Wenn Antibiotika nicht mehr helfen

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Zusätzlich stellt die Förderung internationa- ler Netzwerke wie CAESAR (Central Asian and Eastern European Surveillance of Antimicro- bial Resistance) oder TATFAR (Transatlantic Taskforce on Antimicrobial Resistance) eine wichtige Maßnahme dar, um Informationen über regional aufkommende Resistenzen effi- zienter und koordiniert zu sammeln und dar- auf zu reagieren. Der kontinuierlich steigenden bakteriellen Resistenzentwicklung steht allerdings die ste- tige Abnahme der Entwicklung neuer Anti- biotika entgegen. Lediglich vier Substanzen der letzten 40 Jahre basieren auf neuen Anti- biotikaklassen, trotz zahlreicher moderner Hochdurchsatzscreenings. Von vielen Fehl- schlägen entmutigt, haben zahlreiche große Pharmaunternehmen in jüngerer Vergan- genheit ihre antibiotische Wirkstoffforschung eingestellt. Hinzu kommt, dass bei den nie- drigen Preisen für lebensrettende Antibiotika die Entwicklung von Therapeutika zur Behandlung chronischer Erkrankungen wesentlich rentabler erscheint. Um heute auf der Suche nach Antibiotika mit neuartigen Wirkmechanismen einen ent- scheidenden Durchbruch zu erlangen, ist es dringend nötig, alle verfügbaren Ressourcen in einem integrierten Prozess der antibioti- schen Leitstrukturfindung und -optimierung zu bündeln. Auf stofflicher Ebene umfasst dies sowohl die Quelle der niedermolekula- ren Wirkstoffpools als auch Naturstoffbanken, auf methodischer Ebene die Techniken der funktionellen Genomanalyse, die Möglich- keiten der kombinatorischen Chemie zusam- men mit klassischen medizinal-chemischen Syntheseverfahren, unterstützt durch Struk- turinformationen und molekulare Modellie- rung. Unerlässlich ist zudem eine verstärkte Grundlagenforschung, um ein tieferes Ver- ständnis der molekularen Wirkmechanismen der Substanzen sowie der Antibiotikawirkung auf zellulärer Ebene zu erlangen. Mit den genannten verfügbaren experi- mentellen Techniken und dem Pool an eta- DOI: 10.1007/s12268-014-0449-7 © Springer-Verlag 2014 ó Heutzutage sterben in Europa trotz bester medizinischer Versorgung pro Jahr mehr als 25.000 Menschen an Krankenhausinfektio- nen mit resistenten Bakterien. Die Weltge- sundheitsorganisation WHO fasst in ihrem aktuellen Bericht 1 erstmals global die alar- mierende Situation der Antibiotikaresistenz zusammen und warnt dabei ausdrücklich vor einer bevorstehenden postantibiotischen Ära, in der gewöhnliche Infektionen wieder töd- lich sein können. Als vorherrschende Pro- blemkeime gelten die ESKAPE-Erreger (Ente- rococcus faecium, Staphylococcus aureus, Kleb- siella pneumoniae, Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa und Enterobacter spec.). So versagen derzeit Antibiotika der letzten Instanz, wie Cephalosporine der drit- ten Generation, Carbapeneme oder Fluoro- chinolone, bei der Therapie von Infektionen mit den meist multiresistenten Gram-negati- ven Keimen. Bei den Gram-positiven Erregern sind insbesondere die weltweiten Zahlen der MRSA-Infektionen (Methicillin-resistenter Sta- phylococcus aureus) besorgniserregend, mit über 25 Prozent in Europa und bis zu 90 Pro- zent in den erfassten Gebieten Afrikas. Die rasant zunehmende Resistenzverbrei- tung wird im Wesentlichen dem sorglosen Umgang mit Antibiotika in der Human- und Tiermedizin sowie mangelnder Kranken- haushygiene zugeschrieben. Ein sparsamer und vor allem gezielter Gebrauch von Anti- biotika sowie eine ausreichende Therapiezeit sind die wichtigsten Gegenmaßnahmen. Um Krankheitskeime zukünftig schneller zu iden- tifizieren und sie dann gezielt zu bekämpfen, werden dringend neue Diagnostikmethoden benötigt. Sie ermöglichen dann den gezielten Einsatz von Schmalspektrum-Antibiotika. Helga Rübsamen-Schaeff „DER KONTINUIERLICH STEIGENDEN BAKTERIELLEN RESISTENZ- ENTWICKLUNG STEHT DIE STETIGE ABNAHME DER ENTWICKLUNG NEUER ANTIBIOTIKA ENTGEGEN. EINE FORSCHUNGSFÖRDERUNG, DIE AUCH DIE SPÄTEN KLINISCHEN PHASEN UNTERSTÜTZT, WÄRE AUCH NATIONAL WÜNSCHENSWERT.“ Wenn Antibiotika nicht mehr helfen 367 EDITORIAL BIOspektrum | 04.14 | 20. Jahrgang bliertem biochemischem, mikro- und mole- kularbiologischem Wissen ist die moderne Antibiotikaforschung heute prinzipiell in einer guten Ausgangsposition. Es müssen jedoch neue Finanzierungsmodelle für trans- nationale Forschung und Entwicklung hin- zukommen und die Zulassungsverfahren für neue Antibiotika erleichtert und beschleunigt werden, damit die Entwicklung neuer Anti- biotika wieder attraktiv wird und die Phar- maindustrie weltweit wieder intensiv in die Antibiotikaforschung einsteigt. Die Innovative Medicines-Initiative (IMI) der Europäischen Union mit Mitgliedern der Euro- pean Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) fördert und finan- ziert gemeinsame Forschungsprojekte von Industrie und Hochschulen. In diesem Kon- sortium werden aktuell auch Projekte der Antibiotika-Entwicklung bearbeitet. Dies ist ein erster wichtiger Schritt zur Generierung der dringend benötigten Resistenz-brechen- den Antibiotika in Europa. Eine Forschungs- förderung, die auch die späten klinischen Pha- sen unterstützt, wäre auch national äußerst wünschenswert. ó Helga Rübsamen-Schaeff, CEO, AiCuris GmbH & Co. KG, Wuppertal unter Mitarbeit von Daniela Münch und Dr. Cuong Vuong Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Helga Rübsamen-Schaeff AiCuris GmbH & Co. KG Friedrich-Ebert-Straße 475 D-42117 Wuppertal Tel.: 0202-31763-0 Fax: 0202-31763-1601 [email protected] 1 WHO (2014) Antimicrobial resistance: global report on surveillance, www.who.int/drugresistance/docu ments/surveillancereport

