Warum Katechismuspredigt?

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Warum bei uns auch der Katechismus gepredigt wird . . . Reformierte Perspektiven I Eine Veröffentlichung der Selbständigen Evangelisch-Reformierten Kirche in Deutschland (SERK) von Sebastian Heck

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Reformierte Perspektiven I

Transcript of Warum Katechismuspredigt?

Warum bei uns auch

der Katechismus

gepredigt wird . . .

Reformierte Perspektiven I

Eine Veröffentlichung der Selbständigen Evangelisch-Reformierten Kirche

in Deutschland (SERK)

von Sebastian Heck

© 2010 - 2. Auflage 2010 Selbständige Evangelisch-Reformierte Kirche Heidelberg

Soweit nicht anders angegeben wurden Bibelzitate der Übersetzung von Franz E. Schlachter, revidierte Version 2000, entnommen. Copyright Genfer Bibelgesellschaft, Postfach, CH-1211 Genf. Hervorhebungen in Kursiv im Bibeltext sind vom Autor hinzugefügt worden.

Zitate aus dem Heidelberger Katechismus, dem Niederländischen Glaubensbekenntnis und der Dordrechter Lehrregel sind der in den Selbständigen Evangelisch-Reformierten Kirche (SERK) gültigen und ange-passten Textfassung entnommen. Diese ist auf Anfrage bei der SERK erhältlich.

»Reformierte Perspektiven« wird herausgegeben von der Selbständigen Evangelisch-Reformierten Kirche in Deutschland (SERK).

Weitere Informationen unter:[email protected]

Webseiten:www.serk-deutschland.dewww.serk-heidelberg.de

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Reformierte Perspektiven I

Einleitung

Erstmalige Besucher der Selbständigen Evangelisch-Reformierten Kirche (SERK) sind manchmal verdutzt, wenn sie hören, dass die Gemeinde sich nicht nur einmal zum Gottesdienst versammelt, sondern zweimal – morgens und abends. (Zur Begründung dieser Praxis vgl. die entsprechende Broschüre der Reihe Reformierte Pers-pektiven). In einer Zeit, in der die Besucherzahlen der Gottesdienste überall rückläufig zu sein scheinen, verwundert es viele, dass sich hier eine Kirche entschieden hat, sich als gesamte Gemeinde nicht nur einmal, sondern sogar zweimal an jedem Sonntag zu treffen, um Gott gemeinsam anzubeten und auf sein Wort zu hören und es zu tun.

Noch ungewohnter ist für viele jedoch die Tatsache, dass wäh-rend im ersten Gottesdienst eine Auslegungspredigt gehalten wird, im zweiten Gottesdienst der Katechismus gepredigt wird. Insbeson-dere für Besucher, die nicht in reformierten Kirchen großgeworden sind und solche auch noch nie besucht haben, mag das befremdlich sein. Und doch haben wir gute Gründe für diese Praxis.

In dieser Broschüre wollen wir ihnen diese Gründe nahebrin-gen – in der Hoffnung, dass Sie sich in Zukunft auch auf diese Pra-xis einlassen können und dadurch im Glauben gestärkt werden.

Unser Katechismus

Der in der SERK gültige und in den Abendgottesdiensten gepredigte Katechismus ist natürlich der berühmte und beliebte Heidelberger Katechismus. Er wurde in Auftrag gegeben durch den Pfälzer Kurfürst Friedrich III., verfasst durch Zacharias Ursinus unter Mithilfe verschiedener Theologen, darunter auch Caspar Olevianus, und 1563 erstmals veröffentlicht.

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Die Katechismuspredigt

Weil der Katechismus aber nicht lediglich der alte Heidelberger Katechismus aus dem 16. Jahrhundert ist, sondern von unserer Kir-che offiziell als ihr eigener, aktueller Katechismus angenommen wurde und den Charakter eines Glaubensbekenntnisses hat, nen-nen wir ihn einfach »unseren Katechismus« oder den »Katechismus der SERK«.

