WEBERN - Die Münchner Philharmoniker · 2017-02-24 · Webern aber nur fünf zu einem zweiten Zy -...

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WEBERN Sechs Stücke für Orchester MAHLER 9. Symphonie LUISI, Dirigent Donnerstag 02_03_2017 20 Uhr Samstag 04_03_2017 19 Uhr

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WEBERNSechs Stücke für Orchester

MAHLER9. Symphonie

LUISI, Dirigent

Donnerstag02_03_2017 20 UhrSamstag04_03_2017 19 Uhr

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ANTON WEBERNSechs Stücke für Orchester op. 6

1. Etwas bewegte Achtel2. Bewegt (Achtel)

3. Zart bewegt (Viertel)4. Langsam (Viertel): Marcia funebre

5. Sehr langsam (Achtel)6. Zart bewegt

(Originalfassung von 1909)

GUSTAV MAHLERSymphonie Nr. 9

in vier Sätzen für großes Orchester

1. Andante comodo2. Im Tempo eines gemächlichen Ländlers: Etwas täppisch und sehr derb

3. Rondo-Burleske: Allegro assai, sehr trotzig4. Adagio: Sehr langsam und noch zurückhaltend

FABIO LUISI, Dirigent

118. Spielzeit seit der Gründung 1893

VALERY GERGIEV, ChefdirigentZUBIN MEHTA, Ehrendirigent

PAUL MÜLLER, Intendant

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Anton Webern: Sechs Orchesterstücke

ANTON WEBERN(1883–1945)

Sechs Stücke für Orchester op. 6

1. Etwas bewegte Achtel2. Bewegt (Achtel)3. Zart bewegt (Viertel)4. Langsam (Viertel): Marcia funebre5. Sehr langsam (Achtel)6. Zart bewegt

(Originalfassung von 1909)

LEBENSDATEN DES KOMPONISTENGeboren als Anton von Webern am 3. De-zember 1883 in Wien; getötet am 15. Sep-tember 1945 in Mittersill (Land Salzburg / Österreich): als Webern während der nächt-lich verhängten Ausgangssperre lediglich vor die Haustür trat (ohne Anstalten zu machen, das Haus tatsächlich zu verlas-sen !), wurde er bei dem Versuch, sich eine Zigarre anzuzünden, von einem amerikani-schen Besatzungssoldaten ohne Vorwar-nung erschossen.

ENTSTEHUNG

Weberns Sechs Orchesterstücke op. 6 ent-standen im Sommer und Spätsommer 1909 (Kompositionsbeginn: 28. Juli) auf dem sogenannten Preglhof, einem Besitz der Familie Webern in Niederkärnten (Öster-reich). 1920 fertigte der Komponist eine Fassung für Kammerorchester an, 1928 folgte eine Fassung für reduziertes Sym-phonieorchester.

WIDMUNG

»ARNOLD SCHOENBERG / Meinem Lehrer und Freunde in höchster Liebe / MCMIX«

Gesten äußerster Konzentration

MARTIN DEMMLER

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Anton Webern: Sechs Orchesterstücke

Anton Webern als Wanderer in Kärnten (um 1905)

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Anton Webern: Sechs Orchesterstücke

(1909). Weberns Sechs Orchesterstücke op. 6 können u. a. auch als Auseinander-setzung mit den kurz zuvor entstandenen Fünf Orchesterstücken op. 16 von Arnold Schönberg gelten.

URAUFFÜHRUNG

Am 31. März 1913 in Wien im Rahmen eines Konzerts des »Akademischen Verbandes für Literatur und Musik« im Großen (»Gol-denen«) Saal des Wiener Musikvereins un-ter Leitung des Widmungsträgers Arnold Schönberg; Weberns Orchesterstücke wur-den sowohl mit starkem Beifall als auch mit Gelächter und Zischen aufgenommen. Im weiteren Verlauf des Konzertabends gerie-ten Befürworter und Gegner des Kreises um Schönberg immer heftiger aneinander, so dass das Konzert wegen tumultartiger Ausschreitungen vorzeitig abgebrochen werden musste.

TRAUMATISCHE ERFAHRUNG: DER TOD DER MUTTER

Im Juli 1912 schrieb Anton Webern aus Stettin, wo er als Operetten-Dirigent den Lebensunterhalt für seine junge Familie verdiente, an Alban Berg: »Sag, wie kommst du zum Komponieren ? Bei mir ist es so: ein Erlebnis geht so lange in mir um, bis Musik daraus wird; mit ganz bestimm-ter Beziehung auf dieses Erlebnis… Mit Ausnahme der Violinstücke und einiger mei-ner letzten Orchesterstücke beziehen sich alle meine Kompositionen von der Passa-caglia an auf den Tod meiner Mutter.«

In besonderem Maß gilt das für die 1909 entstandenen Sechs Stücke für Orchester op. 6. Sie verleihen psychischen Zuständen Ausdruck, die Webern unmittelbar vor und nach dem Tod seiner Mutter, die 1906 ver-storben war, beherrschten. So ist das vier-te Stück in der ersten Fassung ausdrück-lich als »Marcia funebre« charakterisiert; eine viel sagende Bezeichnung, die Webern bei der Veröffentlichung der zweiten Fas-sung von 1928 allerdings tilgte.

AUSEINANDERSETZUNG MIT DER MUSIK SCHÖNBERGS

Gleichzeitig sind die Sechs Orchester-stücke op. 6 eine Auseinandersetzung mit den kurz zuvor entstandenen Fünf Orchesterstücken op. 16 seines Lehrers Arnold Schönberg, mit der sie auch den über dimensionalen Orchesterapparat ge-meinsam haben. Webern absolvierte ab 1904 ein mehrjähriges Studium bei Schön-berg und unterhielt während seines ge-samten weiteren Lebens eine komplexe Freundschaftsbeziehung zu seinem Lehrer. Allerdings war das Verhältnis der wechsel-seitigen Anregung und des schöpferischen Austausches nicht frei von Spannungen. Gerade durch Webern, der Impulse seines Lehrers nicht nur aufgriff, sondern den von Schönberg eingeschlagenen Weg noch ra-dikalisierte, sah sich dieser in seiner eige-nen schöpferischen Produktion gefährdet. So notierte Schönberg am 12. März 1912 in seinem Berliner Tagebuch: »Die Hart-näckigkeit, mit der mir meine Schüler auf den Fersen sind, indem sie zu überbieten trachten, was ich biete, bringt mich in Ge-fahr, ihr Nachahmer zu werden, und hin-dert mich, dort ruhig auszubauen, wo ich eben stehe.«

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Anton Webern: Sechs Orchesterstücke

Arnold Schönberg inmitten seiner Schüler, links vorne Anton Webern (um 1910)

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Anton Webern: Sechs Orchesterstücke

Schönbergs Opus 16 sowie Weberns Or-chesterstücke op. 6 illustrieren den engen Kontakt und den schöpferischen Austausch zwischen Lehrer und Schüler. Schönberg kam dabei offensichtlich die Rolle eines Im-pulsgebers zu. Zwischen Mai und August 1909 komponierte er fünf Orchesterstü-cke, die in ihrer Originalfassung im Sep-tember 1912 in London uraufgeführt wur-den. Am 16. Juni 1909 – zu einem Zeit-punkt, als bereits zwei von Schönbergs Stücken in Partitur vorlagen – kündigt Webern seinem Lehrer brieflich an, dass er ebenfalls mit der Komposition von Orches-terstücken beginnen wolle. Zweieinhalb Monate später, am 30. August, konnte er dann berichten: »Ich habe jetzt schon fünf Orchesterstücke fertig. Das fünfte noch nicht fertig instrumentiert (die anderen schon). Morgen mach’ ich’s fertig... Ich schreibe einen Zyklus von Orchesterstü-cken, d. h. es ist halt so geworden. 6 Stü-cke werden’s. In der Instrumentation fast nur reine Farben. Wie’s halt kommt.« Es wurden mehr als sechs Stücke ! Nach Opus 6 entstanden in den Jahren 1911-13 noch weitere 18 Orchesterstücke, von denen Webern aber nur fünf zu einem zweiten Zy-klus (op. 10) zusammenfasste; die restli-chen 13 wurden erst nach seinem Tod aus dem Nachlass veröffentlicht.

