W ohnb au ist Domb au - univie.ac.at · Die T ag espos t! 13. September 2018 737 Wirtschaft Ing e...

1
Ingeborg Gabriel. Foto: Privat KOLUMNE Libertäre Tea Party statt katholischer Soziallehre? VON INGEBORG GABRIEL Vor genau 10 Jahren löste der Zusammen- bruch der amerikanischen Lehmann Brothers eine globale Finanzkrise aus, die die Weltwirtschaft an den Rand des Ab- grunds brachte. Die Katastrophe konnte nur durch massive Stützungen von Banken aus den Staatskassen verhindert werden. Die Folgen dieser Krise sind bis heute vor allem in Europa spürbar und die Gefahr eines Systemversagens ist keineswegs ge- bannt. In dieser wirtschaftlich und wirt- schaftstheoretisch labilen Situation schwappen libertäre Positionen von den USA (in Anlehnung an die Boston Tea Party politisch als Tea Party Bewegung bekannt) nun nach Europa über. Buhmann und Sündenbock sind Staaten sowie über- staatliche europäische und internationale Institutionen – einschließlich der Noten- banken. Sie werden als überflüssig und schikanös diskreditiert, wobei ein Hinweis auf die hohen Staatsschulden niemals fehlt. Dass diese erst durch die bail-outs höchst gefährlich wurden, bleibt un- erwähnt. Als Kronzeuge dieser libertären Ideologie gilt Friedrich August v. Hayek (sowie andere Vertreter der Österreichi- schen Schule der Nationalökonomie). Seine gegen die Totalitarismen seiner Zeit gerichtete (umstrittene) Wirtschaftstheo- rie wird nun auf den kreativen Unterneh- mer als Ursache allen wirtschaftlichen Wohlstands reduziert, wobei die Komple- xität realer Eigentumsstrukturen ausge- blendet bleibt. Schwer erklärlich und poli- tisch beunruhigend ist die teilweise Nähe zu rechten politischen Parteien. So war die von der FPÖ nominierte Vizepräsidentin der österreichischen Nationalbank Leiterin des Hayek-Instituts. Im deutschen Hayek- Institut, das sich 2015 aufgrund unter- schiedlicher Positionen zum Nationalis- mus spaltete, sind AfD-Politiker stark ver- treten. Noch verwunderlicher ist, dass diese simp- le manchesterliberale Ideologie auch im katholischen Raum Anhänger findet, die mit schwerem Geschütz auffahren. Sie be- schuldigen die katholische Soziallehre, sachunkundig, kollektivistisch und staats- lastig zu sein, wobei sich die Fundamental- kritik vor allem gegen den „linken“ Papst Franziskus richtet. Dies wiewohl dessen Warnungen vor einer überbordenden Fi- nanzindustrie und steigender Exklusion von renommierten Ökonomen geteilt wer- den. Nun kann man Schwächen der katho- lischen Soziallehre in der ethischen Be- wertung moderner dynamischer Wirt- schaftsformen, die auf Kapitalakkumula- tion basieren, durchaus diskutieren. Die grundsätzliche Staats- und Institutionen- feindlichkeit der Libertären widerspricht ihr jedoch diametral. Sie übersieht vor al- lem, dass auch die liberale Wirtschaft von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht schaffen kann. Öffentliche Güter wie Infrastruktur, Ausbildung und Gesund- heitsfürsorge tragen zur Standortsicherung wesentlich bei. Die Gemeinwohlverpflich- tung des Staates ist jedoch nicht nur poli- tisch und ökonomisch höchst relevant. Sie hat eine zentrale humane und ethische Be- deutung. Um die konkrete Ausgestaltung der Sozialpolitik muss immer neu politisch gerungen werden. Dass jedoch soziale (und nun auch ökologische) Gerechtigkeit (für Hayek ein unsinniger Begriff ) das Fundament von Gesellschaften darstellt, und damit Verantwortlichkeiten bestehen, dies zu bestreiten, ist mit dem christlich- sozialen Denken nicht zu vereinbaren. Nicht zuletzt die Finanzkrise von 2008 hat dies gezeigt. Gemeinwohl und Solida- rität können immer nur gestuft realisiert werden. In der Klärung der damit verbun- denen wirtschaftstheoretischen wie -prak- tischen Fragen kann die katholische So- ziallehre wesentliche Orientierungen ge- ben. Um Solidarität in einer globalisierten Welt zu verwirklichen, braucht es jedoch neben Strukturen auch eine humanistische Geisteshaltung, die sich aus verschiedenen Quellen speist. Die seit dem 19. Jahrhun- dert aufgebauten Solidaritätsstrukturen sind nicht zuletzt das institutionelle Subst- rat einer christlich-demokratischen Denk- weise. Sie zu entsorgen und durch einen Kapitalismus des totalen laissez faire zu ersetzen, wäre schlechterdings unverant- wortlich. Die Autorin ist Professorin für Christ- liche Gesellschaftlehre und Sozial- ethik an der Fakultät für katholische Theologie der Universität Wien. Die Kolumne erscheint in Koopera- tion mit der Katholischen Sozialwis- senschaftlichen Zentralstelle Mön- chengladbach.

