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50 *[ Wer klingelt? Clara Burkard Wer klingelt? Prof. Dr. Georg Steinberg und stud. iur. Jonata Werner* Allgemeine Hinweise zu Aufgabenstellung und Musterlösung Die Aufgabe orientiert sich an BGHSt 39, 236 („Haustür-Klingel-Fall“), stellt also das Problem der vermeintlichen Miäterschaft, konkret die Frage, ob das vermeintliche unmielbare Anseꜩen eines vermeintlichen Miäters einem anderen zugerech- net werden kann; der erkennende Zweite Strafsenat hat das 1993 verneint. Der Vierte Strafsenat hat es hingegen 1994 in einer ähnlich gelagerten Konstel- lation (BGHSt 40, 299: „Münzhändler-Fall“) bejaht und dabei – nicht überzeugend 1 – zu begründen versucht, warum diese gegensäꜩliche Auffassung nicht zur Divergenzvorlage an den Großen Senat für Strafsachen nach § 132 Abs. 2 GVG verpflichtete. Die Fälle sind seitens der Lehre kontrovers diskutiert worden; gut vertretbar sind beide Auffassungen. Das Problem ist bereits an sich komplex. Für die gutachterliche Bearbeitung kommt die Herausfor- derung hinzu, den Gesamtauau zu bewältigen. Wie stets ist es zwar zulässig, streng chronologisch vorzugehen, wonach zuerst das Gespräch zwischen G und H am 1.10. zu untersuchen wäre. Allerdings muss dann unschöner Weise bereits im Rahmen des Merkmals „Verabreden“ (§ 30 Abs. 2 Var. 1) * Prof. Dr. Georg Steinberg ist Inhaber eines Lehrstuhls für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Potsdam; Jonata Werner studiert dort Rechtswissenschaft. 1 Heine/Weißer , in: Schönke/Schröder, Strafgeseꜩbuch Kommentar, 29. Aufl. 2014, § 22 Rn. 55a Gustav (G) und Hugo (H) beschlossen am 1.10.16, den ihnen gleichermaßen verhassten Oskar (O) folgendermaßen zu töten: Sie wollten am 4.10. um 20.00 Uhr durch die stets offene Haustür das Haus betreten, in dem O im Hochparterre allein eine Wohnung bewohnte. G sollte an der Wohnungstür klingeln und, sobald O öffnete, diesem mit einem langen Küchenmesser tödlich in den Oberkörper stechen. H sollte sich derweil an der Haustür postieren und den G sofort durch einen Pfiff warnen, falls ein Nachbar heimkäme. G und H waren sich dabei darin einig, dass es im Grunde gleichgültig war, wer welche Aufgabe übernahm, da sie auch das Postenstehen als essentiell ansahen. Den G befielen am 2.10. jedoch Zweifel an der moralischen Richtigkeit des geplanten Handelns; er vertraute sich dem ihm persönlich bekannten Polizisten Peter (P) an, der Folgendes riet: G solle sich zunächst verhalten, wie mit H vereinbart; er, P, werde den O einweihen und sich in dessen Wohnung postieren. Erst nachdem G plangemäß mit gezücktem Küchenmesser klingeln und P darauin die Tür öffnen würde, würden beide das Geschehen abbrechen. Auf diese Weise könne man den an der Haustür aufpassenden H der versuchten Tötung überführen, wohingegen G, da er der Polizei einen wichtigen Dienst erweise, straffrei bleibe. Diesen Plan führten G und P aus. Prüfen Sie, ob sich G und H mit Blick auf § 212 StGB straar gemacht haben. § 211 StGB ist nicht zu prüfen.

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*[ Wer klingelt?

Clara Burkard

Wer klingelt?

Prof. Dr. Georg Steinberg und stud. iur. Jonata Werner*

Allgemeine Hinweise zu Aufgabenstellung und Musterlösung

Die Aufgabe orientiert sich an BGHSt 39, 236 („Haustür-Klingel-Fall“), stellt also das Problem der vermeintlichen Mittäterschaft, konkret die Frage, ob das vermeintliche unmittelbare Ansetzen eines vermeintlichen Mittäters einem anderen zugerech-net werden kann; der erkennende Zweite Strafsenat hat das 1993 verneint. Der Vierte Strafsenat hat es hingegen 1994 in einer ähnlich gelagerten Konstel-lation (BGHSt 40, 299: „Münzhändler-Fall“) bejaht und dabei – nicht überzeugend1 – zu begründen versucht, warum diese gegensätzliche Auffassung nicht zur Divergenzvorlage an den Großen Senat für Strafsachen nach § 132 Abs. 2 GVG verpflichtete. Die Fälle sind seitens der Lehre kontrovers diskutiert worden; gut vertretbar sind beide Auffassungen.