Dieser Katechismus wurde ursprünglich verfasst, um drei Zwecke zu erfüllen. Erstens, damit Kinder und Jugendliche im wie-derentdeckten evangelischen, d.h. reformierten Glauben gründlich unterwiesen werden können. Zweitens, damit Pastoren einen soli-den, gleichförmigen Maßstab der Lehre haben, an den sie sich hal-ten können – eine Art »theologischer Qualitätskontrolle«. Drittens, als Grundlage für ein systematisches Predigen, als Ergänzung zu den regelmäßigen Auslegungspredigten am Morgen.

Die Heidelberger Reformatoren des 16. Jahrhunderts, wie Caspar Olevianus und Zacharias Ursinus, haben jedoch die Praxis der Katechismuspredigt nicht erfunden.

Katechismuspredigt in der Geschichte

Die Geschichte zeigt, dass es bereits in der Schrift selbst An-haltspunkte für katechetische Verkündigung gibt. So etwa im Ju-dentum des Alten Bundes, aber auch im Neuen Testament.

Wenn Paulus etwa in den Pastoralbriefen schreibt »Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert . . .« (1Tim 1,15; 1Tim 3,1; 1Tim 4,9; 2Tim 2,11; Tit 3,8)1 ist davon auszuge-hen, dass das, was folgt in den meisten Fällen auf mündlich oder schriftlich überlieferte katechetische Lehrstücke zurückgeht. Wenn er Ti motheus in 1Tim 4,13 ermahnt »Fahre fort mit Vorlesen, mit

1 Bibelzitate wurden der Übersetzung von Franz E. Schlachter, revidierte Version 2000, entnommen. Copyright Genfer Bibelgesellschaft, Postfach, CH-1211 Genf.

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Ermahnen, mit Lehren, bis ich komme«, müssen wir davon ausge-hen, dass Paulus ein katechetisches Lehren und Predigen im Blick hatte. Manche Ausleger gehen sogar davon aus, dass die Begriffe »Ermahnen« und »Lehren« zwei unterschiedliche Veranstaltungen, d.h. Gottesdienste mit unterschiedlichen Verkündigungsarten be-schreiben.2

Die Kirchengeschichte zeigt, dass katechetisches Predigen, d.h. die Auslegung eines feststehenden Katechismus im Rahmen des Gottesdienstes, nach dem apostolischen Zeitalter keineswegs aufhört. Bei den Kirchenvätern finden wir zahlreiche Beispiel dafür. Im Mittelalter geht diese Praxis stark zurück, wobei wir auch hier herausragende Beispiele finden, so wie zum Beispiel bei Thomas von Aquin. Mit der Reformation wurde die Praxis der Katechismuspredigt wiederentdeckt. Die Reformatoren sahen es als legitim und notwendig an, die Gemeinden nicht nur durch Aus-legung einzelner biblischer Passagen (die so genannte lectio continua, d.h. »fortlaufende Predigt«) zu unterrichten. Es sollten ihnen auch durch Lehr- und Katechismuspredigten die größeren theologischen Zusammenhänge des wahren biblischen Glaubens systematisch vermittelt werden.

Deshalb wurde der Heidelberger Katechismus auch schon recht bald nach Entstehung in »52 Sonntage« unterteilt und mit der Auf-lage an reformierte Prediger verbunden, am jeweiligen Sonntag die entsprechenden Fragen und Antworten des Katechismus zu erläutern. Diese Praxis wurde schon wenige Jahrzehnte später in verschiedenen kirchlichen Synoden auf deutschem und niederlän-dischen Boden als verbindlich vorgeschrieben. Berühmt geworden ist hier vor allem die Äußerung der Synode in Dordrecht (1618-1619). Die Dordrechter Synode wollte durch ihren Beschluss dem Arminianismus vorbeugen. Die Arminianer hatten sich über die

2 So zum Beispiel Hughes Old, The Reading and Preaching of the Scriptures in the Worship of the Christian Church, Volume 1: The Biblical Period, Grand Rapids, 1998, S. 247

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Die Katechismuspredigt

Praxis der (reformierten) Katechismuspredigt beklagt, und zwar mit dem Argument, dass man doch »nichts anderes predigen darf als allein die Heilige Schrift« – ein Argument, auf das wir gleich noch zu sprechen kommen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Katechismuspredigt eine alte christliche Praxis ist. Wir finden sie bereits im Alten Testament, im Neuen Testament, durch die Zeit hindurch bis in die Neuzeit. Auch wenn sie heute stark zurück ge-gangen ist, gibt es noch Kirchen, in denen regelmäßig aus dem Ka-techismus gepredigt wird.

