Wandlung Des Gottesbildes Bonhoeffers in Der Haft

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Inhaltsverzeichnis

A. Vorwort: Faszination Bonhoeffer……………….………………………………………………… Seite 2

B. Vom Widerstand zu Ergebung – Bonhoeffers Gottesbild im Laufe der Haft….. Seite 2

1. Gottverlassenheit und Ohnmacht in der Haft – Gott ist kein deus ex machina Seite2

2. Umschwung der Emotionen beziehungsweise der Gottesbeziehung..…………. Seite 4

2.1 Parallelen zur Geschichte Elias…………………………………………………………………… Seite 4

2.2 Hiob – Annahme von Gott auch, oder gerade erst im Leiden……….…………… Seite 5

2.3 Leiden Gottes mit uns – Die Worte Jesu am Kreuz in Bezug auf Bonhoeffers

Gottesbild………………………………………………………………………………………………………… Seite 5

2.3.1 Gott Leidet an der Gottverlassenheit der Welt……………………………………….. Seite 5

2.3.1.1 Leiden Gottes an der Gottverlassenheit der Opfer………………………………. Seite 5

2.3.1.2 Leiden Gottes an der Gottverlassenheit der Täter……………………………….. Seite 6

2.3.2 Die Worte Jesu und das „Warum?“ Bonhoeffers als Gebet…………………….. Seite 7

2.4 „Das Aufopfern“ als Bestandteil des Gottesbildes…………………………………….. Seite 8

2.5 Bonhoeffers Gottesbild im Hinblick auf die Theodizeefrage……………………... Seite 9

3. Arbeitshypothese Gott - „Gott ist kein Lückenbüßer“………………………………….. Seite 9

C. Verbindung von Gottesbild und Lebenswandel – Gottesbild heute……………….Seite 11

D. Quellenverzeichnis………………………………………………………………………………………..Seite 12

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A. Vorwort: Faszination Bonhoeffers :

Dietrich Bonhoeffer begeistert heute noch viele Menschen mit seinem Erbe an Gedichten und

Werken, von denen viele Trost und Zuversicht ausstrahlen. Viele Menschen sehen in Dietrich

Bonhoeffer eben einen Freiheitskämpfer, der sich mit viel Mut den Nationalsozialisten

entgegenstellte. Dieser Mut und dieses „Loslassen können“ vom Leben fasziniert heutzutage am

meisten. Vor allem in unserer materiell bezogenen Welt gibt uns Bonhoeffer ein Leitbild vom

völligen „frei sein“. Bonhoeffer sieht sich selber primär jedoch als einen Theologen und nicht als

Widerstandskämpfer und versucht so mit dem alten, vom „Lückenbüßergott“ geprägten

Gottesbild aufzuräumen. Seine Gedanken, die er aus der Haft an seinen theologischen Freund

Eberhardt Bethge in Briefen schreibt, dienen mir als Grundlage zur Analyse des Gottesbilds von

Bonhoeffer. Diese Briefe umgingen alle die Zensur und sind somit vom Inhalt nicht verfälscht.

Viele Menschen denken, wenn sie „Faszination Bonhoeffers“ lesen erst einmal an seine

wunderbaren Gedichte, wie „von Guten Mächten“, die einem viel Kraft und Hilfe in Not und Leid

geben können. So wurde dieses Gedicht an der Beerdigung der Mutter eines meiner

Schulkameraden als Lied gesungen. Damals schon fragte ich mich, was einem Menschen wie

Bonhoeffer in der Haft die Kraft gab ein solch vollkommenes Gedicht zu schreiben. Liest man

jedoch Bonhoeffers Briefe aus der Haft, so merkt man wie das auch er sich nicht von Anfang an

„von Guten Mächten wunderbar geborgen“1 fühlt, sondern anfangs sogar Suizidgedanken hatte.

Nach und nach verarbeitet er diese Gedanken aber, was in einer neuen Auffassung von Gott

mündet. Faszinierend ist letztendlich, dass Bonhoeffer all seine Kraft in dieser ausweglosen

Situation, aus seiner Einstellung Gott gegenüber bezieht. Bonhoeffer erhält diese Kraft also

meiner Meinung nach alleine durch sein Gottesbild, dass es auf jeden Fall wert ist in all seinen

Facetten im Folgenden aufzuzeigen.

