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11. Auflage 2014

© 1991 Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin© 2014 Cornelsen Schulverlage GmbH, Berlin

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderenals den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichenEinwilligung des Verlags.Hinweis zu den §§ 46, 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne einesolche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt oder sonst öffentlichzugänglich gemacht werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigenBildungseinrichtungen.Redaktion: Maria Bley, BaldhamHerstellung und Satz: Julia Walch, Bad SodenUmschlaggestaltung: Torsten Lemme, Berlin,unter Verwendung einer Zeichnung von Klaus Puth

Druck und Bindearbeiten: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-589-21566-9

Gedruckt auf säurefreiem Papier,umweltschonend hergestellt aus chlorfrei gebleichten Faserstoffen.

www.cornelsen.de

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Vorwort

TEIL I Grundlegung 10

ERSTE LEKTION: Was ist Didaktik? 101. Gegenstandsbestimmung 101.1 Begriffsgeschichte 101.2 Arbeitsdefinition 141.3 Aufgabe und Gegenstand der Didaktik 152. Disziplinäre Ordnung 282.1 Die Didaktik und ihre Partnerwissenschaften 282.2 Allgemein-, Fach- und Spezialdidaktiken 302.3 Allgemeindidaktische Modelle 35

ZWEITE LEKTION: Grundbegriffe und Grundrelationen 391. Alltagssprache – Wissenschaftssprache 392. Neun Grundbegriffe 412.1 Schüler und Lehrer 412.2 Unterrichten und Erziehen 422.3 Lernen und Lehren 472.4 Ziele, Inhalte und Methoden 513. Die Wechselwirkung von Zielen, Inhalten und Methoden 55

DRITTE LEKTION: Strukturmodell des Unterrichts 611. Hermeneutisches Modell 611.1 Fünfzackiger Stern 611.2 Grundlagen und Ansprüche 692. Strukturlogik des Unterrichts 712.1 Zielstruktur 722.2 Inhaltsstruktur 742.3 Sozialstruktur 772.4 Handlungsstruktur 822.5 Prozessstruktur 863. Die Logik des Planens 92

Inhalt

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TEIL II Aufgaben und Probleme 98

VIERTE LEKTION: Grundfragen der Didaktik 981. Die drei Aufgaben der Didaktik: Analyse, Planung

und Inszenierung von Unterricht 981.1 Didaktik als Erforschung der Unterrichtswirklichkeit 1011.2 Didaktik als Entwurf einer (besseren?) Unterrichtswirklichkeit 1071.3 Didaktik als Inszenierung von Praxis 1112. Das Normproblem in der Didaktik 1162.1 Die Emanzipation der Schule von der Kirche 1162.2 „Aufklärung“ und „Mündigkeit“ als übergeordnete Normen 1212.3 Das ungelöste Problem der Normen-Ableitung 1232.4 Zielformeln „kleinarbeiten“, „reichmachen“ und „hochrechnen“ 1252.5 Gütekriterien des Unterrichts 1273. Drei-Ebenen-Modell der Reflexion didaktischen Handelns 1294. Wissenschaftstheoretische Landkarte 133

FÜNFTE LEKTION: Theorieaneignung mit Kopf, Herz, Händenund allen Sinnen 1421. Theoriewissen, Praxiswissen und die Steuerung

unterrichtspraktischen Handelns 1431.1 Theorie und Praxis 1431.2 Praxiswissen – Missing Link zwischen Theoriewissen und praktischem

Tun 1471.3 „Wir denken in Bildern und nicht in Theorien“ 1512. Aneignungsbedingungen didaktischen Theorie- und Praxiswissens 1532.1 Wie wird Theoriewissen angeeignet? – Ein Bericht aus der Uni 1532.2 Wie wächst Praxiswissen? – Ein Brief aus der Schule 1563. Didaktische Kompetenzentwicklung 1593.1 Was ist didaktische Kompetenz? 1593.2 Kompetenzentwicklung als Professionalisierungsprozess 1653.3 Entwicklungsaufgaben im Lehrerberuf 170

SECHSTE LEKTION: Lernen und Entwicklung 1731. Einstieg: Die Ähnlichkeitshemmung 1742. Kurzer Blick zurück in die Geschichte der Lerntheorie 1763. Mentale Repräsentationen 1784. Modelle des Gedächtnisses 1824.1 Drei Gedächtnisspeicher mit unterschiedlicher zeitlicher Reichweite 1824.2 Verschiedene Gedächtnisspeicher für unterschiedliche Funktionen 1865. Entwicklungstheorien 1895.1 Jean Piaget: „eine Art Embryologie der Intelligenz“ 1915.2 Stadien der Entwicklung 1966. Auf der Suche nach einem didaktischen Lernbegriff 199

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TEIL III Allgemeindidaktische Modelle 203

SIEBTE LEKTION: Bildungstheoretische undKritisch-konstruktive Didaktik 2031. Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung 2051.1 Die fünf Grundfragen der Didaktischen Analyse 2051.2 Ein Beispiel: „Kaufvertrag“ 2062. Bezugspunkt „Bildung“ 2082.1 Der Ertrag „klassischer“ Bildungstheorien 2082.2 Erträge und Probleme der aktuellen Bildungsdiskussion 2112.3 Materiale, formale und prozessorientierte Bildungstheorien 2123. Klafkis Klassiker: Kategoriale Bildung 2163.1 Bildungsinhalt und Bildungsgehalt 2163.2 Das Elementare, Fundamentale und Exemplarische 2193.3 „Sachanalyse“, Inhaltsstruktur und Primat der Didaktik 2233.4 Und die unterrichtsmethodische Vorbereitung? 2274. Weiterentwicklung des Modells: Kritisch-konstruktive Didaktik 2284.1 „Bildung“ wird zum pädagogisch-politischen Auftrag 2304.2 Schlüsselprobleme und vielseitige Interessen- und Fähigkeitsentwicklung 2314.3 Perspektivenschema zur Unterrichtsplanung 2364.4 Noch einmal: … und die unterrichtsmethodische Vorbereitung? 2374.5 Schultheoretische Rahmung 2384.6 Abschließende Einschätzung 239

ACHTE LEKTION: Dialektische Didaktik 2411. Bildungs-, wissenschafts- und gesellschaftstheoretische Rahmung 2422. Prozesstheorie des Unterrichts 2462.1 Dialektik des Lehrens und Lernens 2462.2 Prozesskomponenten des Unterrichts 2482.3 Prozesskomponente „Unterrichtsmethoden“ 2503. „Tätigkeit, Leben, Jugendmut, das ist der wahre Witz!“ 2543.1 Die Subjektposition der Lernenden stärken 2553.2 Den Inhalt zu Ende konstituieren 2563.3 Das „kollektive Subjekt des Unterrichts“ schaffen 257

NEUNTE LEKTION: Lerntheoretische Didaktik 2611. Struktur- und Faktorenanalyse des Unterrichts 2621.1 Strukturanalyse 2621.2 Unterrichtsbeispiel „Mondphasen“ 2651.3 Faktorenanalyse 2701.4 Wertfreiheit als Prinzip? 2731.5 Merkmale und Kritik 2742. Paul Heimanns Bildungstheorie 2762.1 Intentionalität 2772.2 Thematik 280

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3. Das Hamburger Modell der Lerntheoretischen Didaktik 2824. Emanzipatorische Relevanz ästhetischer Bildung 284

ZEHNTE LEKTION: Konstruktivistische Didaktik 2861. Was heißt „Konstruktivismus“? 2861.1 Ausgangspunkte 2861.2 Grundannahmen 2892. Konstruktivistische Didaktik 2932.1 Systemisch-konstruktivistische Pädagogik (Kersten Reich) 2932.2 Andere konstruktivistische Ansätze im Überblick 2973. Abschließende Einschätzung 300

