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Was Mahasamadhi bedeutet
Eine Erläuterung von Mark McLaughlin
Von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit
Mahasamadhi, „das große Verschmelzen“, ereignet sich, wenn ein Siddha den
sterblichen Körper ablegt und in Brahman aufgeht, dem alldurchdringenden
Bewusstsein. Durch diesen Prozess befreit sich ein Siddha – einer, der den Sog
der Sinne gemeistert und den Geist zur Ruhe gebracht hat und eins mit dem
Höchsten Selbst geworden ist – vollständig vom Kreislauf von Tod und
Wiedergeburt. Dieser Augenblick ist von allerhöchster Bedeutung, denn er
kennzeichnet die höchste und bleibende Freiheit des Siddhas: den Übergang
von jivanmukti, der Befreiung zu Lebzeiten, zu videha-mukti, grenzenloser
Freiheit. Solch ein Wesen macht den Schritt von Sterblichkeit zu
Unsterblichkeit.
Die Brhadaranyaka Upanishad beschreibt den Höhepunkt im Leben eines
vollkommenen Wesens so:
[Es ist] jemand, der keinen Wunsch hat, . . . dessen Sehnsucht
erfüllt ist, dessen Sehnsucht das Selbst ist. Sein prana reinkarniert
sich nicht. Er ist Brahman und geht in Brahman ein.1
In den indischen Schriften heißt es, dass die Ebene der Unsterblichkeit von
jemandem erlangt werden kann, der ein yogayukta ist, das heißt, einer, der
„dem Yoga eng verbunden“ ist.2 Es gibt zwei klassische Definitionen für yuj,
der Wurzel von yoga und auch yukta. Die erste Bedeutung ist „zusammen-
fügen“ oder „vereinen“. Die zweite Definition von yuj betrifft die Übung des
„Zusammenfügens“ oder „Vereinens“ auf einer subtileren Ebene: Die Wurzel
yuj verweist dort auf jene Übung der Meditation, bei der der Geist sich bis zur
vollständigen Identifizierung mit einem Objekt verbindet – eine Übung, die
mit dem Begriff samadhi bezeichnet wird. Das heißt, ein Siddha erlangt mit
Hilfe der Übung von samadhi den Zustand des mahasamadi.
Samadhi und Mahasamadhi
Das Wort samadhi bezeichnet sowohl den Prozess als auch das Ziel.
Etymologisch gesehen kommt samadhi von sam-a-dhā, was „wieder
zusammensetzen“ bedeutet. In diesem Kontext wird samadhi, der Zustand des
endgültigen Aufgehens im Absoluten, dadurch erlangt, dass man die Sinne
und den Atem durch diszipliniertes Üben zusammenfügt. Damit kommt der
Geist soweit zur Ruhe, dass der Übende mit dem Höchsten Bewusstsein
verschmilzt. Der Geist wird dadurch mit dem Yoga vereint, dem Zustand des
Einsseins mit dem Göttlichen.
Die folgende Definition von Yoga findet sich in der Katha Upanishad:
Wenn die fünf Sinne zusammen mit dem Geist zum Stillstand
kommen, nennt man das den höchsten Zustand. Das versteht man
unter Yoga…3
In diesem Sinne ist jemand, der yogayukta ist, „eng mit dem samadhi
verbunden”, um schließlich mahasamadhi zu nehmen. Sogar Krishna, der Herr,
wählte diese Art, um seinen irdischen Körper zu verlassen. Als Krishna, so
sagt das Mahabharata, entschieden hatte, dass der Zweck seines irdischen
Auftrags erfüllt sei, zog er seine Sinne, seine Sprache und seinen Geist nach
innen und erlangte mahayoga (d.h. mahasamadhi) und verschied.4
Die große Abreise
Die Übung der Meditation, die von den Siddha Yoga Gurus gemeistert wurde
und den Schüler_innen als Mittel zur Erlangung der Selbst-Erkenntnis gelehrt
wird, ist genau dieselbe Methode, die ein Siddha verwendet, um in Brahman
aufzugehen, wenn die Zeit gekommen ist, um den sterblichen Körper
aufzugeben.
