Weiss 04 – Oktober 2012

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WEISS Magazin der Freien Liste No. 04, Oktober 2012 freieliste.li Bei den Reichen oder dem Mittel- stand sparen? Es braucht Entscheidungen, weil Geld nicht mehr vom Himmel fällt.

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Magazin der Freien Liste

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WEISSMagazin der Freien Liste

No. 04, Oktober 2012

freieliste.li

Bei den Reichen oder dem Mittel-stand sparen? Es braucht Entscheidungen, weil Geld nicht mehr vom Himmel fällt.

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04 – Das Leben ist ein Comeback – Ein Flücht-ling, ein Jugendlicher, eine Frau mit einer Depression und ein Designer aus Panama: Sie alle erzählten am Freie Liste Fest, wie sie nach kurzem Torkeln auf beiden Füs-sen gelandet sind.

06 – Alte Sünden und neue Fauna – Ein Biber und acht neue Fischarten: Diese neuen Ansiedelungen sind die Früchte der Rena-turierungen von Schaaner Gewässern.

12 – Im Julei – Stefan Sprenger erzählt vom verhängnisvollen Wahlsonntag im Juli, als das Volk «sein demokratisches Eigentor» enthusiastisch bejubelte.

20 – Wohnen im Alter – Ältere Menschen sol-len so lange wie möglich selbständig leben können, wenn auch mit Unterstützung. Es braucht flexible Wohnmodelle für ältere und mehr wohnortnahe Pflegesatelliten.

31 – Die Politik hinkt der Wirtschaft hinterher – Der Kapitalismus-Kritiker Peter Sutter er-klärt im Inter view, warum die Gesellschaft ungerecht organisiert ist und wo sich die Wirtschaftsgläubigkeit aufzulösen beginnt.

Impressum Herausgeberin Freie Liste, LiechtensteinRedaktion WEISS, Landstrasse 140, FL-9494 Schaan Redaktionsleitung Barbara Jehle, [email protected] Gestaltung Mathias Marxer, Gregor Schneider, Triesen Titelseite Metamoris Druck Gutenberg AG, Schaan Schrift Univers und New Baskerville Papier Bavaria, 90 g/m2, FSC Auflage 18’500 Ex.

Text [email protected]

In Zeiten angespannter Wirtschaftslage melden sich bei der Freien Liste gehäuft Frauen und Männer, die am Arbeitsplatz ausgenützt werden – in finanzieller oder zeitlicher Hinsicht oder beidem. Sie haben ein Anliegen an die Politik. Sie möchten eine faire sowie rechtlich und menschlich einwandfreie Behandlung am Arbeitsplatz. Diese scheint nicht (mehr) überall inklusive zu sein. Das Vertrauen der Betroffenen ist Ausdruck dafür, dass die Freie Liste als unabhängig, frei von Vetterliwirtschaft als Partei wahrgenommen wird, die genau hinschaut und Missstände auf die politische Ebene bringt.

In Liechtenstein geht es mit den einseitig gesetzten Spar-massnahmen derzeit schleichend vor allem dem Mittelstand an den Kragen. Die Mehrheit unserer EinwohnerInnen hat kaum Vermögen, geht täglich ihrer Arbeit nach und schafft für ihre Be-triebe und für ihr Land einen Mehrwert. Dem Mittelstand tun die beschlossenen Sparmassnahmen richtig weh. Sparen, wo’s nicht wehtut wäre aber möglich. Thomas Lageder analysiert in diesem Heft die bisherigen Sparübungen scharf und zeigt neue Einspar-möglichkeiten auf.

Dass es nötig ist, Einzelnen zuzuhören, haben die Gäste des Freie Liste-Fests «Auf beiden Füssen landen» auf berührende Weise erfahren. Fremde haben erzählt, wie es ist, wenn man sich als junger Mensch auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe Gefahren aussetzt und Jahre seines Lebens für eine Zukunft inves-tieren muss. Sie haben berichtet, wie man zwischen Triesenberg und Balzers auf dem Weg zum Triesner Hallenbad verloren gehen kann und überraschend auf Hilfe trifft. Sie haben erfahren, wie Familie und Netze tragen und wie man sich selbst hilft.

Die Menschen sind verschieden, aber alle verdienen gleiche Chancen. Nur mit einer Mindestgarantie auf diese Gleichheit, um die sich die Gesellschaft bemühen muss, macht der Wert Freiheit Sinn. Ohne Gleichheit keine Freiheit, und ohne Freiheit keine Demokratie.

Helen Konzett Bargetze

Den Individuen zuhören

EditorialInhalt

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In vier Monaten wird Liechtenstein einen neuen Landtag und eine neue Regierung haben. Die Parteien – also jene politischen Institutionen, welche gemäss einer jüngs-ten Umfrage am wenigsten Vertrauen ge-niessen, stellen sich mit ihren KandidatIn-nen zur Wahl. Die WählerInnen werden anfangs Februar 2013 die politischen Ver-hältnisse neu festlegen. Noch ist es aber nicht ganz so weit. Zuerst steht eine ganze Reihe gewichtiger Vorlagen der Regierung im Landtag an – wie das dritte Sparpaket zur Sanierung des Finanzhaushalts, eine Revision des Steuergesetzes, die Vorlage zur Trennung von Kirche und Staat, die Abänderung des Gesetzes über die Kran-kenversicherung, ein neues Gesetz über die Errichtung einer Vorsorgeeinrichtung, die Ausfinanzierung der Deckungslücke in der Pensionsversicherung für das Staats-personal sowie die Vorlage zum «Verkauf» der Telecom Liechtenstein AG an die Swisscom, alles Themen, welche unweiger-lich für einen heissen politischen Herbst sorgen. Beinahe alle Vorlagen werden di-rekte, vor allem finanzielle Auswirkungen auf jeden Einwohner Liechtensteins ha-ben.

Im Kern beinhalten die meisten die-ser Vorlagen die Suche nach Lösungen für einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Mit der Budget-Prognose eines Defizits im Staatshaushalt von über 200 Mio. Franken für das Jahr 2013 hat die Regierung die Si-tuation schonungslos offengelegt. Das Pro-blem scheint sich zu akzentuieren, eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Anstehen-de Investitionen wie SZU II, Landesspital oder S-Bahn sind dabei noch gar nicht be-rücksichtigt. Dies alles zeigt: Es geht nicht nur um das Hier und Heute, sondern auch darum, was wir unseren künftigen Genera-tionen hinterlassen.

Raubbau am MittelstandAuch der zukünftige Landtag und die neue Regierung werden sich in erster Linie die-

Text Wolfgang Marxer, [email protected]

Der Wahlkampf ist eröffnet

Politischer Kommentar

mehr als ein Drittel aller parlamentari-schen Vorstösse einbrachte. In einer Selbst-beurteilung darf die Freie Liste ruhig als «Motor im Landtag» bezeichnet werden. Darunter waren so bemerkenswerte Vor-stösse wie die Interpellationen zur «Ver-teilungsgerechtigkeit: Einkommen- und Vermögensverteilung», zur «aktuellen und zukünftigen Zulassungs- und Einwande-rungspolitik» und zu «Liegenschaften – fair besteuern».

Mit der Bekanntgabe der potentiellen RegierungsrätInnen haben die beiden Grossparteien erste Weichen für die Land-tagswahlen 2013 gestellt – paradoxerweise mit den Namen der Regierungsrats-Kandi-datInnen, welche gar nicht zur Wahl ste-hen. Es sind Landtagswahlen, und es geht um die Zusammensetzung der Volksvertre-tung!

Die Freie Liste steht am Abschluss ih-rer Planung der kommenden Wahlen. Dazu gehören letzte KandidatInnen-An-fragen, eine Überarbeitung des Partei-Pro-gramms, das sich bezüglich Klarheit nicht von früheren unterscheiden wird und eine allfällige Nomination von Regierungsrats-KandidatInnen. Dies alles wird bis Ende Oktober abgeschlossen sein. Seit über 25 Jahren bietet die Freie Liste den WählerIn-nen eine Alternative zu den Grosspartei-en. Verfolgen Sie die politische Diskussion in den kommenden Monaten und unter-stützen Sie die KandidatInnen der Freien Liste an den Landtagswahlen 2013.

sen Herausforderungen stellen müssen. Viele der bisher beschlossenen Steuer- und

Sparmassnahmen beinhalteten offen-sichtliche Fehlannahmen, waren unausge-wogen, trafen den Mittelstand überpropor-tional bzw. schonten die Spitzenverdiener sowie die Vermögenden in unserer Gesell-schaft. Sie kamen einer Umverteilung von unten nach oben gleich. Ziel der Freien Liste ist und war es immer, die Belastun-gen für die einzelnen BürgerInnen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder dem Haushalts-Netto-Einkommen anzu-passen und somit sozial gerecht auszuge-stalten. Aber offensichtlich gehen hier die Meinungen auseinander.

Ein «Weiter so» kann es nicht geben. Mehr als je zuvor sind die kommenden Wahlen aufgrund der Situation des Staats-haushaltes Richtungswahlen in dem Sinne, wie Liechtenstein als Gesellschaft die Her-ausforderungen und damit die Zukunft an-geht. Dass die grosse Koalition von VU und FBP die politische Verantwortung für die heutige Situation tragen, lässt sich kaum bestreiten. Jedermann darf sich fragen: Wie kann diese geballte Machtkonzent-ration eine wirksame Kontrolle erhalten? Inwiefern sollen alternative Denk- und Lösungsansätze weiterhin Eingang in die Diskussion finden? Die Freie Liste steht für Kontrolle und Alternativen.

Die kommenden Diskussionen zu den eingangs genannten Problemfeldern wer-den es den WählerInnen ermöglichen, die Unterschiede zwischen den Parteien in ihrer Ausrichtung und in ihrem Willen zu fairen Lösungen zu erkennen.

Die FL – ein Motor im LandtagBezüglich Leistungsausweis braucht die Freie Liste das Licht nicht unter den Schef-fel zu stellen: Parlamentarische Vorstösse sind zwar nur ein Gradmesser dafür. Aber es ist dennoch bemerkenswert, dass die Freie Liste bzw. deren einziger Abgeord-neter in der laufenden Legislaturperiode

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Das Leben ist ein Comeback

Freie Liste Fest

Text Florin Hasler und Sebastian Sele, [email protected] Illustration Luis Landero

Luis Landero ist der Liebe wegen nach Liechtenstein gekommen. Aus Sicht eines Panamaers (das ist tatsächlich der kor-rekte Ausdruck, schlagen Sie es nach) ist hierzulande vieles anders: Im Winter liegt Schnee, Autos haben meist Gangschaltung und Triesen ist nicht die Abkürzung für Triesenberg, weshalb man sich auf der Su-che nach dem Triesner Hallenbad schnell Mal in einer der Haarnadelkurven wieder-finden kann.

Dies und mehr erzählte der Mittzwan-ziger ein wenig schüchtern, aber deswegen nicht weniger unterhaltsam und in bester Stand-up Comedy-Manier. Seinen Auftritt im «Kulturcafé Alte Post» beendete er mit einer Anekdote, in der er Parallelen zwi-schen ihm und einem zum Abschuss frei-gegebenen Bären an der schweizerisch-italienischen Grenze feststellt. Beide sind sie hier fremd und werden aufgrund ihrer Art als – mehr oder minder – bedrohlich eingestuft. Der Bär wird während Lande-ros Besuch in Liechtenstein erschossen. Der stellensuchende Grafikdesigner aber bleibt. Warum? «Immerhin bin ich kein Bär. Für ihn ist es unmöglich, hier zu le-ben, für mich ist es das nicht.»

Und so hat Landero, übrigens quick-lebendig, einige seiner Werke zur Ausstel-lung des Kunstvereins schichtwechsel «Es haut sie hin und her in dieser Welt» beige-steuert. In diesem Rahmen fand auch die-ses Fest statt, dessen Programm, ähnlich der Ausstellung, interessante Persönlich-keiten und deren Lebensgeschichten in den Mittelpunkt stellte. Dabei thematisier-ten die unterschiedlichsten mit Liechten-stein verknüpfte Menschen Rückschläge, die es im Verlauf des Lebens zu erleiden

gibt. Der Fokus lag jedoch stets auf dem Wiederaufstehen und den aus diesen Rückschlägen gezogenen Lehren.

Asyl, bitte!Ein schweres Schicksal erlitt auch Teages Gebrengus aus Eritrea. Er wuchs auf dem Land auf und musste als Zweitältester von elf Geschwistern schon früh Verantwor-tung übernehmen. Später wurde er zum Militärdienst eingezogen und arbeitete als Minenentschärfer im Bürgerkrieg. Nach acht Jahren flüchtete er aus Angst um sein Leben nach Libyen und kam dann auf sehr beschwerlichem, gefahrvollem Weg mit mehreren Zwischenstationen als Asyl-suchender nach Liechtenstein. In seiner neuen Heimat waren die Lebensbedin-gungen zu Beginn durchaus in Ordnung, verschlechterten sich jedoch mit der zu-nehmenden Anzahl an Asylsuchenden. So wohnte er beispielsweise mit mehreren hundert Personen zusammen in einer Zi-vilschutzanlage.

Mittlerweile hat jedoch auch seine Geschichte eine Wendung zum Guten ge-nommen: Er hat eine Arbeitsstelle gefun-den und wohnt nun in einer eigenen Woh-nung. Die Erinnerungen aber bleiben.

Zwischen JUBEL und DepressionNeben diesen zwei bewegenden Beiträgen präsentierte Brian Haas seine Erfahrun-gen und Wünsche zur politischen Partizi-pation von Jugendlichen. Als Mitglied von JUBEL (Jugendbeteiligung Liechtenstein) ist er gerade im Begriff einen Jugendrat auf nationaler Ebene aufzubauen.

Matthias Brüstle vom Liechtensteiner Bündnis gegen Depression erzählte die Ge-

schichte einer fiktiven Person, die an De-pressionen erkrankt ist und verpackte dar-in die Message des Regierungsprogramms: Depressionen können jeden treffen, sind aber auch heilbar. Musikalisch untermalt wurde die Geschichte von Simon Deckert am Piano. Ebenfalls für musikalische Un-terhaltung sorgte die Band Lucy’s Fair, wel-che mit ihrem Mundart-Folk das Publikum – für liechtensteinische Verhältnisse – in Ekstase brachte.

Zum Schluss des Programmteils zeich-nete Georg Kaufmann die Metapher der olympischen Kunstturnerin. Um nun auf die zu Beginn gestellte Frage zurückzu-kommen, will sie, gleich dem Protagonis-ten dieses Artikels, auf beiden Füssen lan-den. Doch wie ein zeitgenössischer Lyriker einst sagte: «Dieser Weg wird kein leichter sein».

