W A N D E R N F Ü R W I S S B E G I E R I G E ( 1 4 ...

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30 Sekunden für die Weltgeschichte WANDERN FÜR WISSBEGIERIGE (14): Auf dem Zeitweg in Kandern einmal längs durch die Geschichte des Planeten Erde / Von Peter Gürth D ie Zeit, die ist ein sonderbar Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie...“, singt die Marschal- lin in der Oper „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Heute wollen wir der Zeit und ihren Geheimnissen im wörtli- chen Sinne nachgehen – auf dem Kander- ner Zeitweg. Dieser Weg bildet die fünf Milliarden Jahre der Entwicklungsge- schichte unserer Erde auf fünf Kilometern Wegstrecke ab. Eine Strecke von einem Meter entspricht also einer Million Jah- ren, ein Millimeter 1000 Jahren. Und zu- gleich werden diese fünf Milliarden Jahre zur besseren Anschaulichkeit umgerech- net auf ein Jahr. Der Weg beginnt am Rathaus von Kan- dern mit der monolithischen Sonnenuhr und der ersten von zwölf Tafeln auf dem „Zeitstein“. Vor 13,6 Milliarden Jahren kam es, sa- gen die Astronomen und Physiker, zum Urknall. Vor 5 bis 4,5 Milliarden Jahren verfestigte sich unsere Erde, zuvor ein glühender flüssi- ger Planet. Doch woher kommt die Zeit? Wäre Gott vor der Zeit gewesen, so folgerte der heilige Augustinus, wäre er nicht ewig. Gott ist außerhalb der Zeit, die er mit dem Universum erschaffen hat. Wem es sich jetzt im Kopf zu drehen be- ginnt, der muss nun schnell hinauf zur August-Macke-Schule. Dort steht die zweite Tafel. Im sogenannten Hadaikum vor 4,5 bis 3,8 Milliarden Jahren wurde der Mond vom sich verfestigenden Plane- ten Erde weggesprengt. Vulkane stießen auf der Erde Gase (Wasserdampf, Kohlendioxid und Stickstoff) aus. Die Uratmosphäre bildete sich. Weiter zum Grillplatz beim Wegweiser „Staig“. Dort den Ei- chenweg hinauf in den Wald. Wir achten dabei gut auf die Markie- rung „Zeitweg“: Sie ist nicht im- mer einfach zu finden. Die dritte Tafel befasst sich mit dem Archai- kum vor 3,8 bis 2,5 Milliarden Jahren. Aus dem Wasserdampf der Atmosphäre bildeten sich die Ozeane. In ihnen lebten erste Bakterien, noch ohne Zellkern, aber mit der Fähigkeit zur Photo- synthese und Freisetzung von Sauerstoff. Auf dem Weißerdenweg kom- men wir zum Kanderer Weg, dem wir nun lange folgen. Auf der vier- ten Tafel, dem – bildlich gespro- chen – April des Erdjah- res, geht es um das Frühe Proto- erozoikum vor 2,5 bis 1,8 Mil- liarden Jahren. Aus den Bakte- rien entstanden Einzeller mit einem Zell- kern, die sich im Mittleren Protoerozoikum (fünfte Tafel) vor 1,6 bis 0,8 Milliarden Jahren zu ersten Vielzel- lern mit der Möglichkeit sexueller Fort- pflanzung entwickelten. An einer Jahr- ringscheibe vorbei begegnen wir auf dem Kanderer Weg (nicht auf den Palmenweg abbiegen!) im Präkambrium (sechste Ta- fel) den ersten Meerestieren, danach im Erdaltertum (siebte Tafel) einer Vielzahl von im Meer lebenden Arten. Tafel acht befasst sich mit dem Erdmittelalter, Trias und Jura. Damals gab es schon die heuti- gen Flechten und Moose. In der Tierwelt erschienen Spinnen, Tausendfüßler, In- sekten und zuletzt Fische. Nach der Kreuzung mit dem Unteren Heubergweg geht es auf einem schmalen Grasweg weiter. Im Dezember des Erd- jahrs, der Kreidezeit (neunte Tafel), be- herrschten vor 500 Millionen Jahren