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w //S M _________ . /M S / Die Moraltheologie der (Off. 1— B). Dissertatio inauguralis zur Erlangung der theologischen Doktorwiirde, vorgelegt dor hochwfirdigen katholisch-theologischen Fakultat dor Universitat Breslau Leo Heyke, Yikar. Danzig Druck von H. F. Boenig 1913.

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Die Moraltheologieder

(Off. 1— B).

Dissertatio inauguraliszur

Erlangung der theologischen Doktorwiirde,

vorgelegt

dor hochwfirdigen katholisch-theologischen F aku lta t dor U niversitat Breslau

Leo Heyke,Y ik ar.

DanzigDruck von H. F. Boenig

1913.

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Lebenslauf.Am 10. Oktober 1885 bin ich, L eo H e y k e , zu

Ozersnia boi Bieschkowitz im Kreise N eustadt W ./I *•'- geboren. Mein Y ater ist der Besitzer Ferdinand Heyke und meine M utter seine Ehefrau Anna, geb. Plotzke. Acht Jah re besuchte ich das Gymnasium zuN eustadt W./Pr. und erhielt 1906 das Zeugnis der Reife. Im Klerikal- seminar zu Pelplin widmete ich mich dann dem Studium der Theologie und .w urde 1910 zum Priester geweiht. Nach einem .Tahr der Tatigkeit in der Seelsorge begab ich mich, um meine theologischen Studien zu volleuden, auf die Universitaten zu F reiburg i. B. und Breslau. Seit F riihjahr 1913 bin ich ais Yikar an der katholischen Pfarrkirche zu Lóbau W ./Pr. angestellt.

Yorwort.

Eine lange Reihe unyorhergesehener Schwierigkeiten hat sich lange Zeit der Herausgabe meiuer Arbeit hin- dernd in den W eg gestellt. Je tz t iibergebe ich sie der Oeffentlichkeit, und zwar mit dem sonderbaren Gefiihle, das einen jeden beschleicht, der zum ersten Małe die Erzcugnisse seines Geistes auf den Biichermarkt zu Kaufe bringt. Beruhigend ist aber hierbei fur mich dei* Umstand, dafi mir bei der Abfassung der Schrift ein bew ahrter R atgeber helfend zur Seite stand. H err Pro- fessor Dr. R cn z hat an der jetzigen Gestaltung der Ab- handlung einen sehr groBen AnteiL Ich erfiille eine Pflicht der Dankbarkeit, wenn ich ihm an dieser Stelle fur die mir gegebenen Fingerzeige hiermit meinen herz- lichsten und warmsten Dank ausspreche.

L o b a u W ./Pr., im Oktober 1913.

Der Yerfasser.

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Eiiileituiig.a) Hermeneutische Vorbemerkungen.U nter den vielen Apokalypsen, dereń fast jedem

grofieren Apostel eine beigelegt wurde, hat die Kirche nur eine besonderer Aufmerksamkeit und Anerkennung fur w ert befunden, die apokalyptische Sehrift, die, mit dem Namen des heiligen Johannes iiberschrieben, im Bibelkanon sieh findet. Geschichtlich und iiberlieferungs- mafiig steh t es fest — das gestehen selbst Kritiker, die sich sonst in ihrer destruktiven Tendenz nicht im mindesten durch die Geschichte storen lassen —, ’) daB ihr Yerfasser der Lieblingsjiinger .Tesu ist, jener geistes- machtige fcolóyoę, der einem Adler gleich sich forschend in die Tiefen der Gottheit versenkte und dort Geheim- nisse yernahm, die bislang noch keinem Menschen waren eroffhet worden; und es steht fest, daB seine Sehrift, un ter Eingebung des Heiligen (ileistes geschrieben, voll gottlichon Gehaltes ist.

Die johanneische Apokalypse! Das tiefste und ge- heimnisvollste Buch der Christenheit! W er wollte ihren ganzen Sinn ergriinden!

Im yorliegenden handelt es sich nicht um die ganze Geheime Oifenbarung, sondern nur um einen ganz winzigen Teil von ihr, um die sieben apokalyptischen Sendschreiben. Drei kurze Kapitel sind es nur, doch ein einzigartiges, gew altiges und gehaltvolles Schriftsttick, anerkannter- mafien das Erschtitterndste, was nicht blofi die Apoka-

') Maicr, Einleitung. § 131.

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lypse, sonderu auch das ganze Neue Testam ent mit auf-zuweisen hat.

„Nirgends im Neuen Testament, wenn man von den Herrenreden absieht, ist mit dieser W ucht der Gedanke der Yerantwortlichkeit vor einem tiberweltlichen Richter geltend gemacht. Mit ihm ruft der Prophet eine Christen- heit, die zu verweltlichen droht, zuriick zur ersten Liebe, macht die Lauen wieder warm, erneut die erstorbene Kraft, E r ruft auf zum nahen Kampf, stahlt zur Treue bis in den Tod, lenkt den Blick auf die im Himmel bereit gehaltenen Kronen.

Trotz aller Ungelenkigkeit und Eckigkeit im Aus- druek gehoren die Briefe zum M achtigsten, was im Neuen Testam ent geschrieben ist. In unnachahmlicher Kiirze, Pragnanz und W ucht reih t sich Satz an Satz. F as t nirgends steht ein W ort zim el. Jeder Brief ent- w irft in kurzeń, markigen Ziigen ein individuelles Bild von der Gemeinde, und jedes Bild enthalt einen wirkungs- yollen Rahmen in den bunten apokalyptischen Farben, die dem Zeichen des Menschensohnbildes zur Yerfiigung steheu. Die Motive im Innern der Bilder wiederholen sich zum Teil in kunstvoller W eise im Rahmenwerk. Eine ganze Reihe einzelner Satze sind kleine Kunstwerke und sind gefiiigelte W orte der christlichen Religion geworden.

Und die groBe geschichtliche Situation — der Seher steht vor dem Beginn des groBen Kampfes zwischen Christentum und romischem Imperium — erhiiht den Reiz und das In teresse der Briefe. Eine Stimmung des christlichen Glaubens is t hier so getroften, eine Tonart so angeschlagen, dali diese drei Kapitel ihre W irkung und ihren Einfiufi niemals yerlieren werden. Sie werden immer eine klassische Darstellung einer eigenartigen Seite christlicher From m igkeit bleiben.“ ')

*) Bonnet, die Offenbarung Johannis. Exkurs zu Kap. 1—3.

Zwei Gedanken sind es besonders, die zur alles beherrschenden Darstellung gelangen: Die Reinerhaltung des Glaubens und Lebens im SchoBe der Kirche sowie das standhaft freie und unerschrockene Bekenntnis Jesu Christi in der Yerfolgung von seiten seiner Feinde.

W as den ersten Punkt angeht, gilt es einen Kampf gegen den pseudognostischen Libertinismus gewisser judaistisch gesinnter Yerftihrer, Nikolaiten genannt. Schwere Anklagen der Befleckung durch Unzucht und der Teilnahme an den Gotzenopfern werden gegen sie erhoben. Die ayyEAoi sollen sich der strengsten Wach- sam keit gegen ihre Lehre und ihr Treiben befleiBigen.

In Ansehung des zweiten Punktes fordem die Send- schreiben unverbruchliche Treue zu Christus und helden- miitiges Ueberstehen der nahenden Glaubensprufung. Die Yerfolgung wird hier ais sichtendes Gericht dar- gestellt. Dabei wird der Mut der Bedrangten aufgerichtet durch den Hinweis auf das unyerwelkliche Himmelserbe, das dem Sieger aufbehalten, dem Treulosen aber ver- schlossen w ird.1)

Das ist der Sinn und der Zweck der „sieben Hirten- briefe des himmlischen P riesterkonigs“. Sie zeigen den einzelnen asiatischen Kirchengemeinden und damit der ganzen Christenheit im Spiegelbilde ihren geistigen Zu- stand, sie wiirdigen eingehend ihr Yerhalten und ver- kiinden dann in schm etternder jroo;({)<óvi| aiz iiber sie Lob und Tadel, Drohung und Aufmunterung, VerheiBung und Trost.

Is t man sich nun auch uber den Sinn und Zweck der sieben Sendschreiben im groBen und ganzen so ziemlich eioig, sind sie auch klarer und durchsichtiger gehalten ais die ihnen nachfolgenden Zeichen und Bilder der iibrigen Apokalypse, so bieten sie doch dem Aus-

*) iioitlim ayr, Binl. in die kan. Bttcher des N. B. S, 778 f.

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leger in ihrer beispiellosen Knappheit und Gedrangtheit der Schwierigkeiten nicht wenige.

Und wie konnte es auch anders sein! Johannes, der Evangelisten-Adler, ist ja ihr Verfasser und „seine Art zu denken ist so unterscheidend, sein Ausdruck so treffend, seine Einsicht so durchdringend und seine Yor- stellungen von der Religion so erhaben, daB man die Folgen des Unterrichts, den er am oftersten und am unm ittelbarsten von Jesu empfangen hatte, iiberall an- trifft. E r scheint leicht, allgemein verstandlich zu schreiben, und dennoch laBt keiner der heiligen Yerfasser der Nachspahung und Betrachtung soviel iibrig ais er. E r scheint sanft und flieBend zu reden, und dennoch schwingt sich keiner so kiihn empor.“ ') Ja , es ist wahr, der heilige oijpuyocpomję erreicht Hohen und Tiefen des Gedankens und seiner Darstellung, in die ihm kaum jem and nachfolgen kann.

Ein geheimnisyolles, apokalyptisches Dunkel ruht auf den sieben Briefen des Herrn, und bis zur Stunde ist es nicht gewichen. Das Gegenteil ist eingetreten; denn eine fruchtlos diirre Exegese und manch tibermiitig klihner Deutungsversuch hat es nur noch yersta rk t und ycrdichtet.

Es ist nicht leicht, sich durch die exegetische Masse zur Tageshelle durchzuringen. So manche Schwierigkeit lassen die Exegeten achtlos beiseite liegen, das Selbst- yerstandliche dagegen wird allseits selbstverstandlich breit und allzu breit getreten. F ast jeder Ausleger bringt etwas Neues, aber ein yolles Yerstandnis eroffnet uns keiner. Und so wird die Apokalypse, die eine Enthtillung sein will, zu einer Epikalypse, einer Verhullung, und der heilige Hieronymus behalt schlieBlich recht, wenn er sagt: Apocalypsis Joannis to t habet sacramenta, quot yerba.

J) Niemeyer, Charakteristik der Bibel: der hl. Johannes.

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Parum dixi, pro merito yoluminis laus omnis inferior est: in yerbis singulis raultiplices latent sententiae.1)

Und doch kann es nur einen Sinn geben, einen ein- deutig bestimmten Sinn. Anders ist die Aufforderung, die der Apokalyptiker an die Spitze des Buches stellt, einfach unverstandlich: „Selig, w er die W orte dieser W eissagung liest und hort und bewahrt!" *) Das sieben- fach yersiegelte Buch mufi sich erschlieBen lassen.

Es kann nun allerdings nicht geleugnet werden, daB dem modernen Forscher der Schliissel zum Verstandnis der Apokalypse so gut wie abhanden gekomraen ist. W ir Spatgeborenen sitzen nicht mehr an dem lebendigen Strome ihrer Zeitvorstelluug, an dem W ebstuhl ihrer Zeitgedjjnken, wir miissen sie uns miihsam zusammen- suchen und zusammenbauen.

Ein arger Fehler ist es, daB man an die Erklarung der Heiligen Schrift noch immer zu sehr den MaBstab der Neuzeit anlegt. Unsere W elt- und Zeitvorstellungen sind ganz anders g ea rte t ais die des Buchs der Biicher. Aus Zeitverhaltnissen hervorgewachsen, Zeitbediirfnissen entgegenkommend, wollen die heiligen Schriften vom Standpunkt ihrer Zeit beurteilt und yerstanden werden. Nicht der Buchstabe, der Geist ist es ja, den wir in ihnen erfassen sollen. Haben wir ilin gefunden, so ditrfte es ein Leichtes sein, ihn in die Sprache der Gegenwart zu ttbersetzen und so unseren Begriffen zuganglich zu machen.

Fiir die sieben apokalyptischen Sendschreiben ist ganz besonders dies in Erw agung zu ziehen, daB das

') Hieron. ad Paulin. 53 ep. Mignę 1’. L. 22. Ygl. Voymann, Handbuch d. Einleitung, S. 302: nI)ie sehr verschiedenen Hypothesen, welche man bei der Erklarung der Apokalypse befolgt hat, machen es schwer, zu bestimmen, welches die beste und richtigste Aus- legung se i.“

a) Uff. 1, 3.

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Christentum ans dem Judentum , aber in verklarter . Gestalt, hervorgegangen ist. Der Neue Bund kann nur auf dem Grunde des Alten begriffen nnd verstanden werden. Bei der Johannes-Apokalypse ist ein Zuriick- gehen anf die alttestamentlichen Propheten wegen der starken nnd deutlichen Anklange unerlafilich.‘) Es wird vor allem mit unsere Aufgabe sein, alle fitr die Send- schreiben in Betracht kommenden Yerkntipfungspunkte im Alten Bundę aufzuzeigen und zur Deutung heranzu- ziehen. W as sich dann auf diesem W ege nicht restlos losen lafit, mu8 durch die zeitgenossische jiidische L ite­ratur, sofern dies moglich ist, beleuchtet und erkliirt werden; denn diese ist, soweit sie uns hier beschaftigt, auf demselben messianischen Boden erwachsen und be- w egt sich in demselben messianischen Gedankenkreise.2) Nur so kann dem Jnhalt der sieben knapp gedrangten Sendschreiben erfolgreich nahegetreten und ihr Inhalt befriedigend erschlossen werden.

Die Apokalypse will, wie es schon ihr Name anzeigt, eine „Enthiillung11 sein, und zwar nicht blofi eine E nt- hiillung der Zukunft, d. i. dessen, „was da kommen w ird“, sondern auch eine Enthiillung der Gegenwart, d. i. dessen, „was da is t“, eine Enthiillung des Gottesreiches auf Erden. Der „Geist“ enthiillt uns darin, wie es je tz t um das Eeich Gottes bestellt ist, welche Zustande und Ver- haltnisse zurzeit in den sieben asiatischen Kirchen- gemeinden obwalten. Ein Blick in das Leben und Weben

') L. C. Gratz, die prophetische Schrift des N. Bs., 8. 242: „Der Bilderkreis der Apokalypse ist mit dem der alten Propheten wesentlich venvandt, erscheint aber in erhOhter Form, sodaB das- jenigi^ was in den Propheten GroBes und Erhabenes begegnet, hier in sinnvoller und bedeutungsreicher Zusammenstellnng sich tindet.“

2) Einer besonderen Rechtfertignng bedarf ein solches Yer- fahren nicht; es geniigt, einfacli auf das Beispiel des .Tudasbriefes hinzuweisen, wo zwei auBerbiblische Schriften: B as „Buch Henoch“ und die „Himmelfahrt des JIoses“ eine Stelle und Erwahnung finden.

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der Gegenwart erschlieBt uns manches Geheimnis der nahenden Zukunft.