Was haben ein Grafikdesigner aus Panama, ein eritreischer Flücht-ling und eine olympische Kunstturnerin gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Doch nach dem Freie Liste Fest «Auf beiden Füssen landen», könnte dem einen oder anderen diesbezüglich ein Lichtlein aufgegangen sein.

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Nach kurzem, aber intensivem Marsch durch blauviolette Kohlköpfe, über denen kleine Schwärme von Kohlweisslingen flat-tern, öffnet sich ein kleines Paradies:

Der Binnenkanal in Schaan plätschert in ein breites Becken, das Wasser spült über die Grasbüschel des flachen Ufers. Graureiher haben dort ein sicheres und abgeschottetes Örtchen gefunden, wo sie gleich zu fünft nach kleinen Fischchen und Wasserinsekten jagen, oder besser – träge darauf warten – bis ihnen etwas vor den Schnabel kommt. Am Himmel kreist ein Mäusebussard und sucht nach Beute.

Vor drei Jahren wurde der Kanal an dieser Stelle aus der künstlich engen Kana-lisierung befreit. Das flache Ufer wäre ein grandioser Picknick-Platz, wäre da nicht der beschwerliche und versteckte Zugang; und würde sich der Gemeinderat nicht vor Lärm und Abfall fürchten, der den Nutzen der Renaturierung für die Natur wieder schmälern würde. Damit diese neu entstandene Landschaften in erster Linie der einheimischen Fauna und Flora die-nen, hat die Gemeinde Schaan diese nicht mit Wegen und Hinweis-Tafeln zugänglich gemacht.

«Die Renaturierungen am Binnen-kanal sind ein voller Erfolg, der Fischbe-stand hat sich in 32 Jahren von vier Arten auf zehn erhöht»», sagt Andreas Heeb. Sein Gesicht leuchtet, wenn er über das breite Bachbett blickt, wo sich ab und zu ein nach Beute springender Fisch blicken

Renaturierungen von Gewässern

liche Teiche angelegt werden. Die Wasser-tiere sind bedroht: «Alle nachgewiesenen einheimischen Fisch- und Krebsarten sind auf der Roten Liste und in unterschiedli-chem Ausmass als gefährdet eingestuft.» Ursache dafür sind die massiven Eingriffe in die Gewässer im letzten Jahrhundert, er-klärt Heeb. «Es ist höchste Zeit geworden, dass den Wasserlebewesen ein bisschen Le-bensraum zurückzugeben wird und die Ar-tenvielfalt in Liechtenstein erhöht werden kann». Die Umwelt-Kommission hat den Kanal in den letzten Jahren an zwei Stellen erweitern lassen: Eine vor drei Jahren ver-anlasste Renaturierung befindet sich hin-ter dem LKW-Umspannwerk, eine andere weiter nördlich. Die letzte Ausweitung soll zusammen mit dem angrenzenden Wäld-chen eine kleine Auenlandschaft prägen. Weil die Anlage noch im Bau ist, haben sich dort bisher noch nicht viele Tiere an-gesiedelt.

lässt. Grund für die neue Vielfalt ist die neue Fliessdynamik, die im natürlich ge-stalteten Bachbett entsteht. Es gibt Stellen mit stärkerer und solche mit schwächerer Strömung. Die Fische finden in dieser Dy-namik wieder Nahrung, Versteckmöglich-keiten und ideale Laichplätze. Der Biolo-ge erklärt, dass die neuen Fischarten vom Rhein herkommend sich im Kanal wieder angesiedelt haben. Seit der Neugestaltung der Kanalmündung in Ruggell können Fische wieder ungehindert zu den Laich-plätzen aufsteigen. Das ist sehr wichtig. Denn durch den Schwall-Sunk-Betrieb der Kraftwerke in Graubünden ist die Fort-pflanzung der Fische im Rhein praktisch unmöglich geworden und deshalb auf die Zubringergewässer beschränkt.

Andreas Heeb hat sich zusammen mit den anderen Mitgliedern der Schaaner Umwelt- und Forstkommission dafür ein-gesetzt, dass Bäche renaturiert und künst-

Alte Sünden und die neue Fauna

Interview Barbara Jehle, [email protected] Fotos Barbara Jehle, Gregor Schneider

Der Fischbestand hat sich von drei auf zehn erhöht.

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Renaturierungen von Gewässern

Hundert Frösche und ein WieselGanz anders die versteckte Teichanlage am Rheindamm. Kurz vor den Bienenkästen, die den Eingang zu den drei Teichen mar-kieren, hüpft ein Wiesel über die Rhein-dammstrasse. Es macht Zickzack-Sprünge und verschwindet wieder im Gebüsch. Bei den Weihern ist es nicht mehr auszuma-chen. Dafür herrscht dort sonst grösstes Gewimmsel. Bienen schwirren mit Libel-len und Schmetterlingen durch die Luft. Die kleine Lichtung bei den drei Weihern ist ein Tummelplatz für Frösche: Gut und gerne hundert Wasserfrösche quaken, hüpfen und schwimmen im grünlich ge-färbten Wasser. Laut Andreas Heeb haben sich hier innert kürzester Zeit viele ver-schiedene Arten angesiedelt. Neben Frö-schen auch Blindschleichen und Eidech-sen, die in Ast- und Steinhaufen Schutz finden, die ebenfalls von der Umweltkom-mission aufgeschüttet worden sind. Auch diese Massnahme war wichtig für die Erhal-tung der Biodiversität. Denn die Amphibi-en und Reptilien haben kontinuierlich an Lebensraum verloren, Feuchtgebiete und Trockenstandorte für diese seltenen Arten-gruppen sind rar geworden. Von den acht ursprünglich in Liechtenstein vorkom-menden Amphibienarten sind fünf akut bedroht und von den sechs einheimischen Reptilienarten erscheinen vier auf der Ro-ten Liste. «Ein Traum wäre natürlich», sagt Heeb lächelnd, «dem Rhein wieder mehr Platz zu lassen, damit wieder grossflächige-re Auenlandschaften entstehen könnten und gebeutelte Artengruppen sich erho-len könnten.» Neben dem Dammbau hat auch die Entwicklung der Landwirtschaft im vergangenen Jahrhundert für ein Ver-schwinden vieler Arten gesorgt: «Früher waren die Betriebe viel kleiner strukturiert und es gab viele Biotope mit Hecken und Feldgehölzen in der Kulturlandschaft», er-klärt Heeb. «Dadurch, dass sich auch die Landwirtschaft an die Massstäbe der Wirt-schaft halten und profitabel sein muss, ist die Landschaft eintöniger geworden.» Mit der Pflanzung von Obstbäumen werde diesem Trend aber wieder ein wenig ent-gegen gewirkt.

Die Strasse, der TierfeindDass grösste Unglück für Fauna und Flora ist die Verbauung der Landschaft durch

der nördlichsten Gemeinde wurden schon vor ein paar Jahren Biber gesichtet. «Das ist schön», sagt Heeb lächelnd «aber es dürften sich nicht alle über den Biber in Schaan freuen, denn der nagt Bäume an und kann sie gar zum Umstürzen bringen, einige Obstbauern könnte das schon ein wenig verärgern.» Heeb und die Umwelt- und die Forstkommission machen aber auch die Spuren von Bibern und Men-schen am Baumbestand wett. Die Kom-mission plant eine Baumpflanzaktion in Zusammenarbeit mit der Primarschule Schaan. Die SchülerInnen werden dem Rietsträssle entlang eine Baumallee pflan-zen und so ein weiteres kleines Puzzle-teil zur Bereicherung der Artenvielfalt in Liechtenstein legen.

Strassen und Gebäude. Aber auch die Ein-schleppung von invasiven Arten ist für die Artenvielfalt ein Problem. Ganz prekär ist die gewaltige Ausbreitung der kanadi-schen Goldrute, die gerade zu dieser Jah-reszeit ein gelbes Meer bildet. Diese Pflan-ze kommt in dichten Beständen vor und verdrängt die einheimischen Arten – zu Heebs grosser Besorgnis: «Wenn nichts un-ternommen wird, verlieren wir viele wert-volle Biotope!»

Die Miene des Biologen erhellt sich aber bald wieder. An der letzten Station entdeckt er Spuren einer Tierart, die lange verschwunden war. Zwischen der Bender-erstrasse und den Eisenbahnschienen in den Feldern versteckt sich der kleine Bach Speckigraben. Hinter wilden Büschen und alten Bäumen verzweigt sich dieser in zwei Arme, in denen das Wasser fast still steht. An den Zweigstellen und dort, wo sich die Arme wieder vereinigen, sieht es auf den ersten Blick nach Kinderwerk, nicht nach Tierspuren aus: Der Bach wurde mit schön aufgeschichteten Ästen gestaut: Bis zu 50 Zentimeter ragt das Konstrukt aus dem Wasser. «Das ist ein Biberdamm» konsta-tiert der Biologe lächelnd. Biber erhöhen den Wasserstand, damit sich der Eingang zu ihrem Bau unterhalb der Wasserober-fläche befindet und damit Schutz vor Feinden bietet. Die Wiederbesiedelung ist eine kleine Sensation, zumindest für Freunde der Artenvielfalt. Es wird vermu-tet, dass sich der Biber von Ruggell her nach Schaan aufgemacht hat und dort seit ungefähr zwei Jahren zufrieden haust. In

Was nach Bachstauung von Kindern aussieht, ist ein Biberbau.

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Energieland Liechtenstein – gemeinsam nachhaltig

Wildpoldsried ist ein 2500 Seelendorf im Allgäu und es ist ein Vorbild in Sachen Energie. Mit einem initiativen Bürgermeis-ter und einem mutigen Gemeinderat hat es in wenigen Jahren geschafft, mehr als den gesamten Energiebedarf der Gemein-de mit erneuerbarer Energie selbst zu pro-duzieren. Seither kann sich die Gemeinde der Besucherströme aus anderen Landes-teilen und aus dem Ausland kaum mehr erwehren. Das Beispiel zeigt, wohin sich Liechtenstein entwickeln kann, wenn die Förderung der Energiestädte konsequent weiterverfolgt wird.

Die Gemeinden haben sich auch in Liechtenstein bei Energiethemen ein Know-how erarbeitet. So fördern sie, allen voran Vaduz und Triesen, schon seit über einem Jahrzehnt Solarstrom, indem sie

Postulat Energieland

sich an den Solarkraftwerken bei der Vadu-zer Rheinbrücke und dem Rheinparksta-dion beteiligt haben. Triesen wurde im Jahr 2008 die erste Energiestadt Liechten-steins, weitere sieben Gemeinden folgten. Dadurch haben sich die Gemeinden zu kleinen Kompetenzzentren in erneuerba-rer Energie und umweltverträglicher Mo-bilität entwickelt. Die GemeinderätInnen setzen sich genauso wie die Energiestadt-verantwortlichen der Gemeinden laufend mit der Frage auseinander: Wie kann der Energieverbrauch gesenkt und wie nach-haltig Energie produziert werden? Denn um das Energiestadtlabel zu erhalten, müs-sen laufend weitere Massnahmen ergriffen werden, um den Weg zu einer 2000-Watt-Gesellschaft zu ebnen. Die Gemeinden fördern beispielsweise den öffentlichen

Verkehr und Velo-Wege, beteiligen sich an ökologischen Kraftwerken oder sparen Strom, in dem nachts die Strassenlaternen abgeschaltet werden. (Siehe Box)

Die Freie Liste Gemeinderäte Patrick Risch und René Hasler haben eine Vision, welche die Erfolge der Energiestädte noch grösser werden lassen würden: Sie wollen die Gemeinden und den Staat zu einer Ko-operation für das «Energieland Liechten-stein» zusammenführen. Gemeinsam mit Claudia Heeb und dem Landtagsabgeord-neten Pepo Frick haben sie das Postulat «Energieland Liechtenstein» ausgearbeitet.

Wissensaustausch und UnterstützungMit der Idee soll das grosse Wissen zum Thema Energie zwischen allen zwölf Ge-meinden und dem Staat ausgetauscht wer-

Zwei Gemeinderäte der Freien Liste wollen das Land in Kooperation mit den Gemeinden zum ersten «Energieland» machen: Dies würde ein Plus an Lebensqualität und ein Coup für ein Standortmarketing bedeuten.

Text Barbara Jehle, [email protected] Foto Freie Liste

Patrick Risch und René Hasler fordern ein Energieland Liechtenstein.

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Die Energiestädte

Das «Energiestadt-Label» wurde in der Schweiz entwickelt, die Mitgliedschaft wächst ständig. Heute leben in der Schweiz und in Liechtenstein bereits 4 Millionen Menschen in Energiestädten. Die Gemeinden haben sich unter anderen durch folgende Massnahmen um das Energiestadtlabel beworben.

Planken: Strassenlaternen nachts ausschalten; Holzschnitzelnäh- wärmenetz für alle Gebäude Vaduz: Hohe Beteiligung an

Solarstromanlagen Balzers: Nutzung von Fernwärme

für 38 Prozent der Gebäude Eschen: Hackschnitzelfeuerung in

der Primarschule Eschen Mauren: Förderung des

Velo-Netzes Ruggell: Nutzung von Ökostrom

Natur-Plus für öffentliche Gebäude; Überdurchschnittliche Solardichte Schaan: Stromversorgung des

Gemeindebetriebs mit Dampf aus zwei Industriebetrieben Triesen: Gemeindebeteiligung

am Kleinwasserkraftwerk Letzana, durch das «nature made» Strom gewonnen wird

Postulat Energieland

den. Der Staat kann so vom Wissensvor-sprung der Gemeinden profitieren und soll sich an neuen Projekten finanziell be-teiligen. Aber auch Gesetze müssen ange-passt werden, damit die Energiestädte ein-facher zielführende Massnahmen fassen. Dafür müssten auch die Gemeinden, die noch daran arbeiten, das Label zu errei-chen, Energiestädte werden. Wenn alle im «Energieland» zusammenspannen, wird es für die einzelnen Gemeinden einfacher und kostengünstiger, dieses Label auf-recht zu erhalten. Die Gemeinden erhal-ten mehr Pluspunkte für ihr Label, wenn sie gemeindeübergreifende Massnahmen entwickeln. Sie verfügen dadurch auch über einen gemeinsamen Ideenpool. Der Staat könnte es übernehmen, den Wis-senstransfer zwischen den Gemeinden und zwischen Staat und Gemeinden zu fördern. Er würde somit das grösste Er-folgsmodell in Energiearbeit, das Liech-tenstein kennt, unterstützen. Profitieren kann er nicht nur durch das Wissen der Gemeinden, sondern auch von der gros-sen Dynamik und Motivation der Gemein-derätInnen.

