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Script zur wdr-Sendereihe Quarks & Co Koma – Gibt es einen Weg zurück ins Leben? Westdeutscher Rundfunk Köln Appellhofplatz 1 50667 Köln Tel.: 0221 220 3682 Fax: 0221 220 8676 E-Mail: [email protected] www.quarks.de

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Script zur wdr-Sendereihe Quarks&Co

Koma – Gibt es einen Wegzurück ins Leben?

Westdeutscher Rundfunk Köln

Appellhofplatz 150667 Köln

Tel.: 0221 220 3682Fax: 0221 220 8676

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Herausgeber: Westdeutscher Rundfunk Köln; verantwortlich: Öffentlichkeitsarbeit;Text: Mustafa Benali, Falko Daub, Cordula Echterhoff, Jakob Kneser, Christina Krätzig,Georg Lolos; Redaktion: Anahita Parastar; Copyright: wdr, September 2007;Gestaltung: Designbureau Kremer & Mahler, Köln

Bildnachweis: alle Bilder Freeze wdr 2007

Rund 35.000 Menschen fallen in Deutschland jedes Jahr ins Koma – oft für Monate, manchmalfür Jahre. Auslöser sind schwerste Schädel-Hirn-Verletzungen, z. B. durch einen Unfall oderSchlaganfall. Nach Schätzung der Deutschen Wachkomagesellschaft verharren derzeit etwa10.000 Menschen in einer Welt zwischen Leben und Tod. Aber immer wieder gibt es Aufsehenerregende Fälle, in denen Patienten nach langer Zeit scheinbar plötzlich aus dem Koma er-wachen – und die Mediziner vor Rätsel stellen. Denn die Koma-Forschung steckt noch in denKinderschuhen.

Was nehmen Koma-Patienten von ihrer Umgebung wahr? Sind sie tatsächlich ohne Bewusst-sein? Wie können Ärzte und Angehörige wissen, in welchem Zustand sich ein Patient befindet?Wie werden die verschiedenen Koma-Stadien diagnostiziert und von einander unterschieden?Welche Möglichkeiten der Therapie gibt es? Welchen Sinn macht eine Patientenverfügung imFall von Koma-Patienten? Quarks & Co sucht nach Antworten auf diese Fragen, stellt neuesteForschungsergebnisse vor und porträtiert eine junge Frau, die monatelang locked-in war: beivollem Bewusstsein eingeschlossen in ihrem eigenen Körper.

Quarks & Co zeigt, wie Mediziner und Therapeuten versuchen, mit Koma-Patienten Kontaktaufzunehmen, um sie ins Bewusstsein zurück zu holen und stellt einen Musiktherapeuten vor,der überraschende Entwicklungen seiner Patienten über zehn Jahre mit der Videokameradokumentiert hat.

Quarks & Co beleuchtet die aktuelle Rechtslage und zeigt, wo es kompetenten Rat beim Ver-fassen einer Patientenverfügung gibt.

4 Zurück ins Leben – Der lange Weg aus dem Koma

7 Kurze Ohnmacht oder Koma?

10 Koma-GLOSSAR

13 19 Jahre im Koma – der Fall Terry Wallis

16 Rätsel Wachkoma – Gibt es Spuren von Bewusstsein?

19 Patientenverfügung – Wie geht das?

Weitere Informationen, Lesetipps und interessante Links finden Sie auf unseren Internetseiten. Klicken Sie uns an: www.quarks.de

InhaltInhalt KomaKoma –

Gibt es einen Weg zurück ins Leben?

Mehrere Monate lag Anama Fronhoff nach einemSchlaganfall im Koma. Als sie erwachte, konnte siesich nicht bewegen – sie war bei vollem Bewusst-sein in ihrem Körper eingeschlossen. Die Geschich-te einer Rückkehr ins Leben.

Man hatte sie schon aufgegeben: Als Anama Fron-hoff nach einer speziellen Form des Schlaganfalls,einem Stammhirninfarkt, ins Krankenhaus kam,waren die Ärzte sicher, dass die junge Frau nichtüberleben konnte. Die Angehörigen hofften, dassAnama wenigstens noch einige Tage leben würde,damit sich alle Freunde verabschieden könnten.Doch alles kam anders. Die 33-jährige überlebteund erwachte nach mehreren Monaten aus demKoma.

Verständigung nur noch per Lidschlag

Nach diesen Monaten des Dämmerns war sie zwarwieder bei vollem Bewusstsein, aber dabei voll-ständig gelähmt. Sie konnte weder sprechen nochden Arm heben oder die Finger bewegen. Nur mitden Augen konnte sie Zeichen geben, wenn sieeine Frage verstanden hatte – sie blinzelte einmalfür ja und zweimal für nein. Wenn sie sich ausführ-licher äußern wollte, musste ihr Gegenüber das

Alphabet aufsagen und sie blinzelte bei dem ent-sprechenden Buchstaben. Sehr mühsam konntesie sich so mitteilen.

Es kann jeden treffen – in jedem Alter

Locked-In-Syndrom nennen Ärzte diese besondereArt des Komas: Die Patienten sind vollkommen beiBewusstsein. Doch sie sind am ganzen Körpergelähmt, häufig können sie nicht einmal selbstatmen oder schlucken. Anama Fronhoff hat vorihrem Infarkt selbst als Krankenschwester auf neu-rologischen Stationen gearbeitet und sich mit derFrage beschäftigt, wie lange man schwer verletztePatienten künstlich am Leben erhalten sollte,wann man sie sterben lassen sollte. Dass sich ihrdiese Frage einmal selbst stellen würde, hätte siemit Anfang Dreißig nie gedacht – sie war sportlich,sehr aktiver und risikofreudig. Sie liebte Tiere, rittund fuhr gerne Motorrad.

Der Körper als Gefängnis

Der Infarkt kam mitten in einer Meditationsübung.Anama fiel einfach um, weil ein Blutgerinnsel inihrem Gehirn ein Gefäß verstopfte. Seitdem sende-

te ihr Stammhirn, das für Bewegungen zuständigist, zwar noch motorische Impulse aus. Aber diegelangten nicht mehr in den Körper. Nur dasSehen, das Hören und der Tastsinn funktioniertenbei Anama noch normal. Ein ganzes Jahr lang: „Diegesamte Muskulatur war gelähmt, auch die derLunge. Deswegen musste ich künstlich beatmetwerden. Eine Artikulation war nicht möglich. DasLocked-In-Syndrom ist wie ein inneres Gefängnis,der Körper die Mauer.“

Leben mit dem Locked–in–Syndrom

Im Jahr 2007, sieben Jahre nach dem Schlaganfall,lebt Anama mit ihrem Hund Momo und zweiKatzen in einer Dreizimmerwohnung am Stadtrandvon Köln. Sie kann wieder leise sprechen, den Kopfselbständig halten und mit einer so genanntenKopfmaus allein am Computer Briefe und Texteschreiben. Sie hat ihre Geschichte, ihre Erinne-rungen aufgeschrieben. Noch immer kann Anamaweder gehen noch sich alleine aufrichten. EinTeam von zehn Assistenten betreut sie rund umdie Uhr, zweimal in der Woche hat sie Sprachtrai-ning und zweimal Ergotherapie.

Kopfmaus

Eine Kopfmaus ermöglicht es gelähmten Patienten, mit den Kopfbewe-

gungen den Cursor über den Bildschirm zu steuern. Der Cursor wird

durch die Bewegungen eines kleinen Reflektorpunktes gesteuert, den der

Benutzer auf der Stirn trägt oder auf seinem Brillengestell befestigen

kann. Dessen Position wird von einer Infrarot-Kamera erfasst und –

wie bei einer üblichen Maus – in Bewegungen des Cursors umgesetzt.

Mausklicks werden durch die Verweildauer an einer bestimmten Stelle

des Bildschirms ausgelöst.

Ergotherapie

Das Wort Ergo in Ergotherapie stammt aus dem griechischen und ist

abgeleitet von ergon, mit der Bedeutung von tätig sein. Ergotherapie ist

Hilfe zur Selbsthilfe, orientiert an den individuellen Möglichkeiten des

Patienten. Geübt werden beispielsweise Aktivitäten des täglichen Lebens

wie Körperpflege, Anziehen oder Essen; die Mobilität mit verschiedenen

Verkehrsmitteln, Kommunikation über das Telefon. Eingesetzt werden

körperorientierte Therapien, lebenspraktische Übungen, Hirnleistungs-

training und kreative Medien, auch die Beratung von Angehörigen

gehört dazu.