Noch eins! Die prophetisch-apokalyptische L itera tu r bewegt sich in Bildern, in Bildern, die uns zuweilen recht frem dartig anmuten. Sie erschweren dem nuchternen Forscher das Yerstandnis ungemein.

Das Uebersiunliche yermag nun einmal der mensch- liche Geist nicht zu erfassen; es bleibt ihm immer eine fremde, unerreichbare W elt. Nur in einzelnen Bildern kann sie ihm in etw a nahegebracht werden. W er uns also das Uebersiunliche darstellen will, mufi es in Bildern tun, und zwar in allgemein bekannten Bildern, in Bildern, die dem Naheliegenden, Einheiraischeu entnommen sind.

Das Christentum is t aus dem Judentum hervor- gegangen, und diesen Stammbaum ehrt die johanneische Apokalypse. Es darf uns daher nicht wundernehmen, daB uns aus ihr der volle Erdgeruch einer volkstiim- lichen, jiidisch-nationalen Denkungsweise entgegenw eht p]s ist das ein Fm stand, dem man die Weitgehendste Beachtung schuldig ist.

Durch die bildliche Darstellung ist nun allerdings keine yollkommene Einsicht zu erzielen, doch ist sie immer eine bedeutende Annaherung an den Gegenstand, um den es sieli handelt.

Eine bildliche Belehrung mufi s te ts sehr vorsichtig entgegengenommen werden; man wird sich oft mit der blofien Andeutung schon zufriedeu geben miissen. DaB hinwiederum di<* bildliche Darstellung auch sehr genau zu nehmen ist, beweisen zur Geniige die Danielischen Traumdeutungen. Es ist ja dies auch klar. Weun man ein Bild verstehen soli, darf nur das m itgeteilt werden, worauf es ankommt, und dieses muB dann auch scharf ins Auge gefafit, werden, stets mit besonderer Riicksicht auf die Entstehungsgeschichte des betreffenden Bildes.

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b) Eschatologische Ideen der Sendschreiben.1. Die zwei Weltzeiten.

Nach jtidischer Anschauung, einer Zeitansicht, die sich in deu Schriften des Neuen Bundes unverkennbar widerspiegelt, zerfallt das gesamte W eltgeschehen in zwoi grofie, von einander streng geteilte Zeitabschnitte, die zwei W eltzeiten oder Aeouen, d. i. ó aid)v outo; (diese W eltze it)1) und ó «u)>v u?.aao)v (die zukiinftige W eltzeit).2)

Yon der Siinde wider den Heiligen Geist heifit es Matth. 12, ;31ff:3j „Jede Siinde und Lasterung wird den Menschen erlassen; aber die Lasterung wider den Geist wird nicht naehgelassen werden. Und wer ein W ort wider den Menschensohn redet, dera wird vergeben werden; w er aber wider den Heiligen Geist redet, dem wird weder in dieser noch in der zukiinftigen W elt (cure ev touto) to) a 1(7)vi o\itr ev T(I) ukaaoyti) yergeben werden.

Die Siinde wider den Heiligen Geist wird weder in dieser noch in der zukiinftigen W elt yergeben werden, und die Siinde wider den Heiligen Geist ist ohne Zweifel eine sj^njrm ^Siinde. Also werden schwere Stinden in dieser und in der zukiinftigen W elt naehgelassen? In dieser Welt wohl, aber nicht in der zuktinftigen; denn

q | aus dogmatischen Griinden ist es unmoglich. Also muB » j ó aitov neUo)v etwas anderes ąls_£asJimsdlsJ>edc>utcn.

'O au!)v ist die W eltzeit, das W eltalter. In „diesem W elta lter“ werden Siinden naehgelassen, urn Aufnahme in das messianische Reich zu flnden. „Tuet BuBe, denn

1) Mt. 12, 32; 13, 40. 49; 24, 3; 2H, 20; Lk. 16, 8; 20, 34; Ram. 12, 2; 1 Kor. 1, 20; 2, 6. 8; 3, 18; 2 Kor. 4, 4; Eph. 2, 2;1 Tim. 6, 17; 2 Tim. 4, 10; Gal. 1, 4.

2) Mt. 12, 32; Mk. 10, 30; Lk. 18, 30; 20, 35; Eph. 1, 21; 2, 7.3) Mk. 3, 2811; Lk. 12, 10. Vgl. J. 1’ohle, Luhrb. d. Dogmatik

III S. 448 f.

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das Himraelreich ist nahe!‘“ ) Auch im „zukiinftigen W elta lter41 werden Siinden naehgelassen, und hier erst recht: „Siehe, die Leute aus der Synagogę Satans, die sich Juden nennen und es nicht sind, die will ich dahin bringen, dafi sie kommen und dir zu FiiBen fallen und erkennen, daB dir meine Liebe gehort.“ s)

1 )ie zwei W eltzeiten stehen zu einander im deukbar scharfsten Gegensatze. 'O ala>v o^Toę ist das Beich des Yerganglichen, des Bosen.3) Satan, der widergottliche aex“ v. ist der Gott,4) der F iirs t5) dieses Aeons. In diesem W eltalter stehen die Menschen ganz unter der tyrannischen Herrschaft des jronipó;'1) und sind dem Todesgesetze der d^iapna7) unterworfen. Der „jetzige Aeon“ ist das gottentfrem dete W elt- und Fleischesleben, der johanneische xóo[ioę.8)

Der Aeon der Zukunft ist das gerade Gegenteil von dem der Gegenwart. E r ist das Reich des Unvergang- lichen, des Guteu, der Freude, des Friedens, der Gliick- seligkeit. In diesem W eltalter is t Gott Herrscher; es ist die llaodsia xov J>eou.9) Jesus, der Messias, fiihrt sie herbei,10) und sie hat kein E nde.11)

>) Mt. 3, 2; vgl. Mk. 1, 15.2) 011'. 3, 9; vgl. Apg. 5, 31; vgl. 10, 43.») Gal. 1, 4.<) 2 Kor. 4, 4.6) Epli. 2, 2; Joli. 16, 11.«) Mt. 5, 87; 13, 19. 38; Joli. 17, 15; 1 Joli. 2, 131.; 3, 12;

5, 181; Eph. 6, 16.’) ltom. 7, 23; 8, 2; 1 Kor. 15, 56; Rom. 6, 23; 5, 12.8) Joh. 8, 23; 12, 25; 18, 1; 16, 11; 18, 86; 1 Joh. 4, 17;

5, 19; 1 Kor. 3, 19; 5, 10; 7, 31; Eph. 2, 2.») Mt. 6, 33; 12, 28; 21, 31. 43; Mk. 1, 15; 4, 11. 26. 30;

Lk. 4, 43; 6, 20; 7, 28; 8, 1; Apg. 1, 3; 8, 12; 14, 22; 19, 8; 28, 23. 31; Joh. 3, 3. 5. RBrn. 14, 17; 1 Kor. 4, 20; 6. 10; Gal.5, 21; u. ii.

w) Off. 1, 6.ii) Dan. 7, 27.

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Nach dieser beseligenden Gottesherrschaft sehnten sich die Frommen und die Heiligen, die in dem Aeon des Argen so schwer zu leiden hatten.

Der al<ov (.ieXXo)v is t die Pflanzung Gottes, f| xuaię tofi iłgoii, die in den Sendschreiben erw&hnt w ird ;1) er ist das „Paradies G ottes“, in dera der Baum des Lebens s te h t;2) er ist das „neue Jerusalem “, das vom Himmel kommt,3) der „Tempel G ottes“, in dera raan fiir iramer bleibt.4)

U nter dieser „zuktinftigen W eltzeit“ ist das gott- erfiillte, welt- und siindenfreie Geistesleben zu verstehen,

'Ca)f| alamoę,6) das ewige Leben.6)

2. Das messiauische Gericht.Gott bat in seinem RatschluB „einen T ag bestimmt,

an dem er den Erdkreis richten wird nach Gerechtig- keit.“ 7) Das ist der G erichtstag GottevS. Dieser Tag macht dem Aeon des Teufels ein Ende und eroffnet den Aeon der Zukunft mit der vollen H errschaft Gottes; er bildet den Abschlufi der einen und den Beginn der andern

1) Off. 3, 14.2) Off. 2, 7.3) Off. 3, 12.*) Off. 3, 12.6) Joh. 4, 36; 12, 25; 17, 2. 3; 3, 15. 30; 4, 14; 5, 24. 39;

6, 27. 4 0 .4 7 ; 20, 31; 1 Joli. 1, l f ; 2, 25; 5, 11. 13.8) Vgl. Mattliies, Prupiideutik, S. 362: „Man darf boi diesen

einandcr entgegengesetzten Extremen nielit auf die ituBeren Zeit- inomente der Gegenwart und Zukunft alles Gewieht legon , wie wenn lediglicli von dem lormellen Zeitverlaufe die volle Yerwirk- lichung der Heilserwartungen und ebenso die Vernichtung der verderbten W elt abhinge; vielmehr liegt jenem G egensatze ein geistiges Moment zum Grunde, indem der Untergang des gegen- wartigen Zeitalters auf die siindige Entartung des weltlieben Da- seins gestiitzt und fiir den E intritt der kttnftigen Heilsperiode eine angemessene evangelische Lebensverfassung vorausgesetzt wird “

7) Apg. 17, 31.

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W eltzeit. Dieser T ag des Herrn ist furchtbar und schrecklieh, voll F insternis und Drangsal.1) Der Zweck dieses messianischen Gerichtes ist, m it den gottfeind- lic.-hen Machten, den Heiden, den' Siłndern, dem Satan endgiltige Abrechnung zu halten und den Heiligen Gottes die nie endende, ewig selige W eltherrschaft zu iibertragen.

„Das groBe W eltgericht, der jiingste Tag, ist von der entziickten Phantasie des seines Heiles gewissen Frommen mit aller Feierlichkeit einer gottlichen Gerichts- szene bekleidet \vorden.“ 2) Daniel beschreibt sie łol- gendermaBen8): „Ich schaute, auf einraal wurden Throne hingestellt und ein H ochbetagter nahra Platz. Sein Gewand w ar weiB wie Schnee und sein Haupthaar rein wie Wolle; sein Tbron w ar FeuerHamme, dessen Bader loderndes Feuer. Ein Feuerstrom ergoB sich und ging von ihm aus. Tausendmal Tausende dienten ihm und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm. Der Gerichtshof nahm P la tz und die Biicher wurden aufgetan."

Die Apokryphen schildern uns die Schrecken des gottlichen Gerichtstages in folgender W eise: Der Tag des Herrn ist schrecklieh, eine Bedrangnis ohnegleichen bricht tiber alle Menschen herein. E s entbrenut auf der E rde ein furchtbarer W eltkrieg; Yolk is t gegen Yolk, Nation gegen Nation geriistet. In hartem Kampfe ge- raten die Menschen an einander. Der K rieg fordert die schrecklichsten Opfer, massenweise fallen die Streiter. W er nicht im Kampfe fallt, der kommt auf der Flucht durch andere Trflbsal um. ^ 'e r dem Schwerte entrinnt, stirb t durchs Erdbeben; wer sich aus dem Erdbeben re tte t, den frifit das Feuer; wer noch dem Feuer ent- springt, geht durch Hunger zu Grunde. Niemand ist

*) Amos 5, 18—20.2) W. Staerk, Neutest. Zeitgesckickte, S. 99. 8) Dan. 7, 9ff.

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sicher, die E rde yerschlingt fast alle ih reB ew ohner.1) Am Tage des H erm gibt es keine Barm herzigkeit: „Von 111111 an will ich mich ihrer nicht mehr erbarmen, spricht der H err der Geister.11 -)

V ergegenw artigt man sich die Schrecken des mes- sianischen Gerichtes, so wird man den gewaltigen Ein- druck empfinden, den jeder liatte, ais in den Sendschreiben der T ag des H erm ais so nahe verkiindet wurde. „Die Zeit ist nahe.“ 3) „Ich komme bald zu dir, unbemerkt wie ein Dieb in der Nacht.“ 4) „Ich will dich bewahren vor der Stunde der Prflfung, die iiber den ganzen Erd- kreis kommen wird, die Bewohner der E rde zu priifen."5)

3. Die Heiligen des Herrn.Im Aeon des Teufels hat es immer eine Anzahl

von Menschen gegeben, die Gott treu blieben, die sich vou dem verheerenden Einflufl des Bosen frei hielten. Es w ar allerdings nur ein winziges Hauflein, ein Rest,B) wie die Propheten sich ausdriicken. Das ist die Schar der Heiligen, der Frommen, der Auserwahlten Gottes. Gott war ihnen besonders nahe, er nahm sie stets in seinen besondern Schutz. „Ich werde dich bewahren vor der Stunde der Yersuchung, die iiber den Erdkreis kommen soll.“ 7) An diese kleiue Schar kniipfteu sich die Hoffmingen Gottes, um hier einen menschlichen Aus- druck anzuwenden. Sie sind es, die er mahnt und straft, damit sie in der F iu t des Bosen nicht elend zu Grunde gehen. „Die ich lieb habe, die strafe- und ziichtige ich.“ 8)

*) Hen. 70, 2—9; Apk. Bar. I. 70, 2 —3.2) Hen. 50, 5.8) Off. 1, 3.4) Off. 2, 5; 2, 16; 2, 25; 3, 3; 3, 11; 3, 20.6) Off. 3, 10.«) Is. 6, 13; 10, 20 ff; Ez. 5.7) Off. 3, 10.8) Off. 3, 19.

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Sie sollen nicht verloren gehen, damit sie den Aeon der Zukunft, die selige H errschaft Gottes, antreten konnen. Durch sie soli die E rde erneuert und geseguet werden. Sie sind es, die im Buche des Lebens yerzeichnet stehen, dereń Namen Gott kennt. Sie wird er auch vor seinem V ater und seinen Engeln „bekennen11.1)

Heilige des Herrn sind in erster Linie die Juden, das auserwahlte Yolk Gottes, sie, die in den Satzungen des Herrn wandeln, die seine Gebote beobachten bei Tag und bei Nacht. Da ihnen im Aeon der Zukunft die Herrschaft verheifien ist, diirfen sie in der allge- meinen Vernichtung, die am Gerichtstage Gottes s ta tt- finden wird, nicht zuschanden werden. Es werden darum alle, die im heiligen Lande sind, die sich zum Messias bekennen, verschont bleiben.2) Diese werden dann H errscher fiir alle Zeit.

Um in das Reich Gottes aufgenommen zu werden, ist eine bestimmte Lebensfiihrung notig: Man muB treu in den Geboten Gottes wandeln und sich von dem ver- heerenden EiufluB des Bosen freihalteu.

4. Der Menschensohn.W ie in der biblischen L itera tur iiberhaupt, so fuhrt

auch in den Sendschreiben die Gestalt des „Meuschen- sohnes“ eine hochwichtige Rolle.

Gott eroffnete dem Propheten Daniel in einem Nacht- gesichte die Zukunft und zeigte ihm den Gang der sich entwickelnden Weltgeschichte. Daniel sah, auf einmal wiihlten die vier W indę des Himmcls das groBe Meer auf, und aus dem errogten Meere stiegen nach einander vier gewaltige Tiere:

i) Off. 3, 5.8) Ap. Bar. I, 29, 1; 70, 5; 71, 1.