Die Veden beschreiben einen zentralen Kanal im feinstofflichen Körper eines
jeden Lebewesens, der nach oben durch den Scheitelpunkt des Kopfes führt.5
Den Upanishaden zufolge findet der Prozess der Überwindung der
körperlichen Begrenzungen dann statt, wenn der prana entlang dieses Kanals
aufsteigt und durch den Scheitelpunkt des Kopfes in das Reich von Brahman
wandert.6 Indem der Yogi die Sinne nach innen zieht und den Atem auf diesen
zentralen Kanal fokussiert, wird er fähig, seinen eigenen Aufstieg
herbeizuführen, indem er schließlich den Scheitel des Kopfes durchstößt und
in das unsterbliche Reich eingeht.
Krishna, der Herr, beschreibt in Kapitel 8 der Bhagavad Gita, wie man beim
Verlassen dieser Welt das unsterbliche Reich erreicht. Der Herr sagt:
Jemand, der zum Zeitpunkt des Todes durch die Kraft des Yoga
voller Hingabe ist und über einen unbewegten Geist verfügt, der den
prana dazu bringt, mitten zwischen die Augenbrauen einzutreten, so
jemand fährt auf zum göttlichen Höchsten Wesen …
Wenn man alle Tore des Körpers geschlossen, den Geist im Herzen
fest verankert und den Lebensatem in den Kopf geführt hat und in
yogischer Konzentration verankert ist, wenn man „AUM“, die
einzelne Silbe, die Brahman ist, ausspricht und sich an mich erinnert,
dann gibt man den Körper auf und geht zum Höchsten.7
Wenn wir diese den Schriften entnommene Beschreibung mit Baba
Muktanandas Augenzeugenbericht vom mahasamadhi seines Gurus Bhagavan
Nityananda vergleichen, können wir signifikante Parallelen zur Lehre aus der
Bhagavad Gita erkennen. Baba schreibt:
Dr. Nicholson rieb sanft Shri Gurudevs Handflächen und ich rieb
sanft seine Füße. Der prana-Strom verließ die Füße. Der Doktor ließ
seine Hände los. Die Zeit der großen Befreiung war gekommen. Der
prana stieg aufwärts. Ich ergriff Shri Gurudevs Hände.
Sein Gesicht nahm das gleiche Aussehen an, das wir in den frühen
Tagen gesehen hatten – die shambhavi mudra, ein nach außen
gewandter Blick mit nach innen gerichtetem Fokus. Er warf einen
liebenden Blick voller Gnade auf die Anhänger um ihn herum und
drehte dann die Augen nach oben. Die sushumna nadi pulsierte
zwischen seinen Augenbrauen. Der Klang Om, schön und melodiös,
war zu hören und sein Lebensatem, sein prana, ging im kosmischen
Bewusstsein auf.8
Wenn ein Siddha im samadhi aufgeht, erlaubt er dem Körper, ganz natürlich zu
entschlafen. Nur wenn man den Körper auf diese Weise verlässt, erlangt man
vollkommene Freiheit und geht im reinen Höchsten Bewusstsein auf.
Der Samadhi-Schrein – Ein heiliger Ort
In der Hindu-Tradition ist es Brauch, den Körper einer verstorbenen Person zu
verbrennen. Der Körper eines Siddhas jedoch wird beerdigt. Diese Tradition
entspricht dem Verständnis, dass der Körper eines solch großen Wesens schon
durch das Feuer des Yoga vollständig gereinigt wurde. Das innere tapas, die
Hitze, die durch anhaltende und vollkommene Yoga-Praxis entstanden ist, hat
die latenten karmischen Eindrücke, die samskaras, verzehrt und so den Körper
makellos gemacht. Darüber hinaus wird der Körper eines verwirklichten
Weisen, der Brahman erlangt hat, als tirtha verehrt, als heiliger Ort. Im
Kubjikamata Tantra heißt es:
All jene, die durch die Erkenntnis von Weisheit vollkommen
geworden sind, die in der Lage sind, Weisheit zu generieren – wo sie
sich befinden, das ist ein Ort, der ein tirtha im höchsten Sinne des
Wortes ist… Alle tirthas sind dort, wo ein Guru gegenwärtig ist.9
Erst vor dem Hintergrund solcher Vorstellungen können wir nachvollziehen,
warum die Begräbnisstätte eines verwirklichten Weisen als so heilig
angesehen wird. Wenn ein Durchschnittsmensch stirbt, ist es der prana, der
den Übergang in andere Ebenen der Existenz und schließlich die
Wiedergeburt ermöglicht. Darüber hinaus geschieht es mit Hilfe des prana,
dass die karmischen Eindrücke und Verdienste (punya) der vergangenen
Handlungen eines Menschen übertragen werden, um in zukünftigen Leben
Früchte zu tragen. Anders ist es bei dem verwirklichten Weisen, der Brahman
erlangt hat – solch ein Wesen erlebt keine zukünftigen Geburten. Was
geschieht mit dem prana und den immensen Verdiensten, die ein großes
Wesen angehäuft hat?
