EIN WOCHENENDE IN DER HALONG BAY

Nichts kann ein Erlebnis so versüßen, wie die Übertreffung niedriger Erwartungen. Nachdem ich im Voraus 37 Euro für einen Wochenendausflug in die Halong Bay bezahlt hatte, war meine Vorfreude mit einer gesunden Portion Skepsis gemischt. Ehrlich gesagt ging es primär darum, den lauten Straßen Hanois für ein Weilchen zu entkommen.

Tatsächlich führte diese Einstellung dazu, dass ich umso mehr von dem einzigartigen Naturschauspiel um mich herum gebannt war. „Herabsteigender Drache“, so magisch wie ihr Name ist auch die Anziehung der Halong Bay. Der Legende nach stürzte einst ein Drache in das Gewässer, wobei er mit seinem Schwanz tiefe Furchen in das Land schlug. Es braucht nicht viel Fantasie, um in den rund 2000 Karstfelsen, die heute aus der Bucht emporragen, die Zacken des urzeitlichen Ungetüms zu erkennen.

„Fast, fast. We go now! We do not have time!“, in schiefem Englisch scheucht ein vietnameischer Reiseleiter unsere 25-köpfige Gruppe am Samstagmorgen in einen winzigen Reisebus. Wie Koffer übereinandergestapelt brechen wir unsere vierstündige Reise gen Norden an. Auch wenn das Atmen schwerfällt und die Blase durch Schlaglöcher und die eigenen Knie an ihre empfindlichen Grenzen stößt, verklingt nach und nach das Hupen der Mopeds und die hässlichen Blechhütten der Vorstadt weichen ausgedehnten Reisfeldern.

Ich atme so tief ein, wie eben möglich, und genieße die Aussicht.

Am Touristenpier in Bai Chay angekommen, ziehen wir an der wartenden Schlange von Europäern vorbei und 10 Minuten später stehen wir vor der Minh Hai, der schönsten Dschunke der Welt. Natürlich gibt es tausende von identischen Dschunken in der Halong Bay, die Massen von Touristen täglich dieselbe „einzigartige“ Erfahrung bieten. Dennoch versprüht das alte Schiff mit dem großen geschnitzten Drachenkopf am Bug und den feinen antiken Geländern aus dunklem Holz einen wunderbaren Scharm. Auf dem Oberdeck erhasche ich nach einem köstlichen Mittagessen den ersten Blick auf die buckligen Schemen am Horizont. In seichtem Nebel verborgen muten sie an, wie schlafende Riesen. Kurze Zeit später drängen wir ans am Deck um vor der atemberaubenden Kulisse die besten Fotos zu ergattern.

Nur wenige Meter von uns gleiten die felsigen Hänge der Giganten vorbei, die seit 500 Mio. Jahren dem Meer trotzen. Bilder von Seeräubern, die hinter dem nächsten Vorsprung lauerten, ziehen an meinem geistigen Auge vorbei. Menschen, die auf mysteriöse Weise zwischen den so friedlich wirkenden Klippen verschollen. Sagenhafte Schätze, die sich tief in den Höhlensystemen der Inseln verbergen, irgendwann auf einer längst verloren gegangenen Karte als X markiert...

Auf dem Schiff ist Ruhe eingekehrt und viele hängen in der Stille ihren Gedanken nach oder folgen mit den Augen den kreisenden Adlern. Hin und wieder fährt mir eine Briese durchs Haar und trägt einen leichten Geruch nach Meer an meine Nase. Mit einem Seufzer entweichen mir auch die letzten Gedanken an die Großstadt.

Gegen Abend gehen wir in einer abgelegenen Bucht vor Anker und endlich heißt es: „You can swim now. Swimming.“ Das lässt sich niemand zweimal sagen. Wir reife Pflaumen plumpsen wir vom Deck in das herrlich warme Wasser der Bucht. Es ist das Paradies.

Als die Sonne untergeht liegen wir auf dem Rücken an Deck und schauen in die Sterne oder angeln kleine Tintenfische vom Bug aus.

Irgendwann zwischen Mitternacht und Morgengrauen sitze ich am Heck des Schiffes auf der Reling und schaue über das nächtliche Meer. Es ist zu warm zum Schlafen und zu schön um die Augen zu schließen. Ich weiß nicht, wohin mich meine Reise führen wird, ich weiß nur, dass es Erinnerungen wie diese sind, die mir für immer erhalten bleiben werden...

Als der Morgen anbricht, geht es nach einem kurzen Frühstück zu den Kajaks in denen wir 40 Minuten lang zu zweit um die Felsen paddeln können. Ich werde noch einmal wiederkehren und mir hierfür einen ganzen Tag zeitnehmen. Das Meer ist still und da es kaum Strömung gibt, trägt uns das kleine Boot stets der Nase nach um den nächsten Vorsprung zu immer neuen Ufern.

Wieder an Bord bringt uns die Minh Hai zur letzten Station unserer Reise: Einer weitläufigen Tropfsteinhöhle in den Klippen einer der größeren Inseln. Angenehme Kühle erwartet unsere Gruppe. Im Dunkeln der Höhle entstehen gezeichnet vom Licht bizarre Formen im Gestein. Ein rund 800 Meter langer Pfad führt einen Strom von Touristen aus allen Teilen der Welt durch das Labyrinth aus Tropfsteinen und nur selten lässt sich ein leises „Plopp“ vernehmen, wenn sich ein weiterer Tropfen von der ausgewaschenen Decke löst und seinen Teil zu dem mächtigen Stalakmieten unter ihm beiträgt.

Gegen Mittag legen wir wieder im Hafen von Bai Chay an, die Köpfe voller Erinnerungen an einen unvergesslichen Urlaub. Auch wenn die 2-tägige Fahrt mit der Dschunke längst kein Geheimtipp für die Besucher des schönen Vietnams ist: Die Erfahrung war einzigartig, intim, naturnah und mit Sicherheit lohnenswert.