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1 Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks – Education 2015/2016 Claude Debussy: Prélude à l’après-midi d’un faune Trois ballades de François Villon Unterrichtsmaterial zur „Echtzeit“ am 8. Juni 2016 im Herkulessaal der Münchner Residenz Christian Gerhaher, Bariton Heinz Holliger, Dirigent Was tut ein Faun am Nachmittag? Claude Debussys Nachmittag eines Fauns und seine Villon-Balladen im Musikunterricht Einführung Autor: Kilian Sprau Claude Debussy Foto: BR

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Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks – Education 2015/2016

Claude Debussy:

Prélude à l’après-midi d’un faune • Trois ballades de François Villon

Unterrichtsmaterial zur „Echtzeit“ am 8. Juni 2016 im Herkulessaal der Münchner Residenz

Christian Gerhaher, Bariton

Heinz Holliger, Dirigent

Was tut ein Faun am Nachmittag?

Claude Debussys Nachmittag eines Fauns und seine Villon-Balladen im Musikunterricht

Einführung Autor: Kilian Sprau

Claude Debussy

Foto: BR

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Dieser Reader enthält Abschnitte zu folgenden Themen:

ALLGEMEINE HINWEISE ............................................................................................................................................. 3

1. PRELUDE A L’APRES-MIDI D’UN FAUNE .................................................................................................... 4

SKANDALÖS! WAS EIN FAUN SO TREIBT… ..................................................................................................................... 4

DEBUSSY ALS MENSCH UND KÜNSTLER ........................................................................................................................ 5

DIE VORLAGE: STEPHANE MALLARME, L’APRES-MIDI D’UN FAUNE .................................................................................... 6

DEBUSSYS MUSIK ZUM NACHMITTAG EINES FAUNS ........................................................................................................ 7

DEBUSSYS PRÉLUDE À L‘APRÈS-MIDI D’UN FAUNE IM MUSIKUNTERRICHT ............................................................................ 8 1. Das Hauptmotiv und seine Harmonisierungen ...................................................................................... 8 2. Klangfarbenhören: Das Orchester in Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune .............................. 12 3. ‚Sehnsüchtige‘ Harmonik: die getrübte Tonika .................................................................................... 15 4. Das Prélude als Ganzes (Hördurchgang) ............................................................................................. 18

2. TROIS BALLADES DE FRANÇOIS VILLON .................................................................................................. 19

FRANÇOIS VILLON: EIN VERWANDTER DES FAUNS? ....................................................................................................... 19

TROIS BALLADES DE FRANÇOIS VILLON: TEXTINHALT ..................................................................................................... 20 Nr. 1. Ballade de Villon à s’amye .................................................................................................................. 20 Nr. 2 Ballade que Villon feit à la requeste de sa mère pour prier Nostre-Dame ........................................... 20 Nr. 3 Ballade des femmes de Paris ............................................................................................................... 20

EIN BLICK IN DIE KOMPONISTEN-WERKSTATT .............................................................................................................. 21

HINWEIS ZUR ORCHESTERFASSUNG ........................................................................................................................... 21

ÜBUNG: TEXT UND MUSIK ...................................................................................................................................... 22

HINWEISE ZU EINIGEN CHARAKTERISTIKA DEBUSSY’SCHER LIEDKOMPOSITIONEN ................................................................ 23

FRAGENKATALOG FÜR DEN KONZERTBESUCH ............................................................................................................... 23

ANHANG .............................................................................................................................................................. 24 1. Abbildungsnachweis ............................................................................................................................ 24 2. Nachweis der verlinkten Aufnahmen ................................................................................................... 24 1. Literaturhinweise ................................................................................................................................. 24

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Allgemeine Hinweise

Die folgenden Seiten bieten, aus Anlass der Echtzeit 2015/16 des Bayerischen Rundfunks,

Anregungen dafür, Schülerinnen und Schüler auf ein musikalisches Live-Erlebnis vorzubereiten. Im

Fokus stehen Werke des französischen Komponisten Claude Debussy: Seine Orchesterkomposition

Prélude à l’après-midi d’un faune (1994) und seine Drei Balladen nach Texten von François Villon

(1910). Der Reader bietet Einführungen in beide Werke unter unterschiedlichen Aspekten sowie

Vorschläge zu ihrer Behandlung im schulischen Musikunterricht. Ziel des Hefts ist es, Schülerinnen

und Schülern den Kontakt mit einer Musik zu erleichtern, die bei gelungener Vorbereitung eine

eindrucksvolle Konzerterfahrung verspricht.

Es wird empfohlen, Debussys Prélude und die Villon-Balladen bzw. Ausschnitte daraus vor dem

Konzertbesuch möglichst viel mit den Schülerinnen und Schülern anzuhören. Um dies zu erleichtern,

sind den Vorschlägen zur Unterrichtsgestaltung unter den Kürzeln →Hörbeispiel Faun bzw.

→Hörbeispiel Villon Links zu im Internet verfügbaren Aufnahmen des Werks beigegeben

(Interpreten: siehe Anhang).1 Die Links enthalten genaue Zeitangaben, um das Auffinden der

jeweiligen Stelle zu erleichtern. Ebenfalls beigegeben sind Links zu den im Web legal downloadbaren

Partituren mit genauen Seiten- und Taktangaben.

Der Anhang informiert über die Quellen der Abbildungen und macht detaillierte Angaben zu den

Aufnahmen, auf die innerhalb des Readers verwiesen wird. Am Ende steht ein Verzeichnis mit

Informationen zur verwendeten und zu weiterführender Literatur.

Zum Reader gehört auch ein separates Word-Dokument. Es enthält, als Bausteine zur

selbstständigen Gestaltung von Arbeitsblättern:

sämtliche vorformulierten Arbeitsaufträge;

das gesamte Noten- und Bildmaterial des Readers.

1 http://www.br-so.de/unterrichtsmaterial-debussy-download/

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1. Prélude à l’après-midi d’un faune

Skandalös! Was ein Faun so treibt… 29. Mai 1912: Das Publikum im Pariser Théâtre du Châtelet ist begeistert. Der Star-Tänzer Vaslav

Nijinsky hebt soeben ein neues Ballett aus der Taufe. Erzählt wird darin die Geschichte eines Fauns,

eines merkwürdigen Mischwesens: Er ist halb Mensch, halb Bock, ziegenbärtig, mit Hörnern auf dem

Kopf und Hufen an den Füßen – nicht unbedingt eine Schönheit! Kein Wunder, dass die hübschen

Waldnymphen, die Najaden, nichts von ihm wissen wollen: Alle sieben laufen vor ihm davon; von der

letzten bekommt er gerade noch den Schleier zu fassen, bevor auch sie zwischen den Bäumen

verschwindet. Sehnsüchtig bleibt der arme Faun allein zurück und küsst zärtlich die Trophäe aus

feinem Stoff, die er noch immer in der groben Hand hält. Für die Zuschauer des Jahrs 1912,

insbesondere die jüngere Generation, ist Nijinskys neuestes Ballett eine Offenbarung. Sie spüren:

Hier ist etwas ganz Neues im Kommen. Das Ballett vom erfolglosen Liebeswerben des Fauns hat der

junge Tänzer – gerade mal 23 Jahre alt und schon eine Berühmtheit – selbst choreographiert. Er hat

sich die Rolle des Fauns im wahrsten Sinne des Wortes auf den Leib geschrieben. Das klassische

Ballett à la Schwanensee und Dornröschen scheint er hinter sich gelassen zu haben; eine ganz neue

Art der tänzerischen Bewegung kündigt sich an: der moderne Ausdruckstanz.

Weniger begeistert ist die Kritik. Bereits am Tag nach der Generalprobe erscheint in der

renommierten Pariser Zeitung Le Figaro ein Artikel des Chefredakteurs Gaston Calmette. Darin ist

von einem „unanständigen Faun“ die Rede, der „mit krassen Bewegungen“ und „obszönen Gesten“

nicht nur die Nymphen in die Flucht geschlagen habe, sondern auch die empfindlichen

Geschmacksnerven des „wahren Publikum[s]“2 verletzt habe. Es entwickelt sich ein handfester

Skandal, in dem Prominente der Pariser Kunstszene sich auf die Seite des innovativen Balletttänzers

schlagen und daraufhin, wie erwartet, selbst Beschimpfungen der konservativen Presse über sich

ergehen lassen müssen. Dem Triumph Nijinskys schadet dieser Skandal keineswegs; vermutlich sorgt

er eher für gute Publicity. Wenig später jedenfalls bricht er zu einer triumphalen Welttournee auf, die

seinen Ruf, einer der wichtigsten Tänzer des noch jungen Jahrhunderts zu sein, für immer festigt.

