anderen stellt die Korruption einen großen Stein im Weg der Stadtentwicklung dar. So können in rumänischen Städten Flächennutzungspläne durch einen späteren Bebauungsplan wieder gekippt und überschrieben werden. Des Weiteren fehlt den Behörden die nötige Durchsetzungskraft bei der

    Abbildung 2: eigene Aufnahme, B.Prager

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    Verkehrsplanung und der Aufstellung von Einzelhandelskonzepten. Daraus entwickelt sich ein Bild über die Stadtpolitik, welche zwischen Vision und Realität gefangen zu sein scheint.

    In Gesprächen mit diversen NGO’s wurde klar, dass es verschiedene Modelle für die Entwicklung von Cluj gibt. Durch den Beitritt in die Europäische Union und die Neuregelung von Rumänien auf NUTS-II-Ebene wird ein Gesamtkonzept für Cluj entwickelt, welches nicht nur für die Stadt selbst, als auch für die Region „Northern Transylvania“ gilt. Ziel ist es dabei aus den verschiedenen Stärken Clujs, langfristig Projekte zu entwickeln und diese in der Region dauerhaft zu implementieren. Als

    Stärken wurden dabei die Lage, der Naturraum, der gute Ausbildungsstandort, die billigen Arbeitskosten, die steigende Anzahl an klein- wie mittelständischer Firmengründungen und das riesige Potenzial für Tourismus angesehen. Übersetzt man dies in Projekte, werden diese gleichzeitig als Ziele der Wirtschaftsentwicklung verstanden. Cluj soll so ein Zentrum für Informationstechnologie, Forschung wie Lehre, Tourismus, Agrokultur, Nahrungsmittelverarbeitung und Automobilindustrie werden. Dazu werden diverse Kooperationen auf nationaler und internationaler Ebene geschaffen, um eine kleinräumige, heterogene Basis zu schaffen. Auf rein städtischer Ebene versuchen verschieden Akteure, wie zum Beispiel das besuchte Planungsbüro „Planwerk“, mittelfristige Ziele in einen Flächennutzungsplan zu übertragen. Bedeutendste Themen sind dabei die Verkehrsneuordnung, die Revitalisierung von

    industriellen Brachflächen und das kontrollierte Wachstum der Stadt in die Fläche. Als Teilerfolg kann dabei die schrittweise Verkehrsberuhigung und Begrenzung des Parkraumangebotes in der Innenstadt angesehen werden. Dadurch wurden öffentliche Plätze, wie der Platz Unirii mit der St. Michaeliskirche, völlig neu in-Wert-gesetzt und machen die Stadt für Fußgänger und Touristen erlebbar. Ziel der Verkehrsneuordnung ist es dabei die mehrspurigen Einbahnstraßen

    systematisch zu beruhigen, um dem Hauptverkehrsstrom außerhalb der Innenstadt zu

    halten. Zudem wurde es geschafft, an einigen Stellen die historische Stadtmauer zu restaurieren und diese damit touristisch und kulturell wieder erlebbar zu machen.

    Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird notwendig sein, um Cluj dauerhaft ein lebendiges Zentrum zu verleihen. Jedoch wirken auch hier die Grenzen der Planwerke und ihrer rechtlichen Legitimationen. Zum einen gibt es sehr viele Cafés und Bars in der Innenstadt, Geschäfte und Boutiquen sind jedoch nicht sehr zahlreich vertreten, da zwei Einkaufszentren die Kaufkraft abziehen und auch keine verkehrsberuhigte Einkaufsstraße zu finden ist. Eine weitere

    Abbildung 3: eigene Aufnahme, B.Prager

    Abbildung 4: eigene Aufnahme, B.Prager

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    Konzentrierung des Einzelhandels konnte durch die Weltwirtschaftskrise und dem resultierenden Planungsstopp bei fünf weiteren Shopping Malls vorerst Einhalt geboten werden. Zum anderen bilden die Cafés und Bars ein weiteres Problem, da diese den aufgewerteten, verkehrsberuhigten, öffentlichen Raum durch Schirmlandschaften an manchen Stellen fast komplett in Anspruch nehmen. Auch hier fehlt eine stärkere Regulierung seitens der Verwaltung.

    Ein anderes Beispiel hierfür ist die Grünflächenverwaltung und ein fehlendes Naherholungskonzept in der Stadt. Es gibt mehrere große Parkflächen, wie den Stadtgarten, den großen Friedhof oder den ehemaligen botanischen Garten, jedoch sind diese nur schwer als Fußgänger und Radfahrer erreichbar. Betrachtet man die Gesamtstadt so sind diese Flächen sehr klein und zeigen deutlichen Grünflächenbedarf in anderen Stadtteilen auf. Der Somesch-Fluss, welcher in ein Grünkonzept integriert werden könnte, ist nicht in die Stadt eingebunden und wird von beiden Seiten von stärker befahrenen Straßen flankiert. So gab es bereits Pläne eines Fahrradweges entlang des Flusses, jedoch lässt sich dies schwer verwirklichen, da die Privatgrundstücke teilweise bis an das Ufer heran reichen und große Teile des Fluss stark kanalisiert sowie verbaut sind. Ein ähnliches Schicksal teilt der

    durch die Innenstadt verlaufende Mühlenkanal, welcher zu großen Teilen zugedeckt und ebenfalls nicht in die Stadt eingebunden worden ist. Lediglich entlang des Stadions wurde am Somesch eine Art Promenade geschaffen. Der Stadt fehlt durch eine Art von Ignoranz für ihre natürlichen Güter ein wichtiger Schritt um Cluj langfristig auch als Tourismusort einzubinden, welcher durch kleine, städtische Naherholungsinseln wichtige Lebensqualitäten aufweist.

    Als potenzielle Flächen für ein Grünkonzept würden sich städtische Industriebrachen in Kernstadtnähe anbieten. Jedoch verhindert die hohe Privateigentumsquote einen direkt Zugriff auf solche Flächen. Die Industrie in Cluj ist entlang der Bahnlinie hauptsächlich konzentriert und mit der Straßenbahn von den Wohnvierteln, vor allem Mănăștur, aus erreichbar. Mittlerweile gibt es jedoch eine Vielzahl von Industriebrachen, welche durch den Zusammenbruch Sozialismus entstanden sind.

