Was wäre wenn Kurt von Schleicher eine Militärdiktatur errichtet hätte…

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www.zeitreisen-blog.de Seite 1 Was wäre wenn Kurt von Schleicher eine Militärdiktatur errichtet hätte… Deutschland Anfang der 1930er Jahre. Wirtschaftskrise und eine instabile politische Lage hatten das Land fest in Griff. Ende 1932 schien sich das Blatt zu wenden: General Kurt von Schleicher übernahm die Kanzlerschaft. Der neue Kanzler war auf dem guten Weg, politische und wirtschaftliche Stabilität zu schaffen. Aber zu einem hohen Preis: der Zerstörung der Weimarer Republik. Ein autoritäres Regime, gestützt auf den Vollmachten des Reichspräsidenten und vollkommen unabhängig vom Parlament, war das Ziel Schleichers und seiner politischen Gesinnungsgenossen um den greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Am 28. Januar 1933 war Schleicher nach nicht einmal zwei Monaten Regierens politisch am Ende. Der Reichspräsident lehnte seine weitere Unterstützung ab. Nun war der Weg frei für Hitler. Wie wäre aber die deutsche und europäische Geschichte verlaufen, wenn sich General Schleicher politisch behauptet hätte? Ein Experiment aus dem Bereich der virtuellen Geschichte. Januar 1933 – Schleichers Macht auf die Probe gestellt Mit Schleichers Regierungsübernahme ging ein Aufatmen durchs Land. Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm wurde begonnen, um das Elend einzudämmen. Hindenburg zeigte sich mit der Politik Schleichers überaus zufrieden. “Lieber junger Freund! Ich danke Ihnen für die ruhige, stille Weihnacht, die ruhigste, die ich in meiner Amtszeit erlebt habe. Mit Freude drücke ich Ihnen… Abbildung 1: Polen als Hauptnutznießer des Versailler Vertrages war auch den konservativen Eliten und Militärs ein Dorn im Auge. Bild: Deutscher Angriff auf Polen am 1. September 1939 - Quelle: Deutsches Bundesarchiv | Wikipedia Abbildung 2: General Kurt von Schleicher

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Deutschland Anfang der 1930er Jahre. Wirtschaftskrise und eine instabile politische Lage hatten das Land fest in Griff. Ende 1932 schien sich das Blatt zu wenden: General Kurt von Schleicher übernahm die Kanzlerschaft.

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Was wäre wenn Kurt von Schleicher eine Militärdiktatur errichtet hätte…

Deutschland Anfang der 1930er Jahre. Wirtschaftskrise und eine instabile politische Lage hatten das Land fest in Griff. Ende 1932 schien sich das Blatt zu wenden: General Kurt von Schleicher übernahm die Kanzlerschaft.Der neue Kanzler war auf dem guten Weg, politische und wirtschaftliche Stabilität zu schaffen. Aber zu einem hohen Preis: der Zerstörung der Weimarer Republik. Ein autoritäres Regime, gestützt auf den Vollmachten des Reichspräsidenten und vollkommen unabhängig vom Parlament, war das Ziel Schleichers und seiner politischen Gesinnungsgenossen um den greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg.

Am 28. Januar 1933 war Schleicher nach nicht einmal zwei Monaten Regierens politisch am Ende. Der Reichspräsident lehnte seine weitere Unterstützung ab. Nun war der Weg frei für Hitler. Wie wäre aber die deutsche und europäische Geschichte verlaufen, wenn sich General Schleicher politisch behauptet hätte? Ein Experiment aus dem Bereich der virtuellen Geschichte.

Januar 1933 – Schleichers Macht auf die Probe gestelltMit Schleichers Regierungsübernahme ging ein Aufatmen durchs Land. Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm wurde begonnen, um das Elend einzudämmen. Hindenburg zeigte sich mit der Politik Schleichers überaus zufrieden. “Lieber junger Freund! Ich danke Ihnen für die ruhige, stille Weihnacht, die ruhigste, die ich in meiner Amtszeit erlebt habe. Mit Freude drücke ich Ihnen…

Abbildung 1: Polen als Hauptnutznießer des Versailler Vertrages war auch den konservativen Eliten und Militärs ein Dorn im Auge. Bild: Deutscher Angriff auf Polen am 1. September 1939 - Quelle: Deutsches Bundesarchiv | Wikipedia

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meine größte Zufriedenheit mit Ihrer Regierungsführung aus,” so der Reichspräsident in einem Brief Ende Dezember.