Das Problem ist bereits an sich komplex. Für die gutachterliche Bearbeitung kommt die Herausfor-derung hinzu, den Gesamtaufbau zu bewältigen. Wie stets ist es zwar zulässig, streng chronologisch vorzugehen, wonach zuerst das Gespräch zwischen G und H am 1.10. zu untersuchen wäre. Allerdings muss dann unschöner Weise bereits im Rahmen des Merkmals „Verabreden“ (§ 30 Abs. 2 Var. 1)

* Prof. Dr. Georg Steinberg ist Inhaber eines Lehrstuhls für Straf-

und Strafprozessrecht an der Universität Potsdam; Jonata Werner

studiert dort Rechtswissenschaft.1 Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar,

29. Aufl. 2014, § 22 Rn. 55a

Gustav (G) und Hugo (H) beschlossen am 1.10.16, den ihnen gleichermaßen verhassten Oskar (O) folgendermaßen zu töten: Sie wollten am 4.10. um 20.00 Uhr durch die stets offene Haustür das Haus betreten, in dem O im Hochparterre allein eine Wohnung bewohnte. G sollte an der Wohnungstür klingeln und, sobald O öffnete, diesem mit einem langen Küchenmesser tödlich in den Oberkörper stechen. H sollte sich derweil an der Haustür postieren und den G sofort durch einen Pfiff warnen, falls ein Nachbar heimkäme. G und H waren sich dabei darin einig, dass es im Grunde gleichgültig war, wer welche Aufgabe übernahm, da sie auch das Postenstehen als essentiell ansahen.

Den G befielen am 2.10. jedoch Zweifel an der moralischen Richtigkeit des geplanten Handelns; er vertraute sich dem ihm persönlich bekannten Polizisten Peter (P) an, der Folgendes riet: G solle sich zunächst verhalten, wie mit H vereinbart; er, P, werde den O einweihen und sich in dessen Wohnung postieren. Erst nachdem G plangemäß mit gezücktem Küchenmesser klingeln und P daraufhin die Tür öffnen würde, würden beide das Geschehen abbrechen. Auf diese Weise könne man den an der Haustür aufpassenden H der versuchten Tötung überführen, wohingegen G, da er der Polizei einen wichtigen Dienst erweise, straffrei bleibe. Diesen Plan führten G und P aus.

Prüfen Sie, ob sich G und H mit Blick auf § 212 StGB strafbar gemacht haben. § 211 StGB ist nicht zu prüfen.

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geprüft werden, ob G und H zu diesem Zeitpunkt mittäterschaftlich handeln wollten, und bezogen auf den Rücktritt stellt sich das Problem, dass § 31 nur einschlägig ist, wenn die Haupttat nicht ins Versuchsstadium gelangt, denn dann ist § 24 anzuwenden;2 mit der Anwendung des § 31 würde also das Ergebnis der späteren Prüfung, ob G unmittelbar zur Haupttat ansetzte, bereits vorweg-genommen. Schließlich ist es auch überflüssig, die versuchte Beteiligung des H nach § 30 Abs. 2 Var. 3 zu prüfen, falls man für diesen später eine versuchte mittäterschaftliche Tötung feststellt, denn letztere Beteiligungsform verdrängt konkurrenzrechtlich die erstere.

Aufgrund dieser Erwägungen gehen wir in der folgenden Musterlösung von der chronologischen Prüfungsreihenfolge ab, beginnen nämlich mit der Untersuchung der Geschehnisse am 4.10. Dass hier mit der Prüfung der Strafbarkeit des – tatnäheren – G begonnen wird, ist zwingend, und man kommt nicht umhin, dann die Strafbarkeit des H und, falls man diese annimmt, wiederum eine diesbezügliche akzessorische Haftung des G nach § 27 zu prüfen sowie – erst jetzt – dessen Strafbarkeit nach § 30.

