Wenig verankerte demokratische Werte - Daniel Ursprung · 2012-09-03 · Ausrechtsnationaler...

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Dienstag, 28. August 2012 Nr. 199 Neuö Zürcör Zäitung Wenig verankerte demokratische Werte Rechtsstaatliche Prinzipien werden in Südosteuropa immer wieder als politische Machtinstrumente verstanden Der Machtkampf in Rumänien hat Befürchtungen einer autori- tären Welle in den südöstlichen EU-Ländern geweckt. Gründe für die derzeitige Lage sind strukturelle Probleme, aber auch nationale Gegebenheiten. Daniel Ursprung Die Aufnahme Rumäniens und Bulga- riens in die EU im Jahre 2007 ist vielfach als übereilt kritisiert worden. Die bei- den Länder seien weder politisch noch wirtschaftlich reif für die Aufnahme in die europäische Staatengemeinschaft gewesen. In der Tat sind die seither ge- machten Erfahrungen ernüchternd: Der Reformelan im Vorfeld des EU-Beitrit- tes erlahmte, kaum war der Beitritt voll- zogen. Punktuelle Fortschritte wurden häufig nur durch massiven Druck von aussen erreicht und durch Verschlechte- rungen in andern Bereichen relativiert. Kompromiss als Schwäche Die Ende Juni von der sozialliberalen Koalition (USL) in Rumänien vom Zaun gebrochene politische Krise legt bloss, wie schwach rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien verwurzelt sind. Sie werden vielfach ausschliesslich als Machtinstrumente verstanden. Als das Verfassungsgericht kürzlich das Re- ferendum zur Amtsenthebung von Prä- sident Basescu gesetzeskonform wegen zu geringer Wahlbeteiligung für ungül- tig erklärte, taxierte Ministerpräsident Victor Ponta das Verdikt als «illegal, un- gerecht, den demokratischen Regeln entgegenstehend». Antonescu, der Ko- alitionspartner und Präsidentschaftsan- wärter, beschimpfte die Verfassungs- richter als «Politoffiziere» Basescus, ob- wohl vier von neun Verfassungsrichtern vonseiten der USL ernannt wurden. Von der Respektierung der Gewalten- teilung war vor heimischem Publikum nur ganz am Rande die Rede. Eine ähnliche Verachtung demokra- tischer Spielregeln zugunsten reiner Machtpolitik zeigt sich seit 2010 auch in Ungarn, wo die Empörung über die Misswirtschaft der linken Vorgänger- regierung und ein günstiges Wahlrecht dem rechtsnationalen Fidesz Viktor Or- bans eine Zweidrittelmehrheit bescher- ten. Der Fidesz deutete den Wahlsieg in eine «Revolution an der Urne» um und begann, den Staat nach ideologischen Vorstellungen umzubauen. Grundlage des fehlenden Respekts vor den demo- kratischen und rechtsstaatlichen Wer- ten ist in Ungarn wie in Rumänien eine politische Kultur, in der nicht Konsens, sondern rücksichtslose Durchsetzung eigener Interessen als Ideal betrachtet, Entgegenkommen hingegen als Schwä- che interpretiert wird. Diese Haltung hat verschiedene his- torische Ursachen, die auch für andere Länder der Region gelten. Der Sozialis- mus hat eine paternalistische Haltung gegenüber dem Staat gefördert, von dem die Bevölkerung wirtschaftliche Stabilität, aber keine politische Mitbe- stimmung erwarten durfte. Keiner der postsozialistischen Staaten konnte an eine demokratische Tradition anknüp- fen. In der Zeit vor der Herrschaft der Kommunisten hatten autoritäre oder scheindemokratische Regime domi- niert. Die nach 1989 durchgeführten Reformen konzentrierten sich zu sehr auf den wirtschaftlichen Bereich, der Förderung demokratischer Prinzipien wurde angesichts oberflächlich rei- bungslos funktionierender Demokra- tien zu wenig Beachtung geschenkt. Gesellschaftliche Kluft Der Vergleich zwischen Ungarn und Rumänien bringt aber auch Unterschie- de zum Vorschein. Anders als in Rumä- nien existiert in Ungarn eine weit über den eigentlichen politischen Bereich hinausgehende tiefe gesellschaftliche Kluft zwischen Rechten und Linken. Die ideologische