Schleichers vorrangige Absichten lagen nicht nur bei Bekämpfung der Wirtschaftskrise. Der Kanzler wollte eine breite populäre Basis, eine Front quer durch alle Gesellschaftsgruppen zur Absicherung seiner Regierung gewinnen. „Es sitzt sich schlecht auf der Spitze der Bajonette, d.h. man kann auf die Dauer nicht ohne eine breite Volksstimmung hinter sich regieren”, verkündete Schleicher in seiner berühmten Rundfunkansprache vom 15. Dezember 1932. Kooperationsbereitschaft zeigten vor allem die Gewerkschaften, das Zentrum, der Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Parteien der Mitte und die Wirtschaft. Eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten als Hüter der Demokratie kam Schleicher nicht in Frage. Entscheidender war es für ihn, die NSDAP, die die meisten Wähler hinter sich mobilisiert hatte, zu gewinnen.

Anfang 1933 begann ein Polit-Krimi, der Schleicher am 28. Januar die Kanzlerschaft kosten sollte. Papen, der den Verlust der Macht nicht verarbeiten konnte, intrigierte gegen den General. Um selber wieder auf das politische Parkett zurückzukehren, stellte er Hitler die Kanzlerschaft in Aussicht. Papen selbst wäre nur Vizekanzler und Reichskommissar von Preußen. Da der Adlige über ein sehr gutes Verhältnis zu Hindenburg verfügte, konnte er den Reichspräsidenten von der Richtigkeit seines Vorhabens überzeugen: Ein Kabinett deutschnationaler Politiker würde die Nationalsozialisten problemlos in Schacht halten können. Schleicher schaute dem Intrigenspiel tatenlos zu.

Die Historiker sind sich einig: Hätte Schleicher genauso viel Ehrgeiz wie sein Gegenspieler Papen entwickelt, so hätte der General politisch überlebt. Wie hätte dies geschehen können? Schleicher hätte seine Machtstellung beim Reichspräsidenten absichern müssen. Nur mit Hilfe Hindenburgs und seiner Notverordnungen konnte er (kurzfristig) ohne das Parlament regieren. Dazu war es nötig, Papen den Zugang zum Reichspräsidenten zu verwehren und ihn langfristig politisch kalt zustellen – vielleicht durch einen angesehenen, aber politisch ungefährlichen Posten. Hitler hätte so seinen wichtigsten Verbündeten auf dem Weg zur Macht verloren.

Am Jahreswechsel 1932/33 stand es nicht gut um die NSDAP. Die Finanzen waren erschüttert. Geldgeber aus der Wirtschaft kehrten Hitler den Rücken zu, und unter den braunen Anhängern rumorte es. Mitte Januar setzt Hitler alles auf eine Karte: Er führte einen engagierten Landtagswahlkampf im Kleinstaat Lippe. Seine Verbündeten in den konservativen Eliten sollten sehen, das Volk stehe hinter seiner „Bewegung“. Hitler und die Nazis siegten – aber es wäre ein Pyrrhus-Sieg, wenn Schleicher die Ambitionen Papens unterwandert hätte. Nun wäre die Chance für den Kanzler gegeben, die Regierungsfreundlichen Kräfte innerhalb der NSDAP an sich zu binden. Gestützt auf der „Querfront“, auf der Vertrauensstellung beim Reichspräsidenten und auf dem Rückhalt der Reichswehr hätte Schleicher seine politische Herrschaft auf längere Zeit abgesichert.

