Wenn jeder Diät-Fehler Gehirnzellen kostet · ben.FürdiePharmaindustrie sinddiesekauminteressant....

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Münchner Merkur Nr. 256 | Montag, 7. November 2011 Redaktion Medizin: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 17 Leben sprechen in einigen Fällen zu- mindest zum Teil an, und die Diät kann gelockert werden. Etwas später konnte die Genomforschung dann auch zeigen, wie das Medikament wirkt: Bei einem Projekt im Rahmen des Bayerischen Ge- nomforschungsnetzwerks ge- lang es meiner Arbeitsgruppe nachzuweisen, dass es sich bei der PKU um eine sogenannte Proteinfaltungserkrankung handelt. Proteine haben im Körper viele Aufgaben, vor al- lem steuern sie chemische Re- aktionen. Eine davon ist der Abbau von Phenylalanin. Da- zu muss das Protein aber eine bestimmte dreidimensionale Struktur einnehmen. Schon kleine Fehler bei der Faltung haben große Auswirkungen auf die Funktion. BH4 verbes- sert die Faltung des Enzyms und steigert so seine Aktivität. Im Jahr 2008 wurde BH4 dann von der Europäischen Arzneimittelbehörde zugelas- sen. Damit hat sich für viele Betroffene das Leben mit PKU erheblich verbessert. Doch das ist nicht alles: Die Ergebnisse könnten bald auch al und die Mechanismen der Krankheitsentstehung in der einzelnen Zelle kennen. Ein erster Durchbruch für Patienten mit PKU gelang vor etwa zehn Jahren in Japan. Meine Münchner Arbeits- gruppe konnte wenig später bestätigen, dass eine körperei- gene Substanz, Tetrahydro- Doch kann eine schlichte Diät eine schwere Behinde- rung verhindern? Das klingt einfacher, als es ist. Die Diät erfordert viel Disziplin und ist kostspielig. Die Patienten er- halten zudem täglich bis zu ei- nen Liter synthetisch herge- stellter Eiweißkonzentrate, die geschmacklich extrem un- angenehm sind. Doch nur so ist ein gesundes Wachstum so- wie die Entwicklung und Aus- bildung eines funktionieren- den Immunsystems möglich. Unermesslich ist zudem die Belastung der Eltern-Kind- Beziehung. Denn jeder Diät- fehler kann zu einer Schädi- gung des Gehirns führen. Da- rüber hinaus ist jede banale Infektion, jede Impfung, jede Stresssituation mit der Gefahr einer Stoffwechselentgleisung verbunden. 50 Jahre lang gab es außer der Diät keine alternative Be- handlung. Denn leider sind viele angeborene Stoffwech- selerkrankungen nur wenig oder gar nicht erforscht. Doch um Therapien zu entwickeln, muss man die zugrunde lie- genden Defekte im Erbmateri- typischen Geruch führt. Bei der Geburt zeigen die Babys noch keine Symptome. Bleibt die Erkrankung unbe- handelt, sammelt sich aber Phenylalanin im Organismus an und schädigt vor allem das Gehirn. Dies führt zu schwe- ren neurologischen Störun- gen mit epileptischen Anfäl- len und geistiger Behinderung mit fast vollständigem Verlust der Intelligenz. Eine frühe Therapie kann das verhindern: Vor 60 Jahren entdeckte der deutsche Kin- derarzt Dr. Horst Bickel, dass sich die schweren Symptome der PKU vermeiden lassen. Notwendig ist eine strikt ei- weißarme Diät, die die Betrof- fenen ein Leben lang einhal- ten müssen. PKU wird daher heute beim sogenannten Neu- geborenenscreening erfasst. Alle Babys werden am 3. Le- benstag getestet. VON ANIA MUNTAU Viele haben es wohl schon mal auf einer Verpackung ge- lesen: „Enthält eine Phenyl- alaninquelle.