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Zusätzlich stellt die Förderung internationa-ler Netzwerke wie CAESAR (Central Asian andEastern European Surveillance of Antimicro-bial Resistance) oder TATFAR (TransatlanticTaskforce on Antimicrobial Resistance) einewichtige Maßnahme dar, um Informationenüber regional aufkommende Resistenzen effi-zienter und koordiniert zu sammeln und dar-auf zu reagieren.

Der kontinuierlich steigenden bakteriellenResistenzentwicklung steht allerdings die ste-tige Abnahme der Entwicklung neuer Anti-biotika entgegen. Lediglich vier Substanzender letzten 40 Jahre basieren auf neuen Anti-biotikaklassen, trotz zahlreicher modernerHochdurchsatzscreenings. Von vielen Fehl-schlägen entmutigt, haben zahlreiche großePharmaunternehmen in jüngerer Vergan-genheit ihre antibiotische Wirkstoffforschungeingestellt. Hinzu kommt, dass bei den nie-drigen Preisen für lebensrettende Antibiotikadie Entwicklung von Therapeutika zurBehandlung chronischer Erkrankungenwesentlich rentabler erscheint.

Um heute auf der Suche nach Antibiotikamit neuartigen Wirkmechanismen einen ent-scheidenden Durchbruch zu erlangen, ist esdringend nötig, alle verfügbaren Ressourcenin einem integrierten Prozess der antibioti-schen Leitstrukturfindung und -optimierungzu bündeln. Auf stofflicher Ebene umfasstdies sowohl die Quelle der niedermolekula-ren Wirkstoffpools als auch Naturstoffbanken,auf methodischer Ebene die Techniken derfunktionellen Genomanalyse, die Möglich-keiten der kombinatorischen Chemie zusam-men mit klassischen medizinal-chemischenSyntheseverfahren, unterstützt durch Struk-turinformationen und molekulare Modellie-rung. Unerlässlich ist zudem eine verstärkteGrundlagenforschung, um ein tieferes Ver-ständnis der molekularen Wirkmechanismender Substanzen sowie der Antibiotikawirkungauf zellulärer Ebene zu erlangen.