B. Vom Widerstand zur Ergebung – Bonhoeffers Gottesbild im Laufe der Haft

1.Gottverlassenheit und Ohnmacht in der Haft – Es gibt keinen deus ex machina

Bonhoeffer wird am 5.April 1943 mit seinem Schwager Hans von Dohnanyi im Zusammenhang

mit seiner Tätigkeit als V-Mann verhaftet. Jahrelang arbeitete er von außen gesehen als

Vertrauensmann der Abwehr, dem Geheimdienst der Wehrmacht, in Wahrheit jedoch konspirativ

gegen den Geheimdienst. 2 In seiner anschließenden Haft in Berlin Tegel, fühlt er sich sehr

verlassen, da er nur selten Besuch empfangen darf. Diese Verlassenheit, ist für ihn nahezu

1Vgl. http://www.gedichte-garten.de/forum/ftopic1304.html, Stand 10.08.2010

2 Vgl. „Dietrich Bonhoeffer – Tübinger Beiträge zu seinem 100.Geburtstag“, verschiedene Autoren S.46

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unerträglich, was ihn dazu zwingt sich mit der Theodizeefrage zu beschäftigen. Bonhoeffer fängt

an seine Gefühle, also sein Leid und seine Not, literarisch zu verarbeiten:

„Du gingst, geliebtes Glück und schwer geliebter Schmerz.

Wie nenn´ ich dich? Not, Leben Seligkeit Teil meiner selbst , mein Herz, - Vergangenheit? Es fiel die Tür ins Schloß, ich höre deine Schritte langsam sich entfernen und verhallen.

Was bleibt mir? Freude, Qual, Verlangen? Ich weiß nur dies: du gingst – und alles ist vergangen. […] Mir ist als würden mir mit feurigen Zangen Stücke aus

meinem Fleisch gerissen wenn du, mein vergangenes Leben, davoneilst. Rasender Trotz und Zorn befällt mich, wilde, unnütze Fragen schleudre ich ins Leere.

Warum? Warum? Warum? Sag ich immer. […]1

Man kann hier erkennen wie verzweifelt er ist, da der ansonsten ruhige Bonhoeffer von rasendem

“Trotz und Zorn“ befallen ist2. Bonhoeffer und damit sein Gottesbild sind in dem Moment des

Leids eben mit der Theodizeefrage konfrontiert. Er muss seine Ohnmacht im Moment der

Verlassenheit erkennen und fühlt sich von daher von Gott verlassen:

„Trennung von Menschen von der Arbeit von der Vergangenheit von der Zukunft

von der Ehre von Gott

[…]“3 Es geht ihm wie Jesus in Gethsemane. Bonhoeffer fühlt sich also von seinem Wunschdenken,

dass Gott sofort eingreift und der Realität, in der er sich von Gott verlassen fühlt, zerrissen. Der

Mensch hat oft das Gottesbild eines „deus ex machina“4, der ihm in jeglicher Notsituation hilft, da

dies an Bequemlichkeit nicht zu übertreffen ist. Laut Bonhoeffer weist den Menschen die Not an

die Macht Gottes in der Welt, „ es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie [dann]

aufmarschieren lassen“5. Auch Bonhoeffers Gedanken am Anfang seiner Haft in diese Richtung.

Bonhoeffers innere Zerrissenheit geht soweit, dass er schon suizidale Absichten hat :

1 Gedicht übernommen aus „Dietrich Bonhoeffer – Tübinger Beiträge zu seinem 100.Geburtstag“, S. 51 2 Ebd.

3 Übernommen aus ebd. S.47 4 Dt.: „Gott als Maschine“ : „Heute bezeichnet man mit Deus ex machina – in Literatur und Alltag – meist eine unerwartet auftretende Person oder Begebenheit, die in einer Notsituation hilft oder die Lösung bringt.“ Übernommen aus http://de.wikipedia.org/wiki/Deus_ex_machina, Stand 1.11.2010 5 Bonhoeffer Dietrich, Widerstand und Ergebung – Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, 1998,

abgekürzt WUE, Seite 407

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„Selbstmord, nicht aus Schuldbewusstsein, sondern weil ich im Grunde schon tot bin,

Schlussstrich, Fazit“1.