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1. ein Lowe mit Adlerflugeln,2. ein B ar mit drei Rippen zwischen den Zahnen,3. ein Panther mit v ier VogeMtigeln auf dem Riicken,4. ein Tier, das nicht naher bezeichnet wini,

ein schreckliches und furchtbares und tiberaus starkes Tier. Ks» hatte Zahne von Eisen und Klauen von E rz; es frafi und zermalmte, und den Rest ze rtra t es mit seinen Ftifien. Auf dem Kopfe hatte es zehn H om er— das sind zehn Konige. Zwischen diesen Hornem schieBt plotzlich ein kleines Horn hervor, drei von den fruheren vor sich ausreiBend. Dieses Horn — es ist ein Konig — fiihrt gewaltige W o r te im Munde und es beginnt einen Krieg gegen die Heiligen des Allerhochsten.

Da geschieht plotzlich in dem Prophetengesichte etwas Merkwiirdiges. Thronsessel werden hingestellt, der Hochbetagte und das ganze Gericht lassen sich darauf nieder, die Bucher werden aufgetan, und es wird ein strenges Gericht gehalten iiber jenes freche Horn und iiber die Tiere. Sie werden samtlich dem Feuer iiberliefert,1)

Und wiederum geschieht in dem Prophetengesichte etwas Neues.

„Und sieh, mit den Wolken des Himmels Kam einer, der einem Menschen glich,Und gelangte bis zu dem Hochbetagten Und ward vor ihn gebracht.

Und es wurde ihm gegeben Macht Und Ehre und Reich;Und alle Yolker, Nationen und Zungen,Ihm dienen sie;

Seine Macht ist eine ewige Macht,Die nicht vergeht;Und sein Reich ein ewiges Reich,Das unzerstorbar ist.1' 2)

J) Pan. 7, 9.8) Dan. 7, 13 f.

Die authentische Deutung, die der Prophet iiber all dies von einem der Aufwartenden erhielt, ist diese: Die vier Tiere sind vier Reiche, die auf Erdeu erstehen werden. Das gottliche Gericht macht ihrer Herrlichkeit cin Emie. Danach kommt das Reich des Menschensohnes: Die Herrschaft wird den Heiligen des Herrn iibergeben, und diese dauert ewig.

Der „eine aber, der einem Menschen glich“, stellt nach der authentischen Interpretation von V. 27 das Yolk der Heiligen des Hochsten, d. h. der Juden, dar. E r gleicht im Unterschied von den die heidnischen Reiche yersinnbildlichenden Tieren einem W esen hoherer Gattung: Die Tiere stammen aus dem Meer, in dem einst vor der Schopfung die widerg5ttlicheu Chaosungeheuer (?) hausten, er aber kommt mit den Wolken des Himmels, aus lich- teren Regionen.“ ')

Die vier Tierreiche gehoren in den Aeon Satans hinein, mit dem Erscheinen des „Menschensohnes" bricht die neue W eltzeit an.

Der Menschensohn aber, ist er denn nicht der Mes- sias? Christus hat sich ja mit Yorliebe so genannt. GewiB, Christus ist der Menschensohn. „Menschensohn11 kann zweierlei bezeichnen. Aehnlich wie „Adam“ nicht bloB den ersten Menschen der ersten ^ 'e ltz e it bezeichnet, sondern auch die von ihm abstammende ganze Jlensch- heit in sich einschliefit,2) so stellt auch Christus sowohl den ersten Menschen des zweiten W eltalters dar ais auch die durch ihn geheiligte gesamte Menschheit. Der Menschensohn ist der Heilige, der die Menschen ais Heilige sich eingliedert. E r hat die Herrschaft der Heiligen begriindet, durch ihn besteht sie. E r ist die (toy/| der Gottesschopfung, das Haupt des zweiten Aeons.3)

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Dor Menschensohn ist (las Reich der Heiligen. Aber dieses Reich ist nicht von dieser W olt;1) es ist ein Reich des Geistes. Darum ist alles, was darauf Bezug hat, nicht so grobsinnlich und wortlich zu nehraen, wie es der Ausdruck auf den ersten Blick zu sagen scheint, sondern in einem hoheren, im geistigen Simie zu be- greifen. So ist z. B. der Siegerspruch durchweg zu deuten. D er Heilige Geist beuutzt die Yorstellungen des Yolkes und der Zeit, urn in die Gemutcr Eingang zu flnden und yerstanden zu werden. Dabei wird aber immer mit Nachdruck darauf hingewiesen, dafi in dem „irdischeu" Ausdruck „Geist und Leben“ ist. , ,^ e r Ohren hat, zu horen, der hore, was der Geist den Ge-meinden sag t.“

Das Reich der Heiligen erscheint un ter der Gestaltdes „Menschensobnes“. Die M enschengestalt, die liach Gottes Ebenbild und Gleichnis erschaffen wurde, ist die Erscheinungsform der gottfreundlichen Macht. Sie stellt die gute Seite, den Kern des Gottlichen in unserm Geiste dar.

Das Symbol der gottfeindlichen Machte ist immer das Tier, z. B. der Drache, die Schlange u. s. w. Das „animalische“ Leben im Menschen ist „gottfeindlich11. Also ist der Kampf, den der Christ zu fiihren hat, gegen diese in uns wohnende Macht des Bosen und ihre Ein- fliisse auf seelischem Gelande zu suchen und auszufechten.

c) Die Anlage und Stoffverteilung der Abhandlung.

Das Ziel der vorliegenden Dissertation ist die D ar­stellung der moralthcologischen Grundsatze, wie sie in den sieben apokalyptischen Sendschreiben uns entgegen- treten. So wird es yorerst unsere Aufgabe sein, aus

i) Joh. 18, 36.

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ihnen die dem Menschen zustehenden Eigenschaften und Krafte aufzuzeigen und die Bedingungen kennen zu lemen, unter denen die Handlungeii des Christen den zur E r- reichung seines Endziels entsprechenden W ert erhalten, sodann die auf dem gottlichen Willen beruhenden Grund­satze und Regeln, die die menschlichen Handlungen auf jenes Ziel in allen Verhaltuissen des Lebens hin ordnen, klar darzulegen und geniigend zu begriinden.

Ais besondere K raft des Menschen ist sein Wahl- yermogen zu nennen. In der W ahlfreiheit liegt die Be- fahigung zum sittlichen und gottgefalligen Handeln auf Erden. Der Erloste kann den W eisungen Gottes folgen, er kann sich ihnen auch widersetzeu. Sein Heil ist in seine Hand gelegt. Christus geht von Ttir zu Ttir itnd klopft an. W er ihm ofFnet, zu dem geht er ein.1) Der Jezabel hat Gott Zeit zur Bufie gegeben, aber sie „will“ sich nicht bekehren.2)

Christus hat das Gottesreich, nach dem sich alle sehnten, begriindet. E r ist der F iirst des Gottesreiches. E r hat den Schliissel Dayids, der offnet, dafi niemand schliefien, der schliefit, dafi niemand offnen kann.3) Ais Konig des M essiasreiches flndet er in der Gestalt des apokalyptischen „Mensehensohnes“ eine unyergleichlich glanzende Darstellung. Die G estalt des „Menschen- sohnes“ ist autoritatiye Norm des sittlichen Handelns, die Auffordemng zur Nachfolge und Nachbildung.

Die Erlosten sehnen sich nach der Aufnahme in das Gottesreich und nach dem Genusse der darin yerheifienen Seligkeit. W iderhall und Kraft flndet diese Sehnsucht in den Verheifiungen des Siegersprnches. Der Sieger­spruch ist ein iiberaus kraftiges Motiv zum christlichen Tugendleben.

i) Off. 3, 20.a) Off. 2, 21.a) Off. 3, 1.

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Dieser starken und kraftigen Motive bedurfte es, um die Knechte Gottes in der Lehre Jesu standhaft zu erhalten. Die Zeiten waren christusfeindlich. F iir jeden w ar die Gefahr des Abfalls groB und unausweichlich. Ein wirkungsvolles Bild gibt uns davon die Gegeniiber- stellung der beiden Reiche. Das Reich Gottes steht mit dem Reiche Satans im Kampfe. In diesen Kampf ist der Erloste hineingestellt. E r hat sich zu entscheiden: entw eder fiir Christus oder fiir Satan. In diesem Kampfe liegt das eigentliche und tiefste W esen der christlichen Sittlichkeit,

Den W eg zum Gottesreiche hat uns Christus gezeigt. Unsere Sache ist es, diesen W eg zu betreten und ihn tro tz der von den Feinden gelegten Hindernisse nicht zu verlassen. Jede WillensauBerung und K raftanstren- gung, die in diesem Sinne geschieht, ist eine Tugend; denn sie ist zur Erreichung des Heiies tauglich. Jede andere WillensauBerung und Kraftanstrengung, die nicht aufs erstrebte Ziel hinschaut, ist ein (^iMorijua, ein Fehl- tritt, ein Abirren vom rechten W ege; ist eine Siinde, eine sontica; denn sie ist dem Zielstreben schadlich. Die Tugend und Siinde der apokalyptischen „Knechte G ottes11 findet eine eingehende Darstellung in dem Ab- schnitt uber die W erke.

Abhandlung.I. Die Gestalt des Menschensolines —

die Norm der Sittlichkeit.I)ie Morał der apokalyptischen Sendschreiben ruht auf

religioser Grundlage, auf gottlicher A utoritat. Gott ist ihr tiefster Grund, er ist auch ihr hochster Gipfel. Diese religiose Anschauung bildet die w ichtigste und notwen- digste Yoraussetzung der Sieben-Sendschreiben-M orał.

Nicht umsonst wird zu Anfang eines jeden Send- schreibens auf die erhabene Macht und Wiirde des Spre- chenden, auf seine unvergleichlichen und iiberragenden Eigenschaften und Krafte mit besonderem Nachdruck hingewiesen. Denn gar sehr kommt es darauf an, wer es ist, der uns lobt und riigt, der uns Lohn und Strafe in Aussicht stellt, Nicht jeder darf dem innersten Wesen des Geistes gebieten, nur wer dazu berechtigt und er- m achtigt ist, ein hoherer, starkerer Wille.

Und w er hat wohl mehr Recht und Macht dazu ais der apokalyptische „Menschensohn11, der sich liier dem Seher so groB und gewaltig, so himmlisch und erhaben geoffenbart hat, so ganz in Licht und Gold und Glanz getaueht, daB jede irdische Macht und GroBe vor dieser geheimnisvoll iiberirdischen M ajestat schlechterdings ver- stummen und wie to t zu Boden fallen muB. Und was h a t der Seher denn geschaut?

„Ich Johannes11, so erzahlt er, „euer Bruder und Genosse in der Triibsal und „im Gottesreiche11 ‘) und

1) ev rf] paodgia.

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„in der E rw artung des Messias Je su s11, 1) w ar auf der Insel, die da Patm os heiBt, um des W ortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen. Da ward ich vom Ueiste erfiillt am Tage des Herrn, und ich hórte hinter mir eine Stimme, machtig wie ein Posauneustofi, die sprach. „W as du je tz t siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamus, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia, nach Laodizea. Ich wandte mich um, nach der Stimme zu sehen, die mit mir sprach, und ais ich mich umwandte, sah ich sieben goldene L euchter und mitteu unter den Leuchtern einen, der einem Menschen- sohne glich, bekleidet mit einem langen Gewande2) und iiber der B rust gegiirtet mit einem goldenen G iirtel.1) Sein Haupt und seine Haare waren weiB wie Wolle, wie Schnee, und seine Augen w aren wie eine Feuer- flamme, seine FiiBe glichen dem h rz , das im Peuer gegliiht ist, seine Stimme w ar wie das Rauschen groBer W asserm asseu. In seiner rechten Hand hielt er sieben S terne, aus seinem Munde kam ein scharfes, zwei- schneidiges Schwert, und sein Gesicht war, ais wenn die Sonne schien mit ihrer Kraft. Ais ich ihn sah, fiel ich wie to t ihm zu FiiBen. E r legte seine Rechte auf mich und sprach: „Fiirchte dich nicht! Ich bin der E rs tt und der L etz te und der Lebendige. Ich w ar to t und siehe, ich lebe nun in alle Ew igkeit; und ich habe die Schliissel des Todes und der Unterwelt.

Schreibe nun auf, was du gesehen hast, was je tz t ist und was danach geschehen wird: Das Geheimnis von den sieben Sternen, die du in meiner Rechten gesehen

1) ev t [| wt0|i0vfj ev XQUJT(p 'Irjooii.2) V g l . ' l . Sam. 15, 27; 2. Mos. 28, 31.3) V gl. 2. Mos. 28, 4; 39 (Is. 22, 21); Job 12, 18 zu rctjoę

Toię [laoTolę: Joseph. Ant. III, 7, 2: jcata orf]itoc. oXuyov tt)? |x a a x « ^ ę wteędv(o xi'iv ^a>vriv neQMyo\'xeę.

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hast, und von den sieben goldenen Leuchtern. Die tsieben Sterne sind die ayyeKo i der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinden. “ ')

Das ist die lichtvolle Erscheinung, die der heilige Johannes gesehen, und das ist der Auftrag, den er er- halten hat, Dieser lichtglanzende „M enschengestaltige" ist niemand anders ais der erhohte und verklarte Christus. Bedeutsam is t hier, daB er in der G estalt des Dauielischen Hochbetagten und W eltrichters uns entgegentritt: Sein Haupt und H aar ist weiB wie Wolle, weiB wie Schnee. Nicht minder wichtig ist, daB er mit der Jto&rjęri,2) der Gewandung der Konige, bekleidet ist; denn er. ist der Konig des die ganze W elt umspannenden messianischenGottesreiches.

Ja , er is t ein Konig, eine unyergleichliche und alles weit uberragende H errschergestalt 1 Jlan sehe sich nur seine Macht und seine Vorziige an! W ir miisseu darauf naher eingehen, weil auf ihnen nicht in letzter Linie die besondere Kraft der W orte und die gewaltige W ucht der Sendschreiben beruht.

E r ist der Erste und der Letzte! as soli das heiBen? D er Ausdruck ist hier nicht, wie einige ihn genommen haben,3) dem Rangę nach zu deuten, wonach er mit dem Yorzuglichsten und dem Y erachtetsten gleich- zusetzen sei. Man weist nun zw ar darauf hin, daB hier von Christus, dem Gottmenschen, die Rede ist, GewiB! Doch es besteht kein Grund, ihn so auf Christus zu deuten; und er paBt nur zufallig so auf Christus, der ja ais Gott gewiB der E rste und Yorzuglichste ist und ais Mensch der L etzte und Niedrigste war. Dennoch ist es, wie gesagt, nur ein schoner Zufall. Der heilige Atha-

i) Off. 1, 9—20.-) Y gl. Joseph. Ant. III, 9, 4.a) V gl. RosenmUller: Scholie in p. T. VII. z. ds. St. contemp-

tissim us hominum und suinmus dignitate.