TEIL IV Orientierungshilfen 304

ELFTE LEKTION: Unterrichtskonzepte im Überblick 3041. Begriffsklärungen und Überblick 3051.1 Was sind Unterrichtskonzepte? 3051.2 Was sind didaktische Prinzipien? 3061.3 Überblick 3072. Handlungsorientierter Unterricht 3142.1 Arbeitsdefinition und Merkmale 3152.2 Historisches Umfeld 3192.3 Theoretische Begründungen 321

Exkurs: Schüler-Nebentätigkeiten im Unterricht 3242.4 Didaktische Strukturierung 3262.5 Planungsraster 3272.6 Handlungsorientierung ist machbar, Frau Nachbar! 3322.7 Chancen und Risiken 3333. Erfahrungsbezogener Unterricht 3344. Didaktische Rekonstruktion 338

ZWÖLFTE LEKTION: Ratschläge zur Unterrichtsplanung 3411. Ratschläge für die Unterrichtsplanung von Anfängern 3411.1 Die Übersetzung von Theoriewissen in unterrichtspraktisches Handeln 3411.2 Sieben Fragen zur Kurzvorbereitung 3441.3 Der „geplante Stundenverlauf“ als Kern der Unterrichtsplanung 3462. Ratschläge für die Gestaltung von Prüfungsstundenentwürfen 3482.1 Wie lesen Prüfer Prüfungsstundenentwürfe? 3482.2 Widersprüchliche Erwartungen 3502.3 Rezepte: Nein danke – ja bitte! 3522.4 Gliederungsvorschläge 3552.5 Bausteine 359

Literaturverzeichnis 364Sach- und Personenregister 390

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Vorwort zur 5. Auflage

Dieses Buch ist für Studentinnen und Studenten, Referendarinnen und Refe-rendare und deren Ausbilder geschrieben worden. Wir wollen all jenen,die darüber nachdenken, wie sie gemeinsam mit ihren Schülern fruchtbareLehr-Lern-Prozesse gestalten können, eine Reflexionshilfe bieten.

Elf Jahre nach der ersten Veröffentlichung der „Didaktischen Modelle“haben wir uns an eine völlige Neubearbeitung des Textes gewagt. Wir habenden thematischen Umfang des Buches an einigen Stellen erheblich erwei-tert, an anderen Stellen haben wir „abgespeckt“. Hinzugekommen sind Lek-tionen und Abschnitte zum Didaktikbegriff, zum Strukturmodell des Unter-richts, zum Professionalisierungsprozess und zur KonstruktivistischenDidaktik. Stark gekürzt haben wir die „philologischen“ Erörterungen zumVergleich der verschiedenen didaktischen Modelle. Entfallen sind aus Um-fangsgründen die Darstellungen zum Offenen Unterricht und zur Lernziel-orientierten Didaktik.

Wir haben uns bemüht, die von den Didaktikern gepredigten Prinzipienauf die Gestaltung dieses Buches anzuwenden. Wir illustrieren unsere The-sen und Einwürfe möglichst oft an Beispielen. Wir arbeiten mit vielen Sche-mata, Grafiken und hier und dort auch mit Verfremdungen. Nicht alle Re-zensenten finden dies gut; einige befürchten, dass der Gegenstand derDidaktik vor lauter Didaktisierung verloren gehen könnte (vgl. Gruschka2002, S. 328–364). Diese Befürchtung halten wir für unangebracht. Aberwir betonen, dass unser Buch eine theoriegeleitete erste Einführung dar-stellt, und beanspruchen nicht, den Stand der Didaktik-Diskussion histo-risch-systematisch abzubilden.

Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen, die bei der Erstellung undKorrektur der Lektionen geholfen haben, und nennen insbesondere: Bar-bara Beck-Gallus, Maria Bley, Andreas Feindt, Wolfgang Fichten, CarolaJunghans, Sarah Peschel und Volker Wendt.

Die Zeichnungen stammen, sofern nichts anderes vermerkt ist, von Kars-ten Friedrichs-Tuchenhagen, Theodor Schulze, Kathrin Straßburg-Mulderund Hilbert Meyer. Die Landkarte stammt von Hilbert Meyer.

Wiesloch und Oldenburg im März 2002Werner Jank & Hilbert Meyer

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Ziele + Inhalte dieser LektionDie Didaktik ist die Berufswissenschaft von Lehrerinnen und Lehrern.Deshalb ist es sinnvoll, dass sich jede Lehrerin und jeder Lehrer klarmacht, was der Gegenstand, die Aufgabenstellung und die disziplinäreOrdnung dieser Wissenschaft ist.ÿ Im Abschnitt 1 definieren wir den Begriff Didaktik. Wir werden –

abweichend vom üblichen Verständnis – behaupten, dass die Didak-tik nicht nur die Theorie, sondern auch die Praxis didaktischen Den-kens, Fühlens und Handelns umfasst. Anhand von neun W-Fragenerläutern wir, was der Gegenstand dieser Disziplin ist.

ÿ Abschnitt 2 bringt einen einführenden Überblick zur disziplinärenOrdnung der Allgemein- und Spezialdidaktiken sowie der Partner-wissenschaften, auf die die Didaktik angewiesen ist, um ihre Auf-gaben zu erfüllen.

TEIL I:Grundlegung

ERSTE LEKTION:Was ist Didaktik?

1. Gegenstandsbestimmung

1.1 Begriffsgeschichte

Das Wort „Didaktik“ stammt ursprünglich aus dem Griechischen, wurdedann zu einem lateinischen Lehnwort und ist heute zu einem in weiten Tei-len der Welt gebräuchlichen Fachbegriff geworden:ÿ „didáskein“ hieß schon vor zweieinhalbtausend Jahren so viel wie „un-

terrichten“ oder „lehren“. Das Verb konnte auch intransitiv benutzt wer-den und bedeutete dann so viel wie „belehrt werden“ oder „lernen“.

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ÿ Der „didáskalos“ war der Lehrer (zumeist Sklave und männlichen Ge-schlechts).

ÿ Das „didaskaleíon“ war die Schule bzw. der Raum zum Lernen.ÿ „dídaxis“ bezeichnete das Gelehrte, aber auch Gelernte.ÿ Die „didaktiké téchne“ war die Lehrtechnik bzw. Lehrkunst.ÿ Im Lateinischen wurde „didactica“ als griechisches Fremdwort über-

nommen.

In der Neuzeit tauchte das Wort dann bei Wolf-gang Ratke (1571–1635) und bei Johann AmosComenius (1592–1670) wieder auf. Comeniuswar ein von den Schrecken des DreißigjährigenKrieges gezeichneter, frommer Mensch – Mit-glied der (evangelisch-pietistischen) Böhmi-schen Brüdergemeine, später ihr Bischof, dannKriegsflüchtling und Asylnehmer in den Nie-derlanden und England – ein Vielschreiberund Projektemacher mit einem Sinn fürs Prak-tische.

Er hat – zunächst in Tschechisch und dannin Lateinisch – eine damals revolutionäre, bisheute grundlegende Programmschrift mit dem Titel „Didactica magna“ (=Große Didaktik; 1628/1638) geschrieben, in der ein umfassendes, theore-tisch und praktisch ausdifferenziertes Programm für die Gestaltung vonSchule und Unterricht vorgestellt wird. Der eine ganze Seite füllende Titelbringt zum Ausdruck, welche Hoffnungen er mit der Reform der Schuleverband:

1. Gegenstandsbestimmung 11

Johann Amos Comenius

GROSSE DIDAKTIK

DIE VOLLSTÄNDIGE KUNST, ALLE MENSCHEN ALLES ZU LEHRENoder

Sichere und vorzügliche Art und Weise, in allen Gemeinden, Städtenund Dörfern eines jeden christlichen Landes Schulen zu errichten, indenen die gesamte Jugend beiderlei Geschlechts ohne jede Ausnahme

RASCH, ANGENEHM UND GRÜNDLICH

in den Wissenschaften gebildet, zu guten Sitten geführt, mitFrömmigkeit erfüllt und auf diese Weise in den Jugendjahren zu allem,

was für dieses und das künftige Leben nötig ist, angeleitet werdenkann;

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12 ERSTE LEKTION Was ist Didaktik?

