wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

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1 Universität Salzburg Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie Lehrveranstaltung: SE „Vom Naschmarkt zur Erlebnisgastronomie“ SS 2012 Lehrveranstaltungsleiterin: Univ.-Prof. Dr. Kornelia Hahn Bachelor-Arbeit zum Thema: Die Frische und der Müll Eine explorative Untersuchung der Waste-Cooking Initiative in Salzburg eingereicht von: Elisabeth Buchner Matrikelnummer: 0620820 Salzburg, August 2012

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Universität Salzburg

Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie

Lehrveranstaltung: SE „Vom Naschmarkt zur Erlebnisgastronomie“

SS 2012

Lehrveranstaltungsleiterin: Univ.-Prof. Dr. Kornelia Hahn

Bachelor-Arbeit zum Thema:

Die Frische und der Müll

Eine explorative Untersuchung der Waste-Cooking

Initiative in Salzburg

eingereicht von:

Elisabeth Buchner

Matrikelnummer: 0620820

Salzburg, August 2012

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................ 4

Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................... 4

1. Einleitung .............................................................................................................................. 5

1.1. Forschungsinteresse ....................................................................................................... 6

1.2. Zentrale Fragestellung und Hypothese ........................................................................... 6

1.3. Methodisches Vorgehen .................................................................................................. 7

1.4. Aufbau der Arbeit ............................................................................................................. 7

2. Theoretischer Rahmen – Frische als Ideologie modernen Ernährungsverhaltens ..... 8

2.1. Historische und soziale Konstruktion von Frische .......................................................... 8

2.2. Das Konzept „Frische“ aus der Sicht moderner Konsumenten .................................... 10

3. Verschwendung von Lebensmittel – ein Nebenprodukt der Konsumgesellschaft ... 12

3.1. Die Vernichtung von Lebensmittel: food loss und food waste ...................................... 13

3.1.1. Lebensmittelverschwendung im Einzelhandel ....................................................... 14

3.1.2. Lebensmittelverschwendung durch die Konsumenten .......................................... 15

3.2. Problematisierung der Verschwendung von Lebensmitteln ......................................... 16

4. Der Faktor „Risiko“ im modernen Ernährungsverhalten .............................................. 19

4.1. Standardisierung von Frische: Verbrauchs- und Mindesthaltbarkeitsdatum ............... 21

4.1.1. Rechtliche Rahmenbedingungen ........................................................................... 22

4.1.2. Praktische Implikationen der Standardisierung von Frische .................................. 23

4.2. Die Frische und der Müll – eine ambivalente Beziehung ............................................. 26

5. Waste Diving, Dumpstern oder Containern .................................................................... 27

6. Empirischer Teil: Waste Cooking – Eine innovative Weiterentwicklung .................... 30

6.1. Waste Cooking – die „kritische Kochshow“ als Erlebnis .............................................. 31

6.1.1. Die Rezepte der Waste Cooker .............................................................................. 32

6.1.2. Raum- und Zeitbezug beim Waste Cooking .......................................................... 33

6.1.3. Waste Cooking – ein Erlebnis für alle Sinne .......................................................... 34

6.1.4. Das Format: „Kochshow“ ........................................................................................ 35

6.2. Die Frische und der Müll beim Waste Cooking............................................................. 37

6.2.2. Standardisierung und Expertise – do it yourself beim Frischetest ........................ 41

7. Fazit...................................................................................................................................... 43

Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 46

Übersicht Interviewpartner ................................................................................................... 51

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Teilnehmende Beobachtung ................................................................................................. 51

Plagiatserklärung ................................................................................................................... 52

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Verschwendung von Lebensmitteln ..................................................... 14

Abbildung 2: Karikatur Essen und Müll ..................................................................... 27

Abkürzungsverzeichnis

EG Europäische Gemeinschaft

EU Europäische Union

FAO Food and Agriculture Organization of the United Nations

MHD Mindesthaltbarkeitsdatum

USA United States of America

USDA United States Department of Agriculture

WTO World Trade Organization

Anmerkung

Um eine gute Lesbarkeit der Arbeit zu garantieren, wurde in der Regel die männliche

Schreibweise ohne Binnenminuskel verwendet. Diese Ausdrücke beziehen sich

jedoch, wenn nicht anders vermerkt, immer auf beide Geschlechter.

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1. Einleitung

Ernährungsgewohnheiten haben wichtige identitätsstiftenden Elemente. In der

Konsum- und Wegwerfgesellschaft sind sie außerdem zu einem wichtigen Feld für

Abgrenzung von eben dieser und für gesellschaftskritischen Aktivismus geworden.

Politisch motivierte Ernährungsbewegungen finden oft Einlass in den Mainstream,

indem sie die individuellen Vorteile gegenüber der gesellschaftlichen Dimension in

den Vordergrund rücken. So zeigen beispielsweise Studien zum Einkaufsverhalten,

dass beim Kauf von Bioprodukten der Faktor, die individuelle Gesundheit zu erhalten

meist wichtiger ist als der Nutzen für die Umwelt oder das Klima. (vgl.

Pellegrini/Farinello. 2009, 948-49) Es muss also ein individuelles Erlebnis mit einem

bestimmten Verhalten verbunden sein, um es attraktiv zu machen.

Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem „Waste Diving“ als einer schon etablierten

konsumkritischen Aktions- und Handlungsform, welche durch die Initiative „Waste

Cooking“ in Salzburg in ein Erlebnis verwandelt wird, das auch Personen miterleben

können, die selbst keine Sachen aus dem Müll holen möchten. Beim Waste Cooking

wird scheinbarer Müll in genussbringende Mahlzeiten verwandelt. Waste Diven,

kochen und essen werden zum Erlebnis für die Sinne. Beim Waste Cooking wird

durch den Erlebnischarakter und das Format der Kochshow das Konzept der

„Frische“ als Ideologie modernen Ernährungsverhaltens auf den Kopf gestellt.

Verkocht wird alles, was „frisch“ aus der Tonne kommt.

Diese Arbeit geht davon aus, dass bei der Initiative „Waste Cooking“ ein neues

Erlebnis geschaffen wird. Die schon ältere Bewegung des Waste Diving wird neu

interpretiert, um in Anknüpfung an die Diskussion der letzten Jahre die

Verschwendung von Lebensmitteln, nicht das konsumorientierte Wirtschaftssystem

zu kritisieren. In Frage gestellt wird die Definition von dem, was frisch ist, was gut ist

und was nicht, indem der scheinbare Müll ins etablierte Format einer Kochshow

eingefügt wird.

Damit handelt es sich um eine wesentliche Abkehr von der bisherigen Ausrichtung

des Waste Divings.

Aus Müll wird Kultur, aus Müll wird ein genussvolles Erlebnis für alle Sinne.

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1.1. Forschungsinteresse

Die Verschwendung von Lebensmitteln wurde im Zuge des größeren Diskurses rund

um Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit unseres Lebensstils verstärkt

problematisiert. Neue zivilgesellschaftliche Initiativen treten durch unkonventionelle

Aktionen in die mediale und politische Öffentlichkeit und sind damit an der Prägung

des Diskurses zum Thema Lebensmittelverschwendung maßgeblich beteiligt. Ziel

dieser Arbeit ist es, nach der Skizzierung der schon bestehenden Literatur zum

Thema Lebensmittelverschwendung explorativ zu ergründen, wie die Waste Cooker

ihr Tun interpretieren und welche Rolle der „Frische“, ein zentraler Parameter für

hochwertige Lebensmittel in der Moderne, beim Waste Cooking zukommt.

1.2. Zentrale Fragestellung und Hypothese

Zentrale Fragestellung:

Welche Rolle spielt die Erlebnisorientierung für die Waste Cooking-Initiative?

Unterfragen:

- Wie wird Frische in Anlehnung oder Abgrenzung zur gängigen modernen

Interpretation definiert?

- Was bedeutet das Format der Kochshow?

Hypothese:

Die Hypothese dieser Arbeit ist, dass die Initiative „Waste Cooking“ ein neuartiges

Erlebnis schafft, das sich vom klassischen Waste Diving-Erlebnis unterscheidet.

Waste Cooking stellt die Trennung von „frisch“ und „nicht frisch“ in Frage, indem nicht

der Zusammenhang zwischen Frische und Genuss aufgelöst oder abgelehnt wird,

sondern indem Frische neu definiert, als etwas, dass man nicht über

Standardisierungen festlegen kann, sondern selbst sinnlich erforschen kann und

muss. Es geht auch darum, nicht nur an der Oberfläche zu bleiben, sondern auch in

den Apfel hinein zu schauen, nicht nur auf das Mindesthaltbarkeitsdatum zu

schauen, sondern am Schlagobers auch zu riechen. So entstehen neue sinnliche

Erfahrungen, wobei Frische trotzdem eine zentrale Rolle beibehält. Es ist die

herkömmliche Definition von Frische, die auf den Kopf gestellt wird.

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1.3. Methodisches Vorgehen

Diese Bachelorarbeit ist als explorative Untersuchung angelegt. Für den

theoretischen Teil werden einschlägige Primärdaten sowie Sekundärliteratur zum

Themenfeld Frischeideologie und Wegwerfverhalten herangezogen. Die

konsumkritische Bewegung des Waste Divings wird auf Basis schon bestehender

Forschungsergebnisse skizziert, um den Kontext der untersuchten Initiative zu

klären. Im empirischen Teil der Arbeit wird versucht, die Forschungsfragen durch die

Analyse der von der Waste Cooking Initiative produzierten Dokumente sowie durch

teilnehmende Beobachtung zu beantworten. Die untersuchten Dokumente umfassen

die Website, Auszüge aus den produzierten Kochshows, die umgesetzten Rezepte

sowie Interviews mit den Initiatoren. Außerdem wird eine teilnehmende Beobachtung

bei einem Waste Cooking Event durchgeführt.

1.4. Aufbau der Arbeit

Im ersten Teil der Arbeit wird Frische als Ideologie modernen Ernährungsverhalten

anhand schon bestehender Forschungsergebnisse diskutiert. Die so gewonnenen

Erkenntnisse werden im empirischen Teil als Analyseraster herangezogen, um zu

klären, wie Frische durch die Waste Cooker definiert wird und welche Rolle sie für sie

spielt.

Zuvor wird jedoch noch die Lebensmittelverschwendung als Produkt moderner

Konsumgesellschaften thematisiert, mit einem besonderen Schwerpunkt auf den

Zusammenhang zwischen dem Faktor „Risiko“ in der modernen

Nahrungsmittelproduktion und der Standardisierung von Frische. Anschließend wird

die Waste Diving Bewegung anhand von Sekundärliteratur skizziert.

Im empirischen Teil der Arbeit erfolgt die Analyse der Waste Cooking Initiative in

schon dargelegter Form.

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2. Theoretischer Rahmen – Frische als Ideologie modernen

Ernährungsverhaltens

2.1. Historische und soziale Konstruktion von Frische

In der gehobenen Gastronomie, die durch zahlreiche Kochshows massenmedial

präsentiert wird, ist Frische ein zentrales Kriterium für Qualität. Die Entzeitlichung als

wichtiges Charakteristikum moderner Zubereitungs- und Konsumptionsformen von

Nahrung (vgl. Prahl/Setzwein. 1999, 11) durch Techniken der Haltbarmachung und

Vorfertigung wird partiell ausgesetzt, indem alles so frisch und unverarbeitet wie

möglich gekauft und zubereitet wird. Auch der in der modernen Ernährung eigentlich

aufgeweichte Raumbezug von Nahrungszubereitung und Aufnahme wird in der

Spitzengastronomie oft wiederbetont, indem genau festgelegt, von welchen

Lieferanten oder auf welchen Märkten diese und jene Lebensmittel bezogen werden.

Damit findet eine Abgrenzung von der industrialisierten Nahrungsproduktion statt,

indem die überwiegende Mehrheit der Lebensmittel technisch weiterverarbeitet und

damit die Grundzutaten stark verändert werden, bevor der Konsument sie zu Gesicht

bekommt. Da selbst Restaurants vielfach auf Convenience-Produkte zurückgreifen,

um die Effizienz zu steigern und Kosten zu sparen, ist „frisch zubereitet“ mittlerweile

ein Distinktionskriterium geworden. (vgl. dies., 185)

Ernährung in der Moderne bringt neben Verwissenschaftlichung und

Standardisierung auch Verunsicherung und „Informationsoverload“ für die

Verbraucher mit sich, wie im Kapitel über den „Faktor Risiko“ noch näher erläutert

wird. Frische ist eines der wenigen unumstritten anerkannten Kriterien für Qualität

von Lebensmitteln und vor allem eines der wenigen, bei denen die Verbraucher

zumindest partiell das Gefühl haben, diese objektiv feststellen zu können. Dies kann

zum einen über den Einsatz der eigenen Sinne geschehen – so vermittelt pralles,

leuchtendes Obst und Gemüse, das auch noch duftet, die Illusion von Frische. Zum

anderen kann Frische über die Standardisierung in Form von Mindesthaltbarkeits-

und Verbrauchsdatum vermeintlich festgestellt werden. Während claims von

„gesund“, „kalorienarm“ oder ähnliches mittlerweile im Verdacht von Werbelügen und

Marketingstrategien stehen, ist Frische und damit eine bestimmte Qualität des

Produkts ein noch relativ wenig in Frage gestellter Begriff. Das, obwohl Frische

vielfach nicht äußerlich überprüfbar ist, wie typische Beispiele der knallroten, prallen,

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aber völlig geschmacklosen Tomate oder der von innen verfaulte Apfel verdeutlichen.

Die fortschreitende Ästhetisierung von Nahrungsmitteln, Nahrungszubereitung und

Essgewohnheiten hat dazu geführt, dass das Nahrungsmitteldesign so weit

fortgeschritten ist, dass eine nicht gesetzlich sondern ästhetisch vorgeschriebene

Standardisierung Einzug gehalten hat, die nun als Maßstab für Frische gilt. „Äpfel

oder Tomaten weisen kaum noch Zeichen von Vergänglichkeit auf, sondern

demonstrieren immerwährende Frische.“ (Prahl/Setzwein. 1999, 12)

Außerdem ist Frische ein multidimensionaler Begriff, der unterschiedliche

Assoziationen umfassen kann, wie beispielsweise Haltbarkeit, Nahrhaftigkeit,

Sicherheit und bestimmte sinnlich erfassbare Eigenschaften. (vgl. Péneau et al.

