Warum Frauen Pferde lieben E - uni- · PDF fileE ben noch war es das Heldentier von Eroberern,...

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E ben noch war es das Heldentier von Eroberern, Königen und Be- duinenfürsten, der Stolz tapfe- rer Kavalleristen oder waghalsi- ger Indianerhäuptlinge – und nun? Steht es verzärtelt in Deutschlands Ställen, wird von Mädchenhand gestrie- gelt, gebürstet und shampooniert, „Püpp- chen“ genannt oder „Häschen“. Das Pferd ist dabei, Mädchenkram zu werden. Und die Reiterei ist in Gefahr. Denn wo nur Mädchen sind, bleiben die Jungs weg. Der Reitsport könnte die Hälfte möglicher Interessenten abschre- cken – und damit auch eine einträgliche Branche schwächen: Einer Studie zufolge werden mehr als fünf Milliarden Euro jährlich allein in der Pferdehaltung – also: für Futter, Austrüstung, Stallmiete – um- gesetzt. Es gibt eine Million Pferde in Deutschland, die schaffen etwa 300 000 Arbeitsplätze. Zudem besitzt Deutsch- and die weltgrößte und erfolgreichste Sportpferdezucht: Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen waren von 203 startenden Pferden 65 aus deutscher Ab- stammung; sie gewannen 18 von insge- samt 48 Medaillen. Das will bewahrt werden. Die Deut- sche Reiterliche Vereinigung FN, fragt sich: Wie kriegen wir die Jungs zurück aufs Pferd? Wie machen wir das Reiten wieder männlicher? Dafür muss man zuerst wissen, was Jungs und Mädchen vom Pferd wollen. Pferdeverrückte Mädchen zieht es in die Ställe der Pferde wegen, nicht wegen der Reiterei. Die Mädchen sind tierlieb, sie wollen das Pferd umsorgen, es füt- tern, putzen, seinen Stall ausmisten, ihm zureden. Der Pferdevernarrtheit liegt eine Bindungsmotivation zugrunde: Das Pferd ist ein geliebter, unersetzbarer Part- ner; es vermittelt Sicherheit, Geborgen- heit und Trost; die Beziehung zum Pferd wird als einzigartig, gegenseitig und „für immer“ erlebt. Mit der Pubertät endet diese Liebe meist, so dass man sagen kann, das Pferd markiere den Übergang von der Her- kunftsfamilie mit der Bindung an die Mut- ter zur eigenen Fortpflanzungsfamilie mit der Bindung an einen Mann. Das Pferd ist quasi das letzte Kuscheltier, es ist das Übergangsobjekt zwischen Puppe und Partner. Das Interesse von Jungs an Pferden ist ganz anders: Jungen lieben Wettkämpfe aller Art, und wenn sie reiten, dann am liebsten wie Cowboys und Indianer. Pfer- depflege ist ihnen lästig. Wenn sie in Reit- vereinen sind, arbeiten sie auf Turniere hin. Das Pferd ist für Jungs weniger ein Partner als eine Art Sportgerät. Das liegt am grundsätzlich unterschied- lichen Interesse von Mann und Frau an Mobilität – und das erklärt sich aus der Vorgeschichte der Beziehung von Mensch und Pferd. Diese Beziehung be- gann vor ungefähr 6000 Jahren nördlich des Schwarzen Meeres, in der eurasi- schen Steppe. Da entdeckte der Mensch, dass man ein Pferd nicht nur verspeisen kann, dass es auch als Lastenträger taugt. Das Tier wurde domestiziert und in Herden gehalten. Später setzte man sich selber drauf und man ritt. Es war eine Re- volution! Mit der Erfindung des Reitens eröffne- ten sich Möglichkeiten der Mobilität, die der evolutionär bedingten Psyche des Mannes entgegenkam. Mit dem Pferd konnte man mehr als doppelt so schnell vorankommen wie zu Fuß. Wenn sich die Reichweite verdoppelt, vergrößert sich die Fläche des patrouillierbaren Ter- ritoriums. So hatte der Reiter eine viel- fach erhöhte Chance gegenüber dem Fuß- gänger, mit anderen Frauen anzuban- deln, was dem Arterhaltungs- und Fort- pflanzungstrieb entgegenkam. Reitende Überfalltrupps waren für Op- fer ohne Pferde uneinholbar. Handel nahm an Umfang, Reichweite und Viel- falt zu. Soziale Unterschiede vergrößer- ten sich, es ergaben sich durch Tätigkeits- spezialisierungen neue soziale Differen- zierungen. Gruppenkonflikte und kriege- rische Auseinandersetzungen nahmen zu, weil Grenzkonflikte häufiger wurden. Das Pferd wurde bei der Jagd eingesetzt, aber auch selbst zur begehrten Raub- beute. Die Entdeckung des Reitens und nicht die Erfindung des Rades stieß eine kultu- relle Revolution an. Das Rad erschien spä- ter, nahegelegt durch den Lastentrans- port, den das Pferd erst ermöglicht hatte. Das Pferd war für männliche Anliegen im- mens wichtig. Wollte ein Mann erfolg- reich sein, musste er gute Pferde haben und gut reiten können. Das Pferd gab dem Mann Machtbewusstsein, es wurde zum Prestigeobjekt. Um Macht, Status und Besitz zu erlan- gen, mussten Männer einen Einsatz brin- gen, Mut, Kampfbereitschaft und Risiko- freude beweisen. Da der mögliche Ge- winn – viele Frauen, viele Nachkommen – hoch war, war auch der Einsatz