Polarisierung ist auch Folge politischer Verwerfungen im 20. Jahrhundert: Die kurzlebige kom- munistische Räteregierung von 1919 oder das Trauma der blutigen Nieder- schlagung des Volksaufstandes 1956 durch sowjetische Truppen mit der an- schliessenden Entpolitisierung der Ge- sellschaft, aber auch der Verlust eines Grossteils des «nationalen» Territori- ums im Friedensvertrag von Trianon 1920 spielen für das kollektive Gedächt- nis in Ungarn eine herausragende Rolle. Aus rechtsnationaler Perspektive wird die ungarische Nation von äusse- ren und inneren Feinden bedroht, was zu einer antikommunistischen und anti- liberalen Abwehrhaltung führt. In Ru- mänien hingegen sind die politischen Lager diffus und instabil, klare ideologi- sche Zuordnungen kaum möglich. Die Konfliktlinien ergeben sich hier vor allem aus momentanen Konstellationen und dem für die politische Kultur prä- genden Narzissmus der politischen Füh- rungsfiguren. Der überaus eng verfloch- tene Filz einflussreicher Persönlichkei- ten aus Politik und Wirtschaft ist zwar in allen postkommunistischen Staaten evi- dent, erreicht innerhalb der EU aber wohl nirgendwo dasselbe Ausmass wie in Rumänien. Seilschaften und Filz Die Gründe dafür zeigen sich im Ver- gleich mit Bulgarien, einem weiteren Sorgenkind der EU, dessen rechtsstaat- lich-demokratische Entwicklung Grund zur Sorge gibt. In einer jüngst durch- geführten Umfrage kam das bulgarische Meinungsforschungsinstitut Mediana zu alarmierenden Schlüssen: Gut ein Drittel der Bevölkerung lehnt die De- mokratie ab, autoritäre Tendenzen fan- den hohe Zustimmungsraten. Ange- sichts gravierender Probleme erachtet ein hoher Teil der Bevölkerung eine starke Hand als geringeres Übel. Nach dem Fall des Kommunismus er- lebte Bulgarien in den neunziger Jahren eine turbulente Zeit. Staatliche Struktu- ren wurden teilweise bewusst ge- schwächt, da die antikommunistischen Kräfte den von Funktionären des alten Regimes durchsetzten Staats- und Ge- heimdienstapparat säubern wollten. Entlassene aus dem Dunstkreis der Sicherheitskräfte rotteten sich zusam- men und formierten sich im allgemei- nen Chaos zu kriminellen Gruppen. Weite Bevölkerungsteile litten in den neunziger Jahren direkt unter der orga- nisierten Kriminalität, etwa in Form von Schutzgelderpressung, betrieben von nur oberflächlich getarnten «Versiche- rungsgesellschaften». Rumänien blieb davon weitgehend verschont. Hier war es dem kommunisti- schen Funktionärsapparat gelungen, alle Schalthebel der Macht in der Hand zu behalten. Der berüchtigte Geheimdienst Securitate wurde nur drei Monate nach dem Sturz Ceausescus unter neuem Namen reaktiviert. Seilschaften der No- menklatura nutzen die fortbestehende politische und wirtschaftliche Macht, um sich mithilfe des Staates zu bereichern. Politisierung der Justiz Während in Bulgarien ein schwacher Staat offener Gewalt bis hin zu zahl- reichen Auftragsmorden im Mafia-Mi- lieu hilflos gegenüberstand, entstand in Rumänien ein Filz aus Politik und Wirt- schaft. Geschäfte im Graubereich und jenseits der Legalität wurden unter akti- ver Beteiligung des Staatsapparates ab- gewickelt. Politisch gut vernetzte Part- ner erhielten ungedeckte Kredite staat- licher Banken, Erlasse von Behörden sicherten Firmen Quasimonopole, wäh- rend sich sogenannte Zeckenfirmen darauf spezialisierten, zu einem Spott- preis bezogene Leistungen staatlicher Betriebe überteuert weiterzuverkaufen. In jüngerer Zeit intensivierte die rumänische Justiz aber ihren Kampf gegen die parteiübergreifend agieren- den korrupten Netzwerke, zahlreiche Politiker und der Politik nahestehende Oligarchen wurden angeklagt oder ver- urteilt. Dazu kommt, wie die rumäni- sche Politologin Alina Mungiu-Pippidi schon vor zwei Jahren konstatierte, ein konstitutioneller Konflikt