Nicht zuletzt wäre das «Energieland»-Label ein Beitrag für ein gewieftes Stand-ortmarketing. Liechtenstein wäre das weltweit erste Land, in dem alle «Städte» an einem Strick ziehen und sich zur einer nachhaltigen Nutzung von Ressourcen be-kennen. Überzeugt die Vision den Land-tag, kann Liechtenstein vielleicht schon bald zu einem zweiten Wildpoldsried wer-den, oder das Interesse an diesem Dorf sogar übertreffen.

Der Schellenberger Gemeinderat Pa-trick Risch möchte die Vision nicht so ver-standen wissen, dass die Gemeinden ihre Autonomie aufgeben: «Die Gemeinden und das Land könnten gemeinsam Akti-onen erarbeiten, es ist aber nicht so ge-dacht, dass die Gemeinden ihren eigenen Handlungsspielraum aufgeben. Individu-elle, auf einzelne Gemeinden zugeschnit-tene Massnahmen bleiben sinnvoll.»

Die FL-Gemeinderäte sind WegbereiterDie Freie Liste hat schon vor 15 Jahren ei-nen entscheidenden Impuls zur Förderung von erneuerbaren Energien gegeben. Die beiden ehemaligen Freie-Liste-Gemeinde-räte Helmuth Marxer und Helmuth Kind-le haben in Vaduz und Triesen den Antrag gestellt, die Landesbeiträge zu verdoppeln: Seither sind unzählige Solaranlagen ge-baut und viele Häuser energetisch saniert worden. Im vergangenen Jahr waren es wieder Freie-Liste-GemeinderätInnen, die von sich hören liessen: Sie haben gemein-deüberspannend für ihre Gemeinden die Gründung von Solargenossenschaften ge-fordert. Für René Hasler ist es nun an der Zeit für einen noch grösseren Schritt: «Es wird Zeit, Synergien zu nutzen und den Staat miteinzubeziehen. Von Kooperatio-nen können alle profitieren.» Andrea Matt von der Liechtensteiner Gesellschaft für Umweltschutz (LGU) ist auch überzeugt davon, dass gerade von den Gemeinden eine sehr positive Dynamik ausgeht, die das Land «mitziehen» könnte. Die Forde-rung eines Energielandes Liechtenstein ist auch auf dem Positionspapier der LGU vertreten. Andrea Matt erhofft sich, dass die Kooperation dazu beiträgt, dass den Gemeinden in den anspruchsvollen Zielen für das Label «nicht die Puste ausgeht». Der Weg zu einer 2000-Watt-Gesellschaft kann ihrer Ansicht nach am besten durch kleine verbindliche Etappenziele und Ko-operationen gemeistert werden. Profitie-ren können alle Schritt für Schritt, denn die Lebensqualität in Liechtenstein steigt mit jeder umgesetzten Massnahme.

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PrologEin einziges Mal hatte sich der Delikates-senhändler versprochen, hatte mitten im Satz ein wenig gestockt und dann «Stabili-ti-tät» gesagt, das bereits stattliche Wort mit einem vierten t armiert, vielleicht des-halb auch kein Versprecher, sondern mehr ein Ausdruck der enormen Bedeutung, die das Wort für ihn haben musste. Sein Videovotum lief ansonsten flüssig: Er ver-glich den Staat mit einem Unternehmen, gab der Regierung die Rolle der Geschäfts-leitung und Fürst & Erbprinz die des Ver-waltungsrates, der auch einmal «Nein!» sa-gen können müsse, liefe die Entwicklung zu schnell oder falsch ab. Die Partnerschaft mit dem Fürstenhaus bedeute Stabili-ti-tät für Liechtenstein, und deshalb werde er die Vetoinitiative ablehnen und ein Nein einlegen. Er schloss seinen Beitrag mit ei-nem bescheidenen und sehr umgänglich wirkenden «Mini Määnig.» und liess so, im Unterschied zu einigen anderen Videobei-trägen auf der Webseite der IG «Wir sind Liechtenstein», auch den Befürwortern der Vetoinitiative, die am ersten Juliwo-chenende 2012 zur Abstimmung kommen würde, ein wenig Raum.

Zu sagen wäre, dass die von ihm ver-wendete Analogie von Staat und Unter-nehmen ihren Urheber im dreizehnten Fürsten von Liechtenstein Hans Adam II. hat, die detaillierte Ausdeutung der Ana-logie hingegen als Leistung des Videovo-tanten zu werten ist. Weder Fürst noch Delikatessenhändler führen den Vergleich Richtung Volk weiter; ihm käme in dieser Analogie vermutlich ein seltsames Rollena-

Essay

schen als auch verunsicherten religiösen bricolage, die sich mit Errichtung des Erz-bistums auch in Liechtenstein breit ge-macht hatte: Die Mutter kritisch-gläubige, nicht praktizierende Katholikin, der Vater bekennender, aber undogmatischer Athe-ist mit nicht gekündigter Kirchenmitglied-schaft, der Götti anno Haas aus der Kirche ausgetreten und in einer anderen Religion unterwegs, der zehnjährige Täufling mit Wohlgefühl und munter im evangelischen Konfirmantenunterricht, weil ihm die El-tern die HölleTodundTeufel-Theologie der Haas-Kaplane ersparen wollten. Im Gespräch war den beteiligten Erwachse-nen bewusst, dass die Zeiten der einfachen Gewissheiten beendet waren; das erleich-terte eine Verständigung.

Nach der Taufmesse fuhr man zum Es-sen ins Vorarlbergische und wartete dort auf der Terrasse, während im Restaurant kurzfristig umgedeckt wurde. In den frisch

malgam aus Kunde, Arbeitnehmer und Eigner zu.

Zu sagen wäre weiter, dass die Vokabel der «Partnerschaft» ihren Ursprung in der Werbestrategie der fürstlichen Bank LGT hat, die mit dem Slogan «Partnerschaft für Generationen» Kunden für ihr Private Banking zu gewinnen trachtet. Dass sich sein Finanzinstitut und seine Monarchie mit den gleichen Worten bewerben lassen, dürfte den als sparsam bekannten Fürsten gefreut haben.

1. TaufeAm Morgen des Abstimmungssonntags liess sich der Göttibub in der Evangeli-schen Kirche Ebenholz taufen. Die vor-bereitenden Gespräche mit der Pastorin waren nicht ohne Irritationen abgelaufen, denn die konfessionelle Konstellation der Beteiligten war alles andere als eindeutig, entsprach vielmehr der sowohl pragmati-

Ein Sonntag im Julei Text Stefan Sprenger, [email protected] Illustration Jürgen Schremser

«Partnerschaft» – LGT und Monarchie lassen sich mit gleichen Worten bewerben.

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Essay

gemähten und feuchten Wiesen um das Haus glommen Katzen wie kleine, dichte Flurgottheiten. Sie sassen weit auseinan-der und alle still, nicht auf Lauer, sondern im Geländegebet - so jedenfalls übersetzte ich in Ermangelung eines besseres Wortes ihre konzentrierte und ins Unsichtbare gehende Aufmerksamkeit. Um die Zeit für die Taufgesellschaft bis zum Essen zu überbrücken, präsentierten die Paten dem Buben die Taufgeschenke, vom Götti die Uhr mit Stoppfunktion (wasserdicht bis 30 m Tiefe - das war, so im Vorgespräch mit der Mutter eruiert, wichtig), die den Buben, kaum trug er das anthrazitfarbene Gehäuse am Handgelenk, in einen jungen Mann von etwa 25 Jahren verwandelte, ein seltsamer und eigenartiger Zeitzauber des Chronometers, der sowohl den Buben als auch die Umstehenden verblüffte, und ei-nen flüchtigen Schatten aus Melancholie und einem Quäntchen Schuld durch mich wandern liess, weil die Uhr damit in einem gewissen Sinn die Kindheit des Bubens durchstossen und ihn kurz ins Erwachse-ne versetzt hatte. Auch die Gotta hatte sich im Vorfeld mit der Mutter abgesprochen: Der vom Buben seit langem gewünsch-te und sich nun unerwartet einfindende iPod touch machte ihn für einen sehr langen Moment sprachlos; dann schien in ihm ein Licht aufzukeimen und sich in ein Freudeleuchten auszuwachsen, das noch mehrere Stunden anhalten würde. Wir Er-wachsenen verkosteten den lauteren See-lenschein, das Gegengeschenk des Buben, mit Andacht und ebenfalls wortlos. Die kleine Kachel aus Glas, Metall und Elektro-nik bedeutete nicht nur das Portal zu den Spielwiesen der digitalen Gemeinschaft, in die er damit aufgenommen war wie am Morgen in die Christenheit, sondern war auch eine Vertrauenserklärung der El-tern: Sie befanden ihn, frisch getauft, reif für das Stück Freiheit und Gefahr in sei-ner Hand; auch das war ein Grund seiner Freude.

Zum Dessert kam der Anruf: In Liech-tenstein waren die Stimmen ausgezählt, die Vetoinitiative mehr als wuchtig, gera-dezu absolut verworfen. Man stellte sich an die Terrassenbrüstung - der Himmel überzogen, die Katzen verschwunden - und fragte sich, wie das Abstimmungs-resultat zu deuten wäre. Als Bekundung

könne, weil - und an dieser Stelle begann nach dem von einem triumphierenden Grinsen begleiteten Ausbruch das einge-übte Monarchensprechprogramm wieder zu rattern - die Initiative gegen duale Part-nerschaft gerichtet gewesen und ähnliches Bla. Mit dieser unverblümt unversöhnli-chen Antwort schien das stellvertretende Staatsoberhaupt nun wiederum die Tages-schaujournalistin Engbersen verblüfft zu haben, denn ihre nächsten Fragen kamen eigenartig ruckelnd, so als behindere ein innerer und andauernder Widerstreit zwi-schen der erwarteten und der tatsächlich erhaltenen Antwort die branchenübliche Geschmeidigkeit.

Frau Engbersen hatte ihre Frage ge-mäss eidgenössischem Brauch gestellt, nach dem der Sieger Abstimmungswogen glättet, indem er Verständnis für das An-liegen der Gegner zeigt, den Einsatz bei-der Seiten würdigt und so den im Abstim-mungskampf entzweiten Souverän wieder mit sich vereint - ein in der Schweiz selbst-verständlicher und routinierter Vorgang, dem die Journalistin mit ihrer Frage zuge-dient hatte, vermutlich in der Annahme, die politische Kultur Liechtensteins würde sich in dieser Sache kaum von der Eidge-nossenschaft unterscheiden. Sie erlebte, wie bereits erwähnt, ihr kleines blaublüti-ges Wunder.

Die kurze und gegenseitige Verunsiche-rung der Interviewpartner war nur in der «kleinen» Ausgabe der Schweizer Tages-schau um 18 Uhr zu sehen; im ansonsten unveränderten Beitrag für die Hauptsen-dung um 19 Uhr 30 ersetzte eine Sequenz mit Hans Adam II das Kurzgespräch mit

des Unwillens, sich wieder oder weiter mit Verfassungsfragen zu beschäftigten? Als Blankocheck für fürstliche Präventiv-Ve-tos? Oder drückte sich in der Ablehnung der Vetoinitiative der Wunsch aus, das Ge-wohnte und Bekannte erhalten zu wissen, egal zu welchem Preis? Wie hingegen Fürst und Stellvertreter das Resultat nicht nur interpretieren, sondern gebrauchen wür-den, bedurfte keiner Deutung.

Zu sagen wäre noch, dass das Taufessen gedämpft endete. Befriedigt äusserte sich einzig die Grossmutter des Täuflings: Sie habe ein Jahrzehnt gebetet, dass ihrem Enkel das Sakrament der Taufe gespendet werden möge. Für die richtige, nämlich katholische Taufe werde sie allerdings am Rosenkranz bleiben müssen, aber auch das werde noch gelingen.

2. TagesschauAm späten Nachmittag desselben Sonntags erlebte die Schweizer Fernsehjournalistin Henriette Engbersen in der Fürstlichen Hofkellerei im liechtensteinischen Vaduz ein kleines blaues Wunder. Sie stellte dem vom mehrmaligen Absingen der Landes-hymne bereits leicht angeröteten Erbprin-zen Alois von und zu Liechtenstein vor lau-fender Kamera die Frage, ob Durchlaucht nach diesem überwältigenden Abstim-mungsresultat zu seinen Gunsten Verständ-nis für das Anliegen der Veto-Initianten habe. Herr Liechtenstein junior hatte of-fensichtlich mit dieser Frage nicht gerech-net, denn er runzelte Stirn und Brauen und gab nach kurzer Besinnung ungewöhnlich heftig zur Antwort, dass, Nein!, er nicht das geringste Verständnis dafür aufbringen

Unwillen, sich wieder und weiter mit der Verfassung zu beschäftigen?

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seinem ältesten Sohn: Frau Engbersen lei-tete das Interview mit dem sogenannten Landesfürsten ein mit dem Satz, die Fürs-tenfamilie habe gedroht, sich politisch zu-rückzuziehen, wenn ihre Rechte beschnit-ten würden, das habe man angekündigt, «Hat das genützt?». «Ja», antwortete der Fürst, «das hat sicher auch genützt.» Im Unterschied zum Erbprinzen äusserte er das mit verbindlichem Gesichtsausdruck und wählte dann für die nächsten Sätze des Monarchensprechprogramms die Mie-ne eines erleichterten, vom möglichen, nun abgewendeten Schaden aber immer noch bekümmerten Hausvaters.

Ob es der höhere mediale Stellenwert des Fürsten war, der die SRG-Redakteure zum Umschneiden des Beitrags für die Hauptausgabe bewogen hatte, kann nur vermutet werden. Anzunehmen ist, dass die geradezu gleichgültige Beiläufigkeit, mit der der Fürst von Liechtenstein die Aus- oder Rückzugsdrohung seines Hauses als den längsten Machthebel in der liech-tensteinischen Politik bestätigt hatte, für eidgenössische Ohren ungewöhnlich und deshalb interessant klingen musste.

Zu sagen wäre noch, dass des Fürsten Triumphgeste bereits beim Eintreffen bei der Hofkellerei vorgeführt worden war: ein Herrschergrinsen, zwei erhobene Dau-men. Die ordinäre Geste bekam an diesem Tag eine zweite Bedeutung: Herr Liech-tenstein senior hob als Souverän Fürst auch den Daumen für den Souverän Volk. Deutlicher liesse sich nicht signalisieren, wie sehr sich der eine Souverän den an-dern einverleibt hatte.