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Zurück ins Leben ...Zurück ins Leben –Der lange Weg aus dem Koma

Mit viel Geduld lernt Anama wiederSprechen

Anama war früher sehr sportlich – wiederauf einem Pferd zu sitzen, ist sieben Jahrenach dem Infarkt einer ihrer sehnlichstenWünsche

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...oder Koma?Kurze Ohnmacht oder Koma?Bewusstlosigkeit ist immer ein Notfall

„Mein Hirn muss sich jetzt andere Bereichesuchen, um bestimmte Aufgaben erfüllen zu kön-nen. Das ist ein langwieriger Lernprozess. Dochselbst mit einem Locked-In-Syndrom kann manleben.“ Schon jetzt hat Anama mehr erreicht, alsÄrzte jemals geglaubt hatte – medizinisch gesehenist sie ein Wunder. Ob sie weitere Fähigkeitenzurück gewinnen wird, kann niemand vorhersagen.

Es ist einfach so

Ihr treuester Gefährte ist ihr heiß geliebterBehindertenhund Momo. Und im Großen undGanzen beurteilt Anama ihr neues Leben wiederpositiv: „Natürlich spüre ich Schmerz um dasVergangene. Aber durch diesen Schmerz bin ichauch gewachsen. Ich habe erfahren, dass mir nurdie Akzeptanz meines Zustandes helfen kann. Undam eigenen Leib erfahren, wie sich das Leben voneinem Moment auf den anderen total verändern

kann. Mir erscheint es so, dass nichts im Lebensicher ist. Ich kann nur in diesem Augenblick leben– denn im nächsten Moment kann schon eine völ-lig andere Lebenssituation eintreten. Heute frageich mich immer weniger, ob mein Leben lebens-wert ist. Es ist einfach nicht meine Entscheidung,über Leben und Tod zu urteilen. Und schon garnicht über den Zeitpunkt. Ich lebe im Moment, unddas ist weder gut noch schlecht. Es ist einfach so.“

Wenn jemand bewusstlos ist, gilt für Ärzte immerAlarmstufe 1. Deshalb rückt sofort der Notarzt aus,wenn eine entsprechende Meldung eingeht. Obkurze Ohnmacht oder tiefes Koma – die Spuren-suche beginnt noch im Rettungswagen.

Normalerweise kann der Arzt seinen Patienten fra-gen, was ihm fehlt und wo es ihm weh tut, wielange er die Beschwerden schon hat und in wel-chen Situationen sie auftreten. Ist der Patient aberbewusstlos, kann er dem Arzt nicht antworten.Dann müssen die Mediziner all ihr Wissen und ihreErfahrung aufbringen, um der Ursache dieser Ohn-macht auf die Spur zu kommen. Dabei ist dieBewusstlosigkeit oder das Koma immer nur Symp-tom einer Krankheit oder eines schweren Unfalls.Und diese Krankheit oder die Unfallfolgen gilt eszu lindern, zu beseitigen, zu heilen – wenn einegenaue Diagnose steht.

Ohnmacht, Bewusstlosigkeit und Koma

Koma ist in erster Linie als Bewusstseinsstörungzu verstehen. Umgekehrt gilt allerdings nicht, dassjede Bewusstseinsstörung als Koma bezeichnetwerden kann: Denn erst ab einer gewissen Schwere

verwendet man den Begriff Koma – der Patientbefindet sich dann in einem Zustand, aus dem ernicht mehr erweckt werden kann. Er reagiertweder auf akustische Reize noch auf Berührungenverschiedener Art. Selbst leichte Schmerzen, diedie Ärzte ihm verursachen, um die Reaktionen desPatienten zu testen, bringen ihn nicht wieder zuBewusstsein.

Ohnmacht, Bewusstlosigkeit und Koma unter-scheiden sich im medizinischen Sprachgebrauchnur graduell: Per Definition ist eine Ohnmacht einekurz andauernde Bewusstlosigkeit, die von einervorübergehenden Mangeldurchblutung im Gehirnausgelöst wird. Die Begriffe Bewusstlosigkeit undKoma werden in der Medizin gleichwertig verwen-det. Beide bezeichnen den lang andauerndenVerlust des Bewusstseins, bei dem der Patientselbst durch intensive Reize nicht zu wecken ist.

Immer ein Notfall

Eine Bewusstlosigkeit gilt für Ärzte immer alslebensbedrohliche Situation. Ihre Ursache mussso schnell wie möglich gefunden werden Deshalbim Zweifelsfall sofort den Notarzt rufen! Bekommtdie Polizei oder Feuerwehr einen Notruf, bei dem

Links:Anama mit Momo im Park – für beide dieschönste Stunde des Tages

Mitte:Koma-Patienten müssen unter ständigerBeobachtung stehen

Rechts:Im Koma nimmt man sich selbst und seineUmwelt nicht bewusst wahr

Zurück ins Leben ...

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Kurze Ohnmacht – oder Koma?eine bewusstlose Person gemeldet wird, mussimmer ein Rettungswagen mit einem Notarzt aus-rücken. Und man darf keine Zeit verlieren. FürStadtgebiete in NRW hat sich die Feuerwehr zumZiel gesetzt, spätestens innerhalb von acht Minu-ten nach Eingang des Notrufs vor Ort zu sein. Inländlichen Räumen braucht der Rettungswa-gen ein wenig länger, soll jedoch in spätestens15 Minuten ankommen. Als erstes müssen dieVitalfunktionen gesichert werden. Das bedeutet:Sind die Atemwege frei, kann der Patient selbstän-dig atmen, ist der Kreislauf stabil?

Was ist passiert?

Im Rettungswagen werden sofort, noch vor derFahrt ins nächste Krankenhaus, die ersten Maß-nahmen und Untersuchungen eingeleitet: War esein Schlag, ein Sturz, ein Unfall? Funktionieren dieReflexe? Sind Vergiftungserscheinungen zu erken-nen? Wer hat etwas beobachtet, liegen Tablettenherum, wie sieht die Zunge aus, kann der Arzt denMundgeruch zuordnen? Gibt es Krampf- oderLähmungserscheinungen, die auf einen Schlagan-fall hinweisen? Mit wenigen Handgriffen kann derSauerstoffgehalt im Blut festgestellt werden. Auch

ein Zuckertest ist schnell gemacht. Denn derZuckerschock beim Diabetiker ist eine der häufig-sten Ursachen für eine Bewusstlosigkeit: Ist einDiabetiker wegen Unterzuckerung ins Koma gefal-len, holt ihn die Injektion einer Zuckerlösungschnell ins Bewusstsein zurück. Sind durch einetiefe Bewusstlosigkeit auch die Schutzreflexe desPatienten ausgefallen, muss er künstlich beatmetwerden. Dazu führt der Notarzt einen Schlauch indie Luftröhre des Patienten ein. Der Schlauch ver-hindert auch, dass eventuell aufsteigender Magen-inhalt eingeatmet wird. Denn in solchen Fällenfehlt auch der Hustenreflex und der Bewusstlosekönnte ersticken.

Die Suche geht weiter

Dann kommt der Patient so schnell wie möglich insKrankenhaus. In der Notfallaufnahme berichtet derNotarzt über seine Erkenntnisse, weitere Unter-suchungen folgen: Blut und Urin gehen sofort insLabor und werden auf Drogen und Alkohol,Vergiftungen und Medikamente untersucht. Hatman an diesem Punkt die Ursache gefunden, kannman auch gleich behandeln und die Giftstoffe ausdem Körper ausschwemmen. Dann gehört der

Eingelieferte zu der großen Gruppe von Patienten,die in der Regel nach zwei Tagen das Krankenhauswieder verlassen können. Ist man nicht fündiggeworden, muss man das Gehirn unter die Lupenehmen. Das geschieht im Computertomografen(CT). Mit dessen Hilfe lassen sich Verletzungenoder Blutungen erkennen. Im Zweifel kommt einNeurochirurg dazu, um weitere Maßnahmen zubesprechen.

Computertomografie

Bei der Computertomografie (CT) werden viele Röntgenaufnahmen

aus unterschiedlichen Richtungen angefertigt. Ein Computer rechnet sie

zu einer dreidimensionalen Darstellung des Körperinneren, in diesem

Fall des Gehirns, zusammen. Die CT ermöglicht eine schnelle Diagnose,

hat aber auch einen Nachteil: eine hohe Strahlenbelastung.