EXPRESSIONISTISCHER GESTUS UND FORMALE VERDICHTUNG

In den Sechs Orchesterstücken op. 6 nä-hert sich Webern mit geradezu atemberau-bender Zielstrebigkeit einer aphoristi-schen, zu expressionistischen Gesten ge-ronnenen musikalischen Sprache. Jedem Detail dieser kurzen Stücke ist das Äußers-te an Ausdruck aufgebürdet und die visio-näre Sprache verkündet wie in stenografi-schen Kürzeln Bedrängnis und Angst, Weh-

mut oder Freude. So umfasst das dritte der sechs Orchesterstücke nur mehr elf Takte, von denen neun noch dazu einen Taktwech-sel enthalten. Solche Kürze bleibt in der Sammlung op. 6 immer an schroffe Klang-kontraste gebunden, wie etwa im vierten Satz, der aus der Spannung zwischen Ge-räusch und Klang lebt und mit einem unge-heuren Schmerzensschrei endet. Weberns Kunst der knappen Formulierung verbindet sich hier mit einer subtilen Abtönung der Farbwerte und höchster Klarheit seiner Strukturen.

Webern selbst hat sein kompositorisches Credo einmal so formuliert: »Ich verstehe unter Kunst die Fähigkeit, einen Gedanken in die klarste, einfachste, das heißt fass-lichste Form zu bringen.« Und sein Lehrer Arnold Schönberg drückte es im Zusam-menhang mit Weberns Sechs Bagatellen für Streichquartett so aus: »Bedenken Sie, welche Bescheidenheit erforderlich ist, um sich so knapp auszudrücken. Sie können jeden Blick zu einem Gedicht verlängern, jedes Seufzen zu einer Novelle. Eine Novel-le dagegen in einer einzigen Geste auszu-drücken, eine Freude in einem Atemzug – solche Konzentration kann nur im Verhält-nis zur Abwesenheit von Selbstmitleid vorhanden sein.«

ERINNERUNG UND TRAUER, RESIG-NATION UND MELANCHOLIE

Im ersten der Orchesterstücke op. 6 agiert Webern im leisesten Lautstärke-Bereich, wobei er äußerst differenziert mit den dy-namischen Anweisungen umgeht. So findet sich in beinahe jedem Takt eine andere Be-zeichnung. Dennoch bewegen sich alle Ver-änderungen im Bereich von zweifachem Pianissimo und Piano. Das zweite Stück steht ganz im Zeichen eines Ausbruchs,

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Anton Webern: Sechs Orchesterstücke

einer Katastrophe, die in die zuvor fried-liche Szenerie einbricht. Im dritten Orches-terstück, so schrieb er in seinem Brief an Schönberg, stehe der Duft der Erika im Mittelpunkt, die er seiner verstorbenen Mutter auf die Bahre legte. Mit höchst dif-ferenzierten Artikulationsanweisungen versucht er diesen Duft einzufangen und musikalisch umzusetzen.

Das vierte Stück, ausdrücklich von Webern als Trauermarsch bezeichnet, zeigt eine ausgefallene Instrumentierung, die sich deutlich von den übrigen Sätzen des Zyklus unterscheidet. Webern schreibt hier expli-zit tiefe Glocken und eine große Trommel vor, die an ein Leichenbegängnis erinnern. Ein langsam getragener Marschrhythmus durchzieht diesen vierten Satz. Die beiden letzten Stücke bewegen sich wieder im un-tersten Dynamikbereich. Auch hier unter-scheidet Webern wieder Veränderungen der Lautstärke vom dreifachen bis zum einfachen Piano. Resignation und Melan-cholie bestimmen den Charakter dieser beiden letzten Orchesterstücke des Zyk-lus.

SKANDALKONZERT MIT FOLGEN

Ihre Uraufführung erlebten die Sechs Stü-cke für Orchester op. 6 in einem von Schön-berg dirigierten Konzert des Wiener »Aka-demischen Verbandes für Literatur und Musik« am 31. März 1913 im Wiener Mu-sikvereinssaal, das in einem handfesten Skandal endete. Weberns Stücke wurden von Teilen des Publikums offen verlacht. Es kam zu tumultartigen Szenen, in deren Ver-lauf der Komponist schrie, man solle doch »die ganze Bagage hinausschmeißen«. Nur durch das Eingreifen der Polizei konnte Schlimmeres verhindert werden.

Um die instrumentalen und technischen An-forderungen, die das Werk stellte, zu er-leichtern, fertigte Webern im Spätherbst 1920 eine Bearbeitung für Kammerorches-ter an, die den ursprünglich großen Orches-terapparat auf drei Holzbläser, Streich-quintett, Klavier, Harmonium und Schlag-werk reduzierte. Acht Jahre später nahm er sich die Partitur erneut vor und erstell-te eine Version für eine reduzierte Orches-terbesetzung. »Nun fällt alles Extravagan-te (Altflöte, sechs Posaunen für ein paar Takte usw.). Jetzt kann ich Alles viel ein-facher darstellen«, schrieb Webern im August 1928 an Schönberg.

»IMMERFORT VERÄNDERTER AUSDRUCK«

Für das Dortmunder Tonkünstlerfest 1933 verfasste Webern einen Werkkommentar zu seinen Orchesterstücken: »Sie stellen kur-ze Liedformen dar, meist im dreiteiligen Sinne. Ein thematischer Zusammenhang besteht nicht, auch nicht innerhalb der einzelnen Stücke. Diesen nicht zu geben, war sogar bewusst angestrebt: in dem Be-mühen nach immerfort verändertem Aus-druck. Um den Charakter der Stücke – sie sind rein lyrischer Natur – kurz zu be-schreiben: das erste (Langsam) drückt die Erwartung eines Unheils aus, das zweite (Bewegt) die Gewissheit von dessen Erfül-lung; das dritte (Mäßig) die zarteste Ge-gensätzlichkeit, es ist gewissermaßen die Einleitung zum vierten, einem Trauer-marsch (Sehr mäßig); fünf und sechs (Sehr langsam und Langsam) sind ein Epilog, Er-innerung und Ergebung. – Die Stücke er-hielten im Jahre 1928 eine neue instrumen-tale Fassung, die der ursprünglichen ge-genüber eine wesentliche Vereinfachung darstellt und einzig gelten soll.«

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Gustav Mahler: 9. SymphonieGustav Mahler: 9. Symphonie

GUSTAV MAHLER(1860–1911)

Symphonie Nr. 9in vier Sätzen für großes Orchester

1. Andante comodo2. Im Tempo eines gemächlichen Ländlers:

Etwas täppisch und sehr derb3. Rondo-Burleske: Allegro assai,

sehr trotzig4. Adagio: Sehr langsam und noch

zurückhaltend

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN

Geboren am 7. Juli 1860 in Kalischt / Böh-men (heute: Kalište / Tschechien); gestor-ben am 18. Mai 1911 in Wien.

ENTSTEHUNG

Nach ersten Skizzen, die im Sommer 1908 entstanden, begann Mahler seine letzte vollendete Symphonie spätestens Mitte Juni 1909 in Altschluderbach bei Toblach im Südtiroler Hochpustertal, wo er »mut-terseelenallein« seinen alljährlichen Som-merurlaub verbrachte; Frau Alma weilte währenddessen in Levico Terme (Trentino) zur Kur. Im Oktober 1909 nahm Mahler den fertigen Partiturentwurf nach New York mit, wo er gegen Ende Dezember mit In-strumentation und Reinschrift begann. Am 1. April 1910, einen Tag vor seiner Rück-reise nach Europa, teilte er Bruno Walter die Fertigstellung der Partitur mit.