“ Doch nur we- nige wissen, an wen sich die Aufschrift richtet. Phenylke- tonurie, kurz PKU genannt, zählt zu den seltenen Erkran- kungen. Unter diesen ist es aber eine der häufigen: PKU- Patienten leiden unter einer angeborenen Stoffwechsel- störung. In Deutschland sind etwa 15 000 Menschen be- troffen. Ursache der Erkrankung ist ein Gendefekt. Dieser führt zu einer Funktionsstörung des Enzyms Phenylalaninhy- droxylase. Im gesunden Kör- per baut es einen bestimmten Eiweißbestandteil, die Ami- nosäure Phenylalanin, ab. Bei PKU-Patienten ist dieser Stoffwechselweg vollständig oder teilweise blockiert. Der Name der Erkrankung leitet sich dabei von bestimmten Stoffwechselprodukten ab, den Phenylketonen. Die Be- troffenen scheiden diese mit dem Urin aus, was zu einem Durchbruch bei seltener Erkrankung: Viele können wieder normal essen Patienten mit anderen ange- borenen Stoffwechselstörun- gen helfen. Denn der Wirkme- chanismus ist durchaus über- tragbar. Derzeit werden neue Medikamente für drei weitere schwere Stoffwechselerkran- kungen entwickelt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das neue Therapiekonzept in Zu- kunft auch auf weit verbreite- te Volkskrankheiten anwend- bar. Dazu gehört die Choles- terinerhöhung, bestimmte Fälle von Krebs sowie Alters- diabetes. Doch auch aus Sicht der Pharmafirmen lohnt sich die Forschung, zumal die betrof- fenen Patienten das Mittel ein Leben lang schlucken müs- sen. Zudem werden durch die neuen Therapien Behinde- rungen – und damit nicht nur menschliches Leid – sondern auch hohe Kosten verhindert. Patienten, die bisher wegen der Seltenheit ihrer Erkran- kung auf der Schattenseite der Medizin leben mussten, erhal- ten eine Chance. Fragen an die Expertin: [email protected] biopterin, kurz BH4, die Funktion des Enzyms wieder herstellen kann – die Krank- heitssymptome verschwin- den. Insgesamt sprechen etwa 60 Prozent der Patienten da- rauf an. Viele können hier- durch vollständig auf die Diät verzichten. Patienten, die be- sonders schwer erkrankt sind, Verwirrende Faltung: das Enzym, das Phenylalanin abbaut. Strikt eiweißarme Diät muss ein Leben lang eingehalten werden Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erlebe ich täglich, wie wichtig medi- zinische Aufklärung ist. Mei- ne Kollegen und ich(www.fa- cebook.de/UrologieLMU) möchten den Lesern daher regelmäßig ein Thema vor- stellen, das für ihre Gesund- heit bedeutsam ist. Im Zen- trum steht heute Phenylketo- nurie, kurz PKU. Die Exper- tin des Beitrags ist Prof. Dr. Ania Muntau. Sie leitet am Haunerschen Kinderspital der Universität München die Abteilungen für angeborene Stoffwechselerkrankungen und für Molekulare Pädia- trie (www.molekularepae- diatrie.de). Mit ihrer Arbeits- gruppe hat sie wesentlich zur Entwicklung einer neuen PKU-Therapie beigetragen. Prof. Dr. Christian Stief Stichwort: Seltene Erkrankungen Phenylketonurie gehört – wie fast alle angeborenen Stoff- wechselerkrankungen – zu den sogenannten Waisenerkran- kungen. So nennt man Leiden, die bei weniger als einer von 2000 Personen auftreten. Nur wenige Hundert der etwa 6000 seltenen Krankheiten sind da- bei medizinisch genau beschrie- ben. Für die Pharmaindustrie sind diese kaum interessant. Denn wenige Patienten bedeu- ten in der Regel wenig Gewinn – aber die gleichen Forschungs- kosten. Insgesamt kennt man heute 289 angeborene Stoff- wechselstörungen. Die einzel- nen sind zwar selten, insgesamt leidet hierzulande aber eines von 500 Kindern an einer ange- borenen Stoffwechselstörung. Eine starke Lobby für diese Pa- tienten gibt es dennoch nicht. Wer die Forschung für erkrankte Kinder unterstützen möchte, kann dies mit einer Spende an die Prinz Lennart von Hohen- zollern-Stiftung tun. Kontoverbindung: StOK Bayern/LMU HypoVereinsbank München BLZ 700 20 270 Konto Nr. 80143 Verwendungszweck: „Kap. 9896/28273 – Erforschung angeborener Stoffwechsel- krankheiten“ war. „Er war freundlich“, sagt sie. Doch die geistige Behin- derung lässt sich nicht verber- gen. Ihr Sohn soll ein anderes Schicksal haben. „Sie haben einen Superjob gemacht“, lobt Muntau die Mutter. Dann, Johannes ist zwölf, ein Einschnitt. Er nimmt an einer Studie am Haunerschen Kinderspital teil. „Wir woll- ten die Forschung unterstüt- zen“, sagt