Häufig genannte Gegenargumente

Zugegeben, »weil das schon immer so war« ist ein schlechtes Argument, insbesondere als Legitimation für eine kirchliche Praxis. Sollte nicht gerade eine »reformierte« Kirche stets bemüht sein, alle ihre Praktiken nach der Heiligen Schrift zu reformieren und nicht bloß der Tradition zu folgen?

Richtig. Deshalb sind wir auch davon überzeugt, dass es gute biblische und theologische Gründe für die Katechismuspredigt gibt.

Doch auch die Tatsache, dass wir in der Schrift selbst Anhalts-punkte für katechetische Verkündigung finden, überzeugt noch lange nicht jeden. Deshalb möchten wir hier die am häufigsten ge-nannten Argumente gegen die Katechismuspredigt anführen und bewerten.

Einwand 1: »In der Kirche soll das Wort Gottes verkündigt werden und sonst nichts!«

»Sola Scriptura!« – »Allein die Schrift!« Das war das Prin-zip, das im 16. Jahrhundert die Reformation in Bewegung setzte. Es ist das grundlegende Prinzip einer jeden biblischen Kirche und damit auch einer reformierten Kirche wie der unseren. Gott selbst

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hat uns sein unfehlbares und irrtumsloses Wort inspiriert und über-liefert (1Tim 3,16; 2Pet 1,21). In ihm allein finden wir Worte des ewigen Lebens (Joh 6,68; Joh 5,39). Deshalb müssen Pastoren unbedingt angehalten werden, die Heilige Schrift zu verkündigen und sonst nichts (2Tim 4,2; Gal 1,8). Insofern ist den Kritikern der Katechismuspredigt recht zu geben.

Auf Grundlage dieses Prinzips lehnen daher auch viele Chris-ten, ob sie nun der reformierten Konfession angehören oder nicht, die Katechismusverkündigung ab. D. Martyn Lloyd-Jones, einer der bekanntesten reformierten Prediger des 20. Jahrhunderts in Wales steht stellvertretend für viele, wenn er sagt:

»Es ist daher sicher falsch, einfach Jahr für Jahr über den Katechis-mus zu predigen, anstatt das Wort direkt aus der Schrift selbst zu predigen, die Schrift stets offen vor sich, die Gedanken der Zuhörer auf sie gelenkt und nicht auf menschliche Interpretationen davon. Obwohl das, was wir predigen, unser Verständnis der Bedeutung und Lehre der Schrift ist, bewahrt und betont diese Methode doch beson-ders klar und deutlich die Vorstellung, dass wir die Botschaft der Bi-bel widergeben und nicht irgendein besonderes Dogma einer Kirche.«3

Mit Lloyd-Jones gibt es auch immer wieder Vertreter der schot-tisch-presbyterianischen Tradition, die die Katechismuspredigt aus demselben Grund rundweg ablehnten.

Natürlich wollen wir ihr Anliegen, die Heilige Schrift als ein-zig legitime Quelle unserer christlichen Botschaft ernstnehmen und schätzen. Dieses Anliegen verbindet uns mit ihnen.

Doch was ist unter dem Prinzip »Allein die Schrift!« wirklich zu verstehen?

Auf den ersten Blick klingt es überzeugend, wenn ein Kritiker sagt, die Predigt, die unmittelbar dem Bibeltext entspringt, sei ir-gendwie »biblischer« als eine Katechismuspredigt. Doch inwiefern?