die Saurier die Erde und starben dann schlag- artig aus – vielleicht durch einen Meteor- einschlag mit nachfolgender Klimaände- rung. Vor 200 Millionen Jahren im Tertiär erschienen die Säugetiere. Und an Silvester des Modelljahrs, vor zwei Millionen Jahren, ist er end- lich da – der Mensch (Homo erec- tus). Der moderne Mensch tritt erst fünf Minuten vor Mitternacht auf; nur 30 Sekunden vor 12 Uhr beginnt die Weltgeschichte. So über den geringen Anteil des Menschen an der Erdgeschichte belehrt, wandern wir nun an der Kreuzung beim Wegweiser „Wür- zeli“ links weiter auf den Egerten- weg. Die elfte Tafel führt uns eine Milliarde Jahre in die Zukunft. Be- reits in 40 Millionen Jahren wür- de sich diese Tafel wegen der fort- schreitenden Kontinentalver- schiebung theoretisch im heuti- gen Polen befinden, erfahren wir. Quer über das Tal wandern wir in den Weiler Egerten, dann links zum Restaurant Jägerhaus mit dem Max- Böhlen-Museum. Auf dem Max-Böhlen-Weg steht am Kalkofen die zwölfte und letzte Tafel des Zeitwegs: In 4,5 Milliarden Jahren wird das Ende der Welt erwartet. Die Sonne wird zu einem roten Riesenstern, die Er- de ist schon wegen der großen Hitze un- bewohnbar geworden. Danach stürzt die Sonne in sich zusammen und wird zu ei- ner ausgebrannten Sternenhülle, einem sogenannten weißen Zwerg. Für den Rückweg nach Kandern benut- zen wir den ebenso interessanten Kan- derner Planetenweg. Er bildet unser Son- nensystem im Maßstab 1:1 Milliarde ab. Der Weg führt durch das reizvolle offene Wollbachtal in den Wald zum Rastplatz am Roten Rain und von dort auf dem Sau- weg bis zur Kanderbrücke. Der Landstra- ße links folgend kommen wir an der histo- rischen „Weserei“ vorbei zum Ende des Planetenwegs beim ehemaligen Forstamt Kandern (sechs Kilometer). DIE TOUR Tageswanderung, 12 Kilometer: Rundweg, eben bis mäßig steil. Zeit für die Besichtigung von Kandern ein- planen. Dort erinnert ein Rundweg an den Maler August Macke. Anfahrt: Mit dem Auto auf der Au- tobahn A 5 bis Neuenburg, dann B 3, L 134 von Schliengen aus. Oder A 5 bis Efringen-Kirchen, dort K6315 und L 134 nach Kandern. Oder A 98 bis Lörrach, von dort L 134 nach Kandern. Busverbindungen von Müllheim oder Lörrach. Etwas Besonderes wäre die Fahrt mit der Museumsbahn „Kanderli“ von Haltingen bis Kandern (jeden Sonntag Mai bis Oktober). Einkehr: In Egerten Restaurant Jä- gerhaus (RT: Mo und Di, geöffnet Mi bis Sa 18.30 bis 24 Uhr, So auch 12.30 bis 17 Uhr, t 07626/8715; austra- lische Spezialitäten, gehobene Preise), Vesperstube auf dem Kreiterhof (Di bis Sa ab 17 Uhr, So ab 11 Uhr, April bis Mitte Juni, Mitte August bis Oktober, t 07626/591), Hirschen (Di, Mi, Do ab 18 Uhr, Sa ab 12 Uhr, t 07626/ 388). In Kandern mehrere Gasthäuser, sehr renommiert die Weserei (Di ab 17 Uhr, Mi bis So durchgehend, t 07626/445 oder 7000), Café La- coste (t 07626/311), zwei Eiscafés. Alle bisher erschienenen Teile der BZ-Wanderserie finden Sie unter: www.badische-zeitung.de/ wandern 0 12 km 300 m 500 m START ZIEL Kandern Wollbach Egerten Planetenweg Zeitweg Roter Rain Kander Kandertalbahn 1 km Auf dem Kanderner Zeitweg erlebt man nicht nur, wie es auf einer Tageswanderung langsam Abend wird, sondern man erwandert sich auch das Grundwissen zur Erdgeschichte – da dürfen Dinosaurier nicht fehlen. FOTOS: BRACKEL/MAIER