hoch. Bis heute beeinflusst dieses evolutionäre Denkschema das menschliche Handeln. Bis heute scheuen Jungen und junge Män- ner nur selten den Wettbewerb, sind ehr- süchtig, gewaltbereit und riskieren in ge- wagten Unternehmen Kopf und Kragen. Frauen dagegen sind mehrheitlich vor- sichtiger. Sie mussten immer so viel und so lange in ihre Nachkommen investie- ren, dass sich für sie unnötiges Risiko nicht ausgezahlt hat, eine sichere Zu- kunft aber unabdingbar war. Zwar sind auch früher einige Frauen geritten, aber dieses Privileg war den be- güterten Schichten vorbehalten, Adel und Großgrundbesitzern. Bäuerinnen, Handwerker- und Tagelöhnerfrauen je- doch hatten kaum Geld und keine Zeit, sich solchen Vergnügungen hinzugeben. Zwei Erfindungen des 19. Jahrhun- derts, Dampfmaschine und Verbren- nungsmotor, haben die Mobilität ein zweites Mal grundlegend verändert. In al- len Bereichen, in denen bislang das Pferd unerlässlich für von Transport war, wurde es nun überflüssig, weil techni- sche Fortbewegungsmittel effektiver wa- ren. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Pferde nur noch als historische Restpos- ten vorhanden. Männer stiegen um auf Autos – und zwar mit all den psychischen Begleiterscheinungen, die bislang das Verhältnis von Mann und Pferd gekenn- zeichnet hatten: das willig eingegangene finanzielle Opfer, der Besitzerstolz, die Identifikation mit dem Fortbewegungs- mittel, die Wichtigkeit der „Optik“. Das Auto wurde das neue Pferd, das alte war frei für eine neue Besetzung – und die Frauen übernahmen. Sie hatten jetzt die Zeit und die Muße dazu. Frauen sind weniger eingebunden in Alltagszwänge und weniger beschränkt durch patriarchale Weisungen. Sie lösen sich eigenständig vom Elternhaus und su- chen sich selbst ihren Lebenspartner. Die Geburtenrate ist drastisch gesunken, kaum eine Frau ist noch über Jahre entwe- der schwanger oder stillend. Auch meh- rere jüngere Geschwister, Neffen oder Nichten, um die sich früher ältere Mäd- chen kümmert mussten, sind selten ge- worden. Was geblieben ist, ist die Sehn- sucht des Menschen nach Natur. Und die erfüllen sich Mädchen und Frauen mit und auf dem Pferd. Bei Ausritten träumen sie davon, das enge städtische Heim zu verlassen, mit anmutiger Bewegung die Natur zu genie- ßen, fremde Lebensweisen und Men- schen kennen zu lernen, vielleicht sogar einen Prinz. Und wenn sie sich um das geliebte Pferd kümmern, geben sie ihrem Bedürfnis nach, sich um anderes Leben zu kümmern. Frauen drücken ihre Zunei- gung, viel mehr als Männer, durch Berüh- rung aus, und Pferde haben ein warmes, weiches, seidiges Fell. Frauen wollen mit dem geliebten Partner, wiederum mehr als Männer, ausgiebig reden, und das Pferd ist ein geduldiger Zuhörer. Zudem ist Reiten ist eine angesehene Sportart; die Mädchen reiten sozusagen in höhere Schichten hinein. Und schließlich sind und waren Frauen niemals bloß passive, duldsame Geschöpfe. Väter, Ehemänner, Kinder und Moralinstanzen mögen ihre Frei- heitswünsche eingeschränkt haben, aber ausgelöscht wurden diese Wünsche nicht, weil sie Teil der menschlichen Na- tur sind. Auf dem Pferd kann die Frau in die eigenen Hände nehmen. Das fing an vor 150 Jahren – und was ist seitdem geschehen? Auf privaten Rei- terhöfen finden sich heute zwischen lau- ter Mädchen nur vereinzelt Jungs, in Reit- vereinen überwiegen Frauen, die meis- ten Pferdewirte sind weiblich, ebenso die Leser von Pferdelektüre. Wo Reiten im Schulsport angeboten wird stehen Mäd- chen Schlange, Studiengänge zur Pferde- wissenschaft ziehen fast nur Frauen an. Selbst im Wettbewerb, früher Männerdo- mäne, gewinnen heute Frauen: Von rund 85 000 Turnierteilnehmern im Jahr sind vier Fünftel weiblich, im Nachwuchsbe- reich 90 Prozent. Allein im Spitzensport dominieren Männer. Noch. Wenn der Reitsport die Jungs zurück- gewinnen will, muss er ihnen Möglichkei- ten geben, ohne Mädchen zu reiten – nur dann lässt sich der Reiz der ehemals ex- klusiven Beziehung wenigstens kurzfris- tig wieder herstellen. (Das ist insofern ku- rios ist, als das Reiten die einzige olympi- sche Disziplin ist, in der Männer und Frauen gegeneinander antreten.) Aber das archaische Erbe, nachdem der Mann Mobilität nutzt, um seine Fortpflanzung- schancen zu erhöhen, und die Frau immo- bil die Brutpflege betreibt, ist immer noch präsent. Es ist wie ein Flüstern in uns, das unsere Wahrnehmungen, Nei- gungen und Vorlieben beeinflusst. Auf verborgene Weise gestaltet dieses Erbe auch heute noch unser Verhältnis zum Pferd. — Der Autor ist Professor für Psychologie an der Universität Kassel Warum Frauen Pferde lieben von Prof. Harald Euler