URAUFFÜHRUNG

Am 26. Juni 1912 – nach Mahlers Tod – in Wien im Großen (»Goldenen«) Saal des Wie-ner Musikvereins (Wiener Philharmoniker unter Leitung von Bruno Walter).

Abschied vom eigenen Ich

STEPHAN KOHLER

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

Akseli Gallen-Kallela: Gustav Mahler auf Gastspielreise in Helsinki (1907)

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

»ENTREVUE ZWEIER POTENTATEN«

Zum (vermutlich) letzten Mal zusammen-getroffen sind Richard Strauss und sein künstlerischer Antipode Gustav Mahler im Sommer 1909 in Toblach im Südtiroler Pus-tertal, wo sich das Ehepaar Mahler eine bescheidene Sommerresidenz geschaffen hatte. Mahler, der zu dieser Zeit den Kom-positionsentwurf seiner 9. Symphonie voll-endete, wurden Einblicke in die Entstehung des »Rosenkavalier« gewährt – frappieren-des Beispiel für die zeitgleiche Parallelität ungleichzeitiger Musikstile. Vielleicht hat Mahler, der das Toblacher Treffen später ironisch mit der »Entrevue zweier Poten-taten« verglich, Strauss mit dem ebenfalls in Toblach entstandenen »Lied von der Erde« bekannt gemacht, dessen 6. Gesang mit »Der Abschied« überschrieben ist. Dass das Treffen in Toblach für beide zum konkreten Abschied werden könnte, zum Abschied für immer, haben wohl weder Strauss noch Mahler damals geahnt.

Selten hat Strauss, der seinen Freund um knapp vier Jahrzehnte überlebte, einen Künstlerkollegen so betrauert wie Gustav Mahler. In Strauss’ Tagebuch heißt es zur Todesnachricht aus Wien: »Gustav Mahler nach schwerer Krankheit verschieden – der Tod dieses hochstrebenden, idealen, ener-gischen Künstlers ein großer Verlust !« In der Tat vermittelte Mahler nach außen den Eindruck, als habe sich in ihm ein asketi-scher Mystiker inkarniert, obwohl er das Leben mit allen Sinnen aufzunehmen und zu genießen wusste. In den Nahkampf mit der Realität verstrickt, war er mit allen Fasern seiner weitgespannten, empfin-dungsreichen Persönlichkeit der Utopie eines »besseren« Daseins verfallen, einer Traumwelt, in der die Gebrochenheit des

Irdischen aufgehoben und von der Vision seiner idealen Ganzheit überwölbt sein sollte.

KRISENBEWUSSTSEIN UND SPÄTSTIL

Nach seinem krisengeschüttelten Abgang von der Wiener Hofoper im Jahr 1907 hätte sich Mahler in Ruhe seinem Schaffen wid-men können, wenn ihn nicht sein innerer Dämon manisch zur Übernahme einer neuen Position gedrängt hätte: »Ich brauche eine praktische Betätigung meiner musikali-schen Fähigkeiten unbedingt als Gegen-gewicht gegen die ungeheuren inneren Ereignisse beim Schaffen.« So sehr er das »entsetzliche, aushöhlende Leben« am Theater verfluchte, so sehr war er dennoch froh, dass sich ihm mit einer lukrativen Tätigkeit bei der New Yorker »Metropolitan Opera Company« die Möglichkeit bot, spä-ter »irgendwo zu Hause zu sein und da le-ben und arbeiten (nicht mehr vegetieren und arbeiten) zu dürfen, irgendwo in der Nähe von Wien, wo die Sonne scheint und schöne Trauben wachsen«. Das hier sehn-suchtsvoll angedachte neue Haus am Sem-mering, 80 km von Wien entfernt, sollte Mahler allerdings nicht mehr beziehen...

Sein vorzeitig abgebrochener Met-Vertrag mündete in die Leitung eines neu gegrün-deten New Yorker Konzertorchesters, des »New York Philharmonic Orchestra«, dem er ab der Saison 1909/10 als musikalischer Leiter vorstand und von dem er sich en-thusiastisch äußerte: »Die nobelste Gesell-schaft – ohne Intrigue – ohne Beamten-kram. Die Menschen hier sind ungeheuer frisch – alle Rohheit und Unbelehrtheit sind nur Kinderkrankheiten. Man hat hier nur vor einem einzigen Ding Respekt: Können

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

Gustav Mahler beim Wandern im Fischleintal in den Sextener Dolomiten (1909)

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

und Wollen !« Der Steigerung von Mahlers Lebensgefühl in bisher unbekannte Dimen-sionen des Luxus, der Behaglichkeit und Selbstbestätigung, steht allerdings ein Ab-sturz seiner labilen Psyche in Angst, De-pression und Fatalitätsdenken gegenüber. Mehr denn je führte er ein Doppelleben, eines nach außen, eines nach innen, und beide nunmehr geographisch auf USA und Europa verteilt. Je mehr die Erfolgskurve in die Höhe schnellte, desto abgrundtiefer verlief die Krise in Mahlers Seelenleben, für die als Auslöser der Tod seiner Tochter Maria Anna und das unheilbare Zerwürfnis mit seiner manisch fremdgehenden Gattin Alma fungierten.

Die Dissoziation zwischen Außen- und Innen-welt war es, die ihn deprimiert am Schreib-tisch sitzen ließ, ohne dass, was er »inne-re Bewegung« nannte, mit der äußeren kor-respondierte. Seinem engsten Vertrauten jener Jahre, Bruno Walter, machte er das Geständnis, »dass ich einfach mit einem Schlage alles an Klarheit und Beruhigung verloren habe, was ich mir je errungen, und nun am Ende eines Lebens als Anfänger wieder gehen und stehen lernen muss. Wie sollte ich die Darstellung einer solchen un-geheuren Krise versuchen ! Ich sehe alles in einem so neuen Lichte – bin so in Bewe-gung; ich würde mich manchmal gar nicht wundern, wenn ich plötzlich einen neuen Körper an mir bemerken würde !« Wenn hier ein nicht mal 50-jähriger das »Ende (s)ei-nes Lebens« apostrophiert und gleichzei-tig durchdrungen ist von der Erfahrung neuer Daseinsformen, dann ist er zweifel-los an einem Wendepunkt angelangt, an dem sich mit Werken wie dem »Lied von der Erde« und der 9. Symphonie sein »Spätstil« ankündigt.

»DIE ›NEUNTE‹ IST EINE GRENZE !«

In der Tat beendet Mahler sein Lebenswerk einerseits mit zyklisch aufgereihten Or-chesterliedern, um andererseits mit seiner letzten vollendeten Symphonie das Tor in eine völlig neu strukturierte, innovative Tonsprache der Zukunft aufzustoßen. Das schon von den Zeitgenossen instinktiv auf-gespürte Hauptthema beider Werke, die sich rein äußerlich kaum vergleichen las-sen, ist ein so starkes Bindeglied, dass die Aussagekraft des ohne jeden Text auskom-menden symphonischen Werks derjenigen von Mahlers »Vokalsymphonie« nach chine-sischen Texten in nichts nachsteht. Das Thema »Abschied« ist hier wie dort allge-genwärtig – Abschied vom zertrümmerten Gebäude des eigenen Lebens, Abschied vom chaotischen Leerlauf einer geistlosen Umwelt, Abschied von den Idealen der Kunst und damit Abschied vom eigenen Ich. Dennoch steht die Geste des Abschiedneh-mens und Trauerns musikalisch nicht im Widerspruch zur gleichzeitigen, geradezu emphatischen Beschwörung des Ewigkeits-gehalts und Kunstschönen von Musik, was die 9. Symphonie in die Nähe eines (gewoll-ten ?) künstlerischen Testaments rückt.

