Vor einem Jahr
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Transcript of Vor einem Jahr
Ich erinnere mich gern an die schöne Zeit mit dir.
Ich denke gerne an alles, was wir taten, was wir erlebt
hatten. Ich weiß noch, wie wir uns kennen lernten, die
ganze Zeit in der Schule, nur nebeneinander her gelebt,
ich wusste nicht einmal, dass es dich gab. Wir saßen in
Englisch nur zwei Plätze auseinander, manchmal fragte
ich mich, wie wohl dein blöder Akzent zustande ge-
kommen sei. Weiter gingen meine Gedanken nie, ein
Viertel Jahr lang nicht, in denen ich mich an anderen
Menschen versuchte, an manchen erfolgreich, an man-
chen nicht. Und dann kam dieser Tag im Mai, ich wer-
de ihn in keinem Detail vergessen, die Freistunde vor
Mittag, wo alle essen waren und nur wir beide keinen
Hunger hatten. Wir saßen da, ganz allein, im Aufent-
haltsraum und wussten nichts voneinander, gerade ein-
mal die Vornamen und sicher nicht alle Kurse, die wir
zusammen belegten und wir fingen einfach an uns ein
wenig zu unterhalten, über die üblichen Themen, über
Hausaufgaben, über Lehrer, Noten, all das seichte
Schulische, dass bei einem ersten Gespräch stets so
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passend und unverfänglich ist. Ich gebe zu, ich hatte
ein gewisses Kribbeln gespürt, hatte da bemerkt, dass
deine Augenfarbe eine Mischung aus blau und grün war
und hatte mir gewünscht, sie vielleicht irgendwann ein-
mal näher zu betrachten, nicht über die Distanz zweier
Tische hinweg. Ich gebe auch zu, dass es dieses Ge-
spräch war, was ich im Nachhinein als eines unserer
schönsten empfand.
Es verebbte im Sande, mit dem Erscheinen unserer
Freunde verschwand unsere Konversation. Doch ich
hatte Lust bekommen dich kennen zu lernen, Lust auf
weitere Unverfänglichkeiten, auf intime Details, die
nicht jeder hören durfte. Ja, ich wollte einer deiner
Freunde werden, das gebe ich gerne zu. Und du hattest
das bemerkt, natürlich, du warst intelligent, das merkte
man selbst dann, wenn du über Stundenausfall sprachst,
es steckte eine feine Ironie darin, die nicht jedem be-
greiflich war. Von dem Tage unseres ersten Gesprächs
an versuchte ich, mich dir bemerkbar zu machen, ich
lächelte dich an, ich ging in Diskussionen auf dich ein,
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ich grüßte dich, wenn wir uns im Flur kreuzten und du
erwidertest all meine Gesten. Ich liebte dich nicht, es
wäre vermessen, so früh von Liebe zu sprechen, ist dies
doch das Gefühl, dass der meisten Pflege bedarf, doch
ich spürte schon im tiefsten Grunde meiner selbst, dass
ich dich durchaus lieben wollte.
Ich erinnere mich gern an die schöne Zeit mit dir, vor
einem Jahr.
Wir sahen uns öfters auf Partys, Hausfeten, Geburtsta-
gen und Grillfesten, es stellte sich heraus, dass wir ei-
nen entfernt ähnlichen Freundeskreis hatten. Ich be-
gann zu dieser Zeit, genau auf dich zu achten, auf die
Art, wie du lachtest, wenn du etwas wirklich lustig fan-
dest, wie du eine Strähne deines schwarzen Haares zwi-
schen deinen Finger kräuseltest, wenn du nicht auf dich
selbst geachtet hattest und wie du federnd und aufrecht
durch die Gänge gehastet bist, wenn du es eilig hattest
aber gleichzeitig guter Laune warst. Es war ein schöner
Sommer für mich, ich fühlte mich wohl in der Rolle
des Beobachters und du ließest mich gewähren, dir ge-
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fiel dieses voyeuristische und intime Spiel zwischen
uns.