Ein Fall für die Neurologen

Gibt auch die CT-Aufnahme keinen entscheiden-den Hinweis, muss der Patient in die Spezial-abteilung, die Neurologie. Dort gibt es viele weite-re Möglichkeiten zur Untersuchung: Mit Hilfe vonEEG, Reiz-Reaktionsmessungen und speziellenAufnahmen vom Gehirn können die Ausmaße derHirnschädigung bestimmt werden. In den meisten

Fällen ist der Auslöser der Bewusstlosigkeit inner-halb der ersten sechs Stunden gefunden. Abertrotz der großen Fortschritte in der Diagnostik, diedie Medizin gemacht hat – liegt der Patient längerals 6 Monaten unverändert im Wachkoma, fallendie Prognosen der Ärzte meist negativ aus, dasssein Bewusstsein noch einmal zurückkehren wird.Andererseits gibt es auch Hoffnung: In den USA istein Patient nach 19 Jahren aus dem Koma aufge-wacht.

Mehr zu diesem ungewöhnlichen Fall lesen Sie im Text über den

Amerikaner Terry Wallis: 19 Jahre im Koma – der Fall Terry Wallis.

Links:Innerhalb von acht Minuten ist derRettungswagen da

Mitte:Spurensuche per Computertomograf: Wie sieht es im Gehirn aus?

Rechts:Ein EEG misst Hirnströme. An den Kurven hoffendie Ärzte zu erkennen, welche Schädigung vor-liegt. Das gelingt nicht immer

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Augen sind durchgehend geschlossen, es bestehtkein Schlaf-Wach-Rhythmus. Dieser Zustand hältin der Regel ein paar Tage oder höchstens einigeWochen an. Patienten, die nicht wieder aufwa-chen, können ins Wachkoma oder in den mini-malen Bewusstseinszustand geraten; beides kannJahre andauern. Ein Koma kann verschiedene Ur-sachen haben. Zu den wichtigsten zählen Schlag-anfälle (durch Gefäßverschlüsse oder Hirnblu-tungen), ein schweres Schädel-Hirn-Trauma etwadurch einen Schlag oder Sturz, sowie Stoffwech-selstörungen (Unter- bzw. Überzuckerung) undVergiftungen, etwa durch Medikamente, Drogenund Alkohol.

Künstliches Koma

Beim künstlichen Koma handelt es sich um eineLangzeitnarkose: Medikamente erzeugen einekünstliche Bewusstlosigkeit. Der Patient wirdkünstlich beatmet, alle wichtigen Körperfunktio-nen wie Herzfrequenz und Blutdruck werden über-wacht – ein von Ärzten kontrollierter Zustand.Manche Kranke werden für längere Zeit in eine

Koma, Hirntod, Ohnmacht – was ist der Unter-schied? Hier finden Sie Definitionen zu den wich-tigsten Begriffen.

Hirntod

Man spricht vom Hirntod, wenn das gesamteGehirn unumkehrbar ausgefallen ist. Die Patientenkönnen dann nicht selbstständig atmen. SichereZeichen des Hirntodes sind das Aussetzen jeg-licher Reflexe, zum Beispiel der bleibende Ausfalldes Schluck- oder Würgereflexes. WiederholteEEG-Messungen, bei denen sich keine Hirnströmemehr zeigen und Aufnahmen, die belegen, dasskeine Hirndurchblutung mehr stattfindet, könnendiese Diagnose sichern.

Koma

Koma (griech. tiefer Schlaf) wird als die schwersteForm der Bewusstseinsstörung beschrieben. DieBewusstlosigkeit ist so tief, dass Menschen selbstbei starken Schmerzreizen nicht aufwachen. Die

Minimally Conscious State (MCS) – minimalerBewusstseinszustand

Der minimale Bewusstseinszustand ist charakteri-siert durch Verhalten, das auf die bewussteWahrnehmung der eigenen Person und derUmwelt schließen lässt. Doch diese Reaktionenauf die Umwelt treten nicht konstant, sondern nurab und zu auf. Menschen in diesem Stadium kön-nen akustische und optische Reize in Teilen wahr-nehmen und darauf reagieren. Selbst Gefühlsre-gungen sind gelegentlich möglich. Hirn-Scans zei-gen, dass die Gehirnaktivität von MCS-Patientenzwischen der von Wachkoma-Patienten undGesunden liegt.

Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit

Ein vorübergehender Sauerstoffmangel im Gehirnkann eine Ohnmacht auslösen. Ursachen dafürkönnen zum Beispiel niedriger Blutdruck oderHerzrhythmusstörungen sein. Dann gelangt nichtmehr genügend Blut ins Gehirn. Eine solcheOhnmacht ist in der Regel kurz, die Betroffenen

solche Narkose versetzt, um ihnen Schmerzen zunehmen oder dem Körper eine Chance zur Gene-sung zu geben. Diese Dauernarkose wird gewöhn-lich auch nach schweren Unfällen oder bei lebens-bedrohlichen Erkrankungen eingesetzt, um denOrganismus zu entlasten. Wenn die Ärzte dieNarkosemittel absetzen, wachen die Patientenwieder auf.

Locked-in-Syndrom

Menschen in diesem Zustand sind bei vollem Be-wusstsein. Sie stecken jedoch in einem gelähmtenKörper – sie sind eingeschlossen (engl. locked-in). Meistens können sie nur blinzeln und dieAugäpfel bewegen, andere Bewegungen oderReaktionen auf die Umwelt sind nicht möglich.Über die Augen ist manchmal eine Kommunikationmöglich. Häufigste Ursache für das Locked-in-Syndrom ist ein so genannter Stammhirninfarkt,der Strukturen zerstört, die normalerweise dieVerbindung zwischen Großhirn und Rückenmarkherstellen.

Koma-GLOSSARKoma-GLOSSAR

Terry Wallis vor seinem Unfall

Nach 19 Jahren ist der Amerikaner Terry Wallis ausdem Koma aufgewacht. Dass sich sein Hirn nachso langer Zeit regenieren konnte, ist bisher einma-lig – ein medizinisches Wunder.

Die erstaunliche Fallgeschichte beginnt 1984 inArkansas, tief im ländlichen Süden der USA. TerryWallis ist 19 Jahre alt, ein junger Automechaniker,der vor kurzem Vater einer Tochter geworden ist.Mit zwei Freunden ist Terry auf einer Spritztour inseinem Transporter unterwegs. Auf einer Brückekommt der Wagen von der Straße ab und stürzt inein Flussbett. Einer der Freunde ist sofort tot, derandere überlebt unverletzt. Terry ist bewusstlos,er kommt ins Krankenhaus. Der Aufprall war soheftig, dass die Verbindung zwischen den beidenHälften seines Kleinhirns gerissen ist. Wochenlangliegt der junge Mann im tiefen Koma. Schließlichverändert sich sein Zustand: Der Patient scheintmanchmal fast aufzuwachen, seine Gehirnwellenfolgen einem Schlaf-wach-Rhythmus, er zeigtmanchmal Reaktionen auf die Umwelt, schmatzt,grunzt. Doch noch immer ist er fast völlig gelähmt.Die Ärzte diagnostizieren ein Wachkoma – undwissen nicht, ob er je wieder voll zu Bewusstseinkommen wird.

Wachkoma

Das Wachkoma ist eine Form des Komas, in dem der Patient gewisse

Reflexe und unwillkürliche Bewegungen zeigt, aber nicht bei

Bewusstsein ist. Mehr unter dem Stichwort im Glossar (S. 12)

Rückkehr aus dem Schattenreich

Jahrelang liegt Terry Wallis so im Krankenhaus,sein Zustand bessert sich nicht. Doch seineFamilie gibt ihn nicht auf: So oft es geht, holt sieTerry an den Wochenende nach Hause. Manchmalscheint er zu reagieren, wenn er angesprochenwird. Einen sichtbaren Fortschritt gibt es fastzwanzig Jahre lang nicht – bis zu einem Morgen imJuni 2003. Terrys Mutter besucht ihn wie fast jedenTag im Pflegeheim. Die Pflegerin spricht Terry an,wie sie es immer tut, und fragt, wer ihn da wohlbesuchen komme. Und diesmal antwortet Terry:Mama. Pflegerin und Mutter sind fassungslos: Erist ansprechbar, er versteht, was man ihm sagt, erkann antworten und den Kopf bewegen. SeinBewusstsein ist schlagartig zurückgekehrt. Rück-blickend werden die Ärzte sagen, dass er dieganze Zeit über in einem minimalen Bewusstseins-

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wachen nach wenigen Sekunden oder Minutenwieder auf. Bei jeder Bewusstlosigkeit sollte manaber den Arzt rufen und die Ursache prüfen lassen!

Schlaf

Auch der Schlaf ist ein Zustand vermindertenBewusstseins. Wichtige Körperfunktionen wiePuls, Atemfrequenz und Blutdruck sinken ab. DasGehirn ist weiterhin aktiv, aber anders als imWachzustand: Die Hirnwellen verändern sich undfolgen einem charakteristischen Schlafmuster.Dabei durchläuft das Gehirn Phasen unterschiedli-cher Schlaftiefe. Im Gegensatz zum Bewusstlosenoder Betäubten lässt sich der Schlafende jederzeitaufwecken.