Baba Muktananda sagt in einem Kommentar über den am Anfang dieser
Erläuterung zitierten Vers aus der Brhadaranyaka Upanishad:
Wenn ein gewöhnlicher Mensch stirbt, verlässt die Seele den Körper
und nimmt seinem Karma gemäß eine weitere Gestalt an. Aber im
Fall großer Wesen, die ihr Einssein mit Brahman, der Höchsten
Realität, der alldurchdringenden Einheit von Sein, Bewusstsein und
Glückseligkeit (satcidananda) erkannt haben, reist der prana nicht zu
anderen Ebenen: Er verlässt den Körper nicht.10
Das punya, das Verdienst, eines Menschen ist im prana gespeichert, und der
prana eines verwirklichten Weisen verbleibt im Scheitelpunkt des Kopfes, wo
er ihn unmittelbar vor dem Verlassen des Körpers konzentriert hatte. Weil sein
Verdienst auf diese Weise in seinem prana gespeichert ist und im Körper
bleibt, wird der Körper als ein Ort heiliger Kraft verehrt, von dem die
strahlende Gegenwart des reinen Höchsten Bewusstseins ausströmt. Diese
strahlende Gegenwart wird zum Fokuspunkt eines samadhi-Schreins.
Dazu sagt Baba Muktananda:
Nachdem diese großen Wesen Brahman verwirklicht haben,
verwenden sie ihre tapasya nicht zu ihrem persönlichen Nutzen, denn
sie haben nichts mehr zu erlangen. Sie dient dem Wohle anderer.
Diese Kraft verbleibt in ihren samadhi-Schreinen. Tatsächlich ist diese
Kraft dasselbe wie das alldurchdringende reine Höchste
Bewusstsein.11
Als eine Wohnstätte heiliger Kraft wird der Körper eines verwirklichten
Weisen begraben, der Ort mit einem Stein markiert und ein Schrein über der
Stelle gebaut. Dass ein solcher Ort eine Verbindungslinie zur Gegenwart des
Siddhas bleibt, ist auch den Äußerungen des beliebten indischen Heiligen Sai
Baba von Shirdi (1835-1918) vor seinem eigenen mahasamadhi zu entnehmen.
Er versicherte seinen trauernden Schülern: „Die Steine meines samadhi werden
zu euch sprechen.”12
Baba Muktananda sagte einmal über Gurudev Siddha Peeth: „Bis ans Ende der
Zeit werde ich genau hier sitzen.”13 Baba sitzt immer noch dort und verströmt
sein Eins-Sein mit dem reinen Höchsten Bewusstsein von genau dem Raum
aus, in dem Jahre zuvor sein Guru ihn auf rituelle Weise installiert hatte. Es ist
Babas samadhi-Schrein, und dieser ist ganz entschieden ein tirtha.