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Eben noch war es das Heldentiervon Eroberern, Königen und Be-duinenfürsten, der Stolz tapfe-rer Kavalleristen oder waghalsi-ger Indianerhäuptlinge – und

nun? Steht es verzärtelt in DeutschlandsStällen, wird von Mädchenhand gestrie-gelt, gebürstet und shampooniert, „Püpp-chen“ genannt oder „Häschen“.

Das Pferd ist dabei, Mädchenkram zuwerden. Und die Reiterei ist in Gefahr.

Denn wo nur Mädchen sind, bleibendie Jungs weg. Der Reitsport könnte dieHälfte möglicher Interessenten abschre-cken – und damit auch eine einträglicheBranche schwächen: Einer Studie zufolgewerden mehr als fünf Milliarden Eurojährlich allein in der Pferdehaltung – also:für Futter, Austrüstung, Stallmiete – um-gesetzt. Es gibt eine Million Pferde inDeutschland, die schaffen etwa 300000Arbeitsplätze. Zudem besitzt Deutsch-and die weltgrößte und erfolgreichsteSportpferdezucht: Bei den OlympischenSpielen 2004 in Athen waren von 203startenden Pferden 65 aus deutscher Ab-stammung; sie gewannen 18 von insge-samt 48 Medaillen.

Das will bewahrt werden. Die Deut-sche Reiterliche Vereinigung FN, fragtsich: Wie kriegen wir die Jungs zurückaufs Pferd? Wie machen wir das Reitenwieder männlicher?

Dafür muss man zuerst wissen, wasJungs und Mädchen vom Pferd wollen.

Pferdeverrückte Mädchen zieht es indie Ställe der Pferde wegen, nicht wegender Reiterei. Die Mädchen sind tierlieb,sie wollen das Pferd umsorgen, es füt-tern, putzen, seinen Stall ausmisten, ihmzureden. Der Pferdevernarrtheit liegteine Bindungsmotivation zugrunde: DasPferd ist ein geliebter, unersetzbarer Part-ner; es vermittelt Sicherheit, Geborgen-heit und Trost; die Beziehung zum Pferdwird als einzigartig, gegenseitig und „fürimmer“ erlebt.