Zu sagen wäre weiter noch, dass die fürstlichen Herrschaften ohne Damenbe-gleitung zur Siegesfeier erschienen waren, anders als beim Familienauftritt anlässlich des Manifests der IG «Wir sind Liechten-stein» am 9. Juni in Schaan. In der Hof-kellerei nahm nicht die Familie, sondern der Herrscher und sein Stellvertreter die Gratulationen entgegen. Das Volk bejubel-te sein demokratisches Eigentor mit En-thusiasmus.

3. TitelVon Fussball weiss ich wenig und interes-siere mich selten dafür. Diesen Sommer hatte ich dennoch die Spiele der EM in Polen und der Ukraine verfolgt, weil so

vieles so seltsam geworden war - das Wetter, die Wirtschaft, das Geld - und ich ein gros-ses Bedürfnis nach Normalität spürte, be-sonders abends. So kamen die EM-Spiele genau richtig, denn zweiundzwanzig Män-ner, zwei Tore und ein Ball auf einem Ra-senfeld waren einigermassen überblickbar und boten dennoch genügend Spektakel, besonders an diesem Sonntag, besonders nach jener Tagesschau.

Im Finale der EM trafen an diesem Abend mit Italien und Spanien nicht nur

zwei grosse Mannschaften, sondern auch zwei Prinzipien aufeinander. Da war die Squadra Azzura, die ihr Spiel in drei ausge-feilte Segmente teilte - eine undurchlässige Verteidigung, ein ausgefuchstes Mittelfeld, das die Bälle nach vorne brachte und ver-teilte, und die Sturmspitzen Cassano und Balotelli, die, wenn angestachelt oder bei Laune, Tore schossen, als hätte Gott per-sönlich ihnen die Fussballschuhe geküsst.

Auf der anderen Seite gab es das Pass-spiel der Spanier, das ein einheitliches Netz über das Feld legte, in dem sie und der Ball vor und zurück, nach links und nach rechts flossen und in dem jeder fast alles konnte, verteidigen, zupassen und einlo-chen. Dass jeder Spanier geradezu blind zu wissen schien, wo seine Kollegen wann und wo durchlaufen würden, faszinierte mich: Ihr Spiel war sowohl unerschütter-lich ruhig als auch, wenn nicht rein defen-siv angelegt, schön wie ein Schwarm Stare, die vor dem Einnachten ihre fliessenden Choreografien an den Himmel zaubern.

Das Volk bejubelte sein demokratisches Eigentor mit Enthusiasmus.

Das Netz der Spanier produzierte die Tore mit grosser Natürlichkeit und wenig Ag-gression, während die beiden italienischen Diven jeweils «explodieren» mussten, um die Vor- und Zuarbeit ihrer Mannschaft in Zähler zu verwandeln.

Das Finale, das um 21 Uhr in Kiev an-gepiffen wurde, würde allerdings nicht nur den Europameister, sondern auch den Torschützenkönig bestimmen: Mehrere Spieler hatten im Turnierverlauf drei Tore geschossen, etwa der Deutsche Gomez, der

Essay

portugiesische Pfau Ronaldo und natür-lich Balotelli, der sich, mit einem Treffer im Finale, nicht nur als archaischer Mus-kelposeur, sondern auch als bester Spieler der EM würde feiern lassen können.

Aber die Azzuri taten an diesem Abend keinen Stich: Die Spanier zirkelten zwi-schen ihnen durch, als schnurrte ihr «Ti-ki-Taka»-Uhrwerk in einer Dimension ab, zu der die Italiener keinen Zugang hatten und einen «Topf» nach dem anderen kas-sierten, bis es 3:0 stand, ein jedes der Tore von einem anderen Spanier erzielt.

Das von Torres in der 84. Minute rück-te auch ihn in die Kategorie der Dreier-Scorer vor und machte ihn so ebenfalls zum Anwärter auf den Torschützenkönig. Tatsächlich fand sich der agile Spanier knappe drei Minuten später wieder im Strafraum der inzwischen desorganisier-ten und einbrechenden italienischen Squadra und hätte vermutlich sein viertes Tor und damit die Ehre des Turnierkö-nigs errungen, Torres aber passt in jenem

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Moment der absoluten Versuchung - die Versuchung, von der versammelten euro-päischen Fussballwelt als der Allerbeste gehuldigt zu werden - nach rechts und legt dem eben eingewechselten Mata vor, der auch prompt das 4:0 realisiert.

In jenem Moment verstand ich, dass das Passspiel der Spanier nicht eine ausge-tüftelte Variante des Ballbesitzes war, son-dern aus einer Lebenshaltung resultierte, die die grosse Kraft des Gemeinsamen dem Spitzenkult der Stars vorzog. Dass die spanischen Spieler nach dem Sieg mit ih-ren Kindern über den Rasen spazierten, hiess auch, dass es ohne die Familien, die Frauen und Kinder nicht möglich gewe-sen wäre, so ausgeglichen und angstlos zu spielen, mehr noch, dass die Familien, die Frauen und Kinder diesen Titel ebenso ge-wonnen hatten wie die Spieler selbst.

Zu sagen wäre, dass an jenem ersten Julisonntag 2012, an dem sich das liech-tensteinische Volk erneut für den politi-schen Spitzenkult entschieden hatte, und sich Fürst und Erbprinz als die politischen Topscorer der Nation in der Hofkellerei feiern liessen, das spanische Fussballnati-onalteam europaweit und erfolgreich be-weisen konnte, dass die Kraft nicht in der Macht, sondern in der Gruppe wurzelt.

EpilogIn einer der Folgenächte gab ein Unbe-kannter den vielleicht umfassendsten Kommentar zum Abstimmungsergebnis in Liechtenstein ab, in Form eines am Warnzeichen «Achtung Radioaktivität» orientierten Piktogramms, das statt des strahlenden Atomkerns eine giftig strah-lende Fürstenkrone zeigte. Es gibt mehre-re Gründe, diese an den Balzner Landes-grenzen auf den Strassenbelag gesprayte Arbeit für das wahre Logo dieses Landes zu halten.

Zum einen warnt das Piktogramm vor der akuten Gefahr, in der sich der Dua-lismus nun befindet. Zum Zweiten bringt das Zeichen auf den Punkt, was den Staat Liechtenstein vergiftet und verseucht: der Entwurf der Monarchie als unberührbares und spurloses Machtzentrum. Als Drittes macht seine Platzierung an den Landes-grenzen klar, wie sehr diese Interpretati-on der Monarchie uns von der demokra-tischen Kultur der Schweiz und Europas

Die Rückkehr des liech-tensteinischen Menschen in die selbstverschuldete Unmündigkeit.

trennt und in einen politischen Sonderfall sondergleichen stürzt: Der Dualismus wird mit der sich abzeichnenden Verfassungs-wirklichkeit nicht mehr als ein Etikette an der Labortüre sein, hinter der Fürst und Erbprinz ungestört ihr Stäätchen köcheln. Sie tun das unberührbar, weil die Ausein-andersetzung um und mit der fürstlichen Macht nur stellvertretend mit Parteien oder Gruppierungen wie der IG «Wir sind Liechtenstein» geführt werden kann, nicht jedoch mit dem Fürstenhaus selbst. Jenes hat lediglich sein «Njet» plus Aus-zugs-, Wegzugs- oder Rückzugsdrohung zu signalisieren und die Vokabeln und Meta-phern vorzustanzen, damit die Kampagne steht; die Drecksarbeit wird inzwischen fast zur Gänze vom Fussvolk gemacht, das sich zur Rettung der Heimat aufgerufen glaubt und nicht wahrhaben will, für was für eine despotische Interpretation der Monarchie es sich in die Bresche wirft.

Das fürstliche Machtzentrum wird auch spurlos werden, weil die Praxis des präventiven Vetos zu einer Kabinettspoli-tik führt, im Rahmen derer die staatliche und politische Agenda unter Ausschluss der Öffentlichkeit fürstentauglich berei-nigt werden kann, und allfällige Konflikte, die es zwischen einer Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert und einer 800-jährigen Adelsfamilie naturgemäss geben muss, im Sinne des Fürstenhauses bereits im Vor-feld erstickt werden können.

Die Balzner Piktogramme werden der Landespolizei gemeldet, die zuerst abzuklären hat, um welchen Tatbestand es sich hier handeln könnte. Gleichzeitig bittet das Liechtensteiner Vaterland, das einen kurzen Artikel dazu veröffentlicht, seine Leserschaft um Hinweise, wer für die Strassensprayereien und die zeitgleich auf Burg Gutenberg gehissten schwarzgelben Signalflaggen verantwortlich sein könn-te. Tatsächlich teilt ein Leser der Zeitung noch am selben Tag mit, dass er sowohl den Flaggenhisser als auch dessen Motiv kenne, nämlich Protest gegen das Abstim-mungsresultat. Die Polizei entscheidet im Hinblick auf die Monarchiewarnschilder und nach Rücksprache mit der Staatsan-waltschaft auf Sachbeschädigung und er-öffnet Ermittlungen gegen Unbekannt. Das Tiefbauamt erhält den Auftrag, die Piktogramme zu entfernen und übermalt sie grossflächig mit schwarzer Farbe.

Zu sagen wäre, dass der Staat neuester liechtensteinischer Prägung eine verkappt despotische Monarchie ist, die die Demo-kratie als Legitimationsritual missbraucht für das Biegen und Brechen der Verfas-sungswirklichkeit zugunsten des Fürsten.

Weiter und abschliessend ist zu sagen, dass es für die Rückkehr des liechtensteini-schen Menschen in die selbstverschuldete Unmündigkeit keine Entschuldigung gibt, weder vor den Vor-, noch den Nachfahren, am allerwenigsten vor uns selbst.

Essay

18 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12

«Kultur ist ein Gesellschaftskitt»

WEISS René, wie gross schätzt du die Chan-cen ein, dass die Petition zur Neunutzung des PAV-Gebäudes erfolgreich ist?

René Hasler Mit der Petition verfol-gen Renate Feger und ich die Idee, «PAV – Raum für Kultur» zur Diskussion zu bringen. Nun haben wir die Möglichkeit erhalten, das Projekt anhand eines Fragen-katalogs dem Gemeinderat von Vaduz vor-zustellen. In Konkurrenz zu uns steht die «Sports-Factory». Sie möchten das PAV-Ge-bäude zum grössten Teil abreissen und mit einer Sportnutzung überbauen. Ich denke unser Projekt hat gute Chancen.

Was bringt diese kulturelle Neunutzung der Bevölkerung?

In erster Linie geht es darum, der Kul-turarbeit Raum zu geben und es geht dar-um, das Zusammenleben, das Zusammen-treffen von Leuten zu fördern. Kultur ist auch ein Gesellschaftskitt, der verschiede-ne Leute aus verschiedenen Generationen und Gesellschaftsschichten zusammen-bringt. Ob sie miteinander ein Theater besuchen oder im Foyer etwas zusammen trinken, ob sie im Gesangsverein oder in derselben Band Musik machen, ist egal.

Interview

Wie kamst du auf die Idee, einen Raum für Kultur in einer Industriehalle anzuregen?

So eine Halle bietet sich einfach an. Viele Kulturräume sind in alten Indust-riehallen untergebracht. Ich habe einige besichtigt und die Erfahrungen in unser Projekt einfliessen lassen. Schon vor eini-gen Jahren, als es um die Umnutzung der Spoerry-Halle in Vaduz ging, wollte eine Projektgruppe, der ich angehörte, einen Kulturraum schaffen. Es wäre eine vertane Chance, wenn wir es nicht nochmals versu-chen würden. Es braucht ein bisschen Mut, Wertschätzung am Gebäude und an Kultur – und natürlich Geld. Das PAV-Gebäude ist auch ein industriege-schichtlich interessantes Gebäude. Will die Projektgruppe auch schlicht die Halle vor dem Abbruch bewahren?

Ein altes Gebäude hat ein gewisses Flair, es ist nicht so proper und genau das ist der Punkt. Es soll dort etwas Lebendiges entste-hen, das man verändern kann. Menschen sollen dort experimentieren können. Du möchtest also nicht, dass das Gebäude to-tal saniert wird?

Nein. Ich bin überzeugt, dass ein Gross-teil der Investitionen nur in die Wärme- und Schallschutzisolationen gehen sollen, schon aus Rücksicht auf die AnwohnerIn-nen. Hast du damit gerechnet, dass sich Anwoh-nerInnen gegen die kulturelle Neunutzung formieren?

Ja, aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Ich habe gedacht, dass sie uns zuerst Zeit las-sen, um der Sache Substanz zu geben. Wir haben jetzt erst eine Arbeitsgruppe gebil-det und sind dabei, offene Fragen zu beant-worten. Die GegnerInnen fragen, warum ein Kultur-raum nicht ins Zentrum verlagert wird.

Die Antwort darauf ist ganz einfach. Der Raum der PAV steht zur Verfügung, im Städtle bietet sich kein solches Raumvo-lumen an. Wenn man so einen Raum neu baut, dann sprechen wir von höheren Mil-lionenbeträgen.

Was erwartest du von der Gemeinde?Ich wünsche mir, dass die Gemeinde

Vaduz das Kind «PAV – Raum für Kultur» möglichst gut ausstattet. Ihm dann noch eine Vitaminspritze verpasst und es dann in die Selbständigkeit entlässt.

Könnt ihr Petitionäre euch vorstellen, noch andere politische Instrumente zu nutzen?

Natürlich könnten wir noch den Weg einer Initiative beschreiten, dieser müsste dann aber von mehreren InitiantInnen ge-tragen werden. Jetzt werden wir aber erst unsere Arbeit machen und schauen, wie sich das Projekt entwickelt , dann entschei-den wir.

Herzlichen Dank für das interessante Ge-spräch Herr Hasler.

Mehr Infos auf der Webseite: www.pav-projekt.li

Text Barbara Jehle, [email protected] Foto Mathias Marxer Est.

WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12 – 19

Kommt da noch was?

Die geplante Gesetzesänderung im Kran-kenversicherungsgesetz (KVG) gehört zum zweiten Sparpaket der Sanierung des Finanzhaushaltes. Diese Sparmassnahme wird alle betreffen. Im März 2012 fand im Landtag eine Eintretensdebatte und die 1. Lesung statt. Die endgültige 2. Lesung ist noch vor Jahresende geplant.