Letztendlich lassen ihn aber genau diese Erfahrungen von Ohnmacht und Verlassenheit über

sein Gottesbild nachdenken. Bonhoeffer realisiert nach allem Zweifel, dass Gott sich anders

offenbart, nämlich durch sein Leiden am Kreuz und somit ein „deus ex machina überflüssig

wird“2. Bonhoeffer erkennt also durch diese Konfrontation mit der Theodizeefrage und dem

Gefühl der Ohnmacht und Verlassenheit in der Haft, dass es keinen Gott gibt, der einem deus ex

machina ähnlich ist. Diese Gedanken hatte Bonhoeffer zwar schon vor seiner Haft3, jedoch fällt

es ihm schwer diese anzunehmen. So schrieb er Freunden aus England dass „Leiden und Gott

kein Widerspruch“4 ist. Bonhoeffer „litt unter dem Konflikt sich auf eine von ihm erkannte

Wahrheit einzulassen und davor zurückzuschrecken“.5 Er wusste also, dass es keinen deus ex

machina gibt, schreckte aber vor einem Glauben an einen ohnmächtigen Gott zurück.

2. Umschwung der Emotionen bzw. der Gottesbeziehung

Bonhoeffers Emotionen und auch sein Gottesbild wandeln sich im Laufe der Haft, was im

Folgenden dargestellt wird:

2.1 Parallelen zur Geschichte Elias

Bonhoeffers Leben und seine Gefühle in der Haft sind durchaus mit der biblischen Geschichte

von Elia zu vergleichen. Nachdem Elia dem Gott Baal Widerstand geleistet hat und ihm daraufhin

ein Ultimatum der Königin Israels gestellt wird, hat auch er Angst, zieht sich in die Wüste zurück

und wünscht sich „sterben zu können“6. Die Geschichte Elias´ zeigt Parallelen zum Leben und

Leiden Bonhoeffers. Beide leisten Anfangs Widerstand und begeben sich damit ich Gefahr. Wie

Bonhoeffer fühlt sich „Elia […] nicht mehr in der Lage, seinen […] Auftrag auszuüben, er fühlt sich

überfordert, er kann nicht mehr weiter machen. Die Angst lähmt ihn“1. In der Gottverlassenheit

offenbart sich Gott bei beiden in einer Art, die sie nicht erwartet hätten, was sich auf ihr Gottesbild

auswirkt. Anfangs hatten beide Angst ihre Verpflichtungen nicht zu erfüllen. Gott jedoch zeigt sich

1 Dietrich Bonhoeffer Werke, 17 Bände, München bzw. Gütersloh 1986-1999, abgekürzt DBW.

hier Band 8, S. 60 ff Übernommen aus Sekundärliteratur: „Dietrich Bonhoeffer – Tübinger Beiträge zu seinem 100.Geburtstag“, Seite 47 2 WUE, Seite 407

3 B. an die Fam. Leibholz (in engl. Sprache) am 21.5.1942 DBW 16, 759 (Übersetzung):

„Leiden und Gott [ist] kein Widerspruch[…], sondern […] eine Einheit[.] Gott selbst leidet[..]“, aus WUE, Seite 534, Fußnote 38 4 WUE, Seite 534

5 Kieseritzky Friedrich, Die Frage des Opfers, Aufsatz, www.ngat.de/download/0508Kieseritzky.rtf Stand 5.8.2010, Seiten 8+9 6 Aus Bibel(Einheitsübersetzung), 1. Buch der Könige 19,4

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ihnen in Momenten der Verlassenheit sanft und einfühlsam, bei Elia in Form eines Engels und

nicht „hart und fordernd“2. Er ist also kein Gott der sich uns aufdrängt, sondern der uns hilft

gestärkt aus Prüfungen hervorzugehen, wie man es bei Bonhoeffer feststellen kann.

2.2 Hiob – Annahme von Gott auch oder gerade erst im Leiden

Ein weiteres biblisches Vorbild ist Hiob. Wie zu sehen, überschneiden sich auch die Gottesbilder

von Hiob und Bonhoeffer, ja, sie sind sogar fast identisch. Hiob antwortet, nachdem er seinen

ganzen Besitz verloren hat seiner Frau auf die Frage, ob er denn nicht seinen Gott verlassen

wolle: "Wie eine Törin redet, so redest du. Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann

auch nicht das Böse annehmen?"3 Hier sieht man dieselben Verhaltensmuster. Laut Hiob muss

man also auch das Leiden, also das „Unheil“ annehmen können, da man ja das Gute, das von

Gott kommt, auch schätzt. Sieht man das Leben Bonhoeffers und die Geschichte von Hiob,

erkennt man deutliche Parallelen. Beide haben eine unglaubliche Gabe mit Leid und Prüfung

umzugehen. Hiob ist in keinster Weise zornig und verbittert, nachdem er alles verloren hat.