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nasius bew eist aus diesem Ausdruck die G ottheit Christi; und mit Recht, denn er wird nur auf Gott bezogen und is t der Zeit nach zu deuten. Die diesbeziiglichen Isaias- stellen tun es zur Geniige d a r .r) Danach hat der „E rste und L e tz te“ nur folgenden Sinn.

Christus ist der E rste und der L e tz te ,2) d. h. vor ihm hat es niemand gegeben und nach ihm wird es niemand geben; er ist der allein Seiende, erhaben iiber Zeit und Raum; er allein iiberdauert alles, nur er hat Bestand, er ist der Ewige, Unveranderliche. Ais der E rs te hat er alles ins Dasein gerufen, und zu ihm ais dem Letzten streb t alles wieder hin; er ist der ewige Anfanger und Yollender alles geschafFenen Seins. E r ist das Ziel jeglicher Bestrebung. E r ist der wahre, der rechte, der einzige Gott, Seinem Arm kann darum niemand entrinnen, und niemand verm ag sein W ort zu- schanden zu maehen. E r ist das Amen, die Erfiillung. „Alle YerheiBungen Gottes haben in ihm ihr J a (d. h. ihre Bestatigung), haben dureh ihn ihr Amen (d. h. ihre Erfiillung). “ 3)

Ais der wahre Gott ist er der „Lebende1*4) (ót<7>v) d. h. der Ursprung, Urąuell des Lebens, das Leben selbst. Von ihm kommt es, dureh ihn bestfcht, es in den Ge- schopfen, auf ihn zw eckt es ab. E s ist der deus vivus des Alten Bundes.5) E r ist ein vexpóę, ein Toter, ge- worden, um ais solcher die H errschaft des Todes zu vernichten. E r hat den Tod besiegt, nahm w ieder sein Leben und ist nun „lebend“ (ę<I)v) fiir alle E w igkeit.6)

1) Is. 41, 4; 43, 10 f; 44, 6; 48, 12 f.2) Off. 1, 8; 1, 17; 21, 6., vgl. 1’olile, Lehrbuch d. Dogm. I.

S. 263.а) 2 Kor. 1, 20 und Off. 3, 14., vgl. Joh. 14, 6.*) Off. 1, 18; Deut. 32, 39 f; 2. Reg. 19, 16; 10, 6; 4, 9; 15, 7.б) 1 Sam. 17, 26. 36; Is. 37, 4. 17; Jer. 10, 10.6) Off. 1, 18.

E r ist f| «rr/rj rrję Ktiaewę to? fleot', die «oyi) der Gottessehopfung.1) Die aęr/rj ist ein vieldeutiges W ort, und in der Auslegung ist jede Bedeutung gehorig zu ihrem Recht gekommen. Bald ist Christus das aller- erste der Geschopfe, bald das vorziiglichste Wesen, bald ein yorwełtliches Geschopf. bald das Prinzip der Schopfuug, bald Beginn der neuen „K reatur".

Die dexil kann nicht eher richtig gedeutet werden, ais bis der Begriff der Gottessehopfung gesichert ist, Ktiaię ist hier nicht in dem weiten Umfang der W elt- schopfung zu fassen, sondern in dem besonderen Sinne der verheiBenen Gottessehopfung, der „Pfianzung" Gottes, wie Ezechiel sich ausdriickt.

„Ich werde ihnen eine wohlbestellte Pfianzung er- stehen lassen.“ 2) Am besten spricht sich dariiber Paulus im Kolosserbriefe aus.3)

„Danket freudig dem Yater, der uns tiichtig ge- macht hat zur Teilnahme an dem Erbe der Heiligen im Licht (reich).4) E r hat uns befreit von der Macht der F insternis und hat uns in das Reich des Sohnes seiuer Liebe versetzt. In diesem (dem Sohne) haben w ir die Erlosung, die Yergebnng von den Siinden, er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der „Erstgeborene" der gesamten Schopfuug. In ihm (ais der Grundlage) ist alles geschaffen im Himmel und auf Erden, das Sicht- bare und das Unsichtbare, Throne, Herrschaften, Machte und Gewalten. Das alles ist dureh ihn und auf ihn hin geschaffen; er selbst ist vor allem, und alles hat in ihm sein en Bestand. Und er is t (auch) das Haupt des Leibes, der Gemeinde (rrję ExxXT|aiaę); er ist der Anfang (f| ap/rj), der „Erstgeborene“ von den Toten (^poiTtko/oę

1) Off. 3, 14.2) Ezecli. 3, 29; 36, 36. Vgl. xx(aię Rom. 8, 38.8) Kol. 1, 12 ff.4) In der fJaoiXsia Okou, dem auóv Gottes.

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bezeichnet den Yorrang); er sollte in allem an der Spitze stehen. Denn in ihm beschloB (Gott), die ganze I1 iille wohnen zu lassen und durch ihn alles auf ihn hin zu yersohnen, sowohl das Irdische wie das Himmlische, indem er F riede machte durch sein Blut am Kreuze.-1

In der Beleuchtung dieser Paulusstelle wird ers t der Brief an Laodizea voll und ganz yerstandlich. Christus ist das Haupt, der H err des Gottesreiches, der Gottes- pflanzung; darum kann der Angelos alles erhalten, was er von ihm begehrt, Gold, Kollyrion, Gewander.

Christus, der Solin G ottes,1) ist das Haupt des messianischen Reiches. W er dahin gelangen will, kann es nur durch ihn. E r ist es, der den Schliissel zum Hause D ayids2) hat, jenen Schliissel, der da offnet, ohne daB jem and wieder zu schlieBen vermag, der schlieBt, ohne daB jem and wieder offnen kann .3) Das Haus Davids ist das messianische Gottesreich, das der Messias offnet und schlieBt,

Welch ein grofiartiges Bild! Der Menschensohn wandelt in koniglichem Glanze in der M itte der sieben goldenen Leuchter: E r ist der H err des Hauses Davids, der Konig in der „Schopfung“, i 11 dem Herrschgebiete Gottes.

Ais solcher hat er auf alles in seinem Reiche ein wachsames Auge. Die W erke der Guten und Bosen sieht er; er wird einem jeden vergelten nach seinem Tun.

Und w er wollte sich ihm widersetzen, w er konnte ihm entrinnen, ihm, den die glanzendsten und unver- gleichl ichsten und furchtbarsten Herrschereigenschaften schmucken! Der Bose hat alles von ihm zu befiirchten, der Gute darf alles von ihm erhoffen.

1) Off. 2, 18.2) Off. 3, 7.8) Vgl. Is. 22, 22.

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Der Menschensohn ist allmachtu/.') Sein Y ille herrscht iiber alles. E s sind nicht blofi in seiner Gewalt die Angeloi, die er ais S tenie in seiner Rechten halt, und die Gemeinden, dereń Leuchter er im Falle der UnbuB- fertigkeit vom Platze stoBen wird; -) auch die gottfeiud- lichen Machte sind ihm untertan: die Juden, die Synagogę Satans,3) und die Heiden.4) Yon seinem Vater, Gott, h a t er die H errschaft erhalten.8) E r hat sich zu ihm auf seinen Thron gesetzt und reg iert mit ihm die W elt.6) Es ist der jtcwcołcpaTtop, der Allbeherrscher. *)

Sein feuergltihender FuB8) ist unwiderstehlich; er t r i t t erbarmungslos jedem, der sich ihm entgegenstellt, auf den Nacken und zermalmt ihn ganz. Mit dem Schwerte seines Mundes schlagt er die Feinde nieder.9) E r hat Gewalt iiber Leben und Tod, er hat die Schliissel des Todes und der U nterwelt.10)

Der Tod, der durch die Siinde in die W elt kam ,11) h at iiber die Meuschen ein furchtbares Regiment gefiihrt. Ein widergottliches W esen, steht er im Dienste Satans. E in schrecklicher Anhang leiht ihm seinen gefiirchteten Arm.12) In der U nterw elt hat er ein gewaltiges, groBes

1) Ygi. Pohle, Lehrbueh d. Dogm. L S. 264 f.2) Off. 2, 5.8) Off. 2, 9; 3, 9.*) Off. 2, 26 f.5) Off. 2, 28.6) Off. 3, 21.7) Off. 1, 8.8) Off. 1, 15; 2, 18.9) Vgl. Hen. 90, 19 ff.; Mt. 10, 34; Joel 4, 13; Zach. 9, 13;

Ps. 2, 9; Hen. 91, 12; Is. 11. 4; 49, 2; Is. 49, 2; 27, 1; 1, 20; 11, 4 ; Os. 65; Epli. 6, 17; 2 Thess. 2, 8; Hebr. 4, 12.

w) Off. 1, 18.i') Rom. 5, 12.w) Off. 6, 8.

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Reich. D ort gebietet er, ein finsterer Tyranii. Niemand will gern zu ihm hinab.1)

Christus ist mui iu sein Reich eingedruugeu;2) er hat ihn iiberw altigt und gebundeu und ilirn die H errscher- schliissel abgenommen. Yon ihm ist nun Befreiung aus den Schatten der Unterwelt zuversichtlich zu erhoffen.

So libt denn der Menscheusohn allseitig die hiichste und yollste Gewalt aus, eine Gewalt, der niemand wider- stehen kann. W ehe also dem, der sich ihm nicht fiigt! W elch (‘in Antrieb, seinem Geboto punkt lich naclizu- kommen!

Der Memchcmolin in/ alltrwsend. E r kennt die ein- zelnen W erke der Angeloi und der Gemeiuden, die guten und die schlechten, ganz genau; denn er w andelt ja unter ihnen, den sieben Leuchtern, und ist ihnen allzeit gegenw artig und fort und fort in ihnen wirksam. Sein Flammenauge durchdringt das (lickste Punkel, nichts bleibt ihm verborgen; denn er erforscht ja Herzen und

’ Nieren.3) Kr kennt die erste Untreue des Bischofs von Kphesus ebeuso gut ais ihm nicht unbekannt ist der Geist der Lauheit, der sich in der Laodizischen Gemeindc breit macht. Kr weifi, daB Pergamus tro tz der un- gtinstigsten Yerhaltnisse, — der Thronsitz Satans ist dort — dennoch treu und unentwegt an seinem Namen fest*gehalten hat, Das geheime Siindentreiben der falschen Prophetin zu Thyatira ist seinem Feuerblicke nicht im mindesten entgangen, und der Seelentod des sardischen Kirchenvorstehers liegt offen vor ihm. Lebhaft stehen die Tage des Antipas, die schwere Zeit, die Smyrna zu bestehen hatte, vor seiner Seele und ungetriibte Aner- kennung findet bei ihm die unverbriichliche Treue und

1) Js. 38, 10 ff. Y gl. Ps. 38, 14; Job. 38, 17; Os. 13, 14; Js. 25, 8; 1 Kor. 15, 26.

2) Mt. 12, 21.3) Jer. 11, 20; 17, 10; 20, 12; Ps. 7, 10; 26, 6.

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Anhanglichkeit, die den philadelphischen „Armen“ und „B edrangten“ so glanzend vor den audern auszeichuet.

Und so ist der Allmachtige allwissend; nichts ist seinem Flammenauge entgangen, w eder das Gute nocli das Schlechte. W ehe also dem Siinder und Frevler, denn auf ihn ist sein zorngluhender Blick gerichtet! D er Menschensohn, der das Gesetz gegeben, weiB es auch zu sanktionieren, mit seiner Macht durchzufiihren. W er es nicht befolgt, wird aus der Region des Lebens hinausgeschleudert.

Der Menschensohn ist heiliy. K r ist der Heilige,1) der Heilige Israels namlich,2) den sie alle unter diesem Namen kennen, er ist die Heiligkeit selbst.3) Kr allein ist heilig und die Geschopfe sind es nur insofern, ais er sie an seiner Heiligkeit teilnehmen laBt. Und worin łiuBert sich nun diese Heiligkeit? E r ist vor allem der Gegensatz zu allem W idergottlichen, Damonischen, in wełcher Form es sich auch zeigen mag. E r ist frei von jeder geschopflichen Unreinheit, keine Makel haftet an ihm. E r is t unendlich gut, oline den Schatten einer Unvollkommenheit, — Und daher ist sein Wille auch nur auf das Gute und Rechte gerichtet, und alles Bose, Unheilige is t ihm zuwider. Verha6t ist ihm der Siinder, in dem das W idergottliche in die Erscheinung tritt. Die scharfsten Riigen und Strafen yerhangt er fiir seine Freveltaten. Die Jezabel w irft. er aufs Krankenlager, ihre ehebrecherischen Genossen in groBe Triibsal und ihre Kinder sollen des Todes sterben. Auch die geringste Uiiyollkommenheit der Angeloi findet bei ihm unnach- sichtliche Zurechtweisung. Und sein Gericht, das er

1) Off. 3, 7.s) Vgl. der „HI. G ottes“ Mrk. 1, 24.3) Off. 4, 8; 1 Joh. 1, 5; 1 Joh. 3, 3; 1 Petr. 1, 1 4 ff.;

Is. 6, 3; Ps. 98, 3; 1 Iłcg. 6, 20; 1 Reg. 2, 2; 3 Mos. 11, 44; 19, 1 f.; Ps. 5, 5 ff.; Spr. 15, 8 f.; Hab. 1, 13.

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iiber die Bosen yerhangt, ist gerecht; jedem verg ilt er nach seinen W erken.1)

E r ist der W ahrhaftige, der nur das W ort der W ahrheit in seinem Munde ftihrt; jede Liige und Heuchelei ist ihm ein Greuel. E r ist der wahrhaftige, der treue Zeuge. W as sein Yater, Gott, ihm m itgeteilt hat, das yerktindet er, der Sohu, getreu den Menschen; er ist der wahre Kiinder der Offenbarung Gottes. E r spricht die W ahrheit. Wenn er dem Angelos von Laodizea seine Lauheit und Verblendnng yorhalt, so mag er es glauben; denn es ist wirklich so. E r ist der ah\ ihvóę.2)

Und was er verheiBt, das w ird sich auch erftillen, und was er androht, trifft ein; denn er ist das Amen, die Erftillung, und sein W ort wird nicht zuschanden; denn er ist wie der E rste, so auch der Letzte, der alles Ueberdauernde von allen.

W er sollte diesem furchtbaren Heiligen nicht mit z ittem der Scheu gegentibertreten! W er sollte sich nicht angeregt fiihlen, jede Makel der Stinde und Unvoll- kommenheit zu meiden! E r ist der Herr, und w ir sind seine „Knechte“. Aus Liebe zum Herrn erfiillt der Knecht dessen Gebote. Den unniitzen Knecht trifft der Zorn des Herrn.