    Konzepte diese zu nutzen gibt es bisher kaum. Problematisch ist letztendlich, dass diese wie schon beschrieben in privatem Besitz sind und die Eigentümer wenig Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Stadt haben. Es fehlen konkrete Entwicklungsperspektiven und Konzepte um diese Flächen langfristig optimal in die verschiedenen Planwerke der Stadt und der Region Cluj einzubinden. Fehlende bzw. geringe staatliche Anreize fördern den Neubau auf der sogenannten „grünen Wiese“ und lassen auf den teilweise durch Altlasten verseuchten Grundstücken weiter Verfall zu. Auch hier

    Abbildung 5: eigene Aufnahme, B.Prager

    Abbildung 6: eigene Aufnahme, B.Prager

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    würden sich die Brachflächen für das ehrgeizige Konzept und Ziel der Kulturhauptstadt 2020 wunderbar für kulturelle Zwischennutzungen anbieten.

    Generell gibt es in der Stadt mehrere Kulturzentren und kulturelle Veranstaltungen. Filmfestivals, Konzerte und Ausstellungen finden regelmäßig statt. Ein Beispiel kann hierbei stellvertretend das TIFF-Haus als Veranstaltungsort, Café und Bar sein. Cluj betreibt in diesem Bereich der Stadtentwicklung zielstrebig ein breitgefächertes Programm, um durch eine Verleihung des Titels von zusätzlichen Einnahmen, Medienpräsenz und steigenden Tourismuszahlen zu profitieren.

    Abbildung 7: eigene Aufnahme, B.Prager

    • Mănăștur

    Mănăștur ist die größte Großwohnsiedlung die sich an die Innenstadt von Cluj anschließt. Ihren Ursprung hatte die Wohnsiedlung in Zeiten des Sozialismus, als für die Fabriken von Cluj ländliche Bevölkerung in die Stadt umgesiedelt wurde. Die Viertel sind meist monofunktional auf Wohnen ausgerichtet und werden durch kleinere Geschäfte in den Erdgeschossen ergänzt. Es wurde aber darauf geachtet eine Art Versorgungszentrum mit Kaufhaus, Post, medizinischer Versorgung und Kino für die Siedlungen einzurichten. Kultureinrichtungen sind nur selten an diesen Orten zu

    finden. In der Bauweise wurde homogener Plattenbau mit drei Komfortgrößen der Wohnungen verwirklicht. Ähnlich wie in anderen ehemals sozialistischen Staaten, wurden die Wohnungen zugewiesen und auch heute lebt der Großteil der Bevölkerung in den Großwohnsiedlungen. Mănăștur ist als größte Siedlung weist ca. 120.000 Einwohnern auf, wovon die Meisten in den Industrieanlagen entlang der Bahnlinie arbeiten.

    Ähnlich wie in der Innenstadt, wurden nach dem Ende

    des Sozialismus die Wohnungen meist sehr günstig an ihre Bewohner verkauft, so dass ehemalige Mieter über Nacht zu Eigentümern ihrer Wohnung wurden. Durch die hohe Wohndichte, Eigentümerstruktur und die steigende Individualmotorisierung ergaben sich verschiedene Probleme im Viertel. Renovierung und Sanierung der Bausubstanz erfolgt im Viertel teilweise eigenmächtig und ohne Koordination, so dass

    Bewohner beispielsweise ihre Balkone mit Fenstern Abbildung 9: eigene Aufnahme, B.Prager

    Abbildung 8: eigene Aufnahme, B.Prager

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    versahen um zusätzlichen Wohnraum zu gewinnen. Des Weiteren sanierte man seine Wohnungsfassade, während der Nachbar nicht die nötigen Mittel für eine Sanierung besaß. Es ergibt sich somit heute ein teilweise sehr heterogenes Bild der Gebäude. In den Hinterhöfen entstanden zusätzlich zahlreiche Garagen, da bei der Entstehung von Mănăștur keine Autos geplant waren und man Parkraum dringend benötigte. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass die geplanten Grünflächen durch Parkflächen versiegelt wurden. Es entstand ein dicht bewohntes und eng bebautes Wohnquartier, in welchem nach dem Ende des Sozialismus die Polarisierung stark anstieg. Mittlerweile wurden einige Gegenmaßnahmen zur Aufwertung der Quartiere unternommen. So sind einige Parkhäuser entstanden, Kinderspielplätze wurden angelegt und Renovierungen an den Häusern wurden teilweise bereits vorgenommen. Die Stadt gibt außerdem für die Außendämmung der Häuser einen Zuschuss. Trotz dieser Maßnahmen fallen vor allem viele kleine, ungenutzte Grünflächen zwischen den Blocks auf, für die sich scheinbar keiner verantwortlich fühlt. Wir begegneten lediglich einer kleinen Initiative des Urban Gardening, welche sich jedoch auf Verkehrsinseln an einer Hauptstraßenkreuzung beschränkte.

    Mănăștur wirkt trotz seiner beeindruckenden Bevölkerungszahl auf der Fläche recht klein. So lässt es sich auch erklären, dass trotz beständigem Bevölkerungsrückgang in der Wohnsiedlung kein Leerstand entsteht. Die Zahl der Menschen die in einer Wohnung leben sinkt einfach, in dessen Folge die m²/Kopf ansteigen. Die Folgen dieses Wegzuges, welcher vor allem von Menschen geschieht, welche die nötigen Mittel aufweisen, kann man schon am Rand von Mănăștur erkennen. Teile der Bevölkerung Cluj’s bauen südlich der Stadt neue Wohnhäuser

    in die stark von Erosion und Erdrutschen geprägten Hänge. Dabei werden die neuen Wohngebiete erst nach dem Bau der Häuser erschlossen. Die Bewohner haben vorher ohne Genehmigung gebaut,

    so dass Gebiete entstehen, in welchen teilweise kaum eine Straße durch enge Bebauung geteert werden kann. Richtmaße für die Baulinie und Grenzabstand werden dabei auch großzügig umgangen, während zeitgleich kleinste Gärten zu Parkflächen umgewandelt werden. Auch an dieser Stelle zeigt sich wieder die schwache Verwaltung, welche den Bewohnern maximal eine Geldstrafe für wildes Bauen verhängt. Die Stadt wächst somit unkontrolliert in die empfindlichste Naturregion, die sie umgibt. Ein ähnliches Problem ist auch in der Gemeinde Florești an einer Ausfallstraße von Cluj zu erkennen.