Die Aufgabe hat der Erstautor als Abschlussklausur zur Vorlesung „Strafrecht Allgemeiner Teil II“ im Sommersemester 2016 an der Universität Potsdam gestellt. Die Bearbeitungszeit betrug 120 Minuten. Die folgende Musterlösung ist das, was als Resultat einer Bearbeitung als Klausur nach dem Bewer-tungsmaßstab des Erstautors mit der Höchstnote zu bewerten wäre. Wäre die Aufgabe als Hausarbeit gestellt, wäre eine umfassende Auswertung der seit 1994 zur vermeintlichen Mittäterschaft erschienenen Literatur (Urteilsanmerkungen, Aufsätze, Passagen in Monografien) erforderlich, wohingegen wir uns darauf beschränken, für die vertretenen Standpunk-te einzelne aktuelle Kommentare und Lehrbücher anzuführen (die ihrerseits auf die weitere Literatur verweisen). Als Übungsfälle finden sich die Kons-tellationen der genannten BGH-Entscheidungen bereits mehrfach in der Ausbildungsliteratur.3

2 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 65. Aufl. 2018, § 31 Rn. 2.3 Fundstellen bei Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 20 Rn. 123a.

Musterlösung

A. G könnte sich nach §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 strafbar gemacht haben, indem er an der Haustür klingelte.

I. VorprüfungDie Tat blieb mangels Todes eines Menschen unvollendet. Der Versuch ist strafbar nach §§ 212 Abs. 1 a. E.4, 12 Abs. 1, 23 Abs. 1.

II. TatentschlussG müsste zur Tat entschlossen gewesen sein, müsste also Vorsatz, das heißt Wissen und Wollen bezogen auf alle Merkmale des objektiven Tatbestands der §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2 gehabt haben. Als G klingelte, wollte er selbst keinen Menschen (mehr) töten und wollte auch nicht, dass ein eventueller Mittäter das tat. G hatte zu diesem Zeitpunkt also keinen Tötungsvorsatz mehr. Allerdings führt bei mittäterschaftlicher Begehung das innere Abstand-nehmen vom zuvor gemeinsam gefassten Tatplan nicht bereits automatisch zur Straflosigkeit; das stellt § 24 Abs. 2 S. 1 implizit klar.5 Im vorliegen-den Fall hatten G und H jedoch vereinbart, dass es ausschließlich G sein sollte, der den Tod des Opfers selbst herbeiführen sollte. Auch wenn G und H ein mittäterschaftliches Handeln planten, genügte jedenfalls in diesem Fall, in dem das Abstandneh-men vom Tatplan die Möglichkeit seiner Verwirkli-chung sicher beseitigte, ein solches Abstandnehmen für den Entfall des Tatentschlusses6 G war also nicht (mehr) zur Tat entschlossen.

Hinweis: Die – strittige – Frage, ob in solchen Kons-tellationen die Aufgabe des Tatvorsatzes automatisch zum Entfall des Tatentschlusses führt, ist schwer zu erkennen. Vertretbar ist es auch, den Tatentschluss als gegeben anzusehen; dann fehlt es allerdings am unmittel-baren Ansetzen,7 denn G ging nicht davon aus, dass sein Klingeln zum Erfolg führen werde, er setzte also nach seiner Vorstellung nicht unmittelbar zur Tatverwirk-lichung an. Als Rücktritt lässt sich diese Konstellation nicht interpretieren.

III. ErgebnisG ist insoweit nicht strafbar.

4 Das heißt: „am Ende“, adressiert also die Strafdrohung.5 Fischer (Fn. 2), § 22 Rn. 22a.6 Kühl (Fn. 3), § 20 Rn. 123.7 Im Urteil zum „Haustür-Klingel-Fall“ (BGHSt 39, 236, 238) wird

nicht klar deutlich, ob der BGH die Straflosigkeit auf das Fehlen

des Tatentschlusses oder des unmittelbaren Ansetzens stützt.

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B. H könnte sich, indem er sich an der Haustür postierte, nach §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 strafbar gemacht haben.