So gewaltig und furchtbar dieser Menschenahnliche, der Allmachtige und Allwissende und Allheilige Israels ist, so greuzenlos und groB ist doch auch seine Giite, Barm herzigkeit und Langmut. E r ist allen gittig, dem Stinder3) und dem Gerechten,4) und er will sich aller erbarmen, auch der Synagogę Satans und der Heiden. E r hafit zw ar den Stinder, weil sich in ihm das Bose yerkorpert; aber er haBt nicht die Person, sondern nur

1) Off. 2, 23.2) Off. 3, 14.3) Off. 3, 19: „Die ich liebe, die zttchtige ich .“i) Off. 3, 9: „Und sie sollen erkennen, daB ich dich liebe.“

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seine bosen W erke. So haBt er die widergottliche Handlungsweise der Nikolaiten, doch der Jezabel und ihren Stindengenossen laBt er langmtitig Zeit zur Umkehr. Bevor er straft, ermahnt er die Nachlassigen und weist sie auf die darauf stehende Strafe hin. E r mahnt zur Umkehr, damit ihm niemand yerloren gehe. Und reicht das bloBe W ort nicht aus, so greift er zu starkeren Zuchtmitteln. Doch eben dariu offenbart sich seine grenzenlose Giite, die bemtiht ist, auf diesem auBersten W ege den UnbuBfertigen zur Einsicht und BuBe zu be- wegen; denn wen er liebt, den ztichtigt er gerade.1) Und er schickt auch manchmal Prtifungen, um seine Knechte zu erproben und zu lautern, damit sie rein und heilig seien, wie im Feuer gelautertes Gold.

So groB nun auch seine Giite und Barmherzigkeit ist, so ist doch keine Schwache bei ihm. Der Stinder hat alles yon ihm zu befftrchten, wenn sein MaB sich erfiillt. E r kommt dann bald und unversehens wie ein Dieb in der Nacht und straft den harthorigen Frevler unnachsichtlich.

Dieser unvergleichliche „Menschensohn“ ist das Yorbild des Christen. Das Leben des Christeu ist eine Nachfolge (.'hristi.

„W er tiberwindet, dem will ich verleihen, mit mir auf meinem Throne zu sitzen, wie auch ich tiberwunden und mich zu meinem V ater auf seinen Thron gesetzt habe.“ 2)

„W er tiberwindet und an meinen W erken festhalt bis zum Eude, dem will ich Macht geben iiber die Heiden; er wird sie „weiden“ mit eisernem Stabe, wie man Topfergeschirr zusammenschlagt, wie auch ich (diese Macht) von meinem Vater erhalten habe.“ 3)

1) Off. 3, 19..2) Off. 3, 21.8) Off. 2, 26 ff.

3

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W er an den W erken Christi festhalt, w er da iiber- windet, dem wird dafiir der schonste Lohn zuteil. E r w ird in das messianische Gottesreich anfgenommen, und da ist unaussprechlif-he Freude und Wonne. Lebhaft und eindringlich fiilirt sie uns der Messias, der Be- herrscher jenes heiBersehnten Reiches, vor die Seele im sogenannten „Siegerspruche “.

II. Der Siegerspruch — die Motive des Tugendlebens.

.Teder Brief wird mit einer messianischen Ver- heifiung,1) dem sogenannten Siegerspruche, beschlossen. In schmetterndem Yollton, in gew altiger jrgoacpom}ai; wendet sich „der G eist“ an die Gemeinden in der sich stets wiederholenden formelhaften Bedewendung: „W er Ohren hat, zu horen, der hore, was der Geist den Ge­meinden sag t!“ 2)

Dieser Ausdruck, der auch sonst noch oft im Neuen Testam ente vorkommt,3) hat nicht nur den Zweck, die Aufmerksamkeit der Horer wachzunifen und sie besonders auf das noch zu Sagende hinzulenken, er sag t mehr; er ist pragnant. „Es ist ein Merkwort, ein Appell an die tiefere W eisheit der Hórer und L eser mit der Bedeutung: Hier ist besonderer Sinn yerborgen; hort ihn heraus — ihr, die ihr (besonders dazu erschlossene) Ohren habt!“ 4)

Das ist die allgemeine Bedeutung dieses formel­haften Bibelausdrucks. W as nun die Sendschreiben ins- besondere anbetrifft, so w are dies dariiber zu sagen:

1) Es ist also von dem Siegerspruche nur eine messianische D eutung am Platze.

2) Off. 2, 7; 2, 11; 2, 17; 2, 29; 3, 6; 3, 13; 3, 22.s) Siehe Angabe bei Dibelius: Th. St. u. Kr. S. 461—71.*) Dibelius, a. a. O.

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„Die Mahnung ist hier Merkzeichen der Deutung. Sie will besagen: „Ihr alle, die ihr Ohren habt, hiirt aus den an einzelne Gemeinden gerichteten Briefen etwas heraus, was die Allgemeinheit angeht.“ *)

D er Siegerspruch enthalt das W ichtigste, die Ver- heifiung eines speziellen Lohnes im Reiche Gottes; und jedesmal ist der Lohn dem „Sieger“ verheiBen.

1. Die Eintragung in das Lebenslmch.Das Buch des Lebens kommt ofters in der Heiligen

Schrift vor. „Und in jener Zeit wird dein Yolk gerettet, jeder, der sich aufgezeichnet findet im Buche.“ 2)

Yoll Schmerz dariiber, daB die Israeliten zum Gotzendienste abgefallen waren, fleht Moses zu Gott, er mogę entweder seinem Volke die Siinde verzeihen, oder ihn aus dcm Buche streichen, das er geschrieben habe.3) Gott antw ortet nun dem Moses: „W er sich gegen mich versiindigt, nur den streiche ich aus meinem Buche.“

Gott ais Konig und Herrscher seines auserwahlten Volkes fiilirt geuau so wie jeder andere Machthaber iiber seine U ntertaneu Buch. W ie man die Bewohner einer S tad t oder Ortschaft in die Biirgerlisteii eintrug, so wird bei Gott jeder in das Buch des Lebens ge­schrieben, der in seiner Gemeinschaft sich befindet, seine Untertanen also, die .Tuden, und jeder, der sich zu ihm bekehrt. Die sind fiir das messianische Reich vorher- bestimmt. — Gott gibt genau darauf Acht, was auf Erden geschieht. Es wird ein Gedenkbuch vor ihm gefiihrt und jeder, der ihn fiirchtet, und bei seinem Namen Schutz und Zuflucht sucht, wird darin einge-

!) Dibelius, a. a. O.2) Dan. 12, lc .8) 2 Mos. 32, 33. Vgl. Ps. 68, 29; Dan. 12. 1; Phil. 4, 3;

Off. 3, 5; 13, 8; (17, 18); 21, 27; 22, 19; Hen. 47, 3; 104, 1; 108, 3; Jub. 30, 20 ff.; Luk. 10, 20; Hebr. 12, 23.

3*

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tragen, clie Frommen und die G uten.1) Mit diesen dtirfon die Bosen nicht mit eingetragen werden, und waren sic schon, ais sie gerecht waren, sie, die nun abgewiehen sind, in dem Buche der Lebendigen, so werden sic daraus gestrichen. Deutlich sagt dies Ezechiel von den falschen Propheten :2)

„So spricht der H err Jahw e: Weil ihr Nichtiges redet und Ltige schant, so will ich nun an euch! — ist der Spruch des Herrn Jahwe.

„Und so strecke ich denu aus meine Hand wider die Propheten, die Nichtiges schauen und Lilgen weis- sagen; der Gemeinschaft meines Yolkes sollen sie nicht angehoren und in die Urkunde des Hauses Israels sollen sie nicht eiugeschrieben werden und in das Land Israel sollen sie nicht kommen, und so sollen sie erkennen, daB ich der H err Jahw e bin.“ 3)

In diesem Lebensbuche stehen nur die Namen der Frommen und ihre guten W erke. In der Endzeit wird das Buch des Lebens beim Gerichte aufgeschlagen, und wer sich darin verzeichnet flndet,4) der wird in das messianische Reich aufgenommen, der wird zum Leben gerette t; die andern werden yerworfen, dem Tode tiber- geben. W er sollte nun danach nicht streben, urn ins Lebensbuch zu kommen und gere tte t zu werden!

Der Name eines solchen Yorherbestimmten, Vorher- verzeichneten ist dem Herrn bekannt. Wie der F tirst die Namen derer behalt, die etwas auBergewohnlich Tiichtiges geleistet haben, so is t auch Gott der Nam o dessen bekannt, der bei ihm Gnade gefunden hat.5)

1) Mai. 3, 16 b.2) Ez. 69, 29.») Ez. 13, 8 f.*) Dan. 12, 1.5) 2 Mos. 33, 17.

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Ihn wird der Messias seinem Y a te r1) und dessen Engeln2) vorfiihren, vorstellen, seine W erke lobend her- vorheben und die ihm dafiir gebtihrende Ehrung und Belohnung zuteil werden lassen. E r wird in weiBe Kleider gehiillt;3) „denn er ist es w ert.“ Im Buche E sther wird uns diese orientalische Sitte genau ge- schildert.

„In jener Nacht floh den Konig (Ahasverus) der Schlaf. Da befahl er das Buch der Denkwiirdigkeiten herbeizubringen, und sie wurden dem Konig vorgelesen. Da fand sich aufgezeichnet, wie Mardochaus iiber zwei Kammerer des Konigs aus der Zahl der Schwellenhuter M itteihuig gemacht, daB sie Hand an den Konig zu legen getrach tet liatten. Da fragte der Konig: W as ist dem Mardochaus dafiir an Ehren und W urden erwiesen worden? Die Diener des Konigs, die ihm aufwarteten, sprachen: Es ist ihm nichts erwiesen worden. Da fragte der Konig: W er steht da im Yorhof? Die Diener des Konigs sprachen zu ihm: Haman steh t da im Vorhof. Der Konig gebot: E r soli eintreten. Ais Haman eiu- getreten war, fragte ihn der Konig: W as soli mit dem Mannę geschehen, dem der Konig gern E hre erweisen mochte. Da sprach Haman zum Konig: Wenn der Konig gern jemand Ehre erweisen mochte, so bringe man ein konigliches Gewand herbei, mit dem der Konig bekleidet war,4) und ein RoB, das der Konig geritten hat, auf dessen Kopfe eine konigliche Krone angebracht ist, und iibergebe das Gewand und das RoB einem von den Fiirsten des Konigs, den Edlen, damit man den Mann, dem der Konig gern Ehre erweisen mochte, damit be-

i) Mth. 10, 32.*) Luk. 12, 8.8) „ftewander des H eiles“. Is. 61, 10.4) Das Gewand der Alton war von der Art, daB es jedem paBte,

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kleide und ihn auf dem Rossę auf dem S tadtplatz ura- herreiten lasse und vor ihm her ausrufe: So geschieht dem Mannę, den der Konig gern ehren mochte.“ *)

Aehnliche Ehrung ist auch dem agyptischen Joseph widerfahren: „Pharao zog seinen Siegelring von seiner Hand ab und steckte ihn an die Hand Josephs, sodann lieB er ihn mit Byssusgewandern bekleiden und legte ihm eine goldene K ette um den Hals.“ 2)

Diese konigliche Auszeichnung, die ais hochste Ehrung auf Erden empfunden und erstreb t wurde, durfte dem Heiligen im messianischen Reiche nicht yorenthalten werden. Darum heifit es auch im Siegerspruche: „W er tiberwindet, der wird so mit weiBen Gewandern bekleidet werden, und ich werde seinen Namen nimmer aus dem Buche des Lebens streichen, sondern werde mich zu seinem Namen bekennen vor meinem V ater und vor seinen Engelu. “ 3)

Die Bekleidung mit weiBen Gewandern ist das An- ziehen Christi, des Lammes; und Christus ist das Buch, das jene kennt, die in ihm leben, und die es dem A ater bekennen wird, wenn sie ihn auf Erden werden bekannt haben. W er BuBe tut, wird rein gewaschen, und braucht nicht zu fiirchten, daB er wegen seiner Siinden aus dem Lebensbuch gestrichen wird.

2. Der CienuB deH Lebensbaumes.Das messianische Reich ist das Paradies Gottes

m it dem Lebensbaume. „W er tiberwindet, dem will ich vom Baume des Lebens zu essen geben, der im Paradiesemeines G ottes steh t.“ 4)

1) Bstli. 6, 1— 10.2) 1 Mos. 41, 42 f. ») Off. 3, 5.*) Off. 2, 7.

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In dem irdischen Paradiese, dem Garten Edens, hatte Gott zwei herrliche Baume mit wohlschmeckender F ruch t in -der Mitte des Gartens auf.sprieBeu lassen, den Baum des Lebens und den Baum der Erkenutuis von gut und bose. D er Baum des Lebens besaB die Kraft, dem, der von seiner Frucht afi, Leben und Un- sterblichkeit zu verleihen. *) Ais Adam und Eva ver- botenerweise von der Frucht des Erkenntnisbaumes ge- gessen hatten, wurden sie aus dem Paradiese vertrieben mit der Begriindung, daB sie nicht etwa noch ihre Hand nach der F rucht des Lebensbaumes ausstreckten und un- sterblich wiirden.2) Die Apokryphen berichten dariiber ausfiihrlicher. Adam flehte: „Herr, gib mir vom Baume des Lebens zu essen, ehe ich hinausgetrieben werde.“ D er H err antw ortete ihm: „Jetzt nicht: denn er wird bewacht, damit du nicht unsterblich werdest, Aber wenn du dich vom BOsen frei haltst, sollst du ron dem Lebens­baume zu essen bekommen, damit du ewig lebest.“ 3)

Gott trieb nun den Menschen hinaus und lieB ostlich vom Garten Eden die Cherubini sieli lagern, und die Flamme des zuckenden Schwertes, zu bewachen den W eg zum Baume des Lebens.4)

W ie oft mag da die Phantasie und der Geist des Israeliten bei dem Paradies und seinem Lebensbaume sieli aufgehalten haben! W ie oft m ag ihn die Sehnsucht nach ein(‘in glticklichen, unsterblichen Leben ergriffen haben!

Die Apokryphen berichten uns folgende Geschichte: Ais Adam zum Sterben kam, befielen ihn groBe Leibes- schmerzen. E va und ihre Kinder standen tranrig um

') Vgl. Prov. U , 30; 15, 4.2) 1 Mos. 3, 22 ff.a) I)as Leben Adams, 28, Kautzsch, Apokr. u. Pseudep. <) 1 Mos. 3, 24.

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ihn. Da sprach Adam zu Eva: „Auf, geh mit deinem Sohn Seth in die Nahe des Paradieses; streut Staub auf euer H aupt und w erft euch zur E rde nieder und klagt im Angesichte Gottes. Vielleicht erbarm t er sich dann und sendet seinen Engel hintiber zum Baume seiner Barmherzigkeit, aus dem das Lebensol flieBt, und gibt euch etwas davon, daB ihr mich damit salbt und ich Ruhe habe vor den Schmerzen, die mich verzehren.“ ')

Seth und seine M utter gehen nun hin zu den Toren des Paradieses und tuen, wie Adam ihnen geboten. Ais sie aber viele Stunden gebetet und gebeten hatten, siehe, da erschien ihnen der Erzengel Michael und sprach: „Ich bin zu euch vom Herrn gesandt; ich bin vom Herrn iiber den menschlichen Leib gesetzt. Dir, Seth, Mann Gottes, sage ich: W eine nicht langer unter Beten und B itten wegen des Oels vom Baume der Barm­herzigkeit, um deinen Y ater Adam gegen die Schmerzen seines Leibes damit zu salben. Denn ich sage dir: Du w irst keinesfalls davon erhalten, es sei denn in den letzten Tagen.“ 2)

Die letzten Tage sind nun angebrochen. Die Zeit is t nahe, wo alle YerheiBungen in Erftillung gehen sollen! W elch ein Antrieb zum Gutestuen!