    • Florești

    Die Gemeinde Florești ist ein ehemaliges Straßendorf, gehört nicht mehr zum Stadtgebiet von Cluj, bildet aber einen Vorort der Stadt und weist ca. 21.000

    Abbildung 10: eigene Aufnahme, B.Prager

    Abbildung 11: eigene Aufnahme, B.Prager

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    Einwohner auf. Florești zeigt ein sehr gutes Beispiel für den stattfindenden Suburbanisierungsprozess von Cluj, da nach dem Ende des Sozialismus etwa seit dem Jahr 2000 ein Bauboom eingesetzt hat, welcher den Ort in Richtung der Talhänge wachsen lässt. Ursache dafür ist der beschriebene Wohnungsdruck, welcher auf eine Überbelegung der Wohnungen in Großwohnsiedlungen hinweist. So wächst die Bevölkerung in der urbanen Region von Cluj nicht deutlich, jedoch kommt es zu starken Differenzierungen zwischen einzelnen Gemeinden und Quartieren. In Florești wurde durch viele Investoren und eine rapide Bodenpreisentwicklung ein gewinnbringender Markt für Wohnungsbaugeschaffen. Dabei verkauften die Bauern ihre „handtuchgroßen“ Felder und ließen diese bis zum Rand eng mit Gebäuden bebauen. Daher sind neue Gebäude entstanden, welche meistens fünf Stockwerke aufweisen, da bei höheren Gebäuden ein Fahrstuhl vorgeschrieben ist.

    Problematisch ist an dieser Entwicklung, dass das Gebiet von Ackerfläche in Siedlungsgebiet umgewandelt wurde und nie beplant wurde. Die Wohnbebauungen richten sich strikt an die Parzellierung der ehemaligen Ackerfläche, während das Grundstück mit so vielen homogenen Häusern bebaut wird, wie es möglich ist. Zwischen diesen Wohnblocks gibt es immer wieder große Parzellen auf denen noch keine Gebäude entstanden sind und die als Grünflächen ungenutzt

    bleiben, beziehungsweise durch den Bauer mit Viehzucht bewirtschaftet werden. Es gibt jedoch auch eine große Menge an Brachen, da in manchen Parzellen auch mit den unklaren Besitzverhältnissen zusammenkommen und deswegen nicht bebaut werden. Die entstandenen Gebäude sind oft von Grenzabständen und Mängeln am Bau durch einen normalen Bebauungsplan nicht zulässig, wurden aber durch die Verwaltung hingenommen. Zwischen den

    Wohnblocks fallen zudem Bauruinen auf, welche dem Bauboom und anschließend der

    Wirtschaftskrise zum Opfer gefallen sind. Dadurch konnte das Flächenwachstum in Florești etwas eingedämmt werden. Durch die Ausdehnung der Siedlungsfläche kommt es in direkter Folge auch zu Nutzungskonflikten. So stehen mittlerweile Wohngebäude direkt neben einer schon älteren Geflügelfarm. Infrastruktur ist in diesen Gebieten nur teilweise oder gar nicht vorhanden und bedarf dringenden Nachholbedarfs. Die Siedlungsstreuung erhöht dabei das Risiko einer Fehlinvestition in Über- oder Unterdimensionierung der Infrastrukturen, da die Gemeinde von der weiteren Entwicklung der Wohngebiete abhängig ist und ohne konkrete Bauplanung auch diese Folgen nur schwer abschätzen kann. Ein anderes Beispiel ist die alte Dorfschule, welche nicht für eine so große Anzahl an Kindern ausgerichtet ist und dringend erweitert werden muss. Spinnt man die Gedanken um die Entwicklung von Florești weiter, so werfen sich einige Fragen auf. Wie wird man auf den weiter steigenden Verkehr entlang der Hauptstraße reagieren? Wie lang ist diese Bauentwicklung in Florești überhaupt noch möglich? Ist es denkbar, dass bei fortschreitendem Wandel das ursprüngliche Dorf brach fällt, während die Wohngebiete außerhalb sprießen? Wie wird sich die

    Abbildung 12: eigene Aufnahme, B.Prager

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    Sozialstruktur in den nächsten 10-20 Jahren in Florești verändern? Der Besuch der Gemeinde wirft mehr Fragen auf, als dass diese vorher vorhanden waren. Dabei werden gewisse Parallelen zur Suburbanisierung in Ostdeutschland erkenntlich. Es bleibt spannend wie weit diese Suburbanisierung in Florești voranschreitet.

    Abbildung 13: eigene Darstellung, B.Prager

    Sibiu – Nachwirkungen in der Europäischen Kulturhauptstadt von 2007

    Sibiu, Hermannstadt ist eine der wichtigsten und prosperierendsten Städte Rumäniens. Insgesamt leben hier ca. 170.000 Einwohner, wobei die Altstadt etwa 40.000 Einwohner beherbergt. Durch die Ernennung zur „Europäischen Kulturhauptstadt 2007“ und einer starken, intelligenten Verwaltung wurde Hermannstadt zu einem Vorbild der Stadtentwicklung Rumäniens. Historische entstammt ein Großteil der Altstadt aus dem 13. Jahrhundert. Die Besonderheit Hermannstadts ist dabei baulich die an die Morphologie angepasste Platzfolge mit dem Großen Ring, dem Kleinen Ring und dem Huet Platz. Dementsprechend teilt sich Sibiu durch seine Hanglage in eine Ober- und Unterstadt. Die Oberstadt ist das Herz Sibius, sie zeichnet sich durch zahlreiche Kirchen, Bürgerhäuser und Schulen aus. Auch das Rathaus befindet sich hier. Die Unterstadt hingegen wirkt ärmer, sie weist eine eher dörfliche Struktur auf. Dies lässt Hinweise auf die deutsche Siedlungsgeschichte erkennen, wobei die Deutschen Siedler vornehmlich in der Oberstadt gewohnt haben. Dieses besondere Arrangement bewog Sibiu im Jahr 2006 sich für die Aufnahme in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes zu bewerben. Dies scheiterte allerdings. Betrachtet man die Stadtentwicklung Sibius, so ist bis zu dem Jahr 2002 eine ähnlich prekäre Situation wie in vielen rumänischen Städten zu finden. Vor allem die alte Bausubstanz drohte zu verfallen und konnte bis zum heutigen Tage

    nur teilweise gerettet werden. Durch die Verleihung des Kulturtitels im Jahr 2007 wurden so besonders die Häuser an den großen Plätzen, im Sinne einer Fassadenerneuerung, saniert.