Die Didaktik, wie wir sie heute kennen, hat sich schrittweise aus den Unter-richtslehren und Hauslehrer-Handreichungen früherer Jahrhunderte ent-wickelt. Sie hat die Grenzen einer bloßen Sammlung pädagogischen Rezept-wissens aber seit langem überwunden und sich zu einer Wissenschaft vomLehren und Lernen entwickelt:ÿ Johann Friedrich Herbart (1776–1841) legte

den ersten Entwurf einer konsequent an denlernenden Subjekten orientierten Didaktikvor. Sein 1806 erschienenes Hauptwerk trugden Titel „Allgemeine Pädagogik, aus demZweck der Erziehung abgeleitet“. Der Unter-titel enthält das Programm: Sinn und Zweckder Erziehung sollte nicht mehr – wie bei Co-menius – die Hinführung der heranwachsen-den Generation zu einem gottgefälligen Le-ben sein. „Unbedingter Zweck der Erzie-hung“ sollte die Entwicklung der Person des„Educandus“ und die Förderung der Selbst-bestimmungsfähigkeit des Einzelnen sein.

ÿ Herbarts Schüler, die Herbartianer, machten aus seinem philosophischund psychologisch tiefgründigen Ansatz die so genannte Formalstufen-theorie – eine Technik des Stundenhaltens, über deren Vor- und Nach-teile sich die Wissenschaftler bis heute streiten (vgl. Adl-Amini u. a. 1979).

worin von allem, wozu wir ratendie GRUNDLAGE in der Natur der Sache selbst gezeigt,

die WAHRHEIT durch Vergleichsbeispiele aus den mechanischenKünsten dargetan,

die REIHENFOLGE nach Jahren, Monaten, Tagen und Stundenfestgelegt und schließlich

der WEG gewiesen wird, auf dem sich alles leicht und mitSicherheit erreichen lässt.

ERSTES UND LETZTES ZIEL UNSERER DIDAKTIK SOLL ES SEIN,die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die

Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen;in den Schulen weniger Lärm, Überdruss und unnütze Mühe herrsche,

dafür mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhafter Fortschritt; in derChristenheit weniger Finsternis, Verwirrung und Streit, dafür mehr

Licht, Ordnung, Friede und Ruhe.(aus: Johann Amos Comenius: Große Didaktik, Stuttgart 1992)

Johann Friedrich Herbart

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1. Gegenstandsbestimmung 13

ÿ Am Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Otto Willmann (1839–1920) eine umfassende „Didaktik als Bildungslehre“, in der er in einerumfassenden historisch-systematischen Analyse die Bildungszwecke,Bildungsinhalte und Grundlagen der Bildungsarbeit darlegte (1957).

1 Im englischsprachigen Raum fehlt ein direktes Begriffsäquivalent für Didaktik.Gebräuchlicher sind Ausdrücke wie „curriculum“, „theory of instruction“ oder„research on teaching“ (vgl. Hopmann/Riquarts 1995).

Erich WenigerWolfgang Klafki

Herwig BlankertzPaul Heimann

Lothar Klingberg

ÿ In der Mitte des 20. Jahrhunderts haben Autoren wie Erich Weniger(1894–1961), Wolfgang Klafki (geb. 1927), Herwig Blankertz (1927–1983), Paul Heimann (1901–1967) und Lothar Klingberg (1926–1999)– geprägt von den menschenfeindlichen Erfahrungen im Nationalsozia-lismus – unterschiedlich entfaltete, aber doch in der bildungstheoreti-schen Grundlegung erstaunlich ähnliche didaktische Theoriegebäudeentwickelt und damit den Begriff der Didaktik und die ihr zugeordneteWissenschaftsdisziplin endgültig im Konzert der Wissenschaften eta-bliert.1

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Der Didaktikbegriff hat also eine 2500 Jahre alte Geschichte. Wer den Be-griff heute benutzt, hat diesen geschichtlichen Hintergrund sicherlich nurin den seltensten Fällen im Kopf gewärtig. Im alltäglichen Gespräch unterPädagogen ist er eher ein Sammelbegriff für alles, was mit dem Lernen undLehren zusammenhängt.

1.2 Arbeitsdefinition

In der Schule und zum Teil auch an den Hochschulen und im Referenda-riat gibt es eine eigentlich unzulängliche, dennoch hartnäckig benutzte Tri-vialdefinition von Didaktik in Abgrenzung zur Unterrichtsmethodik:ÿ Didaktik beantwortet die Frage nach dem Was (= Inhaltsfrage).ÿ Methodik beantwortet die Frage nach dem Wie (= Vermittlungsfrage).

Diese Doppeldefinition ist nicht völlig falsch, aber viel zu eng! Denn erstensbeantwortet die Didaktik auch noch zahlreiche weitere Fragen, zum Bei-spiel die nach dem Wozu und Womit. Zweitens geht es nicht nur um Inhalteund Methoden, sondern immer auch um die Ziele und um die beteiligtenPersonen, also um die Lernenden und die Lehrenden. Wir schlagen des-halb die folgende weite Definition für Didaktik vor:

14 ERSTE LEKTION Was ist Didaktik?

Definition 1.1: Die Didaktik ist die Theorie und Praxis des Lernensund Lehrens.

Pfiff und Pfeffer erhält die Didaktik dadurch, dass es immer um das span-nungsvolle Mit- und Gegeneinander von Lernenden und Lehrenden geht.Lehren ist die Antwort der Gesellschaft auf den Tatbestand, dass alle Men-schen „von Natur aus“ lernen. Deshalb ist das Lernen eine primäre, dasLehren aber eine abgeleitete Kategorie. Ich kann als Autodidakt lernen,ohne belehrt zu werden. Aber ein Lehrender ohne Lernende ist eine ab-surde Vorstellung.

Die Didaktik ist eine Wissenschaft und keine bloße Kunstlehre oder Fach-kunde. Wer diesen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, muss bestimmtenMaßstäben genügen:ÿ Er muss die Aufgaben und den Gegenstandsbereich definieren;ÿ er muss ein Theoriegebäude erstellen und das Theorie-Praxis-Verhält-

nis bestimmen;ÿ er muss sich der Geschichte seines Faches vergewissern und die Zu-

kunftsperspektiven ausloten;

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ÿ er muss klären, welche Forschungsmethoden dem Gegenstand ange-messen sind;

ÿ er muss klären, mit welchen Erkenntnisinteressen er an die Arbeit geht,ÿ und er sollte die ethischen Konsequenzen seines Arbeitens durchden-

ken.

Diese Klärungen sollte er nicht im Alleingang vornehmen. Er sollte seinewissenschaftliche Arbeit veröffentlichen. Diese Veröffentlichung beginnt imKlassenzimmer, wenn ein Lehrer seinen Schülern wissenschaftlich begrün-dete Entscheidungen oder Vorschläge erläutert, und sie endet dort, wo inder Wissenschaftlergemeinschaft über die Richtigkeit und Angemessenheitdidaktischer Konzepte gerungen wird.

Wir haben oben definiert, dass die Didaktik Theorie und Praxis des Ler-nens und Lehrens ist. Diese Position wird von der Mehrzahl der Kolleginnenund Kollegen nicht geteilt. Üblich ist vielmehr, die Didaktik als Wissenschaftzu definieren und davon das praktische didaktisch-methodische Handelnabzugrenzen, das – wenn’s gut geht – wissenschaftsorientiert gestaltet wird,aber nicht selbst Wissenschaft ist (Heursen 1989, S. 307; vgl. Peterßen 2001,S. 12–15). Unsere Begründung für die Minderheitsposition lautet:

1. Gegenstandsbestimmung 15

These 1.1: Die didaktische Theorie schließt Praxis ein, so wie die Pra-xis von der Theorie durchdrungen ist.

