Weiserflächen machen den Wildeinfluss auf die Waldverjüngung … · 2020. 7. 8. · pakte Form...

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1 | Weiserflächen machen den Wildeinfluss auf die Waldverjüngung sichtbar Wenn es darum geht, standortsgerechte und auch qualitativ geeignete Waldbestände zu verjüngen, ist die natürliche Verjüngung aus ökologischen und ökonomischen Gründen das Mittel der Wahl. Eine erfolgreiche Naturver- jüngung ist an verschiedene Voraussetzun- gen gebunden, die erfüllt sein müssen, damit aus den Baumsamen tatsächlich die nächste Waldgeneration heranwachsen kann. Neben den Lichtverhältnissen, dem Feuchtigkeitsan- gebot und der Begleitflora ist auch der Wild- bestand ein entscheidender Einflussfaktor. Maßgeblich ist dafür der Bestand an Schalen- wildarten, d. h. Reh-, Rot-, Dam- und Muf- felwild, die durch das Verbeißen, Fegen oder Schälen die Waldverjüngung unmittelbar be- schädigen (Abbildungen 1 und 2). Abb. 1: Rotwild, Foto: H. Ullrich Abb. 2: Verbissschaden an Rotbuche, Foto: J. Zocher Sinn und Zweck Weiserflächen halten die Schalenwildarten von kleinen, 100 bis 500 Quadratmeter gro- ßen, umzäunten Waldflächen fern. Keimlin- ge werden darin nicht verbissen und können ungehindert aufwachsen. Das Potenzial der natürlich ankommenden Baumarten und die Geschwindigkeit ihres Heranwachsens wer- den sichtbar. Daher werden sie auch Kontroll- zäune genannt. Die im Verlauf mehrerer Jahre erkennbar werdenden Unterschiede zwischen der Entwicklung im Zaun und außerhalb des Zaunes stellen den Einfluss des Wildes dar. Ob dieser Wildeinfluss von den Betroffenen als „Schaden“ wahrgenommen wird, kann an dieser Stelle offen bleiben. Zunächst geht es „nur“ darum, den Wildeinfluss als solchen auch für Menschen ohne forstliche Ausbil- dung sichtbar zu machen. Weiserflächen sind eine objektive Grundlage für eine konstruktive Diskussion und die Suche nach gemeinsamen Lösungen zwischen Wald- besitzern, Forstbetriebsgemeinschaften, Jagd- vorständen, Jägern oder Förstern. Denn auch das sogenannte Wald-Wild-Problem ist in ers- ter Linie ein Problem, das Menschen aufgrund unterschiedlicher Interessen miteinander ha- ben. Bei allen Maßnahmen, die Jagd, Wild und Waldverjüngung betreffen, sollten Waldbesit- zer deshalb versuchen, die Jäger und Jagdvor- stände aktiv einzubinden. Miteinander zu re- den, beispielsweise im Rahmen gemeinsamer Waldbegänge, ist wichtig für ein gegenseiti- ges Problemverständnis. Ein partnerschaftli- ches Vorgehen ist besonders bei der Anlage von Weiserflächen wichtig, da diese den Dia- log zwischen den Betroffenen anstoßen und fördern sollen [1]. Flächenauswahl und Aufbau Für die Anlage von Weiserflächen sollten Waldbestände ausgewählt werden, in denen eine natürliche Verjüngung bereits vorhanden oder potenziell möglich ist. Die vorhandene Naturverjüngung sollte nicht höher als 20 bis 30 Zentimeter sein, um noch einige Jah- re einem möglichen Wildeinfluss ausgesetzt zu sein. In sehr dichten Beständen, bei kon- kurrenzstarker Bodenvegetation oder stand- örtlichen Unbilden (z. B. Steine) ist meist kein Naturverjüngungspotenzial vorhanden. Sol- che Bestände sind für die Anlage von Wei- serflächen nicht geeignet. Damit aussagefä- hige und objektive Beobachtungen möglich sind, bedarf es einer Mindestfläche, auf der vergleichbare Licht- und Standortsverhält- nisse herrschen. Sowohl die vorhandene Ver- jüngung oder Bodenvegetation, als auch das Kronendach des Altbestandes müssen „wie aus einem Guss“ erscheinen [1]. Dabei ist es weni- ger wichtig, ob auf den Flächen überhaupt ein Schirm des Vorbestandes vorhanden ist. Die Flächen sollten nicht zu klein sein, um Rand- effekte zu vermeiden. Nur ein Teil der betrachteten Fläche wird mit einer Rolle Draht (z. B. Knotengeflecht 50 Laufmeter) umschlossen, was als kom- pakte Form ein Quadrat von etwas mehr als 10 x 10 Meter ergibt. Die Form ist aber relativ egal, denn natürlich erfüllen auch runde Wei- serflächen ihren Zweck. Das Knotengeflecht muss die vorkommenden Schalenwildarten zuverlässig abhalten. Es hat sich bewährt, beim Aufbau ein (abschließbares) Tor oder ei- nen Überstieg zu integrieren. Die Zaunpfähle sollten aus beständigem Holz errichtet wer- den (z. B. Eiche oder Lärche). Am preiswertes- ten ist es, wenn die Pfähle im eigenen Wald geworben werden. Stahlpfähle können auch verwendet werden, allerdings wäre es dann sinnvoll, gebrauchte Stahlpfähle – z. B. von abgebauten Kulturzäunen – wiederzuverwen- den. Das hilft Kosten sparen, was im Übrigen auch für das Knotengeflecht gilt, da die Be- ständigkeit dieser Materialien i. d. R. sehr hoch ist. Ein günstiger Zeitpunkt für die Errichtung der Kontrollzäune ist das zeitige Frühjahr. Der Aufbau kann gut in Eigenleistung erfolgen. Drei bis vier Personen benötigen rund einen halben Arbeitstag [2]. Aufnahme und Dokumentation Entscheidend bei der Aufnahme und Doku- mentation der Weiserflächen sind die Trans- parenz und die Akzeptanz bei den Betroffe- nen. Nach der Errichtung der Weiserfläche soll – möglichst gemeinsam mit allen Akteuren – zunächst der Ausgangszustand festgehalten werden. Am besten im Foto und je nach ange- strebter Aussagekraft und Verbindlichkeit auch schriftlich – vielleicht sogar mit Unterschrift der Beteiligten? Die Verjüngungsfläche soll in regelmäßigen Abständen, mindestens alle zwei