Die Feier des Mahasamadhi eines Siddhas
Die jährlichen Feiern, die am Jahrestag des Verscheidens eines Siddhas
stattfinden, sind eine Form des Gedenkens, in dem Schülerinnen und Schüler
die shakti solch eines großen Wesens anrufen. Diese Feiern sind tief in der
indischen Tradition verwurzelt. Einen der frühesten Hinweise auf diese Praxis
finden wir in einer Augenzeugenbeschreibung über den mahasamadhi des
Dichterheiligen Jnaneshvar Maharaj aus Maharashtra im Jahr 1296. Sein
Zeitgenosse, der Heilige Shri Namdev, berichtet, dass Jnaneshvar Maharaj
Vitthal, den Herrn, am Vorabend seines samjivan samadhi – eines
selbstgewählten „lebenden“ samadhi – um die Erfüllung eines letzten
Wunsches ersuchte. Er bat darum, dass sich jedes Jahr am Tag seines
mahasamadhi Anhänger_innen an diesem Ort versammeln mögen, um die
Größe von Vitthal zu feiern, der für Jnaneshvar die Manifestation des reinen
Höchsten Bewusstseins war. Vitthal, der Herr, stimmte zu, indem er erklärte,
dass die Stelle, an der Jnaneshvar sitzt, für immer seinen reinen Zustand des
Höchsten Bewusstseins ausstrahlen wird.14
Bis zum heutigen Tag, mehr als siebenhundert Jahre später, kommen täglich
Anhänger_innen zu Jnaneshvars samadhi-Schrein, um den Segen seiner
Errungenschaften zu empfangen, die seine samadhi-Anlage durchdringen. Und
jedes Jahr am elften Tag der dunklen Hälfte des Monats Kartik (der
normalerweise in den November fällt) versammeln sich Tausende von
Anhänger_innen, um Jnaneshvar und seinen Zustand der Selbst-
Verwirklichung zu feiern.
So wie Baba Muktanandas samadhi-Schrein als räumliche Verbindungslinie für
seine alldurchdringende shakti dient, so dient der Vollmond im Oktober als
zeitliche Verbindungslinie. Dieser Vollmond markiert den Jahrestag von Babas
mahasamadhi nach dem Mondkalender, und obwohl seine shakti überall präsent
ist, heißt es, dass ihre Strahlkraft an diesem Tag exponentiell zunimmt und
uns für Babas Gegenwart in unserem Leben öffnet. Der kollektive Fokus
hingebungsvollen Feierns facht diese leuchtende shakti zu einer kraftvollen
Flamme an.
Und daher ehren und feiern Siddha Yogis und neue Suchende am
Vollmondtag im Oktober den mahasamadhi von Baba Muktananda, und wir
tauchen in seinen strahlenden Zustand des reinen Höchsten Bewusstseins ein.
Wir erinnern uns an Babas physische Gegenwart in dieser Welt und erleben
seine alldurchdringende Gegenwart im Herzen. Es gibt unzählige Geschichten
von Siddha Yogis und neuen Suchenden, die an diesem strahlenden
Vollmondtag im Oktober große Segnungen, tiefschürfende Visionen und
kraftvolle darshans von Baba Muktananda erlebt haben.
© 2016 SYDA Foundation®. Alle Rechte vorbehalten.
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1 Brhadaranyaka Upanishad 4.4.6. 2 David Gordon White, Sinister Yogis (Chicago: University of Chicago Press, 2009), S. 33,
Anm. 137; S. 60. 3 Katha Upanishad 6.10-11. 4 Mahabharata 16.5.18-25. 5 Shatapatha Brahmana 10.5.2.8, 13. 6 Chandogya Upanishad 8.6.5-6. 7 Bhagavad Gita 8.10-13. 8 Swami Muktananda, Bhagawan Nityananda von Ganeshpuri (South Fallsburg, NY: SYDA
Foundation, 1996), S. 63. 9 Kubjikamata Tantra 10.104b-108a, englische Übersetzung von Teun Goudriaan, “Some
Beliefs and Rituals Concerning Time and Death in the Kubjikāmata,” in Selected Studies on
Ritual in the Indian Religions: Essays to D.J. Hoens, ed. Ria Kloppenborg (Leiden: E.J. Brill,
1983), S. 98. 10 Muktananda, Bhagawan Nityananda von Ganeshpuri, S. 64. 11 Swami Muktananda, Conversations with Swami Muktananda: The Early Years, 2nd ed. (South
Fallsburg, NY: SYDA Foundation, 1998), S. 115. 12 Meditation Revolution: A History and Theology of the Siddha Yoga Lineage (South Fallsburg,
NY: Agama Press, 1997), S. 125. 13 Muktananda, Bhagawan Nityananda von Ganeshpuri, S. 93. 14 Śrī Nāmdev Gāthā [Sakaḷa Santa Gāthā], ed. N. Sakhare (Pune: Varda Books, 1990 [1923]),
Verse 700-830. i Alle Übersetzungen von Schrifttexten ins Englische stammen von Mark McLaughlin,
sofern nicht anders angegeben. Deutsche Übersetzungen aus dem Englischen.