1.3 Aufgabe und Gegenstand der Didaktik

Was ist die Aufgabe der Didaktik? Sie soll Lehrende und Lernende beimLehren und Lernen unterstützen. Zentraler Gegenstand der Didaktik istdeshalb das didaktische Handeln von Lernenden und Lehrenden. Dabeigehen wir, wie dies in der Didaktik seit langem üblich ist, von einem wei-ten Handlungsbegriff aus. Handlungen sind zum einen alle beobachtbarenAktionen und Reaktionen in einer Lehr-Lern-Situation, zum anderen aberauch die „Denkhandlungen“, mit denen diese sichtbaren Handlungen vor-bereitet, begleitet und ausgewertet werden.

Die Didaktik ist für uns keine Grundlagen-, sondern eine Handlungs-wissenschaft. Daraus folgen bestimmte Gütekriterien für die Beurteilungder Forschungsergebnisse dieser Disziplin. Das insbesondere in den Natur-wissenschaften gängige Kriterium der „Objektivität“ bzw. der Wahrheit derAussagen gilt auch für die Didaktik, und zwar immer dann, wenn Tatsa-

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chenfeststellungen gemacht werden.2 Aber dort, wo es um die Bewertungvon Handlungsempfehlungen geht, kommen die Gütekriterien der ethi-schen Akzeptierbarkeit, der Brauchbarkeit und der Fruchtbarkeit desTheoriewissens für die Gestaltung und Verbesserung von Lehr-Lern-Pro-zessen hinzu (vgl. Altrichter/Posch 1998, S.103–107). Schlicht und beinahedoppelt gemoppelt formuliert:

16 ERSTE LEKTION Was ist Didaktik?

2 Dabei muss zwischen der quantitativen und der qualitativen Forschung unterschie-den werden; für qualitative Forschung gelten zum Teil andere Gütekriterien (vgl.Steinke 2000).

These 1.2: Die Aufgabe der Didaktik als Handlungswissenschaft ist es,den Lehrerinnen und Lehrern praktisch folgenreiche Handlungsori-entierungen zu geben.

Dies heißt nicht, dass die Didaktik immer nur „aus der Praxis für die Pra-xis“ zu arbeiten habe. Die Aufgabenbestimmung schließt die Klärung ihrertheoretischen Grundlagen, die empirische Analyse der vorgefundenen Pra-xis des Lehrens und Lernens, die Warnung vor theoretischen und prakti-schen Irrwegen sowie den Hinweis auf immer noch uneingelöste Verspre-chen der Didaktik ein.

Was ist der Gegenstand der Didaktik? Wir wollen diese nur scheinbarschlichte Frage in neun W-Fragen aufschlüsseln, die dann Punkt für Punkterläutert werden:

Abb. 1.1 Die neun W-Fragen der Didaktik

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Das war schon immer so, aber heute erhält diese Feststellung eine neueQualität, weil sich die gesellschaftliche Entwicklung immer mehr beschleu-nigt. Dies führt zu einer Verwischung der früher klaren Grenzziehung zwi-schen den lernenden Kindern und den „ausgelernten“ Erwachsenen. Diesführt auch zwangsläufig zu der in Definition 1.1 festgehaltenen Auswei-tung des Gegenstandsfeldes der Didaktik. Sie bezieht sich nicht nur aufschulischen Unterricht, sondern auf jegliche Form der bewussten Beein-flussung der Lern- und Entwicklungsprozesse von Säuglingen, Kindern,Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren.

2 Was soll gelernt werden?

Die Was-Frage ist die Frage nach den Lern- bzw. Lehrinhalten. Die zustän-dige erziehungswissenschaftliche Teildisziplin, die sich um diese Fragekümmert, ist die Lehrplan- oder Curriculumtheorie (s. u., S. 43).

Die Was-Frage ist aus mindestens drei Gründen schwer zu beantworten.Erstens, weil vielen unklar ist, woher die Unterrichtsinhalte kommen kön-nen; zweitens, weil die heute verfügbaren Lehrangebote die Lernkapa-zitäten jedes Einzelnen bei weitem überschreiten, und drittens, weil mandarüber streiten kann, welche Personen bzw. Institutionen das Recht habensollen, die Inhaltsentscheidungen zu treffen.

1. Gegenstandsbestimmung 17

These 1.3: Der Mensch muss lernen, weil er sonst nicht überlebenkönnte. Die Gesellschaft als Ganzes muss ebenfalls weiterlernen, weilsie sonst zugrunde ginge.

Die Didaktik stellt diese Fragen, aber sie kann sie nicht allein beantwor-ten. Dafür benötigt sie Partnerwissenschaften, auf die wir im Abschnitt 2.1dieser Lektion noch zu sprechen kommen.

1 Wer soll lernen?

Bezogen auf Schule und Unterricht ist diese Frage scheinbar einfach zubeantworten: natürlich die Schülerinnen und Schüler! Aber die Antwortgreift in mehrfacher Hinsicht zu kurz. Lernen findet ja nicht erst dann statt,wenn die Kinder zur Schule kommen. Sofort nach der Geburt, ja schon vorder Geburt beginnt ein unaufhörlicher, ganzheitlicher Lernprozess. DasKind lernt zu lachen und zu weinen, zu gehen, zu sprechen und zu spielen.Wir kommen damit zu einer anthropologischen Begründung der Didaktik:

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Woher kommen die Inhalte?Viele Leute meinen, die im Unterricht vermittelten „Lehrstoffe“ würden vonWissenschaftlern produziert und dann über Lehrpläne und Schulbücher inden Unterricht hineingetragen. Dies ist aber nur in Ausnahmefällen so. DieMehrzahl der Inhalte kommt aus ganz anderen Quellen: aus der Berufs-ausbildung, aus der Jugendarbeit, aus der Bibel, aus historischen Doku-menten, aus Reiseberichten, von Dichtern und Denkern, vom CIA und vonIBM – kurz: aus dem Gesamtbestand des gesellschaftlich angesammeltenWissens und Könnens. Dies ist kein Schade, im Gegenteil. Dadurch wirdder Unterricht lebensnah und interessant. Umso wichtiger ist dann aber,dass alles, was in die Schulen hineinkommt, auf seine wissenschaftlicheRichtigkeit und ethische Akzeptierbarkeit überprüft worden ist.

Nach welchen Kriterien wird ausgewählt?Wir leben heute in einer Zeit, in der sich das Wissen explosionsartig ver-mehrt. Die Frage, was insgesamt in den Lehrplan gehört und was nicht,kann aber nicht durch eine bloße Addition verschiedener – für sich alleinbetrachtet immer lohnender – Wissensinhalte und Aufgabenkomplexe be-antwortet werden. Bevor das Lehren beginnt, müssen immer schon um-fangreiche Auswahl- und Strukturierungsentscheidungen getroffen wor-den sein. Oft geschieht dies eher zufällig und ohne bewusst gemachteKriterien. Aufgabe der Didaktik ist es demgegenüber, solche Kriterien zudefinieren, sie zu reflektieren und auf die aktuellen Bedürfnisse der Men-schen und die Entwicklungspotenziale der Gesellschaft zu beziehen.