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Weiserflächen machen den Wildeinfluss auf die Waldverjüngung sichtbar

Wenn es darum geht, standortsgerechte und auch qualitativ geeignete Waldbestände zu verjüngen, ist die natürliche Verjüngung aus ökologischen und ökonomischen Gründen das Mittel der Wahl. Eine erfolgreiche Naturver-jüngung ist an verschiedene Voraussetzun-gen gebunden, die erfüllt sein müssen, damit aus den Baumsamen tatsächlich die nächste Waldgeneration heranwachsen kann. Neben den Lichtverhältnissen, dem Feuchtigkeitsan-gebot und der Begleitflora ist auch der Wild-bestand ein entscheidender Einflussfaktor. Maßgeblich ist dafür der Bestand an Schalen-wildarten, d. h. Reh-, Rot-, Dam- und Muf-felwild, die durch das Verbeißen, Fegen oder Schälen die Waldverjüngung unmittelbar be-schädigen (Abbildungen 1 und 2).

Abb. 1: Rotwild, Foto: H. Ullrich

Abb. 2: Verbissschaden an Rotbuche, Foto: J. Zocher

Sinn und Zweck

Weiserflächen halten die Schalenwildarten von kleinen, 100 bis 500 Quadratmeter gro-ßen, umzäunten Waldflächen fern. Keimlin-ge werden darin nicht verbissen und können ungehindert aufwachsen. Das Potenzial der natürlich ankommenden Baumarten und die Geschwindigkeit ihres Heranwachsens wer-den sichtbar. Daher werden sie auch Kontroll-zäune genannt. Die im Verlauf mehrerer Jahre erkennbar werdenden Unterschiede zwischen der Entwicklung im Zaun und außerhalb des Zaunes stellen den Einfluss des Wildes dar. Ob dieser Wildeinfluss von den Betroffenen als „Schaden“ wahrgenommen wird, kann an dieser Stelle offen bleiben. Zunächst geht es „nur“ darum, den Wildeinfluss als solchen auch für Menschen ohne forstliche Ausbil-dung sichtbar zu machen.Weiserflächen sind eine objektive Grundlage für eine konstruktive Diskussion und die Suche nach gemeinsamen Lösungen zwischen Wald-besitzern, Forstbetriebsgemeinschaften, Jagd-vorständen, Jägern oder Förstern. Denn auch das sogenannte Wald-Wild-Problem ist in ers-ter Linie ein Problem, das Menschen aufgrund unterschiedlicher Interessen miteinander ha-ben. Bei allen Maßnahmen, die Jagd, Wild und Waldverjüngung betreffen, sollten Waldbesit-zer deshalb versuchen, die Jäger und Jagdvor-stände aktiv einzubinden. Miteinander zu re-den, beispielsweise im Rahmen gemeinsamer Waldbegänge, ist wichtig für ein gegenseiti-ges Problemverständnis. Ein partnerschaftli-ches Vorgehen ist besonders bei der Anlage

