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Impulse für eine Optimierung der gerontopsychiatris chen Versorgung Prof. Dr. Hans Gutzmann Die meisten gerontopsychiatrischen Patienten in Deutschland leben heute in der Gemeinde und werden von ihren Familien oder professionellen Diensten unterstützt. Die ärztliche Versorgung erfolgt in der überwiegenden Mehrzahl durch die Hausärzte. Der Anteil chronisch psychisch Kranker in Altenheimen und Pflegeheimen variiert in Abhängigkeit von deren Größe und Zielsetzung stark, wobei die Dekompensation der Angehörigen häufigster Grund für eine Heimeinweisung ist. In einigen Einrichtungen sind bis zu 75 Prozent der Bewohner/innen chronisch psychisch erkrankt; dabei dominieren depressive und dementielle Störungsbilder. Es ist davon auszugehen, dass unter den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen für Ärzte in Heimen ein Teil der psychiatrischen Störungen nicht erkannt wird. In besonderem Maße dürfte das für Delire gelten. Menschen über 60 Jahren machen in psychiatrischen Notdiensten häufig mehr als 10% aller Patienten mit deutlich steigender Tendenz aus, wobei die Nachfrage bei allen anderen Altersgruppen nur moderat ansteigt. Schließlich ist festzuhalten, dass das Bedürfnis nach Psychotherapie bei älteren Patienten, bei denen sie in gleichem Maße wie bei jüngeren sinnvoll, notwendig und erfolgversprechend ist, kaum auch nur in Ansätzen befriedigt werden kann. Im ambulanten Bereich besteht also mindestens eine latente Unter- und Fehlversorgung.

Auch die stationäre Versorgung gerontopsychiatrischer Patienten gibt Anlass zur Sorge. Die stationäre Psychiatrie hatte über viele Jahre im Gegensatz zu allen anderen medizinischen Fächern entgegen der demographischen Entwicklung eine Abnahme des Anteils älterer Patienten zu verzeichnen. Möglicherweise ging dieses Absinken sogar mit einer Verschiebung des Behandlungsspektrums zu Lasten der organisch begründeten psychischen Erkrankungen einher. Angesichts der parallel zu konstatierenden massiven Zunahme psychisch Kranker im Heimbereich ist der Gedanke naheliegend, dass viele alte psychisch Kranke von der Häuslichkeit ohne kompetente Intervention eines Facharztes oder einer Fachabteilung ins Allgemeinkrankenhaus oder direkt ins Heim transferiert wurden. Ein systematischer Auf- und Ausbau gerontopsychiatrischer stationärer Angebote wird in Deutschland vermisst, während er in anderen Ländern angesichts der demographischen Entwicklung hohe Priorität genießt.

Bei älteren Patienten im Allgemeinkrankenhaus, sie sind mehr als doppelt so zahlreich wie ihr demographischer Anteil erwarten ließe, findet sich in mehr als 30% der Fälle eine behandlungsbedürftige psychiatrische Komorbidität, die allerdings meist unentdeckt bleibt. Andererseits gibt es dort etwa für delirpräventive und –therapeutische gerontopsychiatrische Interventionen eine überzeugende Evidenz. Während bei uns ein psychiatrischer Konsildienst mit gerontopsychiatrischer Expertise noch bei weitem nicht den üblichen Versorgungsstandard darstellt, wird etwa in Großbritannien, wo die Gerontopsychiatrie eine etablierte fachärztliche Disziplin darstellt, energisch sogar die flächendeckende Etablierung eines gerontopsychiatrischen Liaisondienstes gefordert.

Es muss unterstrichen werden, dass es sich bei gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern nicht um seltene und somit aufs Ganze gesehen um vernachlässigbare Erkrankungen handelt. Im Gegenteil sind sie schon heute häufig und werden im Rahmen des demographischen Wandels nur um so häufiger. Beide, Gesundheitssystem und Gesellschaft, sind aber noch nicht hinreichend auf diese Entwicklung vorbereitet. Die Allokation von Ressourcen im Gesundheitswesen ist daraufhin zu überprüfen, ob sie für diese ebenso absehbare wie unausweichliche Dynamik angemessen gewichtet ist. Besonders hilfreich wäre dabei die Finanzierung aus einem Topf, das heißt die Aufhebung der Interessengegensätze zwischen Kranken- und Pflegekassen, wodurch die notwendige Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Leistungsbereichen erhebliche gefördert werden könnte.

Die Vernetzung gerontopsychiatrisch-geriatrischer Angebote zwischen Klinik, Tagesklinik und Institutsambulanz mit weiteren Gesundheitsdiensten, den Sozialämtern, ambulanten,

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teilstationären und stationären Pflegeanbietern und niedergelassenen Ärzten stellt eine Hauptaufgabe moderner Versorgungsstrukturen dar. Die Gerontopsychiatrie hat bei der Entwicklung und Implementierung solcher Innovationen im Gesamtfach wesentliche Beiträge geleistet. Diverse Modellprogramme, Modellregionen, Demenznetze, Pflegestützpunkte und schließlich auch das Leuchtturmprogramm Demenz und das Deutsche Demenzzentrum sind zu begrüßende Initiativen. Das gerontopsychiatrische Zentrum im Versorgungsverbund als verpflichtendes Kernelement der gerontopsychiatrischen Regelversorgung mit seinen Elementen Tagesklinik, Ambulanz und niederschwelliges Beratungsangebot harrt aber in weiten Teilen noch seiner Umsetzung. Nach dem Konsensus-Statement der Welt-Gesundheits-Organisation und des Weltverbandes der Psychiater ist eine kompetente Gerontopsychiatrie und –psychotherapie unverzichtbar und nicht durch andere Fachgebiete, etwa die Geriatrie, oder die allgemeinpsychiatrische Kompetenz zu ersetzen. Für eine angemessene Versorgung einer Region ist es nicht akzeptabel, nur einen altersübergreifenden allgemeinpsychiatrischen Dienst anzubieten, wie es an vielen Stellen weiterhin Standard ist. Mit dem britischen Royal College of Psychiatrists muss ein solches Vorgehen ohne Einschränkung als Altersdiskriminierung bezeichnet werden.