Fast vergessen kann man über diesem handfesten Theaterskandal, dass nicht nur die Choreographie,

sondern auch die Musik zu Nijinskys Ballett eine Herausforderung für ein konservativ eingestelltes

Publikum darstellt. Geschrieben hat sie der Komponist Claude Debussy. Sein Orchesterwerk Prélude à

làprès-midi d’un faune (‚Vorspiel auf den Nachmittag eines Fauns‘) gilt heute als eines der

innovativsten Musikstücke der Jahrhundertwende, als visionärer Vorausblick auf vieles, was später

die Komponisten des 20. Jahrhunderts einem irritierten und faszinierten Publikum so servieren

werden. Nur: Als Nijinsky beschließt, die Musik Debussys zur Vorlage für ein Ballett zu nutzen, ist das

Werk bereits fast zwanzig Jahre alt. Längst gehört Debussy zu den führenden Tonsetzern Frankreichs.

Im Jahr 1912 wird kaum ein Komponist in Paris häufiger aufgeführt als er.3 Er ist prominent und

anerkannt. Seinen Ruhm hat er sich freilich schwer erarbeiten müssen. Als sein Prélude zum

Nachmittag eines Fauns im Jahr 1894 uraufgeführt worden war, hatte er erst am Beginn einer großen

Karriere gestanden. Und noch knapp zwanzig Jahre später, ja: noch heute wirkt die Musik, zu der ihn

das frustrierende Liebesleben des Fauns inspiriert hat, faszinierend auf die Zuhörer. In der

sensationellen Farbigkeit des Orchesterklangs, ihrer merkwürdigen, trance-artigen Atmosphäre und

der exquisit ausgesuchten Harmonik hat sie einen ganzen Stil mitbegründet, dem zu Beginn des 20.

Jahrhundert viele junge französische Komponisten begeistert folgten: den sogenannten

Impressionismus.

2 Astruc, Meine Skandale, S. 76.

3 Lediglich Camille Saint-Saëns (der breiten Öffentlichkeit heute v.a. als der Komponist des Karneval der Tiere

bekannt) steht zu jener Zeit noch höher in der Publikumsgunst als Debussy (vgl. Kabisch, Debussy, Sp. 581).

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Debussy als Mensch und Künstler Es wäre unwahr, wollte man behaupten, Claude Debussy (1863–1918) sei seinen Mitmenschen stets

als freundlicher und liebenswürdiger Zeitgenosse erschienen. So war es nicht. Als Komponist

verfolgte er seine künstlerischen Visionen mit äußerster Kompromisslosigkeit, verschmähte den

schnellen Erfolg und nahm stattdessen eine jahrelange Wartezeit auf erste Publikumserfolge in Kauf.

Einer seiner engsten Freunde, der Dichter Pierre Louӱs, erklärte einmal, Debussy hätte mit seiner

enormen Begabung ohne Weiteres ein beliebter Komponist populärer Unterhaltungsmusik – und

damit ein reicher Mann – werden können.4 Doch der hatte längst erkannt, dass die Musik, die ihm

vorschwebte, zunächst nur bei einer Minderheit der Musikhörer auf Akzeptanz stoßen würde und

sah die Zielgruppe seiner Werke in einer kleinen, aber hochgebildeten Elite. Der verhältnismäßig

späte Ruhm, der sich etwa ab der Jahrhundertwende einstellte, gab ihm letztlich recht. Aber dafür

hatte er finanzielle Sorgen in Kauf zu nehmen, die ihn letztlich sein Leben lang plagten, selbst dann

noch, als er bereits ein geachtetes Mitglied der französischen Kulturszene war. Denn als Privatperson

folgte Debussy ebenso unbeirrbar seinen persönlichen Maximen wie als Künstler, leistete sich einen

luxuriösen Lebensstil, für den nicht immer genügend Geld vorhanden war, sammelte Drucke

japanischer Malerei und begeisterte sich für wertvolle Bücher. Mit ihm zusammenzuleben, war nicht

einfach: Zweimal war er verheiratet, und keine der beiden Ehen verlief ohne Spannungen. Debussy

machte es niemandem leicht –nicht seinem Publikum, nicht seinen Freunden und Bekannten, und

auch nicht sich selbst.

Dass Debussy bereits während seiner Studienzeit am Pariser Konservatorium ständig angeeckt sei

und seine Professoren von Anfang an mit seiner Revoluzzer-Attitüde abgestoßen habe, ist eine

Legende.5 Es trifft aber zu, dass sich schon damals einige Besonderheiten der Musiksprache

bemerkbar machten, für die er später berühmt werden sollte. Hierzu gehört eine ausgeprägte

Vorliebe für raffinierte Klangfarben, die besonders in seinen Orchesterwerken, z.B. dem Prélude zum

Nachmittag eines Fauns, zur Geltung kommt. Dazu gehört auch ein spezieller Umgang mit der

Harmonik, die Debussy nicht nur in ihrer konventionellen Form verwendet, sondern mit

Spannungstönen anreichert, mit Dissonanzen versieht und in freier Weise aneinanderreiht, ohne sich

um althergebrachte Regeln der Klangverbindung zu kümmern (außer, wenn er will). Seine Vorliebe

für spannungsvolle Klänge hat ihn zum Vorreiter der Jazzharmonik werden lassen.6 Debussy gehört

zu den ersten Komponisten, die systematisch versuchten, die Grenzen der herkömmlichen Tonalität

zu sprengen. Eine der Techniken, die er dazu gebraucht, besteht im Rückgriff auf Tonleitern, die sich

von den herkömmlichen Dur-Moll-Skalen erheblich unterschieden. Wo er traditionelle Tonarten

benutzt, wechseln diese mitunter so schnell, dass man als Hörer leicht den ‚Überblick‘ verliert. Dann

wieder gibt es Stellen, an denen die Musik erstaunlich lange auf einzelnen Klängen und Motiven

verharrt: Auch die heutige Meditationsmusik verdankt Debussy eine ganze Menge.

Es ist üblich geworden, Debussys Stil als Impressionismus zu bezeichnen. Damit ist gemeint, dass in

seiner Musik der Klang und die Klangfarbe oftmals wichtiger sind als Melodik und Motivik. Der Begriff

Impressionismus bezeichnet ursprünglich den Stil der französischen Malerei, die zu Debussys Zeit von

Künstlern wie Claude Monet und Édouard Manet geschaffen wurde. Tatsächlich hatten aber die

zeitgenössischen Maler kaum Einfluss auf Debussys Musik. Er fühlte sich eher zu zeitgenössischen

Dichtern hingezogen, etwa zum Kreis der französischen Symbolisten. Diese schufen eine Poesie, die

den Klang der Sprache dem Sinn der Worte überordnete und vieldeutige, assoziationenreiche Bilder

an die Stelle klar definierbarer Inhalte treten ließ. Einer von ihnen war Stéphane Mallarmé; er hat die

literarische Vorlage des Préludes zum Nachmittag eines Fauns geschaffen hat.

4 Vgl. Kabisch, Debussy, Sp. 573.

5 Vgl. ebd., Sp. 567.

6 Vgl. Berendt, Jazzbuch, S. 48, 104 und 234.

6

Die Vorlage: Stéphane Mallarmé, L’après-midi d’un faune Der Komponist Debussy und der Dichter Stéphane Mallarmé (1842–1898) schätzten einander –

menschlich und künstlerisch. Das ist kein Wunder: Sie waren aus ähnlichem Holz geschnitzt.

Mallarmé war ein Radikaler im Reich der Poesie, ein Mitbegründer der literarischen Moderne, in der

die Schönheit der Sprache oftmals wichtiger ist als der Inhalt eines Textes, in der dieser Inhalt nicht

selten eher in Assoziationen und dunkler Symbolik besteht als in konkreten Sinnzusammenhängen.

Die Schaffensperiode, in der Mallarmé sein Gedicht Der Nachmittag eines Fauns schrieb (1876), wird

nicht zufällig als seine ‚dunkle Phase‘ bezeichnet. Verglichen mit anderen seiner Gedichte ist dieses

zwar noch verhältnismäßig zugänglich. Dennoch fällt es nicht leicht, zu formulieren, worum es in

diesem Text eigentlich geht. Ursprünglich war das Werk für die Bühne gedacht: 1890 fragte Mallarmé

bei Debussy an, ob dieser bereit sei, an einer szenischen Produktion des Werks mitzuwirken. Debussy

sagte zu, aber der einzige Beitrag, den er schließlich fertigstellte, war eine Art Ouvertüre für das

geplante Theaterprojekt (das übrigens nicht zustande kam). Von daher trägt die etwa zehnminütige

Komposition ihren ansonsten unverständlichen Titel: Prélude, also ‚Vorspiel‘.