3 D. Martyn Lloyd-Jones, Preaching and Preachers, Grand Rapids, 1971, S. 188

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Die Katechismuspredigt

Fairerweise müssen wir zunächst feststellen, dass keine Predigt der Gemeinde direkt das inspirierte Wort Gottes sagt. Wäre das der Maßstab, dann dürfte der Prediger lediglich Bibelstellen aneinan-der reihen und vorlesen, am Besten noch in der originalen Sprache Hebräisch oder Griechisch. Es besteht kein Zweifel daran, dass je-der Prediger, sobald er seine Augen vom Lesen des Bibeltextes auf die Gemeinde hebt, »menschliche« Worte und Gedanken weitergibt und eben nicht mehr das reine und inspirierte Wort Gottes. Lloyd-Jones legt im obigen Zitat selbst den Finger auf diesen Punkt, wenn er sagt, dass »das, was wir predigen, unser Verständnis der Bedeu-tung und Lehre der Schrift ist«.

Wäre das, was ein Prediger predigt, einfach eins zu eins gleich-zusetzen mit dem Wort Gottes, dann wäre jede Art der Kritik an der Predigt völlig unangebracht. Der Prediger wäre dann in sei-ner Verkündigung selbst unfehlbar. Das glauben natürlich auch die Kritiker an der Katechismuspredigt nicht. Wir wissen alle, dass jede Predigt menschliche Interpretation des Bibeltextes beinhaltet. Das ist an sich nicht problematisch; es ist vielmehr die Art und Weise wie Gott selbst in seiner Gnade sein Wort an den Mann und die Frau bringen will. Durch menschliche Verkündiger!

Darüber hinaus wird jeder Prediger, auch der, der vermeintlich »direkt den Text der Schrift« predigt, von einer bestimmten Theolo-gie und – im Falle von konfessionell reformierten oder lutherischen Kirchen – auch von einem bestimmten Bekenntnis geführt und ge-leitet. Er trägt eine bestimmte theologische »Brille«. Auch das ist nicht problematisch, sondern ganz natürlich und notwendig.

Wenn man diese Realitäten offen eingesteht, sieht man so-fort, dass die so genannte »Textpredigt« oder Auslegungspredigt an und für sich nicht »inspirierter« oder »biblischer« ist als die Katechismuspredigt. In beiden Fällen beruft der Prediger sich auf bestimmte Bibeltexte und interpretiert diese in einem bestimmten theologischen oder konfessionellen Rahmen (»durch eine bestimm-

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te Brille«). Was er dann verkündigt ist nicht unfehlbar und auch nicht unmittelbar Gottes Wort, sondern eben . . . eine Predigt.

Der Knackpunkt ist, wie wir kirchliche Bekenntnisse (und dazu gehört auch der Katechismus) verstehen. Verstehen wir sie als eine Zusammenfassung menschlicher Meinungen, die vielleicht ganz brauchbar, aber keineswegs auf irgendeine Weise als »biblisch« zu verstehen ist? Oder verstehen wir sie als kirchlich sanktionier-te Zusammenfassung und Rechenschaft vom christlichen Glauben, von der Lehre der Heiligen Schrift?

Wenn wir sagen, unsere Konfession (d.h. unser kirchliches Bekenntnis) ist »biblisch« nur insofern es sich möglichweise mit der Schrift deckt, dann kann es keine besondere Autorität bekommen. Wenn wir aber sagen, unsere Konfession ist biblisch gerade weil wir, als Kirche, nach langem Forschen befunden haben, dass es sich bib-lisch »so verhält« (vgl. Apg 17,11), in dem Moment gewinnt unsere Konfession auch eine gewisse – vom Wort Gottes abgeleitete! – Au-torität.