Transcript of W ohnb au ist Domb au - univie.ac.at · Die T ag espos t! 13. September 2018 737 Wirtschaft Ing e...

  • Die Tagespost ñ13. September 2018

    737 Wirtschaft

    kkkkkkkkkkkkkkkkkkkk

    „Wohnbau ist Dombau“kkkkkkkkkk V O N S E B A S T I A N S A S S E

    Vor der Tür parken große SUV’sund die Kinder des Hausesverbringen ihre Freizeit zwi-schen Geigenunterricht und

    Pferdekoppel. Rainer Maria KardinalWoelki skizziert eine Wohnsituation, für dieSoziologen den etwas sperrigen Begriff der„Gentrifizierung“ gefunden haben. Gemeintist damit: Stadtviertel werden praktisch nurnoch von Besserverdieneden bewohnt, weilandere sich nicht mehr die hohen Mietenleisten können. Keine soziale Vielfalt mehrunter den Bewohnern, stattdessen entstün-den „geschlossene Gesellschaften“, wie derKardinal meint. Ein Phänomen, auf dasman nicht nur in Köln stößt, sondern in fastallen deutschen Großstädten. Das KölnerErzbistum setzt aber dieser Entwicklungetwas entgegen: Zusammen mit der Aach-ner Siedlungs- und Wohnungsgesellschaftwill es neuen Wohnraum schaffen. 632neue Wohnungen, an elf verschiedenenStandorten in Köln, sollen geschaffen wer-den, indem bereits bestehende Gebäude er-weitert werden. Das verkündete KardinalWoelki beim traditionellen Medienemp-fang des Erzbistums in der letzten Woche.

    Bauen – das ist für die Kölner Kirchewahrlich nichts neues. Daran soll auch dieZahl der neuen Wohnungen erinnern: Ge-nau 632 Jahre, nämlich von 1248 bis 1880,dauerte es bis der Kölner Dom fertig errich-tet worden war. In der Nachkriegszeit re-agierte das Bistum schon einmal auf sozialeProbleme mit Wohnungsbau: Damals ent-stand etwa die Stegerwald-Siedlung. Sie giltauch heute als Musterbeispiel für sozialenWohnungsbau aus katholischem Geist. Kei-ne Warm-Endmiete überschreitet dort dieHöhe von 1000 Euro. Und das, obwohl inden letzten Jahren die Wohnungen neuenökologischen Standards gemäß saniert wor-den seien, betonte der Kardinal. „Deshalbbegegnen sich in dieser Siedlung auch ganzvielfältige soziale Schichten“, hob Woelkihervor.

    Indem die Kirche nun an diese Traditionanknüpfe, wolle sie ein praktisches Beispieldafür geben, wie sich die Gedanken der ka-

    tholischen Soziallehre in der Praxis umset-zen lassen: „Gewinnbringend und aus-kömmlich zu wirtschaften, muss und solldie Grundlage allen Unternehmertumssein. Aber der Mensch muss das Zentrumbleiben. Dafür steht die Soziallehre der Kir-che. Und dafür engagiert sich die Kirchevon Köln seit Jahrzehnten.“ KardinalWoelki erinnerte in diesem Zusammenhangan einen Ausspruch seines Vorgängers Kar-dinal Frings: „Wohnungsbau ist Dombau“,hatte dieser bei der Grundsteinlegung derBruder-Klaus-Siedlung erklärt, einem an-deren Projekt aus der Nachkriegszeit. Sowie der Dom für die Menschen „ein Zei-chen der Gegenwart Gottes in unsererWelt“ sei, so sei die Kirche „als gesellschaft-liche Größe ein Zeichen seiner Gegenwart,der Gegenwart Gottes, der mitten unter unswohnt.“ Deswegen müsse

    kkkkkkkkkkkkkkkkkk„Der Meisterbrief ist Garant für Qualitätbei Arbeit und Ausbildung im Handwerk.“Daran erinnert das Kolpingwerk angesichtsder aktuellen Diskussion um eine Wieder-einführung der Meisterpflicht. Dem ehema-ligen Katholischen Gesellenverein, der wei-terhin dem Handwerk eng verbunden ist, istes ein Anliegen, die inzwischen zulassungs-freien Gewerke einer erneuten Überprü-fung zu unterziehen. Es gelte differenziertdarauf zu schauen, wo eine Wiedereinfüh-rung sinnvoll sei.