Georg Feldl, Johan- nes’ Vater. Es geht um ein neues Medikament. Um zu testen, ob es wirkt, muss die Konzentration des Phenylala- nins im Blut erst mal anstei- gen. Johannes erinnert sich kaum an die Zeit. Ein Bild hat er aber sofort vor sich: Er isst mit seinen Eltern Tagliatelle – zum ersten Mal. Es sollte nicht das letzte Mal sein. Das Medikament wirkt, viel besser, als es selbst die Ärzte erwartet hatten. Das Mittel hält die Phenylalanin- Werte niedrig, auch bei ei- weißreicher Kost. Die Kinder der Studie lernen, wie es sich anfühlt, normal zu essen. Der Erfolg ist durchschlagend. Doch bis die Kinder das Mit- tel dauerhaft bekommen kön- nen, muss es erst zugelassen werden. Das dauert Jahre. „Ich musste es allen wieder wegnehmen“, erzählt Muntau noch immer betroffen. Denn jetzt wird die gewohnte Diät zur Qual. Alle Eltern haben große Probleme, die Kinder wieder an die eiweißarme Kost zu gewöhnen. „Es war ein Drama“, sagt Muntau. Auch Johannes hat die Nase voll, vor dem Essen ewig zu rechnen. „Und du hast auch mal genascht“, sagt die Mut- ter vorwurfsvoll. Johannes schweigt. Ist das Gehirn aus- gewachsen, hat ein Diätbruch nicht mehr so schwere Fol- gen, wirkt aber noch immer negativ. In der Schule fällt es dem Jungen oft schwer, sich zu konzentrieren. Er rutscht vom Gymnasium auf die Re- alschule ab – und hat selbst dort Probleme. Doch dann, die Wende: Sechs Jahre nach der Studie ist das Mittel zugelassen. Ein paar Tabletten täglich – und Johannes kann essen, was er will. Was er besonders mag? „Einfach alles“, sagt er. Auch die Konzentrationsprobleme sind weg. Er macht jetzt das Abitur. Nur langsam beginnt seine Mutter zu glauben, dass die Krankheit nicht mehr das Leben beherrscht. Das von Johannes und das der Fami- lie. Denn von PKU sind alle Mitglieder betroffen, ob krank oder gesund. Sie stecken in Brot, Nudeln, Reis und Süßigkeiten. Obst und Gemüse müssen abgewo- gen, Brot zudem aus eiweißar- mem Mehl selbst gebacken werden. Eine Packung Spezi- allebensmittel, die es nur im Versand gibt, kostet 400 Euro. Johannes braucht eineinhalb im Monat. Die Krankenkasse übernimmt davon nicht einen Euro. Schließlich handelt es sich nicht um Medikamente. Die lebenswichtigen Eiweiß- drinks schmecken widerlich. „Wenn man das Glas nicht auswäscht, riecht es nach Er- brochenem“, beschreibt Jo- hannes’ Mutter. Rita Bonholzer-Feldl hat die Heftchen aufgehoben, in denen sie den Speiseplan ih- res Sohnes notiert hat, Tag für Tag. Auf den Seiten steht jedes Gramm, das er gegessen hat: 92 Gramm Breze, selbstgeba- cken aus Spezialmehl. Minus 4 Gramm – Johannes hat sie nicht aufgegessen. 37 Gramm Butter, 8 Gramm Salzstangen. Doch die strenge Diät ist nicht das Schlimmste. „Man gewöhnt sich. Dann ist einem ist das Kind nicht in unmittel- barer Gefahr. „Der Schlüssel- satz muss sein: Es ist ernst. Aber es gibt eine gute Thera- pie.“ Verhindern lässt sich die Erkrankung indes kaum. PKU ist eine angeborene Stoff- wechselstörung und wird ver- erbt. Das heißt aber nicht, dass die Eltern ebenfalls er- krankt sind. Auch Johannes’ Eltern sind gesund. Doch trägt etwa jeder 50. gesunde Erwachsene das veränderte Gen in sich, ohne es zu mer- ken. Nur wenn beide Eltern Träger sind, kann es sein, dass die Krankheit bei den Kindern ausbricht. Aber auch dann sind nicht zwingend alle Kin- der des Paares betroffen: Im Schnitt erbt eines von vieren den Gendefekt von beiden El- tern – und erkrankt. Auch Johannes hat zwei ge- sunde Geschwister. Doch in Fleisch ist für ihn Gift, auch Milch und sogar Ge- treide. Der Körper von Jo- hannes Feldl kann einen Eiweiß-Baustein nicht ab- bauen. Der junge Mann leidet an Phenylketonu- rie. Früher konnte nur ei- ne Diät Schäden verhin- dern. Ein neues Medika- ment brachte jetzt den Durchbruch – und Johan- nes ein