NS-Diktatur und Schleicher-Regime im VergleichAuch der General mit dem sozialen Gesicht hätte wie die Nationalsozialisten das Ende der Weimarer Demokratie vorangetrieben: Beschränkung der Grundrechte, Beseitigung der demokratischen Institutionen (Parteien, Parlament) und Bekämpfung der politischen Gegner. Um die radikalen, staatsfeindlichen Kräfte auszuschalten, wäre der Kanzler kaum abgeneigt, gewaltsam vorzugehen. Eventuell Konzentrationslager einzuführen. Auch in der Wirtschaftspolitik hätte der Kanzler die Rezepte aufgegriffen, die auch den Nationalsozialisten zur Verfügung standen: staatlich geförderte Arbeitsmaßnahmen, Autobahnbau und vor allem Aufrüstung. Die ansetzende wirtschaftliche Wiederbelebung hat das Überleben der Nazis garantiert. Von ihr hätte auch Schleicher profitiert.

In der Außenpolitik wäre der General den gleichen Weg gegangen wie Hitler – zu mindestens in der ersten Etappe. Die Wiederherstellung der deutschen Großmachtstellung in Europa verband

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Konservative und Nationalsozialisten. Schleicher hätte das Saargebiet eingegliedert, die Allgemeine Wehrpflicht eingeführt und das entmilitarisierte Rheinland besetzt. Der „Anschluss“ Österreichs wäre genauso plausibel. Wie gravierend hätte sich das Verhältnis zu den europäischen Staaten unterschieden? Das Ende der Tschechoslowakei und die Annexion des sudetendeutschen Gebietes war Hitler ein Hauptanliegen. Die konservativen Diplomaten und Militärs standen dem Vorhaben aber äußerst kritisch gegenüber. In ihren Augen fehlte es Deutschland an Rechtfertigung für diesen Schritt. Mit Schleicher gäbe es somit kein „Münchener Abkommen“ und keine „Zerschlagung der Resttschechei“.

1933 unterschrieb Hitler ein Nichtangriffspakt mit Polen. Der konservative Außenminister von Neurath kritisierte das Vertragswerk scharf. Unter Hitler konnte sich der konservative Außenminister nicht durchsetzen, aber unter Schleicher wäre ein solcher Vertrag nicht einmal angedacht worden. Schließlich war es das vorrangige Ziel der preußisch-deutschen Militärs Polen, in ihren Augen dem Nutznießer des Versailler Vertrages, auszuradieren. Ein Verbündeter war schnell gefunden: die Sowjetunion.

Seit Jahren pflegte Deutschland und das Sowjet-Reich gute Beziehungen. Beide Staaten waren in der Staatengemeinschaft isoliert. Beide Staaten sahen in Polen ihren ärgsten Feind. Im Gegensatz zu Hitler, der bis 1939 offiziell den Kreuzzug gegen die Bolschewiken propagierte, wäre Schleicher in seiner Außenpolitik pro-sowjetisch: Fortsetzung der guten Beziehungen und womöglich Ausgleich der Interessenzonen mit Stalin im Osten Europas.

Was hätten die Westmächte gegen die offensive Außenpolitik des Generals unternommen? Gar nichts. Frankreich war mit sich selbst beschäftigt. Großbritannien, das um sein Empire kämpfte, verfolgte zwei Ziele: Ruhe in Europa und Eindämmung des Kommunismus. Schleichers (oder Hitlers) Deutschland war das beste Mittel. Nur ein wieder erstarktes Deutsches Reich war langfristig fähig, die Sowjets aus dem Herzen Europas fernzuhalten. Für den Preis des Friedens war London bereit, auf die Wünsche der Deutschen einzugehen. Frieden hieß Sicherheit – und diese Sicherheit konnte in einem von Krisen erschütternden Europa nur ein starkes Deutschland garantieren.

Die Schwäche der Westmächte hat die aggressive Außenpolitik Hitlers begünstigt, sie hätte auch General von Schleicher Vorteile gebracht. Aber die Konservativen kannte im Gegensatz zu den Nationalsozialisten ihre Grenzen. Die Diplomaten im Auswärtigen Amt waren Ende der 1930er mit der Hegemonie Deutschlands über Ostmitteleuropa überaus zufrieden. Keiner hätte gedacht binnen eines so kurzen Zeitraums nicht nur die Fesseln Versailles abzuwerfen, sondern auch zu einer halb-hegemonialen Macht aufzusteigen. Die Schaffung mittelgroßer Staaten im Osten war eine glänzende Voraussetzung. Dank dem Versailles Vertrag. Hitler wollte aber mehr: die deutsche Großmachtstellung war für ihm nur eine Zwischenstation zum Rassenimperium.