Mallarmés Gedicht greift auf Motive der antiken Mythologie zurück, beispielsweise auf die

Geschichte des Gottes Pan und der Nymphe Syrinx, wie sie der Dichter Ovid in seinem Epos

Metamorphosen erzählt: Der Gott Pan, der auf lateinisch Faunus heißt und entsprechend aussieht

(pelzig, gehörnt, gehuft, also nach herkömmlichen Maßstäben wenig attraktiv), verliebt sich in die

schöne Syrinx, die aber von ihm nicht wissen will. Verzweifelt läuft sie vor seinen aufdringlichen

Annäherungsvorsuchen davon, und um sie zu retten, verwandeln sie die Götter in ein Schilfrohr. Pan

bleibt traurig zurück. Da er seiner Sehnsucht nach Syrinx Ausdruck verleihen möchte, bastelt er aus

dem Schilfrohr eine Flöte – die Panflöte. Auf diesem Instrument spielend, kann er seiner Klage um die

verlorene Nymphe Ausdruck verleihen. Von diesem merkwürdigen Gott Pan, der zugleich so

unsensibel und so gefühlvoll ist, stammen die Figuren der Faune (griechisch Satyrn) ab, die in der

Mythologie die Wälder und Haine bevölkern, wo sie Nymphen und jungen Frauen auflauern, um sich

mit ihnen zu vergnügen. Besonders unternehmungslustig sind die Faune, so der Volksglaube, um die

Mittagsstunde. Wenn sie gerade nicht auf Liebesabenteuer aus sind, sprechen sie tüchtig dem

Alkohol zu, weshalb man sie auch im Gefolge des Weingotts Bacchus antrifft.

Mallarmés Gedicht stellt den Monolog eines Fauns dar. Er berichtet darin von einer Begegnung mit

zwei Najaden (Nymphen), die sich offenbar kurz zuvor zugetragen hat – oder auch nicht:

Möglicherweise hat er alles nur geträumt, von der großen Mittagshitze eingeschläfert; so genau

erfährt der Leser das nicht. Ob die beiden schönen Waldgöttinnen über seine Avancen erfreut waren

oder ob sie eher versucht haben, sich ihm zu entziehen, wird ebenfalls nicht klar. Eindeutig ist nur,

dass jetzt, am Nachmittag, weit und breit keine Nymphen zu sehen sind; stattdessen steht der Faun

mit zwei Schilfrohren in der Hand da, aus denen er, offenbar nach dem Modell des antiken

Doppelaulos, ein Blasinstrument zusammengebaut hat. Durch sein Spiel will er, wie einst der Gott

Pan, zumindest die Erinnerung an die beiden jungen Göttinnen verewigen. In seiner nebulösen

Phantasie verschmelzen sie mit dem Schilfrohr. Sehnsüchtig hofft er auf neue Liebesabenteuer.

Man hat Mallarmés Gedicht verschieden gedeutet, u.a. als symbolische Darstellung des

künstlerischen Schaffensprozesses. Der Faun entspricht nach dieser Deutung dem Künstler, der

Eindrücke aus einer unerfreulichen Wirklichkeit in der Kunst verarbeitet. Man mag diese

Interpretation akzeptieren, oder nicht: Eindeutig jedenfalls erzählt Mallarmés Faun von der

Sehnsucht danach, die Vergänglichkeit schöner Empfindungen, die Flüchtigkeit von Glücks- und

Lustgefühlen zu überwinden, und von der Möglichkeit, diese Sehnsucht in Musik zum Ausdruck zu

bringen. Da diese Sehnsucht nicht zu ‚heilen‘ ist, ist der Monolog des Fauns, bei Mallarmé wie bei

Ovid, eine Klage. Auch wenn am Schluss die Hoffnung auf neue Glücksmomente lockt: Diese werden

ebenso flüchtig und vergänglich sein wie es die Begegnung mit den Nymphen war.

7

Debussys Musik zum Nachmittag eines Fauns Obwohl es naheliegt, Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune als ‚Programmmusik‘ zu betrachten,

birgt diese Einordnung Schwierigkeiten. Sie führt jedenfalls in die Irre, wenn man von

Programmmusik die ‚Darstellung außermusikalischer Inhalte‘ erwartet. Keinesfalls ‚erzählt‘ Debussys

Orchesterstück eine Geschichte, etwa in dem Sinn, in dem sich Dukas‘ Zauberlehrling oder Strauss‘

Till Eulenspiegel als musikalische Erzählungen begreifen lassen. Auch ‚Tonmalerei‘ oder die

Nachahmung akustischer Eindrücke (etwa von Vogelstimmen, wie sie ja angesichts einer Geschichte,

die in der Natur spielt, erwartet werden könnten) fehlen. Zweifellos erkennt zwar, wer mit Mallarmés

Gedicht vertraut ist, dass bestimmte Motive der literarischen Vorlage Resonanzen in Debussys Musik

auslösen. Dazu gehört die Vorstellung des einsam auf einem Blasinstrument musizierenden Fauns:

Auf höchst suggestive Weise eröffnet der Komponist sein Prélude mit einem Flötensolo. Auch lassen

sich immer wieder musikalische Motive vernehmen, die an Rufe erinnern, etwa so, als befände sich

der Faun auf der Suche nach den entschlüpften Najaden. Darüber hinaus aber sind konkrete

Analogien zu Mallarmés Text spärlich. Der Bezug zwischen dem Orchesterwerk und der Dichtung

muss auf andere Weise hergestellt werden.

Entsprechungen zwischen Text und Musik lassen sich hauptsächlich auf der atmosphärischen Ebene,

im Hinblick auf die ‚Stimmung‘ der beiden Werke ausmachen. Debussys Komposition entfaltet ein

berückendes Spiel mit teils leuchtenden, teils gedämpften Orchesterfarben, oftmals raffiniert

zusammengesetzt aus spezifischen Klangwirkungen einzelner Instrumente. Dies erinnert an die

zahlreichen Benennungen von Farbnuancen in Mallarmés Gedicht, in Formulierungen wie „or

glauque de lointaines / Verdures“ (‚blaugrünes Gold ferner Grünflächen‘), „l’azur“ (‚die Bläue‘ [des

Himmels]) oder „pourpre et déjà mûre“ (‚purpurfarben und schon reif‘; gemeint ist ein Granatapfel).

Von Interesse ist auch, dass Debussys Musik nahezu jeder Dramatik entbehrt: Beunruhigende

Steigerungen oder plötzliche Entfaltungen orchestraler Lautstärke bleiben aus. Die Musik klingt

vielfach eher nach Zuständlichkeit als nach Bewegung; nur gelegentlich wird die allgemeine Ruhe

durch rhythmisch aktivere Passagen unterbrochen. Über weite Strecken fällt es beim Hören schwer,

einen gleichmäßigen Grundschlag zu erkennen; die Musik wirkt improvisatorisch frei, ungebunden,

gewissermaßen ziellos. Dies alles passt ausgezeichnet zu der eigentümlichen Stimmung des

Mallermé’schen Gedichts, das zwar von der lebhaften Begierde des Fauns und ereignisreichem

Körperkontakt mit den Najaden berichtet, aber eben nur hinter dem trüben Schleier einer unklaren

Erinnerung, in der die Grenzen zwischen Traum und Wachen verschwimmen.

So ist Debussys Komposition zum Nachmittag eines Fauns insgesamt ein Musterbeispiel für das, was

er selbst sich unter einer gelungenen Kombination aus Text und Musik vorstellte. Die ideale

Textvorlage war für ihn eine Dichtung, die ‚die Dinge nur halb ausspricht‘ („disant les choses à

demi“), sodass er als Komponist ‚seinen Traum auf den des Dichters setzen‘ („greffer mon rêve sur le

sien“7) konnte. Über sein Prélude à l’après-midi d’un faune erklärte er, es stelle eine ‚sehr freie

Illustration des Gedichts‘ („une illustration très libre du beau poème“) dar. Seine Musik liefere eine

Art akustisches Bühnenbild („les décors“), in dem der Faun an einem heißen Sommernachmittag

seine ‚Sehnsüchte und Träume‘ („les désirs et les rêves du Faune dans la chaleur de cet après-midi“8)

erlebe. Der Dichter fühlte sich offenbar vom Komponisten verstanden. Er erklärte, Debussys Musik

gehe sogar „noch viel weiter darin […], die Sehnsucht und das Licht mit Feinheit, Melancholie und

Reichtum wiederzugeben“9 als sein eigenes Gedicht. Auch das Publikum erkannte die epochale

Bedeutung der Komposition, die bald zu Debussys prominentesten Werken zählte.