Mahlers in seinen letzten Lebensjahren stets virulente Todesahnungen wurden durch die abergläubische Furcht vor dem traditionsbelasteten Begriff »Neunte Sym-phonie« nur noch verstärkt. Auch in Arnold Schönbergs berühmter Prager Gedenkrede heißt es: »Die ›Neunte‹ ist eine Grenze. Wer darüber hinaus will, muss fort !« Zahlrei-che verbale Eintragungen im Partiturent-wurf deuten darauf hin, dass der Gedanke an Abschied und Tod Mahlers Gefühlswelt

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

Gustav Mahler auf Gastspielreise in Amsterdam (1909)

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

fast schon manisch beherrschte. So finden sich im Kopfsatz, eine – wie ihn Bruno Wal-ter nannte – »tragisch erschütternde, edle Paraphrase des Abschiedsgefühls«, Ein-tragungen wie »O Jugendzeit ! Entschwun-dene ! O Liebe ! Verwehte !«, vor allem aber »Leb’ wohl ! Leb’ wohl ! Leb’ wohl !«

Der »Grenzcharakter« der Symphonie wird auch dadurch deutlich, dass Mahler, der im Toblacher Sommer 1909 fieberhaft am Par-ticell arbeitete, dem neuen Werk zunächst gar keine Nummer geben wollte. Auch in den Wintermonaten, die in New York folgten und in denen Mahler seine Wiener Gewohn-heit beibehielt, den in den Sommermonaten ausgearbeiteten Entwurf durchzufeilen und zu instrumentieren, vermied er den Begriff »Neunte«, der ja ohnehin dem »Lied von der Erde« gebührt hätte – im Untertitel ex pressis verbis »Symphonie« genannt. Nachdem die »Neunte« somit eigentlich die »Zehnte« war, und Mahler glaubte, mit sei-ner ausgeklügelten Umgehung der korrek-ten Durchnummerierung dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen zu haben, konnte er erleichtert dazu übergehen, sein neues Werk »9. Symphonie« zu nennen – im vollen Bewusstsein, dass sie seine »Zehnte« war.

SCHWESTERWERK DER »VIERTEN«

Bruno Walter, der die Münchner Urauffüh-rung des »Lieds von der Erde« dirigierte, war auch im Falle der 9. Symphonie Mahlers »Nachlassverwalter«. Das besondere Ver-trauensverhältnis, das den Breslauer Diri-genten an Mahler band, prädestinierte ihn zum Adressaten der wohl wichtigsten Be-merkung des Komponisten über sein im Entstehen begriffenes Werk: »Ich war sehr fleißig und lege eben die Hand an eine neue Symphonie. Leider gehen auch meine Feri-en zu Ende – und ich bin in der dummen

Lage – wie seit jeher – , auch wieder dies-mal, noch ganz atemlos, vom Papier weg in die Stadt und in die Arbeit zu müssen. Das scheint mir nun einmal beschieden zu sein. Das Werk selbst (soweit ich es kenne – denn ich habe bis jetzt nur blind darauf los-geschrieben und kenne jetzt, wo ich den letzten Satz eben zu instrumentieren be-ginne, den ersten nicht mehr) ist eine sehr günstige Bereicherung meiner kleinen Fa-milie. Es ist da etwas gesagt, was ich seit längster Zeit auf den Lippen habe – viel-leicht (als Ganzes !) am ehesten der ›Vier-ten‹ an die Seite zu stellen. (Doch ganz anders.) Die Partitur ist, bei der wahnsin-nigen Eile und Hetze, recht schleuderhaft und für fremde Augen wohl ganz unleser-lich. Und so möchte ich es sehnlichst wün-schen, dass es mir heuer im Winter gegönnt sein möge, eine Reinpartitur herzustel-len...«

Auf den ersten Blick ist man überrascht, die kammermusikalisch aufgehellte, schein-bar so leicht zugängliche 4. Symphonie als Vorgänger- oder gar Schwesterwerk der endzeitlich-katastrophischen »Neunten« genannt zu wissen. Aber es ist die lyrische Grundstimmung, die beide Werke verbin-det, und nicht zuletzt die unterschwellige Meditation über das sog. »Himmlische Le-ben« – in der »Neunten«, weil textlich nicht fundiert, um einiges schwerer zu entdecken als in der immerhin von »Wun-derhorn«-Texten gestützten »Vierten«. Dass die »Neunte« – um mit Gustav Mahler zu sprechen – »ganz anders« sei als die »Vierte«, wird niemand ableugnen; aber es ist eine Andersartigkeit, die sich auf die instrumentale Gewandung bezieht, nicht auf die Substanz. Die lyrische Grundstim-mung der »Neunten« erstreckt sich nicht nur auf die tänzerisch gehaltenen, genre-haften Mittelsätze, sondern durchdringt

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Gustav Mahlers letzte Reise von New York nach Wien (1911)

Gustav Mahler: 9. Symphonie

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

auch die teilweise extrem dynamisierten Partien der langsameren Ecksätze. Mah-lers 9. Symphonie übersetzt das »Lied von der Erde« sozusagen ins Wortlose, verbin-det »Singen« und »Klingen« zu einem neu-artigen Amalgam, hebt das Liedhafte im Symphonischen auf und umgekehrt.

VON DER IRONIE ZUR ABSOLUTEN OBJEKTIVITÄT

Eine solche Symbiose war in Mahlers mu-sikalischem Denken von Anfang an ange-legt, wenngleich sie erst im letzten Teil des »Lieds von der Erde«, im »Abschied«, zum ersten Mal vollzogen wurde: Anders als in der 8. Symphonie, deren Texte noch traditionell, ja fast opernhaft »ver-tont« wurden, mutiert im »Abschied« die Stim-me zum Instrument, verwandeln sich Vo-kalisen in Farbvaleurs. In der »Neunten« schließlich senkt sich das Liedhafte in die instrumentale Struktur, und Klanglich- Instrumentales wird gesanglich-beredt wie nur noch im Lied. Insofern ist die »Vierte« tatsächlich eine Vorläuferin der »Neunten«, als in ihr alle zunächst rein instrumentalen »Fäden« in einem Lied- Finale zusammenlaufen, das Liedhafte des letzten Satzes sich post festum als in den vorhergehenden Sätzen bereits lyrisch Angedachtes entpuppt.

Ähnlich verschmilzt der Schlusssatz der »Neunten« die Utopie des in der »Vierten« noch ironisch zitierten »Himmlischen Le-bens« mit einer pathetisch-elegischen Geste der Heilsgewissheit im Jenseits. Der Abschied vom Leben mündet hier nicht nur ins bloße Verstummen wie in der »Vierten«, sondern löst sich buchstäblich in Nichts auf: Schattenhafte, fast nur noch ge-räuschhafte Bewegungen der Instrumente,

kammermusikalische, bis hin zur Einstim-migkeit ausgedünnte Klänge erzeugen eine gläserne Atmosphäre, die in Anonymität, Ausdruckslosigkeit, Erstarrung endet. Ar-nold Schönberg glaubte in diesem Schluss einen »verborgenen Autor« zu erkennen, »der Mahler bloß als Sprachrohr benützt hat. Dieses Werk ist nicht mehr im Ich-Ton gehalten. Es bringt sozusagen objektive, fast leidenschaftslose Konstatierungen von einer Schönheit, die nur dem bemerk-bar wird, der auf animalische Wärme ver-zichten kann und sich in geistiger Kühle wohlfühlt.«

»AGGREGATSZUSTÄNDE VON MUSIK«

»Abschied« ist in Mahlers »Neunter« viel-fältig komponiert – auch als Abschied von der Gattung Symphonie. Es gibt keine das Werk umklammernde, gemeinsame Tonart mehr, und die Reihenfolge der Sätze ist auf den Kopf gestellt. Was das Wechselspiel zwischen Motivstruktur und Formschema angeht, sprach Theodor W. Adorno von einem »episch-romanhaften Moment der immer ganz anderen und gleichwohl iden-tischen Gestalten«. Mit anderen Worten: Mahlers Tendenz des melodisch Vagen, Zerfließenden oder sogar Amorphen wird durch ein immer dichter geknüpftes Netz von Beziehungen unterhalb des Melodisch- Motivischen aufgefangen, und dem latent Diffusen seiner Tonsprache wirkt ausglei-chend der Schematismus der Form ent-gegen. Dieter Schnebel unterschied in der »Neunten« verschiedene »Aggregats-zustände von Musik«, die vom Amorphen, quasi Gestaltlosen, übers Unbestimmte, Vieldeutige bis hin zur Entstehung von so-zusagen »konsistenterer« Musik reichen.Auf formaler Ebene bleibt ebenfalls alles