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30 Sekunden für die WeltgeschichteW A N D E R N F Ü R W I S S B E G I E R I G E ( 1 4 ) : Auf dem Zeitweg in Kandern einmal längs durch die Geschichte des Planeten Erde / Von Peter Gürth

Die Zeit, die ist ein sonderbarDing. Wenn man so hinlebt,ist sie rein gar nichts. Aberdann auf einmal, da spürt

man nichts als sie...“, singt die Marschal-lin in der Oper „Der Rosenkavalier“ vonRichard Strauss. Heute wollen wir derZeit und ihren Geheimnissen im wörtli-chen Sinne nachgehen – auf dem Kander-ner Zeitweg. Dieser Weg bildet die fünfMilliarden Jahre der Entwicklungsge-schichte unserer Erde auf fünf KilometernWegstrecke ab. Eine Strecke von einemMeter entspricht also einer Million Jah-ren, ein Millimeter 1000 Jahren. Und zu-gleich werden diese fünf Milliarden Jahrezur besseren Anschaulichkeit umgerech-net auf ein Jahr.

Der Weg beginnt am Rathaus von Kan-dern mit der monolithischen Sonnenuhrund der ersten von zwölf Tafelnauf dem „Zeitstein“. Vor 13,6Milliarden Jahren kam es, sa-gen die Astronomen undPhysiker, zum Urknall. Vor 5bis 4,5 Milliarden Jahrenverfestigte sich unsere Erde,zuvor ein glühender flüssi-ger Planet. Doch woherkommt die Zeit? WäreGott vor der Zeit gewesen, sofolgerte der heilige Augustinus, wäre ernicht ewig. Gott ist außerhalb der Zeit,die er mit dem Universum erschaffen hat.

Wem es sich jetzt im Kopf zu drehen be-ginnt, der muss nun schnell hinauf zurAugust-Macke-Schule. Dort steht diezweite Tafel. Im sogenannten Hadaikumvor 4,5 bis 3,8 Milliarden Jahren wurdeder Mond vom sich verfestigenden Plane-ten Erde weggesprengt. Vulkane stießenauf der Erde Gase (Wasserdampf,Kohlendioxid und Stickstoff) aus.Die Uratmosphäre bildete sich.

Weiter zum Grillplatz beimWegweiser „Staig“. Dort den Ei-chenweg hinauf in den Wald. Wirachten dabei gut auf die Markie-rung „Zeitweg“: Sie ist nicht im-mer einfach zu finden. Die dritteTafel befasst sich mit dem Archai-kum vor 3,8 bis 2,5 MilliardenJahren. Aus dem Wasserdampfder Atmosphäre bildeten sich dieOzeane. In ihnen lebten ersteBakterien, noch ohne Zellkern,aber mit der Fähigkeit zur Photo-synthese und Freisetzung vonSauerstoff.

Auf dem Weißerdenweg kom-men wir zum Kanderer Weg, demwir nun lange folgen. Auf der vier-ten Tafel, dem – bildlich gespro-

chen – April des Erdjah-res, geht es um das Frühe Proto-erozoikum vor 2,5 bis 1,8 Mil-liarden Jahren. Aus den Bakte-

rien entstanden Einzeller mit einem Zell-kern, die sich im MittlerenProtoerozoikum (fünfte Tafel) vor 1,6 bis0,8 Milliarden Jahren zu ersten Vielzel-lern mit der Möglichkeit sexueller Fort-pflanzung entwickelten. An einer Jahr-ringscheibe vorbei begegnen wir auf demKanderer Weg (nicht auf den Palmenwegabbiegen!) im Präkambrium (sechste Ta-fel) den ersten Meerestieren, danach imErdaltertum (siebte Tafel) einer Vielzahl

von im Meer lebenden Arten. Tafel achtbefasst sich mit dem Erdmittelalter, Triasund Jura. Damals gab es schon die heuti-gen Flechten und Moose. In der Tierwelterschienen Spinnen, Tausendfüßler, In-sekten und zuletzt Fische.