Bonhoeffer schreibt, das am Anfang genannte Gedicht ja auch in einer solchen Misere, der Haft,

die ihm all seine wichtigen Kontakte nimmt und ihn vollkommen isoliert. Wie bei Hiob ist auch bei

Bonhoeffer ein Umgang mit dem Leid zu sehen, der fast übermenschlich wirkt. Dieser Umgang

mit dem Leid hängt auch von seinem Gottesbild ab. Die Selbstverständlichkeit, mit der

Bonhoeffer seinem Leiden, seiner Haft später entgegentritt, ist, wie oben beschrieben anfangs

nicht ersichtlich. Stattdessen herrschen Enttäuschung, sowie Trotz und Zorn vor. Bonhoeffers

Gottesbild wandelt sich also nach anfänglicher Enttäuschung über den deus ex machina dahin,

dass er dieselbe Erfahrung wie Hiob macht. Auch er hat das Leiden angenommen.

2.3 Leiden Gottes mit uns – Die Worte Jesu am Kreuz in Bezug auf Bonhoeffers Gottesbild

2.3.1Gott Leidet an der Gottverlassenheit der Welt

2.3.1.1 Leiden Gottes an der Gottverlassenheit der Opfer

Es gibt also einen Umschwung im Gottesbild Bonhoeffers. Um dies zu verstehen muss man

zurück auf das dreimalige „Warum?“4 aus Bonhoeffers Gedicht „Vergangenheit“, das ich oben

schon kurz angerissen habe. Dieses dreimalige „Warum?“ erinnert nicht nur formal an die Worte

1 Mathias Jung, Predigt über 1. Könige19 am 24.Februar 2002 siehe: http://www.matthias-

jung.de/Elia.html, Stand 10.08.2010 2 Mathias Jung, Predigt über 1. Könige19 am 24.Februar, Seite 2

3 Bibel, Buch Hiob, Kapitel 1, Vers 9-10

4 Gedicht „Vergangenheit“ übernommen aus „Dietrich Bonhoeffer – Tübinger Beiträge zu seinem 100.Geburtstag“ S. 51. Siehe Seite drei meiner Arbeit.

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Jesus am Kreuz. Als Jesus am Kreuz „Eli eli lema sabachtani“1 ruft, befindet er sich in einer

ähnlichen Gefühlswelt wie Bonhoeffer in der Haft. Die Frage nach dem „Warum“ ist für beide erst

einmal „Ausdruck äußerster Verzweiflung, äußersten Schmerzes und gänzlicher Verlassenheit“2

eben Ausdruck der „Gottverlassenheit“3. Es zeigt sich die „ganze Heftigkeit der Verlassenheits-

Empfindungen“4, wie es Dobeneck ausdrückt. Bonhoeffer hat nach dieser Phase jedoch eine

zentrale Erkenntnis, nämlich, dass Gott an der Gottverlassenheit der Welt mitleidet5. Diese ist

auch der Grund für den Umschwung der Emotionen und auch für die Veränderung im Gottesbild.

Bonhoeffers Gottesbild ändert sich dahin, dass er erkennt, dass Gott nicht durch Eingreifen,

sondern durch seine Ohnmacht und sein Leiden hilft.6 Zwar hat er diese Erkenntnis schon vor

seiner Haft gemacht, kann sich nach anfänglichen Schwierigkeiten jedoch jetzt erst mit dieser

Aussage identifizieren.7

2.3.1.2 Leiden Gottes an der Gottverlassenheit der Täter

Um dies zu verstehen muss man den zweiten Aspekt der Worte Jesu am Kreuz sehen: „Und um

die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: „Eli, Eli, lema sabachtani?, das heißt: Mein Gott,

mein Gott, warum hast du mich verlassen?“8. Diese Worte sind eben nicht nur Ausdruck der

Verlassenheit des Opfers, also derer die Opfer von Gewalt und Brutalität anderer werden. In den

Worten Jesu am Kreuz offenbart sich nicht nur eine Gottverlassenheit der Opfer, sondern es zeigt

sich auch die brutale Unmenschlichkeit der Täter. Hieraus schlüssig ist Jesus also am Kreuz

auch Opfer der Gottverlassenheit und leidet auch an dieser. Er leidet in der Trinität mit seinem

Vater, also daran, dass Menschen „überhaupt gott-verlassen sein können, dass sie andere zu

Opfern machen.“9 Leidet Jesus also an der Gottverlassenheit, leidet er mit Bonhoeffer. Diese

tiefgreifende Erfahrung, dass Gott bis in die schrecklichen Erfahrungen des Profanen mit den

Menschen ist und mit ihnen leidet, revolutioniert Bonhoeffers Gottesbild. Es hilft ihm das Leid

anzunehmen und Gott aufzuopfern, wie Jesus es auf Golgota getan hat. Er kann also

vollkommen mit dem Gottesbild des deus ex machina abschließen und sich einem ohnmächtigen

Gott zuwenden, der durch seine Anwesenheit im Leiden Trost und Hilfe spendet.