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

Carl Moll: Totenmaske Gustav Mahlers, abgenommen am 19. Mai 1911, dem Tag nach der Todesnacht

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

fließend, um nicht zu sagen: doppeldeutig. Die Form des 1. Satzes (Andante comodo) ist unentschieden; sie lässt sich sowohl als Sonatensatz wie als Variationssatz deuten. Die Mittelsätze gehen sozusagen »über Stock und Stein« – harmonisch, motivisch und vor allem rhythmisch. Insbesondere die Rondo-Burleske ist ein Stück verquer-tester Musik von kaum zu bändigender Be-wegung und sinnlosen Trubels. Einer apo-kryphen Bemerkung Mahlers zufolge soll sie »meinen Brüdern in Apoll gewidmet« sein, d. h. Mahlers Zeitgenossen, die Kunst mit Können, Ethik mit Ästhethik und Sein mit Schein verwechseln. Das vorausgehen-de Scherzo hingegen, ein frühes Beispiel musikalischer Montage-Technik, hat den Charakter eines »Totentanzes«, ähnlich wie ihn Mahler im Scherzo seiner 4. Symphonie in Szene setzte. Die beschädigten Trümmer seiner Themen versammeln sich zu einem letzten Aufgebot an Scherzo-Rumor; doch nicht mehr um Parodie geht es hier, son-dern um Lemuren, die am Grabesrand, Aas-geiern gleich, ihre Possen reißen.

Die programmatische Sinngebung des Kopf-satzes (»Leb’ wohl  !«) mag Mahler dazu bewogen haben, entgegen der symphoni-schen Tradition mit einem Andante zu be-ginnen, auf das zwei schnellere Sätze und ein in dreifachem Piano »ersterbendes« Adagio folgen. Schon die bloße Satzanord-nung, aber auch thematische Querverbin-dungen lassen an Tschaikowskijs »Sym-phonie pathétique« von 1893 denken, die auf einen ersten Satz in Sonatenform ebenfalls einen Satz mit Tanzcharakter, ein dämonisch-burleskes Scherzo und zuletzt ein »Adagio lamentoso« folgen lässt. Le-bensekel, Todesahnung und Abschieds-wehmut bestimmen auch Tschaikowskijs »Welt abschiedswerk«, das an semanti-scher Dichte und polyphoner Komplexität

von Mahlers Partitur jedoch bei weitem übergipfelt wird. Die Entscheidung für einen Adagio-Schluss ist übrigens in Überlegun-gen, die Mahler sinnigerweise im »Pathé-tique«-Jahr 1893 anstellte, antizipiert. Zu Natalie Bauer-Lechner meinte er damals, einem Allegro gegenüber halte er ein Ada-gio für die wesentlich »höhere Form«.

DER REST IST SCHWEIGEN...

Die (hintergründige) Tendenz der Versach-lichung, des Objektivierens von Klängen, Verläufen und Strategien, steht einer (vordergründigen) Kampagne der Verdeut-lichung, der Steigerung semantischer Ex-pressivität entgegen – aus diesem perma-nenten Wechselspiel bezieht Mahlers Par-titur ihren Reichtum und ihre Ambivalenz. Nicht um den Zuhörer mit erhobenem Zei-gefinger penetrant auf die »Leb’ wohl !«- Thematik hinzustoßen, sondern weil das »Abschieds«-Thema Mahlers gesamtes Schaffen durchzieht, finden sich, vor allem im letzten Satz der Symphonie, zahlreiche Verweise auf frühere Werke ähn licher Ten-denz. So wird aus dem Lied »Urlicht« nach einem Text aus »Des Knaben Wunderhorn«, das auch in Mahlers »Auferstehungssym-phonie« einging, die Textstelle »Je lieber möchte ich im Himmel sein« zitiert; und neben Anklängen an den »Abschied« aus dem »Lied von der Erde« ist es vor allem das vierte der »Kinder totenlieder«, das mit drei Textstellen im Schluss-Adagio von Mahlers Symphonie präsent ist: »Sie ma-chen nur einen weiten Gang« / »Sie machen nur den Gang zu jenen Höh’n« / »Wir holen sie ein auf jenen Höh’n im Sonnenschein – der Tag ist schön auf jenen Höh’n !« Insbe-sondere diese letzten Verse, von Mahler bewusst an den Schluss der 9. Symphonie gestellt, demonstrieren seinen von christ-licher Heilsgewissheit erfüllten Glauben an

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Gustav Mahler: 9. Symphonie

ein »Himmlisches Leben« im Jenseits, der sich in der 4. Symphonie noch unter dem Deckmantel der Ironie versteckt hatte.

So mündet in religiöse Befriedung, in Still-stand, Vergessen und Schweigen, was im 1. Satz als zähes, schmerzliches Abschied-nehmen von unwiederbringlich verlorenen »Goldenen Zeiten« musiziert wurde. Die »entschwundene Jugend« und »verwehte Liebe« beziehen sich zwar unmittelbar auf den Verlust von Almas Liebe, sind aber auch Ausdruck der gebrochenen Lebens-haltung einer ganzen Epoche. Niemand be-schrieb sie feinfühliger als Alban Berg: »Ich habe wieder einmal die 9. Mahler-Symphonie durchgespielt. Der 1. Satz ist das Aller-herrlichste, was Mahler geschrieben hat. Es ist der Ausdruck einer unerhörten Liebe zu dieser Erde, die Sehnsucht, in Frieden auf ihr zu leben, die Natur noch auszuge-nießen bis in ihre tiefsten Tiefen – bevor der Tod kommt. Denn er kommt unaufhalt-sam. Dieser ganze Satz ist auf die Todes-ahnung gestellt. Immer wieder meldet sie sich. Alles Irdisch-Verträumte gipfelt da-rin, am stärksten natürlich bei der unge-heuren Stelle, wo diese Todesahnung Ge-wissheit wird, wo mitten hinein in die tiefs-te, schmerzvollste Lebenslust mit höchs-ter Gewalt der Tod sich anmeldet. Dazu das schauerliche Bratschen- und Geigensolo und diese ritterlichen Klänge: der Tod in der Rüstung ! Dagegen gibt’s kein Auflehnen mehr !«

»ANTIZIPANDO DES KOMMENDEN LEBENS«

Von Alma ist uns überliefert, Mahler habe seine letzten Werke als »Antizipando des kommenden Lebens« bezeichnet, wobei die zeitliche Zukunft, in der sie (endlich) Erfolg haben würden, hier ebenso gemeint war wie der Verweis auf ihre Überzeitlichkeit und »jenseitige« Bedeutungsvielfalt. Den-noch ist die 9. Symphonie kein larmoyanter endzeitlicher Epilog, sondern ein höchst expressiver Klagegesang, der durchaus den Charakter einer mit Mitteln der Musik inszenierten »An-klage« besitzt. »Trauer« wird so konstruktiv und bleibt nicht selbst-gefällig – »Musik« plädiert hier für eine andere, für eine »bessere« Welt.

Mit der offensichtlichen und von Mahler stets betonten Querverbindung zum dort noch ironisch gemeinten »Jenseitsgehalt« der 4. Symphonie ist der intellektuelle Be-wusstseingrad beschrieben, der ihn dazu befähigte, den Abschied vom eigenen Ich philosophisch zu sublimieren. Im späteren Schwesterwerk der »Neunten« verfügte Mahlers Ego über derart rationale Schutz-strategien nicht mehr. Mit seismographi-scher Genauigkeit setzte er hier sein See-lenleben dem individualistischen Krisen-bewusstsein einer Tonsprache aus, die wie keine andere dafür geschaffen war, den Abschied vom eigenen Ich emphatisch zu zelebrieren.