In der Eintretensdebatte gab die FBP eine Fraktionserklärung ab, in der die Vorlage zu Recht kritisiert wurde. Der Koalitionspartner rügt, dass mit diesen Vorschlägen einseitig die PatientInnen zur Kasse gebeten werden, während Leis-tungserbringerInnen wie ÄrztInnen und Laboratorien nicht tangiert würden. Bei verschiedenen Abgeordneten stossen fol-gende geplante Massnahmen auf Skepsis: Die Aufhebung der Kostenbeteiligung für Chronisch-Kranke und der Ausbau des bisherigen Prämienverbilligungs-Systems. So werden Alleinstende mit einem Jahres-einkommen bis zu 65‘000 Franken und Verheiratete mit einem Jahreseinkommen bis zu 78’000 Franken in den Genuss von Prämienverbilligungen kommen. Neu sol-len also rund ein Drittel aller Versicherten eine Verbilligungen erhalten, bisher waren es 15 Prozent.

Statt zu sparen, werden Kosten umgelagertIm Landtag wurde nach Vergleichen mit ausländischen Systemen verlangt. Die Re-gierung wurde aufgefordert, aufzeigen, ob, bzw. wann auf Basis des Gesundheitsbe-richts 2010 noch weitere Sparmassnahmen im Gesundheitswesen folgen, so dass der Gesamtrahmen der geplanten Kostenein-sparung im Gesundheitsbereich ersicht-lich wird.

Kritisiert wurde auch, dass diese Spar-massnahme direkt auf alle Versicherte pro Kopf umgelagert wird. Die Franchise und

Krankenversicherungsgesetz

der Selbstbehalt für Versicherte werden unabhängig von der Prämienentwicklung steigen und so zu einer indirekten Steuer-erhöhung führen.

Dies ist nur eine kleine Auswahl da-von, was in einer mehrstündigen Debat-te im Landtag diskutiert wurde. Sie zeigt die Komplexität des Themas, aber auch die Tragweite für jeden Versicherten. Die Regierung steht nun vor der grossen He-rausforderung, zu allen hinterfragten Aspekten bis zur 2. Lesung Stellung zu nehmen. Für die Freie Liste ist klar: Prä-mie, Franchise und Selbstbehalt der Kran-kenversicherung sind ein massgeblicher Faktor für die Belastungen jeden Haus-halts. Sie bezweifelt, dass mit der Vorlage Anreize für ein kostenbewusstes Verhalten von PatientInnen und Leistungserbringe-rInnen geschaffen werden. Die Freie Liste wird nur eine Lösung befürworten, welche sich ausgewogen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit jedes Versicherten ori-entiert. Einkommensabhängige Model-le sind der Schlüssel dazu. Aus Sicht der Freien Liste ist es bedauerlich, dass bei der Kostenbeteiligung der Versicherten nicht das Realeinkommen, das nach allen Lohn-abzügen verfügbar ist, berücksichtig wird. Ob es der Regierung gelingt, auf die 2. Le-sung hin überzeugende Vorschläge zu lie-fern, ist mit Blick auf diese Grossbaustelle fraglich.

Text Wolfgang Marxer E-Mail: [email protected]

Die Überarbeitung des Krankenversicherungsgesetzes (KGV) hat weitreichende Konsequenzen für die Versicherten. Eine Nachbe-trachtung zur ersten Behandlung dieser Vorlage im Landtag.

Aus der KVG-VorlageDer definitive Bericht & Antrag (20/2012) zur Abänderung des KVG-Gesetzes strebt ein Sparpotential von 15 Mio. Fr. an. Das Gesetz soll im Jahr 2014 eingeführt werden und es beinhaltet folgende Neuerungen: Eine Erhöhung der Franchise von

heute 600 Fr. auf neu 1‘500 Fr. Eine Erhöhung des Selbstbehaltes

von heute 200 Fr. auf neu max. 500 Fr. Die jährliche Kostenbe- teiligung der Versicherten kann somit 2000 Fr. betragen und nicht wie heute 800 Fr. Die Aufhebung der Möglichkeit,

einer höheren Kostenbeteiligung (d.h. eine höhere freiwillige Fran- chise, um eine weitere Entsoli- darisierung zu verhindern). Die Einführung einer Kostenbe-

teiligung bei Jugendlichen in Höhe der halben ordentlichen Kostenbe- teiligung von Erwachsenen. Die Aufhebung der Befreiung von

einer Kostenbeteiligung von Ver- sicherten mit bestimmten chron- schen Krankheiten.Im Gegenzug soll: Durch eine Anhebung der Einkom

mensgrenze höhere Prämienver- billigungen an mehr Bezüger als bisher ausbezahlt werden. Mit einer Änderung am Prämien-

verbilligungssystem soll eine Verbesserung des gezielten Aus gleichs zwischen den Einkommen sund Vermögensgruppen erreicht werden (durch die Aufhebung des Freibetrags von 70 % auf Renten.

20 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12

Die Verschiebung der Alterspyramide wird unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. So werden in Zukunft mehr als doppelt so viele Menschen wie heute auf Pflegeplätze und Betreuung angewiesen sein. Auf der anderen Seite werden weniger Menschen aktiv im Arbeitsleben stehen und somit in die AHV und die Pensionskasse einzahlen. Um also nicht plötzlich vor unlösbaren Problemen zu stehen, muss das heutige Modell der Alters- und Pflegeheime schon heute überdacht werden. Nicht zuletzt muss auch besser auf die Bedürfnisse von älteren Menschen eingegangen werden.

Wohnen im alten UmfeldÄltere Menschen und Pflegebedürftige, die nicht mehr ohne Betreuung auskom-men, werden in Liechtenstein gut unter-stützt. Lobend erwähnt werden müssen die finanziellen Beiträge von Land und Gemeinden am betreuten Wohnen und der häuslichen Pflege, welche bis zu 155 Franken pro Tag und Person ausmachen können. Für ältere Menschen kann es aber sehr hart sein, wenn sie aus ihrem gewohn-ten Umfeld herausgerissen werden; wenn sie ihren letzten Lebensabschnitt in einem fernen Dorf verbringen müssen, da sich nicht in jeder Gemeinde eine Pflegeein-richtung der Liechtensteinischen Alters- und Krankenhilfe (LAK) befindet.

Wohnformen für Ältere

Der Wunsch der Bevölkerung, dass Men-schen, die pflegebedürftig werden, in der Gemeinde bleiben können, war Grund genug für die Gemeinde Triesenberg und die LAK, im Jahr 2000 nach einer Lösung zu suchen. Mit dem LAK-Satelliten «Pfle-gewohngruppe St. Theodul» wurde die-sem Bedürfnis Folge geleistet.

Gemeinden stehen in der PflichtEs sollte in jedem Dorf kleine Satelliten von Alters- und Pflegheimen geben. Es kann sich dabei um eine Pflegewohn-gruppe, Generationenhäuser, betreutes Wohnen oder Altersheime handeln. Bei der Planung sollten die Wünsche der zu-

künftigen BewohnerInnen nach Möglich-keit berücksichtigt werden. Viele Gemein-den im Land sträuben sich jedoch noch vor dem Gedanken, einen Satellit der LAK in der eigenen Gemeinde zu betrei-ben. Die Zurückhaltung der Gemeinden liegt vermutlich darin, dass diese Satel-liten noch teuer sind, da die Auslastung derzeit zu tief ist. Die Gemeinden sollten aber schon heute die Bedürfnisse der Bevölkerung abklären: Es würden sich si-cher einige Menschen melden, die ihren Lebensabend in einer alternativen Wohn-form planen möchten, obwohl sie diesen Schritt erst in fünf bis zehn Jahren ma-chen wollen.

Wohnen im Alter – bezahlbar und bedürfnisgerecht

Text Patrick Risch, [email protected] Illustration Metamoris

Die Bevölkerung Liechtensteins wird immer älter. Das stellt unsere Gesellschaft vor zahlreiche Herausforderungen: Es braucht neue Modelle für Wohnen und Pflege im Alter.

Es sollte in jedem Dorf kleine Satelliten von Alters- und Pflegheimen geben.

WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12 – 21

Alt sein, gleich Pflegeheim?Das heutige Modell der Altersvorsorge sieht nur eine Option vor, wenn jemand nicht mehr zu hundert Prozent für sich selber sorgen kann und kein Familien-mitglied zur Pflege bereit steht: Ab ins Al-ters- oder Pflegeheim. Es ist wichtig, dass es noch eine Stufe dazwischen gibt. So ver-schieden die Menschen sind, so verschie-den sind auch ihre Bedürfnisse. So wün-schen sich viele im Alter nicht allein zu leben, sondern in einer Gemeinschaft mit anderen älteren Menschen oder auch jun-gen Familien. Vielen älteren Menschen, die allein in einem grossen Haus leben, ist es zu beschwerlich, den Haushalt und ei-nen Garten zu unterhalten. In Schaan gibt es bereits sogenannte Alterswohnungen in der Nähe des Pflegeheims. Diesen Bewoh-nerInnen ist es möglich, noch vieles selb-ständig zu machen und sich zu versorgen. Falls dies zu beschwerlich wird, bekom-men sie Unterstützung vom Pflegeheim.

Neue Wohnformen im Alter Denkbar wären auch Wohngenossen-schaften, wie sie in der «Aktion gemein-sam statt einsam» angedacht wurden. Die Hochschule Liechtenstein hat den Bedarf an einer Wohngenossenschaft eruiert, in der Jung und Alt gemeinsam in einem Haus leben und sich gegenseitig mit klei-

nen Dienstleistungen unterstützen. Ältere können mal Kinder hüten, während Jün-gere für sie den Einkauf übernehmen. Ein Modell, das Grossfamilien abgeschaut wurde, in denen die meisten Menschen in Liechtenstein früher integriert waren. Für ältere Menschen würde das Leben in einer Wohngenossenschaft nicht nur Unterstüt-zung, sondern auch Abwechslung, ein Plus an Lebensfreude und kleinen Aufgaben bedeuten.

Die Zeit drängtDie Initiative soll von den Gemeinden kommen, das Land muss zuvor aber Wohnmodelle ausarbeiten und die Grund-lagen hierzu schaffen. Die Gemeinden verfügen über Bauland an zentralen Stel-len der Dörfer und sie sind es auch, die dafür sorgen müssen, ein Altern in Würde zu ermöglichen. Jede Gemeinde sollte ver-schiedene Wohnmöglichkeiten für Ältere prüfen und einrichten: Die Zeit drängt, denn der Anteil älterer Menschen in der Liechtensteinischen Bevölkerung wächst schnell. Flexible Modelle können das Wohnen im Alter zudem bezahlbar halten: Für die Älteren und die nachkommenden Generationen.

Wohnformen für Ältere

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Wohnformen in Liechtenstein

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Flickwerk Trennung von Staat und Kirche

Warum eine Vereinbarung und kein Gesetz?Seit Anfang September ist öffentlich be-kannt, dass die Vereinbarung zwischen dem Vatikanstaat und Liechtenstein weit fortgeschritten ist und ein Konkordats-Entwurf existiert. Mit dem Begriff Konkor-dat ist ein Staatskirchenvertrag zwischen der Katholischen Kirche und einem Staat gemeint. Auch wenn die GemeinderätIn-nen der Freien Liste nicht immer mit dem Generalvikar Markus Walser einig sind, so sind sie es doch in einem Punkt: Die Vorschläge in dieser Form können nicht als gut bezeichnet und akzeptiert werden. Wie Walser wollen sie Änderungsvorschlä-ge einbringen.

Zahlen ja, Mitsprache neinDer katholischen Kirche soll gemäss vor-liegendem Entwurf das vollständige Nut-zungsrecht der Kirchen und Kapellen zu-fallen. Es läge damit am guten Willen der katholischen Kirche, in Zukunft klassische Konzerte oder andere besinnliche Anläs-se im Kirchgebäude zu dulden oder eben nicht. Obwohl die Gemeinden für den Er-halt der Aussenhüllen der Kirchen aufkom-men sollen, wird ihnen gemäss Entwurf der Einfluss darauf, was im Innern der Ge-bäude geschieht, genommen. Ein besserer Vorschlag wäre, das Kirchengebäude zu einem symbolischen Preis möbliert an die Kirche zu vermieten. Dann hätten die Ge-meinden in der Hand, was mit der Einrich-tung passiert. Denn: Was geschieht, wenn GemeinderätInnen für die Renovation der Aussenhülle Kredite beschliessen, das Volk aber das Referendum gegen diese Finanz-beschlüsse ergreift? Oder wenn die Kirche

Aus den Gemeinden

aus Mangel an Gläubigen oder Ressourcen keine Gottesdienste mehr stattfinden lässt? Bleibt der Kirche weiterhin das alleinige Nutzungsrecht und der Gemeinde die fi-nanzielle Verpflichtung für leere Hüllen?

Gehört konfessioneller Unterricht noch in den Stundenplan?Warum wurde der konfessionelle Religi-onsunterricht nicht aus dem Stundenplan ausgegliedert? Religionsunterricht darf zwar bei einer Trennung von Staat und Kirche während der Schulzeit stattfinden, aber nur unter der Voraussetzung, dass er konfessionslos ist. Es darf nur Sachwissen über das Christentum gelehrt werden, was sinnvoll ist, da die Kinder in einer christ-lichen Kultur und Tradition leben. Die Glaubensgemeinschaften könnten, wie an-gekündigt, die alleinige Verantwortung für die eigentliche Glaubensvermittlung der Kinder ausserhalb des Schulunterrichts übernehmen.

Gemeinde geben Selbstbestimmung abMit der Akzeptanz der Neuregelung in der vorliegenden Form würden die Ge-meinden auf ein grosses Stück Autonomie verzichten. Das Konkordat könnte von den Gemeinden nicht gekündigt oder neu verhandelt werden, sondern die Ge-meinden müssten sich in Zukunft auf den politischen Willen und das Verhandlungs-geschick der Regierung verlassen. Das ist schlecht.

Meins, deins, deins, euers?Zur gleichen Zeit wie der Abschluss des Konkordats soll auch ein Religionsgesetz

geschaffen werden, das zum Beispiel die Spendenfinanzierung regelt. Obwohl Fürst und Regierungschef eine Spendenfinan-zierung vorziehen, sieht das neue Gesetz eine Mandatssteuer vor. Mit ihr könnten die Steuerpflichtigen in der Steuererklä-rung ankreuzen, für wen die reservierte Steuerabgabe verwendet werden soll: für die Katholische, die Evangelische oder die Lutheranische Kirche – oder ob das Geld dem Staat überlassen wird.