2009, 244)

Sennett weist auf die Bedeutungsveränderung von „Frische“ im historischen Verlauf

hin. So war frisch im Sinne von unverarbeitet in vorindustriellen Zeiten ohne

Kühlschrank und ausgeklügelte Logistik oft gleichbedeutend mit nicht haltbar.

Lebensmittel mussten sofort verkauft und verzehrt oder durch

Konservierungsmethoden haltbar und damit sicher gemacht werden. (vgl. Sennett.

16.06.2007)

In der Moderne hat Frische sowohl in der Gastronomie wie auch im

Lebensmittel(einzel)handel eine weit über sich selbst hinausreichende Bedeutung

bekommen, indem frisch mit gesund, sauber, nährstoffreich, qualitativ hochwertig,

geschmacklich gut und risikoarm gleichgesetzt wird. Die Komplexität und teilweise

Inkommensurabilität dieser Kriterien wird dabei ausgeblendet. So wird in der

Spitzengastronomie, medial vermittelt über zahlreiche Kochshows, Frische mit

„gerade erst geerntet“, „gerade erst gefangen“, „gerade erst geschlachtet“

gleichgesetzt. Ein Beispiel hierfür sind die berühmten japanischen Sushiköche, die

jeden Morgen am Fischmarkt in Tokyo persönlich die frischesten Fische aussuchen

und die Ware auf Leib und Nieren prüfen. Tatsächlich kann Frische im Sinne von

„frisch vom Feld“ aber auch ein Weniger an Nährstoffen und Geschmack im

Vergleich zu einem Tielkühlprodukt bedeuten, wenn ersteres stunden- oder tagelang

transportiert und zweiteres sofort nach der Ernte schockgefrorern wurde. (vgl.

Sennett. 16.06.2007)

Außerdem ist Frische natürlich auch ein soziales Konstrukt, deren Bedeutung sich im

Lauf der Geschichte immer wieder gewandelt hat, wie Susanne Freidberg in ihrem

Werk „Fresh – A perishable history“ aus dem Jahr 2009 nachzeichnet. Die Autorin

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belegt, dass die aktuelle Definition von Frische und Qualität aus der Interaktion einer

Vielzahl von Akteuren, wie Produzenten, Händler, Konsumenten und Politikern

hervorgegangen ist und insofern das Ergebnis von Verhandlungen, Konflikten und

strategischem Handeln ist. Daraus resultiert, wie die Rezensentin Hatanaka (2011,

139) feststellt: “Exploration of such processes exemplifies the ironic reality that while

‘‘freshness’’ is often linked with notions of being ‘‘natural‘‘, “pristine,’’ and ‘‘novel,’’ it is

often quite the opposite.”

“Frische” wird also idealisiert und als Stellvertreterin für die erwähnten anderen

Qualitäten von Lebensmittel gesetzt. Das Resultat ist oft, dass diese vernachlässigt

werden zugunsten der Impression der Frische. Freidberg illustriert dies unter

anderem am Beispiel der Eier, welche unter den industriellen Bedingungen der

Massentierhaltung zwar rund ums Jahr “frisch” produziert werden können, jedoch nur

dank der massiven Zuhilfenahme von Antibiotika, künstlich nährstoffangereichertem

Futter, künstlichem Licht und Käfighaltung. (vgl. Hatanaka. 2011, 140)

In der Ernährungssoziologie wird hervorgehoben, dass die Entnaturalisierung der

Ernährung und Nahrung in der Moderne in den letzten Jahrzehnten

Gegenbewegungen hervorgebracht haben, die Künstlichkeit und Simulation

ablehnen. (vgl. Prahl/Setzwein. 1999, 18)

„Daß (sic!) das, was gesund aussieht nicht zwangsläufig auch gesund sein muß

(sic!), ist zwar hinreichend bekannt, doch wird beim Einkauf von Lebensmitteln

diese Gleichung noch immer aufgemacht: eine unreif-grünliche Banane wirkt

frischer und ergo gesünder als ihr (aromatischeres und bekömmlicheres) reifes,

braungeflecktes Pendant, ein Dutzend schrumpeliger Bioäpfel hat gegen das

Dutzend gleich(wohl)geformter, glänzender „Granny Smith“ kaum eine Chance

– es sei denn, es würde ausdrücklich als „Bio“ deklariert.“ (Prahl/Setzwein.

1999, 204)

2.2. Das Konzept „Frische“ aus der Sicht moderner Konsumenten

Zentral für die Kaufentscheidung ist also meist die Impression von Frische, die

wortwörtlich an der Oberfläche festgemacht wird. Dies ist es, was auch die Waste

Diver bloßlegen.

Eine vergleichende Untersuchung in sechs EU-Staaten aus dem Jahr 1997 über die

Wahrnehmung von Qualität und Sicherheit beim Fleischeinkauf und –verzehr ergab

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beispielsweise, dass beim Einkauf von Rind-, Schweine- und Hühnerfleisch aus

sieben vorgegebenen Qualitätsindikatoren die Farbe die größte Rolle für die

Kaufentscheidung spielt. Während die Qualitätswahrnehmung also maßgeblich durch

eine ansprechende Optik beeinflusst wird, gaben die Befragten als wichtigstes

Kriterium für die Bestimmung der Sicherheit von Fleisch „Frische“ eindeutig als

wichtigsten Indikator bei allen drei Fleischsorten an. (vgl. Glitsch. 2000, 185-186;

190) Im Rahmen der Studie wurde jedoch nicht erhoben, wie die Konsumenten

Frische konkret definieren.

Eine Schweizer Studie, die die individuelle Definition von Frische für Konsumenten

durch einen offenen Fragebogen erhoben hat, kam zu dem wenig überraschenden

Ergebnis, dass Frische von über 80 % der Befragten mit Lebensmitteln assoziiert

wird und davon hauptsächlich mit Obst und Gemüse. Weiters stellen die Forscher

fest, dass Frische mit Qualität und Integrität im Sinne der größtmöglichen Nähe zum

Originalprodukt hinsichtlich sinnlich wahrnehmbarer Eigenschaften, Verarbeitung,

Zeit und Distanz verbunden wird. (vgl. Péneau et al. 2009, 253) Spannend ist jedoch,

dass natürlich nicht jeder Konsument über das nötige Wissen verfügt, um diese

Kriterien auch zu überprüfen. Die überwiegende Mehrheit der Verbraucher, die ihre

Lebensmittel in Supermärkten kaufen, verlassen sich auf sinnlich wahrnehmbare

Charakteristika wie Aussehen, Geruch, Geschmack oder Konsistenz, wobei das

Aussehen das wichtigste Kriterium ist. Über nicht sensorische Eigenschaften wie

Anbaugebiet, Zeit seit der Ernte, Saisonalität, Transport oder Behandlung der

Produkte bekommen Kunden der modernen Nahrungsmittelindustrie meist gar keine

Informationen, weshalb sie sich auf sinnlich Wahrnehmbares beziehen. Das

Endprodukt wird beurteilt und nicht so sehr seine Entstehung, wenn es um Frische

geht. Die Studie zeigt auf, dass jene Konsumenten, die mehr Kontakt und damit auch

mehr Wissen über die Produktion von Obst und Gemüse haben, stärker nicht

sensorische Kriterien für Frische nennen und umgekehrt. (vgl. dies. 254-55)

Sicherlich spielen Werbung und Marketing eine entscheidende Rolle für die

Vermittlung des nicht immer unmittelbar sinnlich erfassbaren Faktors „Frische“. So

stellte beispielsweise eine Verbraucherstudie in Großbritannien über die Präferenzen

beim Kauf von Eiern fest, dass Konsumenten nicht völlig im Klaren darüber sind,

dass die alleinige Bezeichnung „frische Eier“ ohne Zusatz wie „Bodenhaltung“ oder

„Freilandhaltung“ de facto Legebatteriehaltung bedeutet. (vgl. Ness/Gerhard. 1994,

33)

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Felicitas Schneider vom Institut für Abfallwirtschaft der Universität für Bodenkultur

Wien, welche im staatlichen Auftrag intensiv im Bereich Lebensmittelverschwendung

forscht, bemerkte hierzu:

„Die Verbrauchererwartung betrifft beispielsweise absolute Frische, weswegen

Lebensmittel nahe dem Mindesthaltbarkeitsdatum oftmals schon frühzeitig aus

dem Verkauf entfernt oder Brot vom Vortag sowie Obst und Gemüse mit

leichten Druckstellen aussortiert werden.“ (2011, 8)

Diese Verbrauchererwartung ergibt sich auch daraus, dass viel praktisches und

traditionelles Wissen über Lebensmittel und Ernährung in modernen Gesellschaften

verloren gegangen ist, weshalb die Konsumenten sich auf standardisierte Angaben

und oberflächliche sensorische Eindrücke verlassen oder versuchen müssen, sich

selbstständig aus einer Fülle teilweise widersprüchlicher Informationen das nötige

Wissen anzueignen.

3. Verschwendung von Lebensmittel – ein Nebenprodukt der

Konsumgesellschaft

Die Ursachen für die Verschwendung von Lebensmitteln sind vielfältig und das

aktuelle Wegwerfverhalten wird durch viele Einflussfaktoren bestimmt.

Einige Faktoren auf gesellschaftlicher und individueller Ebene stechen jedoch

besonders hervor:

Auf Ebene des Individuums sind Veränderungen der Lebensstile besonders

bedeutsam für das Wegwerfverhalten. Die Modernisierung der Lebensstile durch

Veränderung der Arbeitswelt, des Essverhaltens, der Familienstrukturen sowie

Urbanisierung und Erhöhung des frei disponiblen Einkommens führen tendenziell zu

einem Mehr an Lebensmittelabfällen. So zeigen Studien, dass jüngere, besser

ausgebildete Menschen mit Vollzeitbeschäftigung, die in der Stadt wohnen, mehr

Nahrungsmittel wegwerfen. (vgl. Wassermann/Schneider. 2005, zit. in: Schneider.

2009, 9-10) Gründe dafür sind neben einer veränderten Wertehaltung auch

organisatorische Aspekte. So erschwert die veränderte Arbeits- und Familienwelt

eine sorgfältige Planung und Nutzung von Lebensmitteleinkäufen, da seltener und für

weniger Personen gekocht und daheim gegessen wird. (vgl. Lebersorger. 2004, zit.

in: Schneider. 2009, 10) Auch sind die Kosten für Lebensmittel trotz aktuell

steigender Preise heute im Vergleich relativ gering. Während in den 60er Jahren in

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den Industrieländern noch ca. 40 % des Einkommens für die Ernährung aufgewandt

wurde, sind es mittlerweile nur mehr um die 10 %. (vgl. Kreutzberger/Thurn. 2011,

11-12)

3.1. Die Vernichtung von Lebensmittel: food loss und food waste

Nahrungsmittel gehen während der gesamten Beschaffungskette, angefangen bei

Ernte und Produktion über Transport und Lagerung, Weiterverarbeitung bis zu

Distribution und Konsumption verloren. Laut einer Studie der FAO (2011, 4) betrifft

dies circa ein Drittel aller für den menschlichen Konsum produzierten Lebensmittel

weltweit. Parfitt et. al. (2010) unterscheiden zwischen food loss, welcher sich auf

Verluste während der Produktion, Transport/Lagerung und Weiterverarbeitung

bezieht und food waste, welcher am Ende der Kette durch Einzelhandel und

Konsumenten auftritt. Ersteres bezieht sich auf den Prozess der Herstellung eines

bestimmten Lebensmittels als Endprodukt, zweiteres auf den Umgang mit demselben

in Verkauf und Konsumption. Diese Unterscheidung ist hilfreich, um die primären

Gründe für das Phänomen der Lebensmittelvernichtung bei den einzelnen Gliedern

der Produktionskette zu benennen. In wirtschaftlich armen Ländern gehen

Lebensmittel im Verhältnis zumeist während der ersten Phasen verloren, während

nur wenige Lebensmittel im Weiterverkauf und Endverbrauch verschwendet werden.

In Ländern mit hohen und mittleren Durchschnittseinkommen stellt dagegen die

Verschwendung von noch genießbaren Lebensmitteln durch Wiederverkäufer und

Konsumenten einen weit größeren Faktor dar. Ein zentraler Unterschied besteht

darin, dass in diesen Ländern Lebensmittel in der Regel im Überfluss und zu einem

im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen sehr niedrigen Preis zur Verfügung

stehen. Laut Falk (1994, zit. in: Griffin/Sobal/Lyson. 2009, 67) ist aus diesem Grund

das Wegwerfen alternativ zur Wieder- beziehungsweise Weiterverwendung auch bei

Lebensmittel zur Norm geworden.

In absoluten Zahlen werden in den industrialisierten Ländern allein auf der Ebene der

Konsumenten fast so viele Lebensmittel verschwendet (222 Mio. Tonnen), wie in

ganz Subsahara-Afrika produziert werden (230 Mio. Tonnen). (vgl. FAO. 2011, 2; 4-

5)

Die folgende Übersicht zeigt die Lebensmittelverschwendung durch Einzelhandel

und Konsumenten für die wichtigsten Produktgruppen in den USA, kalkuliert aus den

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zur Verfügung gestellten Daten des United States Department of Agriculture (USDA).

Ohne Miteinbeziehung von Kochverlusten und nicht essbaren Bestandteilen von

Lebensmitteln, wie beispielsweise den Schalen bestimmter Früchte, betragen die

vermeidbaren Verluste bei einzelnen Produktgruppen zwischen 30 und 40 % der

Produktion. Die Grafik illustriert außerdem, dass die prozentuell höchste

Verschwendung durch die Konsumenten geschieht, wobei auch der Handel

erheblichen Anteil hat.

Abbildung 1: Verschwendung von Lebensmitteln

Quelle: Venkat. 2011, 438

3.1.1. Lebensmittelverschwendung im Einzelhandel

Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum Nahrungsmittel, die für den menschlichen

Konsum geeignet sind, als „nicht marktgängig“ aus dem Verkehr genommen werden.