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KünstlerbiographieKünstlerbiographie

DIRIGENT

Fabio Luisi

Der italienische Dirigent wurde 1959 in Ge-nua geboren und absolvierte nach einem Klavierstudium bei Aldo Ciccolini in Paris seine Dirigierausbildung bei dem kroati-schen Dirigenten Milan Horvat. 1984 wurde Fabio Luisi als Studienleiter und Kapellmeis-ter ans Opernhaus Graz berufen, von 1995 bis 2000 war er Chefdirigent des Nieder-österreichischen Tonkünstler-Orchesters und ab 1996 einer der drei Hauptdirigenten des Orchesters des Mitteldeutschen Rund-funks in Leipzig, dem er von 1999 bis 2009 als alleiniger Künstlerischer Leiter vor-

stand. 1997 war Luisi für die Dauer von fünf Jahren zusätzlich Chefdirigent des Orche-stre de la Suisse Romande in Genf.

Seine internationale Karriere, die ihn ans Pult zahlreicher Orchester Europas, Ameri-kas und Japans führte, begann Fabio Luisi an der Bayerischen Staatsoper München, der er bis heute verbunden ist. Seit 1988 dirigiert er aber auch an den Berliner Opern-häusern, an der Hamburgischen und an der Wiener Staatsoper sowie an den Opernhäu-sern von Genua, Florenz und Genf. 2005 wurde Fabio Luisi Chefdirigent der Wiener Symphoniker, 2007 trat er die Nachfolge Bernard Haitinks als Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatsoper Dresden an. Seit 2012 ist er Generalmusikdirektor am Opernhaus Zürich, seit 2010 außerdem Principal Guest Conductor an der Metropo-litan Opera in New York.

Fabio Luisi ist ständiger Gast der führen-den Orchester, Opernhäuser und Festivals in Europa und USA. Die Münchner Philhar-moniker leitete Luisi erstmals im Dezember 1995 und zuletzt am 12. April 2014 in New York, wo er kurzfristig für den erkrankten Lorin Maazel einsprang.

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Französische Musik bei den Münchner PhilharmonikernFranzösische Musik bei den Münchner Philharmonikern

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Französische Musik bei den Münchner PhilharmonikernFranzösische Musik bei den Münchner Philharmonikern

Französische Musik in den ersten Jahrzehnten der

Orchestergeschichte GABRIELE E. MEYER

Anders als die Musik russischer und weite-rer slawischer Komponisten stand das französische Musikschaffen seltener auf den Programmen der Münchner Philhar-moniker. Einzig Hector Berlioz, meist mit seiner »Symphonie fantastique«, sowie Camille Saint-Saëns und César Franck wur-den vergleichsweise oft aufgeführt. Doch auch Werke von Georges Bizet, Charles Bordes, Emmanuel Chabrier, Gustave Char-pentier, Ernest Chausson, Claude Debussy, Léo Delibes, Paul Dukas, Vincent d’Indy, Désiré-Émile Inghelbrecht, Édouard Lalo, Aimé Maillart, Jules Massenet, Jules Mou-quet, Jacques Offenbach, Maurice Ravel, Ambroise Thomas, Édouard Trémisot und Charles M. Widor wurden gespielt, pro-grammatisch hin und wieder noch erwei-tert und ergänzt um Werke der eng mit der französischen Musiktradition verbundenen Schweizer Komponisten Gustave Doret, Arthur Honegger, Émile Jaques-Dalcroze und Pierre Maurice sowie der Belgier Paul Gilson und Désiré Pâque. Einige Namen sind heute nahezu unbekannt. Andere, allen voran Berlioz, Debussy und Ravel, gehören schon längst zum Standardrepertoire eines jeden Orchesters. – Immerhin wurden in

den ersten Jahrzehnten seit der Orches-tergründung 1893 auch gerne französi-sche Abende durchgeführt. So erklangen, beispielsweise, am 21. November 1904 unter Felix Weingartners Leitung Stücke von d’Indy, Jaques-Dalcroze und Berlioz, dem nur wenige Tage später mit der »Harold-Symphonie« und der »Phantastischen« ein umjubelter Berlioz-Abend unter dem Diri-genten Peter Raabe folgte.

Für die Spielzeit 1928/29 stellte der phil-harmonische Dirigent Friedrich Munter unter dem Motto »fremdländische Aben-de« ebenfalls einen »Französischen Kom-ponisten- Abend« zusammen. Das Konzert wurde mit den Worten angekündigt, dass es aufgrund des großen Umfangs der Mu-sik leider nicht möglich sei, auch die alt-französischen Meister wie Lully, Rameau und Grétry zu berücksichtigen. Munter begann mit Berlioz, dem »französischen Beethoven« und seiner Ouvertüre zu »Le Corsaire«. Am Ende stand ein Beispiel der »allermodernsten französischen Musik«, das 1920 entstandene Orchesterstück »El Greco« von Inghelbrecht, einem Schüler und Freund Debussys.

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

Dessen Musik wiederum war bei den Phil-harmonikern zum wahrscheinlich ersten Mal am 5. Dezember 1903 zu hören: »Herr José Lassalle eröffnete den letzten der drei Modernen Abende, die er mit dem ver-stärkten Kaim-Orchester veranstaltet hat, mit einem Stück des gelegentlich seiner Komposition von Maeterlincks »Pelléas et Mélisande« auch in Deutschland vielge-nannten Claude Debussy. Die Wiedergabe des Vorspiels zum ›Nachmittag eines Faun‹, dem eine Dichtung von Stéphane Mallarmé, dem bekannten Décadent, zu Grunde liegt, ließ […] manches zu wünschen übrig.« Zu Beginn seines Konzertberichts versuchte der möglicherweise durch die anscheinend unzulängliche Wiedergabe irritierte Rezen-sent der »Münchner Neuesten Nachrich-ten« dem Stück noch insofern gerecht zu werden, indem er sich auf Debussys kom-positorische Idee einließ. Doch am Ende seiner Überlegungen bekannte er in einer aberwitzigen Volte, dass das Stück zwar rein musikalisch betrachtet, barer Unsinn sei, aber »trotz alledem etwas hat, was durchaus neu und von einzigartig unbe-schreiblichem Reiz ist«.

Weitere Begegnungen mit dem Werk des großen Klangmagiers folgten, teilweise als Münchner Erstaufführungen. Aufgeführt wurden die »Petite Suite«, in der Orches-terfassung von Henri Büsser, sodann, am 25. Oktober 1912, »Rondes de Printemps«, die Nummer 3 aus den »Images«. Ferner erklangen, 1913, »Danse sacrée et Danse profane« für chromatische Harfe und Streichorchester, ausgeführt von dem be-rühmten italienischen Harfenvirtuosen Lu-igi Magistretti, sowie, noch im Herbst, eine Bearbeitung derselben »Danses« für Kla-vier und Streicher.

Viele Jahre später lernten die Münchner Konzertbesucher in Oswald Kabasta einen Dirigenten kennen, der nach zeitgenössi-schen Berichten zu urteilen, ein vorzügli-cher Sachwalter der Debussy'schen Klang-welt gewesen sein muss. Die Wiedergaben von »La Mer« und »Ibéria« machten offen-kundig, wie sehr sich die Einstellung zu der nur auf den ersten Blick substanzlosen, lediglich auf atmosphärische Farbmischun-gen ausgerichteten Musik geändert hatte. Oscar von Pander von den »Münchner Neu-esten Nachrichten« sah in »Ibéria« »die geistreichste Orchestermusik, die man sich denken kann. […] Die Ausführung unter Kabastas glänzender Leitung zeigte wiede-rum die treffl iche Arbeit unserer Philhar-moniker«, die den ganz ungewöhnlichen Anforderungen des Stücks hinsichtlich Schönheit, Genauigkeit und Durchsichtig-keit beispielhaft gewachsen waren. »Der Beifall war stürmisch und wurde vom Diri-genten mit Recht auch auf das prächtige Orchester bezogen« (MNN, 8. Feb. 1939).