Wachkoma

Das Wachkoma ist eine schwere Hirnschädigung,bei der man davon ausgeht, dass die Funktion desGroßhirns erloschen ist. Daher wird das Wach-koma auch als apallisches Syndrom (ohneHirnrinde) oder als vegetativer Zustand bezeich-

net. Menschen im Wachkoma haben die Augengeöffnet, sie verfügen über einen Schlaf-wach-Rhythmus. Sie greifen, lächeln, weinen, könnenkauen und schmatzen. Mit willentlichen Handlun-gen haben diese Regungen aber nichts gemein –es sind eher Reflexe oder unkontrollierte Bewe-gungen. Noch gehört das Wachkoma zu den amwenigsten verstandenen medizinischen Phänome-nen. Menschen können viele Jahre in diesemZustand bleiben. Allerdings kann das Wachkomaunter ganz bestimmten Umständen auch alsDurchgangsstadium auf dem Weg der Besserungbetrachtet werden. Die Grenze zwischen Wach-koma und minimalem Bewusstseinszustand istdann fließend.

19 Jahre im Koma19 Jahre im Koma – der Fall Terry WallisSpektakuläre Selbstheilung des Gehirns

19 Jahre im KomaSelbstheilung des Gehirns?

Was die Wissenschaftler dabei entdecken, ist sen-sationell: In Terrys Hirn haben sich zwischen derersten und der zweiten Untersuchung neueNervenverbindungen entwickelt. Die Forscherglauben, dass sich möglicherweise Hirnareale wie-der vernetzt haben, die intakt geblieben waren:Durch die neuen Nervenfasern konnten sie erstwieder miteinander kommunizieren. Möglich istalso, dass sich Terrys Gehirn selbst geheilt hat unddass sein Bewusstsein und seine Sprache wiederkamen, als die abgerissenen Verbindungen wiederhergestellt waren. Bisher kannte man so etwas nuraus Tierversuchen. Doch es ist die einzige Hypo-these, die erklären kann, dass Terry Wallis nach19 Jahren schlagartig wieder zu Bewusstsein kam.Ob es tatsächlich so war, wird allerdings Speku-lation bleiben, denn Aufnahmen von Terrys Gehirnaus der Zeit vor seinem Unfall und den langenJahren im Koma gibt es nicht – erst mit den moder-nen Verfahren war es möglich, das Hirn so genauzu durchleuchten. Was vor 2003 passiert ist, wirdman nie erfahren. Trotzdem schreibt der FallWissenschaftsgeschichte, denn er bildet die großeAusnahme unter vielen Patienten, die aufgegeben

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wurden. Die Geschichte von Terry Wallis zeigt:Auch nach 20 Jahren kann unter ganz bestimmtenVoraussetzungen im Gehirn noch ein Wunder pas-sieren.

Kernspin

Die Kernspin-Untersuchung oder Magnetresonanztomografie (MRT)

ist ein modernes medizinisches Verfahren, mit dem Bilder vom Inneren

des Körpers hergestellt werden können. Dabei kommt der Patient in ein

starkes, gleichmäßiges Magnetfeld – die berühmte Röhre, in die man

geschoben wird. Das Verfahren basiert auf der Rotation (engl. spin) von

Wasserstoffatomen im Körper. MRT bildet die Weichteile ab, nicht aber

Knochen wie etwa ein Röntgenbild. Kernspin-Untersuchungen kommen

daher vor allem in der Hirnforschung zum Einsatz. Im Gegensatz zum

Röntgen belasten sie den Patienten nicht mit Strahlung. Eine

Weiterentwicklung ist die funktionelle Magnetresonanztomographie

(fMRT). Sie bildet keine Hirnstrukturen, sondern Stoffwechselvorgäne

im Gehirn ab: So kann man erkennen, welche Areale des Gehirns aktiv

sind, wenn der Proband oder Patient an etwas Bestimmtes denkt.

Eine andere Weiterentwicklung ist das sogenannte Diffusion Tensor

Imaging (DTI), mit dem Terry Wallis untersucht wurde. Damit ist es

möglich, die Ausbreitungseigenschaften von Wassermolekülen im

Hirngewebe zu messen und so den Verlauf von Nervenfasern zu verfol-

gen. Innerhalb einer Nervenfaser bewegen sich die Wassermoleküle

nämlich in einer bestimmten Richtung, während sie sich im umliegen-

den Hirngewebe nach allen Seiten frei ausbreiten können. Dieser

Unterschied schlägt sich in unterschiedlichen magnetischen Signalen

nieder, die die Moleküle aussenden.

Links:19 Jahre lang kam kaum eine Reaktion

Mitte:Drei Tage nachdem er aufgewacht ist, kann Terry Walliswieder ganze Sätze sprechen

Rechts:Haben neue Nervenfaser-Verbindungen dazu geführt,dass Terry das Bewusstsein wieder erlangt hat? Ganzgenau werden es die Wissenschaftler nie erfahren

zustand war, nicht im Wachkoma. (Mehr zum Komamit Resten von Bewusstsein, dem MinimallyConscious State MCS, erfahren Sie im Glossar.)

Für immer in den 80er Jahren

Jetzt wollen die Ärzte genau wissen, wie es umTerrys Gehirn steht. In den Sprachtests können siekeine Anzeichen von Beeinträchtigung finden:Terry benennt Gegenstände korrekt und befolgtAnweisungen richtig. Doch sein Gedächtnis istschwer in Mitleidenschaft gezogen: Er kann keineneuen Informationen speichern, seine Erinnerungist auf dem Stand von 1984 stehen geblieben.Wenn man ihn nach seinem Alter fragt, sagt er „19“– wie zur Zeit seines Unfalls und glaubt, RonaldReagan sei noch Präsident. Der Neurowissen-schaftler Nicholas Schiff von der New YorkerCornell Universität untersucht Terry mit neuenMethoden der Hirnforschung. Mit einer Weiterent-wicklung der Kernspin-Tomografie, dem DiffusionTensor Imaging (DTI) können Nervenfaser-Verbindungen in Terrys Kopf sichtbar gemachtwerden. Nach 18 Monaten wiederholt der Forscherdie Untersuchung.

Rätsel Wachkoma

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Mario ist nach Autounfall im Wachkoma

Immer wieder trifft Laureys auf Wachkoma-Patienten, bei denen es Anzeichen für Bewusst-sein gibt. Einer von ihnen ist Mario B. Vor sechsJahren hatte er einen schweren Autounfall –Diagnose: Wachkoma. Er ist am ganzen Körpergelähmt, nur noch die Augen kann Mario selbst-ständig bewegen. Seine Pfleger behaupten, dasser in jüngster Zeit stärker auf sie und seine Um-gebung reagiere. Und Marios Arzt im Krankenhausberichtet, dass der 36-jährige Familienvater weint,wenn er Videos seiner beiden Kinder sieht –Tränen laufen aus seinen Augen, obwohl seinKörper sich sonst nicht regt. Alles Einbildung oderempfindet Mario diese Gefühle? Ist Mario tatsäch-lich bei Bewusstsein? Für Forscher Laureys stelltdiese Frage eine große Herausforderung dar:„Mario zeigt die typische Haltung eines stark hirn-geschädigten Menschen mit einer schwerenSpastik in beiden Armen und Beinen. Man hat aberden Eindruck, dass er einem in die Augen schautund einen fixiert, was normalerweise ein Zeichenfür mehr Bewusstsein ist.“

Eine Hirnhälfte funktioniert

Zum ersten Mal wird bei Mario eine PET-Unter–suchung gemacht. Sie soll klären, was in MariosKopf noch intakt ist. Die Scanner-Aufnahmen zei-gen tatsächlich, dass seine rechte Hirnhälfte fastvöllig funktionsfähig ist. Die linke Hälfte ist dage-gen stark geschädigt. „Jetzt wissen wir, warum ernicht sprechen kann, denn das Sprachzentrumliegt im geschädigten linken Teil des Gehirns.Durch die PET-Untersuchung wissen wir jetzt auch,dass er Schmerzen fühlen kann, auch wenn erkeine Möglichkeit hat, uns das mitzuteilen“, sagtLaureys.