Die meisten Ursachen lassen sich in zwei Gruppen einordnen: Verbraucherwartung

und Marktstabilisierung. Konkret sind beispielsweise die Nichterfüllung von vom

Lebensmittelhandel geforderten Standards hinsichtlich Form, Farbe oder Größe oder

auch die Nichterfüllung unternehmensinterner Qualitätskriterien Gründe für die

Aussortierung. Fehletikettierungen, kosmetische Fehler des Produkts oder seiner

Verpackung oder Nähe zum Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum sind ebenso

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häufige Ursachen für die Entsorgung. Nicht verkaufte Saisonartikel,

Lagerüberschüsse oder Produkte nach einer Sortimentsbereinigung landen ebenfalls

häufig im Müll. Schließlich werden Lebensmittel auch entsorgt, um den Marktpreis

stabil zu halten, wenn ein im Vergleich zur Nachfrage höheres Angebot besteht. (vgl.

Schneider. 2011, 8-9)

3.1.2. Lebensmittelverschwendung durch die Konsumenten

Die Gründe für die Verschwendung von Lebensmitteln auf Ebene der Konsumenten

sind noch vielfältiger als auf Ebene des Handels, da die Pluralisierung der

Lebensstile zu einer Heterogenisierung von Einkauf-, Koch- und Essverhalten geführt

hat.

Für Großbritannien hat das Waste and Ressources Action Programme die

wichtigsten Gründe für das Wegwerfen noch verzehrfähiger Lebensmittel erhoben.

Diese sind, gereiht nach Menge und Verkaufswert (vgl. WRAP. 2008, 6):

1. Speisereste, die nach der Mahlzeit auf dem Teller zurückbleiben

2. Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum oder Verbrauchsdatum

überschritten sind

3. Lebensmittel, die unansehnlich aussehen, riechen oder schmecken

4. Lebensmittel, die aufgrund zu langer/falscher Lagerung verdorben sind

5. Kochreste

Für Deutschland ermittelte eine Studie, dass 59 % der von Privathaushalten

weggeworfenen Nahrungsmittel aufgrund falscher Einkaufsplanung und Lagerung in

den Müll wandern. Besonders viel weggeworfen werden Produkte, die aufgrund von

Sonderangeboten oder Mengenrabatten in zu großer Menge eingekauft werden.

Insgesamt werden in Deutschland 21 % der von Privathaushalten gekauften

Lebensmittel weggeworfen. Dies entspricht sogar 27 % der Lebensmittelausgaben

pro Haushalt. Von diesen vermeidbaren Nahrungsmittelabfällen werden 21 % noch

ungeöffnet beziehungsweise völlig unberührt weggeworfen. Obst und Gemüse ist mit

fast der Hälfte aller weggeworfenen Lebensmittel am stärksten betroffen. (vgl.

Cofresco. 2011, 6-11)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Wohlstandsgesellschaften

tendenziell mengenmäßig zu viel und zu wenig geplant eingekauft und gekocht wird,

Lebensmittel häufig aufgrund der Messung an standardisierten oder ästhetischen

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Frischekonzepten weggeworfen werden und zu wenig Wissen über und Bereitschaft

zur Verwertung von Resten besteht. (vgl. WRAP. 2007)

3.2. Problematisierung der Verschwendung von Lebensmitteln

Die Verschwendung von Lebensmitteln wurde während der letzten Jahre vermehrt

aus sozialer, ernährungswissenschaftlicher, ökonomischer, klimatischer und

umwelttechnischer Perspektive problematisiert. (vgl. z.B. Sobal/Nelson. 2003)

Die Produktion von Nahrungsmitteln verbraucht große Mengen an Energie und

andere natürliche Ressourcen bei der Erzeugung, Weiterverarbeitung, Transport und

Distribution. Lebensmittel zählen im Vergleich mit anderen Produktgruppen zu den

ressourcenintensivsten Gütern. Rund ein Drittel aller klimaschädlichen Emissionen

entsteht im Zuge der weltweiten Nahrungsmittelerzeugung, -verteilung und

-entsorgung. (vgl. Kreutzberger/Thurn. 2011, 14; 147) Werden die Lebensmittel nicht

der Ernährung zugeführt, gehen einerseits die schon investierten Ressourcen

verloren, andererseits muss wiederum Energie für die Entsorgung aufgewandt

werden. So wird ein Viertel des gesamten weltweiten Wasserverbrauchs für die

Produktion von Lebensmitteln aufgewandt, die unverzehrt im Müll landen. (vgl. dies.)

Neben diesen Negativeffekten für Klima und Umwelt ergeben sich daraus erhebliche

Kosten für Produzenten, Händler und Konsumenten. Der ökonomische Wert, der sich

allein aus den von Konsumenten im Jahr 2009 verschwendeten Lebensmitteln in den

USA ergibt, beläuft sich pro Kopf auf ca. 650 US-Dollar. (vgl. Venkat. 2011, 441)

Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass teilweise staatliche oder

überstaatliche Steuerungsmechanismen bestehen, die Überproduktion und

Lebensmittelvernichtung betriebswirtschaftlich rentabel machen. (vgl.

Griffin/Sobal/Lyson. 2009, 68) Auch aus ethischer und ernährungswissenschaftlicher

Sicht ist die Verschwendung von Lebensmitteln problematisch, da Unternährung und

Hunger weltweit weiterhin weit verbreitet sind. Aktuell sind laut Welthungerindex circa

eine Milliarde Menschen weltweit unterernährt und 11 % aller Erkrankungen weltweit

sind durch Unterernährung bedingt. (vgl. Black et al. 2008, zit. in: Welthungerindex

2010, 26)

Die Verschwendung von Lebensmitteln wurde deshalb während der letzten Jahre

verstärkt zu einem Thema der medialen und politischen Öffentlichkeit.

Dokumentationsfilme wie beispielsweise „We feed the world“ (2005) von Erwin

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Wagenhofer, „Food, Inc.“ von Nikolaus Geyrhalter (2008) oder „Taste the waste“

(2011) von Valentin Thurn erregten großes mediales Interesse. Mittlerweile haben

auch Politik, Verwaltung und Forschung in vielen westlichen Staaten reagiert und

versuchen durch Studien, Informationskampagnen und Serviceleistungen das

Wegwerfverhalten bei Lebensmitteln zu beeinflussen. So bietet beispielsweise das

Land Salzburg auf seiner Website Fakten zum Thema Lebensmittelverschwendung,

gibt Tipps zur Abfallvermeidung und produziert Kurzvideos, die das Thema

problematisieren und Lösungen für die Verbraucher aufzeigen. (vgl. Website Land

Salzburg: http://www.salzburg.gv.at/themen/nuw/umwelt/abfall/lebensmittel_abfall-

2.htm)

Auch die deutsche Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner startete im Jahr 2012

eine Aufklärungskampagne um die Verschwendung von Lebensmitteln

einzudämmen. In Großbritannien laufen schon seit dem Jahr 2007 vom

Umweltministerium finanzierte Kampagnen um Mülltrennung zu forcieren und

Lebensmittelverschwendung sowie Verpackungsmüll durch zielgruppenspezifische

Aufklärung einzudämmen. (vgl. Dohogne. o.J., 111-23) Dies ist vor allem vor dem

Hintergrund zu betrachten, dass sich die (ernährungswissenschaftliche) Forschung

zu diesem Themenkomplex zuvor vor allem auf die andere Seite der Medaille,

nämlich die Verbesserung der Lebensmittelsicherheit konzentriert hat. So finden sich

im angesehenen British Food Journal zahlreiche Studien und Beiträge zum Thema

„food safety“ jedoch kaum Forschungsergebnisse zum Thema

Lebensmittelverschwendung. Das primäre Anliegen von Forschung und Staat war,

wie auch aus der Geschichte des Lebensmittelrechts ersichtlich, die Vermeidung von

Gesundheitsrisiken und Epidemien durch nicht sichere Lebensmittel, Lager- oder

Zubereitungstechniken. Es wurde also mehr Wert darauf gelegt, den Bürgern zu

sagen, was sie entsorgen beziehungsweise auf keinen Fall mehr essen sollen, als ihr

Wegwerfverhalten im Sinne einer Reduktion zu beeinflussen.

Um die Lebensmittelverschwendung auf Ebene des Einzelhandels einzudämmen,

wurde beispielsweise vom österreichischen Bundesministerium für Land- und

Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft im Rahmen der Initiative „Lebensmittel

sind kostbar“ eine Broschüre erstellt, die die rechtlichen Rahmenbedingungen für die

Weitergabe von Lebensmitteln an soziale Einrichtungen erklärt. (vgl. Schneider.

2011) Damit soll Unsicherheiten entgegengewirkt werden, die oft zu vorsorglichem

Page 18: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

18

Wegwerfen auf Seiten des Einzelhandels führt, um Haftungsprobleme

auszuschließen.

Auch zivilgesellschaftliche Initiativen nehmen zu, ebenso wie Kochbücher, die

Anleitungen zur Resteverwertung liefern. Dies ist insofern interessant, als sie dem

Trend zu Themenkochbüchern mit immer spezifischeren Rezepten und Ingredienzen

entgegenlaufen und die Verwertung von typischen Lebensmittelresten als kreative

und genussvolle Aktivität präsentieren. Beispiele sind „Nur der Idiot wirft´s weg“

(2011) von Haubenkoch Thomas Riederer, „Das Nichts Wegwerfen Kochbuch“

(2007) von Patrik Jaros und Günter Beer oder „Meine spontane Küche“ (2006) von

Donna Hay.

Allerdings deutet aktuell wenig auf eine Trendumkehr hin. Experten sind sich zwar

einig, dass ein Gutteil der verlorenen und insbesondere der verschwendeten

Nahrungsmittel durch angemessene Strategien und Verhaltensänderungen

vermeidbar wären. In der Praxis erweisen sich jedoch die etablierten

Beurteilungsmaßstäbe für Qualität und Frische zu einem in einer globalisierten,

konkurrenzorientierten Wirtschaft schwer zu verändernden Parameter für das

Handeln von Händlern und Konsumenten. Schneider verweist in ihrer Studie auf

Lebersorger (2004, zit. in: Schneider. 2009, 12), wonach gewohnheitsmäßiges

Handeln ca. 80 % des Ernährungs- und Umwelthandelns ausmacht. Diese Muster

lassen sich durch Information allein nur schwer verändern.

In der Praxis würde dies beispielsweise bedeuten, die Milchpackung mit dem nahe

liegendsten MHD aus dem Regal zu nehmen, anstatt hinten im Regal das

vermeintlich „frischeste“ weil kürzlich eingeräumte Produkt zu ergreifen. Oder es

würde bedeuten, die Packung Pfirsiche zu wählen, in der sich ein schon etwas

weniger ansehnliches Exemplar befindet, statt die ganze Palette nach den

knackigsten abzusuchen. Dem steht jedoch entgegen, dass die Supermarktfilialen in

der Regel von der Konzernzentrale aus nicht die Erlaubnis haben, in so einem Fall

spontan einen Rabatt auf das Produkt zu gewähren. Die Verantwortung wird oft

zwischen den beteiligten Akteuren hin und hergeschoben, insbesondere seit die

Lebensmittelverschwendung verstärkt problematisiert wird. So erhöhen sich die

Mengen an weggeworfenem Brot und Gebäck nachvollziehbarer Weise dadurch,

dass fast alle Supermarktketten inklusive Diskonter mittlerweile damit werben, dass

man ganztägig frisch Gebackenes in großer Auswahl bei ihnen beziehen könne.

Viele Supermarktketten übernehmen Backwaren nur auf Kommission von Bäckern,

Page 19: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

19

welche die nicht verkaufte Ware kostenlos wieder zurück nehmen müssen. So

wandern 10-15 % der produzierten Produkte in noch genießbarem Zustand in den

Müll. Die Supermärkte wiederum verweisen darauf, dass sie den Kundenwünschen

entsprechen, die eben auch noch um sieben Uhr abends eine breite Auswahl an

frischen Backwaren verlangen. (vgl. Schneider. 2009, 6; 13)

Andererseits zeigen die verfügbaren Studien auch, dass vielfach ein

Informationsdefizit auf Seiten der Verbraucher besteht. Beispielsweise unterschätzen

diese die Menge und die Kosten der Lebensmittel die sie wegwerfen, erheblich. So

gingen die Befragten in der Cofresco-Studie in Deutschland im Durchschnitt von 6 %

anstatt der tatsächlich 21 % verschwendeter Lebensmittel aus. (vgl. Cofresco. 2011,

8)

4. Der Faktor „Risiko“ im modernen Ernährungsverhalten

Die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion und –verarbeitung hat zwei

gegensätzliche, zeitlich versetzt einsetzende Entwicklungen befördert.

Einerseits hat die Ablöse traditioneller Praktiken durch industrielle Massenproduktion

anfangs sowohl zur Überwindung von Nahrungsmittelengpässen wie auch zur

Erhöhung der vergleichsweise geringen Hygiene- und Qualitätsstandards

beigetragen. Die Angst der Konsumenten vor anonym produzierten Nahrungsmitteln

im Gegensatz zur traditionellen Organisation wurde durch das zeitgleich steigende

Vertrauen und die zunehmende Bedeutung der Wissenschaft im Leben der

Einzelnen ausgeglichen. Indem sich die Nahrungsmittelindustrie auf

wissenschaftliche Erkenntnisse stützte, konnte sie Vertrauen in ihre Methoden

generieren, obgleich der Einzelne diese nicht im Detail prüfen konnte. Beispielsweise

konnten bakterielle Infektionen durch Milchprodukte durch die industrielle

Verarbeitungsmethode der Pasteurisierung fast völlig eliminiert werden. (vgl.

Bildtgard. 2008, 122)

Andererseits wurden die Massenrisiken, die sich durch Massenproduktion ergeben,

besonders während der letzten Jahrzehnte deutlicher. In Verbindung mit der

massenmedialen Verbreitung entstand durch prominente Fälle wie BSE-Skandal und

andere Seuchen, Analogkäse und Schadstoffbelastungen in Lebensmitteln ein neuer

Narrativ der industriellen Massenproduktion von Lebensmitteln, der die Risiken für

den Einzelnen in den Fokus rückt. Bestärkt und erweitert wird diese Perspektive

Page 20: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

20

durch die Thematisierung der überindividuellen Risiken und negativen

Konsequenzen, die sich für die Umwelt, die Welternährung oder das Klima durch

industrialisierte, globalisierte, rein gewinnmaximierende Massenproduktion ergeben.