7 Zitiert nach Kabisch, Debussy, Sp. 570.

8 Programmheftnotiz des Komponisten zur Uraufführung, zitiert nach: Goubault, Claude Debussy, S. 136.

9 Zitiert nach Barraqué, Debussy, S. 76.

8

Debussys Prélude à l‘après-midi d’un faune im Musikunterricht Debussys Musik ist grundsätzlich keine ‚einfache‘ Musik. Es handelt sich um musikalische

‚Avantgarde‘, eine Art klingendes Gegenstück zur Poesie eines Baudelaire oder Mallarmé (die man

heute nicht umsonst zu den Gründervätern der literarischen Moderne zählt). Debussys Tonsprache

ist häufig recht ‚abstrakt‘; außermusikalische Assoziationen liegen ihr oftmals fern. Auch schreibt er

keineswegs ‚dramatische‘ Musik (dies gilt in gewisser Weise sogar für seine Oper Pelléas et

Melisande); seine Musik ‚erzählt‘ nichts (oder nur wenig), und sie überwältigt auch nicht durch

äußere Prachtentfaltung. Mit eingängigen Melodien wartet sie kaum jemals auf. Es ist eine Kunst, die

ohne plakative Effekte auskommt. Ihre besondere Qualität besteht in der Formulierung feinster

Klangnuancen und Zwischentöne; es ist eine Welt der differenzierten Schattierungen, voll von

Delikatessen für akustische Gourmets.

Obgleich also nicht leicht aufzufassen, bietet Debussys Musik eine Reihe von Qualitäten, die sie für

eine Behandlung in der Schule durchaus prädestinieren. Das Prélude à l’après-midi d’un faune etwa

zählt zu den absoluten Gipfelwerken der musikalischen Weltliteratur, doch es benötigt nicht mehr als

etwa 10 Minuten, um seine kostbaren Reichtümer auszubreiten. Es kommt außerdem mit einigen

wenigen musikalischen Motiven aus, die zwar nicht unbedingt ‚leicht eingängig‘ sind; doch wenn man

sie einmal gut kennengelernt hat und in der Lage ist, sie in ihren unzähligen Varianten und

musikalischen ‚Verkleidungen‘ wiederzuerkennen, ist man gut dazu gerüstet, dem musikalischen

Verlauf über weite Strecken aufmerksam zu folgen. Einige der typischen kompositorischen Strategien

Debussys, etwa seine Vorliebe für dissonante Spannungstöne und seine oftmals überraschenden

harmonischen Effekte, lassen sich mit verhältnismäßig einfachen Mitteln so darstellen, dass sie auch

für weniger geübte Hörer nachvollziehbar werden. Und schließlich bietet Debussys hochentwickelte

Kunst der Instrumentierung zahlreiche Gelegenheiten, Orchesterinstrumente mit ihren individuellen

Klangfarben wahrzunehmen, wiederzuerkennen und während des Konzerts in Aktion zu beobachten.

Die folgenden Seiten bieten einige Anregungen dazu, wie Schüler auf diese besonderen

Charakteristika der Debussy’schen Klangsprache vorbereitet werden können.

1. Das Hauptmotiv und seine Harmonisierungen

Man könnte auf die Idee kommen, Debussys Prélude beginne selbst mit einer didaktischen

Maßnahme: Das Hauptthema des Werks wird zunächst allein von der Flöte vorgetragen; erst im

vierten Takt treten weitere Instrumente hinzu. Es wirkt, als wolle der Komponist dem Hörer die

Möglichkeit geben, diese zentrale melodische Gestalt seines Werks zunächst in nuce, ohne jede

harmonische oder klangfarbliche Zutat, kennenzulernen. Umso spannender ist es dann, wie dieses

Hauptthema während des Werkverlaufs in immer wieder variierter Gestalt, neu instrumentiert

und/oder mit neuen Harmonien versehen, wiederkehrt. Die folgende Übung soll den Schülern dabei

helfen, sich dieses Thema gut einzuprägen, und sie stellt einige der raffinierten Harmonisierungen

vor, die Debussy ihm zuteilwerden lässt.

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Übungen

1. Das Hauptthema des Préludes wird am Anfang des Werks von der Flöte vorgestellt. Hört

Euch das Flötensolo der Takte 1–4 (bis zum Eintritt der übrigen Bläser und Harfen) an.

→ Hörbeispiel Faun, 0:00–0:30

2. Dieses Thema hat einen wechselhaften Tonhöhenverlauf. Zeichnet diesen

Tonhöhenverlauf mit Stift und Papier als durchgehende Linie nach. Wenn die Melodie

aufsteigt, soll auch Eure Linie aufsteigen. Wenn die Melodie fällt, soll Eure Linie absteigen.

Mögliche Lösung:

3. Das erste Motiv des Themas stellt einer Art Berg-und-Tal-Bewegung zwischen den Tönen

cis² und g1 dar: abwärts und aufwärts, abwärts und aufwärts. Zeichnet diese Bewegung mit

passenden Handbewegungen in der Luft nach, während das Thema vom Band erklingt.

→ Hörbeispiel Faun, 0:00–0:30

4. Musiziert nun auf Stabspielen zur Musik der Flöte: Spielt den Spitzenton cis und den

tiefsten Ton g jeweils dann, wenn sie auch in der Flöte erklingen.

→ Hörbeispiel Faun, 0:00–0:17

Tipp: Schülerinnen und Schüler im Timing durch passende ‚Dirigierbewegungen‘ o.ä. unterstützen.

5. Im Verlauf des Stücks erklingt dieses Berg-und-Tal-Motiv sehr oft. Der Komponist versieht

es immer wieder mit anderen Harmonien, als wolle er es jedes Mal in ein neues Licht

tauchen. In den folgenden zwei Beispielen ist stets dem Spitzenton cis eine bestimmte

Harmonie zugeordnet, dem tiefsten Ton g eine andere. Musiziert die Harmonien auf

Instrumenten, während die Musik der Flöte vom Band erklingt.

→ Hörbeispiel Faun, 0:00–0:17

Tipp: Harmoniefolgen vorher mit der Klasse üben; ggfs. auch auf dem Klavier vorspielen.

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Als Instrumente können Stabspiele oder Boomwhakers verwendet werden. Besonders geeignet sind

Metallophone, wegen des verhältnismäßig langanhaltenden Klangs.

Beispiel 1: vgl. Partiturseite 3, T. 1–3

Beispiel 2: vgl. Partiturseite 5, T. 1

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6. Ihr hört nun die zwei verschiedenen Harmonisierungen, so wie sie bei Debussy im Original

erklingen. Wenn Ihr genau hinhört, merkt Ihr, dass sich nicht nur die Harmonien variieren.

Im zweiten Hörbeispiel hat sich auch das Motiv selbst gegenüber der ersten Version

verändert: Der Rhythmus ist anders geworden. Beschreibt, inwiefern er sich verändert hat.

Antwort: Die erste Note des Motivs (cis²) wird im zweiten Hörbeispiel länger gehalten als in der

Originalversion.

→ Hörbeispiel 1: Faun, 1:03–1:23

→ Hörbeispiel 2: Faun, 2:14–2:23

7. Ihr hört nun verschiedene andere Ausschnitte aus Debussys Komposition. An manchen

Stellen erscheint das schon bekannte Hauptthema, an anderen nicht. Bei welchen

Hörbeispielen könnt Ihr das Thema erkennen? Achtung: Es tritt nicht immer in seiner

ursprünglichen Gestalt auf. Manchmal wird es leicht verändert.

Hörbeispiel 1: Partiturseite 8, Ziffer 3

→ Hörbeispiel Faun, 3:32–3:42

Die Klarinette spielt hier das Berg-und-Tal-Motiv-des Themenkopfs, setzt danach aber anders fort als

im Hauptthema.

Hörbeispiel 2: Partiturseite 15, T. 2 ff.