    Vor dem EU-Beitritt empfang Rumänien vornehmlich Entwicklungshilfe, darunter auch viele deutsche Gelder. In einem Vortrag von Michael Engels, ehemaliger Mitarbeiter der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), wurden uns Sanierungsmaßnahmen im Rahmen der Titelvergabe vorgestellt. Ziel war es das Baukulturerbe zu erhalten und die Wohnsituation zu verbessern, indem man eine beratende Funktion bei der Planerstellung für die örtliche Verwaltung übernahm. Außerdem

    wurde ein Angebot für die Ausbildung traditionellen

    Handwerks bereitgestellt, um Fachkräfte für die Stadtentwicklung zu binden. Die Sanierung der

    Abbildung 14: eigene Darstellung, B.Prager

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    Häuser wurde zusätzlich noch für Privatpersonen mit Fördermitteln unterstützt und man half bei der Gründung von Eigentümergemeinschaften. Da auch in Sibiu die schon beschrieben Eigentümerstruktur herrscht, stellte sich dieses Vorhaben etwas schwierig in der Umsetzung dar. Ein wichtiger Hinderungsgrund stellte dabei vor allem die Mentalität des eigenen Interesses dar, bei dem negative Erlebnisse aus den Zeiten des Sozialismus immer noch mitschwingen. Insgesamt konnte aber eine „behutsame Arbeit“ angestoßen werden, bei welcher die GTZ mit 65% der Kosten eine denkmalgerechte Sanierung unterstützte. Durch den EU-Beitritt Rumäniens gab es über diesen Weg keine Fördermöglichkeiten mehr. Aus diesem Grund gründete Michael Engels die Stiftung „Heritas“. Seit 2009 gibt es keinerlei Finanzierung mehr aus Deutschland, sondern nur noch über EU-Fonds. Die Stiftung berät neben Hermannstadt auch andere Städte oder unterstützt ländliche Gebiete durch Expertise, um dort ein Bewusstsein für das kulturelle Erbe zu schaffen.

    Sibiu ist aktuell, im Gegensatz zu anderen Städten Siebenbürgens, gut aufgestellt und ein positives Beispiel für Stadtentwicklung in Rumänien. Der EU-Beitritt und die Wahl zur Kulturhauptstadt 2007 führten zu einem international-relevanten, medialen Interesse an Sibiu. Aus diesem Grund wurden viele Fassaden, Dächer und Durchgänge saniert. In den Jahren 2005-06 war Hermannstadt fast eine

    durchgehende Baustelle. Durch Investitionen in den öffentlichen Raum konnte die

    Aufenthaltsqualität in den Straßen der Stadt deutlich verbessert werden. Am Großen Ring wurden alle Fassaden saniert, teilweise jedoch mit einer historisch-abweichenden Farbgestaltung. So erkennt man heute überwiegend Pastelltöne, die die kräftigen historischen Farbtöne ablösten. Außerdem wurden die Besitzer oft mit der Sanierung förmlich überfallen, da die entsprechenden Mittel und Projekte durch eine nationale Anordnung ausgeführt wurden. Es wurde in direktem Zusammenhang ein System für den Denkmalschutz entwickelt. Innerhalb Sibius gibt es drei verschiedene Kategorien. Die Altstadt ist Teil der geschützten Zone, hier darf nur mit einer Genehmigung saniert bzw. renoviert werden, allerdings finden bzw. fanden sich auch hier viele Kompromisse. Das Aussehen des Großen Rings hat sich insgesamt sehr verändert. 2005 wurde der Platz umgestaltet, seitdem ist er Teil der Fußgängerzone.

    Die Durchsetzung dieser Maßnahmen in den Folgejahren ist vor allem durch eine starke Verwaltung geprägt. Der Bürgermeister ist eine starke Autorität und sehr hoch angesehen. Klaus Johannis regiert in Sibius seit 2000. Er krempelte die Verwaltung um, entwickelte die Verwaltung zu einer straffen Organisation, baute Vertrauen zu den Bürgern auf und stellte kompetente Mitarbeiter ein. Als Resultat gibt es derzeit in Sibiu Vollbeschäftigung für Fachkräfte. Der Flächennutzungsplan wird in der Stadt nach nationalem Gesetz alle 10 Jahre neu entwickelt. 2011 wurde ein neuer Plan bestätigt, der von Planwerk in Cluj erarbeitet wurde. Seit Dezember 2011 gibt es zudem Regeln zur Partizipation bei unterschiedlichen Prozessen. Dies ist für rumänische Bürger noch recht unbekanntes Terrain und wird zunehmend besser angenommen. So gibt es in Sibiu eine

    Abbildung 15: eigene Darstellung, B.Prager

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    breite Beteiligung bei der Erarbeitung eines jährlichen Leitbilds für den Ort. Dieses Leitbild stellt ein strategisches Dokument dar und bildet als Kulturthema das Branding Sibius. In diesem Jahr ist dieses Thema „Smart“, dazu werden verschiedene Prospekte und Veranstaltungen erstellt. Zusätzlich gibt es eine Kulturagenda, innerhalb welcher 2013 insgesamt 80 Projekte umgesetzt werden. Es lässt sich gerade dadurch eine Vorbildfunktion für Städte wie Cluj erkennbar.

    Doch sieht man sich etwas genauer in Hermannstadt um, so finden sich auch hier schon bekannte Problematiken wieder. Es große strukturelle wie soziale Unterschiede zwischen der Unter-und Oberstadt. Die Unterstadt gilt als schwieriges Viertel mit einer dörflichen Struktur. Ceausescu siedelte hier bewusst Roma an, während die Oberstadt schon historisch Wohnstandort der wohlhabenderen Bevölkerung war. Dies ist auch in der stärker sanierungsbedürftigen Bausubstanz der Unterstadt zu erkennen. Das Problem der innerstädtischen, industriellen Brachflächen findet

    sich sowohl in Cluj als auch in Hermannstadt wieder. Diese sind oft ehemalige Industrieanlagen, die nach der Wende und einhergehenden wirtschaftlichem Bankrott Konkurs anmeldeten. Da diese Anlagen in privater Hand sind, besitzt die Verwaltung darauf keinen Zugriff. Hier bietet sich für ganz Rumänien ein enormes Potenzial von städtischen Gestaltungsmöglichkeiten. Ein weiteres Problem, welches auch in Sibius zu finden ist, ist der Verkehr. Große Teile der Altstadt sind durch das Auto erschlossen. Besonders auffällig ist dies am Kleinen Ring, welcher dadurch deutlich an Aufenthaltsqualität einbüßt. Auch die Parkraumbewirtschaftung stellt hier ein Problem dar, was es zu lösen gilt.