    Im Jahr 2004 hat der Gesetzgeber füreinen Teil der Handwerksbetriebe dieMeisterpflicht abgeschafft. In 53 von 94Berufen ist seither die Führung eines Hand-werksunternehmens ohne die beruflicheQualifikation zum Meister möglich. Die da-malige Hoffnung der Politik: Mehr Fach-kräfte durch geringere Hürden gewinnen.Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. ImGegenteil, ihre Zahl ist nach den Feststel-lungen des Zentralverbandes des Hand-werks (ZdH) sogar zurückgegangen. Ledig-lich die Anzahl der Betriebe in den entspre-chenden Gewerken hat sich erhöht, aller-dings sind die meisten dieser Betriebsinha-ber sogenannte Solo-Selbstständige. Sieschaffen in ihren Unternehmen keine wei-teren Arbeitsplätze. Die aktuelle Situationtrifft die Konsumenten bereits jetzt massiv.Wenn sie einen Handwerker benötigen,müssen sie oft sehr lange auf ihn warten.Und es gibt ein weiteres Problem, denn vie-le der Solo-Selbstständigen verschwindennach den Feststellungen des ZDH schnellwieder vom Markt. Besonders schlimm fürdie Verbraucher: Im Bereich Bau- und Aus-bau geschieht das oft bereits innerhalb derfünfjährigen Gewährleistungsfrist. Daschaut dann der Kunde in die Röhre.

    Die Meisterpflicht ist verbunden mit be-sonderen Qualitätsanforderungen. Daswird deutlich beim Blick auf Handwerksbe-triebe wie Fliesenleger, Feinoptiker, Foto-grafen, Gold- und Silberschmiede, Schuh-macher oder Uhrmacher. Sie erbringen mitihrer traditionell mittelständischen Prä-gung wichtige Dienstleistungen. Der damitverbundene Qualitätsanspruch liegt im le-bendigen Interesse der Verbraucher. DieKritik einer Wiedereinführung der Meister-

    KOLUMNE

    pflicht stellt die Wettbewerbsordnung hö-her als die Handwerksordnung und gibt so-mit ordo-liberalen Wirtschaftsvorstellun-gen den Vorrang vor dem Subsidiaritäts-prinzip der Christlichen Gesellschaftslehre.Das Handwerk war nämlich traditionell

    Ingeborg Gabriel. Foto: Privat

    Libertäre Tea Party statt

    grundsätzliche Staats- und Institutionen- tion mit der Katholischen Sozialwis-senschaftlichen Zentralstelle Mön-chengladbach.

    immer in der Lage, sich selbst zu organisie-ren.

    blendet bleibt. Schwer erklärlich und poli-tisch beunruhigend ist die teilweise Nähezu rechten politischen Parteien. So war dievon der FPÖ nominierte Vizepräsidentinder österreichischen Nationalbank Leiterindes Hayek-Instituts. Im deutschen Hayek-Institut, das sich 2015 aufgrund unter-schiedlicher Positionen zum Nationalis-mus spaltete, sind AfD-Politiker stark ver-treten.Noch verwunderlicher ist, dass diese simp-le manchesterliberale Ideologie auch imkatholischen Raum Anhänger findet, diemit schwerem Geschütz auffahren. Sie be-schuldigen die katholische Soziallehre,sachunkundig, kollektivistisch und staats-lastig zu sein, wobei sich die Fundamental-kritik vor allem gegen den „linken“ PapstFranziskus richtet. Dies wiewohl dessenWarnungen vor einer überbordenden Fi-nanzindustrie und steigender Exklusionvon renommierten Ökonomen geteilt wer-den. Nun kann man Schwächen der katho-lischen Soziallehre in der ethischen Be-wertung moderner dynamischer Wirt-schaftsformen, die auf Kapitalakkumula-tion basieren, durchaus diskutieren. Die

    Infrastruktur, Ausbildung und Gesund-heitsfürsorge tragen zur Standortsicherungwesentlich bei. Die Gemeinwohlverpflich-tung des Staates ist jedoch nicht nur poli-tisch und ökonomisch höchst relevant. Siehat eine zentrale humane und ethische Be-deutung. Um die konkrete Ausgestaltungder Sozialpolitik muss immer neu politischgerungen werden. Dass jedoch soziale(und nun auch ökologische) Gerechtigkeit(für Hayek ein unsinniger Begriff ) das