normales Leben. VON SONJA GIBIS Es war ein Anruf, der aus ih- rem gesunden Baby ein kran- kes machte. Und wenn Rita Bonholzer-Feldl davon spricht, könnte man glauben, das Telefon hätte erst gestern geklingelt. Der Anruf kam vier Tage nach der Geburt ihres Sohnes. Im selben Jahr hatte sie ein Kind verloren, eine Totgeburt. Jetzt hielt sie glück- lich ein scheinbar gesundes Baby in den Armen. Doch dann die Diagnose: Phenylke- tonurie. Nie zuvor hatte die junge Mutter aus Wolfrats- hausen davon gehört. Doch sofort war klar: Es ist ernst. Unbehandelt, so erfuhr sie, führt die Stoffwechselstörung zu schweren Hirnschäden. Sie packte ihr Baby, fuhr mit ihrem Mann in die Klinik. „In mir war Chaos“, sagt sie. Johannes, das Baby von da- mals, sitzt neben seinen Eltern im Haunerschen Kinderspital in München. Ein junger Mann, 19 Jahre alt. Dem An- schein nach völlig gesund. „Du bekommst ganz rote Ba- cken“, sagt er zu seiner Mut- ter. Doch wenn sie von der ersten Zeit nach Johannes’ Geburt erzählt, ist eben alles wieder da: die Angst, die Un- sicherheit, die Hilflosigkeit. Etwa 1000 Eltern in Deutschland ergeht es jedes Jahr wie Rita Bonholzer-Feldl damals. Wenige Tage nach der Geburt erhalten sie einen An- ruf von der Klinik. Der Test, für den allen Neugeborenen an der Ferse Blut entnommen wird, hat eine verborgene Krankheit aufgedeckt. Seit 1967 ist die Untersuchung Routine. Damals war Phenyl- ketonurie, kurz PKU, die ein- zige Krankheit, auf die getes- tet wurde. Heute sind es zwölf. „Dieser Anruf ist dann eine sehr sensible Sache“, sagt Kinderärztin Prof. Ania Mun- tau, die Johannes seit vielen Jahren behandelt. Einerseits muss klar sein: Eine Behand- lung ist zwingend nötig. Doch Wenn jeder Diät-Fehler Gehirnzellen kostet MEINE SPRECHSTUNDE .................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. das wurscht“, sagt Johannes und zuckt mit den Schultern. Schlimmer ist das geringe Ver- ständnis von Verwandten, an- deren Eltern, selbst Lehrern. „Die dachten, die Mutter spinnt“, sagt Rita Bonholzer- Feldl. Wenn der Nikolaus in der Schule Süßes verteilt, steckt sie ihm zuvor ein Spe- zialsäckchen zu. „Und diese verflixte Scheibe Wurst beim Metzger“, sagt sie. Dann die Blicke, wenn sie Johannes die Scheibe wegnehmen muss. Je- der Kindergeburtstag, ein Drama. Jede Klassenfahrt, ei- ne Herausforderung. Dazu die ständigen Blutabnahmen. Doch Rita Bonholzer-Feldl weiß, dass sich die Mühe lohnt. Bei einem Kochkurs für PKU-Betroffene lernt sie einen Kranken kennen. Er ist erwachsen, doch bei ihm wurde die Krankheit erst fest- gestellt, als er drei Jahre alt seinem Körper läuft etwas schief. Ein Enzym funktio- niert nicht richtig. Normaler- weise sorgt es dafür, dass Phe- nylalanin abgebaut wird. Bei Johannes ist das nicht mög- lich. Die Konzentration von Phenylalanin im Blut steigt – mit schlimmen Folgen. So ge- langen zu wenig andere wich- tige Stoffe ins Gehirn. Doch die sind nötig, damit es sich gut entwickeln und richtig funktionieren kann. Früher erreichten die Betroffenen sel- ten einen Intelligenzquotien- ten von mehr als 20, mussten ihr Leben in der Psychiatrie verbringen. „Johannes hat ei- nen IQ von 138“, erzählt seine Mutter stolz. Er liegt damit weit über dem Durchschnitt. Das verdankt der Junge auch der Disziplin seiner Mut- ter: Johannes muss auf Le- bensmittel verzichten, die be- stimmte Eiweiße enthalten. Zusätzlich erhält er spezielle Eiweiß-Drinks. Das klingt simpel. Doch im Alltag ist das hart: Gefährliche Eiweiße sind nicht nur in Fleisch, Fisch und Milch enthalten. Jeder 50. trägt den Gendefekt in sich, ohne es zu wissen Jeder Geburtstag wird zum Drama, jede Reise zur Herausforderung Blutabnahme – wie schon so oft: Prof. Ania Muntau piekst Johannes Feldl, um seinen Phenylalanin-Wert zu testen. BODMER