Ich begann, dich mit kleinen Aufmerksamkeiten zu
überraschen, ich schrieb damals recht gute Haiku, eini-
ge von ihnen widmete ich dir und schob sie dir immer
heimlich unter, in deinen Ordner oder in deine Jacke.
Du wusstest natürlich, dass sie von mir waren und du
fühltest dich geschmeichelt, sie waren so persönlich,
dass man erkennen konnte, dass du mich beschäftigtest.
Wir sprachen nie offen darüber, nicht mit Worten, dass
hätte den Zauber zerstört, der zwischen uns herrschte,
ein enges Band, weniger bestehend aus Worten, son-
dern eher aus Gesten, aus Blicken, aus zufälligen Be-
rührungen, bei denen es knisterte. Es wurde langsam
Herbst, wir hatten uns noch nie zu zweit getroffen, ich
wusste genau, dass es nicht an unserer Feigheit lag,
sondern an dem Besonderen unserer Beziehung. Wir
beiden hätten damals andere haben können, die sich für
uns interessierten, doch wir blieben beide für uns, ganz
auf den anderen konzentriert.
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Ich erinnere mich gern an die schöne Zeit mit dir, vor
einem Jahr, einem Jahr, in dem ich wirklich liebte.
Es wurde Winter und ich liebte dich nun und du liebtest
mich. Wir saßen in den Pausen da, schmachtend,
schweigend, weit voneinander getrennt durch unzählige
andere Schüler, in unterschiedlichen Ecken des Rau-
mes, uns ansehend, verknüpft durch ein Band, stärker
als alles Materielle. Manche sprachen uns schon darauf
an, sie hatten bemerkt, dass zwischen uns etwas war
und sie fragten sich, warum wir nicht miteinander spra-
chen, was wir kaum noch taten. Es wäre müßig gewe-
sen, ihnen zu erklären, was zwischen uns war, weil es
niemand von ihnen verstanden hätte, man musste es
fühlen, um es zu begreifen. Ich erzählte ihnen nur, dass
wir etwas Besonderes hätten und musste mich der Fra-
gerei aussetzten, die den Zauber ein wenig zerstörte, du
hattest eine klügere Taktik, hattest einfach geleugnet,
dass da etwas sei und so die forschen Frager beruhigt.
Doch ich muss gestehen, dass ich inzwischen mehr
wollte, in einem Teil meiner Selbst genügte mir der
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stumme Teil unserer Beziehung nicht mehr, etwas in
mir verlangte nach etwas körperlichem, etwas greifba-
rem.
Natürlich stand ich nun vor einem großen Problem: Ei-
ne Verbindung, die so war wie die unsere, ließ sich
nicht einfach ohne weiteres in etwas Normales verwan-
deln, das hätte sie vernichtet. Ich beging den Fehler es
irgendwie dennoch möglich machen zu wollen. Natür-
lich wussten wir inzwischen schon längst, wo der je-
weils andere wohnte, einmal im Herbst hatten wir uns
den Spaß gemacht, uns gegenseitig nach Hause zu ver-
folgen, auch wenn wir es nie gewagt hätten, den ande-
ren hereinzubitten.
Ich fuhr also zu dir nach Hause, im Januar, es hatte ge-
schneit und ich baute einen großen Schneemann in dei-
nem Vorgarten, tief nachts. Mir fehlten die Handschuhe
und mir wären fast die Finger erfroren. Diesem Schnee-
mann malte ich ein großes Herz auf die Brust, mit ei-
nem Fragezeichen in der Mitte. Dann fuhr ich wieder
nach Hause, auf meinem Fahrrad, die Straßen waren so
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glatt, dass ich zweimal den Halt verlor. Irgendwie da-
heim angekommen, konnte ich nicht schlafen, ich dach-
te an dich, hatte Angst vor deiner Reaktion, glaubte, al-
les zerstört zu haben. Der nächste Morgen kam, die
Schule, ich sah dich, du mich, du hattest gelächelt, aber
nicht anders als sonst, keine Reaktion verriet, dass du
mein Werk überhaupt gesehen hattest. Ich suchte dei-
nen Blick, fand ihn aber zu selten, um darin lesen zu
können, die Macht der Gewohnheit hielt mich zurück,
dich einfach anzusprechen. So verging dieser schick-
salsvolle Tag und es schien sich nichts verändert zu ha-
ben.