Mit der Pubertät endet diese Liebemeist, so dass man sagen kann, das Pferdmarkiere den Übergang von der Her-kunftsfamilie mit der Bindung an die Mut-ter zur eigenen Fortpflanzungsfamiliemit der Bindung an einen Mann. DasPferd ist quasi das letzte Kuscheltier, esist das Übergangsobjekt zwischen Puppeund Partner.

Das Interesse von Jungs an Pferden istganz anders: Jungen lieben Wettkämpfealler Art, und wenn sie reiten, dann amliebsten wie Cowboys und Indianer. Pfer-depflege ist ihnen lästig. Wenn sie in Reit-vereinen sind, arbeiten sie auf Turnierehin. Das Pferd ist für Jungs weniger einPartner als eine Art Sportgerät.

Das liegt am grundsätzlich unterschied-lichen Interesse von Mann und Frau anMobilität – und das erklärt sich aus derVorgeschichte der Beziehung vonMensch und Pferd. Diese Beziehung be-gann vor ungefähr 6000 Jahren nördlichdes Schwarzen Meeres, in der eurasi-schen Steppe. Da entdeckte der Mensch,dass man ein Pferd nicht nur verspeisenkann, dass es auch als Lastenträger taugt.

Das Tier wurde domestiziert und inHerden gehalten. Später setzte man sichselber drauf und man ritt. Es war eine Re-volution!

Mit der Erfindung des Reitens eröffne-ten sich Möglichkeiten der Mobilität, dieder evolutionär bedingten Psyche des

Mannes entgegenkam. Mit dem Pferdkonnte man mehr als doppelt so schnellvorankommen wie zu Fuß. Wenn sichdie Reichweite verdoppelt, vergrößertsich die Fläche des patrouillierbaren Ter-ritoriums. So hatte der Reiter eine viel-fach erhöhte Chance gegenüber dem Fuß-gänger, mit anderen Frauen anzuban-deln, was dem Arterhaltungs- und Fort-pflanzungstrieb entgegenkam.

Reitende Überfalltrupps waren für Op-fer ohne Pferde uneinholbar. Handelnahm an Umfang, Reichweite und Viel-falt zu. Soziale Unterschiede vergrößer-ten sich, es ergaben sich durch Tätigkeits-spezialisierungen neue soziale Differen-zierungen. Gruppenkonflikte und kriege-rische Auseinandersetzungen nahmenzu, weil Grenzkonflikte häufiger wurden.Das Pferd wurde bei der Jagd eingesetzt,aber auch selbst zur begehrten Raub-beute.

Die Entdeckung des Reitens und nichtdie Erfindung des Rades stieß eine kultu-relle Revolution an. Das Rad erschien spä-ter, nahegelegt durch den Lastentrans-port, den das Pferd erst ermöglicht hatte.Das Pferd war für männliche Anliegen im-mens wichtig. Wollte ein Mann erfolg-reich sein, musste er gute Pferde habenund gut reiten können. Das Pferd gabdem Mann Machtbewusstsein, es wurdezum Prestigeobjekt.

Um Macht, Status und Besitz zu erlan-gen, mussten Männer einen Einsatz brin-gen, Mut, Kampfbereitschaft und Risiko-freude beweisen. Da der mögliche Ge-winn – viele Frauen, viele Nachkommen– hoch war, war auch der Einsatz hoch.Bis heute beeinflusst dieses evolutionäreDenkschema das menschliche Handeln.Bis heute scheuen Jungen und junge Män-ner nur selten den Wettbewerb, sind ehr-süchtig, gewaltbereit und riskieren in ge-wagten Unternehmen Kopf und Kragen.

Frauen dagegen sind mehrheitlich vor-sichtiger. Sie mussten immer so viel undso lange in ihre Nachkommen investie-ren, dass sich für sie unnötiges Risikonicht ausgezahlt hat, eine sichere Zu-kunft aber unabdingbar war.

Zwar sind auch früher einige Frauengeritten, aber dieses Privileg war den be-güterten Schichten vorbehalten, Adelund Großgrundbesitzern. Bäuerinnen,Handwerker- und Tagelöhnerfrauen je-doch hatten kaum Geld und keine Zeit,sich solchen Vergnügungen hinzugeben.