    Sibiu bleibt somit in seiner Entwicklung spannend zu verfolgen, da erste Ansätze für die Lösung akuter Probleme gefunden zu sein scheinen. Dabei stellen sich auch hier, wie in Cluj, einige Fragen. Wie wird die weitere Entwicklung Sibius bei anhaltendem Fachkräftemangel inklusive demographischen Wandel fortschreiten? Kann die Stadt der Vorbildfunktion gerecht werden und für die drängendsten Probleme langfristige Lösungen finden? Welche Chancen der Stadtentwicklung lassen sich für andere rumänische Städte ableiten? Es bleiben somit spannende Themen, die zu weiterer Beobachtung und Untersuchung reizen.

    Resümee

    Cluj und Sibiu stehen stellvertretend für siebenbürgische Städte. Sie sind historisch geprägt von deutschen Siedlern bis hin zum Sozialismus, dessen Erbe aktuell die schwerste Last für die Stadtentwicklung mit sich führt. Es bildet sich ein Pool von Problemen, welche städtebaulich gelöst werden müssen. Dies fängt bei dem schlechten Sanierungsstand inklusive hoher Eigentümerquote an, verläuft über einen drohenden Verkehrskollaps hin zum stetig voranschreitenden

    Abbildung 16, 17, 18: eigene Darstellung, B.Prager

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    demographischen Wandel, welcher erst in ein paar Jahren seine volle Wirkung zeigen wird. All dies wird zudem flankiert durch eine in der Regel schwache Verwaltung, dessen rechtliche Legitimationen ständig durch die starke Korruption unterwandert werden. In Folge entsteht ein Paradoxon zwischen Visionen des wirtschaftlichen Aufschwungs und einfachsten Gesetzesänderungen die stetig verändert werden.

    Cluj bleibt hierbei als die Stadt in Erinnerung, welche so lebendig und ehrgeizig das Ziel der Europäischen Kulturhauptstadt 2020 verfolgt, jedoch am stärksten unter den beschrieben Prozessen zu leiden hat. So steht die erste Baustelle mit dem Wunsch der verkehrsberuhigten Innenstadt, bei welcher man Teilerfolge feiern kann. Der schlechte Sanierungsstand lässt sich bis Mănăștur verfolgen und stellt die Stadt vor der Frage der Neustrukturierung der Infrastrukturen in ihren Großwohnsiedlungen. Denn diese werden sozial langsam entmischt, während ein großer Teil ihrer Einwohner in die Vororte zieht. Es kommt somit mittelfristig zu dem Punkt, an welchem man überlegen muss, wie man das Quartier bestmöglich für die zukünftigen Bewohner ausrichtet. An dieser Stelle seien Worte wie Parkraumbewirtschaftung, Grünflächen- sowie Naherholungskonzept und heterogene Bewohnerstruktur stellvertretend. Ob je ein Leerstand oder gänzliche Segregation einsetzt bleibt dabei abzuwarten. Nichts desto trotz lässt sich jetzt schon ein erheblicher Teil der Bevölkerung erkennen, welcher die Chance nutzt und direkt in die Hügel oder den Vorort sein Häuschen baut. Auch dabei stellt sich die Frage nach Planung und Restriktion eben jene Prozesse die in Mănăștur noch abzuwarten sind, hier schon einsetzen. Es wirft sich die Frage nach der Lösung dieser Probleme in Cluj auf und es ist sicher, dass es Eine geben wird. Jedoch ist eine Aussage nach diesen kurzen Eindrücken mehr als hellseherisch.

    Schaut man nach Sibiu, so erkennt man einige Parallelen, aber sieht auch welchen Unterschied eine funktionierende Verwaltung ausmacht. Schlechter Sanierungsstand ist auch hier zu finden, ähnlich wie Korruption, Verkehrsprobleme, brachliegende Industriefabriken und ein fehlendes Einzelhandelskonzept. Trotzdem erlebt man die täglichen Nachwirkungen des Titels „Europäische Kulturhauptstadt 2007“. Zusammen mit einer straffen Verwaltung konnte die Innenstadt verkehrsberuhigt werden und eine Vollbeschäftigung für Fachkräfte erreicht werden. Investoren haben in der Verwaltung einen direkten Ansprechpartner, wodurch zielgerichtet investiert und ausgebaut werden kann. An vielen Orten in der Stadt wurde der öffentliche Raum, egal ob Platz oder Straße, gepflegt und durch teilweise geringe Mittel in Wert gesetzt. Ein starkes kulturelles Programm, geprägt durch ein jährliches Imagebranding, hilft dabei die lokale Bevölkerung an ihre Stadt zu binden und ausländische Touristen und Investoren für Sibiu zu begeistern. In der Kürze der Besichtigung entstand so der Eindruck von durchaus positiver Entwicklung. Dies soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass in der Stadt noch viel investiert werden muss, um alle Missstände zu begleichen. Es ist aber ein erfolgreicher Anfang zu erkennen. Im Vergleich zu Cluj ist hierbei zu erkennen, dass Sibiu wie eine Art Vorbild wirkt und Ideen für die Stadtentwicklung Cluj setzt. Ob dies fruchtet bleibt auch hier wieder abzuwarten.

    Die siebenbürgischen Städte kämpfen somit stellvertretend mit ähnlichen Problemen. Eine Lösung deutet sich in der Stärkung der Verwaltung und Bekämpfung der Korruption an, bleibt jedoch nichts mehr als ein Vorschlag, dessen Handlungstiefe nicht abzuschätzen ist. Dementsprechend bieten diese Städte spannende Beispiele für Stadtentwicklung, da man beobachten muss, inwieweit sich Entwicklungen fortsetzen oder gar ihr Richtung ändern.