Der Tod, der ais Strafe fiir die Stinde iiber die Menschen kam, durfte nicht mehr herrschen, sobald der yerheiBene Messias die Erlosung vollbracht hatte. Ewig sollten die Heiligen ja im Gottesreiche die H errschaft ftihren. Darum bekommen sie vom Lebensbaume zu essen, damit sie von den Banden des Todes frei seien und das gleiche ewige Leben hatten, wie der Baum, von dem alles Leben kommt,

>) Das Leben Adams 36, Kautzgch a. a. 0 .2) Das Leben Adams, 36, Kautzsch a. a. O.

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3. Die Freiheit vom zweiten Tode.Gliicklich und unsterblich soli der Sieger (ó vixwv)

sein, frei von jedem Ungemach. „W er iiberwindet, dem soli der zweite Tod nichts anhaben!1*1) Der zweite Tod! Es ist ein dunkler rabbinischer Ausdruck. Ist es der potenzierte, der ewige Tod? So wird es allge- mein gefaBt. Nun schreibt aber der hl. Johannes an einer andern Stelle: „Und der Tod und die Unterwelt wurden in den Feuersee geworfen; dieser Feuersee ist der zweite Tod.“ 2)

Um dies zu yerstehen, vergegenwartige man sich folgendes aus der Bildersprache der Offenbarung: Ueber der Erde is t die Oberwelt, der Himmel, und unter der Erdflache .die Unterwelt, der Abgrund, die Hólle. In den Himmel gelangt man durch eine T iire.3) Und irgeudwo auf der Oberflache der E rde ist eine Oeffnung, ein zisternenfórmiger Schlund, der Abstieg zur U nter­welt, zum Abgrund.4) H ier ist der Sitz der w idergott- licheu Machte. H ier ist der Feuersee, der von gliihendem Schwefel brodelt. In diesen feurigen Brodelsee wird nun der Tod mitsamt der U nterw elt geworfen. Dieser Feuersee ist der zweite Tod, jener Tod, der s tarker ist ais der erste Tod, der selbst diesen friBt. Tod? Nein, nicht ein Tod, sondern ein Todesreich, das zweite Toten- reich, die toii iwpóę, wo kein Gerechter mehr ist,sondern nur die Siinder und Frevler und die gottfeind- lichen Machte. Der Teufel, der die Yolker yerfuhrt, w ird in den Feuerpfuhl geworfen.5) Hier ist auch das

1) Off. 2, 11.2) Off. 20, 14.■i) Off. 4, 1.

Off. 9. 1 f.; 11, 7; 20, lf f . V gl. Ps. 71, 20; 107, 26. Horn. 10, 7; afhiaooę Is. 14, 15; 5, 14; 30, 33.

5) Off. 20, !*.

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Tier und der falsche Prophet,1) liier ist der Tod und die Totenw elt.2) W er sich nicht im Lebensbuche ver- zeichnet, findet, wird gleichfalls in den Feuersee ge- worfen.3) „Den Feigen und Treulosen, den Befieckten und Mordern, den Unzuchtigen und Giftmischern, den Gotzendienern und allen Liignern soli ihr Teil werden in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der zweite Tod.“ 4) „Hier werden sie gepeinigt werden Tag und Nacht in alle Ew igkeit.“ 5)

Is t der Feuersee ein „Tod“, so kann darunter nur ein O rt der Strafe, der Qual, im messianischen Sinne also nur ein Ort der Gottesferne verstanden werden. Dieser „zweite Tod“ ist der Gegensatz zum „ewigen Leben“. W er sich das messianische Heilsgut aneignet, erhalt das „ewige Leben“ ; wer es nicht ergreift, der ist ein unniitzer Knecht, und er w ird in die auBerste F insternis hinausgeworfen, wo Heulen und Zahneknir- schen ist.6) „Der Menschensohn sendet seine ayyFAoi, und sie werden aus seinem Reiche alle. Aergernisse sammeln und alle, die da unrecht tun; und sie werden diese in den Feuerofen werfen.“ 7)

Das unausloschliche Feuer, der Feuersee, der F euer­ofen, die auBerste F insternis sind packende, anschauliche Bilder des zweiten Todes, d. i. der tiefen Geistesąual des Gottentfremdeten.

„Durch einen Menschen ist die Sunde in die W elt gekommen und durch die Stinde der Tod.“ 8) Dies ist

1) Off. 20, !tf.2) Off. 20, 14.3) Off. 20, 15.*) Off. 21, 8.■'•) Off. 20, 10.«) Mt. 8, 12; vgl. Mt. 8, 11 f.; 25, 30; 25, 41.7) Mt. 13, 41 f . ; 13, 49 f.H) Kom. 5, 12.

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der erste Tod, und diesem verfielen alle Menschen. Da kam der Gottessolm und erloste uns von diesem Tode. „W enn w ir“ — aber — „vorsatzlich sundigen, nach dem wir die Erkenntnis der W ahrheit erlangt habeu, so ist kein Opfer fiir die Sunden mehr iibrig, sondern es w artet unser ein schreckliches Gericht und ein eiferndes Feuer, das die W iderspenstigen verzehren wird.“ ') Das ist der „zweite Tod“, jener Tod, der starker ist ais der erste Tod, der selbst diesen friBt, der ewige Tod, aus dem es keine R ettung gibt.

W er sich im Gottesreiche frei von der „Sunde zum Tode“ 2) erhalt, w ird diesem schrecklichen Tode nicht anheimfallen, nicht von ihm behelligt werden. Die Furcht vor dem zweiten Tode ist ein gew altiges Motiv der un- verbruchlichen Treue gegen Christus.

4. Die Herrscliaft iiber die Heulen und der Besitz des Morgensternes.

F rei von Tod und Unterwelt, frei von jeglichem Ungemach ist der Ueberwinder im Gottesreiche. Auch die Feinde und B edranger sind niedergeworfen; er ist nunmehr ihr Herrscher. „W er iiberwindet und an meinen W erken festhalt bis zum Ende, dem will ich Macht geben iiber die Heiden; er wird sie „weiden“ 3) mit eisernem Stabe, wie man Topfergeschirr zusammen- schlagt. Und den Morgenstern will ich ihm geben."4) Christus, der Heidenbeherrscher, verheiBt hier seinem treuen Knechte, der iiberwunden hat, die Macht iiber

1) Hebr. 10, 26 f.2) V gl. 1 Joh. 5, 16 f.3) D. k. zertriimmern; noi|javel ist eine (LXX) falsche Ueber-

setzung von von zerschmettern, indem es mit O J^r1'• •• “ T ** I *von weiden, verwechselt wurde.T T

4) O ff . 2, 26 f. Ygl. Ps. 2, 10 und Is. 30, 14.

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die Heiden, unter dereu unfreiwilligem Joch er, der Jude, seufzte. W ie oft hat er sich nicht danach ge- sehnt, fiir alle die Unbill an den Heiden furchtbare Rache zu nehmen. H ier wird es ihm nun in Aussicht gestellt.

Gott Jahwe, der Gott eines Abraham, Isaak und Jakob, Jahwe, der allein den Namen eines Gottes in W ahrheit fiihrt, hat ein einziges Volk der E rde sich besonders erwahlt und ihm seine uniibertroffene Gunst bewiesen, das Yolk der Juden. Die glanzendsten Yor- ziige sind sein TeiL Und wie der Mensch seinen Aug- apfel, wie der Yogel seine Kinder unter dem Fliigcl schirmt, mit der gleichen zartlichen Pflege hat Jahw e seine Heiligen in schiitzende Obhut genommen. Jahwe, dessen Allmacht im ganzen W eltall sich regt, ist der Schutz und Kćjnig seines beyorzugten Yolkes; das innigste Yerhaltnis gegenseitiger Treue yerkntipft sic beide. Daher erftillte mit begeisterndem Stolz der ge- weihte Name des unvergleichlichen Gottes die Brust eines jeden echten Israeliten. Wie erhaben, wię weg- werfend schweifte der Blick des hochmutigen Juden iiber die iibrigen, versto6enen, verunreinigenden Be- wohner der Erde!

So dachte man; doch wie sah es in W irklichkeit aus? Gedemiitigt und zerschlagen beugt sich das stolze Geschlecht Jakobs dem Joch der unreinen Heiden. Doch so konnte es nicht ewig bleiben!

5. „Seid getrost, mein Volk,Die ihr Israels Namen trag t!

6. Ih r seid an die Heiden yerkauft, —Doch nicht zur Vernichtung!Weil ihr Gott geargert,W urdet ihr preisgegeben den Feinden." ’)

i) Bar. 4, 5 —6.

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Sie sollen nicht ewig zuschanden werden. Gott wird sie aus diesem unwiirdigen Zustand erlosen. Sie, das auserwahlte Yolk Gottes, diirfen nur Jahw e und seinem Gesalbten dienen und gehorchen. Ihre Sehnsucht soli in Erfiillung gehen. Die Macht der Heiden wird zerschm ettert werden, so nachdrucklich yernichtet werden, wie man Topfergeschirr mit eisemem Stabe zusammen- schlagt.

Der messianische Sinn dieser Heidenherrschaft ist folgender: Dem Juden galt der Heide ais gottverstofiener Siinder; der Heide ist im jiidischen Sprachgebrauch der Sunder schlechthin. Eine Herrschaft iiber die Heiden, iiber das heidnische W esen ist die Herrschaft iiber die Ungerechten, iiber die Siinde, iiber die siindhaften Regungen des Fleisches. Die H errschaft des Cieistes iiber das Fleisch kommt in ihrer W irkung der H err­schaft des geistigen Juden iiber den sinnlichen Heiden yollkommen gleich. D aher ist dieser Siegerspruch ais Begrtindung fiir die Ueberwindung der Abgotterei und der Tiefen Satans yorgetragen. Die yollste F reiheit des (ieistes iiber die Macht der W elt wird ais reizendes Motiv dem Verleugner der W elt in Aussicht gestellt. Und mit dieser Freiheit ist auch eine Fiihrerschaft gegeniiber anderen yerbunden.

Zugleich mit der Freiheit von der in Triimmer ge- gangenen W elt wird dem Ueberwinder der -.Morgenstern gegeben. „Und ich will ihm den Morgenstern geben.“ ‘) D er M orgenstern, ein heifium strittener Ausdruck!

Der Morgenstern wird haufig in der HI. Sehrift er- wahnt, und er ist die Bezeichnung fiir yielerlei Dinge.

1. E r ist der Stern, der des Morgens am Himmel steht.2. E r ist das Bild des nahen Gliickes.2)

1) Off. 2, 28.2) Job. 11, 17.

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3. Kr ist ein E n g el.')4. E r is t ein Hild des stattlichen Aeuflern.2)5. E r ist ein Bild der H errscher.8)6. E r ist das Bild heller E rkenntn is.4)

Die Ausleger entscheiden sich bald ftir die eine, hałd ftir die andere Bedeutung. So sagt z. B. Stolberg: „W as ist der M orgenstern, der dem Treuen verheiBen w ird? In Bezug auf 2 P etr. 1,19 gleich hoher Erleuchtung, reiehlicher KrguB der Liche, Einwohuung des Y aters und des Sohnes und des HI. Geistes im Herzen verstanden, M itteilung G ottes in Liebe, wie sie hienieden moglich ist, ein M orgenstern; die Sonne der Gerechtigkeit leuchtet jenseits des Grabes.“

E s werden noch andere Deutungen gebracht. Der M orgenstern ist Christus, weil er sich so bezeichnet Off. 22, 16.5) Es soli sogar in Bezug auf 10, 18 und Is. 14, 12 der Teufel sein. S tage iibersetzt einfach: „Ich will dir den „Glanz" des M orgensternes geben.“ °)

Ueber die E rklaruug des M orgensternes diirfte man eigentlich keinen Augenblick im Zweifel sein. Da er hier in Yerbindung mit der Zertrfimmerung der Heiden- herrschaft genannt wird, kann er nur etw as Aehnliches bedeuten.

D er hellste des Sternenheeres ist der M orgenstern, und so ist er auch das Bild des Fuhrers eines Yolkes, des Konigs. So wird der Konig von Babel ais Morgen­stern bezeichnet:

i) Job. 38, 7.‘4 Sir. 50, 6.8) Is. 14, 12.

2 Petri 1, 19.5) Fuller Off. Joh. S. 124: „daB der eifist im ftlanze seiner

H errlichkeit erscheinende Herr sich selbst ihm m itteilen werde, sodaB er dieser Herrlichkeit selbst teilhaftig und in sie verklart wird.* V gl. 4 Mos. 24, 16.

«) Stage, d. N. T., Leipzig, Keelam jun. 1896.

„W ie bist du vom Himmel gefallen,Du strahlender M orgenstern;Wie bist du zu Boden gehauen,Du N iederstrecker aller V<ilker!“ ')

Guthe bem erkt nun zu dieser Stelle: „Man muB sich daran erinnem, daB in oder hinter den Sternen belebte, himmlische W esen gedacht wurden.“ -Mail kann weiter gehen. Man hat sich die S tenie selbst ais lebende W esen vorgestellt, wenigstens tu t es so der bildliche Sprachgebrauch der Hibel.2)

Wie nun der Menschensohn die sieben Stenie in seiner Rechten halt, so wird hier dem Ueberwinder der M orgenstern in seine Hand gegeben. E r bekommt Macht und Herrschaft, die Obmacht,3)

Der M orgenstern ist wahrscheinlich das Bild eines Fuhrers, eines Herrsehers, der H errschaft.4)

Die H errschaft des Ueberwinders wird noch niiher bezeichnet. Ais M itherrscher des Messias fiihrt er iiber die E rde das Zepter. „ W e r tiberwindet, dem werde ich yerleihen, mit mir auf meinem Throne zu sitzen, wie auch ich uberwundeu und mich zu meinem Y ater auf seinen Thron gesetzt habe.“ 5)

Es w ird hier also dem Sieger die heiBersehnte selige und ewige Gottesherrschaft verhei6eu. Wie wir uns das zu denken haben, wird uns im Kapitel 4 der Offenbarung geschildert. W ie es auf Krden der t a l i ist, so wird die H errschaft hier im Bilde dargestellt.

„Und siehe da, im Himmel stand ein Thron, und auf dem Thron saB einer, der sah aus wie der Jaspis

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1) Is. 14, 12.2) Vgl. Absclinitt: Die sieben Sterne.8) 8(uoo) mircćp ió v d cn eęa xóv vóv 8(óo«> — preisgeben;

.w a s ganz unglttcklich is t .“ Fuller, Off. Joh. S. 123.*) Nach dem Parallelism us in Js. 14, 12.6) Off. 3, 91.