→ Hörbeispiel Faun, 5:21–5:41

Hier erklingt nicht das Hauptthema, sondern eines der wichtigen Seitenthemen.

Hörbeispiel 3: Partiturseite 21, Ziffer 8

→ Hörbeispiel Faun, 7:23–7:44

Das Hauptthema wird hier, ähnlich wie am Beginn des Werks, von der Soloflöte gespielt (allerdings

mit augmentierter Rhythmik).

Hörbeispiel 4: Partiturseite 17

→ Hörbeispiel Faun, 5:57–6:17

Hier wird nicht das Thema, sondern wieder das bereits in Hörbeispiel 2 gehörte Seitenthema gespielt.

12

2. Klangfarbenhören: Das Orchester in Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune

Die Orchesterbesetzung, die Debussy für sein Prélude zum Nachmittag eines Fauns wählt, ist,

gemessen an den Maßstäben seiner Zeit, nicht besonders groß. Sie umfasst:

3 Flöten

2 Oboen (2.Oboe alternierend mit Englischhorn)

2 Klarinetten

2 Fagotte

4 Hörner

2 Harfen

Crotales (= Zimbeln)

Violinen

Violinen

Bratschen

Violoncelli

Kontrabässe

Auffällig sind das Fehlen von Blechbläsern mit Ausnahme der Hörner und der extrem kleine

Schlagzeug-‚Apparat‘: dieser besteht ausschließlich aus Crotales, einem Instrument, das kleinen

Metallplättchen glöckchenähnliche Klänge entlockt. Schon die Orchesterbesetzung macht also klar:

Hier geht es nicht um ‚äußeren‘ Klangaufwand und Prachtentfaltung. Ziel von Debussys

Orchestrierung ist vielmehr die fein nuancierte ‚innere‘ Differenzierung des Orchesterklangs. Dies

wird auch an der Bandbreite der dynamischen Anweisungen in der Partitur deutlich: Nur ein einziges

Mal (Partiturseite 19) wird die Anweisung Fortissimo erreicht, und auch das nur in Streichern und

den Harfen, nicht aber in den – ohnehin durchdringenden – Bläsern. Mit Anweisungen am unteren

Ende der Skala, die bis zum dreifachen Piano reicht, wird jedoch nicht gegeizt. Die folgenden

Übungen leiten dazu an, den Klang einzelner Instrumente im Orchesterklang aufzuspüren und sich

einzuprägen.

Hinweis: Die Übersichtlichkeit der Besetzung erleichtert es Schülerinnen und Schülern, während des

Konzerts die Instrumente nicht nur live zu hören, sondern auch mit dem Blick inmitten des

Orchesters ausfindig zu machen und in Aktion zu beobachten. Hierfür ist es günstig, wenn sie gut

darüber informiert sind, wie die einzelnen Instrumente aussehen und wo im Orchester sie ungefähr

zu finden sind. Selbstverständlich ist die Orchesteraufstellung, wie sie am Konzerttag sein wird, nicht

genau vorherzusehen. Dennoch erscheint es sinnvoll, im Vorfeld eine ungefähre Orientierung zu

bieten, etwa mithilfe folgender im Internet abrufbaren Grafik zur heute üblichen sogenannten

‚amerikanischen‘ Aufstellung.

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Übungen

Hinweis: Die in eckigen Klammern angegebenen Varianten oder Erweiterungen der Aufgabenstellung

bieten sich an, falls die die Schülerinnen und Schüler per Beamer den Ablauf der Hörbeispiele und die

jeweilige Sekundenzählung optisch verfolgen können.

1. Nachdem die Flöte zu Beginn das musikalische Hauptthema des Préludes vorgestellt hat,

‚antwortet‘ ihr ein anderes Blasinstrument. Wie heißt dieses Instrument?

[Das Blasinstrument ist von 0:31–0:37 des Hörbeispiels gut zu hören.]

Partiturseiten 1/2

→ Hörbeispiel Faun, 0:00–0:37

Antwort: Horn/Hörner

2. Im folgenden Hörbeispiel spielt nicht die Flöte, sondern ein anderes Blasinstrument das

Hauptthema. Benennt das Instrument.

Partiturseite 24

→ Hörbeispiel Faun, 7:58–8:20

Antwort: Oboe. Auch die Hörner sind gut zu hören.

3. Im folgenden Hörbeispiel erklingt ein weiteres Blasinstrument. Es spielt eine Variante des

Hauptthemas. Wie heißt das Instrument?

Partiturseite 25/26

→ Hörbeispiel Faun, 8:19–8:26

Antwort: Englischhorn

Hinweis: Nicht unwahrscheinlich ist, dass hier erneut die Antwort ‚Oboe‘ gegeben wird. In diesem

Fall wäre zu klären, dass das Englisch Horn ein der Oboe verwandtes Instrument mit tieferem Klang

ist.

Ggfs. Zusatzfrage:

Inwiefern ist diese Fassung des Hauptthemas gegenüber der von der Flöte gespielten Version

verschieden?

Mögliche Antworten: - Das Thema erklingt auf tieferer Tonhöhe.

- Der Rhythmus des Themas wurde verändert.

- Der lange Ton zu Beginn des Themas wird repetiert und ist mit einem Triller

‚verziert‘.

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4. Im folgenden Hörbeispiel kommt ein Streichinstrument solistisch zum Einsatz, das im

Orchester normalerweise nur in der Gruppe auftritt. Benennt das Instrument.

Partiturseite 20, T. 4 ff.

→ Hörbeispiel Faun, 6:57–7:21

Antwort: Solo-Violine. (Zu Beginn der Passage sind auch Horn und Klarinette gut zu hören.)

5. Nicht selten wird der Klang der Harfe von den übrigen Orchesterinstrumenten übertönt

oder zumindest in den Hintergrund gedrängt. Im folgenden Hörbeispiel, dem Anfang von

Debussys Prélude, ist das anders: die Harfe ist ganz deutlich zu hören. Zum Einsatz kommt

hier eine charakteristische Spieltechnik: das Glissando (von italienisch glissare, was so viel

wie ‚gleiten‘ bedeutet). Die Hand der Harfenistin oder des Harfenisten gleitet in hoher

Geschwindigkeit über die Saiten, so dass eine schnell an- oder absteigende Tonleiter zu

hören ist.

Hebt die Hand, wenn Ihr das Harfen-Glissando hört.

[Variante: Schreibt die Minuten- und Sekundenzahl der Stellen auf, an denen das Harfen-

Glissando zu hören ist.]

Partiturseiten 1/2

→ Hörbeispiel Faun, 0:00–1:02

Antwort: Harfen-Glissandi erklingen an den Stellen 0:27–0:31 und 0:42–0:46.

6. Am Ende des Préludes à l’après-midi d’un faune kommen die Crotales zum Einsatz. (Dies ist

eine englische Bezeichnung; der deutsche Name des Instruments lautet ‚Zimbeln‘.) Es

handelt sich um kleine Metallscheiben, die aneinandergeschlagen oder mit einem Schlägel

zum Klingen gebracht werden. Der Effekt erinnert an kleine Glöckchen.

Hebt die Hand, wenn Ihr im folgenden Hörbeispiel die Crotales hört.

[Variante: Schreibt die Minuten- und Sekundenzahl der Stellen auf, an denen die Crotales

zu hören sind.]

Partiturseite 31, T. 2 ff.

→ Hörbeispiel Faun, 10:20–10:53

Antwort: Die Crotales erklingen an den Stellen 10:32, 10:41 und 10:47.

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3. ‚Sehnsüchtige‘ Harmonik: die getrübte Tonika

Zu den wichtigsten Elementen traditioneller tonaler Musik gehört die Bezogenheit der Harmonik auf

einen Grundton, der die Tonart eines Stücks festlegt. Kadenzierende Wendungen machen den Hörer

immer wieder von neuem auf diesen Grundton aufmerksam, z.B. durch die Folge von V. Stufe und I.

Stufe (Dominante → Tonika). Tritt die V. Stufe als Septakkord auf, wird die Bewegung von dort in die

Tonika traditionell als Auflösung einer Dissonanz, als Übergang von Spannung zu Entspannung

wahrgenommen. Debussy spielt im Prélude à l’après-midi d’un faune mit dieser Hörerwartung.