I. VorprüfungDie Tat blieb unvollendet; der Versuch ist strafbar.

II. TatentschlussH müsste die Verwirklichung des § 212 Abs. 1 gewollt haben. Zwar wollte er den Tod des O nicht durch eine eigene Handlung unmittelbar herbeiführen. Er wollte aber, dass G den O mittels Messerstichs kausal tötete. Der Tod des O wäre nach dem Plan des H dem G auch objektiv zurechenbar gewesen, hätte sich nämlich als Realisierung der durch den Messerstich gesetzten Lebensgefahr erwiesen. Fraglich ist daher, ob nach dem Tatplan des H ihm diese Handlung des G gemäß § 25 Abs. 2 zuzurechnen gewesen wäre, ob er also, den Tatplan zugrunde gelegt, Mittäter gewesen wäre.

Den erforderlichen gemeinsamen Tatplan hatten G und H am 1.10. gefasst. H ging davon aus, dass der Plan zum Zeitpunkt seines Postenstehens noch bestand, handelte insoweit also vorsätzlich.

Als weitere Zurechnungsvoraussetzungen fordert die abgeschwächt subjektive Theorie, dass beide die Tat als eigene und einen hinreichend relevanten Beitrag leisten wollen.8 Nach der Vorstellung des H hatten er und G ein gleiches Interesse am Tod des O, den sie gleichermaßen hassten, und betrachteten die geplanten Tatbeiträge (Erstechen; Postieren an der Haustür) als gleich gewichtig. Nach dieser Lehre wollte H also mittäterschaftlich mit G handeln.

Nach der Tatherrschaftslehre erfordert Täterschaft Tatherrschaft, nämlich das vom Vorsatz getragene In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs.9 Nach dem Tatplan sollte nicht nur derjenige, der zustach, das Geschehen lenken können, sondern auch derjenige, der auf dem Posten stand, denn dieser wäre in der Lage gewesen, das Geschehen jederzeit abzubrechen, und diese Möglichkeit zu warnen hatten beide als essentiell für die Tatausführung angesehen. Auch nach dem Maßstab der Tatherrschaftslehre wollte H Mittäter des G sein. Dessen todeskausale Handlung wäre ihm also nach § 25 Abs. 2 zurechenbar gewesen. H war also zur Begehung einer Tötung in Mittäter-schaft entschlossen.

Hinweis: Mit entsprechender Sachverhaltsauslegung, unter Zugrundelegung einer engen Spielart der

8 Darstellung bei Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 25 Rn. 63.9 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 46. Aufl. 2016, Rn. 745 f., 750 f.

Tatherrschaftslehre und mit ausführlicher Begründung mag es vertretbar sein, Mittäterschaft zu verneinen.

III. unmittelbares AnsetzenDas Postenstehen des H kann als Handlung, die nicht selbst unmittelbar in den Erfolg münden sollte, kein unmittelbares Ansetzen sein. Nach der Einzellösung, die verlangt, dass jeder Mittäter selbst unmittelbar ansetzt,10 entfiele dies also bezüglich H. Mit dem heute anerkannten Konzept der Mittäter-schaft, nach dem arbeitsteiliges Handeln ausreicht, bei dem nicht jeder Mittäter im Ausführungssta-dium aktiv werden muss, ist die Einzellösung aber nicht vereinbar. Daher ist der Gesamtlösung zu folgen, nach der es ausreicht, wenn einer der Mittäter ansetzt; dieses unmittelbare Ansetzen kann den anderen Mittätern zugerechnet werden.11

Auch G setzte allerdings, indem er an der Wohnungstür klingelte, mangels Tatentschluss nicht unmittelbar zur Tötung an (s.o.). Fraglich ist daher, ob sein Klingeln gleichwohl dem H als – dessen – unmittelbares Ansetzen zugerechnet werden kann.12 Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass nur das Handeln eines anderen Mittäters, das noch im gemeinsamen Tatplan verläuft, zuge-rechnet werden kann. Weil G den Tatplan vor dem Klingeln aufgegeben hatte, entfiele also die Zurechnung. Ähnlich verläuft die Argumentation, nach der nur ein Handeln, das für den Handelnden selbst ein unmittelbares Ansetzen ist, dem anderen als unmittelbares Ansetzen zugerechnet werden kann. Mangels unmittelbaren Ansetzens des G gäbe es demnach nichts dogmatisch Greifbares, das dem H belastend zugerechnet werden könnte.13