Ich erinnere mich gern an die schöne Zeit mit dir, vor
einem Jahr, einem Jahr, in dem ich wirklich liebte und
nach dem sich alles änderte.
Es war Februar und ich war kein ganzer Mensch mehr.
Du hattest dich zu meiner Göttin emporgehoben und du
fordertest von mir, endlich den Schritt zu tun, der uns
vereinen würde. Dein Blick war flehentlich geworden,
ich hörte dich innerlich schreien nach mir und ich war
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einfach nur ein lausiger Feigling, der nicht wusste, wie
er dich kriegen sollte, ohne alles zu zerstören.
Der Valentinstag kam und ging, ich wollte bewusst
nicht dieses Datum wählen, dass jeder noch so langwei-
lige Mensch benutzte, um seiner liebsten ein paar billi-
ge Rosen zu schenken. Ich wartete auf den Tag danach,
die Nacht danach. Eine Minute nach zwölf wollte ich
bei dir klingeln und endlich mit dir reden, alles sagen,
was sich im Laufe des letzten Jahres an Wichtigkeiten
angesammelt hatte, ich wusste, wenn ich einmal ange-
fangen hätte, dann würden sie aus mir herausbrechen
wie ein Fluss aus einem morschen Damm. Es wurde
viertel nach eins und brauchte vierzehn Anläufe, bis ich
meinen Zeigefinger so weit nach vorne zwingen konn-
te, um bei dir zu klingeln. Du kamst vor deinen Eltern
an die Tür, und sahst auf mich herunter, so flehentlich
wie noch nie zuvor.
Ich erzählte dir alles, gestand dir meine Liebe, weinte
vor Glück, endlich frei sprechen zu können und fühlte
mich so erleichtert, endlich den Schritt getan zu haben,
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den du so lange von mir verlangt hattest.
Ich erinnere mich gern an die schöne Zeit mit dir, vor
einem Jahr, einem Jahr, in dem ich wirklich liebte und
nach dem sich alles änderte. In dem du mich verstie-
ßest.
Ich begreife immer noch nicht, was dich in jener Nacht
dazu getrieben hatte, mich in Scherben zu zerbrechen.
Ich weiß nicht, ob ich zu lange gewartet habe. Ob ich
besser hätte schweigen sollen, den Zauber besser auf-
rechterhalten sollen. Ich weiß nicht, ob du mir nur ei-
nen Gefallen tun wolltest, als du mir sagtest, dass du
mich nie geliebt hättest, dass du mich nie richtig be-
merkt hättest, nie etwas mit mir zu tun gehabt hättest.
Dass du stattdessen Angst vor mir hättest und das ich
endlich aufhören solle, dich zu verfolgen. Ich weiß
nicht, ob du dachtest, du müsstest mich vor dir retten,
als du mir drohtest, die Polizei zu rufen, sollte ich dich
noch einmal belästigen.
Ich denke seit dieser Nacht darüber nach, versuche eine
Antwort zu finden, denn bis ich diese nicht habe, werde
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ich deinem Wunsch folgen und dich nur noch aus der
Ferne bewundern, denn auch das gehört zu unserer Ein-
zigartigkeit. Ich weiß, dass die Antwort auf die Frage,
warum du mich verleugnet hast, die Prüfung ist, dir mir
das Schicksal auferlegte, dich endlich lieben zu kön-
nen.
Bis ich diese habe, erinnere ich mich gerne an die
schöne Zeit mit dir.
Es war eine schöne Zeit.
Ganz ohne Frage.
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