Studien und Marktdaten zeigen, dass Verbraucher stark negativ auf

wahrgenommene Risiken in Nahrungsmitteln reagieren. So kam es beispielsweise in

Folge der Vogelgrippe und BSE zu massiven Verkaufsrückgängen bei den

betroffenen Produktgruppen. (vgl. Yeung/Yee. 2012, 40)

Aus diesem Grund wurde die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion und –

verarbeitung von Anfang von der Schaffung neuer Normen begleitet, welche die

traditionell geltenden Gemeinschaftsnormen ersetzen sollten. Die wichtigste Instanz

bildete der Nationalstaat, welcher durch immer detailliertere Gesetze, Verordnungen,

Standards sowie durch die Schaffung zuständiger Kontrollbehörden, die durch

Experten besetzt wurden, reagierte. (vgl. Bildtgard. 2008, 122-123) Mittlerweile ist in

EU-Mitgliedsstaaten die europäische Union eine weitere wichtige

Regulierungsinstanz geworden.

Allerdings setzt die fortschreitende Globalisierung der Nahrungsproduktion der

staatlichen oder supranationalen Regulierung und Kontrolle mehr und mehr Grenzen:

“The globalisation of the agrifood system and the growing variety of food

products and technologies have made it increasingly difficult for nation states to

regulate food safety and quality practices, giving rise to a shift from public to

private governance, essentially in the form of private standards and third-party

certification.” (Sodano/Hingley/Lindgreen. 2008, 508)

Der Staatsgewalt sind also angesichts der Komplexität globaler Produktionsketten

sowie der Verpflichtungen aus internationalen Verträgen, wie beispielsweise der

WTO oder der EG mehr und mehr Grenzen gesetzt, was die Regulierung betrifft. So

sind beispielsweise die erlaubten Beschränkungen des freien Warenverkehrs im EU-

Binnenraum im Bereich Lebensmittel weitgehend auf Maßnahmen zur Verhinderung

von Krankheiten und Gesundheitsrisiken beschränkt. (vgl Bildtgard. 2008, 124-25)

Als Folge werden nichtstaatliche, entterritorialisierte Interessensgemeinschaften, die

durch Lobbying oder private Zertifizierungen eine neue Übersichtlichkeit im

Lebensmittelsektor herstellen wollen, wichtiger.

Daraus ergibt sich wiederum eine größere Unübersichtlichkeit für die Konsumenten,

die ebenfalls gewissermaßen selbstverantwortlich sind für ihre Wahl. Diese

Unüberschaubarkeit ist jedoch nicht nur gefühlt, sondern auch praktisch gegeben. So

Page 21: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

21

wandert ein Lebensmittel im Durchschnitt durch 33 Hände, bis es im Supermarkt zum

Verkauf bereitsteht. (vgl. Kantor et al. 1997, zit. in: Schneider. 2009, 1)

Die Fülle an nicht staatlichen Zertifizierungen, Siegeln und Standards macht

risikobewusstes Einkaufen zu einer herausfordernden Aufgabe:

„The production of food in modern society involves an almost infinite number of

actors, individuals and companies. The very complexity of this system means

that the consumer has very little knowledge of the end product, not primarily

because knowledge is lacking but because it is too rich and too complex for the

consumer to decode. Consequently the consumer is marginalized when it

comes to decisions concerning the production of his/her food.” (Bildtgard. 2008,

114)

Wie wichtig das Thema Risikovermeidung für Konsumenten von Lebensmitteln ist,

zeigen beispielsweise Studien zu den Kaufgründen für biologische Nahrungsmittel,

wonach Gesundheit und Sicherheit die wichtigsten Beweggründe für den Kauf dieser

Produkte darstellen, vor anderen Faktoren wie Umwelt- oder Tierschutz. (vgl.

Pellegrini/Farinello. 2009, 949)

4.1. Standardisierung von Frische: Verbrauchs- und Mindesthaltbarkeitsdatum

Die im 19. und 20. Jahrhundert einsetzende Verwissenschaftlichung der Ernährung

durch die verstärkte Untermauerung von Ernährungsempfehlungen mit

wissenschaftlichen Erkenntnissen (vgl. Prahl/Setzwein. 1999, 48) ging einher mit der

Schaffung einer systematischen Qualitätskontrolle in den entstehenden Verwaltungs-

und Nationalstaaten. Auch die Verrechtlichung, Normierung und Standardisierung im

Namen der Volksgesundheit setzte ein und löste so die vorher zentrale

Selbstkontrolle von Zünften und Gilden im Mittelalter sowie die Kontrolle auf

kommunaler Ebene ab. Die Regulierung wurde im Zuge der Liberalisierung der

Wirtschaft auf immer höhere Ebenen verlagert, vom Nationalstaat auf supranationale

Instanzen. Standardisierung entstand auch als Notwendigkeit einer sich

globalisierenden Wirtschaft, nicht nur aufgrund staatlicher Vorgaben. Wurde zu

Beginn des 20. Jahrhunderts Bier noch in einem Krug aus dem nächstgelegenen

Gasthaus geholt, so kann man eine bestimmte Marke mittlerweile in standardisierter

Verpackung fast weltweit erstehen. (vgl. dies. 51-54)

Page 22: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

22

Standardisierungen, die sich durch Verpackung, Marke, Etikettierung,

Datumsangaben und Zertifizierungen manifestieren, wirken laut Bildtgard (2008, 117)

als „symbolic token“ im Sinne von Anthony Giddens (vgl. 1990, 83ff.) Ähnlich wie bei

der Institution Geld, das als Tauschmedium fungiert, da alle Vertrauen in seinen Wert

setzen, wirken diese Standardisierungen, die den einzigen Kontakt zwischen

Produzenten und Konsumenten darstellen und somit Raum und Zeit transzendieren,

vertrauensgenerierend, auch weil man davon ausgeht, dass zwischengeschaltete

staatliche und private Akteure die Validität überprüfen. (vgl. Bildtgard. 2008, 117)

4.1.1. Rechtliche Rahmenbedingungen

Das Mindesthaltbarkeitsdatum wurde auf europäischer Ebene im Rahmen der

Richtlinie 2000/13 einheitlich eingeführt, um eine Orientierung zu bieten. Generelles

Ziel der Richtlinie war eine Harmonisierung der Etikettierung von Lebensmitteln um

den freien Warenverkehr auf dem EU-Binnenmarkt zu gewährleisten. Bis dahin

herrschte eine große Heterogenität im Punkto Lebensmittelkennzeichnung. (vgl. Eur-

Lex. o.J.) Es handelt sich also beim MHD um eine Gütegarantie des Herstellers,

welche von ihm selbst festgelegt wird und als Orientierungshilfe für die Verbraucher

dienen soll. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist für verpackte Lebensmittel

vorgeschrieben und garantiert bestimmte Qualitätseigenschaften wie Konsistenz,

Farbe, Geschmack oder Geruch des Lebensmittels bei angemessener

Aufbewahrung. (vgl. Land Salzburg,

http://www.salzburg.gv.at/themen/nuw/umwelt/abfall/lebensmittel_abfall-

2/tipps_lebensmittel.htm)

Nach Ablauf dieser Frist können sich beispielsweise Geschmack und Konsistenz

verändern, jedoch lässt sich daraus keine Schlussfolgerung über die Sicherheit des

Lebensmittels ableiten. Das MHD endet daher so gut wie immer vor Beginn des

Verderbs eines Produkts. (vgl. Schneider. 2011, 14) Es handelt sich lediglich um eine

vom Hersteller festgelegte Information zur Orientierung. Konkret bedeutet dies, dass

der Hersteller zwar verpflichtet ist, ein Mindesthaltbarkeitsdatum anzugeben, für den

Handel ergibt sich daraus jedoch keine Verpflichtung, das Produkt nach Ablauf des

MHD aus dem Verkehr zu ziehen. Theoretisch dürfte ein solches Produkt weiter

verkauft werden, wobei jedoch über das MHD hinaus in Österreich deutlich

gekennzeichnet werden müsste, dass dieses bereits überschritten ist. (vgl.

Page 23: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

23

Lebensmittelkennzeichnungsverordnung BGBl 1993/72 idF BGBl 1995/555, § 4; §

10)

Außerdem verbietet das Lebensmittelgesetz BGBl 1975/86 idF BGBl I 1998/63 laut §

7 das in Verkehr bringen von gesundheitsschädlichen, verdorbenen, unreifen Waren.

Produkte mit überschrittenem MHD dürften also nur weiterhin verkauft werden, wenn

die Lebensmittel noch in Ordnung sind.

Davon zu unterscheiden ist das Verbrauchsdatum, auf Englisch „use by“, welches für

mikrobiologisch leicht verderbliche Produkte wie Fisch, Fertigsalate oder faschiertes

Fleisch vorgeschrieben ist. Dieses Verbrauchsdatum bedeutet, dass Lebensmittel

nach dessen Überschreitung nicht mehr verkauft werden dürfen und auch nicht mehr

verzehrt werden sollen, da ein gesundheitliches Risiko bestehen könnte. (vgl. Land

Salzburg, http://www.salzburg.gv.at/themen/nuw/umwelt/abfall/lebensmittel_abfall-

2/tipps_lebensmittel.htm)

Auf rohen Eiern findet sich aufgrund der Salmonellengefahr manchmal neben dem

MHD noch ein Verkaufsdatum, das die maximal zulässige Frist zwischen dem Legen

der Eier und dem Verkauf angibt. Nach Ablauf dieses Datums dürfen die Eier nur

nicht mehr roh an Konsumenten abgegeben werden, jedoch von diesen weiter

verwendet werden. (vgl. Schneider. 2011, 14-15)

Lebensmittel, die durch Lebensmittelunternehmen an Konsumenten abgegeben

werden, müssen also sicher sein, unabhängig davon, ob ein MHD, Verbrauchdatum

oder auch keines von beiden auf den Produkten zu finden ist.

4.1.2. Praktische Implikationen der Standardisierung von Frische

Die beiden beschriebenen Formen der Standardisierung von Lebensmitteln nehmen

somit auf zwei unterschiedliche Bedeutungen von „Frische“ Bezug. Das

Mindesthaltbarkeitsdatum verweist auf Frische als ästhetisches Kriterium, während

das Verbrauchsdatum sich auf Frische in der Bedeutung von „gesundheitlich

unbedenklich“ oder „sicher“ bezieht.

Allerdings ist diese Unterscheidung nicht allen Konsumenten geläufig. Die

Standardisierung schafft also eine gewisse Unsicherheit auf Seiten der Verbraucher,

die dazu führt, dass im Zweifelsfall eher entsorgt wird. In der englischen

Tageszeitung „The Guardian“ zitiert ein Journalist Studien, wonach 50 bis 80 % der

Konsumenten sich nicht über diese unterschiedlichen Bedeutungen im Klaren sind.

(vgl. Daoust. 9.12.2010)

Page 24: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

24

So werden in Salzburg jährlich im Durchschnitt 18 kg noch verzehrfähige

Lebensmittel pro Person weggeworfen. Ca. 20 % davon wandern aufgrund eines

überschrittenen Mindesthaltbarkeitsdatums in den Müll. (vgl. Land Salzburg,

http://www.salzburg.gv.at/themen/nuw/umwelt/abfall/lebensmittel_abfall-2.htm)

Bei überschrittenem MHD ist der Konsument angehalten, durch Überprüfung von

Aussehen, Geruch und Farbe festzustellen, ob das Lebensmittel noch genießbar ist.

(vgl. Schneider. 2011, 14) In der Praxis ist es nämlich so, dass die Haltbarkeit bei

den allermeisten Lebensmitteln nicht primär durch das Alter, sondern durch die Art

der Lagerung bestimmt wird. (vgl. Severson. 10.01.2001) So kann sich die

Haltbarkeit von Milch je nachdem, ob sie durchgehend kühl gelagert wird oder

stundenlang am Küchentisch steht, sehr unterschiedlich entwickeln. Entfremdung

von und fehlendes Wissen über Lebensmitteln führen dazu, dass dem

standardisierten, jedoch wenig aussagekräftigen MHD eine zu große Bedeutung

zugeschrieben wird.

Am meisten weggeworfen werden jedoch Sachen, für die gar kein

Mindesthaltbarkeitsdatum vorgeschrieben ist. Dazu zählen unter anderem Frischobst

und –gemüse sowie nicht abgepackte Backwaren. (vgl.

Lebensmittelkennzeichnungsverordnung BGBl 1993/72 idF BGBl 1995/555, § 7)

Hier ist also nicht die Standardisierung von Frische durch ein festgelegtes Datum

ausschlaggebend, sondern der optische Eindruck der Frische. So ergab eine

Untersuchung der entsorgten Waren von zwei Testfilialen über zehn Wochen durch

Universität für Bodenkultur in Österreich aus dem Jahr 2004, dass Gemüse und Obst

über 70% der weggeworfenen, aber noch genießbaren Lebensmitteln ausmachten.

(vgl. Schneider/Wassermann. 2004, zit. in: Schneider. 2009, 5)

Allerdings gibt es auch hier einen Trend zur Standardisierung. Obwohl gesetzlich

nicht gefordert, finden sich immer öfter auf portioniertem Obst oder Gemüse

(beispielsweise einer 6-er Schale Äpfel) ein MHD, um die Frische der Lebensmittel

noch zusätzlich zu betonen. Das Resultat ist, dass auch Obst und Gemüse lediglich

aufgrund eines überschrittenen MHD im Abfall landen. So berichtet ein Mitarbeiter

des britischen, staatlich gestützten Waste & Ressources Action Programme: "I've

seen unopened 15kg bags of potatoes thrown away just because they've gone past

the best-before date," (Andrew Parry, zit. in: Daoust. 2010)

Studien aus Österreich haben einen signifikanten negativen Zusammenhang

zwischen dem Alter und der Menge der weggeworfenen Lebensmittel bei

Page 25: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

25

Konsumenten ergeben. Ältere Menschen schmeißen tendenziell weniger

Lebensmittel weg. Dieser Zusammenhang war bei original verpackten Lebensmitteln

besonders deutlich. (vgl. Wassermann/Schneider. 2005, zit. in: Schneider. 2009, 9-

10) Jüngere Menschen orientieren sich also tendenziell stärker an standardisierten

Angaben für Frische und tendieren eher dazu, noch verzehrfähige Lebensmittel zu

entsorgen.