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    Erhal t des soz ioku l ture l len Erbes im süd l i chen Transs i l van ien (ehemal iges S ied lungsgebie t der S iebenbürger Sachsen) am Beisp ie l der S t i f tungen ADEPT und Michal Eminescu Trus t (MET)

    (Viscri und Umgebung, Aufnahmen von Michael Schneeberger, 2012 und 2013) Verfasst von: Jens Köber, Hochschule Eberswalde, Ökomarktbau und Vermarktung, Bachelor Dörte Rüther, Universität Göttingen, Agrarwissenschaften, Masters

    1 Einleitung

    Der Siedlungscharakter und die Kulturlandschaft des ländlichen Raumes im südlichen Transsilvanien sind geprägt vom jahrhundertelangen Wirken der Siebenbürger Sachsen. Ihre typischen Angerdörfer, die Kirchenburgen und der ökologische Wert der kleinbäuerlichen Landbewirtschaftung bilden kulturelle Schätze von nationalem und europäischem Rang. Die Migrationsbewegungen im sozialistischen Rumänien und nach der politischen Wende führten zum weitgehenden Verlust der Wertschätzung traditioneller Bauweisen und des Wissens um den Erhalt der noch vorhandenen Bausubstanz. In jüngster Zeit unterliegt die Landnutzung einem tiefgreifenden soziokulturellen Wandel, der sich negativ auf die Agrobiodiversität auswirkt.

    Die Stiftungen ADEPT und Michal Eminescu Trust (MET) bemühen sich um den Erhalt des soziokulturellen Erbes unter Einsatz unterschiedlicher Maßnahmen der Regionalentwicklung. Beide zeichnen sich dabei durch eine ganzheitliche Herangehensweise aus, die sowohl die ökologische, ökonomische als auch die soziale Dimension der Projektgebiete in den Blick nimmt. Das vorrangige

  • Ziel der Stiftung ADEPT ist die Erhaltung des ökologischedie Aktivitäten der MET von der Einzigartigkeit der Architektur der Siebenbürger Sachsen motiviert sind.

    2 Grundsätzliche Arbeitsweise der Stiftungen ADEPT und MET in Transsilvanien

    2.1 Gemeinsamer Lösungsansatz

    Abbildung 3: Schema zur Regionalentwicklung der Stiftungen ADEPT und MET in Transsilvanien

    Das Schema in Abbildung 1 beschreibt die Einbindung der „Projektkulisse“ im sozioökonomischen Gefüge. Daraus ersichtlich sind sowohl Einflussfaktoren als auch Implikationen für Maßnahmen zur Erreichung des o.g. Zieles. Beide Stiftungen zielen vorrangig aufder Projektkulisse als Möglichkeit zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der NutzerInnen.

    2.2 Projektkulisse

    Ausgangspunkt der Stiftungsaktivitäten ist ein definierter Erhaltungsgegenstand bzw. die Festlegung eines Aktivitätsbereiches. Seine spezifischen Merkmale sind das Leitbild, auf die die Maßnahmen direkt oder indirekt gerichtet sind.

    2.3 Nutzung

    Gemeint ist sowohl die frühere als auch die gegenwärtige Nutzung. Da die Projektkulisse das Ergebnis bestimmter Nutzungsformbzw. Rückführung der ursprünglichen Nutzungsform, wenn diese bedroht ist oder bereits aufgegeben wurde, oder die Anpassung der jetzigen Nutzungsform, so dass sie im Einklang mit den Erhaltungszielen steht. Gleichzeitig gehen aus dem (potenziellen) Nutzerkreis die Zielgruppen der Maßnahmen hervor.

    Vermarktung

    NutzerIn/

    KonsumentIn

    Ziel der Stiftung ADEPT ist die Erhaltung des ökologischen Wertes der Kulturlandschaft, während die Aktivitäten der MET von der Einzigartigkeit der Architektur der Siebenbürger Sachsen

    Grundsätzliche Arbeitsweise der Stiftungen ADEPT und MET in Transsilvanien

    Gemeinsamer Lösungsansatz

    : Schema zur Regionalentwicklung der Stiftungen ADEPT und MET in

    1 beschreibt die Einbindung der „Projektkulisse“ im sozioökonomischen Gefüge. Daraus ersichtlich sind sowohl Einflussfaktoren als auch Implikationen für Maßnahmen zur Erreichung des o.g. Zieles. Beide Stiftungen zielen vorrangig auf die ökonomische Inwertsetzung der Projektkulisse als Möglichkeit zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der NutzerInnen.

    Ausgangspunkt der Stiftungsaktivitäten ist ein definierter Erhaltungsgegenstand bzw. die ivitätsbereiches. Seine spezifischen Merkmale sind das Leitbild, auf die die

    Maßnahmen direkt oder indirekt gerichtet sind.

    Gemeint ist sowohl die frühere als auch die gegenwärtige Nutzung. Da die Projektkulisse das Ergebnis bestimmter Nutzungsformen darstellt, beinhalten die Maßnahmen entweder die Erhaltung bzw. Rückführung der ursprünglichen Nutzungsform, wenn diese bedroht ist oder bereits aufgegeben wurde, oder die Anpassung der jetzigen Nutzungsform, so dass sie im Einklang mit den

    elen steht. Gleichzeitig gehen aus dem (potenziellen) Nutzerkreis die Zielgruppen der

    Projektkulisse

    Nutzung

    Wissen & Technik

    Produkt

    Vermarktung

    KonsumentIn

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    n Wertes der Kulturlandschaft, während die Aktivitäten der MET von der Einzigartigkeit der Architektur der Siebenbürger Sachsen

    Grundsätzliche Arbeitsweise der Stiftungen ADEPT und MET in Transsilvanien

    : Schema zur Regionalentwicklung der Stiftungen ADEPT und MET in

    1 beschreibt die Einbindung der „Projektkulisse“ im sozioökonomischen Gefüge. Daraus ersichtlich sind sowohl Einflussfaktoren als auch Implikationen für Maßnahmen zur

    die ökonomische Inwertsetzung der Projektkulisse als Möglichkeit zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der NutzerInnen.

    Ausgangspunkt der Stiftungsaktivitäten ist ein definierter Erhaltungsgegenstand bzw. die ivitätsbereiches. Seine spezifischen Merkmale sind das Leitbild, auf die die

    Gemeint ist sowohl die frühere als auch die gegenwärtige Nutzung. Da die Projektkulisse das en darstellt, beinhalten die Maßnahmen entweder die Erhaltung

    bzw. Rückführung der ursprünglichen Nutzungsform, wenn diese bedroht ist oder bereits aufgegeben wurde, oder die Anpassung der jetzigen Nutzungsform, so dass sie im Einklang mit den

    elen steht. Gleichzeitig gehen aus dem (potenziellen) Nutzerkreis die Zielgruppen der

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    2.4 Wissen und Technik

    Die ursprüngliche bzw. angepasste Nutzung erfordert Anwendungswissen und Technik. In der Wissensvermittlung und Bereitstellung von Materialien und Technik liegen Schwerpunkte der Stiftungsarbeit.