Dem ist aber nicht zu folgen. Die Zurechnung nach § 25 Abs. 2 bezieht sich nämlich nicht auf die Handlung des anderen nach der Funktion, die sie für diesen hat, sondern nach der Funktion, die sie für denjenigen hat, zu dessen Lasten sie zugerechnet wird. Das ergibt sich aus § 22, der als Kriterium des unmittelbaren Ansetzens auf die Vorstellung des – jeweiligen – Täters abstellt (und mithin auch den untauglichen Versuch für strafbar erklärt).14 Wenn also H die Vorstellung hatte, dass das Handeln des G, das sich H nach § 25 Abs. 2 zurechnen lassen wollte, ein unmittelbares Ansetzen zur Tat entsprechend dem gemeinsam gefassten Tatplan war, so setzte er, indem G die betreffende Handlung

10 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil. Band II, 2003, § 29 Rn. 297 f.11 Wessels/Beulke/Satzger (Fn. 9), Rn. 870; Kühl (Fn. 3), § 20 Rn. 123.12 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht Allgemeiner Teil,

12. Aufl. 2016, § 25 Rn. 77 f.13 Vgl. BGHSt 39, 236, 238; auch bereits 1986: BGHR StGB § 22

Ansetzen 3, Rn. 4; Kühl (Fn. 3), § 20 Rn. 123 f.; Wessels/Beulke/Satzger

(Fn. 9), Rn. 871.14 BGHSt 40, 299, 302; Fischer (Fn. 2), § 22 Rn. 23 f.

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vollzog, nach seiner Vorstellung zur Tat an. Bestraft wird danach auch nicht nur der böse Wille (Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts),15 sondern die Vornahme einer Handlung (hier: das Postenstehen), die objektive Basis für die Zurechnung des unmit-telbaren Ansetzens durch den anderen ist.

Zu prüfen ist also, ob das Klingeln des G an der Wohnungstür diese Voraussetzungen erfüllt. Dazu müssten sich nach der Vorstellung des H Täter G und Opfer O im Moment des Klingelns in derselben räumlichen und zeitlichen Sphäre befunden haben, so dass das Opfer bereits gefährdet war und keine wesentlichen Zwischenschritte zur Erfolgsherbei-führung mehr erforderlich waren; auch müsste zu diesem Zeitpunkt H subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht-es-los“ überschritten haben.16 H hatte die Vorstellung, dass G dem O, sobald dieser auf das Klingeln hin öffnen würde, den tödlichen Messerstich zufügen würde, der sofort zum Tod als Taterfolg führen sollte. Jedenfalls mit dem – durch P tatsächlich vorgenommenen – Öffnen der Wohnungstür war nach der Vorstellung des H das Opfer O, da direkt in der Sphäre des Täters H befindlich, unmittelbar gefährdet, und der letzte notwendige kausale Zwischenschritt zur Tötung, der Stich, sollte sofort und unvermeidlich erfolgen, stellte sich also nicht als wesentlich im hiesigen Sinn-zusammenhang dar. Für H war das Klingeln des G auch diejenige Handlung, nach der das Geschehen im Sinne der „Jetzt-geht-es-los“-Schwelle seinen direkt in den Erfolg mündenden Lauf nehmen sollte. H setzte also, indem G klingelte, unmittelbar zur Tötung an.

Hinweis: Beachten Sie, dass hier dreierlei zu klären ist: erstens die Geltung der Gesamtlösung, zweitens die Möglichkeit, ein nur vermeintliches unmittelbares Ansetzen zuzurechnen, drittens, ob sich im konkreten Fall dem H das Verhalten des G als unmittelbares Ansetzen darstellte. Die drei Aspekte müssen im Gutachten gedanklich sauber getrennt gehalten werden.

IV. Rechtswidrigkeit und SchuldH handelte rechtswidrig und schuldhaft.

V. ErgebnisH hat sich gemäß §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 strafbar gemacht.

Hinweis: Wie gesagt, ist die Gegenauffassung gut vertretbar, wonach die Zurechnung des Handelns des G als unmittelbares Ansetzen nicht möglich ist, H also nicht wegen versuchter Tötung in Mittäterschaft strafbar ist. Wer dem folgt, hat sodann gutachterlich festzustellen, dass H strafbar nach § 30 Abs. 2 Var. 1 ist. Bezogen auf

15 So aber Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 22 Rn. 55a.16 Vgl. Fischer (Fn. 2), § 22 Rn. 10.

den G erübrigt sich dann mangels Haupttat die Prüfung der Beihilfe zur versuchten Tötung in Mittäterschaft.