zwischen der Justiz auf der einen und Regierung und Parlament auf der anderen Seite. Undemokratisches Verhalten der Exekutive und die Unfähigkeit der Legislative, kohärente Gesetze zu erlas- sen, brachten die Justiz dazu, weit über das übliche Mass hinaus Gesetze und Regierungserlasse zu interpretieren. Anstatt in den dafür vorgesehenen Institutionen einen politischen Konsens zu suchen, verklagten sich Regierung und Opposition gegenseitig. Politische Konflikte wurden so an die Justiz dele- giert, die damit Teil politischer Graben- kämpfe wurde, aber auch grossen Ein- fluss gewann. Die Regierung Ponta ver- sucht nun, die Macht der Gerichte zu beschneiden, um ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Beschränkungen regie- ren zu können. Dem Präsidenten, der wegen seiner zynischen Kommentare zu den Spar- massnahmen der letzten Jahre äusserst unpopulär ist, wirft die Regierung vor, Kopf eines angeblichen «Regimes Ba- sescu» zu sein, das sich alle staatlichen Instanzen untergeordnet habe. Der Kampf gegen Basescu ist dabei nur ein Mittel im Feldzug gegen unabhängige Institutionen, auf die der Präsident gar keinen unmittelbaren Einfluss ausübt. Die Strategie der USL zielt darauf, die Institutionen des Rechtsstaates und die Gewaltenteilung systematisch aus- zuhöhlen und zu delegitimieren, um die Kontrolle über bisher unabhängige In- stitutionen zu erlangen. Nicht unwichtig sind aber auch persönliche Rachegefüh- le gegen Basescu, der mit seinem polari- sierenden Stil viele Politiker vor den Kopf gestossen und in seiner Personal- politik wenig Rücksicht auf politisch einflussreiche Netzwerke genommen hat. Insofern hat die Krise spezifisch nationale Ursachen, allerdings auf der Grundlage einer in der ganzen Region verbreiteten geringen Akzeptanz grundlegender politischer Werte. Die politische Konfrontation in Ru- mänien ist nicht zuletzt als Aufbäumen einer korrupten politischen Klasse zu verstehen, die sich dagegen wehrt, für Straftaten zur Rechenschaft gezogen zu werden oder auch einfach Privilegien zu verlieren. Grosszügige Zahlungen an Exponenten der Sicherheitskräfte oder angebliche «Revolutionäre» (Teilneh- mer des Volksaufstandes von 1989 ge- gen Ceausescu) haben Rumänien bisher vor einem bulgarischen Szenario, einer Abwanderung in die Kriminalität, be- wahrt. Dafür konstituierte sich eine ein- flussreiche Cliquenwirtschaft innerhalb des Staatsapparates und der Parteien- landschaft. Der Kampf gegen eine Re- formierung dieses Systems verlief so bis- her weitgehend gewaltlos, wird dafür aber auf der politischen Bühne umso heftiger ausgetragen. Unterstützung von aussen Die wichtigste Unterstützung für die rumänische Demokratie kommt im Mo- ment von aussen. Nach den Erfahrun- gen in Ungarn hat der Westen auf die Krise schnell reagiert und klargemacht, dass die Verletzung demokratisch- rechtsstaatlicher Grundwerte nicht tole- riert wird. Insofern hat es sein Gutes, dass Rumänien als Mitglied der EU stärker unter Kontrolle steht und die internationalen Institutionen eine bes- sere Handhabe gegen autoritäre Ten- denzen haben als etwa im Fall der Ukraine. Die Intervention des Westens hat den Regierenden die Grenzen ihres Handelns aufgezeigt. Auf Dauer kann dies aber keine Lösung sein. Die Förde- rung eines Bewusstseins dafür, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als grundlegende Werte zu schützen sind, bleibt eine grosse Herausforderung für die kritische Öffentlichkeit in den be- troffenen Ländern. ................................................................................. Daniel Ursprung ist Mitarbeiter an der Abteilung für osteuropäische Geschichte der Universität Zürich. Basescus Gegner beglückwünschen sich nach der Parlamentsabstimmung im Juli über das Impeachment-Verfahren. ROBERT GHEMENT / EPA