1 Bibel, Das Evangelium nach Matthäus, abgekürzt Mt, Kapitel 27, Vers 46, 2 „Dietrich Bonhoeffer – Tübinger Beiträge zu seinem 100.Geburtstag“ Seite 55

3 Ebd.

4 Ebd. Seite 51

5 Ebd. Seite 56

6 „Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes“ aus WUE, Seite 534

7 B. an die Fam. Leibholz (in engl. Sprache) am 21.5.1942, WUE, Seite 534, Fußnote 38 (Übersetzung): „Leiden und Gott [ist] kein Widerspruch[…], sondern […] eine Einheit[.] Gott selbst leidet[..]. 8 Bibel, „Das Evangelium nach Matthäus“, Kapitel 27, Vers 46

9 „Dietrich Bonhoeffer – Tübinger Beiträge zu seinem 100.Geburtstag“ Seite 56

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2.3.2 Die Worte Jesu und das „Warum?“ Bonhoeffers als Gebet

Aus dieser Erkenntnis ist das dreimalige „Warum?“ Bonhoeffers, wie auch die Worte Jesu1 als

Gebet zu betrachten, da es zu einem „intimen Ausdruck der Beziehung zu Gott wird“2. Diese

simplen Worte veranschaulichen einen komplexen Gegensatz. Denn, wer diese Worte „schreit,

leistet Widerstand und Ergebung in einem“3. Was Dobeneck so formuliert, meint Bonhoeffer mit

der Aussage „der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt“4. Dieser absolute Gegensatz

wird uns bewusst im Leiden Jesus am Kreuz. So verkörpert Jesus mit diesen Worten den tiefen

Schmerz der Gottverlassenheit, als er schreit warum Gott ihn verlassen hätte5. Jedoch ist dies

nur ein Ausdruck vorübergehender Verlassenheit, der sich schnell wandelt. Als Jesus die Worte

schreit, halten die Menschen inne und wollen abwarten, „ob Elia komme und ihm helfe“6. Nach

seinem Tod realisieren sie erst den Vorgang „und sprachen: Wahrlich dieser ist Gottes Sohn

gewesen!“7. Es ist also zu sehen, dass Jesus natürlich nicht in einer Abwesenheit von Gott stirbt.

Vielmehr ist dieses Gefühl nur ein vorübergehendes, das sich in ein Gefühl der Verbundenheit zu

Gott wandelt. Auch Bonhoeffer erfährt diese Wandlung. Er ist durch sein Leiden an der

Gottverlassenheit Gott näher, jedoch ist diese Verlassenheit bei Bonhoeffer auch nur

vorübergehend. Es geht also „um die Anwesenheit Gottes im Modus der Abwesenheit“8, was

heißt, dass man im Gefühl der Gottverlassenheit, durch das Leiden näher bei Gott ist, da das

Leiden letztendlich eine „Seinsweise Gottes“9 ist. Die absolute Ohnmacht, erfahren wir sie

genauso wie Bonhoeffer in manchen Situationen als grausam, bringt uns auf ein Level mit Jesus

am Kreuz und damit auch näher zu Gott. Das verzweifelte „Warum“ ist also ein Gebet, nämlich

ein intimer Ausdruck der Beziehung zu Gott, da man sich in einer „Seinsweise“10 mit dem

leidenden Jesus befindet11. Die anfängliche Gottverlassenheit wandelt sich durch diesen intimen

Ausdruck immer mehr in ein Vertrauen zu Gott. Es lässt Bonhoeffer im Glauben wachsen und

eine enge Beziehung zu Gott eingehen.

Diese Erkenntnis und das damit verbundene Gottesbild eines leidenden Gottes, helfen

Bonhoeffer bei seinem Leiden, da er sich dadurch mit Gott beziehungsweise Jesus am Kreuz

1 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: Eli, Eli, lama asabthani? das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Mt 27,46 2 „Dietrich Bonhoeffer – Tübinger Beiträge zu seinem 100.Geburtstag“ Seite 56 3 Ebd. 4 WUE, Seite 533, Bonhoeffer zitiert MT 15, 34 5 MT 27,46 6 MT 27,49 7 MT 27,54 8 „Dietrich Bonhoeffer – Tübinger Beiträge zu seinem 100.Geburtstag“ Seite 56

9 Ebd. 10

Ebd. 11

Ebd.