Mit den genannten verfügbaren experi-mentellen Techniken und dem Pool an eta-

DOI: 10.1007/s12268-014-0449-7© Springer-Verlag 2014

ó Heutzutage sterben in Europa trotz bestermedizinischer Versorgung pro Jahr mehr als25.000 Menschen an Krankenhausinfektio-nen mit resistenten Bakterien. Die Weltge-sundheitsorganisation WHO fasst in ihremaktuellen Bericht1 erstmals global die alar-mierende Situation der Antibiotikaresistenzzusammen und warnt dabei ausdrücklich voreiner bevorstehenden postantibiotischen Ära,in der gewöhnliche Infektionen wieder töd-lich sein können. Als vorherrschende Pro-blemkeime gelten die ESKAPE-Erreger (Ente -rococcus faecium, Staphylococcus aureus, Kleb-siella pneumoniae, Acinetobacter baumannii,Pseudomonas aeruginosa und Enterobacterspec.). So versagen derzeit Antibiotika derletzten Instanz, wie Cephalosporine der drit-ten Generation, Carbapeneme oder Fluoro-chinolone, bei der Therapie von Infektionenmit den meist multiresistenten Gram-negati-ven Keimen. Bei den Gram-positiven Erregernsind insbesondere die weltweiten Zahlen derMRSA-Infektionen (Methicillin-resistenter Sta-phylococcus aureus) besorgniserregend, mitüber 25 Prozent in Europa und bis zu 90 Pro-zent in den erfassten Gebieten Afrikas.

Die rasant zunehmende Resistenzverbrei-tung wird im Wesentlichen dem sorglosenUmgang mit Antibiotika in der Human- undTiermedizin sowie mangelnder Kranken-haushygiene zugeschrieben. Ein sparsamerund vor allem gezielter Gebrauch von Anti-biotika sowie eine ausreichende Therapiezeitsind die wichtigsten Gegenmaßnahmen. UmKrankheitskeime zukünftig schneller zu iden-tifizieren und sie dann gezielt zu bekämpfen,werden dringend neue Diagnostikmethodenbenötigt. Sie ermöglichen dann den gezieltenEinsatz von Schmalspektrum-Antibiotika.

Helga Rübsamen-Schaeff

„DER KONTINUIERLICH STEIGENDEN BAKTERIELLEN RESISTENZ -ENTWICKLUNG STEHT DIE STETIGE ABNAHME DER ENTWICKLUNGNEUER ANTIBIOTIKA ENTGEGEN. EINE FORSCHUNGSFÖRDERUNG, DIEAUCH DIE SPÄTEN KLINISCHEN PHASEN UNTERSTÜTZT, WÄRE AUCHNATIONAL WÜNSCHENSWERT.“

Wenn Antibiotika nicht mehr helfen

367EDITORIAL

BIOspektrum | 04.14 | 20. Jahrgang

bliertem biochemischem, mikro- und mole-kularbiologischem Wissen ist die moderneAntibiotikaforschung heute prinzipiell ineiner guten Ausgangsposition. Es müssenjedoch neue Finanzierungsmodelle für trans-nationale Forschung und Entwicklung hin-zukommen und die Zulassungsverfahren fürneue Antibiotika erleichtert und beschleunigtwerden, damit die Entwicklung neuer Anti-biotika wieder attraktiv wird und die Phar-maindustrie weltweit wieder intensiv in dieAntibiotikaforschung einsteigt.

Die Innovative Medicines-Initiative (IMI) derEuropäischen Union mit Mitgliedern der Euro-pean Federation of Pharmaceutical Industriesand Associations (EFPIA) fördert und finan-ziert gemeinsame Forschungsprojekte vonIndustrie und Hochschulen. In diesem Kon-sortium werden aktuell auch Projekte derAntibiotika-Entwicklung bearbeitet. Dies istein erster wichtiger Schritt zur Generierungder dringend benötigten Resistenz-brechen-den Antibiotika in Europa. Eine Forschungs-förderung, die auch die späten klinischen Pha-sen unterstützt, wäre auch national äußerstwünschenswert. ó

Helga Rübsamen-Schaeff,CEO, AiCuris GmbH & Co. KG, Wuppertal unter Mitarbeit von Daniela Münch undDr. Cuong Vuong

Korrespondenzadresse:Prof. Dr. Helga Rübsamen-SchaeffAiCuris GmbH & Co. KGFriedrich-Ebert-Straße 475D-42117 WuppertalTel.: 0202-31763-0Fax: [email protected]

1 WHO (2014) Antimicrobial resistance: global reporton surveillance, www.who.int/drugresistance/documents / surveillancereport