Mario ist bei minimalem Bewusstsein

Die Vermutung seiner Pfleger hat sich durch diePET-Untersuchung bestätigt – Mario ist tatsächlichstärker bei Bewusstsein als bisher angenommen:„Er hat zwar schwere Schädigungen, aber es gibtauch Areale, in denen seine Hirnaktivität fast nor-mal ist.“ Laureys ist jetzt sicher, dass Mario imMinimal Conscious State (MCS) ist, im Minimalen

Wie viel nimmt ein Mensch wahr, der im Koma liegtund sich nicht mitteilen kann? „Das herauszufin-den ist die Schwierigkeit, mit der wir konfrontiertsind. Es bleibt immer ein Zweifel: Was ist, wenn esda noch etwas mehr gibt? Etwas, was mir ent-geht?“ sagt der Neurowissenschaftler StevenLaureys. Er kennt das Problem sehr gut – geradebei Wachkoma-Patienten ist jede Diagnose eineGratwanderung: Es gibt keine Sicherheit, wie eineklare Diagnose sie bieten soll. Denn vieleUntersuchungsmethoden sind unzulänglich.Laureys Studien an der belgischen UniversitätLüttich haben Dramatisches ergeben: Ein Drittelaller Diagnosen bei Patienten im Wachkoma istvermutlich falsch.

Rätsel Wachkoma: Spuren von Bewusstsein?

Das Wachkoma, auch als apallisches Syndromoder vegetativer Zustand bezeichnet, gehört zuden noch am wenigsten verstandenen medizini-schen Phänomenen. Patienten in diesem Zustandhaben die Augen zwar geöffnet, können scheinbaraber nichts wahrnehmen. Ob und wie sehr ein

Mensch im Wachkoma bei Bewusstsein ist, ver-sucht Neurowissenschaftler Steven Laureys mitbildgebenden Verfahren darzustellen. Diesemodernen Untersuchungsmethoden wurden etwaseit den 1990er Jahren entwickelt und könnenStrukturen und Stoffwechselvorgänge im Gehirnsichtbar machen. Laureys hat sich auf die Posi-tronen-Emmissions-Tomografie (PET) spezialisiert.Damit lassen sich aktive Regionen im Inneren desGehirns zeigen – welche Hirnareale aktiv sind undwelche miteinander kommunizieren. Die PET lie-fert dadurch genauere Ergebnisse über denZustand eines Koma-Patienten als bisher unddamit wichtige Hinweise für die weitere Therapie.

Positronen-Emissions-Tomografie (PET)

Die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) ist ein bildgebendes

Verfahren zur Darstellung von Aktivität im Körper. Die Methode

beruht auf der Verteilung einer radioaktiv markierten Substanz im

Organismus. Sie zeigt aktive Regionen im Körper an. Angewendet wird

PET zum Nachweis von Stoffwechselstörungen des Herzens und des

Gehirns sowie in der Tumordiagnostik.

Links:Steven Laureys möchte erreichen, dassWachkoma-Patienten gezielter behandelt werden

Mitte:PET-Scanner-Aufnahmen eines Gehirns: Zeichen von Bewusstsein?

Rechts:Patient Mario in der PET-Untersuchung

Rätsel Wachkoma – Gibt es Spuren von Bewusstsein?

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PatientenverfügungRätsel WachkomaBewusstseinszustand. MCS-Patienten sind demWachzustand näher als dem Koma. Sie reagierengelegentlich klar auf die Umwelt, können teilweisehören und sehen und reagieren auf Erzählungenund Anweisungen.

Neue Diagnose – ungewisse Zukunft

Ein Zustand, der hoffen lässt. Die neue Diagnosehilft den Ärzten, Marios Behandlung zu planen.Und auch für die Pflegekräfte ist es motivierend,zu wissen, dass Mario sie vermutlich versteht,wenn sie mit ihm sprechen. Ob er wieder ganzgesund werden kann, kann Steven Laureys abernicht sagen, nicht einmal die generelle Entwick-lung möchte er abschätzen – dafür weiß man nochzu wenig über MCS-Patienten. Jeder Fall verläuftanders. Sechs Jahre nach seinem schwerenAutounfall ist für Mario jedenfalls ein StückBewusstsein zurückgekehrt. Ein wichtiger Schritt –und vielleicht nicht der letzte.

Links:PET-Scanner-Aufnahmen eines Gehirns: Zeichen von Bewusstsein?

Mitte:Es gibt Hoffnung – denn Mario reagiert auf seine Umwelt

Patientenverfügung – wie geht das?

Hier haben wir die wichtigsten Fragen und Antwor-ten rund um das Thema Patientenverfügungzusammengestellt: Informationen zur rechtlichenLage, dazu, ob Patientenverfügungen etwas mitSterbehilfe zu tun haben, oder ob Sie Ihre Patien-tenverfügung beim Notar eintragen lassen müs-sen, und viele weitere Hinweise, damit Ihr Wille imErnstfall auch geachtet wird.

Gut informiert zu sein lohnt sich – denn obwohl dieaktuelle Rechtsprechung eindeutig ist, kommt esam Krankenbett häufig zu Unsicherheit darüber, oblebenserhaltende Maßnahmen eingestellt werdendürfen oder nicht: 60 Prozent der Ärzte und unge-fähr 30 Prozent der Vormundschaftsrichter schät-zen die rechtliche Lage falsch ein, wie Umfragen inden Jahren 2000 und 2003 ergeben haben.

Rechtliche Fragen

Was ist eine Patientenverfügung?

Eine Patientenverfügung soll Richtlinien für Situa-tionen festlegen, in denen ein Patient nicht mehrdazu in der Lage ist, in medizinische Behandlun-

gen einzuwilligen oder diese abzulehnen. Diesbetrifft insbesondere Maßnahmen wie maschinel-le Beatmung, künstliche Ernährung oder Wieder-belebung.

Ist der Umgang mit Patientenverfügungen gesetz-lich geregelt?

Verbindlichkeit und Anerkennung der Patienten-verfügung richten sich nach der aktuellen Rechts-prechung. Die Rechtslage dazu ist eindeutig(Stand August 2007) und basiert auf Urteilen desBundesgerichtshofs aus den Jahren 1994 und2003. Diese Urteile haben bestätigt, dass einePatientenverfügung verbindlich ist und von denÄrzten beachtet werden muss (mehr dazu bei derFrage: Wie verbindlich ist eine Patientenver-fügung?).

Trotzdem ist der Umgang mit Patientenverfügun-gen bislang noch nicht durch ein eigenes Gesetzgeregelt. Der Bundestag debattiert über eine ge-setzliche Regelung und möchte bis Ende 2009 einGesetz zur Verbindlichkeit von Patientenverfügun-gen verabschieden.

Patientenverfügung – Wie geht das?

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vorliegende Situation anwendbar ist. Dann musstrotzdem über das weitere ärztliche Vorgehenberaten und entschieden werden.

Deshalb ist es ratsam, gleichzeitig mit der Pati-entenverfügung eine Vorsorgevollmacht zu ver-fassen. Darin können Sie eine oder mehrerePersonen des Vertrauens nennen, die im Notfallan Ihrer Stelle entscheiden. Die Bevollmächtigtensind außerdem dazu verpflichtet, dem in derPatientenverfügung verfassten Willen Geltung zuverschaffen. Liegt keine Vorsorgevollmacht vor,tritt bei Konfliktfällen der Staat in Aktion: DasVormundschaftsgericht benennt einen Betreuer.Und zwar auch dann, wenn eine Patientenverfü-gung, aber keine Vorsorgevollmacht vorliegt.Liegt aber eine Vorsorgevollmacht vor, so hat dasGericht nicht das Recht dazu, einen Betreuer zubestimmen.

Was ist eine Vorsorgevollmacht?

Wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischenErkrankung oder einer geistigen, körperlichenoder seelischen Behinderung nicht mehr selbstentscheiden kann, bestimmt das Vormundschafts-gericht einen rechtlichen Betreuer. Selbst derPartner oder Angehörige sind nicht dazu berech-

tigt, verbindliche Entscheidungen für den anderenzu treffen, wenn das nicht vorher von dem Betrof-fenen bestimmt wurde.

Um eine solche Vertrauensperson zu ernennen,muss man also eine Vorsorgevollmacht ausstel-len. Darin können Sie eine Person oder mehrerePersonen zu Ihren Vertretern erklären. Wenn einBevollmächtigter benannt ist, kann das Gerichtniemand anderen als Betreuer bestimmen. EinVorsorge-Bevollmächtigter muss Ihrem Willen,den Sie in einer Patientenverfügung formulierthaben, Geltung verschaffen.

Der Bevollmächtigte ist in seinen Entscheidungenrechtlich an diese Patientenverfügung gebunden.Über medizinische Fragen hinaus kann die Vorsor-gevollmacht noch viel weiter gehen und die Ver-waltung von Vermögen oder die Verfügung überEigentum umfassen. In diesen Fällen sollte mandie Vorsorgevollmacht für die Vertrauenspersonsicherheitshalber vom Notar beglaubigen lassen.