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verbunden weiß. „Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei

uns und hilft uns. Es ist Mattähus 8,171 ganz deutlich, daß Christus nicht hilft kraft seiner

Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens!“2. Gott ist für Bonhoeffer also nicht

der deus ex machina: „Die Religiosität des Menschen weist ihn in seiner Not an die Macht Gottes

in der Welt, Gott ist der deus ex machina. Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und

das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen“3. Bonhoeffers Gedanken beziehen sich

auch auf die Worte Paulus: „Wenn ich schwach bin, bin ich stark“4.Nach dieser Erkenntnis kann

Bonhoeffer also mit den Gedanken am Anfang seiner Haft abschließen, da er erkannt hat, dass

Gott dem Menschen im Leiden hilft, jedoch nicht materiell.

2.4 „Das Aufopfern“ als Bestandteil des Gottesbildes

Bonhoeffer gibt sich Gott ganz und gar hin, opfert sich also ihm auf, was auch auf sein Gottesbild

zurückzuführen ist. So ist in der Bibel oft die Rede von Opfern, die Gott dargebracht werden.

Dieser Opferkult, der ja auch in Beziehung mit dem Gottesbild steht geht so weit, dass Abraham

sogar bereit war seinen Sohn für Gott zu opfern.5 „Bei einem echten Opfer handelt es sich also

nicht nur um einen unbedeutenden Teil eines Überflusses, den man bereitwillig hingibt“.6 Nach

der Jungschen Tiefenpsychologie konnte „opfern“ ursprünglich auch „weihen oder heiligen

bedeuten“7. Weiter ist davon die Rede, dass jeder Mensch in seinem Leben Opfer bringen muss.

Dies kann sowohl eine „liebgewonnene […] psychische […] Einstellung“8 oder zum Beispiel die

Freiheit sein, die Bonhoeffer in der Haft misste. Es ist wichtig, denkt man an die

„mythologische[…] und religiöse[…] Tradition“9, dass die zu opfernde „Gabe so vollständig

weggegeben […] [wird], als ob sie zerstört werden solle“10. Genau diesen Schritt geht Bonhoeffer.

Nach anfänglichem Hadern, warum Gott nicht eingreift, opfert er sich und sein Leben vollkommen

auf und gibt sich Gott dar. Es ist also „unmöglich, über Opfer nachzudenken ohne direkt oder

indirekt […] gemahnt zu werden, dass es seinen Sinn auch durch die Verbindung zu einem

Gottesbild bekommt.“11 Bonhoeffer weiß, dass wenn er sich seinem Gott vollständig hingibt er

1 „Dadurch sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: Er hat unsere Leiden

auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen.“ MT 8,17 2 WUE Seite 534 3 WUE 534

4 2. Korinther 12,7-10

5 Vgl. Genesis 22, 1-19

6 Kieseritzky Friedrich, Die Frage des Opfers, Aufsatz, www.ngat.de/download/0508Kieseritzky.rtf

Stand 5.8.2010, Seite 3 7 Ebd.

8 Ebd.

9 Ebd. Seite 4 10 Ebd. 11 Ebd. Seite 4

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sich auch von seinen Problemen loslösen kann. Er entdeckt Gott als den Menschen für Andere1,

der sich auch für uns geopfert hat.

2.5 Bonhoeffers Gottesbild im Hinblick auf die Theodizeefrage

Diese Aussagen geben im weiteren Sinne auch Antwort auf die Theodizeefrage: Laut Bonhoeffer

hilft Gott nicht „kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit“2, was bedeuten kann,

dass Gott nicht in das direkte Geschehen der Welt eingreifen kann oder will, jedoch uns im Leid

der Welt nahe steht. Man kann daraus also schließen, dass ein Gott, wie Bonhoeffer ihn

beschreibt alles andere als ein deus ex machina ist und somit auch nicht für das Leid der Welt

verantwortlich gemacht werden kann. Gott lässt dieses Leid nicht zu, er hilft uns vielmehr mit dem

Leid umzugehen und daraus Kraft zu schöpfen, wie es Bonhoeffer letztendlich getan hat. Dieser