Zum Beispiel: In Sonntag 9, Frage 26 des Katechismus beken-nen wir:

»Was glaubst du, wenn du sprichst: Ich glaube an Gott, den Va-ter, den Allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde?«

»Ich glaube, dass der ewige Vater unseres Herrn Jesus Christus um seines Sohnes willen mein Gott und mein Vater ist. Er hat Himmel und Erde mit allem, was darin ist, aus nichts erschaffen und erhält und regiert sie noch immer durch seinen ewigen Rat und seine Vorsehung.«

Sicherlich sind das menschliche Worte. Aber ist diese Aussage nicht gleichzeitig zutiefst biblisch? Zweifellos. Wir sind als Kirche – im Verlauf von Jahrhunderten – zu der Überzeugung gekommen, dass nichts im Wort Gottes diesen Aussagen widerspricht, ja, dass sie deshalb voll und ganz schriftgemäß sind. Natürlich ist dies in gewissem Sinne ein vorläufiges Urteil. Sollten wir, sollte irgend je-

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Die Katechismuspredigt

mand in unseren Gemeinden, zu der Überzeugung gelangen, dass wir hier oder an anderer Stelle etwas Unbiblisches bekennen, dann steht grundsätzlich jederzeit der kirchliche Prozess offen, indem durchaus auch einmal bestimmte Formulierungen unserer Konfes-sion geändert werden können (und auch schon wurden). Doch so-lange das nicht der Fall ist, hat unsere Konfession eine abgeleitete aber durchaus reale Autorität. Sie ist verbindliche Grundlage aller Lehrentscheidungen. Was wir dort bekennen, halten wir im besten Sinne für »biblisch«.

Nun verstehen wir vielleicht, wieso es irreführend ist, zu sagen, nur eine Predigt, die direkt und offensichtlich einen Text auslegt, sei »biblisch«, während eine Predigt, die einen Punkt des Katechismus oder Bekenntnisses auslegt »rein menschlich« sein soll. Durch sol-che Aussagen wird ein unnötiger Keil zwischen das Wort Gottes der Heiligen Schrift und dem Bekenntnis der Kirche zu diesem Wort Gottes getrieben.

Und schließlich sei noch zu sagen, dass auch eine Katechismuspredigt sich selbstverständlich direkt auf den biblischen Text bzw. auf biblische Texte beruft. Wer unseren Katechismus ein-mal an einer beliebigen Stelle aufschlägt, wird sofort sehen, dass es dort geradezu von Schriftzitaten im Wortlaut wimmelt. Wahr-scheinlich besteht der Text des Katechismus schon zu mehr aus 75% direkten Schriftzitaten. Allein schon deshalb ist es irreführend, die Katechismuspredigt notwendigerweise als »Menschenwort« abzu-tun. Darüber hinaus wird jeder verantwortungsbewusste Prediger in seinen Predigten über den Katechismus für jeden »Sonntag« bzw. jede Frage einige zentrale Textpassagen auswählen, die er in aller Kürze auslegt, aber eben mehr systematisch oder theologisch als exegetisch. Umgekehrt wird jeder verantwortungsbewusste re-formierte Prediger auch bei seinen Auslegungspredigten der Ge-meinde immer wieder vor Augen führen wie durch die gepredigte Passage die Theologie der Kirche, d.h. ihre Konfession, hierdurch gestützt wird.

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Die Text- oder Auslegungspredigt ist also keineswegs »bibli-scher« oder direkter dem Wort Gottes entnommen und eins zu eins mit ihm gleichzusetzen als die Katechismuspredigt ist. Und doch dürfen wir als Gemeinde glauben und erwarten, dass Gott durch beide spricht, insofern sie beide die biblische Botschaft vom Evan-gelium zu Gehör bringen.

So gilt für beide Arten der Verkündigung, was wir im Zweiten Helvetischen Bekenntnis, Kap. 1, lesen:

»Wenn also heute dieses Wort Gottes durch rechtmäßig berufene Prediger in der Kirche verkündigt wird, glauben wir, dass Gottes Wort selbst verkündigt und von den Gläubigen vernommen werde . . .«

Da sowohl die Auslegungspredigt als auch die Katechismuspredigt schriftgemäße Predigt ist, dürfen wir erwar-ten, dass durch beide Predigtarten Gott selbst zu seiner Gemeinde Wortes des ewigen Lebens spricht.