Dem entsprechen auch Studienergebnisse aus Großbritannien zur Haltung von

Verbrauchern gegenüber Lebensmittelstandards, wonach die Altersgruppe der 16 bis

34-Jährigen am Häufigsten angab, Nahrungsmittel nach Ablauf des

Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatums nicht mehr zu verzehren. Je älter die

Befragten, desto weniger strikt wurden die standardisierten Qualitäts- und

Haltbarkeitsdaten zum Maßstab genommen. Was jene Lebensmittel betrifft, die kein

Verbrauchsdatum, sondern nur ein Mindesthaltbarkeitsdatum aufweisen, wie Brot

und Frühstücksflocken, so gab immerhin ein Viertel aller Befragten an, dass sie

solche Produkte niemals nach Ablauf des MHD verwenden würden. Bei Eiern, die

ebenfalls nur durch ein MHD gekennzeichnet sind, ist dieser Anteil sogar höher als

40 %. (vgl. Food Standards Agency. 2009, 32-35)

Interessant ist auch eine andere Frage aus derselben Studie, in der den Befragten

verschiedene typische Datumsangaben vorgelegt wurden und sie wählen mussten,

welche davon der beste Indikator für die Sicherheit des Lebensmittels sei. Die Hälfte

identifizierte das Verbrauchsdatum (use by date) korrekt als den besten Indikator, ca.

ein Drittel der Befragten wählte jedoch das MHD, obwohl dieses, wie schon erläutert,

sich rein auf die Qualität und nicht auf die Sicherheit bezieht. Auch hier ist ein

Zusammenhang mit dem Alter der Befragten gegeben. Je älter die interviewten

Personen waren, desto häufiger gaben sie an, nicht zu wissen, welcher Indikator der

beste für die Sicherheit eines Lebensmittels ist. (vgl. dies., 31) Jüngere Menschen

orientieren sich also tendenziell stärker an Standardisierungen, wobei jedoch

mehrheitlich keine Klarheit bezüglich der unterschiedlichen Bedeutungen besteht.

Bringt man diese Erkenntnisse nun mit den schon dargelegten Zahlen und Fakten

über die Verschwendung von Lebensmitteln auf Konsumentenebene in

Zusammenhang, hat man schon einen zentralen Erklärungsfaktor ausgelotet.

Page 26: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

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4.2. Die Frische und der Müll – eine ambivalente Beziehung

Wenn Frische nicht nur mit gutem Geschmack, sondern auch mit Qualitität,

Gesundheitsförderung und –erhaltung sowie Risikoarmut assoziiert wird, ist es recht

einleuchtend, warum ihr diese große Bedeutung für die Konsumenten zukommt.

Gleichzeitig hat im Zeitalter der „reflexiven Modernisierung“ (vgl. Giddens. 1990)

auch eine verstärkte Infragestellung des gängigen Wissens und der westlichen

Lebensweise stattgefunden. Die sozialen und ökologischen Kosten der

industrialisierten, globalisierten Nahrungsmittelproduktion werden deutlicher.

Bildtgard (2008, 24) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Krise der

modernen Wissenschaft und Politik. Der Glaube in die Fähigkeit der Wissenschaft,

universell gültige Erkenntnisse über die beste Nahrungsmittelproduktion und

Ernährungsweise zu gewinnen, schwindet auch angesichts der sich verbreitenden

Ansicht, dass Ernährung nicht nur der Befriedigung eines menschlichen

Grundbedürfnisses dient, sondern auch Teil von Lebens- und Konsumstilen sowie

Identität ist. Die Maßstäbe sind ebenso vielfältig geworden, wie die dazu passenden

Angebote. Es gibt nicht mehr gesunde Ernährung, sondern für eine bestimmte

Gruppe geeignete Nahrungsmittel, es gibt nicht mehr qualitative Lebensmittel,

sondern verschiedene Qualitäten für unterschiedliche Bedürfnisse oder Ansprüche.

(vgl. ders.) Gleichzeitig ist eine abnehmende Regulierungs- und Kontrollfähigkeiten

der globalen Nahrungsmittelindustrie durch öffentliche Instanzen feststellbar.

Als Folge sind Nahrung und Müll für die Konsumenten zu Kategorien mit fließenden

Übergängen, ohne klar erkennbare Grenzen geworden. Reflexivität ist auch insofern

gegeben, dass den Verbrauchern zumindest teilweise bewusst ist, dass weder

Standardisierungen noch die eigene Urteilskraft vollständige Sicherheit garantieren

können. Lieber zu viel als zu wenig wegzuwerfen, erscheint vor diesem Hintergrund

als nachvollziehbare Handlungsweise. Die folgende Karikatur unterstreicht dies:

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27

Abbildung 2: Karikatur Essen und Müll

Quelle: © Thomas Wizany, auf:

http://www.salzburg.gv.at/themen/nuw/umwelt/abfall/lebensmittel_abfall-2.htm

(10.07.2012)

5. Waste Diving, Dumpstern oder Containern

Waste Diving, Dumpstern oder zu Deutsch Containern hat sich seit den 80er Jahren

des vorigen Jahrhunderts zu einer verbreiteten Praxis vor allem in westlichen

Wohlstandsgesellschaften entwickelt. Die Wurzeln lassen sich zum Teil auf die Arbeit

der amerikanischen Nonprofit Bewegung „Food not Bombs“ zurückführen, die seit

1980 von Boston ausgehend begonnen hat Lebensmittel von Produzenten und

Händlern, die nicht mehr markttauglich waren, zu übernehmen und daraus

vegetarisches Essen zuzubereiten, das dann kostenlos an Bedürftige, Obdachlose

oder Passanten ausgegeben wird. „Food not Bombs“ ist mittlerweile in vielen Staaten

durch Einzelgruppen aktiv. (vgl. Temkar. 2011) Der breitere Trend zur Suche nach

alternativen, nicht konsumorientierten Lebensweisen lässt sich jedoch weiter

zurückführen auf die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts und auf anarchistische

Strömungen der frühen 70er Jahre. (vgl. Coyne. 2009)

Mittlerweile wird Waste Diving als zentraler Bestandteil eines „freeganen“ Lebensstils

begriffen. Freeganer gibt es mittlerweile vor allem in urbanen und semi-urbanen

Zentren westlicher Wohlstandsgesellschaften. Sie verbinden Aktivismus und

Page 28: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

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Lebensstil, indem sie versuchen, so wenig natürliche Ressourcen wie möglich zu

verbrauchen und so wenig wie möglich am kapitalistischen Wirtschaftssystem

teilzunehmen. Die Kritik der Freeganer reicht also deutlich über die im System

inhärente Verschwendung hinaus, wie anhand der Selbstbeschreibung der US-

amerikanischen Freeganer-Vereinigung deutlich wird:

„After years of trying to boycott products from unethical corporations

responsible for human rights violations, environmental destruction, and animal

abuse, many of us found that no matter what we bought we ended up

supporting something deplorable. We came to realize that the problem isn’t just

a few bad corporations but the entire system itself. Freeganism is a total boycott

of an economic system where the profit motive has eclipsed ethical

considerations (…).” (freegan.info)

Waste Diving, um an aussortierte, aber noch brauchbare Produkte der

Wegwerfgesellschaft, insbesondere Lebensmittel zu gelangen, stellt eine der

wichtigsten und weitverbreitetsten Praktiken der Freeganer dar. Zu den zentralen

Werten der Freeganer zählen Gemeinschaft, Teilen und Kooperation, weswegen die

durch Waste Diving erlangten Güter immer mit anderen, egal ob selbst Waste Diver

oder nicht, geteilt werden. Zu einem freeganen Lebensstil werden jedoch auch

Müllvermeidung und –minimierung, ökologisch vertretbare Fortbewegung,

Selbstversorgung durch Urban Gardening oder Community Gardens, Minimierung

von Lohnarbeit und mietfreies Wohnen durch Hausbesetzungen oder die Einrichtung

von Gemeinschaftszentren in verlassenen Häusern gezählt. (vgl. freegan.info)

Entgegen dieser kohärenten Selbstbeschreibung kann man die Freeganer in der

Praxis nicht als homogene Bewegung verstehen, da die konkrete Motivation und das

Ausmaß der praktizierten Aktivitäten stark variieren. Bei manchen steht die

Protestorientierung und der politische Aktivismus im Vordergrund, bei manchen die

generelle Ablehnung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, bei wiederum anderen

ist es die fehlende Nachhaltigkeit der Wegwerf-Gesellschaft, die sie zum Waste

Diven inspiriert. Schließlich finden sich auch einige, bei denen die Motivation Geld zu

sparen, um weniger abhängig von Lohnarbeit zu sein, ein zentraler Faktor ist. (vgl.

Skidelsky. 2009) Während manche Freeganer einen fast vollständig von der

Mainstream-Kultur separierten Lebensstil betreiben, sind andere in die Arbeitswelt

und politische Gemeinschaft aktiv involviert. Der Großteil der Freeganer

unterscheidet sich dennoch soziodemographisch und motivationsmäßig deutlich von

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marginalisierten Bevölkerungsgruppen, die Waste Diving aus materieller Not

praktizieren. Hier passt das Sprichwort, dass fasten nicht das gleiche sei, wie

hungern. Freeganer sind überwiegend jung, männlich, aus der bildungsnahen

Mittelschicht stammend und zeichnen sich durch starke ideologische Überzeugungen

aus, die ihren Lebensstil prägen. (vgl. Edwards/Mercer. 2007, 282-87)

Das Waste Diving als Herzstück der Freeganer-Bewegung wird explizit unter

Bezugnahme auf die dominierenden Vorstellungen von essbar und nicht essbar,

sicher und gefährlich, frisch und verdorben interpretiert:

“Despite our society’s sterotypes about garbage, the goods recovered by

freegans are safe, useable, clean, and in perfect or near-perfect condition, a

symptom of a throwaway culture that encourages us to constantly replace our

older goods with newer ones” (freegan.info)

„Müll“ zu essen, ist schließlich ein Gesellschaften übergreifendes Tabu, welches

traditionell von marginalisierten Gruppen aufgrund schierer Not praktiziert wurde.

Waste Diving verlagert den Fokus weg von denen, die die weggeworfenen

Lebensmittel konsumieren, hin zum System der Verschwendung, die diesen

Überfluss an aus rein physiologischer Sicht essbaren Nahrungsmitteln produziert. „It

challenges the observer to ask, not why one might dumpster dive, but rather why one

would not.” (Shantz. 2005) Die gängigen Normen für Konsumption und Abfall

werden, indem dem sogenannten Müll eine neue Bedeutung gegeben wird, mit dem

Ziel eine gesellschaftliche Neudefinition zu etablieren. Dem liegt die von Appadurai

(1986, zit. in: Partridge. 2011, 37) festgestellte Erkenntnis zugrunde, dass die

gesellschaftliche Bedeutung von Produkten sich als Resultat des sozialen und

kulturellen Kontexts im Lauf der Geschichte immer wieder gewandelt hat und

dementsprechend manchmal als Müll, manchmal als erstrebenswerte Güter

interpretiert wurden. Die soziale Bedeutung von Gütern muss demnach beständig

reproduziert werden, um bestehen zu bleiben.

Dennoch steht beim Waste Diving in der Praxis nicht die Öffentlichkeitswirksamkeit

im Vordergrund. Ein interviewter Freeganer drückte dies so aus: “there is something

about freeganism that is silent, doesn’t make a point, doesn’t show anything to

anyone, it just is something that’s more sustainable than going to the shops” (zit. in:

Partridge. 2011, 30)

Unabhängig von der Intention der Waste Diver ist das mediale Interesse mittlerweile

enorm, sodass die Interview- und Reportageanfragen die Bereitschaft vieler

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Freeganer zur politischen Positionierung übersteigen.1 Dokumentationen, Berichte

und Reportagen zum Waste Diving sind während der letzten Jahre vermehrt

publiziert worden, ohne dass wirklich eine konzertierte Anstrengung auf Seiten der

Aktivisten erfolgt wäre. Das Thema schaffte es sogar bis in die US-amerikanische

Talkshow von Oprah Winfrey. Es stellt sich die Frage, woher diese offensichtliche

Faszination mit speziell dieser Aktivismusform kommt. Coyne (2009) bietet hierfür die

Erklärung an, dass es der Bruch mit dem dominanten Klassifikationssystem ist, der

das Waste Diving so faszinierend für die mediale Öffentlichkeit macht:

“Dirt then, is never a unique, isolated event. Where there is dirt there is system.

Dirt is the by-product of a systemic ordering and classification of matter, in so

far as ordering involves rejecting inappropriate elements. This idea of dirt takes

us straight into the field of symbolism and promises a link-up with more

obviously symbolic systems of purity.” (Douglas. 2002, 36)

Was Müll ist und was nicht wird also durch ein Klassifikationssystem bestimmt,

welches im Grunde willkürlich rein von unrein trennt und so auch unser Einkaufs- und

Essverhalten strukturiert. Essen im Müll ist unabhängig von seinen konkreten

Charakteristika unrein, weil es sich am falschen Ort befindet. (vgl. Coyne. 2009)

Douglas bezeichnet dies als „matter out of place“ (2002, 36), wie beispielsweise das

Haar, das erst als ekelerregend empfunden wird, wenn es sich nicht mehr am Kopf,

sondern beispielsweise in der Suppe befindet.

Waste Diver verstehen ihr Tun nicht als „Müll essen“, da sie ihre Praxis darauf

aufbauen, dass sich in den Containern jede Menge reines, gesundes, sicheres und

genussvolles Essen befindet. (vgl. Moré. 2011, 49)

6. Empirischer Teil: Waste Cooking – Eine innovative Weiterentwicklung

Waste Cooking wurde Einzelpersonen ins Leben gerufen, die auf unkonventionelle

Weise auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen wollten.