von Weiserflächen wichtig, da diese den Dia-log zwischen den Betroffenen anstoßen und fördern sollen [1].

Flächenauswahl und Aufbau

Für die Anlage von Weiserflächen sollten Waldbestände ausgewählt werden, in denen eine natürliche Verjüngung bereits vorhanden oder potenziell möglich ist. Die vorhandene Naturverjüngung sollte nicht höher als 20 bis 30 Zentimeter sein, um noch einige Jah-re einem möglichen Wildeinfluss ausgesetzt zu sein. In sehr dichten Beständen, bei kon-kurrenzstarker Bodenvegetation oder stand-örtlichen Unbilden (z. B. Steine) ist meist kein Naturverjüngungspotenzial vorhanden. Sol-

che Bestände sind für die Anlage von Wei-serflächen nicht geeignet. Damit aussagefä-hige und objektive Beobachtungen möglich sind, bedarf es einer Mindestfläche, auf der vergleichbare Licht- und Standortsverhält-nisse herrschen. Sowohl die vorhandene Ver-jüngung oder Boden vegetation, als auch das Kronendach des Altbestandes müssen „wie aus einem Guss“ erscheinen [1]. Dabei ist es weni-ger wichtig, ob auf den Flächen überhaupt ein Schirm des Vorbestandes vorhanden ist. Die Flächen sollten nicht zu klein sein, um Rand-effekte zu vermeiden.

Nur ein Teil der betrachteten Fläche wird mit einer Rolle Draht (z. B. Knotengeflecht 50 Laufmeter) umschlossen, was als kom-pakte Form ein Quadrat von etwas mehr als 10 x 10 Meter ergibt. Die Form ist aber relativ egal, denn natürlich erfüllen auch runde Wei-serflächen ihren Zweck. Das Knotengeflecht muss die vorkommenden Schalenwildarten zuverlässig abhalten. Es hat sich bewährt, beim Aufbau ein (abschließbares) Tor oder ei-nen Überstieg zu integrieren. Die Zaunpfähle sollten aus beständigem Holz errichtet wer-den (z. B. Eiche oder Lärche). Am preiswertes-ten ist es, wenn die Pfähle im eigenen Wald geworben werden. Stahlpfähle können auch verwendet werden, allerdings wäre es dann sinnvoll, gebrauchte Stahlpfähle – z. B. von abgebauten Kulturzäunen – wiederzuverwen-den. Das hilft Kosten sparen, was im Übrigen auch für das Knotengeflecht gilt, da die Be-ständigkeit dieser Materialien i. d. R. sehr hoch ist. Ein günstiger Zeitpunkt für die Errichtung der Kon trollzäune ist das zeitige Frühjahr. Der Aufbau kann gut in Eigenleistung erfolgen. Drei bis vier Personen benötigen rund einen halben Arbeitstag [2].

Aufnahme und Dokumentation

Entscheidend bei der Aufnahme und Doku-mentation der Weiserflächen sind die Trans-parenz und die Akzeptanz bei den Betroffe-nen. Nach der Errichtung der Weiserfläche soll – möglichst gemeinsam mit allen Akteuren – zunächst der Ausgangszustand festgehalten werden. Am besten im Foto und je nach ange-strebter Aussagekraft und Verbindlichkeit auch schriftlich – vielleicht sogar mit Unterschrift der Beteiligten? Die Verjüngungsfläche soll in regelmäßigen Abständen, mindestens alle zwei

Page 2: Weiserflächen machen den Wildeinfluss auf die Waldverjüngung … · 2020. 7. 8. · pakte Form ein Quadrat von etwas mehr als 100 Meter ergibt. Die Form ist aber relativ x 1 egal,