Reicht eine Generalvollmacht?

Um dem Willen, der in einer Patientenvollmachtausgedrückt wurde, Geltung zu verschaffen, reichteine Generalvollmacht für eine Vertrauensperson

PatientenverfügungWie verbindlich ist eine Patientenverfügung?

Die Rechtsprechung im Jahr 2007 besagt, dasseine Patientenverfügung verbindlich ist: Sie mussbeachtet werden, wenn man mit ihrer Hilfe eindeu-tig feststellen kann, welche ärztliche Behandlungder Patient gewünscht hätte. Selbst lebenserhal-tende oder -verlängernde Maßnahmen müsseneingestellt werden, wenn dies dem zuvor geäußer-ten Willen des Patienten entspricht, so der Bun-desgerichtshof am 17.3.2003.

Das sehen auch die Grundsätze der Bundesärzte-kammer vor. In ihren Richtlinien zur ärztlichenSterbebegleitung heißt es: „Die in einer Patienten-verfügung zum Ausdruck gebrachte Ablehnungeiner Behandlung [ist] für den Arzt bindend, soferndie konkrete Situation derjenigen entspricht, dieder Patient in der Verfügung beschrieben hat, undkeine Anhaltspunkte für eine nachträglicheWillensänderung erkennbar sind“. (zitiert nach derFassung von 2004, gültig im Jahr 2007)

Wie lange gilt eine Patientenverfügung?

Da man mit Hilfe der Patientenverfügung den aktu-ellen Willen des bewusstlosen Patienten ermittelnmöchte, ist es problematisch, wenn die Patienten-

verfügung sehr alt ist. Liegt zum Beispiel ein70-jähriger im Koma, denkt er vermutlich über dieThemen Sterben und Krankheit anders als im Altervon 30 Jahren. Hat er aber seine Patientenverfü-gung schon als 30jähriger verfasst, könntenZweifel über seinen aktuellen Willen auftreten.Deshalb sollte man eine Patientenverfügung alleein bis zwei Jahre durch kurze Zusätze oder erneu-te Unterschrift, etwa mit dem Hinweis „Das istimmer noch mein Wille! ... Datum ... Unterschrift“bekräftigen.

Wer entscheidet für mich, wenn ich bewusstlos bin?

Nach deutscher Gesetzeslage hat niemand auto-matisch das Recht, für jemand anderen rechtsver-bindliche Erklärungen und Entscheidungen zutreffen. Weder Ehegatte, Lebenspartner, Elternoder Kinder können für den Angehörigen ent-scheiden, wenn dieser entscheidungsunfähig ist.Dies dürfen lediglich Eltern für ihre minderjähri-gen Kinder.

Mit einer Patientenverfügung können Sie zwarregeln, welche ärztlichen Maßnahmen getroffenwerden sollen, wenn Sie selbst nicht mehr entschei-den können. Aber es kommt durchaus vor, dassdie Patientenverfügung nicht eindeutig auf die

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nicht aus. Zwar kann man eine Generalvollmachterteilen, die zur Vertretung in allen Angelegenhei-ten ermächtigt. Trotzdem deckt diese einige wich-tige Bereiche nicht ab.

Möchte man zum Beispiel, dass der Bevollmäch-tigte für einen selbst

• in eine ärztliche Untersuchung einwilligen kann

• einer Heilbehandlung oder einem medizini-schen Eingriff zustimmen kann, auch wenn Le- bensgefahr besteht oder ein schwerer, längerandauernder Gesundheitsschaden zu erwar-

ten ist, zum Beispiel im Falle einer Operation

• einwilligen kann, lebensverlängernde Maß-nahmen zu unterlassen oder beenden,

dann müssen diese Bereiche in einer Vollmachtklar benannt werden.

Was geschieht, wenn keine schriftliche Patienten-verfügung vorliegt?

Jede ärztliche Handlung richtet sich nach demärztlich sinnvoll Gebotenen und dem Willen desPatienten. Ist der Patient bewusstlos, so muss

versucht werden, dessen Willen zu ermitteln.Auch eine mündliche Patientenverfügung gilt:Wenn also ein Patient vor seiner Bewusstlosig-keit seinem Partner, seinen Angehörigen oderFreunden erklärt hat, welche medizinischenBehandlungen er in bestimmten Situationenwünscht oder nicht mehr wünscht, dann mussdies berücksichtigt werden. Hierfür reicht es aus,wenn man seinen Willen in einem Gespräch ge-äußert hat. Eine offiziell abgegebene Erklärungist nicht notwendig. Aber praktisch gilt natürlich:Je klarer formuliert, desto einfacher ist es hinter-her für die Angehörigen. Die mündliche Patien-tenverfügung ist genauso verbindlich wie eineschriftliche.

Wenn der Patient nie mit seinen Angehörigendarüber gesprochen hat, was er im bewusstlo-sen Zustand möchte, gilt der mutmaßliche Wille.Dieser wird durch Befragen von Zeugen ermit-telt; in der Regel sind dies Ehepartner, Verwand-te und Freunde. Man versucht herauszufinden,was der Patient wollen würde, wenn er es selbstsagen könnte. Auch der mutmaßliche Wille istbindend. Dies hat der Bundesgerichtshof 1994 inder sogenannten Kemptener Entscheidung klarformuliert.

Was geschieht in Konfliktfällen?

Wenn sich Arzt und Angehöriger, Bevollmäch-tigter oder Betreuer nicht über eine ärztlicheBehandlung, über Aufnahme oder Abbruch vonlebensverlängernden Maßnahmen einigen kön-nen, soll das Vormundschaftsgericht eingeschal-tet werden. Können sich die beiden Parteien aufeine ärztliche Behandlung einigen, oder darauf,eine lebenserhaltende Maßnahme zu beenden,braucht man keine Genehmigung durch denAmtsrichter.

Wenn ein Arzt lebenserhaltende Maßnahmen ausGewissensgründen nicht einstellen möchte, sokann und muss man ihn natürlich nicht dazu zwin-gen. Der Angehörige oder Bevollmächtigte hatjederzeit die Möglichkeit, Arzt oder Pflegeheim zuwechseln.

Wie kann mein in einer Patientenverfügung erklär-ter Wille durchgesetzt werden?

Wenn Sie noch bei Bewusstsein sind, dann könnenSie natürlich selbst Ihrem Willen Ausdruck ver-leihen. Der erklärte Wille ist bindend, auch wenner aus ärztlicher Sicht nicht dem Wohle desPatienten entspricht.

Ist der Patient nicht mehr bei Bewusstsein und hater eine Patientenverfügung erstellt, dann ist diesebindend. Ratsam ist es, mit der Patientenverfü-gung auch eine Vorsorgevollmacht zu verfassenund damit einen rechtlichen Vertreter zu bestim-men.

Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom17.3.2003 sind die Vertreter eines Patienten dazuverpflichtet, dem behandelnden Arzt und den Pfle-genden den Willen des Patienten mitzuteilen.Außerdem müssen sie dafür sorgen, dass diesemWillen auch Geltung verschafft wird.

Rechtliche Fragen zur Sterbehilfe

Was hat eine Patientenverfügung mit Sterbehilfezu tun?

In einer Patientenverfügung kann man unter ande-rem festlegen, dass man lebenserhaltende Maß-nahmen in bestimmten Situationen nicht oder nichtmehr wünscht: die künstliche Beatmung etwa,eine künstliche Ernährung oder Wiederbelebung.

Natürlich ist das eine Art der Sterbehilfe – und sieist erlaubt: Es handelt sich um die legale, passiveSterbehilfe. Viele betrachten die passive Sterbe-

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hilfe in solchen Situationen als menschenwür-diges Sterben – als einen natürlichen Tod ohnekünstliche Verlängerung der Lebens- oderLeidenszeit durch Apparate und Medikamente.

In den anderen Punkten zur Sterbehilfe findenSie Definitionen der verschiedenen Arten vonaktiver und passiver Sterbehilfe sowie der recht-lichen Situation. Eine genaue Begriffsklärung istwichtig!

Was ist aktive Sterbehilfe?

Aktiv ist eine Sterbehilfe dann, wenn der Patientvon Menschenhand stirbt. Man unterscheidet dreiArten von Sterbehilfe: die indirekte aktive Sterbe-hilfe, die direkte aktive Sterbehilfe und dieBeihilfe zur Selbsttötung eines Patienten.