Der Regisseur von Waste Cooking war bei seiner ersten persönlichen Erfahrung vom

Waste Diving fasziniert und entwickelte die Idee zu einer Kochshow der anderen Art,

als Verbindung von Waste Diven und kochen. Diese Idee setzte er gemeinsam mit

1 Siehe hierzu beispielsweise die Diskussionen in den Foren der deutschen Themenseite http://www.containern.de/ (14.07.2011)

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einem persönlichen Freund, der beruflich als Koch tätig ist und als solcher auch

einen Rezepte-Blog betreibt, um. (vgl. Interview auf: studentenkueche.com)

Unterstützt wird die Initiative von offizieller Seite insofern, als sowohl die Abteilung für

kulturelle Sonderprojekte des Landes Salzburg wie auch die Kulturabteilung der

Stadt Salzburg finanzielle Förderung bereitstellen. Dies ist insofern bemerkenswert,

als sich die Teilnehmer beim Waste Diven in einer juristischen Grauzone bewegen.

So ist zwar der Müll im Gegensatz zur gesetzlichen Regelung in anderen Staaten

nicht mehr im Eigentum der Supermärkte, sondern „herrenloses Gut“, die Container

befinden sich jedoch immer auf ihren Privatgrundstücken, weswegen der Zutritt

prinzipiell strafbar ist. (vgl. http://www.wastecooking.com/thema/waste-diving/)

6.1. Waste Cooking – die „kritische Kochshow“ als Erlebnis

(vgl. im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt die Website der Waste-Cooking

Initiative: www.wastecooking.com)

Die Waste Cooking-Initiative definiert sich selbst als kritische Kochshow nach dem

Motto: „Food is culture …. don´t waste it, cook it!“

In Abgrenzung zu herkömmlichen Kochshows, die die Zuseher bloß als (visuelle)

Konsumenten einbinden, kann man beim Waste Cooking die Metamorphose von Müll

zu Essen mitvollziehen. Demgemäß werben die Waste Cooker auf dem Flyer zu

einer ihrer Aktionen auch mit dem Spruch: „Vorsicht! Das Essen von Müll kann Euer

(sic!) Denken verändern!“

Beim Waste Cooking wird im Gegensatz zum Waste Diving kommuniziert, was

essbar ist und was nicht, sondern auch, was frisch, sauber und genussvoll ist.

Während die Waste Diver durch den Akt der Aneignung weggeworfener Lebensmittel

deren Essbarkeit demonstrieren, geht die Waste Cooking-Initiative einen Schritt

weiter, indem es den Erlebnis- und Genusswert des Waste Diving und Waste

Cooking nachvollziehbar zu kommunizieren versucht. Nicht nur wer aktiv dabei ist,

kann es miterleben. Man kann auch über das Ansehen der Kochshows online und

über Community-Fernsehsender oder das Nachkochen der Rezepte mit dabei sein.

Der Erlebnischarakter des Waste Diving und Waste Cooking wird in den

Repräsentationen in Form von Website und Kochshow in den Mittelpunkt gestellt.

Hier muss berücksichtigt werden, dass das Waste Diven an sich eine relativ

zeitaufwändige Art der Lebensmittelbeschaffung ist. Auch das Waste Cooking ist an

Page 32: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

32

sich umständlicher als normales Kochen, da spontan aus den gefundenen

Nahrungsmittel Rezepte kreiert und die Lebensmittel auch manchmal extra gereinigt

und meist gleich verkocht werden müssen. Der Anspruch, alles was man aus der

Tonne mitnimmt, auch zu verwenden, führt dazu, dass oft große Mengen bestimmter

Lebensmittel vor dem endgültigen Verderb verzehrt oder konserviert werden müssen.

Beim Waste Cooking, wo das gemeinsame Kochen und Essen in Form von Events

stattfindet, ist das wichtigste Kriterium, optisch und geschmacklich ansprechende

Gerichte aus dem Gefundenen zu kreieren: „Wir bringen Waste Diver (Mülltaucher)

und Köche zusammen, und verwandeln „Abfall“ in kreative Gerichte.“

Die Protestorientierung wird nicht ausgeklammert, aber in ein Erlebnis für die

Teilnehmer integriert: „Protest kann lecker sein!“. Die Teilnehmer sollen nicht primär

protestieren, sondern aus dem Erleben selbst neue Erfahrungen sammeln und ihre

Schlüsse ziehen. „Der erste Blick in die Tonne“ ist demnach ein Erlebnis, das für sich

selbst spricht. Das andere Erleben der Teilnehmer wird an sich schon als subversiv

dargestellt, ohne dass jedoch versucht wird, eine abgegrenzte Gruppenidentität zu

schaffen oder moralischen Zeigefinger. So gibt es beispielsweise ein Waste Cooking-

Manifest, das die Zielsetzungen und die Regeln fürs Waste Cooking festlegt. Diese

Regeln sind jedoch überwiegend prozedural, beziehen sich also auf den Akt des

Mülltauchens und Kochens. Die kommunizierten Werte sind diskursiv und offen

angelegte – die Waste Cooker laden ein zum kochen, essen, diskutieren über

Lebensmittelverschwendung und prangern Konkurrenzdenken und Egoismus an.

6.1.1. Die Rezepte der Waste Cooker

Die Rezepte sind als Menüs angelegt und umfassen Vorspeisen, Hauptspeisen und

Desserts. Sie sind vegetarisch, aber ansonsten durchaus „mainstream-tauglich“.

Trotz relativ simpler Zutaten und Zubereitungsformen wirken sie durch

Namensgebung und optische Darstellung außeralltäglich. „Karotten-Dip mit

karamelisierten Zwiebeln und Kreuzkümmel“, „Fenchel in Sahne-Weißwein

Reduktion“, „gebratene Polenta mit Ratatouille“ oder der „Linsen-Apfel Salat mit Feta

Käse“ erinnern vom Wording her an raffinierte, aber doch nachkochbare Kreationen

aus den bekannten Fernseh-Kochshows. Dem Anrichten und der kulinarischen

Fotografie wird viel Mühe gewidmet.

Einzig die Zubereitungsanleitungen weichen von herkömmlichen Rezeptsammlungen

ab. Zum einen durch die Portionsgrößen die von vier bis fünzig Personen reichen

Page 33: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

33

können. Damit wird darauf verwiesen, dass Waste Diven und Waste Cooking an

Gemeinschaft gebunden ist: Lebensmittel und Essen werden gemäß den Werten der

Freeganer wenn möglich immer geteilt. Die Zubereitungsanleitungen sind außerdem

speziell auf Waste Cooker ausgerichtet und auf die typischen Lebensmittel, die man

häufig in großen Mengen findet.

6.1.2. Raum- und Zeitbezug beim Waste Cooking

Das Waste Diven ist, wie schon erwähnt, eine zeitintensive Beschäftigung. Es

müssen passende Plätze gefunden werden, wo ein Zugang zu den Containern

möglich ist, ohne sich gewaltsam Zutritt verschaffen zu müssen, denn eine der Waste

Cooking-Regeln lautet: „Wir knacken keine Schlösser“. Dann muss eruiert werden,

wann die besten Nächte zum Waste Diven sind, da die Supermärkte beispielsweise

bevorzugt an den Vortagen der Müllentleerung aussortieren. Langjährige Waste

Diver haben zumeist ihre Stammplätze, die sie gut kennen. Beim Waste Cooking

werden bei den Events Neulinge in die Geheimnisse der besten Diving-Plätze

eingeführt. Andererseits gibt es auch Situationen, wie in St. Pölten beim Frequency

Festival, wo die Waste Cooker ohne lokale Unterstützung auf die Suche gehen. Das

Mülltauchen hat so den Charakter einer Schatzsuche, bei der man außerdem auch

die eigene Stadt von einer neuen Seite kennenlernt. „(…) jeder hat seine lieblings-

spots- und das sind dann oft geheim-tipps- fast wie lieblings-restaurants … (sic!)“

(Interview auf: www.studentenkueche.com)

Das „Sortiment“ in den Tonnen variiert außerdem je nach Ort, Tag und Jahreszeit. Im

Sommer verderben besonders die Lebensmittel in der Biotonne und Milchprodukte

schneller, im Frühling und Herbst bleiben sie länger frisch.

Für raffiniertere Gerichte werden die Leser außerdem vorgewarnt, dass es durchaus

mehrere Containergänge braucht, um alle Zutaten für das Rezept

zusammenzubekommen: „Suche dir einen Supermarkt deines Vertrauens, warte bis

der Laden geschlossen hat und dive die benötigten Zutaten. Lass dir dazu ruhig ein

paar Dives Zeit, denn diven macht Spaß.“ Mülltauchen ist also mehr als nur anders

einkaufen, es ist eine Tätigkeit mit Erlebnischarakter. Das „Schmutzige“ oder

Befremdliche daran wird umgedeutet, indem Waste Diving als „Subkultur“

beschrieben wird, die „salonfähig“ geworden ist.

Page 34: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

34

6.1.3. Waste Cooking – ein Erlebnis für alle Sinne

Jedes Waste Cooking Event ist anders. Fixe Bestandteile jeder Episode sind jedoch

das Mülltauchen, Kochen und Essen, meist auch begleitet von musikalischer Live-

Untermalung durch die „Waste Queen“, eine Musikerin, die einen passenden

Soundtrack für das Waste Cooking produziert hat, mit dem Titel: “That waste is

good”. Bei den gefundenen Lebensmitteln wird in den Episoden neben der optischen

Präsentation immer auch über die Menge und den monetären Wert informiert.

Die Waste Cooking-Episoden sind durchchoreografierte Erlebnisse, die sich an

unterschiedliche gängige Formate von Kochshows anlehnen, wie der nächste Punkt

genauer zeigt. Was aber kann der Teilnehmer oder Zuschauer genau erleben, was

wird ihm von den Waste Cookern versprochen? „Bei uns seht ihr, wie Müll

fachgerecht getaucht, gereinigt, gekocht und stilecht serviert wird.“ Diese

provozierende Beschreibung weckt ambivalente Assoziationen durch die Verbindung

von Müll im selben Satz mit typischem Vokabular der professionellen

Nahrungszubereitung. Die Waste Cooker selbst sprachen im Interview diesen

gesellschaftlich präsenten Widerspruch zwischen Essen auf der einen Seite und Müll

auf der anderen Seite an und erklärten, dass sie bewusst diese widersprüchlichen

Elemente in Verbindung setzen wollten, indem Bekanntes neu interpretiert wurde.

Jeder ist mit Lebensmittel in Kontakt, jeder kennt Kochshows. Die Perspektive, die im

Waste Cooking gezeigt wird, soll aufrütteln und das intensive Erlebnis, das die Waste

Cooker selbst beim Blick in die Tonne und beim Zubereiten des Gefundenen haben.

Dieses Erlebnis und die damit verbundene Erfahrung wird von den Waste Cookern

als erschreckend und begeisternd zugleich beschrieben. Die Tonne öffnet sich und

man kann gar nicht glauben, was sich darin alles an einwandfreien Lebensmitteln

findet. Durch die Kochshow kann auch der nicht kopräsente Zuschauer indirekt selbst

in die Tonne schauen und die Verwandlung ihres Inhalts in ein verlockendes Menü

mit nachvollziehen. Das Erlebnisskript, das von den Waste Cookern für die Zuseher

der Pilotfolge gegeben wird, lautet deshalb auch: „Lasst Euch diesen “Abfall” auf der

Zunge zergehen (…)“ Der Teilnehmer an einem Event kann den „Müll“ sogar riechen,

anfassen und kosten und so mit seinen eigenen Sinnen deren Frische oder

Verdorbenheit überprüfen. Die Waste Cooker erklärten, dass es allen, die bis jetzt mit

ihnen diese Erfahrung gemacht haben, gleich ergangen sei: die Absurdität der

Überproduktion und Wegwerfgesellschaft wurde beim tatsächlichen Blick in die

Tonne plötzlich konkret und praktisch erlebbar.

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6.1.4. Das Format: „Kochshow“

„Kochsendungen, insbesondere Shows, dokumentieren keine Arbeitsvorgänge,

sondern suggerieren schnelle, einfache und kreative Aktivitäten.“ (Bender, 2009, 8)

Die Waste Cooking-Episoden entsprechen dem insofern, als die Zeitaufwändigkeit

des Mülltauchens nicht medial vermittelt wird. Tatsächlich erscheint es dem Zuseher

eher so, als müsste man nur eine beliebige Tonne öffnen um den Überfluss an

frischem Essen mit eigenen Augen sehen zu können. Praktisch ist es so, dass sich

oft große Mengen ähnlicher Lebensmittel finden und die Qualität und Quantität stark

variiert. Auch die Schwierigkeit passende Rezepte zu finden, die sich beim Waste

Diven durch die oft große Menge ähnlicher Lebensmittel ergibt, wird nicht direkt

gezeigt. Im Gegenteil, gerade diese fehlende Vorhersehbarkeit wird als

erlebnisgenerierend interpretiert: man überlegt nicht, was man kochen möchte und

kauft danach ein, sondern man „taucht“ und kocht mit dem, was man findet. Die

herkömmliche Art des Kochens sowohl privat als auch beruflich wird also umgedreht,

wie Waste Cooking-Koch Tobias im Interview darlegte. So wies er auch darauf hin,

dass sich im Müll oft Lebensmittel finden, die er selbst noch nie eingekauft hatte und

es auch nicht tun würde. Beim Waste Cooking lernt man also auch neue Produkte

kennen und wertschätzen. Für Waste Diver ist Kochen demnach eine kreative

Tätigkeit, die Improvisationsvermögen und Eigenaktivität verlangt und gerade

dadurch auch ihren Erlebnischarakter bekommt. Für die Waste Cooker gilt dies umso

mehr, da sie sich in ihren Regeln noch dazu verpflichtet haben, alle Lebensmittel, die

sie aus der Tonne mitnehmen, auch zu verwenden. Abgesehen von einigen wenigen

Zutaten wie Gewürzen oder Öl werden keine anderen Produkte verwendet.

