Weltwoche "Leben in der Nachspielzeit"

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Beitrag von Claude Cueni über sein Leben in der Nachspielzeit.

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  • 54 Weltwoche Nr. 38.15Bild: Nils Fisch (Tageswoche)

    Im Januar werde ich sechzig, ber dieses Datum ging meine Lebensplanung nie hinaus. Nie-mand hielt es fr mglich, dass ich zuerst die Leukmie und dann noch die Folgen der Kno-chenmarktransplantation berlebe. Jetzt bin ich einigermassen ratlos, weil ich wider Erwar-ten noch am Leben bin. Ich habe keine Plne, mein Koffer war schon gepackt.

    Ich hatte mein Haus verkauft, meine DVD-Sammlung verschenkt, die meisten Zei-tungsabonnemente gekndigt, ich hatte mit Exit und Lifecircle gesprochen warten gehrt nicht zu meiner Kernkompetenz. Ich hatte trotz negativer Erfahrungen fnfstellige Sum-men in die Dritte Welt geschickt, Hilfe zur Selbsthilfe und so, gebracht hat es gar nichts. Ich habe meine Autorenexemplare verschenkt, denn wenn das Totenhemd keine Taschen hat, kann man wohl auch keine Bcherboxen mit-schleppen, und heutige Srge sind doch ziem-

    lich schmal, und in den Krematorien empfeh-len sie fr Bcher die Entsorgung als Altpapier. Zum Altpapier schmiss ich auch mein gesamtes Archiv, 48 Plastikboxen mit jeweils zehn Hn-gemappen, Romananfnge, Short Storys, Ex-poss und all die Texte, die im Jenseits eh keiner mehr lesen will.

    Erotikbildchen unter der KellertreppeIch habe noch alte Jugendfreunde und -freun-dinnen besucht, hnlich wie Bill Murray in Jim Jarmuschs Broken Flowers, die meisten kamen zu mir auf einen Kaffee und desinfizier-ten sich vor Betreten der Wohnung die Hnde mit Sterilium. Die meisten hatte ich seit der Pu-bertt nie mehr gesehen, und das ist doch schon eine Weile her, so hoffe ich wenigstens. Wir sprachen ber Fussball, die FCB-Arena und Karli Odermatt, wir sprachen ber die Comics von Hansrudi Wscher, Sigurd, Falk und die

    Erotikbildchen unter der Kellertreppe; ich traf auch frhe Liebschaften, aber sie konnten sich kaum noch an das erinnern, was uns damals wirklich Spass gemacht hat. Die meisten waren mittlerweile geschieden, einige hatten erwach-sene Kinder, andere noch einen Hund.

    Die fremden Knochenmarkzellen, die mich von der Leukmie geheilt hatten, hatte meine Lunge mittlerweile bis auf vierzig Prozent Rest-volumen abgestossen, die Haut war mit dem Gewebe darunter verklebt und hatte die Ge-lenke versteift. Ich kenne mich ein bisschen aus mit Aktienmrkten und Charttechniken, der Trend auf dem Computerausdruck des Lun-genlabors war eindeutig negativ.

    Ich war mittlerweile ein Sanierungsfall. Punktionen von Knochenmark, Leber, Lunge und hohe Kortisondosen empfand ich inzwi-schen als Konkursverschleppung. Als Firma htte ich lngst Insolvenz angemeldet und die Bilanz deponiert.

    Am Samstag sass ich ber Mittag oft mit mei-ner Frau im Chez Donati, wir assen Scaloppi-ne in Purgatorio del Padrone. Die Kellner dachten, ich sei jetzt ganz gross im Geschft, htte Erfolg mit meinen Bchern, aber wir be-sprachen die Zeit danach. Es gibt Lebenspart-ner, die sich in Erwartung des bevorstehenden Single-Daseins emotional zurcknehmen, aber man kann sich weder schtzen, noch kann man auf Vorrat trauern. Meine Frau ersparte mir die-ses Gefhl des frhzeitigen Verlassenwerdens. Swerte, der unerschtterliche Optimismus der Filipinas, grenzt an Realittsverweigerung, aber meine philippinische Nachtigall war ent-gegen allen medizinischen Prognosen ber-zeugt, dass ich berlebe. Ich legte einen Ordner an und beschriftete ihn mit Day After; ich schrieb alle Briefe, die sie spter wrde schrei-ben mssen, ich berlegte, ob ich jeweils schrei-ben sollte: Ich bin heute gestorben und bitte Sie deshalb . . ., und meine Frau wrde spter noch das Datum einsetzen. Ja, wir mussten herzhaft lachen, als sie den Ordner durchblt-terte. Den Humor haben wir nie ganz verloren.