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INTERNATIONAL 5Dienstag, 28. August 2012 ^ Nr. 199 Neuö Zürcör Zäitung

Basescu erhältsein Amt zurückKampf um Rumäniens Justiz

Das rumänische Parlament hatam Montag die Wiedereinsetzungvon Präsident Basescu nach demgescheiterten Impeachment-Referendum bestätigt. DerKampf um die Kontrolle derJustiz ist mit Basescus Rückkehrneu lanciert.

Rudolf Hermann, Prag

Das rumänische Parlament ist am Mon-tag zu einer Sondersitzung aufgebotenworden, auf deren Programm eine De-batte über den Bericht des Verfassungs-gerichts zum gescheiterten Referendumzur Amtsenthebung von Präsident Ba-sescu stand. Die Verfassungsrichter wa-ren vergangene Woche nach eingehen-dem Studium der Unterlagen zumSchluss gekommen, dass die Mindest-beteiligung für ein gültiges Resultat desReferendums von 50 Prozent nicht er-reicht worden war. Im Anschluss an diePräsentation des Berichts oblag es denAbgeordneten, die Rückkehr des An-fang Juli suspendierten Basescu in seinAmt zu bestätigen.

Zwängerei der KoalitionAllerdings zeichnete sich schon früh ab,dass die regierende SozialliberaleUnion (USL), ein Bündnis von Sozial-demokraten und Nationalliberalen,nicht gewillt war, diesen technischenAkt ohne Obstruktion über die Bühnegehen zu lassen. Ein Fraktionssprechergab zunächst bekannt, dass die USL-Abgeordneten das Plenum boykottie-ren würden. Obwohl der Verfassungs-gerichtsentscheid endgültig ist, bekun-dete die Regierungskoalition etwelcheMühe, ihn zu akzeptieren. Schliesslichfanden sich aber doch genügend Abge-ordnete der USL im Ratssaal ein, damitdie Versammlung beschlussfähig war.Der Parlamentsbeschluss erlangt Gül-tigkeit, sobald er im Amtsblatt ver-öffentlicht ist.

Ein Hindernis für die RückkehrBasescus in den Präsidentenpalast warbereits Ende vergangener Woche ausdem Weg geräumt worden, als der alsInterimspräsident fungierende Senats-vorsitzende Antonescu die ehemaligeRichterin Mona Pivniceru als neue Jus-tizministerin vereidigte. Dieser Akt hat-te sich verzögert, weil Pivniceru zuerstihr Amt in der rumänischen Richter-Vereinigung niederlegen musste, was aneiner Plenarsitzung des Gremiums zuerfolgen hatte.

Pivniceru ist eine scharfe GegnerinBasescus, weshalb die Regierungskoali-tion dessen Rückkehr ins Amt nicht zu-lassen wollte, solange die neue Justiz-ministerin nicht in ihre neue Funktioneingeführt war. Man befürchtete, dassBasescu ihre Ernennung ablehnen wür-de. Die neue Justizministerin ist zwarauf dem Papier unabhängig, doch wirdihr Nähe zur Führungsspitze der Sozial-demokraten nachgesagt. Auch soll siesich im Umkreis des wegen Korruptionverurteilten früheren Ministerpräsiden-ten Adrian Nastase bewegen, einer der«grauen Eminenzen» der Sozialdemo-kratischen Partei.

Neuer Konflikt am HorizontMehr als ein Bukarester Kommentatorhat in den letzten Wochen festgehalten,die in Rumänien stattfindende Ausein-andersetzung sei vor allem ein Kampfum die Kontrolle der Justiz. Die nächsteRunde dieses Ringens ist mit der Rück-kehr Basescus in den Präsidentenpalastnun programmiert. Demnächst stehtnämlich die Ernennung eines neuenGeneralstaatsanwalts und eines neuenChefs der Behörde zur Bekämpfung derKorruption an. Allerdings ist angesichtsder Konfrontation zwischen Präsidentund Regierung nicht zu erwarten, dassdie neue Justizministerin Kandidatenvorschlagen wird, die für Basescu ver-daulich sind. Die Regierung dürfte dannversuchen, ihn als Verhinderer zubrandmarken.