In den Episoden zögert der Fernsehkoch nicht, wenn ihm die Waste Diver ihre Funde

präsentieren, sondern liefert unverzüglich einen kulinarisch ansprechenden

Vorschlag für die Verarbeitung. Auch das Kochen für teilweise sehr viele Personen –

beim Secret Waste Cooking Club waren es 60 – wird in der Show von den zeitlichen

Vorgaben gelöst. So werden die Gerichte teilweise schon vorbereitet, damit der

zeitliche Rahmen des Events ohne lange Pausen von statten gehen kann. In der

Fernsehversion ist dies nicht ersichtlich, das Kochen erscheint als mühelose, Spaß

machende Gemeinschaftsaufgabe, obgleich die Gäste eigentlich kaum mehr machen

als Gemüse schneiden und Brote schmieren und das tatsächliche Kochen von einem

Kernteam erledigt wird.

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Die unterschiedlichen Episoden zeigen eine inhaltliche Veränderung, die den Fokus

vom Privaten ins Öffentliche verlagert und die Trennung zwischen Zuschauer und

Mitwirkenden immer mehr aufhebt.

Die Pilotfolge, zeigt die Initiatoren von Waste Cooking mit schon erfahrenen Waste

Divern auf Mülltauch-Tour und anschließend bei einer Kochsession in einer

Privatwohnung und einem gemeinsamen Essen mit Freunden. Dieses Format ähnelt

Kochsendungen wie beispielsweise „Das perfekte Dinner“, die einen einseitigen Blick

in eine eigentliche private Situation suggerieren. Der Zuschauer bleibt der

unbeteiligte Dritte, der nicht direkt angesprochen wird.

In der Episode 1 erfolgt eine Verlagerung in den öffentlichen Raum. Die erste

„öffentliche Aktion“ wird durch öffentliches Kochen am Alten Markt in der Salzburger

Innenstadt umgesetzt. Die Zutaten stammen aus Salzburger Mülltonnen und wurden

in der Nacht zu vor „getaucht“. Die fertigen Gerichte wurden Passanten und

Touristen zum Verkosten angeboten. Diese Rahmung erinnert an Variationen des

„Showkochens“ unter den gängigen Fersehkochshows, wo die Zuschauer oder

Experten die Kreationen der Köche verkosten und bewerten. Die Verschwendung

wird sinnlich erfahrbar gemacht, indem man Außenstehende dazu einlädt, Essen aus

der Tonne zu probieren, das dann auch wirklich geschmacklich gut ist.

Die Episode 2 begleitet die Ereignisse während des „Secret Waste Cooking Clubs“,

einer scheinbar privaten Party, bei der jedoch jeder, der eine Anfrage über das

Webformular schickt, eine Einladung mit der „geheimen“ Adresse bekommt. Aus in

der Nacht zuvor aus den Mülltonnen geholten Lebensmitteln wird beim Secret Waste

Cooking Club in einem Veranstaltungsraum mit offener Küche im Raum gemeinsam

mit den circa 60 Gästen ein Menü zubereitet und gemeinsam gegessen. Untermalt

wird der Abend von der musikalischen Begleitung durch die „Waste Queen“.

In der dritten Episode wird die „alternative Stadttour“, die nachts in Anschluss an den

Secret Waste Cooking Club durchgeführte Mülltauch-Aktion an verschiedenen

Standorten in Salzburg mit vierzig Gästen gezeigt. Der bekannte Raum der Stadt

Salzburg wird hier neu gerahmt und die „Gäste“ werden selbst zu Akteuren, die das

Waste Diving praktizieren.

In der vierten und bis dato letzten Episode geht es um den „Waste Cooking Brunch“,

der zeitlich am Morgen nach der „alternativen Stadttour“ durchgeführt wurde. Aus

den ca. 90 kg gefundenen Lebensmitteln wurde neben einem Mitternachtssnack ein

Brunch für die Teilnehmer zubereitet. Personen zubereitet.

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Die letzte bis dato durchgeführte Aktion, für die zum Zeitpunkt des Abschlusses der

Arbeit jedoch noch keine Episode veröffentlicht wurde, fand am 17. August 2012 im

Rahmen des FM4-Frequency-Festivals in St. Pölten/Niederösterreich statt. Die

Waste Cooker kochten vor Ort und luden dann innerhalb einer circa 1,5 Stunden

dauernden Informationsshow die Festival-Besucher zum Probieren ein. Am

Vorabend wurden die verwendeten Lebensmittel in St. Pölten aus den Tonnen

geholt. Diese Aktion war erstmals vollkommen öffentlich, insofern als sie zuvor mit

Treffpunkt und genauer Uhrzeit auf der Website angekündigt wurde und alle

Interessierten eingeladen wurden, sich zu beteiligen. Es gab also keine, auch rein

formale, Zugangsschranken von Seiten der Initiatoren.

Waste Cooking lehnt sich also bewusst an das beliebte Format der klassischen

Fernseh-Kochshows an, wobei den Teilnehmern mehr Möglichkeiten geboten

werden, eigene (sinnliche) Erfahrungen zu machen. „Mit dem Müll in Kontakt zu

kommen“ wird so zur bewusstseinsverändernden Erfahrung.

6.2. Die Frische und der Müll beim Waste Cooking

6.2.1. Ambivalenz und Kontrastierung

Die ambivalente Beziehung von Frische und Müll, Sauberkeit und Schmutz, Reinheit

und Unreinheit wird von der Waste Cooking Initiative anerkannt und gleichzeitig neu

definiert. Das Spielen mit diesen Gegensatzpaaren zieht sich durch gesamte

Textierung und wird auch in Interviews und Selbstbeschreibungen umfassend

eingesetzt. Die Begriffe von Frische und Dreck werden aus der reinen Bewertung von

Lebensmitteln herausgelöst und auf das System der Lebensmittelverschwendung

angewandt: „Der eigentliche Mist ist das System der Verschwendung, das

buchstäblich zum Himmel stinkt.“ (Hervorhebung durch die Urheber)

Das Mülltauchen wird dabei nicht als völlig saubere Angelegenheit dargestellt. So

bleiben die Waste Cooker einerseits bei der gängigen Interpretation von Müll als

etwas „Schmutzigem“, stellen die Thematik jedoch in einen neuen Zusammenhang:

„Wir machen uns die Hände gerne schmutzig, weil der eigentliche Dreck der Kauf-

und Wegwerf-Wahn ist.“

Auch die gängige Differenzierung zwischen reinen und schmutzigen Orten wird

fraglich gemacht, indem auf den nicht passenden Inhalt verwiesen wird. Die

Lebensmittel in der Mülltonne sind für die Waste Cooker im wahrsten Sinne des

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Wortes „matter out of place“, nicht weil sie schmutzig wären, sondern weil sie sich an

einem Abfallort befinden:

„In den Containern eines Bio-Supermarktes haben wir rund 30 Kilo frische Bio-

Lebensmittel gefunden, im Wert von rund 300 Euro. Die Freude über unseren

Fund, ist schnell einer großen Ernüchterung gewichen. Die Gesichter sind

immer länger geworden, Fassungslosigkeit hat sich breit gemacht. Wer es

einmal mit eigenen Augen gesehen hat, wer selbst einmal Köstlichkeiten aus

den Tonnen geborgen hat, der kann nicht mehr wegschauen.“ (Hervorhebung

durch die Urheber)

Dass es sich ausgerechnet um einen Bio-Supermarkt handelt, wird als weiterer

Kontrast betont, da Bio-Produkte generell als nachhaltig und qualitativ hochwertig

eingeschätzt werden.

Die Stadt Salzburg wurde bewusst als Drehort gewählt, da dieses laut den

Initiatoren ein perfektes Sinnbild für Überfluss, Reichtum und Dekadenz sei. An

diesem so sauberen Ort in die Tonnen zu schauen und das, was verdrängt wird,

ans Tageslicht zu befördern, stellt eine weitere Kontrastierung dar, die einen

starken Eindruck hinterlässt, wie mir die Waste Cooker im Interview beschrieben

haben.

Frisch und verdorben wird auch über den Zeitbezug dekonstruiert. Immer wieder wird

darauf verwiesen, dass die „frischen“ Produkte, die man kurz vor Ladenschluss im

Supermarkt kaufen könnte, sich kurz nach Ladenschluss in der Tonne wiederfinden

können, wo sie dann plötzlich Abfall zu sein scheinen: „(…) wir gehen einkaufen, das

wird aber surreal mit der zeit, weil die dinge ja 10 minuten später schon im container

liegen können (…)“ (sic!) (Interview auf: www.studentenkueche.com) Waste Cooking-

Koch Tobias bemerkt dazu im Interview, dass die Frische der Lebensmittel aus den

Tonnen in der Praxis gar kein Thema ist. Vieles was sich im eigenen Kühlschrank

findet, ist demnach weniger frisch als die Produkte, die von Supermärkten am Ende

des Tages entsorgt werden. Ein Waste Diver erklärt vor der Kamera und den

versammelten Teilnehmern des „Secret Waste Cooking Clubs“: „Eine Stunde vorher

hätten wir es wahrscheinlich noch ganz normal eingekauft (…) und wir waren halt

eine Stunde zu spät dran und haben es uns aus dem Müll geholt.“

Eine Waste Cooking Episode wird von den Proponenten folgendermaßen

beschrieben: „Die 18 Stunden-Aktion findet ihren krönenden Abschluss. Und zwar im

gemeinsamen Zubereiten des frisch getauchten Abfalls, zu einem feinen Brunch

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(…)“. „Frisch getaucht“ wird in dieser Beschreibung ähnlich wie „frisch gekauft“

verwendet – ob aus der Tonne oder aus dem Regal ist gleichgültig.

Die Perspektivität von Frische wird betont, wobei gleichzeitig versucht wird, diese

„verschobene Perspektive“ gerade zu rücken, indem den Lebensmitteln der ihnen zu

stehende Wert zurückgegeben wird. „wastecooking ist überall dort, wo der Müll der

Einen zum leckeren Essen der Anderen wird.“ (sic!) (Hervorhebung durch die

Urheber) Müll und Essen ist demnach eine Sache der Definition und der Akteure. Der

Bezug zum Ort, von dem die Produkte stammen, wird jedoch nicht negiert, wie an

der Waste Cooking Regel zum Thema Hygiene deutlich wird: „Wir waschen uns nicht

nur gründlich die Hände, wir säubern auch unsere „Schätze“, bevor wir sie kochen.“

(Hervorhebung durch die Urheber) Dreck, Unsauberkeit und Risiko werden als dem

Ort und nicht dem Produkt anhaftend vermittelt. So bemerkt ein Teilnehmer des

„Secret Waste Cooking Clubs“, nachdem er an einem Stück Brot gerochen hat und

abgebissen hat: „Und es riecht sogar gut!“

Wie werden die Lebensmittel bei den Waste Cooking Episoden nun optisch und

verbal dargestellt und gezeigt? Wird auf deren Frische oder Verdorbenheit verwiesen

und wie?

Spannend ist der 51 Sekunden lange Teaser, der Lust auf die vollen Episoden

machen soll. Er beginnt mit zwei dunklen Gestalten, die nachts die Straße entlang

gehen. Ein Kontrast wird in der nächsten Sequenz gesetzt, in der jemand sich eine

blütenweiße Kochschürze umbindet. Die Mülltauch-Szenen werden beim Licht der

Taschenlampen gefilmt, ein Käfer kriecht über den Boden und man sieht, wie

schwarze Müllsäcke geöffnet und Handschuhe übergezogen werden. Die gezeigten

Lebensmittel, die aus den Tonnen geholt werden – volle knackig-rote

Tomatenpackungen, grüner Feldsalat, der gewaschen wird, schöne große Zwiebel,

die geschält werden – sind jedoch einwandfrei. Einige kurze Kochsequenzen später

endet der Teaser mit der Präsentation einer optisch perfekt präsentierten Mahlzeit.

Diese Szenen werden in nochmal gekürzter Form zu Beginn jeder Folge gezeigt. Das

Charakteristische ist der Kontrast zwischen dunkel – hell, schmutzig – sauber,

abstoßend – anregend, Spannung – Genuß.

In der Pilotfolge gehen die Waste Cooker mit einem schon erfahrenen Waste Diver

auf die erste Tour. Im dunklen Lagerraum der Abfall-Container sieht man nur, was

vom Licht der Taschenlampe erhellt wird. Der Waste Diver fragt seine Begleiter, ob

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sie den Geruch der Biotonnen wahrnehmen, da der Inhalt aufgrund der großen Hitze

während der letzten Tage zu gären begonnen habe. Die geläufige Assoziation, dass

Abfall stinkt, wird nicht negiert, jedoch relativiert, da er hinzufügt, dass das, was am

selben Tag erst in die Tonne gekommen ist, in der Regel frisch ist. Daraufhin holt er

einen schönen Bund goldgelber Bananen mit nur winzigen braunen Stellen hervor

und bemerkt: „(…) die Bananen, ich finde das sind genau die Bananen, die eigentlich

gut sind …. also vorher möchte ich sie gar nicht essen (lacht)“

Die Neudefinition von frisch und nicht frisch wird fortgesetzt, indem das Gute vom

Verdorbenen getrennt wird. So wird die verschimmelte Zitrone aus dem Netz

genommen und die restlichen wandern in den Einkaufskarton. Produkte, die Zeichen

des Verfalls zeigen, werden jedoch aussortiert, auch wenn theoretisch ein Teil davon

noch genießbar sein könnte. Die Kamera zeigt den Zuschauern vor allem den

Kontrast zwischen dem „schmutzigen“ Ort und den „frischen“ Lebensmitteln. So wird

wenig in die Tonne hinein gefilmt und bis auf den einen Käfer, der als Stilmittel zu

Beginn jeder Folge in einer Szene gezeigt wird, sieht man kein Ungeziefer. Auch der

unangenehme Geruch wird bis auf die eine Anmerkung zu Beginn, nicht an den

Zuschauer vermittelt. Für diesen stellt sich das Mülltauchen als keineswegs

„schmutzige“ Tätigkeit dar. Die Bananen werden auch gleich nach dem Waste Diven

noch verkostet – der Reifegrad wird als „ideal“ bezeichnet und als „frisch vom Müll“

kommentiert. In der Episode 1 holt eine Waste Diverin, nach dem sie schon viele

„Schätze“ geborgen haben, ein Stück verschimmeltes Obst hervor und kommentiert

dies mit den Worten: „Das ist ja schon fast eine Sensation in dieser Tonne, etwas

das wirklich schlecht ist gibt es auch noch.“

Bei der Episode 3, die die große alternative Stadttour zu den besten Waste Diving

Plätzen dokumentiert, breiten die Teilnehmer das gefundene Obst und Gemüse

sortiert auf dem Boden aus. Die optische Präsentation erinnert an einen Marktstand.