Warum ist nicht vorgesehen, dass Steu-erpflichtige das Geld weiteren karitativen Organisationen spenden können? War-um darf beispielsweise ein Angehöriger der Russisch-orthodoxen Kirche das Geld nicht seiner Glaubensgemeinschaft zu-kommen lassen? Auch, wenn das Gesetz vorsieht, dass jede Glaubensgemeinschaft sich für den Kirchen-Steuertopf bewerben kann, so ist die Hürde, 20 Jahre im Land tätig zu sein und mindestens 200 Mitglie-der aufzuweisen doch recht hoch. Und was ist mit Steuerzahlern, die nicht gläubig sind und keiner kirchlichen Organisation spenden möchten, sondern einer anderen Einrichtung? Besser wäre es, wenn karita-tive Organisationen per Antrag und unter definierten Bedingungen in eine Liste auf-genommen werden, auf der die Steuerzah-lerInnen ihre Wahl ankreuzen könnten, wenn sie weder eine anerkannte Religions-gemeinschaft noch die Staatskasse berück-sichtigen möchten.

Psst, geheim!Es ist befremdlich, dass die Verhandlungen am Volk vorbei geführt werden und die GemeinderätInnen und der Landtag das

Die GemeinderätInnen der Freien Liste haben den Entwurf der Trennung von Staat und Kirche diskutiert und Mängel festge- stellt. In Gedankensplittern weisen sie auf diese hin und liefern Verbesserungsvorschläge.

Text GemeinderätInnen der Freien Liste

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Traktandum unter Zeitdruck behandeln müssen. Selbst jetzt, wo die Verhandlun-gen schon so weit sind, dass das Resultat in den Oktober-Landtag kommen soll, wurde das Volk nur häppchenweise mit Informa-tionen versorgt. Der Grossteil der Informa-tion bleibt wohl unter Verschluss, bis der Landtag darüber debattieren wird.

Die Option Referendum bestehtMit einem Staatsvertrag wird versucht, das zukünftige Verhältnis des Staates und der katholischen Kirche einvernehmlich zu regeln. Die Vereinbarung kann nicht ein-seitig nachträglich geändert werden. Das bedeutet, dass es in Zukunft sehr schwierig werden wird, diese aktuellen Gegebenhei-ten anzupassen, wenn sich die beiden Ver-tragspartner nicht finden. Der Abschluss eines Staatsvertrages unterliegt aber dem Referendum, das vom Volk oder von min-destens drei Gemeinden gefordert werden kann. Falls der vorliegende Entwurf nicht noch verbessert wird, sollten die Gemein-den über die Ergreifung des Referendums nachdenken.

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Gastmeinung

Ein Pladoyer – Sparen wo’s nicht weh tut

Text Thomas Lageder, [email protected] Illustration Metamoris

Wir müssen sparen. Dies ist über die Par-teigrenzen hinweg Konsens. Doch ist es fraglich, ob es der richtige Weg ist, indirekt dem Volk Steuererhöhungen, beispielswei-se durch die starke Reduktion der Kran-kenkassensubvention, aufzubürden. Dies vor allem deshalb, weil diese Art des Spa-rens als asozial bezeichnet werden muss. Da die Krankenkassenprämie eine Kopf-prämie ist, trifft sie jeden absolut gesehen gleich. Nur tut es dem Treuhänder oder Banker eben nicht sehr weh, wenn er 1’000 Franken Krankenkassenprämie für eine vierköpfige Familie bezahlen muss. Den Bodenleger schmerzt dies aber sehr wohl.

AusgabenGeht es nicht auch anders? Ja, es geht. Erstens darf es kein Tabu sein, auch die Einnahmenseite in die Sanierung des Staatshaushaltes mit einzubeziehen. Denn Reiche und Superreiche, Gut- und Spit-zenverdiener dürfen schon etwas mehr zur Kasse gebeten werden. Es sind ja auch sie, die massiv von den Leistungen des Staates profitieren. Zweitens muss vom weit ver-breiteten «Giesskannenprinzip» Abstand genommen werden. Gefördert und unter-stützt sollen nur diejenigen Gruppen wer-den, die auch förderungswürdig und un-terstützungswürdig sind und nicht jeder.

FMA – Der Staat zahlt’sAber lasst mich konkret werden. Mit wel-cher Begründung unterstützt der Staat

eine Institution wie die Finanzmarktauf-sicht (FMA) mit einer Subvention von 10 Mio. Franken pro Jahr? Hier werden die-jenigen unterstützt, die die grössten Löh-ne, die teuersten Ferien und die dicksten Autos haben. Der Steuerzahler, also jeder von uns, subventioniert dadurch Banken, Treuhänder und Versicherungen, kurz die Finanzintermediäre. Dies ist nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach oben, von denen die wenig haben, zu denen die viel haben: vom Bodenle-ger zum Treuhänder und Banker. Dies ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch in anderen Ländern nicht üblich. In der Schweiz ist es selbstredend, dass diese Überwachungsbehörde von den Finanzin-termediären selbst finanziert wird.

Kindergeld ist kein AutogeldEin anderer Dorn im Auge ist mir das Kin-dergeld und die Geburtszulage. Was? Kin-dergeld? Geburtszulage? Das ist doch eine super Sache, würde jeder grundsätzlich sagen. Ja, schon, aber ist es richtig, dass jene 7 Prozent der Bevölkerung, die mehr als 120’000 Franken pro Jahr verdienen, noch Kindergeld erhalten? Denn wir wis-sen alle, dass die ca. 300 Franken pro Mo-nat und Kind für diese Personen keinen Anreiz darstellen, mehr Kinder zu bekom-men und in aller Regel auch gar nicht für die mit Kindern verbundenen Aufwände verwendet werden. Dieses Geld, das mit Zinsen während einer 18-jährigen Bezugs-

periode pro Kind ca. auf 80’000 Franken anwächst, wird nämlich dann häufig in ein schönes Auto mit Tankkarte umgewandelt. Das ist nicht der Sinn dieser Förderung, denn sie soll es ermöglichen, dass Leute, die wenig verdienen, sich ihren Kinder-wusch erfüllen und ihre Kinder angemes-sen versorgen können. Durch die sofortige Einstellung dieses «Giesskannenprinzips» im Bereich Kindergeld und Geburtszulage für Spitzenverdiener mit Jahreslöhnen von mehr als 120’000 Franken, können 2 Mio. Franken pro Jahr eingespart oder umver-teilt werden. Und auch hier trifft es wieder nicht die Bedürftigen, nicht den Bodenle-ger, sondern die Vermögenden.

Unterstützt sollen nur diejenigen werden, die auch förderungs-würdig sind.

WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12 – 27

Gastmeinung

AHV – nach Prinzip BedürfnisAnaloges muss für die AHV gelten. Vom Staat im Jahr 2011 mit 54 Mio. Franken subventioniert, wird auch hier jeder be-dient. Es ist vollkommen egal, ob die Be-zieher Multimillionäre sind oder nicht, je-dem wird das Geld monatlich überwiesen. Jeder der reich ist und AHV bezieht, sollte sich überlegen, ob er diese auch wirklich braucht oder ob sie für ihn nur Luxus ist. Er könnte freiwillig darauf verzichten. Der Staat könnte aber auch eine Vermö-gensobergrenze einführen und festlegen, dass wer über mehr als 3 Mio. Franken an Vermögen verfügt, keine AHV bekommt. Denn für diese Millionäre bewirkt die AHV

nicht das, was sie versichern soll, nämlich ein finanziell sorgenloses Altern in Wür-de. Ca. 4,5 Prozent der AHV-Bezieher ver-fügen über ein Vermögen von mehr als 3 Mio. Franken. Würde man diesen Perso-nen die AHV nicht auszahlen, würde dies dem Staat pro Jahr 10 Mio. Franken an Ausgaben ersparen.

Eigenheimdarlehen – doppelt gemoppeltAusserdem ist es bedenklich, dass zinslo-se Eigenheimdarlehen in der Steuerer-klärung als Schulden vom Vermögen ab-gezogen werden können. Warum ist das so? Ist es denn richtig, dass jemand, der von einem Darlehen, das er gratis, also subventioniert vom Staat erhält, das also von allen bezahlt wird, dies ein zweites Mal zu seinem Vorteil steuermindernd absetzen kann? So kann er nochmals auf Kosten des Staates, also auf Kosten aller, weniger Steuern bezahlen als jemand, der keine Subvention beziehen kann, weil er zu arm ist, um sich ein eigenes Haus zu leisten. Dies ist eine Umverteilung von de-nen, die nichts besitzen zu jenen, die besit-zen. Diese Praxisänderung würde immer-hin ca. 0,5 Mio. Franken an zusätzlichen Steuereinnahmen generieren und vor allem Liechtenstein etwas fairer machen. Wenigstens wird in diesem Bereich nicht mit dem «Giesskannenprinzip» gearbeitet. Hier ist es selbstverständlich, dass ein Spit-zenverdiener keine Förderung erhält. Es ist aber schon befremdlich, wenn ich im 6

Unterstützt sollen nur diejenigen werden, die auch förderungs-würdig sind.

28 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12

Punkte Programm der FBP vom Sommer 2011 lesen muss, dass eben genau dieses «Giesskannenprinzip» noch forciert wer-den soll. Dass auch Gutverdiener über 90’000 Franken pro Jahr in den Genuss eines Eigenheimdarlehens kommen sol-len. Nehmt es den Armen und gebt es den Reichen!

EinnahmenNeben diesen wenig schmerzhaften und teilweise lange überfälligen Änderungen auf der Ausgabenseite gibt es andere eben-so problemlos umsetzbaren Massnahmen auf der Einnahmenseite. Vorausgesetzt der politische Wille ist da und das «Reichen-lobbying» kann unter Kontrolle gehalten werden.

Mindestertragssteuer – Lex Harry QuadererAls erstes muss hier die Mindestertragssteu-er genannt werden. Also jene Steuer, die vor allem im Zusammenhang mit Sitzge-sellschaften, Stiftungen und Trusts anfällt, die einzig und allein konzipiert wurden, um ausländischen, fast immer äusserst vermögenden Personen, zu ermöglichen, in ihren jeweiligen Herkunftsländern, na sagen wir einmal, Steuern zu sparen. Im

September 2010 hat die Regierung vor-geschlagen, die Mindestertragsteuer von 1000 Franken auf 1800 Franken zu erhö-hen. Der Treuhänderverband hat sich für 1500 Franken ausgesprochen. Harry Qua-derers Vorschlag, die Mindestertragsteuer auf lediglich 1200 Franken zu erhöhen, wurde mit 13:12 Stimmen angenommen. Dadurch hat er zusammen mit 12 weite-ren Ja-Stimmenden dafür gesorgt, dass der Staat einen jährlichen Steuerausfall von 33 Mio. Franken hat. Und glaubt es mir, hier geht es ganz sicher nicht um die Kunden, welche wegen dieser Steuererhöhung ihre Gelder abziehen würden, sondern einzig und allein darum, dass sich die Treuhän-der auf Kosten des Staates weiterhin berei-chern wollen. Denn dem gemeinen Steu-eroptimierer ist es Wurst, ob er auf seine Millionen 1’000 Franken, 1’200 Franken, 1’500 Franken, 1’800 Franken oder 3’000 Franken an Mindestertragssteuern bezah-len muss. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die Gebühren, welche die Treuhän-der kassieren, diese 1200 Franken um ein Vielfaches überschreiten, dann getraue ich mich zu behaupten, dass die Mehrheit der Stifter nicht einmal weiss, wie hoch diese Steuer eigentlich ist. Dem Stifter ist

viel wichtiger, dass er sein Vermögen sei-nem Staat entziehen kann und sich somit vor Steuern im Bereich von mehreren Pro-zenten drücken kann. Durch das System Eigennutz sind in diesem Fall dem Staat wertvolle, absolut schmerzlose Steuerein-nahmen entgangen.

Spitzensteuersatz – 8% absolut vertretbarMan darf nun gespannt sein, wie es mit der von Pepo Frick erneut eingebrachten For-derung einer achten Progressionsstufe für Spitzenverdiener herauskommen wird, die vom Landtag überwiesen wurde. Bisher wurden Superreichen Steuergeschenke gemacht. Ein Paar, das mehr als 600’000 Franken Jahreslohn bezieht, kann es sich aber durchaus leisten, im Schnitt 14’000 Franken mehr an Einkommensteuer zu bezahlen. Und nur so viel: der Steuerwett-bewerb soll bitte spielen, diese Personen können gerne einmal durchrechen, ob es sich lohnt, in die benachbarte Ostschweiz oder ins Vorarlbergische zu ziehen. Diese Leute werden mit Hühnerhaut von dieser Idee Abstand nehmen und dankbar und stolz darauf sein, 4 Mio. Franken mehr zum Staatshaushalt beizutragen.

Quellensteuer CH – was uns zustehtUnd da ich gerade von Überrheinern spreche, muss hier das Eintreiben von Quellensteuern der Schweizer Grenz-gänger erwähnt werden. Das Problem ist immerhin schon erkannt. Nur muss man natürlich den Regierungen (Frick, Hasler und Tschütscher) den schweren Vorwurf machen, dass diese Massnahme nicht schon vor 10 oder 15 Jahren an die Hand genommen wurde und erst jetzt verhan-delt wird. So wäre die Situation, wie sie sich jetzt präsentiert, vielleicht um einiges weniger mies. Durch ein Aushandeln ei-ner Quellensteuer von 4% für Schweizer Grenzgänger analog der Regelung mit Österreich, würden ca. 20 Mio. Franken an Steuern generiert, und zwar an Steu-ern, die uns Liechtensteinern zustehen, denn die Grenzgänger erhalten ja durch-aus eine Leistung für dieses Geld. Klar ist auch, dass diese 4% in einem Doppelbe-steuerungsabkommen (DBA) den Schwei-zer Gemeinden über dem Rhein zur Last fallen werden und nicht den Arbeitneh-mern.

Bisher wurden Superreichen Steuer-geschenke gemacht.

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Gastmeinung

Liegenschaften – fair ist fairDes Weiteren dürfen Mieteinnahmen im Speziellen und Liegenschaften im Allge-meinen nicht unerwähnt bleiben. Das neue Steuergesetz deckt diese grundsätz-lich über die Umwandlung von Vermögen mittels Sollertrag von 4% in Einkommen ab. Dies funktioniert aber nur, wenn die Vermögenswerte mit einem an der Realität orientierten Schätzwert in der Steuererklä-rung Aufnahme finden. Klar ist natürlich, dass es hier gilt, zwischen Renditeobjekten und Nichtrenditeobjekten zu unterschei-den. Es muss selbstredend vermieden werden, dass ein einfacher Hausbesitzer durch seinen Besitz über Gebühr belastet wird. Investoren, die durch das Vermieten von Wohnblöcken viel Geld verdienen, dürfen aber sicher durch die Bewertung ihrer Vermögen zu Marktwerten belastet werden. Diese Massnahme würde dem Fis-kus einige Millionen einbringen.