Während des Stücks treten immer wieder kadenzierende Wendungen auf, doch die Tonika erklingt

selten in Reinform. Immer wieder lässt sich Debussy neue Varianten einfallen, um den Tonika-Klang

mit ‚Spannungstönen‘ anzureichern, also Tönen, die sich zum Dreiklang der I. Stufe dissonant

verhalten. So kommt die Harmonik selten wirklich an ein ‚Ziel‘. Die Wirkung erinnert an die

Sehnsucht des Fauns nach der Liebe der Najaden: So wie diese unerfüllt bleibt, erfolgt in Debussys

Musik oft keine wirkliche Auflösung der harmonischen Spannung.

Die folgende Übung präsentiert drei kadenzierende Wendungen aus dem Prélude:

Im ersten Fall klingt die Tonika (Des-Dur) als reiner Dur-Dreiklang.

Im zweiten Fall ist die Tonika (Des-Dur) dissonant angereichert.

Im dritten Fall tritt die Tonika (E-Dur) zunächst als reiner Dreiklang auf, wird aber sofort

danach dissonant ‚eingefärbt‘.

Die Reihenfolge der Beispiele entspricht den Positionen der Ausschnitte im Originalwerk.

Klavierbeispiel 1: vgl. Partiturseite 15, T. 1/2

dazugehöriges Hörbeispiel 1:

→ Hörbeispiel Faun, 5:14–5:24

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Klavierbeispiel 2: vgl. Partiturseite 20, T. 2/3

dazugehöriges Hörbeispiel 2:

→ Hörbeispiel Faun, 6:45–6:53

Klavierbeispiel 3: vgl. Partiturseite 29/30, Seitenübergang

dazugehöriges Hörbeispiel 3:

→ Hörbeispiel Faun, 10:02–10:16

Tipp: Klavierbeispiele langsam spielen. Arpeggieren der Akkorde erleichtert das hörende Aufnehmen

der Harmonien.

Übung, Version 1 Jeweils für alle drei Beispiele:

Euch wird eine Harmoniefolge am Klavier vorgespielt. Singt den Sprung der Bassstimme von der V.

zur I. Stufe mit. Anschließend hört Ihr einen Ausschnitt aus Debussys Prélude à l’après-midi d’un

faune. Darin kommt dieselbe Harmoniefolge vor.

Hebt die Hand, wenn Ihr sie im Orchesterwerk erklingen hört.

[Variante: Schreibt die Minuten- und Sekundenzahl der Stellen auf, an denen die Harmoniefolge zu

hören ist.]

NB. Taktvorzeichnung und

Rhythmik sind dem Höreindruck

entsprechend vereinfacht.

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Übung, Version 2 Jeweils für alle drei Beispiele:

Euch wird eine Harmoniefolge am Klavier vorgespielt. Singt den Sprung der Bassstimme von der V.

zur I. Stufe mit. Anschließend hört Ihr zwei Ausschnitte aus Debussys Prélude à l’après-midi d’un

faune. In einem der beiden Ausschnitte kommt die zuvor gehörte Harmoniewendung vor. Kreuzt

an: In welchem der beiden Ausschnitte habt Ihr die Harmoniefolge gehört?

[Variante: Schreibt die Minuten- und Sekundenzahl auf, an der Ihr die Harmoniefolge gehört habt.]

Ausschnitt Nr. 1 □

Ausschnitt Nr. 2 □

Hinweis: In Version 2 der Übung wird zu jedem Hörbeispiel ein weiterer Ausschnitt aus dem Werk

vorgespielt, der keinen Bezug zu den Kadenzwendungen haben sollte. Hierfür werden folgende

Ausschnitte empfohlen:

Partiturseite 4, T. 2 ff.

→ Hörbeispiel Faun, 1:46–2:13

Partiturseite 9, T. 3 ff.

→ Hörbeispiel Faun, 3:47–3:59

Partiturseite 28 f.

→ Hörbeispiel Faun, 8:52–9:16

Alle drei Ausschnitte tragen Kennzeichen der für Debussy charakteristischen Technik ‚flächiger‘

Komposition. Hier werden eben gerade keine kadenzierenden Harmoniewechsel hörbar; stattdessen

kommt es zur Ausbreitung eher ‚statischer‘ Harmonie-‚Flächen‘.

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4. Das Prélude als Ganzes (Hördurchgang)

Es wird dringend empfohlen, am Schluss der Übungsphase das gesamte Stück mit den Schülerinnen

und Schülern anzuhören. Um die Aufmerksamkeit beim Zuhören zu erhöhen ist es sinnvoll, einen

Hörauftrag mit ‚auf den Weg‘ zu geben.

Hörauftrag, Version 1: Ihr hört nun Debussys Orchesterstück einmal ganz. Zählt mit, wie oft Ihr das ‚Berg-und-Talmotiv‘

des Hauptthemas hören könnt.

Ein solcher Hörauftrag ist freilich so allgemein formuliert, dass es unmöglich ist, zu überprüfen, ob

die Schüler das Motiv tatsächlich gehört haben. Trotzdem kann auf diese Weise immerhin die

Aufmerksamkeit geschärft werden.

Es ist aber auch möglich, den Hörauftrag präziser zu erteilen. Besonders gut funktioniert das, wenn

die Schüler per Beamer den Ablauf des Hörbeispiels und die Sekundenzählung optisch verfolgen

können. In diesem Fall kann ein Arbeitsauftrag z.B. lauten:

Hörauftrag, Version 2: Ihr hört nun Debussys Orchesterstück Prélude à l’après-midi d’un faune einmal ganz. Achtet

darauf, wie oft das ‚Berg- und Talmotiv‘ des Hauptthemas wiederkehrt. Scheibt jedes Mal, wenn

Ihr es hört, die Minuten- und Sekundenzahl der betreffenden Stelle auf. Vergleicht Eure

Ergebnisse: Wie oft habt Ihr das Motiv gehört? Habt Ihr es an denselben Stellen wahrgenommen?

An folgenden Stellen ist das Hauptmotiv besonders gut zu hören:

1:03 vgl. Partiturseite 3

2:14 vgl. Partiturseite 5 ff.

3:32 vgl. Partiturseite 8 (Ziffer 3)

7:23 vgl. Partiturseite 21 (Ziffer 8)

7:45 vgl. Partiturseite 22, T.2

7:59 vgl. Partiturseite 24

8:19 vgl. Partiturseite 25, T. 2

8:37 vgl. Partiturseite 27, T. 2

9:16 vgl. Partiturseite 29, T. 2

10:20 vgl. Partiturseite 31, T. 2

19

2. Trois ballades de François Villon

Wie andere Komponisten, etwa Robert Schumann und Johannes Brahms, hatte auch Debussy

Interesse an Musik, die lange vor seiner eigenen Zeit entstanden war. So betätigte er sich als

Herausgeber von Werken französischer Barockkomponisten wie François Couperin und Jean Philippe

Rameau, und von Musik noch viel älterer Meister ließ er sich zu eigenen Kompositionen inspirieren.

In seinen Vertonungen von drei Texten des mittelalterlichen Dichters François (= Franz) Villon sind

z.B. Anklänge an mittelalterliche Musik zu hören. Mit ihren archaischen Harmonien kam ihm diese

Musik auf seiner Suche nach ungewohnten Möglichkeiten der Klangkombination wie gerufen.

Manchmal wirkt eben das ganz Alte, wenn es nach langer Zeit aus der Versenkung geholt wird,

fremder und überraschender als das, was der allgemeine Geschmack des Publikums für zeitgemäß

hält. Das bedeutet nicht, dass Debussy in seinen Villon-Liedern Musik geschrieben hätte, die wie

originale Musik aus der Zeit des Mittelalters klingen sollte. Debussy war nicht an einer sogenannten

‚Stilkopie‘ interessiert. Vielmehr griff er sich einzelne Elemente aus der Musik jener Epoche heraus

und integrierte sie in seinen eigenen, unverwechselbaren Stil. Dabei entstand etwas Besonderes,

eine individuelle Verbindung aus Altem und Neuem. Debussy schrieb seine drei Villon-Balladen im

Jahr 1910. Nur wenige Jahre später, in der Epoche des Neoklassizismus, wurde es dann eine Mode

französischer Komponisten, sich beim Komponieren von ‚alter Musik‘ inspirieren zu lassen.