    2.5 Produkt

    Die ursprüngliche Nutzung des Erhaltungsgegenstands erfolgte zu einem definierten Zweck, d.h. sie diente zur Befriedigung materieller oder immaterieller Bedürfnisse. Sofern diese Bedürfnisse unter den heutigen Bedingungen existieren, sind sie die Motivation der NutzerInnen zur Erhaltung der Projektkulisse. Im Falle nicht mehr rückführbarer Verwendungszwecke erfolgt eine anderweitige Inwertsetzung. Beiden Stiftungen ist die Schaffung selbsttragender Wertschöpfungsketten gemein, d.h. dass eine Nutzung der Projektkulisse auch unter heutigen Bedingungen voraus gesetzt bzw. angestrebt wird. Die Erhaltung zum Selbstzweck ist kein Bestandteil der Maßnahmen.

    2.6 Vermarktung

    Nicht immer ist der/die NutzerIn auch NutznießerIn sondern eine andere Personengruppe, die das Produkt im weitesten Sinne konsumiert. In diesem Fall kann von „BewirtschafterIn“ und „KonsumentIn“ gesprochen werden. Der Begriff „ProfiteurIn“ ist unscharf, da er für beide Seiten anwendbar ist. Während der/die KonsumentIn durch die Inanspruchnahme des Produkts Bedürfnisbefriedigung erfährt, profitiert der/die NutzerIn von der Zahlung für das Produkt.

    Die bisher unbeteiligte Gruppe der KonsumentInnen muss zunächst erreicht werden. Die Stiftungen haben hier die Möglichkeit, im Rahmen von produkt-, kommunikations- und distributionspolitischen Marketingmaßnahmen die Produktnachfrage zu fördern, die als wesentliche Voraussetzung einer nachhaltigen Nutzung gesehen wird.

    2.7 KonsumentIn

    Mit der meist materiellen Vergütung des Produktes durch den/die KonsumentIn schließt sich die Produktionskette. An der Nachfrage nach den erzeugten Produkten kann der Erfolg der ergriffenen Maßnahmen bewertet werden.

    Ausgehend von der Logik, dass es sich um bedrohte bzw. verloren gegangene Werte handelt, umfassen die Stiftungsaktivitäten auch die Bewusstseinsbildung bei den potenziellen KonsumentInnen und ermöglichen ihnen den Zugang zu den Produkten bzw. zum Erhaltungsgegenstand.

    3 Fallbeispiel Stiftung ADEPT

    3.1 Entwicklung der Grünlandnutzung

    Eine traditionell kleinbäuerliche Landbewirtschaftung hat insbesondere auf dem Grünland ein hohes Maß an Agrobiodiversität geschaffen. Insgesamt werden in Rumänien rund drei Mio. ha landwirtschaftlicher Nutzfläche als „High nature value“-Grünland gewertet.

    Artenreiches Grünland in der Nähe von Viscri

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    Darunter sind extensiv und strukturreich bewirtschaftete Wiesen und Weiden mit geringem Viehbesatz, geringem Nährstoffeintrag und vielen seltenen Tier- und Pflanzenarten zu verstehen, die vielfältige sog. ökosystemare Dienstleistungen erfüllen und darum unbedingt erhaltenswert sind. Sie besitzen einen hohen landschaftsästhetischen Wert und großes touristisches Potenzial. Außerdem gelten sie als Musterbeispiel für die nachhaltige Nutzung und On-farm-Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen.

    Die entstandene Agrobiodiversität ist großflächig von Landnutzungsänderungen bedroht, die sich in der veränderten Zusammensetzung der Pflanzengesellschaften äußern. Probleme auf Grund unmittelbarer negativer Folgen bereiten:

    • der Umstieg von der Milchvieh- zur Schafhaltung, die ein anderes Fressverhalten an den Tag legen

    • ein zu hoher Viehbesatz, der mit hohen Nährstoffeinträgen und Flächenerosion einher geht

    • eine zu geringe Beweidung, durch die konkurrenzkräftige Pflanzen und die Verbuschung der Flächen gefördert werden

    Die Ursachen dieser Entwicklungen sind z.T. direkte Folgen des Beitritts Rumäniens zur Europäischen Union im Jahr 2007, der den Empfang von Flächenprämien für landwirtschaftliche Betriebe im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik ermöglichte.

    Viele TierhalterInnen sind seitdem vom traditionellen System der Allmendebewirtschaftung abgerückt. Bei dieser Form der Grünlandnutzung sind die ortsnahen Flächen in kommunalem Besitz und werden von einem gewählten „Gemeindehirten“ bewirtschaftet. Für das Melken des Viehs vor bzw. nach dem Weidegang sind die jeweiligen BesitzerInnen zuständig. Der Viehbesatz ergibt sich aus der Gesamtzahl der Tiere, die zur Deckung des Eigenbedarfs eines Haushaltes gehalten werden. In Anbetracht des sehr niedrigen Durchschnittseinkommens in Rumänien stellt die Einnahme von Flächenprämien eine Möglichkeit zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage dar. Die ViehhalterInnen beenden ihre Mitgliedschaft im Allmendesystem und pachten landwirtschaftliche Nutzflächen von der Gemeinde. Die neu entstandene Konkurrenzsituation auf dem Markt für substituierbare landwirtschaftliche Erzeugnisse begünstigt die Strategie der Ertragssteigerung durch Erhöhung des Viehbesatzes. Gleichzeitig wird die Bewirtschaftung ertragsschwacher Standorte unattraktiv. Dem zunehmenden Preisverfall in der Molkereiwirtschaft wird mit der Produktion von Lammfleisch für den Export in Länder mit hohem muslimischem Bevölkerungsanteil begegnet.

    Insgesamt betrachtet geht der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten kontinuierlich zurück. Bei fortschreitender Markterschließung im ländlichen Raum durch den Lebensmitteleinzelhandel verlieren kleinbäuerliche Betriebe an Konkurrenzkraft.