Von der indirekten aktiven Sterbehilfe spricht man,wenn die Medikamente, die ein Arzt zur Schmerz-linderung verschreibt, lebensverkürzend wirken.Eigentlich will der Arzt die Schmerzen bekämpfenoder den Patienten ruhig stellen. Die lebensver-kürzende Wirkung der Medikamente nimmt er bil-ligend in Kauf. Entscheidend ist die Willensrich-tung des Arztes. Hatte der Arzt vor, Schmerzen zulindern, dann handelt es sich um legale indirekte

aktive Sterbehilfe. Hatte er aber den Vorsatz, denPatienten aus Mitleid mit einer Dosis Morphium zutöten, dann handelt es sich um verbotene aktiveSterbehilfe. Die direkte aktive Sterbehilfe ist dieTötung eines Patienten durch aktives Tun: Das istetwa bei sogenannten Todesspritzen oder derGabe einer Überdosis Morphium der Fall. Dabeimacht es keinen Unterschied, ob man aus eigenemWillen oder auf Verlangen des Patienten gehandelthat. Die aktive Tötung eines Patienten ist in Deutsch-land nach §§ 212 oder 216 Strafgesetzbuch aus-drücklich verboten. In Belgien und den Nie-derlanden ist die direkte aktive Sterbehilfe unterbestimmten rechtlichen Voraussetzungen straffrei.

Die Beihilfe zum Suizid ist straflos. Bei der Beihilfezum Suizid hilft man dem Patienten bei den Vorbe-reitungen zum Selbstmord, führt aber die letzteHandlung nicht selbst aus. Die Handlung, diedirekt zum Tod führt, vollbringt der Selbstmörderselbst. Ärzten ist durch ihre Berufsgrundsätze dieBeihilfe zum Suizid verboten. Anzumerken ist,dass eine gute Palliativmedizin sowohl die indirek-te Sterbehilfe als auch die Beihilfe zum Suizid desPatienten überflüssig macht.

Diese Definitionen folgen dem Buch von WolfgangPutz und Beate Steldinger: Patientenrechte amEnde des Lebens.

Was ist passive Sterbehilfe?

Passiv ist Sterbehilfe dann, wenn man zulässt,dass der Tod eines Patienten aufgrund seineralters- oder krankheitsbedingten Konstitutioneintritt. Die passive Sterbehilfe ist rechtlicherlaubt.

Es gibt zwei Arten der passiven Sterbehilfe: dieSterbebegleitung und das Zulassen des Sterbe-vorgangs

Bei der Sterbebegleitung gibt man dem Sterben-den Beistand. Man kümmert sich seelsorgerischum ihn, bietet ihm eine würdige und vertrauteUmgebung und einfühlsame Betreuung. ZurSterbebegleitung gehört die Symptomkontrolle,eine wirksame Schmerztherapie oder eine Ruhig-stellung des Patienten. Die Gabe von Medikamen-ten hat ausschließlich schmerz-mindernde Wir-kung und verkürzt in keinster Weise die Lebens-dauer.

Beim Zulassen des Sterbevorgangs unterlässt manlebens- oder leidensverlängernde Maßnahmenoder beendet sie. 1994 formulierte der Bundes-gerichtshof, dass es rechtlich keinen Unterschiedmacht, ob man eine lebenserhaltende Maßnahmegar nicht erst beginnt oder eine laufende Maßnah-

me abbricht. Dabei macht es keinen Unterschied,ob man eine Beatmungsmaschine abschaltet oderdie Ernährung über die Magensonde beendet.Beim Zulassen des Sterbevorgangs „tötet mannicht (auf Verlangen), sondern leistet Beistand imSterben“, wie das Landgericht Ravensburg bereits1986 formulierte.

Diese Definitionen folgen dem Buch von WolfgangPutz und Beate Steldinger: Patientenrechte amEnde des Lebens.

Praktische Fragen

Was muss ich beim Verfassen der Patientenver-fügung beachten?

Die Patientenverfügung sollte nicht nur allge-mein gehaltene Formulierungen enthalten. EinFormulierung wie: Ich möchte in Würde sterben,wenn ein erträgliches Leben nicht mehr möglicherscheint, ist zu schwammig. Diese Aussage gäbein konkreten Situationen keine Orientierungs-hilfe.

Vielmehr sollte festgelegt werden, unter welchenkonkreten Bedingungen eine Behandlung nichtbegonnen oder nicht fortgesetzt werden darf. Am

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besten formulieren Sie Ihre Patientenverfügungnicht selbst. Das kann leicht zu mehrdeutigenAussagen und Unklarheiten führen.

Es gibt Vordrucke, die man verwenden kann und diedem neuesten rechtlichen und medizinischenStand entsprechen. Dem Vordruck sollten Sie eineeingehende Darlegung Ihrer Wertvorstellungen,Ihrer Vorstellungen zu Krankheit, Leben und Todanfügen. Dies gibt Ärzten und Bevollmächtigtenwichtige Anhaltspunkte, wenn eine Situation ein-tritt, die nicht eindeutig in der Patientenverfügungbeschrieben ist.

Es ist empfehlenswert, Ihre Patientenverfügungmit einem Arzt Ihres Vertrauens zu besprechen.Wenn Sie den Vordruck alleine ausfüllen, solltenSie sich eingehend mit den medizinischen Erläu-terungen befassen. Am besten streichen Sienichts und fügen auch nichts selbst hinzu. Daskann leicht zu Unklarheiten und missverständli-chen Formulierungen führen.

Unter www.quarks.de finden Sie Informationen zuInternetseiten, von denen Sie sich vorgedrucktePatientenverfügungen herunterladen können;

unter anderem vom Bayerischen Justizministe-rium, vom humanistischen Verband, die Christ-liche und andere.

Muss ich mit meinem Hausarzt über die Patienten-verfügung sprechen?

Sie müssen nicht mit Ihrem Hausarzt über Ihre Pa-tientenverfügung reden – aber es ist ratsam. EinArzt Ihres Vertrauens kann Sie beraten und Ihnendabei helfen, eine Vorstellung von den möglichenKrankheitszuständen zu bekommen, die in denVordrucken erwähnt werden. Außerdem kann es inkonkreten Situationen hilfreich sein, dass Ihr Haus-arzt oder ein anderer Vertrauensarzt Ihre Wertvor-stellungen kennt. Es ist auf jeden Fall gut, IhremHausarzt mitzuteilen, dass Sie eine Patienten-verfügung haben.

Manche Vordrucke von Patientenverfügungen bie-ten am Ende Raum dafür, dass ein Arzt bestätigt,dass er sie beraten hat. Dies ist nicht Pflicht, kannaber im Ernstfall bei den behandelnden Ärztendazu führen, dass Ihrer Patientenverfügung mehrGewicht beigemessen wird.

Außerdem, so das Argument einiger Ärzte, wirdeine Patientenverfügung im Ernstfall von Ärztengelesen. Hat auch ein Arzt im Vorfeld beraten, soist sichergestellt, dass sowohl der Verfasser derPatientenverfügung als auch der Arzt, der sie spä-ter liest, mit ihren Äußerungen dasselbe meinen.Allerdings sollte man bedenken, dass der Hausarztnicht unbedingt in juristischen Fragen beratenkann. Eine Beratung, die medizinische und juristi-sche Fragen abdeckt, ist sinnvoll.

Kann ich mir mit einer Patientenverfügung schaden?

Schaden können Sie sich mit einer Patientenverfü-gung nicht. Allerdings sollten Sie sich bewusstsein, dass sich Werte und Einstellungen im Laufedes Lebens ändern können. Dies sollten Sie in IhreÜberlegungen einbeziehen und auch mit IhremBevollmächtigten besprechen.

Um Risiken bei der Abfassung und späteren Um-setzung einer Patientenverfügung zu vermeiden,ist Folgendes zu empfehlen:

Überlegen Sie sich, wem Sie eine Vorsorgevollmachtausstellen möchten. Besprechen Sie mit diesemMenschen ausführlich Ihre Einstellungen undWünsche.

Am besten lassen Sie sich vorher beraten, damit esnicht zu unklaren Formulierungen kommt unddamit Sie eine genaue Vorstellung von denZuständen bekommen, für deren Behandlung Sieim Vorhinein verfügen. Überdenken Sie regelmäs-sig ihre Patientenverfügung. Ändern Sie sie gege-benenfalls oder bestätigen Sie sie mit einer erneu-ten Unterschrift. Dies sollten Sie alle ein bis zweiJahre tun.

Wenn sich Ihre Einstellungen später ändern soll-ten und Sie dies zu verstehen geben, müssen Siekeine Angst davor haben, dass eine schriftlich ver-fasste Patientenverfügung aus alten Tagen hervor-gezogen wird, um sie durchzusetzen.