Wenig verankerte demokratische WerteRechtsstaatliche Prinzipien werden in Südosteuropa immer wieder als politische Machtinstrumente verstanden

Der Machtkampf in Rumänienhat Befürchtungen einer autori-tären Welle in den südöstlichenEU-Ländern geweckt. Gründefür die derzeitige Lage sindstrukturelle Probleme, aber auchnationale Gegebenheiten.

Daniel Ursprung

Die Aufnahme Rumäniens und Bulga-riens in die EU im Jahre 2007 ist vielfachals übereilt kritisiert worden. Die bei-den Länder seien weder politisch nochwirtschaftlich reif für die Aufnahme indie europäische Staatengemeinschaftgewesen. In der Tat sind die seither ge-machten Erfahrungen ernüchternd: DerReformelan im Vorfeld des EU-Beitrit-tes erlahmte, kaum war der Beitritt voll-zogen. Punktuelle Fortschritte wurdenhäufig nur durch massiven Druck vonaussen erreicht und durch Verschlechte-rungen in andern Bereichen relativiert.

Kompromiss als SchwächeDie Ende Juni von der sozialliberalenKoalition (USL) in Rumänien vomZaun gebrochene politische Krise legtbloss, wie schwach rechtsstaatliche unddemokratische Prinzipien verwurzeltsind. Sie werden vielfach ausschliesslichals Machtinstrumente verstanden. Alsdas Verfassungsgericht kürzlich das Re-ferendum zur Amtsenthebung von Prä-sident Basescu gesetzeskonform wegenzu geringer Wahlbeteiligung für ungül-tig erklärte, taxierte MinisterpräsidentVictor Ponta das Verdikt als «illegal, un-gerecht, den demokratischen Regelnentgegenstehend». Antonescu, der Ko-alitionspartner und Präsidentschaftsan-wärter, beschimpfte die Verfassungs-richter als «Politoffiziere» Basescus, ob-wohl vier von neun Verfassungsrichternvonseiten der USL ernannt wurden.Von der Respektierung der Gewalten-teilung war vor heimischem Publikumnur ganz am Rande die Rede.

Eine ähnliche Verachtung demokra-tischer Spielregeln zugunsten reinerMachtpolitik zeigt sich seit 2010 auch inUngarn, wo die Empörung über dieMisswirtschaft der linken Vorgänger-regierung und ein günstiges Wahlrechtdem rechtsnationalen Fidesz Viktor Or-bans eine Zweidrittelmehrheit bescher-ten. Der Fidesz deutete den Wahlsieg ineine «Revolution an der Urne» um undbegann, den Staat nach ideologischenVorstellungen umzubauen. Grundlagedes fehlenden Respekts vor den demo-kratischen und rechtsstaatlichen Wer-ten ist in Ungarn wie in Rumänien einepolitische Kultur, in der nicht Konsens,sondern rücksichtslose Durchsetzungeigener Interessen als Ideal betrachtet,Entgegenkommen hingegen als Schwä-che interpretiert wird.

Diese Haltung hat verschiedene his-torische Ursachen, die auch für andereLänder der Region gelten. Der Sozialis-mus hat eine paternalistische Haltunggegenüber dem Staat gefördert, vondem die Bevölkerung wirtschaftlicheStabilität, aber keine politische Mitbe-stimmung erwarten durfte. Keiner derpostsozialistischen Staaten konnte aneine demokratische Tradition anknüp-fen. In der Zeit vor der Herrschaft derKommunisten hatten autoritäre oderscheindemokratische Regime domi-niert. Die nach 1989 durchgeführtenReformen konzentrierten sich zu sehrauf den wirtschaftlichen Bereich, derFörderung demokratischer Prinzipienwurde angesichts oberflächlich rei-bungslos funktionierender Demokra-tien zu wenig Beachtung geschenkt.

Gesellschaftliche KluftDer Vergleich zwischen Ungarn undRumänien bringt aber auch Unterschie-de zum Vorschein. Anders als in Rumä-nien existiert in Ungarn eine weit überden eigentlichen politischen Bereichhinausgehende tiefe gesellschaftlicheKluft zwischen Rechten und Linken.Die ideologische Polarisierung ist auchFolge politischer Verwerfungen im

20. Jahrhundert: Die kurzlebige kom-munistische Räteregierung von 1919oder das Trauma der blutigen Nieder-schlagung des Volksaufstandes 1956durch sowjetische Truppen mit der an-schliessenden Entpolitisierung der Ge-sellschaft, aber auch der Verlust einesGrossteils des «nationalen» Territori-ums im Friedensvertrag von Trianon1920 spielen für das kollektive Gedächt-nis in Ungarn eine herausragende Rolle.