Zwei Erfindungen des 19. Jahrhun-derts, Dampfmaschine und Verbren-nungsmotor, haben die Mobilität einzweites Mal grundlegend verändert. In al-len Bereichen, in denen bislang das Pferdunerlässlich für von Transport war,wurde es nun überflüssig, weil techni-sche Fortbewegungsmittel effektiver wa-ren. Nach dem Zweiten Weltkrieg warenPferde nur noch als historische Restpos-ten vorhanden. Männer stiegen um aufAutos – und zwar mit all den psychischenBegleiterscheinungen, die bislang dasVerhältnis von Mann und Pferd gekenn-zeichnet hatten: das willig eingegangenefinanzielle Opfer, der Besitzerstolz, dieIdentifikation mit dem Fortbewegungs-mittel, die Wichtigkeit der „Optik“.

Das Auto wurde das neue Pferd, dasalte war frei für eine neue Besetzung –und die Frauen übernahmen. Sie hattenjetzt die Zeit und die Muße dazu.

Frauen sind weniger eingebunden in

Alltagszwänge und weniger beschränktdurch patriarchale Weisungen. Sie lösensich eigenständig vom Elternhaus und su-chen sich selbst ihren Lebenspartner. DieGeburtenrate ist drastisch gesunken,kaum eine Frau ist noch über Jahre entwe-der schwanger oder stillend. Auch meh-rere jüngere Geschwister, Neffen oderNichten, um die sich früher ältere Mäd-chen kümmert mussten, sind selten ge-worden. Was geblieben ist, ist die Sehn-sucht des Menschen nach Natur. Und dieerfüllen sich Mädchen und Frauen mitund auf dem Pferd.

Bei Ausritten träumen sie davon, dasenge städtische Heim zu verlassen, mitanmutiger Bewegung die Natur zu genie-ßen, fremde Lebensweisen und Men-schen kennen zu lernen, vielleicht sogareinen Prinz. Und wenn sie sich um dasgeliebte Pferd kümmern, geben sie ihremBedürfnis nach, sich um anderes Lebenzu kümmern. Frauen drücken ihre Zunei-gung, viel mehr als Männer, durch Berüh-rung aus, und Pferde haben ein warmes,weiches, seidiges Fell. Frauen wollen mitdem geliebten Partner, wiederum mehrals Männer, ausgiebig reden, und dasPferd ist ein geduldiger Zuhörer. Zudemist Reiten ist eine angesehene Sportart;die Mädchen reiten sozusagen in höhereSchichten hinein.

Und schließlich sind und warenFrauen niemals bloß passive, duldsameGeschöpfe. Väter, Ehemänner, Kinderund Moralinstanzen mögen ihre Frei-heitswünsche eingeschränkt haben, aberausgelöscht wurden diese Wünschenicht, weil sie Teil der menschlichen Na-tur sind. Auf dem Pferd kann die Frau indie eigenen Hände nehmen.

Das fing an vor 150 Jahren – und wasist seitdem geschehen? Auf privaten Rei-terhöfen finden sich heute zwischen lau-ter Mädchen nur vereinzelt Jungs, in Reit-vereinen überwiegen Frauen, die meis-ten Pferdewirte sind weiblich, ebenso dieLeser von Pferdelektüre. Wo Reiten imSchulsport angeboten wird stehen Mäd-chen Schlange, Studiengänge zur Pferde-wissenschaft ziehen fast nur Frauen an.Selbst im Wettbewerb, früher Männerdo-mäne, gewinnen heute Frauen: Von rund85000 Turnierteilnehmern im Jahr sindvier Fünftel weiblich, im Nachwuchsbe-reich 90 Prozent. Allein im Spitzensportdominieren Männer. Noch.

Wenn der Reitsport die Jungs zurück-gewinnen will, muss er ihnen Möglichkei-ten geben, ohne Mädchen zu reiten – nurdann lässt sich der Reiz der ehemals ex-klusiven Beziehung wenigstens kurzfris-tig wieder herstellen. (Das ist insofern ku-rios ist, als das Reiten die einzige olympi-sche Disziplin ist, in der Männer undFrauen gegeneinander antreten.) Aberdas archaische Erbe, nachdem der MannMobilität nutzt, um seine Fortpflanzung-schancen zu erhöhen, und die Frau immo-bil die Brutpflege betreibt, ist immernoch präsent. Es ist wie ein Flüstern inuns, das unsere Wahrnehmungen, Nei-gungen und Vorlieben beeinflusst. Aufverborgene Weise gestaltet dieses Erbeauch heute noch unser Verhältnis zumPferd.

— Der Autor ist Professor für Psychologiean der Universität Kassel

Warum Frauen Pferde liebenvon Prof. HaraldEuler