Kasino – rien ne va plusBeschliessen möchte ich diese Aufstellung mit beschämenden, wenn nicht unerhör-ten oder gar skandalösen Vorkommnissen um die Nicht-Vergabe der Kasino-Konzes-sion. Schon die Festlegung der Steuersätze für die Umsatzbesteuerung von 12,5% bis 40% kann ich nicht nachvollziehen. Man entscheidet sich ohne ersichtlichen Grund dafür, eine Gelddruckmaschine, denn ein Kasino ist nichts anderes, massiv milder zu besteuern als dies zum Beispiel in der Schweiz der Fall ist, wo die Steuersätze von 40% bis 80% reichen. Warum von vorn-herein die Bandbreite einschränken, wo doch ein progressiver Anstieg der Steu-erlast ohne Probleme durch eine Verord-nung hätte abgefedert werden können? Von wegen ist der Grund ein Standortvor-teil, wie ihn einige Exponenten im Land-tag genannt haben: Vetternwirtschaft, Filz und Korruption heissen diese Dinge, wie sich deutlich im weiteren Verlauf der Affäre herausstellen wird. Die Vergabe der Konzession wurde, wie erwartet, vom Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit Ver-weisen auf Diskriminierung und Intrans-parenz gekippt und für nichtig erklärt. Die Koalitionsregierung hatte versucht, diese Konzession mit illegalen Mitteln den Bewerbern der Casinos Austria AG zuzu-schanzen. Interessant ist in diesem Zusam-

menhang die Konstellation rund um FBP Parteipräsident Alexander Batliner, seine Verwandtschaft und die Regierungsräte Martin Meyer und Aurelia Frick. Martin Meyer, als Inhaber des Ressorts Wirtschaft, hatte die Konzessionsvergabe organisiert und der Rest der Regierung hat sich zu-mindest nicht dagegen gesperrt. Und was ist passiert? Nichts. Die Regierungsräte sind immer noch in Amt und Würden, Au-relia Frick darf gar nochmals kandidieren. Hier wäre es wünschenswert gewesen, dass sich seine Durchlaucht, wenn schon mit umfassenden Veto-Befugnissen ausgestat-tet, einmischt, die Politik kontrolliert und in die Schranken weist. Der andere Souve-rän, das Volk, darf es nämlich ausbaden, denn ihm entgehen rund 8 Mio. an Steu-ereinnahmen, die durch die Verzögerung des Kasinoprojektes, möglicherweise für einige zusätzliche Jahre, fehlen.

Vetternwirtschaft – Nein dankeIn diesem Bereich der Vetternwirtschaft liegen denn auch noch grosse, nicht quan-tifizierbare Einsparmöglichkeiten in Form von Effizienz und Effektivitätsgewinnen. Denn durch Vetternwirtschaft werden un-geeignete Personen angestellt und die Auf-träge oft nicht an den besten Bewerber ver-geben oder nur vergeben, weil man eine Klientel füttern will. So geht Geld in rauen Mengen verloren.

Einsparmöglichkeiten und Steuern

Millionen Franken FMA 10 Kindergeld 2 AHV 10 Eigenheimdarlehen 0.5 Mindestertragssteuer 33Spitzensteuersatz 8% 4 Quellensteuer 20Spielbankengesetz 8

Total 87.5 Millionen Franken

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Kapitalismus 3

KommentarText Helen Konzett Bargetze, [email protected]

Im Rheintal gibt es zwischen Buchs und Bad Ragaz gleich zwei prominente Kriti-ker eines sogenannten entfesselten Ka-pitalismus. Walter Wittmann, emeritier-ter Wirtschaftsprofessor aus Bad Ragaz, warnt in seinem Buch «Superkrise – die Wirtschaftsblase platzt» vor dem Gespenst Staatsbankrott. Er zeigt, wie die Politik den Staat in Gefahr bringt, wenn sie sich von der Finanzindustrie einnehmen lässt. Wirtschaftsverbände, die grösstmögliche Durchsetzungskraft anstreben, lobbyieren bei Parteien zum Teil erfolgreich gegen Regulierungen. Es falle zudem auf, dass Wirtschaftsverbände nicht zögern, die An-liegen der Finanzindustrie zu unterstüt-zen. Bei der Abwehr von Regulierungen spielen Wittmanns Ansicht nach auch die Massenmedien eine Rolle. Sie stellten sich zu stark in den Dienst der Finanzindustrie, weil sie durch Werbeeinnahmen entschei-dend von ihr abhängig sind. Die Folge ist, dass Banken risikoreich agieren und zu tiefe Eigenkapitalquoten haben: Droht durch Risikospiel ein Bankrott, müssen sie durch die Politik mit Staatsgeldern geret-tet werden. Für Peter Sutter aus Buchs ist es «Zeit für eine andere Welt», in der die Menschen gegen die Ungerechtigkeiten des auf Gewinnmaximierung ausgerichte-ten Systems aufstehen.

Die Bücher von Wittmann und Sutter sind aufschlussreich, obwohl ich nicht alle Ansichten teile und mir Sutters Aufruf zur Revolte nicht liegt. Ich löse Probleme lieber anders. Wie die Autoren stelle ich selbst aber mit Besorgnis vielerorts ein mangelndes Risikobewusstsein fest. Kein

Wunder bei sehr hohen Löhnen und win-kenden Boni. Wenn ein gefährliches Spiel schon ein paar Mal glimpflich ausgegan-gen ist, wird man unvorsichtig und pokert noch höher, vor allem wenn andere den Schaden haben und nicht man selbst – im Fachjargon «moral hazard» genannt.

Wie weit sind wir in Liechtenstein aber von solchen Problemen betroffen? Ge-hen die uns überhaupt etwas an? Obwohl die Eigenkapitalquote unserer einzigen Bank mit Staatsgarantie, der Liechtenstei-nischen Landesbank (LLB), im interna-tionalen Vergleich hoch ist, ist es nötig, nüchtern und konsequent Risikominimie-rung zu betreiben und voranzutreiben: Im März dieses Jahres hat das gefährliche Ge-schäftsmodell der LLB Zürich die Mutter-bank in Vaduz vorübergehend in eine sehr ungemütliche und wegen der Staatsgaran-tie sogar für das ganze Land gefährliche Situation gebracht. Die LLB Zürich hat auch nach dem offiziellen Bekenntnis zu einer Weissgeldstrategie Kunden aus den USA akquiriert, die ihr Vermögen «steuer-schonend» anlegen wollten, zum Schaden ihres Landes. Die USA kamen dem Ge-schäftsgebaren auf die Spur und gegen die LLB drohte eine Klage. Die Klage und der schnelle Untergang der Wegelin Bank wur-de nun zum Worst-Case-Szenario für die LLB. Klar war und ist: Der Staat Liechten-stein kann es sich nicht leisten, die Landes-bank retten zu müssen. Bei einer solchen Aktion wäre unser Staat am Ende bankrott.

Der Öffentlichkeit wurde die Lage – wenn überhaupt – erst bewusst, als der Landtag schon das Gesetz geändert hatte

und den USA damit zugesichert worden war, solche Geschäftspraktika seien damit Geschichte. Damit war die Gefahr einer Klage abgewendet. Liechtenstein schreitet auf seinem Weg zur Weissgeldstrategie und zu automatischem Informationsaustausch in Steuerfragen zurzeit recht zügig voran. Die Staatsgarantie der Landesbank bleibt ein politisches Thema: Für mich wird das kalkulierbare Risiko einer Bank, die zu-nehmend international und offshore tä-tig ist, nicht kleiner. Der Erhalt oder die Ausformung der Staatsgarantie ist deshalb meiner Meinung nach zu diskutieren. Sie könnte beispielsweise höher abgegolten werden als mit derzeit rund 400‘000 Fran-ken pro Jahr.

Peter Sutter, Autor und ehemaliger Leh-rer, kritisiert in seinem Buch «Zeit für eine andere Welt» das kapitalistische System ge-samthaft und umfassender als Wittmann. Er prangert aber gleich wie Wittmann die Unterwerfung der Politik unter die Wirt-schaft an. Weil die Reichen dafür sorgen, immer reicher zu werden, steigen die so-zialen Unterschiede an, beobachtet Sutter. Der Wettbewerb werde noch härter; für ihn ist es eine Frage der Zeit, bis die Menschen aufstehen und gegen «das System» protes-tieren. Er spricht nicht wie Wittmann vom Staatsbankrott, sondern er führt im folgen-den Gespräch aus, dass er an eine Revolte der Menschen gegen die Fädenzieher der Wirtschaft glaubt.

WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12 – 31

Kapitalismus 3

Interview Barbara Jehle, [email protected] Foto Peter Sutter

WEISS Sie schreiben in Ihrem kapitalismus-kritischen Buch «Zeit für eine andere Welt» über eine 22-jährige Mailänderin, die in Vaduz im Gefängnis sitzt. Ihr Verbrechen: Sie hat in Liechtenstein Einbrüche begangen, weil sie für ihren vierjährigen Sohn eine überlebens-wichtige Nierenoperation finanzieren wollte. Die Mutter und ihr Sohn sind wie viele Itali-enerInnen nicht krankenversichert, weil sie das Geld nicht aufbringen konnten. Wohl die meisten Menschen würden sagen, moralisch schuldig ist nicht die Frau, sondern die soziale Ungerechtigkeit. Recht und moralisches Emp-finden decken sich in vielen Fällen nicht.

Peter Sutter Ich glaube, dass die Kluft zwischen Recht und Rechtsempfinden ständig wächst, weil die sozialen Unter-schiede immer grösser werden. Es ist er-staunlich, dass sie nicht weltweit Emotio-nen auslösen. Der Grund ist wohl, dass das System des Kapitalismus ein Teil unseres Denkens ist, der mit unseren Gewohnhei-ten verwoben ist. Wir sind mit dem System aufgewachsen. Wir haben uns offenbar mit den Absurditäten arrangiert und die Widersprüche akzeptiert.

Können Sie Beispiele für solche Absurditäten nennen?

Ich habe im Buch über das Beispiel der Sozialhilfe Bezügerinnen geschrieben, die ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie das wenige, was ihnen zusteht, bean-spruchen. Dabei scheffeln andere Milli-onen. Es ist im System legal, ungeheure Summen pro Tag zu verdienen, obwohl dies eigentlich nicht zu rechtfertigen ist. Wir Menschen sind gefangen und haben Angst, etwas zu verlieren. Wir sind abhän-gig, können nicht einfach aussteigen. Wir sind gezwungen, mitzumachen, Geld zu erwerben und vom Angebot des Systems zu profitieren. Es wird deshalb auch kaum darüber reflektiert.

«Die Politik hinkt der Wirtschaft hinterher»

bedeutet ein Nutzen für alle, heisst es. Das kann nicht aufgehen. Kurzfristig kön-nen ein paar Reiche angezogen werden, dann kommt der nächste Kanton oder das nächste Land und legt den Steuersatz noch tiefer an. Dieser Kampf ist ein Null-summenspiel und kurzfristig. Längerfristig kann das nicht funktionieren. Im Kanton St. Gallen, der ein besonders reichen- und firmenfreundliches Steuersystem einge-führt hat, merkt man, dass einfach der Mittelstand zur Kasse gebeten wurde. Jetzt werden alle erdenklichen Einnahmequel-len untersucht: z.B. Autoschilder mit tie-fen Nummern versteigert. Es gibt offenbar genügend Reiche, die dann das Geld auf diese Art in die Staatskasse wandern las-sen. Das Geld ist also da.

Wie kann der Staat seine Lasten wieder fairer verteilen?

Indem das System zuerst mal genaues-tens untersucht wird. Die Frage muss sein: Wer profitiert wovon? Nur so kann sich etwas verändern. Auf einer ganz breiten Ebene muss Umdenken stattfinden. Es läuft momentan viel, wenn ich beispiels-weise an die Occupy-Bewegung denke. Wir leben seit 500 Jahren in diesem System. Es braucht Zeit und Beharrlichkeit, damit et-was Neues entstehen kann.

Woher kommt Empörung und Reflexion am ehesten?

Ich glaube, dass Kinder und Jugend-liche empört sind. Sie haben ein starkes Gerechtigkeitsempfinden. Die Erziehung im System führt zum Abflauen der Em-pörung. Als Lehrer sehe ich die Gehirn-wäsche an Schulen gut. Irgendwann ist es dann passiert. Für mich steht das im Wi-derspruch zu dem, wovon wir ausgehen; dass wir in einer Demokratie leben und frei sind im Denken. Mächtige schaffen es gut darzustellen, wer in einer Gesellschaft Schuld an einer Misere trägt, so dass die Schuldfrage nicht auf das System fällt. Die Tatsache, dass Schuldige gesucht werden, zeigt schon, dass nicht alle mit diesem Sys-tem zufrieden sind. Man sucht bevorzugt bei den Schwächsten die Schuld.

Liechtenstein hat ein Loch in der Staatskas-se, weshalb die Politik Sparmassnahmen beschliesst. Entwicklungshilfe oder sozialen Einrichtungen wurden vor dem Sparkurs nicht verschont. Die Steuern werden bis anhin nicht erhöht, im Gegenteil: Firmen und Reiche wurden durch das neue Steuergesetz weiter entlastet.

Es geht immer um Standortwettbewerb und attraktive Steuersätze für Firmen. Ei-nen Industriestandort attraktiv zu machen

«Man sucht bei den Schwächsten die Schuld.»

32 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12

WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12 – 33

Kapitalismus 3

Sie träumen von einem Weltstaat, in dem alle Menschen gleich sind...

... in dem alle Menschen die gleichen Voraussetzungen haben. Für viele LiechtensteinerInnen und Schwei-zerInnen ist das eine sehr unattraktive Vor-stellung.

Ja, das ist klar. Letztlich würde das be-deuten, dass wir viele Privilegien aufgeben müssen. Wir müssten unseren Lebensstil zurückfahren, wenn wir eine gerechte Welt wollen. Wir könnten nicht dreimal pro Jahr in die Ferien fliegen. Sie zitieren Christoph Blocher, der sagt, dass sich Staaten immer mehr auflösen, dass es heute vor allem weltweite Organisationen sind, die den Takt angeben.