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Page 1: Wenn jeder Diät-Fehler Gehirnzellen kostet · ben.FürdiePharmaindustrie sinddiesekauminteressant. DennwenigePatientenbedeu-teninderRegelwenigGewinn– aberdiegleichenForschungs-kosten.Insgesamtkenntman

Münchner Merkur Nr. 256 | Montag, 7. November 2011

Redaktion Medizin: (089) 53 [email protected]

Telefax: (089) 53 06-86 61 17Leben

sprechen in einigen Fällen zu-mindest zum Teil an, und dieDiät kann gelockert werden.

Etwas später konnte dieGenomforschung dann auchzeigen, wie das Medikamentwirkt: Bei einem Projekt imRahmen des Bayerischen Ge-nomforschungsnetzwerks ge-lang es meiner Arbeitsgruppenachzuweisen, dass es sich beider PKU um eine sogenannteProteinfaltungserkrankunghandelt. Proteine haben imKörper viele Aufgaben, vor al-lem steuern sie chemische Re-aktionen. Eine davon ist derAbbau von Phenylalanin. Da-zu muss das Protein aber einebestimmte dreidimensionaleStruktur einnehmen. Schonkleine Fehler bei der Faltunghaben große Auswirkungenauf die Funktion. BH4 verbes-sert die Faltung des Enzymsund steigert so seine Aktivität.

Im Jahr 2008 wurde BH4dann von der EuropäischenArzneimittelbehörde zugelas-sen. Damit hat sich für vieleBetroffene das Leben mitPKU erheblich verbessert.Doch das ist nicht alles: DieErgebnisse könnten bald auch

al und die Mechanismen derKrankheitsentstehung in dereinzelnen Zelle kennen.

Ein erster Durchbruch fürPatienten mit PKU gelang voretwa zehn Jahren in Japan.Meine Münchner Arbeits-gruppe konnte wenig späterbestätigen, dass eine körperei-gene Substanz, Tetrahydro-

Doch kann eine schlichteDiät eine schwere Behinde-rung verhindern? Das klingteinfacher, als es ist. Die Diäterfordert viel Disziplin und istkostspielig. Die Patienten er-halten zudem täglich bis zu ei-nen Liter synthetisch herge-stellter Eiweißkonzentrate,die geschmacklich extrem un-angenehm sind. Doch nur soist ein gesundes Wachstum so-wie die Entwicklung und Aus-bildung eines funktionieren-den Immunsystems möglich.Unermesslich ist zudem dieBelastung der Eltern-Kind-Beziehung. Denn jeder Diät-fehler kann zu einer Schädi-gung des Gehirns führen. Da-rüber hinaus ist jede banaleInfektion, jede Impfung, jedeStresssituation mit der Gefahreiner Stoffwechselentgleisungverbunden.

50 Jahre lang gab es außerder Diät keine alternative Be-handlung. Denn leider sindviele angeborene Stoffwech-selerkrankungen nur wenigoder gar nicht erforscht. Dochum Therapien zu entwickeln,muss man die zugrunde lie-genden Defekte im Erbmateri-

typischen Geruch führt.Bei der Geburt zeigen die

Babys noch keine Symptome.Bleibt die Erkrankung unbe-handelt, sammelt sich aberPhenylalanin im Organismusan und schädigt vor allem dasGehirn. Dies führt zu schwe-ren neurologischen Störun-gen mit epileptischen Anfäl-len und geistiger Behinderungmit fast vollständigem Verlustder Intelligenz.

Eine frühe Therapie kanndas verhindern: Vor 60 Jahrenentdeckte der deutsche Kin-derarzt Dr. Horst Bickel, dasssich die schweren Symptomeder PKU vermeiden lassen.Notwendig ist eine strikt ei-weißarme Diät, die die Betrof-fenen ein Leben lang einhal-ten müssen. PKU wird daherheute beim sogenannten Neu-geborenenscreening erfasst.Alle Babys werden am 3. Le-benstag getestet.

VON ANIA MUNTAU

Viele haben es wohl schonmal auf einer Verpackung ge-lesen: „Enthält eine Phenyl-alaninquelle.“ Doch nur we-nige wissen, an wen sich dieAufschrift richtet. Phenylke-tonurie, kurz PKU genannt,zählt zu den seltenen Erkran-kungen. Unter diesen ist esaber eine der häufigen: PKU-Patienten leiden unter einerangeborenen Stoffwechsel-störung. In Deutschland sindetwa 15 000 Menschen be-troffen.