Wer trifft die Entscheidungen?Die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort? Die Schülerinnen und Schüler? DieEltern? Oder besser eine Expertenkommission des Kultusministers odergar der Landtag? Früher war klar, dass es die Aufgabe des Landesherrnbzw. der kirchlichen Obrigkeit war, Lehrpläne zu erlassen, die dann auchminutiös einzuhalten waren. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Ein-sicht durchgesetzt, dass mehr Inhaltsentscheidungen als bisher an der Basis– also von den Lehrern und Schülern – getroffen werden sollten. Warum?Je komplizierter die Arbeitsbedingungen werden (weil sich die Lehr-Lern-Voraussetzungen immer schneller und nicht immer zum Besseren verän-dern), umso wichtiger wird es, dass Fachleute vor Ort das Recht und dieKompetenz erhalten, situationsangemessen, flexibel und immer wieder neuzu entscheiden, welche Lehrinhalte vernünftig sind und welche nicht. Des-halb kann Schule heute nur noch mit professionellem Personal gestaltet

18 ERSTE LEKTION Was ist Didaktik?

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werden; und deshalb spricht man heute auch vom „hauseigenen Lehrplan“einer Schule, vom „persönlichen Lehrplan“ eines Lehrers und vom „Bil-dungsgang“ jedes einzelnen Schülers.

3 Von wem soll gelernt werden?

Dies ist die Frage nach den Lehrpersonen: Wir denken zuerst an die vielenim staatlichen Schulwesen angestellten bzw. verbeamteten Lehrerinnenund Lehrer. Aber auch Eltern, Meister, Pastoren, Gewerkschaftsfunktionäreund andere mehr lehren.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Lehrerberuf langsam aus an-deren Tätigkeiten herauswuchs. Die ersten „Lehrer“ waren offensichtlichTempelbeamte und Steuereintreiber, die vor gut 4000 Jahren im Zwei-stromland Mesopotamien den eigenen Nachwuchs in „Tempelschulen“heranbildeten (vgl. Schulze, in: Meyer 1997, Bd. 1, S. 332). Im klassischenGriechenland, also vor knapp 2500 Jahren, waren die Lehrer zumeist gebil-dete Sklaven. Im alten Rom war es ähnlich.

Im Mittelalter war das Schulwesen weitgehend Sache der Kirchen undKlöster. In den Städten gab es aber auch noch „Winkelschulen“. Die Refor-mation brachte einen großen Schub. In manchen Regionen (z. B. an derNordseeküste in Ostfriesland) war schon eine beinahe flächendeckendeDorfschul-Versorgung erreicht.

1. Gegenstandsbestimmung 19

„Dorfschule von 1848“, Ölbild von Albert Anker (historisierend gemalt 1896)

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Im 17. und 18. Jahrhundert waren die Volksschullehrer oft zugleich dieKüster und als solche verantwortlich für das Saubermachen der Kirchenund das Läuten der Glocken. Allein vom Schulgeld, das die Eltern der Kin-der zahlten, konnten die Lehrer aber nicht leben. Sie betrieben oft ein wenigLandwirtschaft oder verdienten ein Zubrot als Handwerker. Andere gabennur im Winter Unterricht und verdingten sich im Sommer als Tagelöhner.Arm wie eine Kirchenmaus waren sie allemal. Und entsprechend geringwurden sie geachtet. Es gab keine geregelte Ausbildung; eingestellt wurde,wer des Lesens, Schreibens und Rechnens halbwegs kundig war. Eine gere-gelte Seminarausbildung wurde in Deutschland erst gegen Ende des 18.Jahrhunderts eingeführt. Sie stand – wie das Schulwesen auch – noch biszu Beginn der Weimarer Republik unter kirchlicher Aufsicht. Im Gymna-siallehramt begann die staatliche Regulierung früher. Schon zu Beginn des19. Jahrhunderts wurde in Preußen – unter dem zeitweiligen Kultusmini-ster Wilhelm von Humboldt – das staatliche Examen für Gymnasiallehrereingeführt. Die Abhängigkeit des Lehrpersonals von den Kirchen wurdenun schrittweise durch die Staatsaufsicht ersetzt. Im internationalen Ver-gleich ist die staatliche Aufsicht im deutschen Schulwesen heute immernoch sehr ausgepägt.

Heute ist der Lehrerberuf in den westlichen Industrienationen durchwegein professionellen Standards genügender, wenn auch oft schlecht be-zahlter akademischer Beruf, der einen Hochschulabschluss voraussetzt.Lehrer haben sich in Lehrerverbänden organisiert und sich hochgradig spe-zialisiert.

Neben den circa 800 000 Lehrerinnen und Lehrern an den öffentlichenSchulen Deutschlands gibt es noch einmal ungefähr gleich viele Lehrkräfte,die in der Wirtschaft, bei den Kirchen und Gewerkschaften, bei Behördenund Interessenvertretungen, in schulähnlichen Einrichtungen (Volkshoch-schulen, Musikschulen, Berufsförderungswerken), im SOS-Kinderdorf undim Entwicklungsdienst, beim Arbeitsamt und andernorts arbeiten. Sieunterrichten so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann: vom Ikebanabis zum Klavierunterricht, von der Nachhilfe bis zum Fremdsprachentrai-ning, vom Manager-Coaching bis zum Neurolinguistischen Programmieren(NLP). In diesen Berufsfeldern ist ein akademischer Abschluss kein Schade,aber was zählt, ist das fachliche und pädagogische Können. Der „Markt“,nicht die staatlichen Schulämter und Finanzminister regeln, wer eineBeschäftigung findet und wer draußen vor bleibt. In den 1980er- und1990er-Jahren, als nur wenige Lehramtsabsolventen im staatlichen Schul-wesen Beschäftigung fanden, waren diese Berufsfelder für viele überle-

20 ERSTE LEKTION Was ist Didaktik?

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benswichtig und oft genug auch eine gut bezahlte Alternative zum Beam-tenstatus. Heute – im Jahre 2002 – befinden wir uns am Beginn einer neuenPhase des Lehrermangels. Der so genannte Schweinezyklus3 hat eine wei-tere Drehung vollzogen. Die Lehrer werden – zumindest kurzfristig –umworben. Das ist für jeden Einzelnen ein Gewinn, aber dem Berufsstandinsgesamt tut es sicherlich nicht gut, wenn Lehrerarbeitslosigkeit undgroßer Lehrermangel immer wieder einander ablösen.

4 Wann soll gelernt werden?

Es ist eine immer wieder neu zu beantwortende zentrale Frage der Di-daktik, ob dieser oder jener „Stoff“ für diese oder jene Schüler verfrüht,gerade richtig oder verspätet angeboten wird. Zu dieser Frage gibt es beiLaien und Fachleuten viele entschiedene Meinungen, aber nur wenigewissenschaftlich stichhaltige Begründungen. Unumstritten ist, dass jederMensch spätestens vom Tag seiner Geburt an lernen muss und kann (s. o.).Umstritten ist jedoch, ob es eine „natürliche“ Reihenfolge für diese vielfäl-tigen Lernprozesse gibt: Erst lesen – dann schreiben oder umgekehrt? Eng-lisch erst ab Klasse 5 oder besser schon ab Klasse 1? Diese Fragen sind sopauschal, wie wir sie eben gestellt haben, nicht vernünftig zu beantwor-ten. Wir müssen die Wann-Frage in mehrere Dimensionen zerlegen:ÿ Die Wann-Frage kann entwicklungspsychologisch beantwortet werden.

Die Entwicklungspsychologen haben eine ganze Reihe von Gesetz-mäßigkeiten der geistigen und körperliche Entwicklung von Menschennachgewiesen, die bei der Planung von Unterricht berücksichtigt wer-den müssen. So hat der Schweizer Psychologe Jean Piaget (1896–1980)den Aufbau des Mengenverständnisses bei Kindern erforscht und inter-essante Gesetzmäßigkeiten festgestellt, die wir auf Seite 193 kurz dar-stellen werden.