Das finde ich genau problematisch. Die Wirtschaft sollte nicht die alleinige Macht sein, sondern sollte wieder einge-bunden werden ins Gesellschaftliche. Die Politik hinkt der Wirtschaft hinterher und ist überfordert und hilflos. Mir reicht es nicht aus, mich nur innerhalb der politi-schen Strukturen wie der SP zu bewegen. Für mich ist das politische Engagement nur ein Teil, auf einer anderen Ebene muss noch anderes laufen. Ich spreche oft junge Menschen an, mal an ein Parteitref-fen zu kommen. Die merken aber, dass das momentan nicht viel bringt, dass Partei-politik eher etwas Nostalgisches ist. Viele von diesen jungen Leuten kommen aber an Kapitalismus-Gesprächsrunden in den Bären. Sie diskutieren mit und haben Vi-sionen. Man spürt in Bewegungen wie der «Occupy», dass sich etwas tut.

Sie machen es den LeserInnen nicht gerade einfach: Sie sagen, das System, also der Ka-pitalismus ist schuld am Leiden der Welt. Da denkt man sich, «okay, was mache ich jetzt mit dieser Erkenntnis?». Sie zeigen eigentlich kaum Alternativen auf.

Klar, man sieht so den Berg vor sich, fühlt sich vielleicht ohnmächtig. Man hat aber auch einen anderen Blickwinkel. Man muss erkennen, dass es einen Wandel braucht und muss beginnen, auf irgend-eine Art daran zu arbeiten. In der Bären-gruppe ist ein pensionierter Banker dabei, der das System, in dem er gearbeitet hat, jetzt von aussen betrachtet und nach Lö-

sungen sucht. «Alternativen zum Kapitalis-mus» sollte für mich kein linkes oder rech-tes Thema sein. Das kapitalistische System geht alle Menschen etwas an. Ich finde es sehr spannend zu sehen, wie SVP-Anhän-ger oft genau die gleichen Ansichten ha-ben wie ich, wenn ich mit ihnen anfange, Erlebnisse auszutauschen. Wir sind alle im gleichen Boot.

Sie kritisieren grundsätzlich jeden Wettbe-werb, auch den in der Bildung.

Ja, für mich ist Bildung ein Teil des Sys-tems des Kapitalismus, eine Verteilung der späteren Lebenschancen um Privilegien. Wenn ein Arzt und eine Verkäuferin das gleiche Ansehen und den gleichen Lohn hätten, gäbe es nicht mehr dieses Geran-gel. Dann ginge es darum, entsprechend der Begabung Jobs zu verteilen.

Dann würden sich vielleicht alle um die be-quemen Jobs rangeln und gewisse Berufs-sparten würden aussterben.

Das ist sicher ein Problem, das man lö-sen müsste.

Sie schreiben, dass es irgendwann zu einem Aufstand kommt, bei dem die Menschen die Privilegierten hetzen.

Wenn wir die Schuldenkrise anschau-en: Die Probleme werden nicht gelöst, die Situation verschlimmert sich eher die ganze Zeit. Es braucht deshalb eine Revo-lution. Es geht nicht anders. Hetze ist kein schönes Szenario, aber meiner Ansicht nach durchaus realistisch. Die Wut kann nicht endlos unterdrückt werden. Es gibt in Italien und Spanien zunehmend De-monstrationen gegen die soziale Ungleich-heit. In Italien müssen die Menschen ja noch nicht hungern. Die Verzweiflung ist aber trotzdem gross. Viele kommen auf keinen grünen Zweig. Wenn die Wut nach aussen tritt, dann wird es für eine Gesell-schaft gefährlich. Es kann nur das Inter-esse aller sein, auf friedlichem Weg etwas aufzubauen.

In Ländern, in denen es grosse Unterschiede zwischen Arm und Reich gibt, ist die Lebens-erwartung für alle niedriger. In Ländern mit ausgeglichener Wohlstandsverteilung haben Reiche und Arme die höchste Lebenserwar-tung.

Die Zufriedenheit ist in denjenigen Ländern am grössten, in denen die sozia-len Unterschiede nicht so gross sind. Die Menschen haben im Innersten die Sehn-sucht nach einer gerechten Welt. Wir wol-len letztlich eine faire Verteilung. Konkur-renzkampf macht krank: Man wird nie in Ruhe gelassen. Auch für ManagerInnen muss das doch furchtbar sein: Diese kön-nen nie ruhig schlafen, müssen dauernd dafür sorgen, sich gegenüber anderen Marktteilnehmern durchzusetzen. Sie müssen sich wegen ihren MitarbeiterIn-nen sorgen. Die schlimmste Bedrohung ist für sie, von ihrer gesellschaftlichen Positi-on zurückzufallen: Wer hoch ist, kann tief fallen. Das ist Stress.

Herzlichen Dank für das interessante Ge-spräch Herr Sutter.

Zur Person

Peter Sutter ist seit Sommer pensio-niert und war Oberstufenlehrer. Der Vater von drei erwachsenen Kindern lebt in Buchs und arbeitet gerade an einem weiteren Buch über Bildung. Sutter ist Mitglied der SP und sass sieben Jahre im Gemeinderat Buchs. Einmal im Monat trifft er sich mit Kapitalismuskritikern zu einer Gesprächsrunde im Bären in Buchs. Auf seiner Homepage anderewelt.ch berichtet er über seine laufenden Projekte.

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Helen Konzett Bargetze ist stellvertretende Abgeordnete der Freien Liste,

Meine liebste politische Gegnerin: Helen Konzett Bargetze

Text Marion Kindle-Kühnis, Stellvertretende Abgeordnete der VU

Kennengelernt habe ich Helen während meiner Studienzeit in Zürich. Wir be-suchten beide das Methodenseminar in Politikwissenschaften. Helen war damals hochschwanger, pendelte von Triesen nach Zürich und fand zu meiner Verwunderung immer noch etwas Spannendes am Thema Methoden. Nach dem Seminar habe ich sie ein wenig aus den Augen verloren bis wir beide für die Wahlen 2009 antraten.

Helen verkörpert für mich die neue Ge-neration von PolitikerInnen. Sie betreibt vorwiegend Sachpolitik und fällt ihre Ent-scheide auf Grund von wohlüberlegten Ar-gumenten. Ich bin überzeugt davon, dass dies nicht nur, aber besonders in schwie-rigen Zeiten die richtige Art des Politisie-rens ist, über die Parteigrenzen hinweg – zum Wohle des Landes.

An Helen schätze ich besonders ihren

unermüdlichen Einsatz für eine Sache, die ihr wichtig erscheint. Und obwohl sie sich dann wirklich in das Thema hineinkniet und mit ganzem Herzen dabei ist, ist sie doch offen für Gegenargumente. Ist He-len von einer Sache überzeugt so zieht sie diese durch, mag es ihr auch noch so viel abverlangen. Ich empfinde Menschen, die zu ihrer Meinung stehen, auch wenn Wi-derstand aufkommt, als sehr stark. Auch wenn ich ihre Meinung nicht immer teile, so habe ich doch Respekt vor ihrem Enga-gement. Helen hat diese Stärke bewiesen

bereit. Ich denke, diese Leidenschaft ist es, welche sie genauso wie mich immer wieder anspornt und antreibt. Genau das sind die politischen Gegner, die ich schätze, denn gerade weil wir alle im gleichen Boot sit-zen, bin ich froh, dass nicht alle auf der gleichen Seite sind.

und Respekt mehr als nur einmal verdient, vor allem aber in der Abstimmung über die Fristenlösung. Ihr hat damals im Landtag ein eisiger Wind entgegen geblasen und die persönlichen Angriffe gegen sie waren nicht fair und sicherlich auch nicht einfach wegzustecken. Und doch, Helen setzte sich für ihre Überzeugung ein, ungeachtet des Widerstandes. Menschen mit Rückgrat, Mut und solcher Haltung brauchen wir für die Politik. Politik lebt nur durch Diskurs – fruchtbar wird sie durch zielgerichteten und sachlichen Diskurs.

Helen und ich sind in unseren Ansich-ten und im Temperament sehr unterschied-lich. Mich beeindruckt immer wieder, wie ruhig Helen in einzelnen Situationen blei-ben kann und dabei ihren Standpunkt mit klaren Argumenten vertritt. Dass sie diese akribisch erarbeitet, wird jedem klar, der regelmässig an ihrem Haus vorbeispaziert oder vorbeifährt. Da das Computerzimmer bei Helen auf die Strasse hinausgeht, kann man sie dort arbeiten sehen. Auch spät abends noch und vor allem vor den Land-tagssitzungen.

Helen ist wie ich ein sehr politischer Mensch, das kann ich immer wieder in per-sönlichen Gesprächen mit ihr erkennen. Wo auch immer ich Helen treffe, sei es im Dorf, oder bei den Frontagen der Bürger-genossenschaft Triesen, wir sind jederzeit zu einem kritischen, politischen Austausch

Gastmeinung

WEISS – Magazin der Freien Liste – 04/12 – 35

Es ist etwas Eigenartiges um die Freiheit

Text Hans-Egon Grindle, [email protected]

Am Anfang ist da vielleicht nur ein diffuses Gefühl, das sich nur schwer in Worte fas-sen lässt. Neo-liberal-ismus, klar, das riecht nach Freiheit. Absolute neue Freiheit. Und mein Unternehmerfreund Herbert sagt ja immer, «wir beide, Hans-Egon, sind für die Freiheit und diese Linken sind die Feinde der Freiheit!».

Als meine Holde und ich mit unserem ers-ten VW Golf GTI zum ersten Mal zusam-men nach Italien, an die Adria, gebrettert sind: Freiheit total. Übernachtet haben wir dazumal wo wir gerade Lust hatten. Das war unser Neo-Unabhängigkeitsgefühl, wir beide wie in «Born to be wild». Sogar oben ohne hat die Holde gebadet. Naja, damals waren wir ja auch verliebt und woll-ten in diesem Rausch das Gleiche. Heute ist das aber so mit den Ferien. Die Holde stürmt, sie und ich M-Ü-SS-E-N unbedingt nach Capri. «Das wär ja noch schöner», sag ich dann immer, «warum denn in die Fer-ne schweifen, wenn das gute Malbun liegt so nah.» Naja, und dann, nach meinem Machtwort, kommt sie wieder für einen Moment: Eine süsse Prise Freiheit und das prickelnde Gefühl von Macht, wenn die Holde dann jeweils die Wandersocken ein und das Strandbikini auspackt. Aber ich muss zugeben, wenn die Holde dann zwei Wochen lang einen Lätsch zieht, bin ich auch mal wieder froh, wenn die Ferien vorbei sind. Diese süsse Prise verpufft ja schnell. Besonders wenn das Neoverliebt-Gefühl die Grimassen der Holden nicht

mehr schönmalt und die Holde ebenso wenig neoverliebt, sich keinen Zacken mehr zusammen reisst.

Auf jeden Fall ist mir Herbert kürzlich mal wieder damit gekommen: «Lachhaft, lach-haft, diese Linken! Chancengerechtigkeit predigen und überall Riegel vorschieben wollen, damit ja niemand seine Chancen nutzen kann!». Die wollten uns Unter-nehmern und den Bänkern überall drein-reden: Welche Löhne wir uns auszahlen sollen und welche Mindestlöhne unseren Arbeitern. Und dann den Bankern in’s Ge-schäft pfuschen und Vorschriften machen. Hohe Eigenkapitalquoten festlegen und so, damit sich ja kein Geschäft mehr ma-chen lässt. Das sind ja Zustände, so was in einem stolzen freien Land.

Hm, da überkam es mich wieder, das diffuse Gefühl, dass es was Eigenartiges ist um die Freiheit. Die Freiheit ist eine Torte: Schneidet sich einer ein grösse-res Stück davon ab, bleiben den anderen weniger grosse Stücke übrig. Bei meiner Holden und mir ist es ja so, dass ich die ganze Torte aufesse und manchmal wird mir schlecht davon. Bei den Bänkern bin ich mir nicht so sicher, ob die nicht auch Dreiviertel der Torte futtern, und wir alle solidarisch am Schluss Torte und inklu-sive Trinkgeld zahlen müssen, wenn die Landesbank erst mal hops geht und dann auch noch der Staat? Es dämmerte mir, dass ich nur für Neoliberalismus bin, wenn

ich Finänzler, Fürst, wenigstens Akademi-ker und Landtägler wäre. Die Gier dieser Oligarchen nach absoluter Freiheit produ-ziert die Ohnmacht des von uns einfachen Bürgern! Nachdem ich so in mich gegan-gen bin, fragte mich Herbert, ob, wir ins Rössle eins ziehen gehen. Ich nicht blöd und nie um ein Lehrstück verlegen: «Nei, i wett is Schöfle, i bi Neo-Liber-alischt.» Pha, und deshalb liesse ich mir gefälligst nicht mehr dreinreden und mich herumdirigie-ren, wo ich mein Bier trinken soll. Sonst noch was? «Schofseckel!», meinte Herbert und verschwand in der Nacht.

Denken mit Grindle

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Forumsbeitrag zum Landtag vom 19.9.12

Endlich – eine Kehrtwende in der Sanierungspolitik Das Loch in der Staatskasse ist fast täg-lich Thema in den Medien. Die Politik beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Frage, wie der Staatshaushalt saniert werden kann. Es werden Sparanstrengun-gen unternommen, die leider meist den Mittelstand überproportional treffen. Das ist verhängnisvoll. Die Freie Liste zeigt schon seit über zwei Jahren auf, dass es nicht mehr so weiter gehen kann.

Der jüngste Vorstoss der Freien Liste, in dem eine neue Steuerstufe für Spit-zenverdiener gefordert wird, ist im Septemberlandtag überwiesen worden. Die grosse Zustimmung der Landtagsab-geordneten ist ein wichtiges Signal. Die Politik hat endlich die Dringlichkeit von neuen Steuereinnahmen erkannt. Sie hat erkannt, dass nicht weiter der Mittelstand unter dem Sparmassnahmen leiden darf, sondern dass die Staatskasse durch Bei-träge aller saniert werden muss. Das Tabu Steuererhöhungen ist somit gebrochen. Die Bevorteilung von Spitzenverdienern kann so bald aufgehoben werden. Der Mittelstand bleibt nicht der leise Verlie-rer der Sparmassnahmen und des neuen Steuergesetzes.

Dass der Mittelstand bedroht ist, zeigte eine Sonderauswertung der Freie Liste Interpellation zur Verteilungsgerechtig-keit: Mehr als die Hälfte des Mittelstan-des hat kaum mehr als 10‘000 Franken Reserven. Die Freie Liste ist hocherfreut darüber, dass der Landtag nun einen Schritt hin zu einer gerechteren Vertei-lung gemacht hat. Sie wertet die Über-weisung der Forderung einer 8. Pro- gressionsstufe für Spitzenverdiener als eine Kehrtwende: Ein Bekenntnis aller Parteien zu mehr Fairness.