Ursache der Erkrankung istein Gendefekt. Dieser führtzu einer Funktionsstörungdes Enzyms Phenylalaninhy-droxylase. Im gesunden Kör-per baut es einen bestimmtenEiweißbestandteil, die Ami-nosäure Phenylalanin, ab. BeiPKU-Patienten ist dieserStoffwechselweg vollständigoder teilweise blockiert. DerName der Erkrankung leitetsich dabei von bestimmtenStoffwechselprodukten ab,den Phenylketonen. Die Be-troffenen scheiden diese mitdem Urin aus, was zu einem

Durchbruch bei seltener Erkrankung: Viele können wieder normal essenPatienten mit anderen ange-borenen Stoffwechselstörun-gen helfen. Denn der Wirkme-chanismus ist durchaus über-tragbar. Derzeit werden neueMedikamente für drei weitereschwere Stoffwechselerkran-kungen entwickelt. Mit hoherWahrscheinlichkeit ist dasneue Therapiekonzept in Zu-kunft auch auf weit verbreite-te Volkskrankheiten anwend-bar. Dazu gehört die Choles-terinerhöhung, bestimmteFälle von Krebs sowie Alters-diabetes.

Doch auch aus Sicht derPharmafirmen lohnt sich dieForschung, zumal die betrof-fenen Patienten das Mittel einLeben lang schlucken müs-sen. Zudem werden durch dieneuen Therapien Behinde-rungen – und damit nicht nurmenschliches Leid – sondernauch hohe Kosten verhindert.Patienten, die bisher wegender Seltenheit ihrer Erkran-kung auf der Schattenseite derMedizin leben mussten, erhal-ten eine Chance.

Fragen an die Expertin:[email protected]

biopterin, kurz BH4, dieFunktion des Enzyms wiederherstellen kann – die Krank-heitssymptome verschwin-den. Insgesamt sprechen etwa60 Prozent der Patienten da-rauf an. Viele können hier-durch vollständig auf die Diätverzichten. Patienten, die be-sonders schwer erkrankt sind,

Verwirrende Faltung: das Enzym, das Phenylalanin abbaut.

Strikt eiweißarme Diätmuss ein Leben langeingehalten werden

Als Chefarzt im MünchnerKlinikumGroßhadernerlebeich täglich, wie wichtig medi-zinische Aufklärung ist. Mei-ne Kollegen und ich(www.fa-cebook.de/UrologieLMU)möchten den Lesern daherregelmäßig ein Thema vor-stellen, das für ihre Gesund-heit bedeutsam ist. Im Zen-trum steht heute Phenylketo-nurie, kurz PKU. Die Exper-tin des Beitrags ist Prof. Dr.Ania Muntau. Sie leitet amHaunerschen Kinderspitalder Universität München dieAbteilungen für angeboreneStoffwechselerkrankungenund für Molekulare Pädia-trie (www.molekularepae-diatrie.de). Mit ihrer Arbeits-gruppe hat sie wesentlich zurEntwicklung einer neuenPKU-Therapie beigetragen.

Prof. Dr. Christian Stief

Stichwort: SelteneErkrankungenPhenylketonurie gehört – wiefast alle angeborenen Stoff-wechselerkrankungen – zu densogenannten Waisenerkran-kungen. So nennt man Leiden,die bei weniger als einer von2000 Personen auftreten. Nurwenige Hundert der etwa 6000seltenen Krankheiten sind da-bei medizinisch genau beschrie-ben. Für die Pharmaindustriesind diese kaum interessant.Denn wenige Patienten bedeu-ten in der Regel wenig Gewinn –aber die gleichen Forschungs-kosten. Insgesamt kennt manheute 289 angeborene Stoff-wechselstörungen. Die einzel-nen sind zwar selten, insgesamtleidet hierzulande aber einesvon 500 Kindern an einer ange-borenen Stoffwechselstörung.Eine starke Lobby für diese Pa-tienten gibt es dennoch nicht.Wer die Forschung für erkrankteKinder unterstützen möchte,kann dies mit einer Spende andie Prinz Lennart von Hohen-zollern-Stiftung tun.Kontoverbindung:StOK Bayern/LMUHypoVereinsbank MünchenBLZ 700 20 270Konto Nr. 80143Verwendungszweck: „Kap.9896/28273 – Erforschungangeborener Stoffwechsel-krankheiten“

war. „Er war freundlich“, sagtsie. Doch die geistige Behin-derung lässt sich nicht verber-gen. Ihr Sohn soll ein anderesSchicksal haben. „Sie habeneinen Superjob gemacht“,lobt Muntau die Mutter.

Dann, Johannes ist zwölf,ein Einschnitt. Er nimmt aneiner Studie am HaunerschenKinderspital teil. „Wir woll-ten die Forschung unterstüt-zen“, sagt Georg Feldl, Johan-nes’ Vater. Es geht um einneues Medikament. Um zutesten, ob es wirkt, muss dieKonzentration des Phenylala-nins im Blut erst mal anstei-gen. Johannes erinnert sichkaum an die Zeit. Ein Bild hater aber sofort vor sich: Er isstmit seinen Eltern Tagliatelle –zum ersten Mal.