Bestimmt hätte auch Schleicher Krieg als Mittel der Außenpolitik akzeptiert. Vielleicht gegen Mussolinis Italien, das sich als Schutzmacht Österreichs verstand. Gewiss gegen Polen, dessen Existenz Deutschland emotional nicht verkraften konnte. Aber Krieg gegen England, Frankreich, Sowjetunion und den Rest der Welt riskieren, wo Deutschland soviel erreicht hat? Dem Pragmatiker Schleicher und der konservativen Führungselite wäre dies gewiss zuwidergelaufen.

Der gravierendste Unterschied zwischen der NS-Herrschaft und der Militärdiktatur läge im Verhältnis zu den jüdischen Mitbürgern. Der Antisemitismus spielte eine zentrale Rolle in der Ideologie Hitlers. Vielleicht hätte Schleicher die Ressentiment gegen die jüdische Bevölkerung aufgegriffen, um die deutschen „Volksgenossen“ besser zu einen. Aber systematische Ausgrenzung, Verfolgung und schließlich Vernichtung wären in seiner Diktatur wohl nicht denkbar gewesen.

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Schleicher – eine Bilanz10, 20 oder 25 Jahre Schleicher-Regime hätte das Gesicht Deutschlands und Europas verändert. Die Weimarer Demokratie wäre zerstört und Deutschland in eine inoffizielle Militärdiktatur umgewandelt. Die Versailles Ordnung wäre zerfallen, aber ein wieder erstarktes Deutschland würde als Bollwerk gegen den Bolschewismus in Europa fungieren.

Und was käme nach Schleicher? Ein Blick in das Spanien Francos könnte die Frage beantworten. Auch in Deutschland wäre die Restauration des Königshauses möglich gewesen. Geeignetster Kandidat: Wilhelm von Preußen, der Enkel des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. In der reellen Geschichte starb der Hohenzoller 1940 während des Frankreich-Feldzugs. Viele nahmen an seiner Beisetzung Anteil – ein Hinweis auf die noch starke Bindung der Deutschen zum ehemaligen preußischen Königshaus. Nach der Schleicher Diktatur wäre Wilhelm eine denkbare Alternative, um ein neues Kapitel in der deutschen Geschichte aufzuschlagen.

Literatur• Treffende Analyse des politischen Generals: Friedrich Karl von Plehwe, Reichskanzler Kurt

von Schleicher. Weimars letzte Chance gegen Hitler , Berlin 1990. (Bereits in mehreren Auflagen erschienen)

• Neueste Schleicher-Biografie, die das negative Bild des Generals revidieren möchte: Irene Strenge, Kurt von Schleicher, Politik im Reichswehrministerium am Ende der Weimarer Republik , Berlin 2006.

• Besonders von Interesse das Kapitel über die Außenpolitik der Präsidialkabinette 1929-1933: Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich, Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler 1871-1945. Studienausgabe, München 2008.

• Eine ganz neue Sicht auf die Politik der Sowjetunion in den 30iger Jahren vom Experten der osteuropäischen Zeitgeschichte: Bogdan Musial, Kampfplatz Deutschland, Stalins Kriegspläne gegen den Westen, Berlin 2008.

• Interessant und anregend: Niall Ferguson (Hrsg.), Virtuelle Geschichte, Historische Alternativen im 20. Jahrhundert , Darmstadt 1999.

• Ein Buch zu historischen Alternativen in der deutschen Geschichte ist in Vorbereitung.

Über zeitreisen-blog: Einmal im Monat präsentiere ich ein spannendes Kapitel aus der Vergangenheit. Die bisherigen Artikel umfassen Themen wie Polen 1918-1939, Otto von Bismarck und Russland, Die Westpläne Alexander des Großen und die Außenpolitik der CSA 1861-1865.

Autor: Lukas Moj (Nobelstr. 46, 95444 Bayreuth) – Historiker & Blogger

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