Maurice Ravels 1928 in Paris uraufgeführ-ter »Boléro« erlebte seine Münchner Pre-miere in Zusammenarbeit mit dem einige Jahre zuvor gegründeten Forum für Neue Musik, der »Vereinigung für zeitgenössi-sche Musik«. Auf dem von Adolf Mennerich geleiteten Programm vom 13. März 1931 standen außerdem Paul Hindemiths 3. Vio-linkonzert und Wolfgang von Bartels 1. Symphonie. Während Hindemiths Konzert als Zumutung und Verirrung abgetan wur-de, bezeichnete H. Ruoff (MNN) die Ra-vel'sche Komposition als »eine Marotte des großen Könners, aber eine geistreiche und witzige«. Nach dem abrupten Stillstand des scheinbar unaufhaltsam kreisenden Stücks schallten dem Dirigenten und den

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

Dessen Musik wiederum war bei den Phil-harmonikern zum wahrscheinlich ersten Mal am 5. Dezember 1903 zu hören: »Herr José Lassalle eröffnete den letzten der drei Modernen Abende, die er mit dem ver-stärkten Kaim-Orchester veranstaltet hat, mit einem Stück des gelegentlich seiner Komposition von Maeterlincks »Pelléas et Mélisande« auch in Deutschland vielge-nannten Claude Debussy. Die Wiedergabe des Vorspiels zum ›Nachmittag eines Faun‹, dem eine Dichtung von Stéphane Mallarmé, dem bekannten Décadent, zu Grunde liegt, ließ […] manches zu wünschen übrig.« Zu Beginn seines Konzertberichts versuchte der möglicherweise durch die anscheinend unzulängliche Wiedergabe irritierte Rezen-sent der »Münchner Neuesten Nachrich-ten« dem Stück noch insofern gerecht zu werden, indem er sich auf Debussys kom-positorische Idee einließ. Doch am Ende seiner Überlegungen bekannte er in einer aberwitzigen Volte, dass das Stück zwar rein musikalisch betrachtet, barer Unsinn sei, aber »trotz alledem etwas hat, was durchaus neu und von einzigartig unbe-schreiblichem Reiz ist«.

Weitere Begegnungen mit dem Werk des großen Klangmagiers folgten, teilweise als Münchner Erstaufführungen. Aufgeführt wurden die »Petite Suite«, in der Orches-terfassung von Henri Büsser, sodann, am 25. Oktober 1912, »Rondes de Printemps«, die Nummer 3 aus den »Images«. Ferner erklangen, 1913, »Danse sacrée et Danse profane« für chromatische Harfe und Streichorchester, ausgeführt von dem be-rühmten italienischen Harfenvirtuosen Lu-igi Magistretti, sowie, noch im Herbst, eine Bearbeitung derselben »Danses« für Kla-vier und Streicher.

Viele Jahre später lernten die Münchner Konzertbesucher in Oswald Kabasta einen Dirigenten kennen, der nach zeitgenössi-schen Berichten zu urteilen, ein vorzügli-cher Sachwalter der Debussy'schen Klang-welt gewesen sein muss. Die Wiedergaben von »La Mer« und »Ibéria« machten offen-kundig, wie sehr sich die Einstellung zu der nur auf den ersten Blick substanzlosen, lediglich auf atmosphärische Farbmischun-gen ausgerichteten Musik geändert hatte. Oscar von Pander von den »Münchner Neu-esten Nachrichten« sah in »Ibéria« »die geistreichste Orchestermusik, die man sich denken kann. […] Die Ausführung unter Kabastas glänzender Leitung zeigte wiede-rum die treffl iche Arbeit unserer Philhar-moniker«, die den ganz ungewöhnlichen Anforderungen des Stücks hinsichtlich Schönheit, Genauigkeit und Durchsichtig-keit beispielhaft gewachsen waren. »Der Beifall war stürmisch und wurde vom Diri-genten mit Recht auch auf das prächtige Orchester bezogen« (MNN, 8. Feb. 1939).

Maurice Ravels 1928 in Paris uraufgeführ-ter »Boléro« erlebte seine Münchner Pre-miere in Zusammenarbeit mit dem einige Jahre zuvor gegründeten Forum für Neue Musik, der »Vereinigung für zeitgenössi-sche Musik«. Auf dem von Adolf Mennerich geleiteten Programm vom 13. März 1931 standen außerdem Paul Hindemiths 3. Vio-linkonzert und Wolfgang von Bartels 1. Symphonie. Während Hindemiths Konzert als Zumutung und Verirrung abgetan wur-de, bezeichnete H. Ruoff (MNN) die Ra-vel'sche Komposition als »eine Marotte des großen Könners, aber eine geistreiche und witzige«. Nach dem abrupten Stillstand des scheinbar unaufhaltsam kreisenden Stücks schallten dem Dirigenten und den

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

auch hier glänzend disponierten Musikern laute Bravorufe entgegen.

Noch zwei weitere Werke Ravels profi tier-ten von der inzwischen erlangten Subtilität im Umgang mit der französischen Klang-welt. Mit der Münchner Erstaufführung der »Rapsodie espagnole« am 28. November 1938 erinnerten die Musiker, wiederum unter Kabastas Leitung, an den im Herbst 1937 gestorbenen Komponisten, »der nach dem Tode Debussys als der repräsentativ-ste der zeitgenössischen Komponisten

Frankreichs gelten durfte«. Etwa zwei Mo-nate später stellte Adolf Mennerich in ei-nem deutsch-französischen Abend noch Ravels »Ma Mère l’Oye« vor. Die Schönhei-ten auch dieser Partitur gerieten nach da-maligen Berichten zu einem »höchst fes-selnden Erlebnis«. – Dann, mit dem Ein-marsch Hitlerdeutschlands in Frankreich im Mai 1940, wurde es rasch still um die französische Musik.

Ravels »Boléro« steht 1931 zum ersten Mal auf dem Programm der Münchner Philharmoniker

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Linda Sophia SchultheisLinda Sophia Schultheis

Münchner Klangbilder

»Das Konzertplakat zu Gustav Mahlers 9. Symphonie ist inspiriert durch das Hadern des Komponisten selbst. Das Thema ›Ab-schied‹ bzw. ›Abschied vom eigenen Ich‹ war für Mahler zu dieser Zeit allgegenwär-tig. Deshalb war es mir besonders wichtig seinen Gefühlsstand aufzuzeigen. Schließ-lich hatte dieses Werk eine Art Grenzcha-rakter für ihn – und die Furcht davor war sein ständiger Begleiter.