ÿ Die Wann-Frage kann lerntheoretisch beantwortet werden – so, wie dieszum Beispiel der Kognitionspsychologe und EvolutionstheoretikerJerome S. Bruner (1927–1987) von der Harvard University/USA getanhat. Er hat sich gefragt, wie das lernende Kind kognitives Wissen in sichaufnimmt und welche Formen der Repräsentation von Wissen und Kön-nen dabei entstehen. (Mehr dazu in der Sechsten Lektion.)

1. Gegenstandsbestimmung 21

3 Ein Fachbegriff der Berufs- und Arbeitsmarktforschung. Er bezeichnet den Tatbe-stand, dass in Deutschland seit mehr als hundert Jahren ungefähr alle fünfund-zwanzig Jahre ein Umbruch vom Lehrermangel zum Lehrerüberfluss und zurück zubeobachten ist.

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ÿ Die Wann-Frage kann curricular im Blick auf die Reihenfolge bestimm-ter Inhalte beantwortet werden. Hier gibt es nur wenige oder gar keineGesetzmäßigkeiten, dafür aber ein Angebot vieler verschiedener Mög-lichkeiten der „Sequenzierung“ der Lerninhalte: Das Lernen kann vomNahen zum Fernen, vom Einfachen zum Komplexen, vom Vertrautenzum Fremden führen, aber diese – schon von Johann Comenius als „na-turgemäß“ gepriesenen – methodischen Prinzipien können jederzeit auchumgekehrt werden. Man kann vom Fernen aus das Nahe in neuem Lichtbetrachten, man kann das Einfache aus dem Komplexen herleiten usw.

Die Wann-Frage ist übrigens nicht nur eine Frage nach der Machbarkeit,sondern auch nach dem ethischen Kode des Lernens und Lehrens. Nichtalles, was heute mit allerlei Tricks und Kniffen vermittelt werden könnte,stellt ein vernünftiges Lehrziel dar! Wir können Dreijährigen das Schreib-maschineschreiben beibringen – aber was hat das Kind davon?Wir müssen also zur Kenntnis nehmen:

22 ERSTE LEKTION Was ist Didaktik?

These 1.4: Die Didaktik ist in ihren Ziel-, Inhalts- und Methodenent-scheidungen nicht autonom. Politiker, Ökonomen, Entwicklungspsy-chologen, Sozialisationsforscher und Weitere mehr entscheiden mit.

Aber diesen Menschen fehlt der Fachverstand und zumeist auch die kon-krete Fantasie, um das, was sie für richtig halten, im alltäglichen Unterrichtumzusetzen. Dies gibt der Didaktik Macht. Sie ist nicht nur Erfüllungs-gehilfin der Politik, sondern handelt in eigener Verantwortung. Sie kanngegen unglückliche schulpolitische Entscheidungen Einspruch erheben; siekann die Nöte und Bedürfnisse der Basis „nach oben“ vermelden und selbstfantasievolle Gestaltungsalternativen entwickeln; und sie hilft, eine Berufs-ethik der Lehrerinnen und Lehrer zu formulieren.

5 Mit wem soll gelernt werden?

Die schnelle Antwort lautet: na klar, mit den Mitschülerinnen und Mit-schülern. Aber mit welchen Mitschülern? Sollen die Schüler schön säuber-lich nach ihrem Leistungsvermögen sortiert werden, wie dies zum Beispielan einer Sonderschule oder an einem Elitegymnasium der Fall ist? Odersollen sie in leistungsheterogenen (= leistungsunterschiedlichen) Klassenunterrichtet werden, wie dies in Integrationsklassen der Grundschule oderin Integrierten Gesamtschulen der Fall ist? Ist es zwingend, Jahrgangs-

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klassen zu bilden, wie dies Comenius vor 350 Jahren mit viel Pathos daserste Mal vorgeschlagen hat? Oder legen die Modellversuche mit altersge-mischten Lerngruppen nahe, auf Jahrgangsklassen zu verzichten?

Diese und weitere Fragen werden seit gut dreißig Jahren in der empiri-schen Schul- und Unterrichtsforschung unter den Leitbegriffen „Differen-zierung und Integration“ untersucht, aber klare Antworten liegen nochnicht vor. Dabei handelt es sich auch hier um eine hochpolitische Frage!Gerade im deutschen Schulsystem hat die Praxis, homogene Klassen undSchulformen (mit Schülern gleicher oder ähnlicher Leistungsfähigkeit) zubilden, eine lange Tradition und entschiedene Anhänger. Aber in keinemanderen Land Europas findet eine so frühe Leistungsselektion statt wie inDeutschland. Weltweit sind wir dadurch in eine Außenseiterrolle gerutscht.

Die Mit-wem-Frage bezeichnet traditionell auch die Frage nach den sogenannten Sozialformen des Unterrichts: Welche Themen können besserim Frontalunterricht, welche besser in Einzelarbeit erarbeitet werden? Wieviel Gruppenunterricht ist möglich, wie viel ist nötig? Hier gibt es keinePauschallösungen, sondern vielfältige Balancierungsaufgaben. Sowohl dieErfahrung eines in festen Lehrgängen geordneten, eher wenig differenzier-ten Lernens als auch die Erfahrung eines Lernens im Team und die Vertie-fung in die Einzelarbeit sind für ein modernes Unterrichtskonzept wichtig.

6 Wo soll gelernt werden?

Auch hier gibt es eine schlichte und viele komplizierte Antworten. Dieschlichte Antwort lautet: In der Schule – wo denn sonst? Die komplizierteAntwort lautet: Überall dort, wo es etwas zu lernen gibt!ÿ In den Klassen- und Fachräumen,ÿ in Lernwerkstätten und auf Lernstationen,ÿ im Praktikum und auf Exkursion,ÿ im Internet und im Internat,ÿ in der Fremde und zu Hause.

Die Vielfalt der Lernorte ist ein Gewinn, aber sie schafft auch eine neueUnübersichtlichkeit, die durch didaktisch-organisatorische Hilfestellungenausgeglichen werden muss.

Der wichtigste Lernort – neben der Familie – ist und bleibt in modernenGesellschaften die Schule. Schulen sind Institutionen. Sie wurden eigenszu dem Zwecke geschaffen, das Lehren und Lernen für alle Beteiligten ver-lässlich und überschaubar zu machen. Dies schafft Zwänge, aber auch Vor-teile. Das Lernen in der Schule ist Lernen in der Gemeinschaft. Es wird von

1. Gegenstandsbestimmung 23

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professionell geschultem Personal durchgeführt. Es ist – zumindest im Prin-zip – durch demokratische Willensbildung legitimiert und es hat auch zumZiel, die Schüler auf ein Leben in der Demokratie vorzubereiten. Darüberhinaus ist schulische Unterweisung im Vergleich zu stärker individuali-sierten Ausbildungsformen verhältnismäßig preiswert.

In der menschlichen Frühgeschichte „passierte“ das Lernen vor Ort, in-dem die Kleinen den Großen über die Schultern schauten und bei derenBesorgungen mitmachten. Dies wird als funktionale Erziehung – im Gegen-satz zur intentionalen Erziehung – bezeichnet. Funktionale Erziehung kannaus vielfältigen Gründen in unserer Zivilisation nur noch einen immer klei-ner werdenden Beitrag zur erforderlichen Gesamterziehung leisten. Des-halb sind Schulen für hochtechnisierte und auf Arbeitsteilung aufgebauteGesellschaften überlebenswichtig geworden.4 Die vor dreißig Jahren vonIvan Illich angezettelte Debatte über die „Entschulung der Schule“ (Illich1972) ist denn auch heute völlig verstummt. Stattdessen wird – deutlichmoderater – über die Öffnung der Schule, über die Stadtteilschule, die Inter-net-Schule und anderes mehr gesprochen. Die Begriffe signalisieren einenFunktions- und Klimawandel von Schule.