Aus rechtsnationaler Perspektivewird die ungarische Nation von äusse-ren und inneren Feinden bedroht, waszu einer antikommunistischen und anti-liberalen Abwehrhaltung führt. In Ru-mänien hingegen sind die politischenLager diffus und instabil, klare ideologi-sche Zuordnungen kaum möglich. DieKonfliktlinien ergeben sich hier vorallem aus momentanen Konstellationenund dem für die politische Kultur prä-genden Narzissmus der politischen Füh-rungsfiguren. Der überaus eng verfloch-tene Filz einflussreicher Persönlichkei-ten aus Politik und Wirtschaft ist zwar inallen postkommunistischen Staaten evi-dent, erreicht innerhalb der EU aberwohl nirgendwo dasselbe Ausmass wiein Rumänien.

Seilschaften und FilzDie Gründe dafür zeigen sich im Ver-gleich mit Bulgarien, einem weiterenSorgenkind der EU, dessen rechtsstaat-lich-demokratische Entwicklung Grundzur Sorge gibt. In einer jüngst durch-geführten Umfrage kam das bulgarischeMeinungsforschungsinstitut Medianazu alarmierenden Schlüssen: Gut einDrittel der Bevölkerung lehnt die De-mokratie ab, autoritäre Tendenzen fan-den hohe Zustimmungsraten. Ange-sichts gravierender Probleme erachtetein hoher Teil der Bevölkerung einestarke Hand als geringeres Übel.

Nach dem Fall des Kommunismus er-lebte Bulgarien in den neunziger Jahreneine turbulente Zeit. Staatliche Struktu-ren wurden teilweise bewusst ge-schwächt, da die antikommunistischenKräfte den von Funktionären des altenRegimes durchsetzten Staats- und Ge-heimdienstapparat säubern wollten.Entlassene aus dem Dunstkreis derSicherheitskräfte rotteten sich zusam-men und formierten sich im allgemei-nen Chaos zu kriminellen Gruppen.Weite Bevölkerungsteile litten in denneunziger Jahren direkt unter der orga-nisierten Kriminalität, etwa in Form vonSchutzgelderpressung, betrieben vonnur oberflächlich getarnten «Versiche-rungsgesellschaften».

Rumänien blieb davon weitgehendverschont. Hier war es dem kommunisti-schen Funktionärsapparat gelungen, alle

Schalthebel der Macht in der Hand zubehalten. Der berüchtigte GeheimdienstSecuritate wurde nur drei Monate nachdem Sturz Ceausescus unter neuemNamen reaktiviert. Seilschaften der No-menklatura nutzen die fortbestehendepolitische und wirtschaftliche Macht, umsich mithilfe des Staates zu bereichern.

Politisierung der JustizWährend in Bulgarien ein schwacherStaat offener Gewalt bis hin zu zahl-reichen Auftragsmorden im Mafia-Mi-lieu hilflos gegenüberstand, entstand inRumänien ein Filz aus Politik und Wirt-schaft. Geschäfte im Graubereich undjenseits der Legalität wurden unter akti-ver Beteiligung des Staatsapparates ab-gewickelt. Politisch gut vernetzte Part-ner erhielten ungedeckte Kredite staat-licher Banken, Erlasse von Behördensicherten Firmen Quasimonopole, wäh-rend sich sogenannte Zeckenfirmendarauf spezialisierten, zu einem Spott-preis bezogene Leistungen staatlicherBetriebe überteuert weiterzuverkaufen.

In jüngerer Zeit intensivierte dierumänische Justiz aber ihren Kampfgegen die parteiübergreifend agieren-den korrupten Netzwerke, zahlreichePolitiker und der Politik nahestehendeOligarchen wurden angeklagt oder ver-urteilt. Dazu kommt, wie die rumäni-sche Politologin Alina Mungiu-Pippidischon vor zwei Jahren konstatierte, einkonstitutioneller Konflikt zwischen derJustiz auf der einen und Regierung undParlament auf der anderen Seite.