In der Küche werden die Produkte dann wie „normale“ Lebensmittel behandelt – es

wird jedoch gezeigt, dass sie gründlich gewaschen werden. Die Waste Cooker

werden nicht nur beim gemeinsamen Essen sondern auch beim Verkosten während

dem Kochen gezeigt.

Die Umgebung, in der das Waste Cooking stattfindet, bildet ebenfalls einen Kontrast

zum Ort des „Einkaufs“. Es handelt sich um helle, moderne, gut ausgestattete

Küchen, beim öffentlichen Kochen am Alten Markt in Salzburg sogar open air.

Während der Kochszenen werden immer wieder kurze Sequenzen des nächtlichen

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Waste Divings eingeschoben, wodurch ein Bezug zwischen den beiden Orten und

den dort stattfindenden Handlungen entsteht.

Am Alten Markt wurde das frisch gekochte Essen den Passanten angeboten, wobei

diese zum Teil probierten und erst nachdem sie bestätigt hatten, dass es sehr lecker

schmecke, aufgeklärt wurden, dass alle Zutaten dafür in der Nacht zuvor aus den

Mülltonnen geholt wurde. Für den Zuschauer der Kochshow entsteht hier ein weiterer

Kontrast, da gezeigt wird, wie einigen der Esser buchstäblich fast das Essen im Hals

stecken bleibt bei dieser Nachricht. So wird die Absurdität der gängigen Trennung in

frisch und nicht frisch verdeutlicht.

6.2.2. Standardisierung und Expertise – do it yourself beim Frischetest

“The Freegan movement seeks to directly counter this system of categorization by

interchanging the meaning of waste and food through both practice and the use of

expert recommendations.” (Coyne. 2009)

Wie auch die Freeganer stellen die Waste Cooker die Standardisierung der Frische

durch Datumsangaben in Frage und auf die Probe. In den Waste Cooking-Regeln

heißt es dazu: „Wir kennen den Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum

(best before) und Verfallsdatum (sell by). Auch wir nehmen nur das Frische, und

lassen das Alte liegen.“ (Hervorhebung durch die Urheber) Während das

Verfallsdatum also als Frischeindikator akzeptiert wird, wird die Bedeutung des MHD

jener des sinnlichen Urteilsvermögens untergeordnet. Dazu gibt es eine eigene

Kurzvideo-Reihe die den Fernsehkoch Tobias beim Produkttest von Lebensmitteln

mit überschrittenem MHD zeigt.

Als Fernsehkoch nimmt er so die Rolle eines Experten ein, welcher vor neun Tagen

abgelaufene Erdbeerjoghurts testet, um zu sehen, ob sie noch genießbar sind. Dazu

nutzt er seine eigenen Sinne, um die Frische zu überprüfen. So bemerkt er: „Es

riecht normal, sieht normal aus, die Konsistenz ist einwandfrei, wie man sich so ein

Joghurt vorstellt.“ Dann kostet er es und bemerkt, dass es auch geschmacklich

einwandfrei sei. Es folgt eine kulinarisch anregende Beschreibung, die die Früchte

als „schön verteilt im Joghurt“ und die Konsistenz als „schön cremig“ beschreibt. Dies

erinnert an die ästhetisch überhöhten Beschreibungen von Lebensmittel durch

angesehene Sterneköche im Fernsehen. Seine abschließende Bewertung

bezeichnet das Erdbeerjoghurt als „Top-Produkt, ein hervorragendes Bioprodukt aus

Österreich“, auch wenn es abgelaufen ist. Die Frische wurde also durch einen

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Experten konkurrierend zum MHD anders bewertet. Gleichzeitig gibt dieser einen

deutlichen Verweis darauf, dass es keiner besonderen Expertise bedarf, sondern

lediglich des Einsatzes der eigenen Sinne, um die Frische bei Produkten mit MHD

selbstständig bewerten zu können.

Diese Position wiederholt er auch öffentlich, beispielsweise beim Waste Cooking am

FM4 Frequency Festival, wo er den Besuchern rät, die eigenen Sinne einzusetzen,

um die Frische von Lebensmitteln zu bewerten. Jeder könne demnach durch riechen

oder kosten die Unverdorbenheit feststellen und solle sich auf das eigene Urteil

verlassen statt sich von Verpackungen täuschen zu lassen.

In den Waste Cooking Episoden wird bei verpackten Lebensmitteln wiederholt auf

das MHD hingewiesen, teils um zu demonstrieren, dass die Produkte trotz

abgelaufenem MHD noch frisch sind, teils um zu zeigen, dass viele Lebensmittel im

Container landen, die nicht einmal ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben.

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7. Fazit

Die Verschwendung von Lebensmitteln durch (Einzel)handel und Konsumenten ist

ein Nebenprodukt der Konsumgesellschaft, so wie sie sich seit der zweiten Hälfte

des 20. Jahrhunderts vor allem in den Ländern des Westens entwickelt hat. In

wirtschaftlich weniger stark entwickelten Ländern kommen Lebensmittelverluste

primär im Rahmen der Produktion und Distribution zustande. Obgleich die Gründe

dafür, dass teilweise bis zur Hälfte aller produzierten Lebensmittel im Müll landen,

vielschichtig und komplex sind, ließen sich auf Ebene der konsumentischen

Handlungsmuster durch die Analyse einige primäre Faktoren aufzeigen. Ein wichtiger

Grund ist, dass im Zeitalter der „reflexiven Modernisierung“ die Risiken einer

industriellen Lebensmittelproduktion stärker in den Vordergrund rücken. Besonders

junge, urbane Menschen, die oft wenig Bezug zum landwirtschaftlichen

Produktionsprozess und zu Lebensmitteln an sich haben, neigen, wie die

vorgestellten Studien zeigen, stärker dazu, sich an „oberflächlichen“ sensorisch

wahrnehmbaren Attributen und an Standardisierungen beispielsweise in Form des

MHD zu orientieren. Ein beträchtlicher Teil der Verschwendung kommt so zustande.

Die Waste Cooker versuchen durch ihre Initiative Kochen und Essen als kleinen Teil

des herrschenden Verschwendungssystems zu problematisieren. Ein komplexes,

vielschichtiges, durch Globalisierung verstärktes Phänomen wird heruntergebrochen

und im wahrsten Sinne des Wortes „greifbar“ gemacht. Mit den eigenen Händen

werden Lebensmitteln aus Mülltonnen „gerettet“ und in geschmacklich ansprechende

Speisen verwandelt. Dem geht die Einschätzung der Waste Cooker, gespeist aus

ihrer eigenen Erfahrung, voraus, dass das selber Tun die Menschen interessiert und

die praktische, sinnliche Erfahrung den stärksten Eindruck hinterlässt. Regisseur

David war in einem vorläufigen Fazit im Rahmen des Interviews optimistisch, dass

man Menschen schnell wieder dazu bringen könne, die Absurdität des Wegwerfens

genießbarer Nahrungsmittel zu erfassen und die eigenen sensorischen Fähigkeiten

über die Standardisierung von Frische zu setzen.

Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit, die nach der Rolle der Erlebnisorientierung

für die Waste Cooking Initiative fragt, konnte durch die Analyse sehr umfassend

belegt werden: beim Waste Cooking steht tatsächlich das Erlebnis „mit dem Müll in

Kontakt zu kommen“ im Vordergrund. Dies wird als intensive, außeralltägliche

Erfahrung charakterisiert, die man der Gesellschaft indirekt oder direkt zugänglich

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machen möchte. Nicht Gesellschaftskritik, Politisierung oder Aktionismus und

Lobbying stehen im Fokus sondern eben diese „Tun“, das für sich steht und bei den

Teilnehmern individuelle und doch ähnliche Erlebnisse bewirkt. Dies entspricht

durchaus auch der Intention der Initiatoren. Damit unterscheidet sich Waste Cooking

deutlich von der klassischen Form des Waste Divings, indem typische Elemente

massenmedial repräsentierter Kochshows als Rahmung für eine an sich

gesellschaftlich tabuisierte Handlungsweise – Essen aus dem Müll zu holen und zu

verkochen – genutzt wird. Dass die Lebensmittel frisch sind, ist an sich konterintuitiv,

wird aber durch die Waste Cooker durch Fakten- und Expertenwissen, wie auch

durch die Überprüfung mithilfe der eigenen Sinne belegt. Der Zuseher kann durch die

Episoden mit in die Tonne sehen. Beim Zubereiten der Lebensmittel werden diese

von den Waste Cookern konsequenterweise wie ganz normale Lebensmittel

behandelt. Es ist die gesellschaftlich weit verbreitete Definition von Frische, die über

Standardisierungen und oberflächliche sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften

festgelegt ist, die auf den Kopf gestellt wird.

Dass „Kochen mit Müll“ mittlerweile „salonfähig“ geworden ist, zeigt auch eine neue

Show des deutschen Privatsenders VOX, der Promi-Köche ähnlich dem Waste

Cooking Konzept aus weggeworfenen Lebensmitteln aus Containern kochen und

diese dann von Prominenten verkosten lässt. Auch hier dreht sich alles um die Frage

„Schmeckt das denn?“.

Das Format der Kochshow stellt einerseits etwas dar, was de facto allen Zuschauern

bekannt ist. So wird der scheinbare Kontrast zwischen Müll und Essen zusätzlich

betont und gleichzeitig entlarvt. Der Profikoch begutachtet und bearbeitet die

gefundenen Lebensmittel fachmännisch und fungiert so als eine Art Experte, der die

Frische des Gefundenen bestätigt und sie dann in einem kreativen Prozess

modifiziert.

Andererseits streicht das Format der Kochshow den Erlebnischarakter des Waste

Cookings auch stärker heraus als andere Formen wie beispielsweise Reportagen

oder Dokumentationen dies vermögen. Man kann im Geiste die Handlung mit

verfolgen und die Metamorphose von Müll in geschmacklich und optisch

ansprechende Speisen nachvollziehen. Die Rezepte könnte man sogar nachkochen,

wenn man will. Auch kann man noch einen Schritt weitergehen und beim nächsten

Event live mit dabei sein. Die Trennung zwischen Mitwirkenden und Zuschauern wird

soweit wie möglich aufgehoben. Zwar ist jedes Waste Cooking-Event anders, jedoch

Page 45: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

45

sind bestimmte Bestandteile immer vorhanden. Das Erlebnisskript, verbal

kommuniziert durch Web- und Social Media Texte, Interviews und die Gespräche

zwischen den Protagonisten untereinander und mit Zuschauern und Passanten

verspricht Spannung, Abenteuer, Kreativität und Genuss.

Page 46: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

46

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l,en,es,fi,fr,it,nl,pt,sv,&val=264272:cs&page= (12.07.2012)

Page 51: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

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Übersicht Interviewpartner

Name Funktion Interviewdatum Interviewort

David Gross waste-art director 17.08.2012 St. Pölten

Tobias Judmaier waste-cook-chef 17.08.2012 St. Pölten

Daniel Samer waste-photography

director

17.08.2012 St. Pölten

Martin Hasenöhrl Ton, Schnitt 17.08.2012 St. Pölten

Es handelte sich um ein unstrukturiertes Gruppeninterview mit dem Kern der Waste

Cooking Initiative, in denen diesen die simple Frage „Was bedeutet das Waste

Cooking?“ gestellt wurde. Die Antworten wurden schriftlich festgehalten. Das

Interview dauerte circa 30 Minuten.

Teilnehmende Beobachtung

Die teilnehmende Beobachtung wurde am 17.08.2012 bei der Waste Cooking-Aktion

im Art Park des FM4-Frequency-Festivals in St. Pölten/Österreich durchgeführt. Die

Waste Cooker verkochten hier öffentlich die Funde der in der Nacht zuvor in St.

Pölten getauchten Abfälle und luden die Festival-Besucher zum Essen und

Diskutieren ein. In diesem Rahmen nahm ich an der Aktion teil, half beim Austeilen

des Essens und beobachtete anhand der im Beobachtungsleitfaden angegebenen

Fragen.

Beobachtungsleitfaden:

Wie wird über die Lebensmittel gesprochen?

Wird ein Bezug zu Frische durch Gestik, Mimik, Sprache hergestellt?

Wie werden die Lebensmittel aus der Tonne ausgewählt/selektiert?

Gibt es ein Erlebnisskript? (Wie) wird ein Erlebnis für die Festival-Besucher

hergestellt?

Page 52: wastecooking - Bachelorarbeit von Elisabeth Buchner

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Plagiatserklärung

Abhaltungssemester: SS 2012

Titel der Lehrveranstaltung: „Vom Naschmarkt zur Erlebnisgastronomie“

Typ: Seminar

Lehrveranstaltungsleiterin: Univ.-Prof. Dr. Kornelia Hahn

Titel der schriftlichen Arbeit:

Die Frische und der Müll

Eine explorative Untersuchung der Waste Cooking Initiative in Salzburg

Abgabedatum der Arbeit: 20.08.2012

Persönliche Erklärung

Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende schriftliche Arbeit selbstständig verfertigt

habe und dass die verwendete Literatur bzw. die verwendeten Quellen von mir

korrekt und in nachprüfbarer Weise zitiert worden sind. Mir ist bewusst, dass ich bei

einem Verstoß gegen diese Regeln mit Konsequenzen zu rechnen habe (negative

Beurteilung bzw. spätere Aberkennung der Lehrveranstaltung und ev. auch des

akademischen Grades).

Datum: ____________________________

Elisabeth Buchner