    sozialen Denken nicht zu vereinbaren.Nicht zuletzt die Finanzkrise von 2008hat dies gezeigt. Gemeinwohl und Solida-rität können immer nur gestuft realisiertwerden. In der Klärung der damit verbun-denen wirtschaftstheoretischen wie -prak-tischen Fragen kann die katholische So-ziallehre wesentliche Orientierungen ge-ben. Um Solidarität in einer globalisiertenWelt zu verwirklichen, braucht es jedochneben Strukturen auch eine humanistischeGeisteshaltung, die sich aus verschiedenenQuellen speist. Die seit dem 19. Jahrhun-dert aufgebauten Solidaritätsstrukturensind nicht zuletzt das institutionelle Subst-rat einer christlich-demokratischen Denk-weise. Sie zu entsorgen und durch einenKapitalismus des totalen laissez faire zuersetzen, wäre schlechterdings unverant-wortlich.

    Die Autorin ist Professorin für Christ-liche Gesellschaftlehre und Sozial-ethik an der Fakultät für katholischeTheologie der Universität Wien.

    Die Kolumne erscheint in Koopera-

    katholischer Soziallehre?V O N I N G E B O R G G A B R I E L

    Vor genau 10 Jahren löste der Zusammen-bruch der amerikanischen Lehmann

    mer als Ursache allen wirtschaftlichenWohlstands reduziert, wobei die Komple-xität realer Eigentumsstrukturen ausge-

    lem, dass auch die liberale Wirtschaft vonVoraussetzungen lebt, die sie selbst nichtschaffen kann. Öffentliche Güter wie

    Fundament von Gesellschaften darstellt,und damit Verantwortlichkeiten bestehen,dies zu bestreiten, ist mit dem christlich-

    Brothers eine globale Finanzkrise aus, diedie Weltwirtschaft an den Rand des Ab-grunds brachte. Die Katastrophe konntenur durch massive Stützungen von Bankenaus den Staatskassen verhindert werden.Die Folgen dieser Krise sind bis heute vorallem in Europa spürbar und die Gefahreines Systemversagens ist keineswegs ge-bannt. In dieser wirtschaftlich und wirt-schaftstheoretisch labilen Situationschwappen libertäre Positionen von denUSA (in Anlehnung an die Boston TeaParty politisch als Tea Party Bewegungbekannt) nun nach Europa über. Buhmannund Sündenbock sind Staaten sowie über-staatliche europäische und internationaleInstitutionen – einschließlich der Noten-banken. Sie werden als überflüssig undschikanös diskreditiert, wobei ein Hinweisauf die hohen Staatsschulden niemalsfehlt. Dass diese erst durch die bail-outshöchst gefährlich wurden, bleibt un-erwähnt. Als Kronzeuge dieser libertärenIdeologie gilt Friedrich August v. Hayek(sowie andere Vertreter der Österreichi-schen Schule der Nationalökonomie).Seine gegen die Totalitarismen seiner Zeitgerichtete (umstrittene) Wirtschaftstheo-rie wird nun auf den kreativen Unterneh-

    feindlichkeit der Libertären widersprichtihr jedoch diametral. Sie übersieht vor al-

    Der Kolping-Bundesvorstand ist aller-dings der Auffassung, dass es zwar keinegrundsätzliche Meisterpflicht geben soll.Sicherlich gebe es Gewerke, in denen einesolche Regelung aus fachlicher Sicht nichterforderlich ist und die wirtschaftliche Frei-heit zur Gründung und Führung eines Be-triebes unangemessen einschränken würde.„Grundsätzlich sichert der Meister jedochQualität, hochwertige Ausbildung und guteArbeitsbedingungen“, macht das Kolping-werk deutlich. Und gerade bei der Qualifi-zierung junger Menschen zeigt sich ein wei-teres Problem. Die Ausbildungszahlen sindzum Teil drastisch zurückgegangen, und zu-dem hat es einen deutlichen Rückgang anMeisterprüfungen gegeben, weiß der ZdH.„Wenn es immer weniger Meister gibt, istdie Weitergabe von Wissen und qualifizier-ter Ausbildung gefährdet, teils findet sie be-reits heute nicht mehr statt“, kritisiert ZdH-Präsident Hans Peter Wollseifer die aktuel-le Situation.

    Das Kolpingwerk weist am Beispiel desHandwerks erneut auf die wichtige Bedeu-tung der beruflichen Ausbildung hin: „Sieist gegenüber der akademischen Bildunggleichwertig.“ Eine einseitige Betonung derakademischen Bildung gehe an der Realitätdes Arbeitsmarktes vorbei. Sie trage nichtdazu bei, die berufliche Bildung für jungeMenschen attraktiv zu machen. „Die Ab-schaffung der Meisterpflicht war insoweitauch eine bildungspolitische Fehlentschei-dung“, betont der katholische Sozialver-band.

    Heinrich Wullhorst