Einwand 2: »Die Katechismuspredigt fördert lediglich theoretisches und theologisches Kopfwissen, aber keine

biblische Frömmigkeit.«

Dies ist auch ein oft gehörtes Gegenargument. Es entspringt sicherlich unserem Zeitalter, in dem klare, definitive Lehre sowie theologisch gehaltvolle Predigten ganz allgemein verpönt sind. Das ist leider auch in manchen reformierten Kirchen der Fall. Man möchte lieber »Geschichten« hören als »Lehre« oder Theologie. Natürlich gibt es eine Zeit für erzählendes Predigen, aber es gibt eben auch eine Zeit für theologisches, systematisches Predigen. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass letzteres deshalb trocken, langweilig, ermüdend und überfordernd sein muss oder sein darf. Textpredigten können selbstverständlich genauso trocken, langwei-lig, ermüdend und überfordernd sein wie Katechismuspredigten.

Hinter diesem Argument versteckt sich die fälschliche Annah-me, Geschichten seien spannender als Lehre. Doch der christliche

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Die Katechismuspredigt

Glaube kommt ohne beide nicht aus. Wir finden in der Heiligen Schrift biblische Geschichten, Gleichnisse, narrative Texte, und so weiter. Wie finden aber auch sehr dichte Lehrtexte, zum Beispiel in den neutestamentlichen Briefen. Und analog zu der Schrift ist auch der christliche Glaube beides – eine Geschichte, die »Heilsge-schichte« Gottes mit seinem Volk, aber auch Lehre und systemati-sche Theologie. Die Geschichte erzeugt die Lehre – die Lehre erklärt aber wiederum die Geschichte. Dogma und Drama stehen sich im christlichen Glauben nicht feindlich gegenüber. Das Dogma ist das Drama! Wo eins gegen das andere ausgespielt wird, verarmt und verhungert die Gemeinde.

Trotz alldem ist es wahrscheinlich ein pastoraler und weiser Rat, der seinen Weg von der genannten Dordrechter Synode in unsere Kirchenordnung, Artikel 68, gefunden hat:

»Die Kirchendiener sollen überall an den Sonntagen, gewöhnlich im Nachmittagsgottesdienst, kurz die Summe der christlichen Lehre erläutern, die im Katechismus zusammengefasst ist . . .«

In der Kürze liegt die Würze! Auf die richtige Dosis kommt es an – auch bei der Katechismuspredigt.

Einwand 3: »Der Pastor kann in der Auslegung des Katechismus leicht seine eigenen Ansichten als "biblisch" verpacken während die Auslegungs- oder Textpredigt ihn

davor bewahrt.«

Auch hinter diesem Gegenargument verbirgt sich zunächst ein ernstzunehmender Einspruch. Ist es nicht so, dass ein Prediger viel leichter einer Gemeinde seine eigenen Gedanken als biblisch »ver-kaufen« kann, wenn er sich nicht auf einen nachvollziehbaren Pre-digttext bezieht, den die Gemeinde vor sich hat?

Doch wir haben bereits festgestellt, dass es so etwas wie »theo-logisch neutrale« Schriftauslegung überhaupt nicht gibt. Ein Pre-diger, der versucht seine eigenen theologischen Standpunkte zu

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vertuschen ist vielleicht gefährlicher als einer, der sich offen dazu bekennt. Letzteres aber tut der Prediger, der den Katechismus pre-digt: er bekennt sich zu einem klaren theologischen Standpunkt, dem konfessionellen Standpunkt der Kirche, während er der Ge-meinde das Wort Gottes systematisch erschließt. In gewissem Sinne ist eine Katechismuspredigt sogar »sicherer«, da der Prediger sich hierbei auf die kirchliche sanktionierte Zusammenfassung der Hei-ligen Schrift stützt, um gewisse Kernstellen theologisch zu interpre-tieren.

Unaufrichtige Prediger gibt es immer (2Pet 2,1). Doch in Wahrheit kann die Predigt, die von einem bestimmten Bibeltext ausgeht, genauso zum Anlass für den Prediger werden, seine per-sönlichen Ansichten zu verbreiten wie die Katechismuspredigt (vgl. 1Tim 1,7). Auch da hat die eine Methode keinen wahren Vorteil über die andere. Vielmehr befruchten auch hier die beiden Metho-den den gesamten Verkündigungsdienst des Pastors in der Gemein-de gegenseitig – und damit den Speiseplan der Gemeinde.