Gott lässt sich „aus der Welt herausdrängen und gewinnt so als leidender Gott am Kreuz auf eine

paradoxe Weise wieder Raum in der Welt“3.Im Leid darf der Mensch somit nicht Gott anzweifeln

oder sich von ihm abwenden, da Gott auch vom Menschen erwartet am Leiden Jesu am Kreuz

teilzunehmen. Nimmt sich ein Mensch also das Leben, ist dies eine komplette Distanzierung vom

Leiden Jesu und damit von Gott, da er das Leiden Jesu am Kreuz in keinster Weise mittrug. Will

der Mensch in der Not Hilfe, muss er sich mit dem Leiden abfinden, sich Gott opfern. Dann kann

ihm Gott helfen, da man im Leiden in einer „Seinsweise“ Jesu viel näher ist als in anderen

Situationen. Es kann also „nur der leidende Gott“ helfen“4.

3. Arbeitshypothese Gott - „Gott ist[…] kein Lückenbüßer“5

Bonhoeffers Gottesbild lässt sich auch, im Gegensatz zu anderen Gottesbildern mit unserer

modernen Welt vereinbaren. Gott wird heutzutage immer mehr aus der Welt verdrängt, da die

Wissenschaftsfelder immer breiter werden und als göttlich gesehen Dinge erklärt werden.

Ursache hierfür ist, dass sich das falsche Gottesbild eines allmächtigen Gottes, der alles

Unerklärliche erklärbar macht vom Mittelalter bis heute als typisches Gottesbild in den

menschlichen Köpfen verankert hat. Viele moderne Menschen fragen: „Wo behält Gott noch

Raum?“6. Jeder Teil der Wissenschaft hat es sich vorgenommen in seinem Arbeitsbereich Gott

überflüssig zu machen. Auch Bonhoeffer erkennt diese Problematik und sieht deshalb die

1 Kieseritzky Friedrich, Die Frage des Opfers, Seite 8

2 WUE, Seite 534 3 Mikkelsen, Hans Vium, „Nur der leidende Gott kann helfen!“, 1995

http://home.online.no/~boethius/bonhoef.htm, Stand 24.8.2010, Seite 16 4 WUE, Seite 534 5 WUE, Seite 455 6 WUE, Seite 533

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„Arbeitshypothese Gott“1 als überholt: „ Der Mensch hat gelernt, in allen wichtigen Fragen mit

sich selbst fertig zu werden ohne Zuhilfenahme der „Arbeitshypothese: Gott“2“. Ebenso wie auf

wissenschaftlichem Gebiet wird im allgemein menschlichen Bereich „Gott“ immer weiter aus dem

Leben zurückdrängt, er verliert an Boden.“3. Das Problem der Kirche war hier, dass sie „Gott und

Christus gegen diese Entwicklung in Anspruch“4 nahm, was dazu führte, dass sich diese

Entwicklung immer mehr als antichristlich sah. „Man versucht der mündig gewordenen Welt zu

beweisen, dass sie ohne den Vormund „Gott“ nicht leben könne“5. Dieser Versuch muss

scheitern, da ein sicherer Beweis Gottes nie vollbracht werden kann, die Wissenschaft jedoch die

Beweise ihrer Thesen darlegen kann. Dadurch wird die Argumentation der damaligen Kirche

unglaubwürdig. Gott wird also nur noch auf die „sogenannten ´letzten Fragen` -Tod, Schuld, - auf

die nur `Gott` „ eine Antwort geben kann“6, reduziert:

„Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis(manchmal schon aus Denkfaulheit) zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen- es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur

Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher Schwäche bzw. an den menschlichen Grenzen;“7.

Bonhoeffers Gottesbild ist befreit von der Arbeitshypothese Gott, er möchte von Gott „nicht an

den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht erst in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also

bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen“8. Bonhoeffer sieht

Gott als die „Mitte des Lebens“9 und „keines- | wegs als dazugekommen, uns ungelöste Fragen

zu beantworten“10. „Gott ist in der Diesseitigkeit zu finden, er ist in Christus ganz in die Welt

eingegangen, er herrscht nicht als jenseitiger Gott, sondern er ist ganz unten zu finden bei den

Leidenden und leidet in der Welt mit den Opfern. Christus ist der Mensch für andere.“11.Er meint

damit aber nicht einen Gott der aktiv ins Geschehen der Welt eingreift. Sein Gottesbild ist

angesiedelt zwischen Deismus und des deus ex machina, jedoch beiden fremd. Laut Bonhoeffer

hält sich Gott zwar aus dem materiellen Geschehen heraus, ist aber in immateriellen Dingen, wie