C. G könnte sich nach §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 27 strafbar gemacht haben, indem er am 1.10. mit H die Tat zu begehen vereinbar-te und am 4.10. zur Wohnung des O kam und an der Woh-nungstür des O klingelte.

I. objektiver TatbestandDie versuchte mittäterschaftliche Tötung des H ist vorsätzliche rechtswidrige Haupttat. Hilfeleisten ist jedes physische und psychische Fördern der Haupttat.17 Die genannten Handlungen des G waren Voraussetzung dafür, dass dem H das Klingeln des G als unmittelbares Ansetzen eines (vermeintlichen) Mittäters zugerechnet werden konnte. G leistete also objektiv Hilfe.

II. subjektiver TatbestandG wollte, dass H die Tat versuchte. Ist aber die Haupttat ein Versuch, so erfordert § 27 überschie-ßenden Vollendungsvorsatz.18 An diesem fehlt es hier, weil G die Untauglichkeit des Versuchs des H kannte. G handelte daher unvorsätzlich.

III. ErgebnisG hat sich insoweit nicht strafbar gemacht.

D. G könnte sich gemäss § 30 Abs. 2 Var. 3 i.V.m. § 212 Abs. 1 strafbar gemacht haben, indem er am 1.10. mit H vereinbarte, den O zu töten.

I. objektiver TatbestandG und H müssten miteinander verabredet haben, ein Verbrechen zu begehen. Der Totschlag ist gemäß §§ 212 Abs. 1 a. E., 12 Abs. 1 ein Verbrechen. Verabreden bedeutet die Willenseinigung über die mittäterschaftliche Begehung eines in den wesentli-chen Grundzügen umrissenen Verbrechens.19 G und H planten, dass G den O am 4.10. durch einen Stich mit dem Küchenmesser an dessen Wohnungstür

17 Fischer (Fn. 2), § 22 Rn. 9–13a.18 Wessels/Beulke/Satzger (Fn. 9), Rn. 832.19 Roxin (Fn. 10), § 28 Rn. 43.

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töten sollte. Ort, Zeit, Mittel, Tatbestandserfolg und Opfer, als wesentliche Parameter des Verbre-chens, legten sie also fest. Auch wollten sie die Tat mittäterschaftlich begehen (s.o.). G erfüllte also den objektiven Tatbestand.

II. subjektiver Tatbestand, Rechts-widrigkeit und Schuld

G handelte vorsätzlich, wollte sich zu dem Verbre-chen nämlich auch (ohne geheimen Vorbehalt) mit H verabreden. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.

III. RücktrittG könnte gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 3 vom Versuch der Beteiligung zurückgetreten sein. Hierfür dürfte zunächst der Versuch nicht fehlgeschlagen sein; G müsste also, als er sich zur Abstandnahme von der Tat entschied, noch geglaubt haben, den Erfolg wie geplant beziehungsweise mit den zur Verfügung stehenden Mitteln herbeiführen zu können.20 Bevor G sich an den P wandte, hielt er den mit H gefassten Plan noch für durchführbar, so dass dieser Versuch der Beteiligung noch nicht fehlgeschlagen war.

Hinweis: Ob und wie die zu § 24 entwickelte Figur des Fehlschlags bezogen auf § 31 anwendbar ist, ist strittig.21 Dies näher zu erörtern ist hier aber, da der Beteiligungs-versuch ohnehin nicht fehlschlug, nicht erforderlich.

Nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 müsste G die Tat verhindert haben, was er bewerkstelligte, indem er nicht zustach. Er müsste hierbei freiwillig gehandelt haben, also aufgrund autonomer Motive.22 Indem ihn, ohne äußeren Anlass, rein moralische Erwä-gungen zur Tataufgabe bewegten, handelte er auch freiwillig. G trat mithin gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 3 vom Versuch der Beteiligung strafbefreiend zurück.

IV. ErgebnisG ist insoweit nicht strafbar.

E. GesamtergebnisG bleibt straffrei. H ist strafbar nach §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1.

20 Fischer (Fn. 2), § 24 Rn. 7.21 Fischer (Fn. 2), § 31 Rn. 2.22 Wessels/Beulke/Satzger (Fn. 9), Rn. 915.