Nach der Kreuzung mit dem UnterenHeubergweg geht es auf einem schmalenGrasweg weiter. Im Dezember des Erd-jahrs, der Kreidezeit (neunte Tafel), be-herrschten vor 500 Millionen Jahren dieSaurier die Erde und starben dann schlag-artig aus – vielleicht durch einen Meteor-einschlag mit nachfolgender Klimaände-rung. Vor 200 Millionen Jahren im Tertiär

erschienen die Säugetiere. Undan Silvester des Modelljahrs, vorzwei Millionen Jahren, ist er end-lich da – der Mensch (Homo erec-tus). Der moderne Mensch tritterst fünf Minuten vor Mitternachtauf; nur 30 Sekunden vor 12 Uhrbeginnt die Weltgeschichte.

So über den geringen Anteil desMenschen an der Erdgeschichtebelehrt, wandern wir nun an derKreuzung beim Wegweiser „Wür-zeli“ links weiter auf den Egerten-weg. Die elfte Tafel führt uns eineMilliarde Jahre in die Zukunft. Be-reits in 40 Millionen Jahren wür-de sich diese Tafel wegen der fort-schreitenden Kontinentalver-schiebung theoretisch im heuti-gen Polen befinden, erfahren wir.Quer über das Tal wandern wir inden Weiler Egerten, dann links

zum Restaurant Jägerhaus mit dem Max-Böhlen-Museum.

Auf dem Max-Böhlen-Weg steht amKalkofen die zwölfte und letzte Tafel desZeitwegs: In 4,5 Milliarden Jahren wirddas Ende der Welt erwartet. Die Sonnewird zu einem roten Riesenstern, die Er-de ist schon wegen der großen Hitze un-bewohnbar geworden. Danach stürzt dieSonne in sich zusammen und wird zu ei-ner ausgebrannten Sternenhülle, einemsogenannten weißen Zwerg.

Für den Rückweg nach Kandern benut-zen wir den ebenso interessanten Kan-derner Planetenweg. Er bildet unser Son-nensystem im Maßstab 1:1 Milliarde ab.

Der Weg führt durch das reizvolle offeneWollbachtal in den Wald zum Rastplatzam Roten Rain und von dort auf dem Sau-weg bis zur Kanderbrücke. Der Landstra-ße links folgend kommen wir an der histo-rischen „Weserei“ vorbei zum Ende desPlanetenwegs beim ehemaligen ForstamtKandern (sechs Kilometer).

D I E T O U RTageswanderung, 12 Kilometer:Rundweg, eben bis mäßig steil. Zeitfür die Besichtigung von Kandern ein-planen. Dort erinnert ein Rundwegan den Maler August Macke.

Anfahrt: Mit dem Auto auf der Au-tobahn A 5 bis Neuenburg, dann B 3,L 134 von Schliengen aus. Oder A 5bis Efringen-Kirchen, dort K 6315 undL 134 nach Kandern. Oder A 98 bisLörrach, von dort L 134 nach Kandern.Busverbindungen von Müllheim oderLörrach. Etwas Besonderes wäre dieFahrt mit der Museumsbahn „Kanderli“von Haltingen bis Kandern (jedenSonntag Mai bis Oktober).

Einkehr: In Egerten Restaurant Jä-gerhaus (RT: Mo und Di, geöffnet Mibis Sa 18.30 bis 24 Uhr, So auch 12.30bis 17 Uhr, t07626/8715; austra-lische Spezialitäten, gehobene Preise),Vesperstube auf dem Kreiterhof (Dibis Sa ab 17 Uhr, So ab 11 Uhr, Aprilbis Mitte Juni, Mitte August bis Oktober,t07626/591), Hirschen (Di, Mi, Doab 18 Uhr, Sa ab 12 Uhr, t07626/388). In Kandern mehrere Gasthäuser,sehr renommiert die Weserei (Di ab17 Uhr, Mi bis So durchgehend,t07626/445 oder 7000), Café La-coste (t07626/311), zwei Eiscafés.Alle bisher erschienenen Teileder BZ-Wanderserie finden Sie unter:www.badische-zeitung.de/wandern

0 12 km300 m

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Auf dem Kanderner Zeitweg erlebt man nicht nur, wie es auf einer Tageswanderung langsam Abendwird, sondern man erwandert sich auch das Grundwissen zur Erdgeschichte – da dürfen Dinosauriernicht fehlen. F O T O S : B R A C K E L / M A I E R