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und (lor Sardisedelstein. Und rings nm den Thron war ein Regenbogen, der aussah wie Smaragd. Rings ura den Thron standen vierundzwanzig andere Throne. Darauf saBeu vierundzwanzig Aelteste, bekleidet mit weiBen Gewandern und goldene Krftnze auf ihren Hauptem . “ *)

5. Das verborgene Manna und der weiBe Stein.Dem Ueberwinder wird yerborgenes Manna ver-

heiBen.„W er iiberwindet, dem will ich von dem verbor-

genen Manna geben.“ 2)W elche Bewandtnis hat es mit diesem verborgenen

Manna? EjjTfjijb zu sagen, wie es Calmet meint, daB hier an das d?n fleischlich-gesinnten Juden verborgene Manna der christlichen Gnadengtiter zu denken sei. Der Ausdruck erk lart sich wie folgt:

Ais die Juden in der Wiiste, vom Hunger getriebeu, sich nach dem Brote Aegyptens sehnten, speiste sie Gott mit dem Manna, der Himmelsspeise.

„Am Morgen legte sich pin tauender Nebel rings um das L ager; und ais der tauende Nebel aufstieg, da lag auf dem Boden der W iiste etw as Feines, Schuppen- artiges, fein wie der Reif auf der E rde.“ 3)

„Die Israeliten nannten es aber Man. E s war weiB wie Koriandersamen und schmeckte wie Kuchen mit Honig.“ 4)

1) Off. 4, 2 ff. V gl. Off. 20, 4 f.2) Off. 2, 17. Vgl. Joh. 6, 31, 32, 35, 49, 58, 59; 1 Kor.

10, 36; Ps. 77, 2 4 f; Sap. 16, 20.8) 2 Mos. 16, 13 f.4) D aselbst 16, 30.

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„Da sprach Moses: Folgendes befiehlt Jahw e: Fiillt einen G om er1) dayon zur Aufbewahrung fiir eure kiinf- tigen Geschlechter, damit sie das B rot sehen, wTomit ich euch in der W iiste gespeist habe, ais ich euch aus Aegypten wegfiihrte. Da sprach Moses zu Aaron: Nimm eineu Krug, tue einen ganzen Gomer voll Manna hinein und stelle ihn vor Jahw e hin, damit es fiir eure kiinf- tigen Geschlechter aufbewahrt werde! E s geschah, wie Jahw e Moses befohlen hatte, und Aaron stellte ihn (den Krug) vor die Gesetzeslade hin zur Aufbewahrung.“ *)

So ist es auf Anordnung Gottes geschehen; das Manna wurde fiir die kiinftigen Geschlechter aufbewahrt. Wo ist es nun geblieben? Es ist ja nicht mehr da! E s is t verborgen. Damit ging es nun also zu.

„Es stand aber in eben dieser Schrift,3) wie der P rophet auf erhaltene gottliche W eisung hin befahl, das Zelt und die Lade mit sich zu fiihren, bis er an den B erg 4) kam, auf den Moses gestiegen w ar und das Erbe Gottes gesehen hatte. Ais nun Jerem ias daselbst au- gekommen war, fand er die S ta tte einer Hohle, und er brachte dorthin das Zelt, die Lade und den Raucher- altar und er yerschloB den Eingang. Und einige, die ihm gefolgt waren, tra ten herzu, um sich den O rt zu bezeichnen; doch sie konnten ihn nicht mehr finden. Ais Jerem ias das bemerkte, sprach er sie tadelnd: Der Ort wird unbekannt bleiben, bis Gott sein Yolk wieder sammelt und ihm Gnade erweist. Alsdann wird der Herr ihn zeigen, und die Herrlichkeit des Herrn wird in der W olke erscheinen, wie sie sich auch .Moses offenbarte und wie sie Salomo sich zeigte, ais er betete. Die S ta tte mogę dem groBen Gott geheiligt sein.5)

*) Vio Epha, Mafi.2) 2 Mos. 16, 32 ff.8) In den Aufzeichnungen des Propheten Jeremias.4) Nebo; vgl. 5 Mos. 32, 49; 31, 1 und 5.5) 2 Makk. 2, 4 —8.

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So wurde die Lade Gottes vor den Unberufenen und Feinden im Berge Nebo versteckt. Das Manna befand sich aber in der Lade. „H inter dcm zweiteu Vorhang aber w ar ein Zeit, das da genannt wird das Allerheiligste, enthaltend ein goldenes Rauchgefafi und die Lade des Bundes. Dic w ar allseits mit Gold tiber- zogen. In ihr befand sich ein goldenes Gefafi mit dem Manna. “ *)

So erklart sich am einfachsten der Ausdruck von dem verborgenen Manna. Von diesem soli nun der Ueberwinder zu essen bekommen. Nach dem Genusse des Mannas mag sich das Herz des Juden in schwerer Zeit oft gesehnt haben, und es mag auch im A olk die Sage gegaugen sein, dafi in der letzten Zeit sie davon wurden zu kosten bekommen.

Die letzte Zeit ist da. W er AYollte da nicht ein Ueberwinder sein!

Das yerborgeue Manna ist das messiamsche Gut. W er dieses hat, besitzt alles, auch den Genufi von jenem verheifienen Manna.

Im Zusammenhang mit dem Manna wird der weifieStein genannt.

„W er uberwindet, dem will ich einen weifien Stein geben, und auf dem steht ein neuer Name geschrieben, den niemand kennt ais der, der ihn em pfangt."2)

Ein weifier Stein, eine ipfj<poę Xeu*4 ein calculus candidus! Die Bedeutung ist dunkel. Die einzelnen An- sichten der Exegeten dariiber gehen sta rk auseinander.

1. Die tyfjtpoę w ar ein abgeriebenes, g lattes Stein- chen und wurde vou den Alten bei W ahlen und gericht- lichen Abstimmungen benutzt. Bei den W ahlen wurden Tafelchen abgegeben, die mit dem Namen des Kandi-

1) Hebr. 9, 3 f . V gl. Jenn. 3, 16 ff. 3 Beg. 8, 11; 2 Parał. 7, 1.2) Off. 2, 17.

daten beschrieben waren. Bei gerichtlichen Abstim­mungen gab es zweierlei Steinchen, die weifien, dic freisprachen, und die schwarzen, die yerurteilten.1) So berichtet das 4. Makkabaerbuch 15, 25 f.: „Ais stunde sie im Rathaus — so schaute sie in ihrer Seele die gestrengen R atsherren: Natur, Schopfuug, Liebe zu den Kindern und Folterung der Kinder — so hielt sie, die M utter, zwei Stimmsteinchen in der Hand, ein tot- bringendes und ein die Kinder errettendes. ‘‘ Daliach wurde es heifien: „W er uberwindet, den spricht der H err von aller Schuld los und wahlt ihn zum Mitbiirger seines himmlischen Reiches."2)

2. Andere finden in der ^fj^oę eine Anspielung auf die Sitte, dafi der Sieger in den gymnastischen Spielen eine tessera mit der Anweisung auf Nahrungsmittel erhielt. Somit ware die \pfj(po; gleichsam eine Einlafi- karte zu der himmlischen, messianischen Konigsmahlzeit,3)

3. Bousset meint, es konne auch ein Amulett mit einem zauberkraftigen W orte (Namen) sein, sodafi, wer es erfahren, dadurch die Macht erhalte, Verborgenes aufzuspiiren.

4. Die ijrfjcpoę wird ferner ais Edelstein gefafit und entweder auf das Urim- und Thummimgeschmeide4) oder auf das B rustschild5) des Hohenpriesters bezogen. Da- nach bezeichnet sie die priesterliche Wiirde des Siegers.

»5. Der „weifie S tein“ ist ein Los und weist auf

die Yerlosung des heiligen Landes hin. H erder sagt dariiber: „Manna genofi Israel, das von Bileam selbst

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') Ovid, Met. 15: Mos erat antiąuis, niveis atrisąue lapillis. His damnare reos, illis absolvere culpa.

2) Bisping, Erklarung d. Apok. des hi. Joh., z. ds. St.8) Calmet, Comm. literał sur 1’apoc., z. ds. St.4) Fuller, Off. Joh. S. 106.5) Fuller, Off. Joh. S. 106.

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gliicksclig gepriesene Yolk G ottes.1) Los und Namen bekam es, (la die P lagę hinweg war, denn pauz Israel muBte neu gezahlt und gleichsam neuerwfihlt werden.2)

Insonderheit bekam P inehas, der Bileams Greuel von Israel ta t, neues Los und neuen Namen, d. i. Gott machte mit ihm den Bund des Friedens und eines ewigen Priestertum s, daB er die Schande von Israel A\andti. )

6. Gerlach gibt uns folgende Erklarung: „Da 3, 12 auf den Ueberwinder der Name Gottes und des neuen Jerusalem geschriebeu wird, und 7, 3 die Knecht** Gottes auf den Stirnen yersiegelt werden, da ferner 14, 1 die 144000 den Namen des Lammes und seines Y aters auf ihren Stirnen geschrieben haben, und 19, 12 der Ireue und W ahrhaftige auf der Stirn einen neuen Namen trag t, den Niemand kennt auBer ihm selbst, so scheint der weiBe (heli leuchtende Edel-) Stein hier ein Tafel- chen zu sein vor der Stirn, auf welches Gottes Name eingeschrieben stand, wie der Hohepriester in seinem feierlichen Schmucke ein goldenes S tirnblatt mit der Inschrift: Die Heiligkeit des H errn,4) trug. Dann ist also dem Ueberwinder die YerheiBung gegeben, daB er m it dem hohepriesterlichen Schmuck angetan dureh diese Inschrift des neuen Namens ais ein zu den erhabensten Diensten im Heiligtum Geweihter bezeichnet werden solle.“ 5)

1) Mos. 23, 21.2) 4 Mos. 26.») Herder, das Buch von der Zukunft des H en n , z. ds. Mt.

*) 2 Mos. 28, 36.5) Bisping, a. a. O. zitiert.A n m e r k u n g . Man lialt auch den weiBen Stein fttr die

tessera hospitaUs der alten Romer. Ein viereckiger Stein wurdein zw ei Teile geteilt, auf dereń jeden die Kontrahenten ihre Namenschrieben. D ie Tafelchen wurden ausgetauscht. Das Vorzeigcndieser tesserae gab ihnen dann auf Reisen ein w echselseitiges Rechtauf Aufnahme und gute Yerpflegung in eines jeden Hause.

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L etztere Ansicht wiirde ich sofort unterschreiben, wenn ich wiiBte, daB dieses Stirntafelchen ^rjcpoę ge- heiBen hat. Zweimal ist es nur in der Heiligen Schrift genannt, hier und Act. 26, 10. Solange keine bessere Losung gegeben wird, ist die Gerlachsche ais die sym- pathischste anzunehmen.

Ein Stein, auf den ein Name geschrieben wird! Das erinnert ganz deutlich an Zacharias. „Hore doch, Hoher- priester Josua! Du und deine Genossen, die vor dir ihre Sitze haben, Manner der Yorbedeutung seid ihr: Ich werde alsbald meinen Knecht, den SproB, kornmen lassen! Ich werde alsbald dem Steine, den ich vor Zorobabel gelegt habe — sieben Augen ruheu auf einera Steine — , seine Schrift eingraben, ist der Spruch Jahwes der Heerscharen, und die Verschuldung des Landes an einem Tage hinwegtilgen." — !) „Die Hande Zorobabels haben zu diesem Hause den Grundstein gelegt, seine Hande werden es auch yollenden . . . und alle, die den Tag der kleinen Aufange verachtet haben, werden sich freuen, den Schlufistein in der Hand Zorobabels zu sehen.“ — 2) „E r w ird den Giebelstein ausfuhren unter den Jubelrufeu: „Herrlich, herrlich ist er!-' 3)

Danach ware die ijtfjtpoę der Giebel- oder SchluB- stein, der die Vollendung des Baues bezeichnet. E r liegt vor Zorobabel; Zorobabel ist ein Mann der \o r - bedeutuug. Diesem Steine soli eine Schrift eingegraben werden — „auf dem Stein is t ein neuer Name ge- schrieben11 —4) und sobaki dies geschehen ist, wird die Versehuldung des Landes an einem Tage hinweggetilgt werden.

i) Zach. 8, 8f.-’) Zacli. 4, !)f.;l) Zach. 4, 7.*) Uff. 2, 17.

V.

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D er Christ ist ein lebendiger Tempel G o ttes;1) durch die Aufnahme ins messianische Eeich findet sein Geistestempel seine Yollendnng. Petrus sag i davon: „LaBt euch selbst wie lebendige Steine aufbauen ais ein geistiges Haus zu heiligem Priesterdienst, zur Dar- bringung geistiger Opfer, die Gott gefallen durch Jesus, den Messias.“ ^ Damit wiirde das Essen des Manna aufs beste iibereinstimmen; denn die P riester haben das Anrecht auf das heilige Brot der Engel.

Der Stein ist weiB. Es ist hier nicht das einfache WeiB, sondern das glanzende, leuchtende, strahlende WeiB, wie ja alles weiB, leuchteud ist, was auf das messianische Eeich irgend welchen Bezug hat. WeiB, d. h. strahlend, sind auch die Kleider der Gerechten, wie der Himmelsbewohner iiberhaupt.

Auf der %|ńj(poę steh t ein neuer Name, den niemand kennt auBer dem, der ihn empfangt.“ D er Name fiihrt im biblischen Sprachgebrauche eine bedeutsame Rolle. Namengebmig ist in der prophetischeu L ite ra tu r eine oft geiibte Sache.3)

Der Name driickt das W esen eines Dinges aus oder er bezeichnet auch einen Zustand. Ein neuer Name driickt demnach ein neues> W esen aus oder er bezeichnet einen neuen Zustand.

Zweifelhaft ist, wessen Name auf dem weiBeu Stein geschrieben steht, der neue Name G ottes4) oder des Ueberwinders.5) E s bleibt sich aber gleich; und sp haben wir den Stein wohl irgendwie ais Abzeichen einer

1) 1 Kor. 3, 16 f.2) 1 Petr. 2, 5.») z. B. Is. 65, 15. 62, 12. 62, 2. 56, 5 u. a.

Kliefoth, D. Off. Joh., z. ds. St.6) Bisping, Erklarung etc., z. (1. St.

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neuen W iirde zu denken, die mit dem „neuen Namen“ bezeichnet w ird .1) „Und man wird dich mit einem neuen Namen benenntyi, den der Mund des Herrn be- stimmen wird.112)

6. Die Saule im Tempel Gottes.Das messianische Reich ist der Tempel Gottes.

„W er iiberwindet, den will ich zu einer Saule im Tempel meines Gottes machen; er wird nie mehr (aus diesem Tempel) hinauskommen; ich will auf ihn den Namen meines Gottes schreiben und den Namen der S tadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel von meinem Gott herabkommt, und meinen neuen Namen.“ 3)

Das Bild vom Tempel Gottes wird auch sonst noch genannt.