    Und dann bin ich einfach nicht gestorben. Nein, den Krebs habe ich nicht besiegt, nie-mand besiegt den Krebs. Ich rgere mich jedes Mal, wenn ich so etwas in den Medien lese, denn wenn ein Kranker seinen Krebs besiegen knn-te, wrde es bedeuten, dass jeder, der an Krebs stirbt, sich zu wenig angestrengt hat. Ich habe mich nicht angestrengt, ich war einfach be-schftigt, zuletzt mit der Pacific Avenue, es ist auch nicht so, dass ich keine Zeit zum Ster-

    Leben in der NachspielzeitEigentlich sollte ich lngst tot sein. Mein Gesundheitszustand war hoffnungslos. Also habe ich das Haus verkauft, viele Besitztmer verschenkt. Dass ich noch am Leben bin, macht mich ratlos. Von Claude Cueni

    Ich bin heute gestorben und bitte Sie deshalb . . .: Autor Cueni.

  • Claude Cueni ist Schriftsteller. Er lebt in Basel.

    ben gehabt htte, ich bin einfach nicht gestor-ben, thats it. Ich habe nicht das Geringste dafr getan. Das Verdienst gebhrt dem anonymen Knochenmarkspender und den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern der Isolierstation und des Zellersatzambulatoriums der Hmatologie des Universittsspitals Basel. Sie alle hielten mich am Leben, ermunterten mich, noch diese oder jene Strapaze zu ertragen, und teilten mir nach sechs Jahren Behandlung mit, dass sich die Or-ganabstossungen endlich stabilisiert htten, auf einem tiefen Niveau, aber damit knne man immer noch schreiben und am Wochenende einen Chteau Pape Clment entkorken. Das Damoklesschwert wollte jedoch keiner abhn-gen, theoretisch knnte es morgen wieder los-gehen, aber sie gingen nicht davon aus. Ich wrde weiterleben. berleben ist wohl das Wichtigste im Leben.

    Ich fuhr nach Hause, setzte mich im Keller auf einen Stapel Weinkisten. Die Bordeaux, die ich mir in den neunziger Jahren als gutver-dienender Drehbuchautor und Game-Designer zugelegt hatte, hatte ich behalten und jeweils an Geburtstagen verschenkt. Aber chronisch Kranke haben chronisch wenig Freunde. Man stirbt in seinem Umfeld, bevor man gestorben ist. Ich nahm einen alten Chteau Palmer und setzte mich im Wohnzimmer in den schwar-zen Sessel, in dem ich unzhlige Nchte durch-gestanden hatte. Eigentlich sollte ich bei all

    den Pillen, die ich nach wie vor einnehmen muss, keinen Wein trinken. Auf den Packungs-beilagen der Medikamente sind die Kontra-indikationen aufgefhrt. Ein Chteau Palmer ist nirgends erwhnt. Ich hatte schier verges-sen, wie grossartig ein alter Bordeaux schmeckt. Wre ich gesund geblieben, wren diese Weine nicht alt geworden.

    Goodbye-Modus Jetzt ist nach der Script Avenue noch die Pa-cific Avenue erschienen, und ich frage mich, was ich jetzt noch anfangen soll. Eine Verlnge-rung war nicht geplant, das Spiel war zu Ende, ich war seit Beendigung der Script Avenue im Goodbye-Modus. Manchmal denke ich, ich soll-te den anonymen Knochenmarkspender auf-suchen, der mir das Leben gerettet hat, und ihm sagen: Schau, das bin ich, mit deinem Kno-chenmark. Danke, dass du all die Unannehm-lichkeiten auf dich genommen und gespendet hast, und komm, lass uns was trinken, erzhl mir von deinem Leben. Aber in Europa mssen die Spender anonym bleiben, bei der Infusion wird sogar die Etikette auf dem Beutel abge-deckt. Falls Sie knnen, spenden Sie Knochen-mark! Es gibt irgendwo da draussen einen Men-schen, der Ihnen unendlich dankbar sein wird. Ich werde es immer sein. Und weiterschreiben.

    Pacific Avenue

    Claude Cueni nimmt die Leserschaft auf drei Reisen mit: Er erzhlt vom exotischen Trip, den er mit seiner asiatischen Frau auf die Philippinen unternimmt, um dort ihr Heimatdorf zu besuchen. Er berichtet von den psychogenen Wirkungen eines neuen Medikaments, das er schluckt. Schliesslich flicht er die Abenteuer des portugiesischen Seefahrers Ferdinand Magellan ein, der die Welt umsegeln wollte und 1521 auf den Phi-lippinen sein gewaltsames Ende fand. Pa-cific Avenue ist eine halbfiktionale Biogra-fie, die an sein erstes Werk dieses Genres anknpft, an Script Avenue. Einige Fil-ipinos sassen herum, whrend die Frauen stndig in Bewegung waren. Man htte meinen knnen, die Mnner htten hier Berufsverbot . . . Cueni schildert seine Rei-sen mit erzhlerischem Abstand. Das er-laubt ihm viel Witz und macht Pacific Avenue zu einem Lesevergngen. (h)

    Claude Cueni: Pacific Avenue. Wrterseh. 432 S., Fr. 36.90

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