François Villon: ein Verwandter des Fauns? Der mittelalterliche Dichter François Villon hatte, nach allem, was wir über seine Person wissen,

gewisse Charakterähnlichkeiten mit einem Faun. Wie Mallarmés eigenartiges Mischwesen scheint

auch Villon der Liebe und den Frauen sehr zugetan gewesen zu sein, den Wein in rauen Mengen

genossen zu haben, und wie der Faun im Nymphenwald hielt auch er sich offenbar nicht immer an

das, was seine Zeitgenossen für schicklich und anständig hielten. Exaktes Wissen über seine Person

ist aber kaum überliefert. Seine Lebensdaten werden mit 1431–1463 angegeben, aber schon da ist

man nicht ganz sicher. Er hat offenbar in Paris ein Studium der schönen Künste betrieben, war aber

auch handfesten Raufereien nicht abgeneigt. Zeitweilig war er Mitglied einer Räuberbande und

wurde vorübergehend sogar zum Tode verurteilt; aber man begnadigte ihn schließlich und zwang ihn

stattdessen, in die Verbannung zu gehen. Von da an ist nichts mehr über ihn bekannt.

Dass einer bei all diesen anspruchsvollen Beschäftigungen noch Zeit findet, sich als Dichter zu

betätigen, ist erstaunlich. Manche glauben allerdings auch, dass die Villon zugeschriebenen Gedichte

in Wahrheit gar nicht von ihm stammen, sondern von einem braven Justizbeamten aus Paris, der

unter einem Decknamen mal so richtig seinen Ärger über alles Mögliche, darunter Politiker und

andere ihm lästige Zeitgenossen, Luft machen wollte. Wie gesagt: Genaue Informationen sind heute

nicht mehr zu haben. Vieles, was wir über den Dichter zu wissen glauben, stammt aus seinen eigenen

Gedichten.

Doch man kann die spritzigen, saftigen, sinnlichen und erfreulich frechen Texte, die unter seinem

Namen überliefert sind, auch genießen, ohne sicher zu wissen, von wem sie stammen. Viele Literaten

des 20. Jahrhunderts haben sich für sie begeistert und z.T. Übersetzungen ins Deutsche angefertigt,

die selbst eine eigene Literatur geworden sind. Debussy hat die drei Texte seiner Villon-Lieder in

jenem alten Französisch belassen, in dem er sie vorfand, und sie nicht in moderne Sprache

übertragen. Deshalb tut selbst, wer in der Schule ein sicheres Französisch gelernt hat, gut daran, sich

vor dem Anhören dieser Kompositionen darüber zu informieren, worum es in den Texten geht. Die

Wahrscheinlichkeit, dass während des Konzerts selbst keine Zeit besteht, über den Text

nachzudenken, ist groß.

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Trois ballades de François Villon: Textinhalt Die Bezeichnung Ballade verwenden wir heute gerne für Gedichte mit gespenstischem,

schauerlichem Inhalt. Im Fall von Villons Gedichten hat der Begriff aber nicht diese Bedeutung: Er

steht hier für eine bestimmte Gedichtform, die im späten Mittelalter von französischen Dichtern

häufig benutzt wurde. Diese Form besteht aus lauter sehr ähnlichen Strophen, die am Ende stets in

eine Refrainzeile münden, die in allen Strophen gleich bleibt. Die Themen, die in solchen Balladen

behandelt werden, können ganz unterschiedlich sein – dies zeigen die drei von Debussy

ausgewählten Texte. Gemessen daran, dass Villon im Ruf steht, ein lebenslustiges Schlitzohr gewesen

zu sein, sind sie übrigens erstaunlich ernst.

Nr. 1. Ballade de Villon à s’amye Der Titel des ersten Gedichts bedeutet Ballade Villons an seine Geliebte, was eine zärtliches

Liebeslied erwarten lässt. Tatsächlich bekommt man alles andere als das zu hören; es handelt sich um

eine bittere Klage über die Grausamkeit der geliebten Frau, die offenbar von den Liebeswerbungen

des Unglücklichen nichts wissen wollte. Wie Mallermés Faun bleibt auch dem verliebten Villon nichts

übrig, als zu wehklagen, nicht auf einer Flöte, sondern in Worten und – dank Debussy – mit Gesang.

In der dritten Strophe wird sogar eine Drohung gegenüber der ‚grausamen‘ Frau ausgestoßen: Sie soll

nur warten, bis sie alt und hässlich ist, dann wird er, Villon, der jetzt trauert, Grund zum Lachen

haben. Der Schluss klingt wieder etwas demütiger, fast wie ein Gebet und ein Appell um

Barmherzigkeit im Namen Gottes.

Nr. 2 Ballade que Villon feit à la requeste de sa mère pour prier Nostre-Dame Das zweite Gedicht zeigt Villon an einem Ort, wo man nicht unbedingt erwarten würde, ihn

anzutreffen: in der Kirche. Wie der Titel mitteilt, ist er allerdings auf Wunsch seiner Mutter dort: Er

hat den Auftrag, bei Maria, der Mutter Jesu Christi, für sie zu beten. Es drängt sich der Verdacht auf,

dass die Worte, die er auf Geheiß seiner Mutter sprechen soll, mindestens ebenso an ihn selbst

adressiert sind, wie an Gott. Es ist darin viel von begangenen Sünden und von der Bitte um

Vergebung die Rede. Im Refrain wird stets der Wunsch beteuert, man wolle ein gottgefälliges Leben

führen. Vielleicht hofft Villons Mutter, ihren missratenen Sohn zu einem besseren Lebenswandel zu

bekehren, indem sie ihn solch einen Text in der Kirche sprechen (bzw., dank Debussy, singen) lässt.

Nr. 3 Ballade des femmes de Paris Das dritte Gedicht erweckt nicht den Eindruck, als hätten die Hoffnungen der Mutter viel Erfolg

gehabt. Jedenfalls sind die Dinge, die darin über die ‚Frauen von Paris‘ gesagt werden, nicht gerade

schmeichelhaft; sie zeugen von bösem Witz und scharfer Zunge. Zwar werden die Pariser Frauen als

die besten in der Welt angepriesen – doch nur im Hinblick auf ihre Schwatzhaftigkeit. Viele Gegenden

Europas werden aufgezählt; Italienerinnen, Deutsche, Engländerinnen, alle werden für ihr

unermüdliches Mundwerk gepriesen. Doch die Krone der Geschwätzigkeit, so der am Ende jeder

Strophe wiederkehrende Refrain, gebührt den Pariserinnen. Könnte es sein, dass die grausame

Geliebte aus dem ersten Lied, die so gar nichts vom armen Villon wissen wollte, eine Pariserin war?

Und könnte es sein, dass ihre mitteilsamen Geschlechtsgenossinnen ihr einiges über Villon mitgeteilt

haben, was ihn nicht in bestem Licht erscheinen ließ? Und dass ihn die Dame möglicherweise genau

deshalb nicht an sich ‚herangelassen‘ hat? Es wäre möglich. Und es wäre, wenn auch vielleicht nicht

gerade fein, doch immerhin verständlich, dass ein Party-Tier wie François Villon ungehalten reagiert,

wenn er nicht zum Zuge kommt, weil die Frauen von Paris unschöne Wahrheiten über ihn

verbreiten…

So endet die Gruppe der drei Balladen François Villons, die Debussy vertont hat, mit einer etwas

zwiespältigen Pointe. Der Dichter zeigt sich hier von seiner witzigen Seite – aber man kann nicht

behaupten, dass er dabei einen besonders glücklichen Eindruck macht.

21

Ein Blick in die Komponisten-Werkstatt

Wie stellt Debussy in seinen Villon-Vertonungen Anklänge an ‚alte Musik‘ her? Inwiefern verleiht er

seinen Balladen ‚historisches‘ Kolorit? Eine gute Gelegenheit, Antworten auf diese Fragen zu finden,

bietet das Vorspiel zur zweiten Ballade.

→ Hörbeispiel Villon, 4:30–5:00

Der Text lässt eine sakrale Situation als Rahmen für den Vortrag der Ballade erkennen: Die Musik

schafft durch gemäßigtes Tempo (Très modéré) und geringe Lautstärke (piano) eine dezente

Atmosphäre der Zurückhaltung. Vor allem die gleichmäßigen Achtelbewegungen in Takt 2 erwecken

dein Eindruck ruhigen Schreitens. Villon befindet sich in einer Kirche, wo er für seine Mutter betet.