Es sollte nicht das letzteMal sein. Das Medikamentwirkt, viel besser, als es selbstdie Ärzte erwartet hatten. DasMittel hält die Phenylalanin-Werte niedrig, auch bei ei-weißreicher Kost. Die Kinderder Studie lernen, wie es sichanfühlt, normal zu essen. DerErfolg ist durchschlagend.Doch bis die Kinder das Mit-tel dauerhaft bekommen kön-nen, muss es erst zugelassenwerden. Das dauert Jahre.

„Ich musste es allen wiederwegnehmen“, erzählt Muntaunoch immer betroffen. Dennjetzt wird die gewohnte Diätzur Qual. Alle Eltern habengroße Probleme, die Kinderwieder an die eiweißarmeKost zu gewöhnen. „Es warein Drama“, sagt Muntau.Auch Johannes hat die Nasevoll, vor dem Essen ewig zurechnen. „Und du hast auchmal genascht“, sagt die Mut-ter vorwurfsvoll. Johannesschweigt. Ist das Gehirn aus-gewachsen, hat ein Diätbruchnicht mehr so schwere Fol-gen, wirkt aber noch immernegativ. In der Schule fällt esdem Jungen oft schwer, sichzu konzentrieren. Er rutschtvom Gymnasium auf die Re-alschule ab – und hat selbstdort Probleme.

Doch dann, die Wende:Sechs Jahre nach der Studieist das Mittel zugelassen. Einpaar Tabletten täglich – undJohannes kann essen, was erwill. Was er besonders mag?„Einfach alles“, sagt er. Auchdie Konzentrationsproblemesind weg. Er macht jetzt dasAbitur. Nur langsam beginntseine Mutter zu glauben, dassdie Krankheit nicht mehr dasLeben beherrscht. Das vonJohannes und das der Fami-lie. Denn von PKU sind alleMitglieder betroffen, obkrank oder gesund.

Sie stecken in Brot, Nudeln,Reis und Süßigkeiten. Obstund Gemüse müssen abgewo-gen, Brot zudem aus eiweißar-mem Mehl selbst gebackenwerden. Eine Packung Spezi-allebensmittel, die es nur imVersand gibt, kostet 400 Euro.Johannes braucht eineinhalbim Monat. Die Krankenkasseübernimmt davon nicht einenEuro. Schließlich handelt essich nicht um Medikamente.Die lebenswichtigen Eiweiß-drinks schmecken widerlich.„Wenn man das Glas nichtauswäscht, riecht es nach Er-brochenem“, beschreibt Jo-hannes’ Mutter.

Rita Bonholzer-Feldl hatdie Heftchen aufgehoben, indenen sie den Speiseplan ih-res Sohnes notiert hat, Tag fürTag. Auf den Seiten steht jedesGramm, das er gegessen hat:92 Gramm Breze, selbstgeba-cken aus Spezialmehl. Minus4 Gramm – Johannes hat sienicht aufgegessen. 37 GrammButter, 8 Gramm Salzstangen.

Doch die strenge Diät istnicht das Schlimmste. „Mangewöhnt sich. Dann ist einem

ist das Kind nicht in unmittel-barer Gefahr. „Der Schlüssel-satz muss sein: Es ist ernst.Aber es gibt eine gute Thera-pie.“

Verhindern lässt sich dieErkrankung indes kaum. PKUist eine angeborene Stoff-wechselstörung und wird ver-erbt. Das heißt aber nicht,dass die Eltern ebenfalls er-krankt sind. Auch Johannes’Eltern sind gesund. Doch

trägt etwa jeder 50. gesundeErwachsene das veränderteGen in sich, ohne es zu mer-ken. Nur wenn beide ElternTräger sind, kann es sein, dassdie Krankheit bei den Kindernausbricht. Aber auch dannsind nicht zwingend alle Kin-der des Paares betroffen: ImSchnitt erbt eines von vierenden Gendefekt von beiden El-tern – und erkrankt.

Auch Johannes hat zwei ge-sunde Geschwister. Doch in

Fleisch ist für ihn Gift,auch Milch und sogar Ge-treide. Der Körper von Jo-hannes Feldl kann einenEiweiß-Baustein nicht ab-bauen. Der junge Mannleidet an Phenylketonu-rie. Früher konnte nur ei-ne Diät Schäden verhin-dern. Ein neues Medika-ment brachte jetzt denDurchbruch – und Johan-nes ein normales Leben.