24 ERSTE LEKTION Was ist Didaktik?

4 Schulen halten die anderen gesellschaftlichen Einrichtungen von herumstreunendenbildungsbeflissenen Lernern frei. Das ist ironisch formuliert, aber ernst gemeint: Esgehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, was passieren würde, wenn abmorgen elf Millionen Kinder und Jugendliche und ihre 800 000 Lehrerinnen undLehrer ausschwärmten und die Fabriken, Gerichte, Bauernhöfe, die Ministerien,Krankenhäuser und Flugplätze, die Slums und die Friedhöfe bevölkerten, um Arzt,Pilotin, Müllwerker oder Hausmann zu werden. Spätestens am darauf folgenden Tagwäre das gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben lahm gelegt.

7 Wie soll gelernt werden?

Die Wie-Frage ist die Frage nach den Lehr/Lern- oder Unterrichtsmetho-den. Unterrichtsmethoden sind die Formen und Verfahren, mit denen sichLehrer und Schüler die sie umgebende natürliche und gesellschaftlicheUmwelt aneignen. Viele Methoden sind uralt: der Lehrervortrag, das Me-

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morieren (Auswendiglernen) im Chor, das Abschreiben von der Tafel, dasGeschichtenerzählen. Andere sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts von denReformpädagogen erfunden worden, zum Beispiel die Projekt- und die Frei-arbeit. Bis heute kommen immer wieder neue Methoden hinzu: das Rollen-und das Planspiel, Standbild-Bauen, die Arbeit in Zukunftswerkstätten.Methodenfragen erhalten im Alltagsbetrieb der Schulen gegenwärtig offen-sichtlich immer mehr Gewicht:ÿ Die Lernvoraussetzungen der Schüler werden uneinheitlicher und kom-

plizierter. Deshalb kann die Lernbereitschaft und -fähigkeit nicht mehrwie früher vorausgesetzt werden. Sie muss immer häufiger durch metho-dische Anstrengungen des Lehrers hergestellt werden.5

ÿ Die Schüler werden anspruchsvoller. Die häufigste Klage von Schülernlautet, der Unterricht sei zu langweilig. Diesem Problem ist nicht durchimmer neue und spektakulärere Inhalte beizukommen, sondern nurdurch eine Erneuerung der Methodenkultur insgesamt. Die Schülerbenötigen gerade wegen der Informationsflut, die außerhalb von Schuleund Unterricht auf sie einstürmt, einen sinnstiftenden und konzentrie-renden Unterricht (vgl. Jahnke-Klein 2001).

ÿ Das Tempo gesellschaftlicher und technologischer Entwicklung steigt.Lebenslanges Lernen ist angesagt. Deshalb werden so genannte Schlüs-selqualifikationen immer wichtiger. Sie sollen helfen, neue, zum Zeit-punkt der Ausbildung noch gar nicht bekannte Aufgaben zu meistern.Da „Methodenkompetenz“ so etwas wie ein Generalschlüssel zum Erwerbweiterer Schlüsselqualifikationen ist, wird ihre Vermittlung schon in derSchulzeit immer wichtiger.

Diese Argumente sprechen dafür, eine neue Methoden- und Unterrichts-kultur zu entwickeln, die den Schülern mehr als bisher üblich die Mög-lichkeit gibt, im Unterricht selbsttätig zu arbeiten und dabei Grundkompe-tenzen für Leben und Beruf zu entwickeln.

8 Womit soll gelernt werden?

Dies ist die Frage nach den Lernmedien. Soll ich schon im Leselehrgangder ersten Klasse den Computer nutzen oder nicht? Ist der Overheadpro-jektor eine Lernerleichterung oder ein Folterinstrument des Lehrers? Sol-

1. Gegenstandsbestimmung 25

5 Die für die Analyse dieser veränderten Lernvoraussetzungen zuständigen Wissen-schaften sind die (psychologischen) Lerntheorien und die (sozialwissenschaftlichen)Sozialisationstheorien (vgl. die beiden empfehlenswerten Bücher von Lefrancois1976 und Tillmann 1996).

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len die Schüler die Medien vorgesetzt bekommen, sie selber auswählenoder selbst herstellen? Diese und viele weitere Fragen werden von der Me-diendidaktik bearbeitet. Nicht die technische Raffinesse der Medien sollteden Ausschlag für ihren Einsatz geben. Entscheidend ist vielmehr die Ant-wort auf die Frage, wie Medien unsere Wahrnehmung der Welt formieren.

Ein Blick in die Geschichte macht die Bedeutung der Medien für das Ler-nen und Lehren noch deutlicher:ÿ Die Erfindung des Buchdrucks und die darauf folgende massenhafte Ver-

breitung von Gedrucktem war die entscheidende Voraussetzung für dieRevolutionierung des Unterrichts in der frühen Neuzeit. Nun waren dieMenschen nicht mehr auf die unmittelbare Anschauung und Erfahrungangewiesen, sondern konnten sich durch das Medium Buch ein Bild vonder Welt machen.

ÿ Die Erfindung des Computers und die darauf folgende Etablierung desInternets wird das Lehren und Lernen vermutlich ähnlich tief greifendrevolutionieren. Wie erfahren die Lernenden von heute und morgendie Welt, wenn sie einen grenzenlosen Zugang zum Weltwissen haben,wenn dabei aber die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Bildungs-programm und Werbung verschwimmen? Welche Folgen hat es für ihrSelbst- und Fremdbild, über das Internet schon in jungen Jahren das„global village“ inspizieren zu können?

Die Medien- und die Allgemeindidaktiker stehen damit vor neuen Aufga-ben:ÿ Das Welt- und Selbstverständnis der „Informationsgesellschaft“ muss auf

seine didaktischen Konsequenzen befragt werden.ÿ Es müssen Kriterien und Verfahren erarbeitet werden, mit denen die

Schüler lernen, wichtige Informationen vom Datenmüll zu unter-scheiden.

ÿ Die Schüler müssen lernen, die Wahrheitsfrage zu stellen, also Sach-aussagen von fiktionalen Texten zu unterscheiden und bewusste Mani-pulationen zu durchschauen.

9 Wozu soll gelernt werden?

Wozu-Fragen werden mit Damit-Sätzen beantwortet (der Lateiner sagt: mitFinalsätzen). Ein Beispiel: „Die Schüler sollen Grundkenntnisse über dasparlamentarische System erwerben, damit sie sich später als mündigeStaatsbürger an der Politik beteiligen können.“ In diesem Beispielsatz ste-cken ein Bildungsideal und ein Lehrziel:

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ÿ Das Bildungsideal ist das des „mündigen Staatsbürgers“. Andere, ausder Geschichte bekannte Bildungsideale sind zum Beispiel das des „got-tesfürchtigen Christenmenschen“ oder das des „klassenbewussten Pro-letariers“.

ÿ Das implizite Lehrziel könnte lauten: „Die Schüler sollen Einstellungenund Handlungskompetenzen entwickeln, die erforderlich sind, um sichin die politische Willensbildung einzuschalten.“

Wer ein Bildungsideal formuliert, trifft eine Wertentscheidung. Dadurchwerden Maßstäbe gesetzt, an denen sich konkretes didaktisch-methodi-sches Handeln messen lassen muss. Ein Staatswesen, das „Mündigkeit“ alsübergeordnete Zielformel fordert (und dies tun alle Schulgesetze der sech-zehn Bundesländer Deutschlands), geriete in einen logischen Widerspruch,wenn es die konkreten Lehr- und Lernziele des öffentlichen Schulwesensverbindlich und konkret ausformuliert vorgäbe. Die heranwachsende Gene-ration soll ja gerade befähigt werden, nach wenigen Jahren selbst die Ver-antwortung für die Gestaltung und Weiterentwicklung dieser Gesellschaftzu übernehmen. Das kann sie aber nicht, wenn sie nie gelernt hat, selbstdie Verantwortung zu tragen. Es gibt, so Herwig Blankertz (1982,S. 306 f.), eine Eigengesetzlichkeit des Lernens, die die bloße Abrichtungauf konkrete Ausbildungserwartungen verbietet. (Mehr dazu in der Vier-ten Lektion.)