Undemokratisches Verhalten derExekutive und die Unfähigkeit derLegislative, kohärente Gesetze zu erlas-sen, brachten die Justiz dazu, weit überdas übliche Mass hinaus Gesetze undRegierungserlasse zu interpretieren.Anstatt in den dafür vorgesehenenInstitutionen einen politischen Konsenszu suchen, verklagten sich Regierungund Opposition gegenseitig. PolitischeKonflikte wurden so an die Justiz dele-giert, die damit Teil politischer Graben-kämpfe wurde, aber auch grossen Ein-fluss gewann. Die Regierung Ponta ver-sucht nun, die Macht der Gerichte zubeschneiden, um ohne Rücksicht aufrechtsstaatliche Beschränkungen regie-ren zu können.

Dem Präsidenten, der wegen seinerzynischen Kommentare zu den Spar-massnahmen der letzten Jahre äusserstunpopulär ist, wirft die Regierung vor,Kopf eines angeblichen «Regimes Ba-sescu» zu sein, das sich alle staatlichenInstanzen untergeordnet habe. DerKampf gegen Basescu ist dabei nur einMittel im Feldzug gegen unabhängigeInstitutionen, auf die der Präsident garkeinen unmittelbaren Einfluss ausübt.

Die Strategie der USL zielt darauf,die Institutionen des Rechtsstaates unddie Gewaltenteilung systematisch aus-zuhöhlen und zu delegitimieren, um dieKontrolle über bisher unabhängige In-stitutionen zu erlangen. Nicht unwichtigsind aber auch persönliche Rachegefüh-le gegen Basescu, der mit seinem polari-sierenden Stil viele Politiker vor denKopf gestossen und in seiner Personal-politik wenig Rücksicht auf politischeinflussreiche Netzwerke genommenhat. Insofern hat die Krise spezifischnationale Ursachen, allerdings auf derGrundlage einer in der ganzen Regionverbreiteten geringen Akzeptanzgrundlegender politischer Werte.

Die politische Konfrontation in Ru-mänien ist nicht zuletzt als Aufbäumeneiner korrupten politischen Klasse zuverstehen, die sich dagegen wehrt, fürStraftaten zur Rechenschaft gezogen zuwerden oder auch einfach Privilegien zuverlieren. Grosszügige Zahlungen anExponenten der Sicherheitskräfte oderangebliche «Revolutionäre» (Teilneh-mer des Volksaufstandes von 1989 ge-gen Ceausescu) haben Rumänien bishervor einem bulgarischen Szenario, einerAbwanderung in die Kriminalität, be-wahrt. Dafür konstituierte sich eine ein-flussreiche Cliquenwirtschaft innerhalbdes Staatsapparates und der Parteien-landschaft. Der Kampf gegen eine Re-formierung dieses Systems verlief so bis-her weitgehend gewaltlos, wird dafüraber auf der politischen Bühne umsoheftiger ausgetragen.

Unterstützung von aussenDie wichtigste Unterstützung für dierumänische Demokratie kommt im Mo-ment von aussen. Nach den Erfahrun-gen in Ungarn hat der Westen auf dieKrise schnell reagiert und klargemacht,dass die Verletzung demokratisch-rechtsstaatlicher Grundwerte nicht tole-riert wird. Insofern hat es sein Gutes,dass Rumänien als Mitglied der EUstärker unter Kontrolle steht und dieinternationalen Institutionen eine bes-sere Handhabe gegen autoritäre Ten-denzen haben als etwa im Fall derUkraine. Die Intervention des Westenshat den Regierenden die Grenzen ihresHandelns aufgezeigt. Auf Dauer kanndies aber keine Lösung sein. Die Förde-rung eines Bewusstseins dafür, dassDemokratie und Rechtsstaatlichkeit alsgrundlegende Werte zu schützen sind,bleibt eine grosse Herausforderung fürdie kritische Öffentlichkeit in den be-troffenen Ländern.

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Daniel Ursprung ist Mitarbeiter an der Abteilung fürosteuropäische Geschichte der Universität Zürich.

Basescus Gegner beglückwünschen sich nach der Parlamentsabstimmung im Juli über das Impeachment-Verfahren. ROBERT GHEMENT / EPA

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