    3.2 Maßnahmen der Stiftung ADEPT

    Der Lösungsansatz der Stiftung ADEPT zur Erhaltung der ökologischen und soziokulturellen Werte der kleinbäuerlichen Grünlandbewirtschaftung besteht in der Befähigung kleinbäuerlicher Betriebe zur nachhaltigen Grünlandnutzung mit dem Ziel, von der Subsistenz zur marktorientierten

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    Produktion überzugehen. Übertragen auf das oben beschriebene Schema in Abbildung 1 stellen sich die Aktivitäten wie folgt dar:

    3.2.1 Projektkulisse

    Die Projektkulisse der Stiftung ADEPT bildet die Region Sighişoara-Târnava Mare im südlichen Transsilvanien (Rumänien). Die Stiftung beteiligt sich an der Erstellung eines Managementplanes des dortigen Natura-2000-Gebietes, der im Wesentlichen als das Leitbild der Erhaltungsaktivitäten angesehen werden kann. Ein weiteres Ziel ist die Stärkung der Veredelung von Erzeugnissen, die aus der Landnutzung resultieren, v.a. Milch, Beeren-, Stein- und Kernobst.

    3.2.2 Nutzung

    Die Milchviehhaltung wird auf Grund ihrer langen Tradition gegenüber der Schafhaltung bevorzugt. Der Grünlandcharakter kann auch durch Mahd erhalten werden.

    3.2.3 Wissen und Technik

    Die Stiftung bietet Training und Wissensvermittlung zu nachhaltigen, d.h. biodiversitätsfördernden, Bewirtschaftungsmethoden an, wie zum Beispiel:

    • Workshops zum Flächenmanagement

    • Schulungsmaterial zu Zeigerarten bestimmter Biotoptypen

    • Bereitstellung innovativer Landtechnik

    • Fördermittelakquise und damit verbundenen Auflagen bzgl. Produktion und Dokumentation

    Des Weiteren kann beispielsweise ein Motormäher zum Einsatz auf Grünland ausgeliehen werden.

    3.2.4 Produkt

    Über die Diversifizierung der landwirtschaftlichen Einkommen soll die Lebensgrundlage der Betriebe verbessert werden. Andere Maßnahmen zielen auf die Bereitstellung von spezieller Infrastruktur, die den Verkauf bestimmter Produkte erst ermöglicht bzw. rentabler macht. So wurde eine Verarbeitungsküche für Obst- und Gemüsekonserven gebaut, die den EU-Hygienestandards entspricht. Die Betriebe erlangen durch die Nutzung Zugang zu Zwischenhändlern und können eine hohe Produktqualität gewährleisten. Mit den von der Stiftung bereit gestellten Solartrocknern lässt sich Dörrobst herstellen und es können Kräuter getrocknet werden, die die Angebotspalette erweitern.

    In Lehrgängen lernen die LandwirtInnen Grundlagen der Produktentwicklung und Verpackung, die die Produktqualität erhöhen und die Ansprüche verschiedener Käufergruppen, z.B. aus dem urbanen Raum, erfüllen. Die Stiftung ADEPT achtet dabei auf die Pflege der traditionellen Produktvielfalt und steht der Entwicklung „nicht authentischer“ Produkte, wie z.B. Chutneys, ablehnend gegenüber. Auch einen Übergang zur reinen Rohstoffproduktion für verarbeitende Lebensmittelproduzenten sieht sie skeptisch. Der Charakter des vielfältigen Betriebs soll beibehalten werden.

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    3.2.5 Vermarktung

    Die Stiftung fördert den Absatz der Produkte, indem sie als nicht profitorientierter Zwischenhändler auftritt und verarbeitete Produkte in ihrem „Infoshop“ anbietet. Die Rentabilität der Kuhmilcherzeugung erhöht sie durch den Aufkauf an kommunalen Milchsammelstellen zu höheren als den Marktpreisen.

    3.2.6 VerbraucherInnen

    Über eine Vielzahl von Maßnahmen soll die Wertschätzung regionaler Produkte gesteigert und der Zugang zu ihnen erleichtert werden:

    • Schaffung von Informationsangeboten (Internet, Apps, Flyer etc.)

    • Unterhaltung eines Infoshops mit Verkaufsangebot

    • Beteiligung an thematisch einschlägigen Veranstaltungen

    • Entwicklung einer Fahrradroute, die die Vielfalt kleinbäuerlicher Betriebe erlebbar macht (Brot backen, Käseherstellung, Weidewirtschaft etc.)

    3.3 Weitere Maßnahmen

    Ein weiterer Bereich ist die Förderung der Zusammenarbeit mit Organisationen und UnternehmerInnen, die sich positiv auf die Verwertung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse auswirkt. Die Motivation liegt hierbei auf einer allgemeinen Verbesserung der Rahmenbedingungen für nachhaltige Landnutzung und die kleinbäuerliche Kultur. Genannt seien Zusammenschlüsse von ErzeugerInnen und VerbraucherInnen oder größere Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft. In diesen Bereich fällt auch das Lobbying bei politischen Entscheidungsträgern.

    4 Fallbeispiel Stiftung Michal Eminescu Trust (MET)

    4.1 Entwicklung der Siebenbürger Sachsen Dörfer

    Siebenbürgen wurde mit deutschstämmiger Bevölkerung im 12./13. Jahrhundert zuerst von ungarischen Königen besiedelt. Um dieses Gebiet gegen Tartaren und Türken zu schützen, die aus dem Südosten über Pässe der Karpaten kamen, wurden Deutsche aus dem Rhein-

    Mosel-Gebiet (heutiges Luxem-burg) angesiedelt. Diese errichteten dort im Mittelalter Kirchenburgen als

    Wehrburgen zum Schutz, die neben der Religionsausübung auch als Rückzugs- und Verteidigungsort dienten. Noch heute gibt es etwa 200 Kirchenburgen in Siebenbürgen,

    Kirchenburg in Viscri

    Fassade der sächsischen Bauernhäuser an der Dorfstraße in Viscri

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    welche das dichteste Netz an Kirchenburgen in ganz Europa darstellen.

    Die Siebenbürger Sachsen Dörfer unterscheiden sich aber auch in ihrer Bauweise von ungarischen und rumänischen Dörfern. Die Häuserfassaden reichen an der Dorfstraße aneinander, der Hof ist durch große Holztore verschlossen, wogegen bei ungarischen oder rumänischen Dörfern ein großer Garten den Raum um die Häuser einnimmt.

    Zur Zeiten der Immigration nach Siebenbürgen sowie während der folgenden Jahrhunderte verfügten die Deutschen in diesem Gebiet über viele Privilegien durch den ungarischen König. Sie wurden nicht nur zur Abwehr von Feinden sondern auch zur Stärkung der dortigen Wirtschaft angesiedelt, viele waren Handwerker.