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Soziale Kommunikation Vorlesung Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Sommersemester 2011 PD Dr. phil. habil. Udo Thiedeke „Kommunikationsprobleme“ 1) Was ist Kommunikation? 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ 3) Zusammenfassung

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Soziale Kommunikation

Vorlesung

Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Sommersemester 2011

PD Dr. phil. habil. Udo Thiedeke

„Kommunikationsprobleme“

1) Was ist Kommunikation?

2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“

3) Zusammenfassung

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 1

Schon der lateinische Wortstamm „communicatio“ deutet auf ein

„Gemeinmachen“, auf das Herstellen von Gemeinsamkeit, also auf

einen sozialen Sachverhalt hin.

(Kommunizierende)

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 2

Auf die Frage: „Was ist Kommunikation?“ wird daher gerne geant-

wortet: „Ein Austauschprozess von Information zwischen Menschen“.

(Austauschende?)

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 3

Wird vom „Austausch von Informationen“ gesprochen so wird das ger-

ne als „Übertragung“ von „Bedeutungen“ verstanden, wobei, etwa

beim „kommunikativen Handeln“ (Habermas), die Sprache als „Trä-

ger“ des Austauschs in „Sprechakten“ dient.

(Jürgen Habermas)

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 4

Der Vorstellung von Kommunikation als Informationsübertragung ent-

spricht soziologisch das kausallogische Modell wonach ein Sender

(„Kommunikator“) Informationen, d.h. „Bedeutungen“ an einen Emp-

fänger („Rezipienten“) überträgt.

Sender EmpfängerInformationen /Bedeutungen

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 5

Für das Übertragungsmodell sozialer Kommunikation lassen sich

daher folgende Grundannahmen festhalten:

­ Kommunikation ist ein Übertragungsprozess von Informationen.

­ Kommunizierende Individuen wollen Informationen an andere

Individuen übertragen.

­ Kommunikation hat Verständigung zum Ziel.

­ Kommunikation basiert auf symbolischen Handlungen.

­ Kommunikation ist die Ursache für Wirkungen beim Empfänger.

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 6

Eine „soziale“ Kommunikation kann demnach nur eine „gelungene“

Kommunikation sein. Das meint eine Kommunikation, als deren

Ergebnis die Handlungsintentionen des „Senders“ mit denen des

„Empfängers“ identisch sind.

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 7

Die kommunikative Interaktion soll dabei ideal als Face­to­face­Inter-

aktion zwischen zwei Kommunizierenden verlaufen, die sich deshalb

verständigen können, weil sie sich auf ein gemeinsames (sprachli-

ches) Zeichensystem beziehen.

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 8

Abgesehen von der Idealisierung der Vernachlässigung der Telekom-

munikation, stellt sich zu diesem gängigen Kommunikationsmodell die

Frage, ob Kommunikation so linear von Ursache zu Wirkung verläuft

und ob etwa Missverständnisse und unbeabsichtigte Wendungen der

Kommunikation nicht ebenfalls ,kommunikabel‘ sind?

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 9

Im bisherigen Verständnis von Kommunikation erscheint die Kontin-

genz der Kommunikationssituation als „Kommunikationsstörung“, die

vor allem dem ,Rauschen‘ des ,Kanals‘ oder ,Mediums‘ angelastet

wird, das die Informationsübermittlung beeinträchtigt.

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 1) Was ist Kommunikation? Folie 10

Empirisch muss man feststellen, dass Kommunikation selten solche

idealen Charakteristika aufweist, und oft mehr von Zufällen oder Kon-

flikten, als von „Verständigung“ und „Informationsidentität“ bestimmt

wird.

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ Folie 11

Bei den bisherigen Vorstellung eines „Austauschs“ von Informationen

bei der Kommunikation wird Information zu einem „Ding“ das aus

einem „Zeichenvorrat“ entnommen und getauscht wird.

Information

Vorrat an „Informationszeichen“

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ Folie 12

Die Idee, Information könne bei der Kommunikation „verschoben“

werden, scheint in der mathematischen Theorie der Kommunikation

von Claude E. Shannon begründet zu liegen. Sein Modell der Infor-

mationsübertragung, (später erneut mit Warren Weaver publiziert),

liegt allen Informationsvermittlungs­Modelle der Kommunikation zu

Grunde

(Claude E. Shannon, 1948: A Mathematical Theory of Communication, in: Bell System

Technical Journal. 27 July und Oktober. S. 379-423; 623­656. Wiederabdruck: Claude

E. Shannon, Warren Weaver, 1963: The Mathematical Theory of Communication.

Urbana, Ill.)

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ Folie 12a

Claude E. Shannons technisches Übertragungsmodell der Information

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ Folie 13

Der Soziologe Niklas Luhmann hat hierzu aber angemerkt, dass auch bei

Shannon, auf Seiten des Senders (der „Informationsquelle“, wie Shannon

sagt) eine Auswahl (Selektion) von Information stattfindet. Für Shannon war

das eine Selektion aus einer endlichen Menge an Zeichen.

(Niklas Luhmann)

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ Folie 14

Soziologisch scheint die Menge möglicher Information, jedoch nicht deter-

miniert, sondern kontingent. Und wir können für soziale Kommunikationssitua-

tionen wohl kaum von einer Informationsidentität, sondern nur von einer Re-

konstruktion von Information zwischen den Kommunizierenden ausgehen.

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ Folie 15

Information stellt sich vielmehr als eine Auswahloperation oder genauer als ei-

ne Unterscheidungsoperation dar, die bei einer unterscheidungsfähigen Ein-

heit (Beobachter) eine Unterscheidung anregt.

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ Folie 16

Mit Gregory Bateson könnte man sagen Information sei:

„(...) a difference which makes a difference“ (1972: 315) (Gregory Bateson, 1972: Steps to an Ecology of Mind. San Francisco)

oder noch etwas prägnanter: Infomation ist das Moment der Differenz.

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ Folie 17

Soziologisch kann Information nur in zeitlich, als Ereignis des Übergangs

zwischen zwei Zuständen begriffen werden.

Wer Information auswählt, der wählt nichts Materielles aus, sondern die An-

regung einer Unterscheidung. Das geht nur, wenn Information ereignishaften

Charakter hat, also neu, unbekannt, anders, entfernt ist.

Information Information Information

alt neu bekannt unbekannt gleich anders nah entfernt

Information

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 2) Vom „Austausch“ zur „Unterscheidung“ Folie 18

Soziale Kommunikation stellt sich von der Information her betrachtet als Pro-

zess der Anregung ereignishafter Unterscheidungen zwischen den Kommuni-

zierenden dar, wobei wir für die Unterscheidungen keine Identität behaupten

können.

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Soziale Kommunikation Einführende Bemerkungen / Überblick 3) Zusammenfassung Folie 19

Annahmen zur Kommunikation

1) Kommunikation ist nicht hinreichend dadurch beschrieben, dass Subjekte

im aufeinander bezogenen kommunikativen Handeln Verständigung er-

zielen wollen.

2) Kommunikation ist in ihrer Entfaltung nicht auf Sprechakte beschränkt.

3) Kommunikation basiert nicht auf dem Austausch von Information.

4) Soziale Kommunikation konstituiert sich in einem fortgesetzten Prozess

der Unterscheidung von Unterscheidungen als eine eigene Wirklichkeit

der Sozialität.