„W ir haben einen Hohenpriester, der sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones der M ajestat im Himmel ais V erwalter des Heiligtums, der wahren Stiftshiitte, die der H err aufgeschlagen hat, nicht ein Mensch.“ 4)

Petrus schreibt: „LaBt euch selbst wie lebendige Steine aufbauen alfc ein geistiges Haus zu heiligem Priesterdienst, zur Darbringung geistiger Opfer, die Gott gefallen durch Jesus, den Messias.“ 5)

Paulus: „Sein Haus sind wir (Christen), wenn wir die Zuyersicht und das Pochen auf die Hoffnung bis ans Ende festhalten.“ 6)

1) Stage, Das Neue Testament, z. ds. St.2) Is. 62, 2. Y gl. 1 Kor. 2, 9: „W as kein Auge gesehen und

kein Ohr gehort hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Grott denen bereitet, die ihn lieben.“

8) Off. 3, 12. Ueber die Pracht des Tempels siehe Josephus: beli. jud. 5 Bd. c. 5.

4) Hebr. 8, l f . Vgl. daselbst 9, 11.6) 1 Petr. 2, 5.8) Hebr. 3, 6.

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„W ir sind ja der Tempel des lebendigen Gottes." !) „W ifit ihr das nicht, daB ihr Gottes Tempel seid und dafi der Geist Gottes in eurer M itte wohnt? W er den Tempel Gottes yerdirbt, den wird G ott verderben! Denn G ottes Tempel — und das seid ihr — is t heilig.“ 2)

In diesem lebendigen Tempel Gottes wird der Ueberwinder eine Saule. „Siehe, ich will ihn zu einer Sanie3) machen.“ Diese Saule is t in dem Tempel Gottes fest gegrtindet; sie wird nie mehr hinausgeworfen.4)

Das schwere Ungliick, das bis dahin die Juden immer so hart getroffen hatte, wird sie nicht mehr heim- suchen, namlich, daB sie ihr heiliges, gelobtes Land verlassen muBten, um unter die Sun der in die Ver- bannung zu gehen. Es wird sich Amos W ort erfullen: „Ich will sie einpflanzen in ihr Land, daB sie nicht w ieder aus ihrem Lande, das ich ihnen verliehen habe, herausgerissen werden, spricht Jahwe, dein Gott.5)

Diese festgefiigte Saule wird nun mit einer drei- fachen Aufschrift geschmiickt.

1. „Ich will auf sie den Namen meines Gottes schreiben.“ Damit ist ausgedriickt, daB der Ueberwinder nunmehr ganz Gottes Eigentum werden soli.

2. „Ich will auf sie den Namen der S tad t meines Gottes schreiben, des neuen Jerusalem, das vom Himmel von meinem Gotte herabkommt." Der Ueberwinder wird damit Mitbtirger jenes herrlichen neuen Jerusalem, wie es Off. 21 vom heiligen Seher so entztłckt ge- schildert wird. „Siehe da, die Stiftshiitte G ottes ist nun

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1) 2 Kor. 6, 16.2) 1 Kor. 3, 16 f.3) Nicht Tempfelstale, sondom eine Ruhmessaule, die im

Tempel zum ewigen Andenken anfgerichtet wird.4) Ob bier an die unaufhorliche Freude am Kulte GotteR zu

denken ist, kann nicht m it Sicherheit entschieden werden.6) V gl. Gal. 2, 9: „Siiulen der Gemeinde.“ — Ani. 9, 15.

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bei den Menschen! E r wird unter ihnen wohnen, und sie werden sein Yolk sein. Und Gott wird mit ihnen sein und wird alle Tranen von ihren Augen abwischen. E s wird kein Tod mehr sein, kein Leid, kein Jammern, keine Pein. Denn das frtihere is t vorbei.ul)

Herrlich ist das neue Jerusalem, ein w ahrer Stolz fiir den Juden. „Es glanzt wie ein kostbarer Edelstein, wie ein Jaspiskrystall." — „Die Stadt braucht nicht Sonnenlicht, nicht Mondlicht; denn der Glanz Gottes er- leuchtet sie, und ihr Licht ist das Lamm. Die Yolker wandeln in ihrem Lichte, die Konige der E rde bringen ihre P racht zu ihr. Ihre Tore werden niemals am Tage geschlossen, und Nacht gibt es dort nicht. Die P racht und die Schatze der Volker wird man zu ihr bringen. Nimmermehr wird Unheiliges in sie eindringen, kein Befleckter und kein Liigner, nur w er eingetragen ist in das Lebensbuch des Lam m es."2)

3. „Ich will auf ihn meinen neuen Namen schreiben." Damit wird bezeichnet, daB der Ueberwinder an dem yerherrlichten Zustand des Heilands teilnehmen wird.

W as nun den Namen anbetrifft, so kommt dieser Ausdruck sehr haufig im Sprachgebrauche der Heiligen Sehrift vor.3)

Ueber eine Sache, ein Lebewesen, einen fremden Namen nennen oder schreiben, heiBt, dem Inhaber dieses Namens dadurch die wichtigsten Rechte iiber das Objekt yerleihen.

Im messianischen Reiche wird alles neu. „Siehe, ich mache alles neu.“ — „Diese W orte sind gewiB und w ahrhaftig ."4) Es wird sich dem Ueberwinder eine Herr-

1) Off. 21, 3ff.2) Off. 21, 11; 21, 23—27.4 Vgl. 2 San. 6, 2; 12, 2 8 ; Is. 4, 1; Jer. 7, 10; Am. 9, 12.

Siehe auch Namengebung der Apostel.<) Off. 21, 5. Vgl. Hen. 72, 1; Is. 65, 17; 2 Petr. 3, 13;

Off. 21, 1.

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lichkeit offenbaren, die niemand kennt und daher niemand schildern kann, eine Herrlichkeit, die nur der erfahrt, der sie empfangt. Und nach dieser H errlichkeit sollte niemand streben? W as eines Juden Herz bewegen und riihren konnte, das hat im Siegerspruche seinen Platz gefunden, und ein J u d e *) hatte nicht alles tun sollen, urn es zu erreichen, das was seines Herzens tiefinnerste Neigung und Sehnsucht war?

Furwahr, ein starkeres Motiv zum gottgefalligen Handeln diirfte es wohl kaum geben!

„Und der, der auf dem Throne safi, sprach zu mir:Es ist geschehen! Ich bin das Alpha und Omega,

der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen umsonst vom Quell des Lebenswassers geben. W er tiberwindet, soli es ererben, ich will sein Gutt sein, und er soli mein Sohn sein.

Den Feigen aber und Treulosen, den Befieckten und Mordem, den Unzuchtigen und Giftmischern, den Gotzendienern und allen Liignern soli ihr Teil werden in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der zweite Tod.“ *)

7. Das Sitzen auf dem Throne.Dem „Sieger“ wird das Sitzen auf dem Throne

Christi verheifien. „Wer. tiberwindet, dem will ich es verleihen, mit mir auf meinem Throne zu sitzen, wie auch ich iiberwunden und mich mit meinem Y ater auf seinen Thron gesetzt habe.“ 3)

>) Jude MessiasglSubiger. V gl. Kom. 2, 26 I ł:„Ein Judo ist nicht, wer es iiuBerlicli ist . . .Ein Jude ist, wer es innerlieh ist . . . “Der Ruhm eines solchcn Juden stammt nicht von Menschen,

sondern von G ott.“*) Off. 21, 6—8.3) Off. 3, 21,

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Gott hat einen Thron. *) Christus hat einen Thron.2) Von diesem Throne des Gottessohnes heiBt es des naheren: „Dein Thron, o Gott, s teh t fiir Ewigkeit, und der Stab der Gerechtigkeit ist der Stab deines R eiches."3) Dieser ewige Thron is t der Thron Davids. „Gott der H err wird ihm den Thron seines Yaters David geben, und er wird tiber Jakobs Haus ewiglich die Herrscliaft fiihren.“ 4)

Der „Menschensohn“ hat den Schliissel zum Hause Davids. „So spricht der Heilige und W ahrhaftige, der den Schliissel Davids hat, der da offnet, dafi niemand schlieBen, der da schliefit, dafi niemand offnen kann.“ 5)

Bei der jtaXiYyevE<ńa, d. h. bei der „W elterueuerung“ im messianischen Reiche,6) wird der „Meuschensohn“ und die Apostel auf Throuen sitzen. „Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, w erdet bei der „W elterneuerung“, wenn der „Menschensohn“ auf dem Throne seiner Herrlichkeit sitzen wird, auch auf zwolf Thronen sitzen und die zwólf Stamme Israels richten.“ 7)

Der H errscher setzt sich auf den Thron, um sein Vorrecht, die oberste richterliche Funktion, auszunben. D er gottliche Heiland hat uns selber geschildert, wie es bei seinem Gerichte zugeht.

„Wenn der „Menschensohnu in seiner Herrlichkeit kommen wird und alle ayyeAoi8) mit ihm, dann wird er auf dem Throne seiner Herrlichkeit sitzen, und vor ihm

1) Mt. 5, 34; 23, 22; Apg. 7, 49; Off. 7, 15 u. a.2) Off. 3, 21; vgl. Off. 22, 3.») Hebr. 1, 8.4 Łk. 1, 32.5) Off. 3, 7.«) Bousset, Bel. d. Judent., S. 323; Schttrer, Gesch. d. jud.

Volkes, U , S. 544 ff.’) Mt. 19, 28; Lk. 22, 30.8) "Ayye.Koę ohne JFrage w ie in den Sendschreiben zu fassen.

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werden sich alle Yolker yersammeln, und er wird sie von einander scheiden, wie der H irt die Schafe von den Bocken scheidet. Und er wird die Schafe zu seiner Rechten, die Bocke aber zu seiner Linken stellen.

Dann wird der Konig zu denen, die zu seiner Rechten sind, sagen : Kommet, ihr Gesegneten meines A aters, nehraet das Reich in Besitz, das euch von Anbeginn der W elt bereitet ist! Denn ich hatte Hunger, und ihr gabt mir zu essen; ich hatte Durst, und ihr gabt mir zu trinken; ich w ar Fremdling, und ihr nahmt mich auf; ich w ar nackt, und ihr gabt mir Kleider; ich w ar krank, und ihr besuchtet mich; ich w ar im Gefangnis, und ihr kam t zu mir.

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann sahen w ir dich hungrig und speisten dich, oder durstig und gaben dir zu trinken, oder wann sahen w ir dich ais Frem dling und nahmen dich auf, oder nackt und kleideten dich, oder wann sahen w ir dich krank oder im Gefangnis und kamen zu dir r*

Und es wird der Konig antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Sofern ihr es einem meiner geringsten Briider getan, habt ihr es mir getan.

Dann wird er auch zu denen, die zur Linken sind, sagen: W eichet von mir, ihr Yerfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen ayytkoi bereitet ist! Denn ich hatte Hunger, und ihr gabt mir nicht zu essen; ich hatte Durst, und ihr gabt mir nicht zu trinken; ich war Fremdling, und ihr nahm t mich nicht auf; ich w ar nackt, und ihr gabt mir keine Kleider; ich w ar krank und im Gefangnis und ihr besuchtet mich nicht.

Dann werden auch diese ihm antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder ais Frem dling oder nackt oder krank oder im Gefangnis gesehen und dir nicht gedient?

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Dann w ird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Sofern ihr es einem dieser Geringsten nicht getan, habt ihr es auch mir nicht getan.

Und diese werden hingehen zu ewiger Strafe, die Gerechten aber zu ewigem Leben.“ ')

\\ 'a s der gottliche Heiland hierin verheiBen hatte, sehen wir in den Sendschreiben bereits erfiillt. Der Menschensohn hat tiberwunden und sitzt auf dem Throne. „W ie auch ich tiberwunden und mich mit meinem A ater auf seinen Thron gesetzt habe.112)

Wen 11 der „Knecht G ottes“ uberwiudet, soli ihm auch verliehen werden, auf dem Throne zu sitzen. „W er uberwindet, dem will ich es verleihen, mit mir auf meinem Throne zu sitzen. “ 3)

Der „Knecht G ottes“ is t ein „Konig11 und „P riester11,4) und so wird ihm auch das Yorrecht der Konige, die oberste richterliche Am tstatigkeit yerliehen, um die „Stamme Israels zu richten. “

H err der W elt zu werden, die Yolker zu richten, w ar des Juden heiBester Wunsch. Und seine Erfiillung wird hier in greifbare Nahe geruckt. Sollte da der „Knecht G ottes“ sich nicht mit aller Kraft bemiihen, um zu „uberwinden“, Christus „uachzufolgen !

„Ihr seid es, die ihr in meinen Priifungen mit mir ausgeharrt habt, und ich bestimme euch das Reich, wie es mir mein Y ater bestimmt hat, daB ihr an meinem Tische in meinem Reiche esset und trinket und auf Thronen sitzet, die zwolf Stamme Israels zu richten." •’)

W er nun „Ohren hatte, zu horen,“ der verstand, daB bei dieser Stelle an ein geistiges Gericht zu denken sei,

1) Mt. 25, 31—46.2) Off. 3, 21.a) Off. 3, 21.■») Off. 1, 6; vgl. 1 Petr. 2, 9.5) Lk. 22, 28 f

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wo das Heidnische, Siindhafte seine Y erurteilung findet, das Gute, Gottliche dagegen Anerkeimung und Lob.

Das sind die YerheiBungen des gewaltigen Sieger- spruches, der in farbenprachtiger W eise dem orientalischen Gemtite das messianische Gut entgegenflihrte und die Sehnsucht danach belebte. Das ist der „Lohn“, den der „Ueberwinder" erhalten soli.

I s t es nicht Lohnsucht, wenn ich nach diesem „Lohne“ strebe? Keineswegs. W enn mir jem and den W eg nach Kalifornien zeigt, nach Kalifornien, das ich durchaus erreichen will, und ich es infolge dieser W eisung auch rasch erreiche, so is t die Erreichung meines Eeise- zieles allerdings, wenn man so sagen will, der Lohn fiir meine Reisemiihe. Wo ist hier aber von Lohnsucht eine Spur!

Das sittliche Leben des Christen ist kein Lohn- suchtstreben. In dem „Knecht G ottes11 lebt die Sehn­sucht nach seligem Leben. Gott zeigt ihm den W eg, wie er es erreichen kann. W enn er dieser W eisung folgt, wird die Seligkeit sein Teil; sie is t der Lohn seiner Bemiihung, die ersehnte F rucht seines Gliick- seligkeitstrebens.

Nicht um einer schnoden Belohnung willen miiht sich der „Knecht G ottes", sondern um die Sehnsucht seines Herzens erftillt zu sehen. Und diese Sehnsucht ist seine Lebensaufgabe, weil er hier auf Erden nicht bereits am Ziele ist, sondern erst ein „P ilger“ nach dem Ziele.

Berichtigung.

Seite 9, Zeile 14, von oben s ta tt „Zeitgedenken“ muB heiBen „Zeitgedanken“.

Seite 25, Anmerkung 3) s ta tt „in p. T.“ muB heiBen „in N. T.“

Seite 27, Zeile 1, von oben s ta tt „r)“ muB heiBen „fj“.

Seite 48, Zeile 13, von oben sta tt „Einfach“ muB heiBen „Es ist“.

B e m e rk u n g :Die ganze Dissertation mit Literaturyerzeichnis wird in der namlichen Buchdruckerei zum Druck gelangeu.