Ihr Bevollmächtigter muss sich sicher sein, dassdie Patientenverfügung Ihrem aktuellen Willenentspricht. Wenn er konkrete Anhaltspunkte dafürhat, dass Sie Ihre Patientenverfügung ganz oderteilweise nicht mehr gelten lassen wollen, darf sie

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nicht umgesetzt werden. Gibt es keine konkretenAnhaltspunkte für eine Meinungsänderung, bleibtIhre Verfügung verbindlich.

Wo muss ich meine Patientenverfügung hinterle-gen?

Sie sollten eine Patientenverfügung auf jeden Fallan einem Ort hinterlegen, an dem sie auch gefun-den wird. Am besten deponieren Sie ein zweitesExemplar bei demjenigen, dem Sie auch eine Vor-sorgevollmacht erteilt haben. So hat er sie gleichzur Hand. Weitere Kopien können Sie bei Angehö-rigen oder einem Arzt Ihres Vertrauens hinterlegen.

Ihre Vorsorgevollmacht können Sie auch bei derBundesnotarkammer registrieren lassen. Die Vor-mundschaftsgerichte müssen dort klären, ob eineVorsorgevollmacht vorliegt, bevor sie einen Be-treuer berufen.

Muss ich zum Notar?

Gesetzlich vorgeschrieben ist es nicht, Ihre Patien-tenverfügung vom Notar beglaubigen zu lassen.Eine notariell beglaubigte Urkunde hat allerdingsauch Vorteile. Wird die Patientenverfügung be-

glaubigt, hat der Notar automatisch Ihre Einsichts-fähigkeit geprüft. Ein Einwand von dritter Seite,dass Sie beim Verfassen der Patientenverfügungetwa verwirrt waren, lassen sich so entkräften.

Was muss ich bei einer Vorsorgevollmacht beach-ten?

Eine Vorsorgevollmacht muss auf jeden Fall schrift-lich verfasst und mit Ort und Datum versehen wer-den. Sie muss eigenhändig mit Vor- und Zunamenunterschrieben werden. Der Bevollmächtigte mussdie Urkunde rechtlich nicht gegenzeichnen. Den-noch ist dies ratsam. Sowohl der Vollmachtgeberals auch der Bevollmächtigte müssen mit Vor- undZunamen genannt werden, besser noch mitGeburtsdatum und Adresse. Außerdem sollte dieTelefonnummer des Bevollmächtigten vermerktsein.

Es ist ratsam, ein Formular zu verwenden, da diesrechtlich eindeutig ist. In vielen Vordrucken vonPatientenverfügungen kann man am Ende einerPerson die Vorsorgevollmacht erteilen. Ansonstengilt das gleiche wie bei der Patientenverfügung:

• Sie müssen sie nicht beim Notar beglaubigen lassen. Allerdings bestätigt eine notarielle Beglaubigung Ihre Geschäftsfähigkeit.

• Sie sollten sie dort hinterlegen, wo der Bevoll-mächtigte sie auch findet. Am besten geben Sie die Vollmacht direkt dem Bevollmäch-tigten, damit er sie im Notfall zur Hand hat.

• Sprechen Sie mit demjenigen, den Sie als Ihren Bevollmächtigten einsetzen, ausführlich überIhre Werte und Einstellungen. Und fragen Sie ihn, ob er im Notfall für Sie entscheiden und Ihrem Willen Geltung verschaffen kann und will.

Wo kann ich mich beraten lassen?

Eine zu empfehlende kostenfreie Beratung bietetder Humanistische Verband in Berlin an. Entwederpersönlich, wenn Sie in Berlin wohnen oder sonstauch telefonisch. In Berlin selbst führen sie auchHausbesuche durch.

Außerdem beraten Hospizvereine beim Verfasseneiner Patientenverfügung. Die Hospiz-Vereine derjeweiligen Bundesländer und Kreise können IhnenBeratungsstellen in Ihrer Nähe nennen. Sie kön-nen sich auch an die Caritas wenden, die ebenfallsberät oder Beratungen empfiehlt. Die Qualitätangebotener Beratungen kann mitunter sehrunterschiedlich sein. Es ist ratsam sich an Stellenzu wenden, die Erfahrung mit dem Thema haben,

da auf diesem Gebiet nach wie vor rechtlich unge-naue Aussagen vermittelt werden. Zu empfehlensind Einrichtungen, bei denen sicher ist, dass dieBeratenden juristische, ärztliche und pflegerischeKenntnisse haben.

aktuelle Gesetzesdebatte

Warum ist eine gesetzliche Regelung sinnvoll?

Die Verbindlichkeit der Patientenverfügung ba-siert im Jahr 2007 auf aktueller Rechtsprechung.Diese ist recht eindeutig. Dennoch gibt es immerwieder Missverständnisse und Unsicherheiten.

Außerdem sind selbst Ärzte und auch Vormund-schaftsrichter oft nicht richtig über die rechtlicheLage informiert: Eine Umfrage unter neurologi-schen Chefärzten hat im Jahr 2000 ergeben, dass60 Prozent von ihnen unsicher waren, wie dieRechtslage bei der Einstellung von lebenserhal-tenden Maßnahmen ist. In einer Umfrage aus demJahr 2003 schätzten rund 30 Prozent der Vormund-schaftsrichter die rechtliche Lage falsch ein!

Damit in Zukunft Unsicherheiten und Fehlinter-pretationen vermieden werden, ist es wichtig,dass die Rechtslage zu Patientenverfügungen auf

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eine solide gesetzliche Basis gestellt wird: Derdeutsche Bundestag arbeitet an einem Gesetz zurPatientenverfügung.

Wer debattiert worüber?

Zurzeit (Stand August 2007) liegen dem Bundestagdrei unterschiedliche Gesetzesentwürfe vor, dieUmsetzung, Verbindlichkeit und Reichweite derPatientenverfügung regeln wollen. Bei dieser De-batte gibt es keine Trennlinien zwischen denFraktionen.

Es existiert ein fraktionsübergreifender Entwurf,ein Gegenentwurf wurde von Wolfgang Bosbach(CDU) und René Röspel (SPD) formuliert, undWolfgang Zöller von der CSU erarbeitete einenKompromissvorschlag.

Gegenstand der Debatte ist vor allem die Frage, obeine Reichweitenbegrenzung eingeführt werdensoll oder nicht – ob Patientenverfügungen nur beiKrankheiten gelten, die einen irreversibel töd-lichen Verlauf genommen haben. So fordern esBosbach und Röspel. Die anderen beiden

Entwürfe sehen eine solche Reichweitenbegren-zung nicht vor. Sie plädieren dafür, dass diePatientenverfügung ungeachtet von Art undStadium der Krankheit gelten soll.

Geregelt werden soll auch, ob nur eine schriftlicheoder auch eine mündliche Patientenverfügung ver-bindlich ist, welche Aufgaben die Betreuer undwelche Stellung die Ärzte haben sollen, wie derWille des Patienten zu ermitteln ist, was passiert,wenn keine Patientenverfügung vorliegt, und wasin Konfliktfällen geschehen soll.

Was versteht man unter Reichweitenbegrenzung?

Wolfgang Bosbach (CDU) und René Röspel (SPD)fordern in ihrem Gesetzesentwurf zur Patienten-verfügung eine Reichweitenbegrenzung. Dasheißt, dass eine Patientenverfügung nur dann gel-ten soll, wenn die Krankheit einen irreversibel töd-lichen Verlauf genommen hat. Bei Wachkoma-oder Demenzpatienten soll ein Behandlungsab-bruch nur dann möglich sein, wenn der Patient mitan Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotzAusschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten

das Bewusstsein niemals wieder erlangen wird.Damit wollen die Parlamentarier sicherstellen,dass Ärzte oder Angehörige ein Leben nicht zuleichtfertig aufgeben.

Mit diesem Vorschlag stehen Bosbach und Röspelweitgehend alleine da. Die anderen beiden Ent-würfe sehen eine solche Reichweitenbeschrän-kung nicht vor. Sie schreiben fest, dass eine Pati-entenverfügung immer verbindlich ist, unabhängigvon Art und Stadium der Krankheit. Dies entsprichtauch der bisher geltenden Rechtsprechung, diesich maßgeblich an Sätzen des Bundesgerichts-hofs orientiert.

Wann wird über das Gesetz entschieden?

Das Parlament nimmt die Debatte um das Gesetzzur Patientenverfügung im Herbst 2007 wiederauf. Es ist damit zu rechnen, dass ein Gesetz bisEnde der Legislaturperiode 2009 entschiedenwird.

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