Einwand 4: »Die Abschaffung des zweiten Gottesdienstes macht die Katechismuspredigt unmöglich.«

Das vierte Argument ist eigentlich keines, sondern ledig-lich eine praktische Tatsache. Weil im 20. und 21. Jahrhundert selbst viele reformierte Kirchen den zweiten Gottesdienst abge-schafft haben, hat man sich im Grunde der Gelegenheit für die Katechismuspredigt beraubt. Da es ohnehin oft nur noch eine Sonntagspredigt gibt, besteht man darauf, und mit Recht, dass diese eine klassische Auslegungspredigt sei.

Unsere Kirchenordnung sagt in Artikel 68:

»Die Kirchendiener sollen überall an den Sonntagen, gewöhnlich im Nachmittagsgottesdienst, kurz die Summe der christlichen Lehre erläutern, die im Katechismus zusammengefasst ist . . .«

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Die Katechismuspredigt

Die notwendige Bedingung für eine Wiederentdeckung der guten und bewährten Praxis der Katechismuspredigt, in Verbindung mit der Auslegungspredigt, ist also die Wiederentdeckung der »Theolo-gie des Sabbats« oder des »Tag des Herrn« gemeinsam mit der Wie-derentdeckung des zweiten Gottesdienstes als probates Mittel, des Sabbattages zu gedenken, »dass du ihn heiligest« (Ex 20,8). (Zur Begründung dieser Praxis vgl. die entsprechende Broschüre in der Reihe Reformierte Perspektiven.)

Die hinreichende Bedingung für eine Widerentdeckung der Pra-xis der Katechismuspredigt ist eine Rückbesinnung auf die Bedeu-tung der Gnadenmittel (insbesondere der Predigt) als Herzstück christlichen Lebens und Wachstums.

Zusammenfassung

Die Katechismuspredigt ist eine biblische, eine alte, eine ge-schichtliche und bewährte Praxis. Auch die häufigsten genannten Argumente gegen diese Praxis lösen sich bei genauem Hinsehen mehr oder weniger in Luft auf.

Im Zusammenhang mit der regelmäßigen, fortlaufen-den Auslegungspredigt im Morgengottesdienst kann die Katechismuspredigt dazu dienen, dass Gemeinden ein systema-tisches Verständnis des christlichen, insbesondere des reformier-ten Bekenntnisses vermittelt wird. So gesehen können sich Aus-legungs- und Katechismuspredigt gegenseitig befruchten. Wenn beides gut und treu ausgeführt wird, wird diese Praxis Gemeinden hervorbringen, die ein robustes Verständnis der Evangeliums und der reformierten Konfession haben, die »nicht mehr Unmündige« sind, »umhergeworfen und herumgetrieben von jedem Wind der Lehre, durch die Spielerei der Menschen, durch die Schlauheit, mit der sie zum Irrtum verführen, sondern wahrhaftig in der Liebe, he-ranwachsen in allen Stücken in ihm, der das Haupt ist, Christus«

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(Eph 4,14-15). Das jedenfalls ist das Ziel, das Paulus durch seine Verkündigung mit der Gemeinde in Ephesus erreicht hat – ihnen »den ganzen Ratschluss Gottes« zu verkündigen (Apg 20,27).

Lassen Sie sich doch einmal darauf ein und kommen Sie zu uns, morgens und abends, um in Gemeinschaft mit den Heiligen unter der Verkündigung des Evangeliums zu sitzen, durch die Gnaden-mittel geistlich ernährt zu werden und so den ganzen Tag des Herrn zu heiligen. Wahrscheinlich entspricht dies nicht dem einmaligen »Rauscherlebnis« oder »geistlichem Nervenkitzel«, den heute vie-le Christen in Gottesdiensten und »Worship Events« suchen. Aber wenn Sie stattdessen nach stetigem geistlichem Wachstum durch die Mittel suchen, die Gott selbst dazu bestimmt und eingesetzt hat, dann können Sie bei uns auf ihre Kosten kommen.

Wir laden Sie herzlich dazu ein!