Aus diesem Grund habe ich als Leitmotiv für das Plakat einen Gipsabdruck in der Form des Logos angefertigt um das Thema ›Ab-schied‹ zu verdeutlichen. Das feste und robuste Material stellt dabei eine schicksal-haft selbsterfüllende Prophezeiung dar. Mit seiner 9. Symphonie schaffte sich Mahler selbst ein Denkmal. Denn noch vor der Ur-aufführung 1912 fand er, wie er es selbst

prophezeit hatte, den Tod. Wer hat denn die Fäden unseres Lebens in der Hand? Sind wir es selbst?« (Linda Sophia Schultheis, 2016)

DIE KÜNSTLERIN

Linda Sophia Schultheis ist am 04.12.1990 in München geboren und aufgewachsen. Im Sommer 2016 hat sie ihr Studium in Kom-munikationsdesign an der Deutschen Meis-terschule für Mode und Design erfolgreich beendet. Im Januar 2016 gewann sie die Ausschreibung der Landeshauptstadt Mün-chen für das Design des Oktoberfestplaka-tes. Aktuell lebt sie in London, wo sie ihren Master an der Central Saint Martins (Uni-versity of the Arts) in Graphic Communica-tion Design macht.

www.lindaschultheis.com

TITELGESTALTUNG ZUM HEUTIGEN KONZERTPROGRAMM

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Vorschau

Montag06_03_2017 20 Uhr fDienstag07_03_2017 20 Uhr e4

ROBERT SCHUMANNSymphonie Nr. 1 B-Dur op. 38 »Frühlingssymphonie«JOHANNES BRAHMSSymphonie Nr. 4 e-Moll op. 98 FABIO LUISI, Dirigent

Sonntag12_03_2017 17 Uhr

6. KAMMERKONZERTMünchner Künstlerhaus am Lenbachplatz

»WENN EINER NICHTS ZU SAGEN HAT, HÖRT MAN ES SOFORT«

WOLFGANG AMADEUS MOZARTQuintett für Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und Klavier Es-Dur KV 452KRZYSZTOF PENDERECKI Sextett für Klarinette, Horn, Streichtrio und KlavierLUDWIG VAN BEETHOVENQuintett für Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und Klavier Es-Dur op. 16 ULRICH BECKER, OboeALEXANDRA GRUBER, KlarinetteHOLGER SCHINKÖTHE, FagottJÖRG BRÜCKNER, HornIASON KERAMIDIS, ViolineJANO LISBOA, ViolaSVEN FAULIAN, VioloncelloCORA BRÜCKNER-IRSEN, Klavier

Mittwoch 15_03_2017 20 Uhr h4 Freitag 17_03_2017 20 Uhr c

CHARLES IVES»The Unanswered Question«GEORGE BENJAMIN»Dream of the song« für Countertenor, Frauenchor und kleines OrchesterLEONARD BERNSTEINSymphonie Nr. 2 für Klavier und Orchester »The Age of Anxiety«

KENT NAGANO, DirigentANDREW WATTS, CountertenorGILLES VONSATTEL, KlavierFRAUENCHOR DES PHILHARMONISCHEN CHORES MÜNCHENEinstudierung: Andreas Herrmann

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Das Orchester

1. VIOLINENSreten Krstič, KonzertmeisterLorenz Nasturica-Herschcowici, KonzertmeisterJulian Shevlin, KonzertmeisterOdette Couch, stv. KonzertmeisterinClaudia SutilPhilip MiddlemanNenad DaleorePeter BecherRegina MatthesWolfram LohschützMartin ManzCéline VaudéYusi ChenIason KeramidisFlorentine LenzVladimir TolpygoGeorg Pfirsch

2. VIOLINENSimon Fordham, StimmführerAlexander Möck, StimmführerIIona Cudek, stv. StimmführerinMatthias Löhlein, VorspielerKatharina ReichstallerNils SchadClara Bergius-BühlEsther MerzKatharina SchmitzAna Vladanovic-Lebedinski

Die MünchnerPhilharmoniker

Bernhard MetzNamiko FuseQi ZhouClément CourtinTraudel ReichAsami Yamada

BRATSCHENJano Lisboa, SoloBurkhard Sigl, stv. SoloMax SpengerHerbert StoiberWolfgang StinglGunter PretzelWolfgang BergBeate SpringorumKonstantin SellheimJulio LópezValentin Eichler

VIOLONCELLIMichael Hell, KonzertmeisterFloris Mijnders, SoloStephan Haack, stv. SoloThomas Ruge, stv. SoloHerbert HeimVeit Wenk-WolffSissy SchmidhuberElke Funk-HoeverManuel von der NahmerIsolde Hayer

CHEFDIRIGENT VALERY GERGIEVEHRENDIRIGENT ZUBIN MEHTA

Das Orchester

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Das Orchester Das Orchester

Sven FaulianDavid HausdorfJoachim Wohlgemuth

KONTRABÄSSESławomir Grenda, SoloFora Baltacigil, SoloAlexander Preuß, stv. SoloHolger HerrmannStepan KratochvilShengni GuoEmilio Yepes Martinez Ulrich von Neumann-Cosel

FLÖTENMichael Martin Kofler, SoloHerman van Kogelenberg, SoloBurkhard Jäckle, stv. SoloMartin BeličGabriele Krötz, Piccoloflöte

OBOENUlrich Becker, SoloMarie-Luise Modersohn, SoloLisa OutredBernhard BerwangerKai Rapsch, Englischhorn

KLARINETTENAlexandra Gruber, SoloLászló Kuti, SoloAnnette Maucher, stv. SoloMatthias AmbrosiusAlbert Osterhammer, Bassklarinette

FAGOTTERaffaele Giannotti, SoloJürgen PoppJohannes HofbauerJörg Urbach, Kontrafagott

HÖRNERJörg Brückner, SoloMatias Piñeira, Solo

Ulrich Haider, stv. SoloMaria Teiwes, stv. SoloRobert RossAlois SchlemerHubert PilstlMia Aselmeyer

TROMPETENGuido Segers, SoloBernhard Peschl, stv. SoloFranz UnterrainerMarkus RainerFlorian Klingler

POSAUNENDany Bonvin, SoloMatthias Fischer, stv. SoloQuirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune

TUBARicardo Carvalhoso

PAUKENStefan Gagelmann, SoloGuido Rückel, Solo

SCHLAGZEUGSebastian Förschl, 1. SchlagzeugerJörg HannabachMichael Leopold

HARFETeresa Zimmermann, Solo

ORCHESTERVORSTANDStephan HaackMatthias AmbrosiusKonstantin Sellheim

INTENDANTPaul Müller

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Impressum

IMPRESSUM

Herausgeber:Direktion der MünchnerPhilharmonikerPaul Müller, IntendantKellerstraße 481667 MünchenCorporate Design:HEYE GmbHMünchenGraphik: dm druckmedien gmbhMünchenDruck: Gebr. Geiselberger GmbHMartin-Moser-Straße 23 84503 Altötting

TEXTNACHWEISE

Martin Demmler und Gab-riele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbei-träge für die Programm-hefte der Münchner Phil-harmoniker. Stephan Koh-ler stellte seinen Text den Münchner Philharmonikern zum Abdruck in diesem Programmheft zur Verfü-gung; er verfasste darü-ber hinaus die lexikali-schen Angaben und Kurz-kommentare zu den aufge-führten Werken. Künst- lerbiographie (Luisi): Nach Agenturvorlagen. Alle Rech-te bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber ge-nehmigungs- und kosten-pflichtig.

BILDNACHWEISE

Abbildungen zu Anton We-bern: Anton Fuchs, Auf ih-ren Spuren in Kärnten – Al-ban Berg, Gustav Mahler, Johannes Brahms, Hugo Wolf, Anton Webern, Kla-genfurt 1997; Nuria Nono- Schoenberg (Hrsg.), Ar-nold Schönberg 1874–1951 / Lebensgeschichte in Begegnungen, Klagen-furt / Wien 1998. Abbil-dungen zu Gustav Mahler: Gilbert Kaplan (Hrsg.), Das Mahler Album, New York / Wien 1995; Hermann Danu-ser, Gustav Mahler und seine Zeit, Laaber 1996; Kurt Blaukopf und Zoltan Roman, Mahler – Sein Le-ben, sein Werk und seine Welt in zeitgenössischen Bildern und Texten, Wien 1976; Sammlung Stephan Kohler, München. Pro-grammzettel 1931 (»Bo-léro«): Privat. Künstler-photographie: Barbara Luisi BALU Photography (Luisi).

Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt

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HAUPTSPONSOR

UNTERSTÜTZT

VA L E RY G E RG I E V Y U JA WA N G

MÜNCHNER PHILHARMONIKER

BRAHMS: KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER NR.1 D-MOLL OP.15

MUSSORGSKIJ: „BILDER EINER AUSSTELLUNG” (INSTRUMENTIERUNG: MAURICE RAVEL)

D I R I G E N T

K L AV I E R

OPEN AIR KONZERTE

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SONNTAG, 16. JULI 2017, 20.00 UHR

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DAS ORCHESTER DER STADT

’16’17