VON SONJA GIBIS

Es war ein Anruf, der aus ih-rem gesunden Baby ein kran-kes machte. Und wenn RitaBonholzer-Feldl davonspricht, könnte man glauben,das Telefon hätte erst gesterngeklingelt. Der Anruf kam vierTage nach der Geburt ihresSohnes. Im selben Jahr hattesie ein Kind verloren, eineTotgeburt. Jetzt hielt sie glück-lich ein scheinbar gesundesBaby in den Armen. Dochdann die Diagnose: Phenylke-tonurie. Nie zuvor hatte diejunge Mutter aus Wolfrats-hausen davon gehört. Dochsofort war klar: Es ist ernst.Unbehandelt, so erfuhr sie,führt die Stoffwechselstörungzu schweren Hirnschäden.Sie packte ihr Baby, fuhr mitihrem Mann in die Klinik. „Inmir war Chaos“, sagt sie.

Johannes, das Baby von da-mals, sitzt neben seinen Elternim Haunerschen Kinderspitalin München. Ein jungerMann, 19 Jahre alt. Dem An-schein nach völlig gesund.„Du bekommst ganz rote Ba-cken“, sagt er zu seiner Mut-ter. Doch wenn sie von derersten Zeit nach Johannes’Geburt erzählt, ist eben alleswieder da: die Angst, die Un-sicherheit, die Hilflosigkeit.

Etwa 1000 Eltern inDeutschland ergeht es jedesJahr wie Rita Bonholzer-Feldldamals. Wenige Tage nach derGeburt erhalten sie einen An-ruf von der Klinik. Der Test,für den allen Neugeborenenan der Ferse Blut entnommenwird, hat eine verborgeneKrankheit aufgedeckt. Seit1967 ist die UntersuchungRoutine. Damals war Phenyl-ketonurie, kurz PKU, die ein-zige Krankheit, auf die getes-tet wurde. Heute sind eszwölf. „Dieser Anruf ist danneine sehr sensible Sache“, sagtKinderärztin Prof. Ania Mun-tau, die Johannes seit vielenJahren behandelt. Einerseitsmuss klar sein: Eine Behand-lung ist zwingend nötig. Doch

Wenn jeder Diät-Fehler Gehirnzellen kostetMEINE SPRECHSTUNDE ..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

das wurscht“, sagt Johannesund zuckt mit den Schultern.Schlimmer ist das geringe Ver-ständnis von Verwandten, an-deren Eltern, selbst Lehrern.„Die dachten, die Mutterspinnt“, sagt Rita Bonholzer-Feldl. Wenn der Nikolaus inder Schule Süßes verteilt,steckt sie ihm zuvor ein Spe-zialsäckchen zu. „Und dieseverflixte Scheibe Wurst beimMetzger“, sagt sie. Dann die

Blicke, wenn sie Johannes dieScheibe wegnehmen muss. Je-der Kindergeburtstag, einDrama. Jede Klassenfahrt, ei-ne Herausforderung. Dazu dieständigen Blutabnahmen.

Doch Rita Bonholzer-Feldlweiß, dass sich die Mühelohnt. Bei einem Kochkursfür PKU-Betroffene lernt sieeinen Kranken kennen. Er isterwachsen, doch bei ihmwurde die Krankheit erst fest-gestellt, als er drei Jahre alt

seinem Körper läuft etwasschief. Ein Enzym funktio-niert nicht richtig. Normaler-weise sorgt es dafür, dass Phe-nylalanin abgebaut wird. BeiJohannes ist das nicht mög-lich. Die Konzentration vonPhenylalanin im Blut steigt –mit schlimmen Folgen. So ge-langen zu wenig andere wich-tige Stoffe ins Gehirn. Dochdie sind nötig, damit es sichgut entwickeln und richtigfunktionieren kann. Frühererreichten die Betroffenen sel-ten einen Intelligenzquotien-ten von mehr als 20, musstenihr Leben in der Psychiatrieverbringen. „Johannes hat ei-nen IQ von 138“, erzählt seineMutter stolz. Er liegt damitweit über dem Durchschnitt.

Das verdankt der Jungeauch der Disziplin seiner Mut-ter: Johannes muss auf Le-bensmittel verzichten, die be-stimmte Eiweiße enthalten.Zusätzlich erhält er spezielleEiweiß-Drinks. Das klingtsimpel. Doch im Alltag ist dashart: Gefährliche Eiweißesind nicht nur in Fleisch,Fisch und Milch enthalten.

Jeder 50. trägt denGendefekt in sich,ohne es zu wissen

Jeder Geburtstag wirdzum Drama, jede Reisezur Herausforderung

Blutabnahme – wie schon so oft: Prof. Ania Muntau piekst Johannes Feldl, um seinen Phenylalanin-Wert zu testen. BODMER