1 Zur Herkunft der Wendung „Arbeitshypothese Gott“ Laplace antwortete auf die Frage, wo denn nun in seinem System noch Raum sei für Gott: „Gott? Ich brauche diese Hypothese nicht mehr!“ Vgl. http://www.nordelbische.de/beitraege/?p=814, Seite1 2Ebd. 3 WUE, Seite 476 4 WUE, Seite 477 5 WUE, Seite 477

6 WUE, Seiten 477+478 7 WUE, Seite 407 8 WUE, Seiten 407+408 9 WUE, Seite 455

10 Ebd. 11Ebersohn, Michael, Tyrannenmord als ethischer Grenzfall - Dietrich Bonhoeffers Weg in den Widerstand, http://www.ev-forum-hanau.de/ccc/c17_a.html, Stand 10.08.2010, Seite 5

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der Nächstenliebe unter uns. Man kann davon sprechen, dass die „Welt […] nicht Gott-los

geworden [ist], sondern […] von ihren religiösen Vorstellungen von Gott befreit“1 wurde. Dieses

Gottesbild ist insoweit besonders, dass ein solcher Gott das Leben der Menschen bis ins Leiden

hin teilt, er ist ein Gott mit uns. Ein Gott der unter uns ist, in der Liebe und nicht in den ungelösten

Fragen unserer Zeit, hat auch Platz in der modernen Welt. Bonhoeffers Gott durchdringt das

Leben mit all seinen Facetten, er ist also sowohl in der Liebe also auch im Leiden gegenwärtig.

Die Menschheit macht nur den Fehler, Gott nicht in der Liebe zu sehen, sondern erst in

ausweglosen Situationen die Frage zu stellen wo Gott denn sei. Ein Gott, der in der Liebe bei uns

ist, ist also auch im Leiden bei uns, nur offenbart er sich nicht visuell oder materiell, wie wir uns

es wünschen würden. Das Gottesbild Bonhoeffers zeigt uns vielmehr, dass Gott uns immer

begleitet und wir auch immer auf seinen Trost und seine Geborgenheit bauen können, wir dürfen

keinen deus ex machina erwarten.

C. Verbindung von Gottesbild und Lebenswandel – Gottesbild heute

Gott in unserer heutigen Welt ist oft nur ein Chiffre, ein Gott ohne Kontur, ein Gott, der einzig und

allein der Erklärung dient, sei es zur Erklärung der Theodizeefrage, oder von Dingen wie Schuld

und Tod. Erschreckendes Beispiel ist hierfür die Bildzeitung, die nach dem Tsunami am 2.

Weihnachtsfeiertag 2004 titelte: „Wo war Gott?“2. Die Menschen heutzutage fragen nur noch

nach Gott in schwerstem Leid und auch dann sind die Fragen nur an Vorwürfe gekoppelt mit dem

Gedanken: „Wenn es dich gibt, zeig dich!“. Im Hinblick darauf ist zu reflektieren, ob ein solches

Gottesbild sinnvoll ist. Fest steht, dass das Gottesbild eines Menschen immer an seinen

Lebenswandel geknüpft ist. Unser Gottesbild heutzutage lehnt sich drastisch an das eines deus

ex machina an, da Gott von unserem Wohlstand verdrängt wird und nur noch in existenziellen

Fragen herangezogen wird. Was ich im Laufe meiner Recherchen erkannte ist, dass Bonhoeffers

Gottesbild eines ist, das als echt bezeichnet werden kann, da ihm das Chiffre entzogen wurde.

In unserer heutigen Welt von Freiheit, Frieden und Trubel sind wir Jesu leiden soweit distanziert,

dass wir kaum fähig sind ein solches Gottesbild zu leben und daran zu glauben. In Bonhoeffers

Fall wird Gott zu einem „Du“3, er ist präsent, ein Gott der mit ihm leidet. Eine Voraussetzung

besteht jedoch für ein Gottesbild wie es Bonhoeffer hat: Man muss an die Inkarnation Christi

glauben. Ist diese einem fremd, ist das Leiden Jesu ein Leiden wie jedes andere, wenn er jedoch

Gott ist, betrifft das Leiden Jesu uns alle.

1 Mikkelsen, Hans Vium, „Nur der leidende Gott kann helfen!“ Seite 17

2 Vergleiche http://www.ejwue.de/upload/2009-03-15-gott-wo-warst-du-gh.pdf, Stand 10.08.2010

3 Feil, Ernst, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 2005, Seite 31