Wir ziehen ein Fazit: Es ist einfach, die neun W-Fragen zu stellen. Es istkompliziert, sie zu beantworten, und zwar deshalb, weil sie in sich sehrvielschichtig sind und nur in Abstimmung zu den acht übrigen Fragenbeantwortet werden können. Diese Kompliziertheit mag Anfänger im Lehr-geschäft frustrieren, aber sie lässt sich nicht umgehen. Zum Trost sei ange-merkt: Ebendeshalb benötigen wir eine akademische Ausbildung in Didak-tik, Lerntheorie und Schulpädagogik, die die Ausgebildeten befähigt, sichein Leben lang weiterzuentwickeln und neue, während der Ausbildung nochgar nicht in den Blick geratene Aufgaben zu bewältigen. Und genau des-halb muss die Didaktik wissenschaftlich sein:

1. Gegenstandsbestimmung 27

These 1.5: Die Didaktik ist mehr als eine Fachkunde. Sie ist seriös nurals Wissenschaft zu betreiben.

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2. Disziplinäre Ordnung

2.1 Die Didaktik und ihre Partnerwissenschaften

Seit gut hundert Jahren findet eine systematische Weiterentwicklung undAusdifferenzierung der Didaktik in Theorie und Praxis statt (vgl. Kron 1993,S. 29–38). Sie hat sich – europaweit – an nahezu allen Universitäten, Pädago-gischen Hochschulen und Lehrerbildungsseminaren als Wissenschaftsdis-ziplin etabliert; sie ist in zahlreiche Fach-, Stufen-, und Bereichsdidaktikenausdifferenziert worden; sie hat ihre eigene empirische Forschungspraxisetabliert. Die enge Orientierung auf Schule und Unterricht ist aufgegebenworden. Die Vertreter der Didaktik fühlen sich heute für sämtliche in-stitutionalisierten und nicht institutionalisierten Formen des Lehrens undLernens zuständig.

Die Didaktik ist durch diese Expansion nicht nur mächtiger, sondernauch krisenanfälliger geworden. Sie ist immer noch keine „normal science“mit einem klar definierten Aufgabenfeld und ebenso klar etabliertenForschungs- und Denktraditionen. Und sie ist weiterhin von den Konjunk-turen und Flauten der Lehrerbildung abhängig. Manchen etabliertenFachwissenschaftsvertretern gelten Didaktiker als lästige Emporkömm-linge, die „eigentlich“ keine richtige Wissenschaft betreiben, sondern „nur“deren Vermittlungsprobleme bearbeiten. Dies ist ein Vorurteil, aber Vor-urteile, die bestimmte Interessen bedienen, halten sich erstaunlich lan-ge.

Die Didaktik ist nicht autonom. Aber dies gilt für nahezu alle anderenWissenschaften ebenso. Sie benötigt jedoch besonders viele Partnerwis-senschaften, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Dies heißt aber nicht,dass sie dadurch zu einem bloßen Anhängsel der anderen Disziplinenwürde. Vielmehr resultiert gerade daraus ihre wissenschaftliche Eigen-ständigkeit.

Die Didaktik muss in Theorie und Praxis eigenständig sein. Das eine be-dingt das andere: Sie muss in der Theoriebildung selbstständig sein, weildie anderen, sich oft genug übereifrig anbietenden Wissenschaften gar nichtin der Lage wären, die volle Komplexität der bei der Gestaltung von Unter-richt zu lösenden Fragen zu erfassen. Deshalb kooperiert die Didaktik mitvielen anderen Disziplinen, aber sie ist nicht deren Magd, sondern ihreselbstbewusste Partnerin. Didaktik muss in der Praxis eigenständig sein,weil es ein Widerspruch in sich wäre, die Schüler zur Selbstständigkeiterziehen zu wollen, aber selbst von fremden Stichwortgebern und Kon-trolleuren gesteuert zu werden.

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Abbildung 1.2 geht von einer Setzung und zwei Beobachtungen aus:1) Die Setzung lautet, dass die Didaktik eine Teildisziplin der Erziehungs-

wissenschaft ist.

2. Disziplinäre Ordnung 29

These 1.6: Die Didaktik muss ihre Fragen mit „einheimischen“, aufdie Theorie und Praxis des Lernens und Lehrens bezogenen Begriffenformulieren und die Ergebnisse anderer Disziplinen in ihren Frage-horizont einbeziehen.

Abb. 1.2 Die Didaktik und ihre Partnerwissenschaften

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2) Die Didaktik hat nun wiederum eine Reihe eigener Teildisziplinen ent-wickelt. Sie hat sich in Allgemein- und Fachdidaktiken ausdifferenziert.Sie hat „empirische Ausleger“ in Gestalt der Unterrichtsforschung undder empirischen Lehr-Lern-Forschung entwickelt. Als Teildisziplin mussauch die Unterrichtsmethodik betrachtet werden. Darüber hinaus gibtes vielfältige weitere Spezialisierungen, auf die wir sogleich zu sprechenkommen werden.

3) Die Didaktik kann ihre komplexen Aufgaben nicht allein erfüllen. Siebenötigt Partnerwissenschaften. Den Namen „Partnerwissenschaft“ ha-ben wir uns selbst ausgedacht (vgl. jedoch Klafki 1963 b, S. 79). Statt vonPartnerwissenschaften wird in der Literatur auch von „Hilfswissenschaf-ten“ oder „Bezugsdisziplinen“ gesprochen. Partnerwissenschaften sinderforderlich,– erstens, um die Fachinhalte aufzubereiten, die den Schülern vermit-telt werden sollen (= fachwissenschaftliche Bezugsdisziplinen);– zweitens, um Grundlagenprobleme des Lehrens und Lernens zu bear-beiten (= die grundlagenbezogenen Bezugsdisziplinen, z. B. die Philoso-phie, die Psychologie, die Soziologie und die Biowissenschaften).

Einige Partnerwissenschaften sind selbst erziehungswissenschaftliche Teil-disziplinen: zum Beispiel die Lehrplantheorie, die Bildungstheorie oder dieUnterrichtsmethodik. Andere kommen aus Nachbardisziplinen: die Lern-und die Entwicklungstheorie aus der Psychologie, die Sozialisationstheorieaus der Soziologie. Die pädagogische Anthropologie analysiert die Erzie-hungsbedürftigkeit des Menschen (vgl. A. Flitner 1963). Die Wissenschafts-theorie und ihre Tochter Methodologie helfen der Didaktik, die Bedingun-gen und Möglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnis zu reflektieren.

2.2 Allgemein-, Fach- und Spezialdidaktiken

Die erste Allgemeine Didaktik war sicherlich die „Didactica magna“ desJohann Amos Comenius, auch wenn Comenius schlicht von Didaktiksprach.6 Der Zusatz „allgemein“ ist erst seit den 1950er-Jahren gebräuch-lich, aber theoretisch noch wenig geklärt.7

30 ERSTE LEKTION Was ist Didaktik?

6 Auch in Wolfgang Klafkis „Studien zur Bildungstheorie und Didaktik“ von 1963 wirddie Formulierung „Allgemeine Didaktik“ noch nicht verwandt.

7 Lothar Klingberg und Herwig Blankertz nehmen eine Präzisierung vor. Klingberggrenzt die Allgemeine Didaktik von den Fachmethodiken ab (1989, S. 32). Blankertzschreibt in seinen „Theorien und Modellen der Didaktik“, dass es das Allgemeinenicht „an sich“ geben könne, sondern dass es sich aus dem Aspektzusammenhang

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