Wenn man die Harmonieverbindungen genauer untersucht, bemerkt man eine ganze Reihe ‚leerer‘,

also terzloser Klänge. Solche leeren Quinten und Quarten wirken ‚archaisch‘, sie erinnern an

Gebräuche wie das Beendigen eines Stückes durch terzlose Quintklänge in der Renaissance oder das

Parallelführen reiner Quinten in der mittelalterlichen Organum-Musik. Möglicherweise stellt Debussy

in Takt 3 bewusst eine Assoziation an diese altertümliche Satztechnik, das parallele Verschieben

reiner Intervalle, her, indem er für sogenannte ‚Akzentparallelen‘ sorgt: Beachtet man in Takt 2–4 nur

die Ereignisse auf den schweren Zählzeiten, so erkennt man mehrmalige Verschiebungen des reinen

Quintintervalls:

T. 2: a-e, f-c

T. 3: d-a, e-h, d-a, e-h

T. 4: d-a.

Hinweis zur Orchesterfassung Zu den Villon-Balladen existiert eine vom Komponisten selbst angefertigte Orchesterfassung. In der

„Echtzeit“ am 8. Juni 2016 wird aber eine Orchestrierung von Heinz Holliger gespielt, der in diesem

Konzert auch als Dirigent zu erleben ist. In der als Hörbeispiel ausgewählten Aufnahme erklingt

daher, um Verwechslungen der beiden Bearbeitungen zu vermeiden, die originale Klavierfassung

Debussys. Hierauf sollte während der Vorbereitung explizit hingewiesen werden.

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Übung: Text und Musik

Überlegt Euch, wie die Musik für jede der drei Balladen beschaffen sein sollte, damit sie zum

jeweiligen Text passt. Entwickelt für jede der drei Balladen eine Hörvorstellung, indem Ihr die

Musik unter verschiedenen Gesichtspunkten beschreibt. Ihr könnt dazu den folgenden Fragebogen

benutzen.

Musik für Ballade Nr. ___________

Kreuzt an, was Euch passend erscheint.

Ausdruck

Tempo

Lautstärke

Rhythmus

anderes:

fröhlich schnell konstant gleichmäßig …

traurig langsam wechselhaft unregelmäßig …

nachdenklich mittel laut geordnet …

spannend wechselhaft leise chaotisch …

witzig konstant mittel tänzerisch …

majestätisch allmähliche

Wechsel

sehr laut marschartig …

feierlich sprunghafte

Wechsel

sehr leise wiegend …

friedlich … allmähliche

Übergänge

… …

dramatisch … plötzliche

Wechsel

… …

hektisch … … … …

freundlich … … … …

zufrieden … … … …

…. … … … …

… … … … …

… … … … …

Hört Euch nun die drei Balladen an. Passen die Kompositionen Debussys zu Euren Vorstellungen?

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Hinweise zu einigen Charakteristika Debussy’scher Liedkompositionen Diskrepanzen zwischen den Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler und der Musik Debussys

sind durchaus zu erwarten. Möglicherweise sind sogar enttäuschte Reaktionen zu beobachten. Es

erscheint ratsam, in diesem Zusammenhang über einige Eigenheiten des Stils zu informieren, in dem

Debussy seine Vokalmusik schreibt. Debussys Vokalkompositionen sind meist, so wie im Fall der

Villon-Balladen, keine ‚Lieder‘ im herkömmlichen Sinn.

Tonhöhenverlauf und Rhythmus der Singstimme orientieren sich stark am Klang der

gesprochenen Sprache. Beide sind daher wechselhaft und unregelmäßig strukturiert.

Häufig gibt es keine Melodie, die man sich leicht merken oder nachsingen könnte.

Es ist daher auch recht schwierig, den strophischen Verlauf der Gedichte hörend

nachzuvollziehen.

Ähnlich wie in L’après-midi d’un faune kommt es auf feine Nuancen und Zwischentöne an,

wenn man die Struktur der Musik nachvollziehen möchte. Plakative Wirkungen, auch

unmittelbar ‚darstellende‘ Elemente (etwa explizite Tonmalerei) sind, wie seiner

Orchestermusik, auch den Liedern Debussys eher fremd.

Fragenkatalog für den Konzertbesuch Entscheidende Funktion für die Wirkung der Musik haben die Ausstrahlung und die stimmliche

Gestaltungsfähigkeit des Sängers. Es empfiehlt sich, im Konzert sehr genau darauf zu achten, wie der

Sänger durch den Einsatz seiner Stimme, seine Körperhaltung und seine Mimik die Inhalte der Texte

transportiert. Hier kann man Fragen wie die folgenden stellen:

Überzeugt mich das Auftreten des Sängers, vergleichen mit dem Inhalt der Texte, die er

singt?

Kann ich in seiner Stimme die verschiedenen Emotionen, die der Text transportiert, hören?

Gibt es Emotionen, die ich deutlicher als andere wahrnehme (z.B. Trauer, Freude, Wut…)?

Passt die Körperhaltung des Sängers zu den Inhalten der Texte, die er singt?

Passt die Mimik des Sängers zu den Inhalten der Texte, die er singt?

Auch ist es interessant, während des Konzerts auf allgemeine Aspekte wie die folgenden zu achten:

Habe ich das Gefühl, dass der Sänger mit seinem Publikum kommuniziert?

Welche Ausstrahlung hat die Persönlichkeit des Sängers? Wirkt er freundlich und offen?

Wirkt er distanziert und unnahbar?

Habe ich den Eindruck, dass der Sänger mir den Inhalt der Texte, die er singt, mitteilen, sie

‚rüberbringen’ will?

Spricht mich seine Darbietung emotional an? Lässt sie mich kalt und unbeteiligt?

Habe ich den Eindruck, dass dem Sänger das Auftreten Freude bereitet? Wirkt er

entspannt, gelassen? Wirkt er angestrengt? Wirkt er feierlich gestimmt oder eher sportlich-

locker?

Empfinde ich einen Unterschied zwischen dem Bühnenverhalten des Sängers während des

Auf- und Abtretens einerseits, während der eigentlichen ‚Performance‘ andererseits?

Fragen wie die genannten können Schülerinnen und Schülern, die mit klassischen Gesangskonzerten

möglicherweise noch wenig Erfahrung haben, helfen, einer Aufführung aufmerksam zu folgen und

gedanklich ‚am Ball zu bleiben‘. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf das Konzert als soziales Ereignis

und helfen dabei, das Rollenverhalten von Künstlern und Zuhörern zu reflektieren und einzuordnen.

24

Anhang

1. Abbildungsnachweis

S. 1: Claude Debussy (Fotographie):

https://www.br-klassik.de/audio/was-heute-geschah-30042007-ua-pelleas-100.html

2. Nachweis der verlinkten Aufnahmen

Prélude à l'après-midi d'un faune

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks; 1986

Leitung: Colin Davis

Trois Ballades de François Villon

Dietrich Fischer-Dieskau, Bariton; Karl Engel, Klavier; 1959

Deutsche Grammophon Gesellschaft

1. Literaturhinweise

Gabriel Astruc, Meine Skandale. Strauss, Debussy, Strawinsky, Berlin: Berenberg 2015

Jean Barraqué, Debussy, Hamburg: Rowohlt 1964

Joachim-Ernst Behrend, Das Jazzbuch, Frankfurt a.M.: Fischer 1991

Gerold Dommermuth-Gudrich, 50 Klassiker Mythen, Hildesheim: Gerstenberg 2001

Klaus Engelhardt, Le Grant Testament Villon et le Petit, in: Kindlers Neues Literaturlexikon Bd. 17, hg.

von Walter Jens, Studienausgabe, München: Knigge 1988, S. 185–188

Christian Goubault, Claude Debussy, Paris: Champion 1986

Thomas Kabisch. Art. Debussy, (Achille-)Claude, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart.

Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. neubearb. Ausg., hg. von Ludwig Finscher, Personenteil Bd. 5,

Bärenreiter/Metzler, Kassel u.a. 2001, Sp. 566–640

Stéphane Mallarmé, Sämtliche Gedichte. Französisch und Deutsch, übertragen von Carl Fischer,

Heidelberg: Schneider1974³

Ovid, Metamorphosen, in: Lateinoase. Deutsche Übersetzungen zu lateinischen Texten,

http://www.lateinoase.de/autoren/ovid/ovid.html (Zugriff: 18. Mai 2016)

Ulrich Prill, L’après-midi d’un favne, in: Kindlers Neues Literaturlexikon Bd. 10, hg. von Walter Jens,

Studienausgabe, München: Knigge 1988, S. 972–973

Hartmut Regitz/Otto Friedrich Regner/Heinz-Ludwig Schneiders, Reclams Ballett-Führer, Stuttgart:

Reclam 1988

Tamara Trautner, Das lyrische Werk von Stéphane Mallarmé, in: Kindlers Neues Literaturlexikon Bd.

10, hg. von Walter Jens, Studienausgabe, München: Knigge 1988, S. 970–972