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Jahre, begutachtet werden. Die regelmäßige Kontrolle der gezäunten Fläche ist auch wich-tig, um sicherzustellen, dass diese wilddicht bleibt [1]. Die Aufnahmen müssen aber keinem forstwissenschaftlichen Anspruch genügen.Praktisch werden der Zustand der Vegetati-on im Zaun und auf einer gleichgroßen Ver-gleichsfläche außerhalb des Zaunes erfasst und gegenübergestellt. Die ungezäunte Ver-gleichsfläche sollte in einem Abstand von mindestens 10 Metern zum Kontrollzaun lie-gen, um mögliche Konzentrationen des Verbis-ses unmittelbar am Zaun auszuschließen. Auf der Vergleichsfläche ist die dauerhafte Markie-rung des Mittelpunktes mit einem Pfahl aus-reichend. Jeweils für den Kontrollzaun und die Vergleichsfläche sollten die vorkommen-den Baumarten, deren Anzahl, die Höhen (hier reicht i. d. R. die Erfassung der 10 höchsten Bäume) sowie ggf. vorhandene Schäden do-kumentiert werden.

Abb. 3: In Kiefernbeständen stellt sich Naturverjüngung bereits frühzeitig nach der Durchforstung ein. Hier können Rotbuchen und Traubeneichen nur im Schutz des Kontrollzaunes wachsen. Foto: A. Schöndube

Der geeignete Zeitpunkt für diese Wiederho-lungsaufnahme ist das Frühjahr, kurz vor dem Laubaustrieb. Bei der Ermittlung der Pflanzen-zahl reicht es aus, nur die ersten 100 Pflan-zen zu zählen. Dies entspricht bereits Ver-jüngungsdichten von 10.000 Bäumchen pro Hektar. Hat die Verjüngung die Höhe des Zau-nes erreicht, sind weitere Erfassungen nicht mehr sinnvoll. Ab diesem Zeitpunkt bestimmt häufig die natürliche Konkurrenz innerhalb der Verjüngung die weitere Entwicklung der Ver-jüngungsdichte und der Bodenvegetation. Der Zaun kann dann auf eine benachbarte Wald-fläche umgesetzt werden.Neben der eingangs erwähnten, gezielten na-türlichen Verjüngung der Waldbestände kön-nen Weiserflächen auch Anhaltspunkte für erforderliche Wildschutzmaßnahmen bei der künstlichen Waldverjüngung liefern. Der Ver-fahrensablauf ist der gleiche wie bei Naturver-jüngungsflächen. Waldbesitzer, die das Risiko

von ungeschützten künstlichen Verjüngungen nicht eingehen wollen, aber unsicher sind, ob ein zwingendes Erfordernis zum Wildschutz besteht, sollten einfach einen kleinen Teil der Kultur nicht einzäunen. Wenn der Wildeinfluss die Verjüngung gefährdet, wird das außerhalb des Zaunes meist sehr schnell sichtbar.

Abb. 4 und 5: Extremes Beispiel (nicht aus Sachsen), aber auch für Laien erkennbar – Laubholznaturverjüngung unter Kiefer, Fotos: T. Hamm

Fazit

Wälder ohne Wildschutzmaßnahmen natür-lich zu verjüngen funktioniert nur, wenn der Wildeinfluss das zulässt. Um hier wirksam eingreifen zu können, müssen Waldbesitzer, Jagdgenossenschaften und Jäger vor Ort mit-einander zusammenarbeiten. Weiserflächen als gemeinsames Projekt können einen Beitrag zur Bewusstseins- und Vertrauensbildung leis-ten und helfen, die Diskussion über den Wild-einfluss auf Waldverjüngung zu versachlichen. Das Engagement lohnt, denn letztendlich geht es um die nächste Waldgeneration.

Quellen

[1] LWF (2013): Wildverbiss auf Weiserflächen beurteilen; Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (Hrsg.), LWF-Merkblatt 25, November 2013

[2] LAF, Hrsg. (o. D.): Modifiziertes Kontrollzaunverfahren; Sächsi-sche Landesanstalt für Forsten (Hrsg.), 19 Seiten.

Heiko Ullrich ist Referatsleiter Privat- und Körperschaftswald, Forstpolitik in

der Oberen Forst- und Jagdbehörde bei Sachsenforst

Sven Martens ist Referent im Referat Waldbau, Waldschutz, Verwaltungsjagd

im Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft bei Sachsenforst